Ein jeder kriegt, ein jeder nimmt - in dieser Welt, was ihm bestimmt

  • Es war zwar nicht weit, aber ich war dennoch froh, dass wir uns hatten tragen lassen. Bald schon kam Cuma in Sicht, viele kleine Häuser, denen der Fischercharakter durchaus anzusehen war. Vielleicht lebte Flavius Aquilius nun in einem solchen Häuslein, sann ich nach, als wir näher kamen. Wit vor der Siedlung allerdings teilte sich der Weg, und die weitaus öfter benutzte Abzweigung war jene, die zur Grotte der Sibylle von Cuma führte.


    Eine Wegbiegung später waren die ersten Herbergen zu sehen. Kleine Häuser und Stände, Zelte und Hütten reihten sich entlang des Weges auf wie Perlen auf einer Schnur. "Halt. Setzt uns hier ab, wir werden den Rest zu Fuß gehen", wies ich unsere Träger an, und sie setzten uns ab und ließen uns aussteigen. Auch hier reichte ich Celerina wieder eine Hand. Es waren noch einige Meter zu gehen, doch brauchten wir ohnehin noch die weithin bekannte Opfergabe. Angeblich war es ganz besonderer Weihrauch, auch wenn ich nicht recht glaubte, dass er so anders sein sollte als jener, den man nun einmal zum Opfern verwendete. Ich bot Celerina meinen Arm und deutete längsseitig an den Ständen entlang. Hier verkaufte man allerlei Tand und unnützes Brimborium, doch ich kannte ja meine Frau - zumindest in dieser Hinsicht. Sicherlich wollte sie nur einmal schauen, also ließ ich ihr diesen Willen und steuerte den erstbesten Stand an. Ein fast zahnloser Grieche pries uns verschieden große und verschieden gefärbte Steine an, die angeblich vom Orakel als Glückssteine gesegnet worden waren.

  • Unweigerlich näherten wir uns unserem Ziel. Ich war nicht besonders gesprächig gewesen. Daher täuschte ich vor, mich für die Landschaft zu interessieren. Dieses dumpfe Gefühl schnürte mir einfach die Kehle zu. Ich konnte nichts dagegen tun. Ob Marcus etwas davon merkte?
    Auf Marcus´ Geheiß stoppten die Sänftenträger. Dies riß auch mich aus meinen Gedankengängen, die zugegebenermaßen immer verworrener wurden. Wieso war ich nur auf diese Abstruse Idee gekommen? Spätestens jetzt, da wir so gut wie da waren, gab es kein Zurück mehr.
    Ich ließ mir Zeit beim Aussteigen und hakte mich dann bei Marcus ein. Gemächlich schritten wir voran. Mit aller Macht versuchte ich an etwas anderes zu denken, als an das größte anzunehmende Unglück. Obwohl es ihm nicht bewußt gewesen war, half mir Marcus, das Unvermeidliche noch etwas länger hinauszuzögern. Er drängte mich förmlich zu den Ständen, an denen alle möglicher Firlefanz angeboten wurde. Mir kam plötzlich der Gedanke, ihm könne es genauso gehen...
    Ich ließ mir ausgiebig viel Zeit, um alles genau zu betrachten, obwohl mich das meiste nicht im mindesten interessierte.
    "Sollen wir... sollen wir einen solchen Glücksstein kaufen?", fragte ich, als ob dies das Allheilmittel meiner Befürchtungen war. "Und äh, haben wir eigentlich Weihrauch dabei?" Natürlich hatten wir das nicht. An irgendeinem dieser Stände würde es sicher einen Halsabschneider, ähm Händler geben, der uns das edle Harz für teures Geld verkaufte.

  • Freilich bekam ich nicht mit, was meine Frau bewegte. Außerdem dachte ich nicht einmal im Traum daran, dass sie einen Rückzieher würde machen wollen - es war immerhin ihr eigener Vorschlag gewesen, hierher zu kommen und eine Frage zu stellen, auf die es ohnehin nur eine kaum interpretierbare Antwort geben mochte. Ich stand neben ihr, als sie sehr interessiert, wie ich glaubte, die Auslage betrachtete. Hier gab es jene ominösen Glückssteine, weiter links wurden verzauberte Gänsekiele verkauft, die einen angeblich vor Unheil bei Vertragsabschluss bewahrten, ganz sicher aber nur mäßig schreiben würden. Nach jedem Blinzeln verschob ich den Blickfokus ein wenig, um so ebenfalls Interesse vorzutäuschen, was den zahnlosen Griechen durchaus glücklich zu machen schien. Unter seinem Tisch rieb er sich schon die Hände, das konnte ich förmlich erahnen. Und spätestens, als meine Frau überlegte, einen dieser komplett unnützen Steine zu erwerben, freute er sich, dass jemand hereingefallen war. "Wenn du möchtest?" sagte ich gönnerhaft. "Fiha. Fiha Seschterzna! Undu kannsch wähla!" steuerte der alte Zahnlose bei, und ich musste an mich halten, um ihn nicht verärgert zu fragen, was genau diesen Preis für einen Stein rechtfertigte. Doch wenn Celerina ihn haben wollte, dann zahlten wir eben vier Sesterzen für einen Stein. "Weihrauch kaufen wir da vorn, ich habe eben schon einen Stand gesehen", erwiderte ich ihr. Natürlich waren die Preise hier entsprechend der Nachfrage kalkuliert. Und es gehörte wohl auch mit zur Werbetrommel, dass man nur bestimmten Weihrauch benutzen durfte. "Stain?" fragte der Zahnlose jetzt höflich und hielt Celerina einen rot gemaserten und einen schlichten Graubraunen hin.

  • Im Normalfall hätte ich mich nicht einmal im Traum um diese Scharlatane gekümmert, die am Straßenrand ihren Plunder feilboten. Aber dies war eine außergewöhnliche Situation und da lächelte ich sogar dem unansehnlichen Griechen zu, der mir ein leichtes blümerantes Gefühl in der Magengegend verursachte. Ich entschied mich dann für den Roten. Ein weiterer Staubfänger in meiner Sammlung. Aber mal angenommen, dies war in der Tat ein Glücksstein. Dann konnte er jetzt dafür sorgen, daß mir oder besser gesagt uns doch ein wenig Glück zuteilwurde. Ich gab dem Zahnlosen die vier läppischen Sesterzen. Wenn das Glück nicht teurer war, als diese vier Sesterzen, dann sollte er sie haben. "So, bitteschön!" Natürlich unterließ ich es ihm anzudrohen, ihm bei Nichteintretens des soeben gekauften Glückes, den Stein wieder zurückzubringen.
    Nun, da er endlich mein war, beschaute ich mir das gute Stück und befand, daß er scheinbar nichts Besonderes war. Doch wie oft im Leben täuschte das Äußere oft über die Kraft des Inneren hinweg. Diesem Stein bürdete ich nun alle meine Sorgen auf, damit ich weitergehen konnte.
    Dann sah ich dem Stück Weg bis hin zur Grotte etwas gelassener entgegen. Den roten Glücksstein indes hielt ich fest in meiner einen Hand und drückte ihn ab und an. Mit der anderen Hand ergriff ich Marcus´ Hand und zog leicht daran, um ihm zu signalisieren, daß es weitergehen konnte. Je eher desto besser.


    Allmählich drang auch der schwere Weihrauchgeruch des nahenden Weirauchstandes in meine Nase. Hier würden wir nun ein wenig des edlen Harzes erstehen, den wir später im Inneren der Grotte der Sybille darbringen würden.

  • Tatsächlich wechselte kurze Zeit später ein nichtsnutziger Stein für vier Sesterzen und zur Freude des zahnlosen Griechen den Besitzer. Ich selbst sah das eher skeptisch, enthielt mich allerdings einer Antwort, um des Ehefriedens Willen. Allerdings hätte ich Celerina diesen Stein auch gekauft, so war es ja nicht. Ich nahm mir fest vor, wenigstens den Weihrauch zu erstehen, nicht dass es hinterher vielleicht heißen würde, ich sei zu geizig, um meiner Frau irgendwelchen Schund zu kaufen.


    Den Stein sah ich so schnell nicht wieder, Celerina barg ihn in der Hand und griff mit der anderen nach meiner, um mich weitzuziehen. Ich quittierte dieses Verhalten mit einem flüchtigen Stirnrunzeln. Mit unserem Sohn würde sie das vielleicht dereinst anstellen können, aber dass sie mich so herumzog, stieß mir doch etwas sauer auf. Ich folgte ihr dennoch, als sei nichts gewesen, ergriff jedoch die nächste sich bietende Möglichkeit, um ihre Hand aus meiner wieder an meinen Arm zu dirigieren, wo es sich weitaus angenehmer spazieren ließ und ich mich nicht fühlte, als sei ich ein Sechsjähriger, der seine Mutter auf dem Markt nicht verlieren sollte.


    Zielstrebig steuerte Celerina auf den Wohlgeruch eine Weihrauchstandes zu. Wir blieben dort stehen. Direkt gegenüber befand sich der wohl größte Konkurrent dieses Händlers hier, ein Stand, der in Aussehen und Ware exakt gleich aufgebaut schien, jedoch mit einer dicken Frau hinter der Theke, während es auf unserer Seite ein rundlicher Mann war. Ganz offensichtlich keiften die beiden sich dann und wann auch an, denn während der eine Verkaufsgesräche führte, warf der andere neiderfüllte Blicke hinüber, und hier und da stritten sie über die zwanzig Schritt Entfernung hinweg recht derbe. Doch das alles sollte uns nicht stören, auch nicht, als wir von dem schwatzhaften Händler ungewollt den Grund für den erbitterten Konkurrenzkampf erfuhren: Offenbar waren beide einmal verheiratet gewesen und hatten die glorreiche Geschäftsidee gehabt, mit zwei gegenüberliegenden Ständen die größtmögliche Flächendeckung im Verkauf zu erzielen - bis der dicke Mann der dicken Frau fremdgegangen war und sich die beiden entzweit hatten. Die Stände waren aufgeteilt worden, und seither waren die ehemaligen Ehepartner die größtmöglichen Kokurrenten. Erst nachdem wir uns diese Geschichte angehört hatten, bekamen wir den bereits bezahlten Weihrauch auch tatsächlich ausgehändigt. Diesmal hatte ich gezahlt und trug ihn auch mit mir herum. Am Ende stahl einer das teure Gut noch. "Möchtest du noch ein wenig schauen oder gehen wir direkt hinein? Es scheint gerade eher wenig Betrieb zu herrschen", sagte ich zu Celerina gewandt.



    Sim-Off:

    1x Weihrauch zu meinen Händen anbieten, bitte

  • Oh, dieser Duft! Der Weihrauch benebelte mich auf die Dauer. Wie es der Zufall wollte, gab es auch auf der anderen Seite des Weges einen solchen Weihrauchstand, so als wäre dies alles beabsichtigt gewesen. Zufälligerweise ähnelten sich auch die beiden Verkäufer, seien sie miteinander verwandt. Beide, sowohl der Mann als auch die Frau waren sie etwas dicklich. Doch von einem verwandtschaftlichen Verhältnis konnte keine Rede sein! Die beiden geiferten sich in einer Tour an. Bei dem Hin und Her stellte sich schließlich heraus, daß sie einst ein Paar waren, verheiratet. Aber nun nicht mehr, nun hassten sie sich bis aufs Blut und waren Konkurrenten. Bona Dea, dachte ich bei mir. Sieht so unsere Zukunft aus? War das auch ein Vorzeichen, zu dem, was uns im Inneren der Grotte erwarten mochte? Wieder drückte ich den Glücksstein in meiner Hand ganz fest, so als wollte ich alle schlechten Gedanken wegdrücken. Ganz weit weg von mir. Damit war ich so sehr beschäftigt, daß ich Marcus´ Frage beinahe vollkommen ignoriert hätte.
    "Wie bitte? Ähm nein, lieber nicht!" Vielleicht warteten hier noch mehr dieser seltsamen Gestalten auf uns, die mich nur noch mehr irritierten. "Ja, laß uns die Gunst der Stunde nutzen. Wie heißt es so schön, der frühe Vogel fängt den Wurm," meinte ich schließlich ganz entschlossen. Allerdings je näher wir uns dem Orakel näherten wurde es mir immer unwohler in meiner Haut. Aber jetzt gab es kein Zurück mehr. Schließlich hatten wir ja schon den Weihrauch gekauft.
    Zielstrebig durchschritten wir nun den Eingang, von dem nun ein in den Felsen gehauenen Stollen ins Innere führte und in einem Vestibulum endete. Zwischendurch ließen in gleichmäßigen Abständen Schächte ein wenig Licht in den Hauptgang. Ich konnte mir sehr gut vorstellen, wie Anaeas hier in die Unterwelt hinab gestiegen war.
    Im vestibulum angekommen, fanden wir zwei Steinbänke vor. Nun waren wir angekommen. Mein Griff um Marcus´ Hand wurde fester. In wenigen Minuten würde die Priesterin erscheinen, die unsere Frage an die Sybille entgegen nehmen würde.

  • Celerina schien ja nicht unbedingt angetan zu sein von dem Vorschlag, noch weiter im Gewühl zu schauen. Nun gut, das konnte mir nur recht sein. Ich nickte also bestätigend und führte sie, ohne zu ahnen, welche Horrorszenarien sie sich soeben ausmalte, in Richtung des Eingangs zur Grotte.


    Vor uns war niemand. Leise Gesänge waren zu vernehmen, und irgendwie hatte es Celerina geschafft, sich wieder meinem Arm zu entwinden und nach meiner Hand zu greifen. Ich ließ sie einfach gewähren. Der lange Gang, durchbrochen von mattem Licht, führte direkt auf zwei steinerne Bänke zu. Ich deutete Celerina an, ruhig Platz nehmen zu können, wollte selbst allerdings stehen bleiben. In der Linken hielt ich das Säckchen mit dem Weihrauch, der seine wahrhaftige Stärke erst mit der Räucherung offenbaren würde. Stumm wartete ich, stumm wartete Celerina. Ich musste zugeben, dass ich nun doch etwas nervös war, auch wenn die Skepsis bei weitem überwog.

  • Ich hatte auf einer der Steinbänke Platz genommen und rutschte nach einer Weile ungeduldig hin und her. Von einer Priesterin war nichts zu sehen. Noch nichts! Mit Sicherheit würde sie gleich erscheinen. Nur bis es endlich so weit war, starb ich bald vor Aufregung. Die Frage lag mit bereitsauf der Zunge. ich mußte sie nur noch formulieren. Ja, natürlich wußte ich, ich sollte mich in Geduld üben und deshalb versuchte mich auf den leisen Gesang zu konzentrieren, um mich damit abzulenken. Das waren die längsten Minuten der Weltgeschichte!

  • Der Anschein, daß sie allein mit sich selbst waren, trügte. Längst stand eine junge Priesterin schräg hinter ihnen. Sie war fast noch ein Kind. Der milchig weiße Stoff ihres Kleides war hauchzart und durchscheinend, bedeckte sie jedoch mit mehreren Lagen. Auch ihr Schleier war aus diesem Stoff und darunter schimmerte hellblondes, beinahe weißes Haar.


    "Bringt ihr ein Geschenk für Apollo?" fragte sie unvermittelt mit unschuldiger, melodischer Stimme ohne eine Begrüßung und ohne sich vorzustellen. Sie selbst war nicht mehr als ein Staubkorn im ewigen Kreislauf des Orakels.

  • Das Mädchen, das plötzlich in Sicht kam, war recht klein und schmal, wie ich fand. Ich neigte ihr grüßend den Kopf. Dass die Priester der Sibylle ein seltsames Verhalten zeigten, hatte ich schon öfter gehört. Nun erfuhren wir es am eigenen Leib, denn ohne eine Begrüßung oder sonst ein Wort kam die Priesterin sogleicht zur Sache. Ich hob das Säcklein mit dem frisch erstandenen Weihrauch.*


    "Wir bringen dem Orakel ein Geschenk", erwiderte ich bestätigend. Apollo war schließlich auch der Gott der Orakel, nicht nur der Musik und der Gesundheit, und stand daher in enger Verbindung zu der Sibylle. "Meine Frau würde der großen Sibylle von Cuma gern eine Frage stellen." Erst als die Frage formuliert war, merkte ich, dass ich wohl mit der Wortwahl daneben gegriffen hatte. Schnell warf ich Celerina einen Seitenblick zu. Dass wir die Frage hatten, wäre wohl eine bessere Formulierung gewesen, doch...nun ja, das Kind war in den Brunnen gefallen, also lächelte ich der Priesterin freundlich zu und hielt ihr das duftende Weihrauchsackerl entgegen.



    Sim-Off:

    * den ich noch als persönliches Angebot bräuchte, ausgesimmt ist der Kauf ja schon ;)

  • Die junge Priesterin griff nach dem Weihrauch, zögerte jedoch als Corvinus weiter sprach. Der Mann schien fast wie der Sklave seiner Frau. Er trug das Geschenk und sprach für sie.


    "Wie lautet deine Frage?" wand das Mädchen sich an Celerina. Dann nahm sie das Säcklein aus Corvinus Hand, öffnete ihn aber noch nicht.



    Sim-Off:

    das Angebot solltest du haben

  • Meine Frau würde der großen Sibylle von Cuma gern eine Frage stellen. Diesen Satz mußte ich erst wirken lassen. Meine Frau, nicht wenigstens meine Frau und ich? Langsam doch unaufhaltsam, ganz nach flavischer Manier, schob sich eines meiner Augenlider nach oben. Ich schaute wohl schon etwas brüskiert drein. Doch für Ehezankereien war hier wohl der ungeeignetste Platz, den man sich vorstellen konnte. Mit Sicherheit wr dies noch ein Thema, welches wir noch zu besprechen hatten!


    Die junge Priesterin wandte sich gleich zu mir, um die Frage zu erfahren, die ursprünglich wir beide der Sybille stellen wollten.
    Ich räusperte mich kurz, bevor ich zu der Frage ansetzte, so als wolle ich sicher gehen, daß mir nicht die Stimme versagte oder mich nicht plötzlich ein totaler Gedächtnisverlust heimsuchte.
    "Nun gut, mein Mann und ich würden gerne die große Sybille fragen, mit wie vielen Kindern wir, womöglich schon bald, in unserer Ehe gesegnet werden?"
    Etwas irritiert hatte ich während der Fragestellung zu Marcus geschaut. Ich hatte es immer noch nicht überwunden mit wie wenig Elan er an diese wichtige Sache herangetreten war. Hoffentlich war nun wenigstens der Spruch der Sybille nicht zu verworren und in alle Richtungen interpretierbar.

  • Da die Priesterin nicht nur jung war, sondern auch schon sehr lange der hiesigen etwas weltfremden Priesterschaft angehörte, verstand sie wenig von arrangierten Ehen und damit einhergehenden politischen Arrangements. Während sie den Beutel öffnete und an dem Weihrauch schnupperte, überlegte sie deshalb, was wohl der Zweck dieser merkwürdigen Frage war? Richteten sich die beiden neu ein und wollten so die Anzahl der zu kaufenden Gedecke ermitteln? Oder ermittelten sie die notwendige Summe für die zukünftig auszurichtenden Hochzeiten, um frühzeitig mit dem Sparen anzufangen? Das allerdings würde nicht funktionieren, denn die Frau hatte nur nach der Anzahl gefragt, aber nicht nach dem Geschlecht der Kinder.


    Der Duft des Weihrauchs kitzelte in der Nase der Priesterin und diese nickte. "Ich werde der Sibylle die Frage überbringen. Wartet hier."


    Mit dem Säcklein machte die junge Frau sich auf, den langen Gang in die Grotte hinein zu gehen.


    Nachdem die Priesterin am Ende von der Dunkelheit verschluckt worden war, erstarb der hintergründige Gesang für einen Augenblick. Dann hob er um so lauter wieder an. Aus der Grotte drang ein Gemisch aus Singen und Klagen.

  • Wie wahr die Gedankengänge der Priesterin doch waren! Mitunter fühlte ich mich tatsächlich so, wie sie mich abstempelte. Ich lächelte unverbindlich und versuchte, Celerinas Blick bestmöglich zu ignorieren. Nur wenig später hatte sich die junge Priesterin umgewandt und auf den Weg zum Orakel gemacht. Hin und wieder beschien ein Lichtstrahl die epiphane Gestalt des Mädchens, und schließlich war sie zur Gänze verschlungen vom Spiel aus Licht und Schatten. Celerina und ich waren nun allein, und ich rechnete schon damit, dass sie ihren Unmut über meine Worte kund tun würde. Dem galt es zuvorzukommen! "Jetzt müssen wir warten. Ich bin gespannt, mit welchem Orakelspruch sie zurückkommen wird", plauderte ich, was sonst so gar nicht meine Art war. Dabei setzte ich mich auf eine der beiden Steinbänke und sah zu Celerina auf.

  • Die junge Pristerin, die für meinen Geschmack viel zu dünn und knochig wirkte, verschwand mit meiner Frage und dem Säckchen Weihrauch. Was diese jungen Mädchen von heute nur dazu bewegte, um des Aussehen willens auf genügend Nahrung zu verzichten! Nun denn, das war zum Glück nicht mein Problem. Ich hatte ein ganz anderes. Es saß neben mir und hieß Marcus. Ich konnte noch immer nicht fassen, was er soeben in Gegenwart dieses Mädchens gesagt hatte!
    "Ach ja, bist du das?" Entgegnete ich leicht gereizt, um nicht zu sagen giftig. "Ich hatte geglaubt, dir liegt genau so viel daran, wie mir, zu erfahren, wie unser beider Zukunft aussieht." Ich war wütend, nein, ich war stinksauer und wenn wir nicht gerade in der Grotte von Cumae gewesen wären, wäre ich sogar bereit gewesen, einen handfesten Streit vom Zaun zu brechen. So schmollte ich nur.

  • Manchmal vollzog das Wetter einen unerwarteten Umschwung, und aus Sonne wurden plötzlich Regenwolken. Aber dann gab es wenigstens einen Regenbogen. Hier und jetzt war er plötzlich nur grau in grau, ohne schillernde Farben der Leichtigkeit, und ohne einen Fitzel Sonne. Mit einer solch heftigen Situation hatte ich nicht gerechnet. Dementsprechend lange sah ich Celerina nach ihrem Ausbruch auch an, ohne dass mein Gesicht verraten hätte, wie sehr sie mich damit überrascht hatte. Schließlich hob ich die Hand und strich mir nachdenklich über eine Wange. Sicherlich würde ich noch zum Streitschlichter avancieren, je länger diese Ferien dauern mochten. "Natürlich liegt mir daran", beharrte ich und legte so viel Überzeugungskraft und Einfühlungsvermögen als möglich in meine Stimme. Zusätzlich kam mir der geniale Einfall, eine ihrer Hände zu ergreifen und kurz zu drücken - gewiss wurde ich auf diesem Gebiet immer besser. So zumindest kam es mir vor, auch wenn ich mich innerlich fühlte, als verkehrte ich mir selbst das Innerste nach außen, indem ich mich so verbog, nur um dem Streit zu entgehen. Ich war mir sicher, dass sie es nicht dabei belassen würde. Kurios, sich in der Grotte der Sibylle von Cuma zu streiten.

  • Ich glaubte ihm kein Wort! Auch wenn er sich noch so viel Mühe gab, mich vom Gegenteil zu überzeugen. Typisch Mann, schoß es mir da durch meinen Kopf. Ich konnte es partout nicht leiden, wenn er der Frage um unsere Nachkommenschaft genauso viel Interesse beimaß, wie einem Einkaufsbummel. Diese interessiert-mich-nicht-Mentalität und dieses meine-Frau-macht-das-schon-Denken brachten mich schier auf die Palme.
    Natürlich lag ihm auch einiges daran, daß wir uns hier und jetzt nicht stritten. So ergriff er meine Hände, um das zu bekräftigen, was er gesagt hatte. 'Junge, Junge, da mußt du dir noch etwas besseres einfallen lassen', dachte ich. Solche fatalen Äußerungen wurden anderswo mit mit einer Einkaufstour unter drei Stunden bestraft. Ich hoffte nur, ihm war das bewußt.
    "Na gut, dann will ich dir mal glauben.", gab ich nach einiger Zeit zurück, in der ich ihm nur schweigsam und schmollend einen bösen Blick zugeworfen hatte. "Was machen wir eigentlich danach, wenn wir hier mit allem fertig sind?"

  • Celerina wirkte immer noch skeptisch, aber wenigstens schien ich sie besänftigt zu haben. Mit einem vagen Lächeln um die Mundwinkel nickte ich ihr zufrieden zu und hoffte, dass die Sache damit gegessen war. Wenn nur die Priesterin zurück käme. Dann hätte Celerina etwas anderes, über das sie grübeln und sinnieren konnte, und würde mich in Frieden lassen. Ich wollte eigentlich nichts mehr sagen, bis wir den Orakelspruch bekommen hatten, und die kühle Abgeschiedenheit der Grotte noch etwas genießen, doch Celerina schien ein plötzliches Mitteilungsbedürfnis zu entwickeln und fragte mich schon wieder etwas. Sie verwirrte mich. Das tat sie wirklich. Eben noch war sie angesäuert, fast wütend gewesen, und jetzt fragte sie mich, was wir im Anschluss unternahmen? Sie brachte mich damit ins Schwitzen, denn so weit hatte ich noch nicht gedacht. Ich hatte gehofft, dass der Spruch der Sibylle sie vorerst beschäftigen würde. Und so schlug ich quasi in Ermangelung der Zeit zum Nachdenken mein eigenes Ende vor, um sie nicht mit meinem Schweigen oder einer stark verzögerten Antwort schon zu verärgern: "Ich dachte mir, wir fahren nach Puteoli und ich kaufe dir ein schönes Kleid. Was meinst du?" Kaum ausgesprochen, verbog ich die Mundwinkel zu einem Lächeln. Wenn sie darauf nicht ansprang, hatte ich wahrhaftig ein Problem.

  • Für einen Tauben wäre die Zeit in der Grotte wohl stehen geblieben, so regungslos zeigte sich der Raum um das Ehepaar. Für alle anderen ließ sich die Zeit an dem Gesang abmessen, der aus dem Inneren des Orakels drang. Der Gesang schwoll an. Der Gesang erstarb. Der Gesang setzte ein. Der Gesang schwoll an. Der Gesang verwandelte sich in ein regelrechtes Kreischen. Der Gesang erstarb. Der Gesang setzte ein. Der Gesang schwoll an. Der Gesang erstarb. Der Gesang setzte ein.


    Irgendwann dann schob sich ein weißer Fleck vor die dunkle Öffnung zum Orakel, der sich bald als die junge Priesterin herausstellte, die dem Ehepaar durch Licht und Schatten immer näher kam. Als sie vor ihnen stand hob sie eine Wachstafel und sprach ohne sich darum zu kümmern, ob sie ein Gespräch unterbrach: "Hört, was das Orakel euch zu sagen hat!"


    Dann verlas sie mit monotoner Stimme die Worte, die in grober Handschrift in das Wachs geritzt waren:



    manchmal ergeben drei fünf Räder am Wagen
    manchmal ist der Abend rot
    manchmal fällt das Ei von der Mauer
    und fängt es keiner auf dann ist es tot


    manchmal fährt das Schiff ohne Segel
    manchmal hört ihr Stimmen die keine sind
    manchmal spricht das Kind hinter dem Spiegel
    manchmal ist es nur der Wind


    manchmal dreht sich die Welt und steht dabei still
    manchmal nehmt ihr den Löffel anstatt das Messer
    manchmal ist das durchaus von Vorteil
    denn mit stumpfer Klinge schneidet es sich besser


    wenn ihr den Regen nicht spürt steht ihr am Grunde der See
    wenn keine Trauben aus den Ranken wachsen leidet der Boden Not
    dreht euch dreimal im Kreis und sagt die Losung
    denn sonst ist das Ei am Abend tot



    "Möchtet ihr die Weissagung des Orakels mitnehmen?" Sie hielt Aurelius Corvinus die Tafel hin, denn sie ging davon aus, dass er sie tragen musste.

  • Dass die Priesterin auf dem Rückmarsch war, hatte ich nicht bemerkt, so vertieft war ich in das Gespräch - oder eher die Verhandlung - mit Celerina gewesen. Erst als die leisen Fußtritte des Mädchens zu hören waren, wandte ich den Kopf. Celerina blieb mir die Antwort auf die Einkaufsfrage erst einmal schuldig, denn nun war die Priesterin mit unserem Orakelspruch da. Ich erhob mich und zog kurzerhand Celerina an einer Hand mit auf. Da begann das Mädchen auch schon, unseren Spruch zu verlesen, während wir Hand in Hand dastanden.


    Als sie die erste Zeile vollendet hatte, schnürte sich mir schon die Kehle zu. Aus drei werden fünf. Ich wusste, was das hieß. Ich hoffte nur, dass Celerina es nicht ahnte. Drei... Celerina, Siv und ich. Und fünf... Diese Zahl stand für die Kinder, welche beide jeweils bekommen würden, anders ergab es keinen Sinn! Da ich zu diesem Zeitpunkt noch nichts von Chimerion wusste, erschien mir diese Interpretation als die einzig logische. Aber Celerina wusste ebensowenig, und deswegen konnte sie nicht ahnen, was das bedeutete, zumindest in bezg auf Siv. Vielleicht dachte sie dabei an Chimerion, was wiederum ich nicht ahnte.


    Ich setzte mit dem Aufpassen erst irgendwo im zweiten Vers des Orakelspruchs wieder ein. Das Kind hinter dem Spiegel, das manchmal nur der Wind ist? Was sollte denn das beeduten? Auch der Rest ergab nur wenig Sinn für mich, bis auf die Sache mit der stumpfen Klinge, dem Löffel und dem Messer. Manchmal fühlte ich mich selbst wie eine stumpfe Klinge, allerdings nur in Celerinas Nähe. Ich wusste, dass ich versuchte, ihr alles recht zu machen. War das damit gemeint? Den Weg des geringsten Widerstandes zu gehen? Und die Sache mit den Trauben... Damit waren ganz bestimmt Erben gemeint. Das stimmte dann also auch, denn was war ein Mann schon ohne einen Erben?


    Am Ende des Orakelspruchs hatte ich die Lippen aufeinander gepresst und riskierte einen kurzen Blick zu Celerina, um zu sehen, ob ich erahnen konnte, was in ihr vorging. Dann hallte das Geräusch des Tafelzuklappens durch das Gewölbe, und als die Priesterin mir die tabula hinhielt, nahm ich sie automatisch entgegen. "Ja. Vielen Dank", sagte ich. Irgendwie fühlte ich mich seltsam.

Jetzt mitmachen!

Du hast noch kein Benutzerkonto auf unserer Seite? Registriere dich kostenlos und nimm an unserer Community teil!