cubiculum MAC | Ein Gespräch unter vier Augen

  • Abends, als Avianus selbst im Hause war und als er mit Sicherheit davon ausgehen konnte, dass sein Onkel ebenso anwesend war, trat er vor das Cubiculum von Corvinus. Eine Flamme nebst der Türe flackerte seicht vor sich hin und spendete Licht, sonst waren nicht mehr viele Leute in den Gängen unterwegs. Die Nächte waren zu dieser Jahreszeit auch in Italien kalt und man verließ die warmen Räumlichkeiten nur dann, wenn man wirklich etwas zu tun hatte.
    Die Geschehenisse in der Curia Saliorum Palatinorum hingen ihm etwas nach - er schätzte die Familie der Flavier und es war nie seine Absicht, jemanden zu beleidigen. Allein schon, weil er durch die Gemahlin von Corvinus an ein Grundstück für seine Karriere kam, stand er eher in der Schuld der Familie. Doch hatte er dies getan, sie beleidigt? Avianus fühlte sich eher fehlinterpretiert. Und enttäuscht, dass von der Familie letzten Endes doch keiner da war, um seinen eigentlichen Willen dem Beleidigten klar zu machen. Es war wohl wie immer die harte, grausame Welt da draußen, an die der junge Aurelier sich schon seit dem Tode seines Vaters gewöhnen musste. Grässlich. Kalt wie Eis. Hart wie Stein. Man war nun einmal alleine im Kreislauf des Lebens.


    Es waren andere Gründe, weshalb Avianus mit seinem Onkel reden musste. Zum Beispiel war da die Bitte seines Patronen. Und die Bitte um Rat.
    Er sah dem Licht zu, während er die bösen Gedanken vetrieb. Und er wartete nach seinem Klopfen, zu seinem Onkel hineingelassen zu werden.

  • Ich war früh zu Bett gegangen. Der Tag war anstrengend gewesen. Direkt nach der salutatio hatte ich eine Senatssitzung gehabt, mich dann zum Mittagessen mit einem Klienten getroffen, der Probleme mit einer Einstellung gehabt hatte. Anschließend war ich im Tempel des Mars ultor gewesen, um einer missglückten Opferprüfung beizuwohnen. Nachdem ich zu Hause etwas gegessen und mich um den angefallenen wichtigen Schreibkram gekümmert hatte, indem ich Pyrrus einige Briefe diktiert hatte, hatte ich mich zum Schlafen zurückgezogen.


    Als es klopfte, war ich gerade im Begriff, die Lampe zu löschen. Verwundert runzelte ich die Stirn, setzte mich aber auf und drehte die züngelnde Flamme wieder höher. "Ja?" fragte ich. Zum Schlafen trug ich in den kalten Nächten eine schlichte Tunika, und die war nun auch am Oberkörper zu sehen. Den Rest verhüllte die Decke.

  • Ein "Ja" ertönte aus dem Inneren des Cubiculums, welches Avianus das Gefühl vermittelte, dass er sich wohl doch einen ungünstigen Zeitpunkt ausgesucht hatte, seinen Onkel zu besuchen. Dieser schien im Begriff, etwas früher schlafen zu gehen, als der Neffe es eigentlich von ihm kannte. Nun stand er schon hier und zu gehen, nachdem er Corvinus' Aufmerksamkeit auf sich gezogen hat, schien Avianus unerhört zu sein. Also musste er da durch, selbst wenn dies für sie beide unbequem sein mochte. Er wusste, dass Corvinus ein sehr beschäftigter Mann war. Womöglich war er sogar mit Schreibkram beschäftigt?


    "Marcus", rief Avianus durch die hölzerne Türe, was seine Stimme leiser und stumpf werden ließ, "Ich störe wirklich ungern... ich hatte gehofft, du hättest heute Abend einen Moment Zeit für mich. Es ist mir wichtig." Der letzte Satz wurde von ihm nicht so ausgesprochen, als hätte er damit eine positivere Reaktion bezwecken wollen. Eher betonte er damit, dass er nicht umsonst gekommen war, was sicher auch Corvinus interessieren durfte.

  • Statt die Tür zu öffnen, zog der Klopfende es vor, davor stehen zu bleiben. An der Stimme erkannte ich Avianus und musste kurz grinsen. Während er sprach, stand ich auch und ging baren Fußes hin zur Tür. Ich erreichte sie, als er gerade ausgesprochen hatte, und öffnete sie. "Du störst nicht und hättest ruhig gleich hereinkommen können", sagte ich zu ihm und ließ die Tür offen stehen. Ich wandte mich um und ging hin zu der kleinen Sitzgruppe. Über einem Stuhl hing ein Mantel aus festem Leinenstoff ind unklem Blau, und diesen zog ich mir nun über.


    Zweifellos würde Avianus sehen, dass ich gerade zu Bett gehen wollte, nicht nur an meiner Aufmachung, sondern auch an der Tatsache, dass das Bett zurückgeschlagen war und nur die Öllampe direkt daneben brannte. Ich stand hinter einem Sessel, die Hände auf dessen Lehne gelegt, und sah Avianus fragend an. "Was ist dir denn so wichtig?" fragte ich freundlich. Dass er sich setzen konnte, wenn er wollte, war seöbstverständlich, deswegen forderte ich ihn nicht eigens noch einmal dazu auf.

  • "Ja, wenn ich es nur gewusst hätte", musste auch Avianus grinsen, nachdem die Tür von innen geöffnet wurde und trat anschließend in den Raum. Die Tür schloss er brav hinter sich zu und folgte seinem Onkel zu seiner Sitzgruppe, welche bequem anmutete und den jungen Aurelier direkt zum Sitzen einlud... er ging davon aus, dass Corvinus ihm den Sitzplatz nicht verwehren würde und nahm Platz.
    Im Raum spendete nur eine seicht vor sich her brennende Öllampe ein warmes Licht.


    "Wie ich sehe, wolltest du gerade schlafen. Also fasse ich mich kurz", begann Avianus, "Womöglich wird dir nicht entgangen sein, dass der Consul Tiberius Durus eine Inquisitio Senatus ins Leben gerufen hat, aufgrund des Personalmangels in den Provinzen. Mein Patron Purgitius Macer leitet diese und braucht Informationen aus so vielen Provinzen wie möglich, wie dort der Stand ist... er hat gehofft, du würdest auf meine Nachfrage hin Auskunft geben, eventuell hast du ja verwertbare Informationen aus den Archiven der Acta?"

  • Wenn er es nur gewusst hätte? Hatte ich ihn nicht hereingebeten? Nun, es war ja auch egal, nun war ich wieder auf und setzte mich schließlich doch hin. Es war nicht so, dass ich todmüde war und mich kaum noch auf den Beinen halten konnte, insofern machte ich eine gleichmütige Handbewegung, als Avianus versprach, sich zu beeilen. "Keine Hektik."


    Ich lehnte mich bequem zurück und lauschte den Worten meines Neffen und nickte zum Zeichen, dass mir diese Tatsache natürlich ein Begriff war. Immerhin war ich selbst anwesend gewesen während dieser Senatssitzung. Dann kniff ich prüfend die Augen zusammen und überlegte, aber einen rechten Reim konnte ich mir nicht darauf machen, was Avianus nun eigentlich von mir wollte. "Macer möchte wissen, ob ich Informationen über den Personalmangel in den Provinzen habe, die er nicht hat?" wiederholte ich so, wie es mir am sinnigsten erschien, dann kratzte ich mich nachdenklich am Kinn, was von einem leisen Kratzen begleitet wurde. Immerhin war der Barbier am Morgen gekommen, und die Bartstoppeln nun schon wieder gesprossen. "Hm."

  • Wenn Corvinus es nicht eilig hatte, sich schnell wieder schlafen legen zu können, dann konnte Avianus sich eben Zeit lassen und dies mit einem Nicken zur Kenntnis nehmen.
    Stutzig wurde er, als er feststellte, dass seine Worte ein klein wenig verwirrender waren, als von Avianus gewollt. Oder schlief sein Onkel schon halb? Es war nun auch egal, denn letzten Endes hatte sein Onkel eine etwaige Ahnung, worum es ging. "Ja, so ist es, Marcus", bestätigte er, "Germanien spielt hierbei keine Rolle. Darüber hat er Informationen. Vielleicht eine andere Provinz... Britannia, Gallia, Hispania? Oder eine im Osten?"

  • Ich zog die Brauen zusammen und sah Avianus skeptisch an. "Ich müsste nachsehen, aber mir wird vermutlich auch nicht mehr vorliegen als dem Senat und der kaiserlichen Kanzlei", erwiderte ich und deutete ein Kopfschütteln an. "Ich nehme an, an den Vescularier hat er sich deswegen bereits gewandt, ebenso wie an die Kanzlei?" Die Informationen, die dem Senat vorlagen, waren Macer ja ebenso zugänglich wie mir selbst, deswegen fragte ich diesbzeüglich nicht nach. "Wie gesagt, ich kann morgen gern nachsehen lassen, aber mach dir keine großen Hoffnungen, Tiberius. Ich kann mich an keine Information erinnern, die über das hinausgeht, was Macer durch die Senatssitzungen bereits in Erfahrung hat bringen können." Ich hob die Schultern und schüttelte erneut den Kopf. Ob das schon alles war, was er hatte wissen wollen?

  • Avianus nickte ein wenig enttäuscht, er hatte sich zwar für seinen Patronen brauchbare Informationen erhofft, konnte jedoch nichts mehr für ihn machen. Es hätte ja sein können, dass die Acta einige Dinge aus den anderen Provinzen in Erfahrung gebracht hatte. Informationen vielleicht, die selbst beim Senat noch nicht durchgedrungen sind? Er hatte sie Acta wie ein Informationsnetzwerk vorgestellt. "Er hat mir nicht gesagt, an wen er sich gewandt hat", schüttelte Avianus den Kopf. Es war schade, dass auch hier die Unterstützung des jungen Aureliers für seinen Patronen ausblieb.
    "Dennoch, ich danke dir, Onkel. Und eine Frage hätte ich noch", er sah Marcus ernst an, "Unterstützt du es, wenn ich einen Senatssitz anstrebe?"

  • Ich glaubte allmählich, dass sich viele Leute die Acta Diurna einfach falsch vorstellten. Wie gern hätte ich sie selbst wie ein schnurrendes Uhrwerk empfunden, das erst Jahrhunderte später erfunden werden würde! Doch derzeit war sie nicht viel mehr als der Schatten, den der Zeiger einer Sonnenuhr warf. Es war demnach tatsächlich nicht verwunderlich, dass die Unterstützung des jungen Aurelius für seinen Patron ausblieb. Ich konnte mir Informationen schließlich nicht aus den Rippen schneiden, und Avianus hatte immerhin nicht einmal nachgefragt, welche Auskünfte sein Patron bereits eingeholt hatte. Insofern blieb mir nichts anderes übrig, als ihn bedauernd anzusehen, weil ich ihm nicht helfen konnte.


    Zumindest, bis Avianus seine Frage stellte. Da runzelte ich nämlich die Stirn und wartete auf die eigentliche Frage, bis mir auffiel, dass dies die Frage bereits gewesen war. Meinte er das ernst? Fragte er mich tatsächlich, ob ich es gut hieß, wenn unsere Familie einen weiteren Senator vorweisen konnte? Verwundert sah ich ihn an. Scherze schien er zumindest keine machen zu wollen. "Ehm. Selbstverständlich", erwiderte ich ob dessen etwas pikiert. Wie konnte er annehmen, dass dem nicht so war? Abgesehen davon, dass man den cursus honorum nicht aus Jux und Dollerei beschritt?

  • Avianus runzelte ungläubig die Stirn, so dass sich zwei Schluchten daraus ergaben, umgeben von einigen kleineren Falten. Er hatte jetzt mit vielen Reaktionen gerechnet. Misstrauen, Missfallen, Missbilligung oder andere Dinge, die man mit einem "Miss-" beginnen konnte. Stattdessen jedoch antwortete Corvinus mit einem überraschend widerstandslosen Antwort. Ein "Selbstverständlich". War das selbstverständlich für den Onkel, der immer meinte, Avianus ließe sich zu wenig Zeit? Was war wohl aus dem richtigen Corvinus geworden, wo war er, musste der Neffe sich fragen?


    "Selbstverständlich", echote er, "Ist das alles?" Die gefaltete Stirn wurde ein wenig glatter. "Ich hatte mit mehr... Bedenken gerechnet. Du warst immer derjenige, der meine Entscheidungen als zu schnell empfand, ich solle mir mehr Zeit zum lernen nehmen."

  • “Ja“, sagte ich mit leichter Verärgerung in der Stimme, die ich zu zügeln suchte. Hinzu hatte sich auch echte Verwunderung, gewürzt mit einem Hauch Enttäuschung, gemischt. “Das ist alles. Du hast doch nicht ernsthaft daran gezweifelt, dass ich es nicht gutheißen würde, einen weiteren Aurelier im Senat zu haben?“ fragte ich Avianus. „Es ist eine Sache, Bedenken zu haben und zu äußern, eine andere Sache, dich nicht zu Unterstützen. Selbstverständlich werde ich dir helfen wo ich kann, Tiberius, ganz gleich, ob ich nun finde, dass du dich zuvor mehr in der Öffentlichkeit zeigen solltest oder nicht.“ Es machte mich traurig, dass er daran zweifelte, an meiner Unterstützung. Abgesehen davon, dass ich auch nicht verstand, wie er darauf kam, dass ich ihm selbige versagen würde. Es kam mir so vor, als entfernte sich Avianus zusehends weiter von mir. Von der Familie. Ob das nur mir so ging oder auch den anderen auffiel, vermochte ich nicht zu beurteilen. Ich deutete ein Kopfschütteln an, das mehr mir selbst galt als ihm.

  • Avianus nickte und zeigte sich durch die Umstände eher ernüchtert. Nicht, weil er dem gewachsen war, befürwortete Corvinus sein Streben. Nicht, weil er fähig wäre. Ihm war scheints egal, ob aus Avianus ein guter oder ein schlechter Senator würde. Machtpolitische Gründe hatte er also, die Aufnahme zu befürworten, doch konnte man es ihm verübeln? "Eigentlich... habe ich das", flüsterte Avianus und sah der Flamme in der Lampe seines Onkels zu, wie sie friedlich vor sich her flackerte. Sie spendete ein kleines, aber warmes Licht. Sein Blick wandte sich zu seinem Onkel.
    "In der Öffentlichkeit zeigen... das sollte ich, für wahr. Andererseits war dies der Fehler, den dein Bruder, mein Vater gemacht hat. Er ist nun tot, weil er sich der Öffentlichkeit gezeigt hat, Marcus. Und ich suche immer noch nach den Mördern", sprach Avianus mit deutlicher Bedrücktheit in der Stimme. Wieder einmal plagten ihn Erinnerungen, alte Wunden, die ihn nicht mehr plagen dürften. Er hatte immer gehofft, die Karriere würde ihm Gelegenheit geben, die Wunden endgültig verheilen zu lassen, die klaffenden Wunden, die immer aufgeschlagen wurden. Anfangs konnte er die Erinnerungen vertreiben, doch je weiter er im Leben kam, desto öfter kamen sie, desto mehr erwiesen sie sich zu einer Qual, die seine geplagte Seele malträtierte.



    *Edit: Habe nur den falschen Farbcode angepasst. :D

  • Vermutlich hätte ich ob der Ehrlichkeit meines Neffen nicht enttäuscht sein sollen. Ich war es dennoch, was sich in einem Zusammenziehen der Brauen äußerte. Avianus wirkte nachdenklich. Ich vermutlich nun auch. Seine Stimmung schwang offensichtlich gerade um. Seine Bedenken mochten angesichts der Umstände, in denen sein Vater - mein Bruder - zu Tode gekommen war, sicherlich nachvollziehbar, aber dennoch schwer dem Senat als Grund für geringe Aktivität vozutragen. Ich seufzte leise. "Tiberius." Ich neigte den Kopf ein wenig zur Seite, sah ihn an. "Ich weiß nicht, ob ich zu hohe Erwartungen habe. Vermutlich habe ich das, ich lasse mich selbst ja nicht außen vor. Aber wenn du vor dem Senat bestehen und nicht nur als Gallionsfigur der Aurelier betrachtet werden willst, dann solltest du dich dringend in der Öffentlichkeit sehen lassen. Wohne den Opfern bei, zeige dich auf gesellschaftlichen Anlässen. Du bist dabei nicht verpflichtet, dich mit mir oder Titus sehen zu lassen, falls es das ist, was dir nicht behagt." Ich machte eine kurze Pause. "Du solltest diese Sache endlich ruhen lassen", sagte ich dann, auch wenn ich selbst damals ebenso unter diesem Mord gelitten hatte wie Avianus augenscheinlich immer noch.

  • Was sollte Avianus jetzt noch sagen... natürlich hatte sein Onkel letzten Endes doch Recht mit seinen Worten. Natürlich war die Politik ein Spiel, in dem es darum ging, den besten Eindruck zu machen, die meisten Freunde zu haben... doch es war nicht einfach. Es fiel Avianus zusehends schwerer, je weiter er kam, desto souveräner musste er wirken. Doch es wurde immer schwerer, die Gekränktheit zu verbergen, die der noch junge Aurelier immer wieder empfand. Er erwiderte die Blicke von Corvinus, seiner jedoch war ein wenig mit Ratlosigkeit versehen.
    "Es geht mir nicht um die Erwartungen, Marcus. Ich habe gelernt, mit ihnen zu wachsen. Es ist nur schwer... ich hatte noch nie jemanden, mit dem ich den Tod von Vater richtig verarbeiten konnte. Deshalb quält mich das auch heute, verstehst du? Ich wünsche ihn mir zurück - und doch weiß ich, dass er nun in Elysium ist und ich ihm nicht folgen kann. Zu gern würde ich beenden, was er angefangen hat." Es ruhen zu lassen war etwas, was er nicht wollte. Er konnte erst ruhen, wenn die Mörder nach römischer Art bestraft wurden. Oder bestenfalls selbst tot waren...

  • Das klang, als spräche er als Außenstehender über sich selbst. Ich war erstaunt, dass er so genau wusste, woran es lag, dass es für ihn so schwer war, sich...einzugliedern? Seinen Platz zu finden? Ich verstand das Problem nicht genau, das gab ich mit gegenüber zu. Offenbar kamen hier auch mehrere Dinge zusammen. Ich schwieg einen Moment, die Hand locker um mein Kinn gelegt, und betrachtete Avianus eine Weile. Dann entschloss ich mich, die Politik Poliitik sein zu lassen und mich der Mordsache zu widmen. Ich lehnte mich etwas vor und legte ihm eine Hand auf den Unterarm. "Du bist selbst bereits weiter als dein Vater es geschafft hat, Tiberius. Bald wirst du im Senat sitzen. Das ist allemal ein Grund, stolz zu sein, und mein Bruder ist es, da bin ich mir sicher. Deine Zeit ist noch nicht gekommen, es gibt noch so vieles, was du vor dir hast. Glaub mir, er würde gar nicht wollen, dass du ihm jetzt nachfolgst." Davon war ich überzeugt. Dass ich ihn vielleicht falsch verstanden hatte, ging mir nicht auf. Ich ging davon aus, dass er den Weg meinte, der seinem Vater versperrt geblieben war. Ein wenig ratlos sah nun auch ich ihn an, nachdem ich die Hand wieder fortgenommen hatte. Ich wusste nicht, wie ich ich da helfen konnte. Regulus war auch mein Bruder gewesen, aber der Mord an ihm lag schon lange zurück. Man lernte, mit soetwas zu leben.

  • Rastlos war Avianus geworden, manchmal erzürnt über alles, manchmal enttäuscht, manchmal war er sogar beides, so dass er nicht zuordnen konnte, welches der Gefühle in ihm stärker war. War es vielleicht ein ganz anderes Gefühl, dass nicht viele Menschen kannten? Wenige verloren schon in ihrer Jugend den Vater aus irgendeinem Grund. Einige kannten ihn gar nicht, doch sie hatten mit dem Verlust nicht zu kämpfen, denn letzten Endes hatten sie nie einen. Für Avianus war dies anders, denn er hatte immer zu jemanden heraufgeblickt. Dieser Jemand war nun tut und er wüsste nicht, an wen er sich nun wenden konnte, wenn er etwas hatte. Natürlich konnte er irgendjemanden aus der Familie ansprechen, doch er wusste, was die anderen nicht wissen durften: Die Namen der Mörder. Es war einzig und allein Avianus' Bestimmung, über sie zu richten.
    Avianus spürte die Hand seines Onkels sanft auf dem Unterarm. Eine Geste, die er ungewohnt war, so dass Avianus seinen Onkel zunächst verduzt ansah. Und ermutigt hatte er ihn, weiterzumachen. Noch war es nicht vorbei... noch lange nicht. "Ich hoffe, dass er stolz auf mich ist, denn nichts Anderes wollte ich. Und ich weiß nicht wann, Marcus... doch die Mörder werden zahlen. Das schwöre ich, so wie ich hier sitze", sprach er ernst.

  • Ich betrachtete Avianus. Der Hass, den er den Mördern seines Vaters entgegen brachte, war mir niemals so stark aufgefallen wie in diesem Moment. Da war etwas Neues in Avianus' Blick, etwas, das einer Entschlossnheit ähnelte, die ich selbst auch kannte. Was ich empfand, und das Avianus dieses Empfinden womöglich teilen mochte, wenngleich auch in anderer Weise, brachte mich näher an ihn heran. Ich fühlte mich verbundener. Mein Blick ruhte nachdenklich auf ihm. Schließlich zuckten meine Mundwinkel, ich hob die Rechte und legte sie auf mein Herz. "per Iovem lapidem, und ich werde dir helfen, wenn es so weit ist", erwiderte ich. Avianus würde wissen, wie ernst es mir damit war, denn niemand schwor auf Iuppiter den Stein, wenn es ihm nicht ernst war. Dann ließ ich die Hand zurück auf die Lehne sinken. "Brauchst du einen Fürsprecher wegen des Senatssitzes?" fragte ich ihn.

  • Avianus war entschlossen, die Mörder zu finden - dennoch war er nur in dieser Sache entschlossen und empfand, wenn es um die Verarbeitung des Todes seines Vaters ging, eher Trauer. Es gab Momenten, an denen musste ein Mensch in Avianus' Position stark sein. Für ihn war dieser Moment jeder Moment. Es gab ihm Trost und Kraft, dass sein Onkel zu ihm hielt und so legte Avianus sanft die Hand auf die Schulter von Corvinus. "Der Tag wird kommen..." Wenn Avianus so sprach, brach in ihm ein innerer Konflikt aus.
    Wenn er nach Rache strebte, was würde er tun? Wäre er besser als die Mörder? Wäre es das gewesen, was Vater von ihm wollte?! Er stockte im Geiste und ihm wurde schwer.


    "Fürsprecher", grübelte Avianus nach, "Prinzipiell ist es besser, umso mehr zu haben. Jeder weitere Fürsprecher erhöht meine Chancen."

  • Ich nickte. Etwas anderes zu tun blieb mir auch nicht. Es gab keinen Trost, der ausgesprochen zugleich auch Linderung verschaffte, keine Worte, die entlasteten. Ich wusste das nur zu gut. Bei mir hatte die Zeit die meisten Wunden geheilt, allen voran jene , die beim Verlust meiner Eltern gerissen worden waren. Doch dies hier war anders, denn die Mörger meines Bruders mochte vielleicht noch meuchelnd herumziehen, während es bei meine Eltern Krankheit und ein Freitod gewesen waren. Ich war froh, als mein Neffe ablenkte.


    "Du kannst dir sicher sein, dass ich dich nicht im Stich lassen werde, Tiberius. Nur..." Ich schmunzelte, auch wenn das Lächeln in dem Bestreben, die Situation zu lockern, doch zunächst nicht meine Augen erreichte. "Du solltest du zuvor die Haare schneiden. Bevor du vor den Senat trittst, meine ich. Sie sind doch recht lang geworden." Für einen Germanischstämmigen gewiss normal, für einen Senator - oder zukünftigen Senator - nicht akzeptabel.

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