Atrium | Nigrina et Piso

  • Von Acanthus geführt, wurde Flavia Nigrina kurz im Atrium mit ein paar Früchten und der Option auf verdünnten Wein oder Quellwasser vertröstet. Flavius Piso war auf dem Weg, wurde ihr übermittelt.

  • Während Nigrina darauf wartete, dass sich die Tür öffnete, war noch alles – einigermaßen – in Ordnung. Und sie öffnete sich verhältnismäßig schnell, sprich, im Rahmen dessen, was normal war, auch wenn es für ihren Geschmack – und nach der Reise, die sie hinter sich hatte – auch schneller hätte gehen können. Dann jedoch musste sie wieder warten. Er musste nachfragen. Nachfragen. Wusste er denn nicht Bescheid? Nigrina unterdrückte das Bedürfnis, die Arme zu verschränken und mit ihren Fingern ungeduldig auf den Oberarmen zu tippen, und wartete stattdessen einfach nur. Und auch die Bestätigung kam recht schnell, denn es dauerte nicht lang, bis die Tür sich wieder öffnete und der Ianitor sie eintreten ließ. Als er ihr den Weg ins Atrium wies, schenkte Nigrina ihm zum ersten Mal einen genaueren Blick. Ein perfekter Ianitor, wie es schon, groß und grimmig, auch wenn er sich ihr gegenüber nicht sonderlich grimmig benahm – was auch besser für ihn war. Sie verzog einen Mundwinkel zu einem halben Lächeln und betrat das Atrium.


    Und wartete wieder. Sie streckte die Hand aus und verzog das Gesicht, als ihr einer der Sklaven einen Becher verdünnten Wein reichte. Kühl sah sie ihn an, hielt ihm den Becher wieder hin – und ließ ihn fallen, kurz bevor er ihn greifen konnte. Der Becher landete auf dem Boden, der Inhalt verteilte sich dort, während ein paar Spritzer davon sich auf ihrem Reiseumhang niederließen. Nigrinas Augenbrauen wanderten nach oben. „Ich hoffe für dich, dass sich diese Flecken wieder entfernen lassen, Sklave.“ Dann streckte sie eine Hand aus zu einem der Sklaven, die sie von Ravenna hierher begleitet hatten, und bekam einen Augenblick später einen Becher Quellwasser in die Hand gedrückt. Die Sklaven aus Ravenna wussten, dass sie nach so einer Reise keinen Wein wollte – und dass sie, wenn sie Wein trank, ihn nicht derart verdünnt wollte, dass er nur noch verwässert war. Und dann – wartete sie wieder. Mit zunehmender Ungeduld.

  • Als Phoebus Piso verständigt hatte, dass seine Schwester gekommen war, hatte sich dieser in seinem Arbeitszimmer aufgehalten und auf die Nachricht hin nur knapp genickt. Ihm gingen mehrere Dinge durch den Kopf, die er nicht recht in seinem Hirn einordnen konnte. Wie sollte er sie begrüßen, nach all dieser Zeit? Er wusste es nicht. Er hatte sich keine Gedanken darüber gemacht, hatte sie weit von sich fort geschoben, um unbeeinträchtigt von solchen Sachen in den Tag hineinzuleben, und sich um seine Arbeiten zu kümmern.
    Doch nun war die Stunde der Wahrheit angebrochen. Wie mechanisch erhob er sich von seinem Stuhl, blickte fast eingeschüchtert um sich, und sog dann tief Luft ein. Er würde jetzt seinen Mann stellen! Jawohl! Von der kleinen Schwester so beeindruckt werden... ne du, das kam ihm nicht in die Tüte! Er war ein Mann!
    Und beim Herausgehen dachte er sich, dass Vera dabei sein sollte. Doch sie war wieder in einen komatösen Zustand zurückverfallen, der ihm immer mehr Sorgen bereitete, von Tag zu Tag, auch wenn er diese Gedanken von sich fern halten wollte.
    Er schritt hinaus, und betrat das Atrium, endlich. Dort erkannte er sofort seine Schwester. Sie hielt einen Becher in ihrer Hand. Wein? Wasser? Er konnte es nicht erkennen. War ja auch nicht wichtig.
    “Salve, Nigrina.“ Er ging auf sie zu, gab sich einen innerlichen Ruck, breitete seine Hände aus und umarmte seine Schwester. Seine Halbschwester, schließlich war sie die Tochter der Genucia Triaria, dieser elenden Zicke, über deren Verschwinden sich dazumal der ganze Haushalt gefreut hatte. Zumindest er selber.
    “Wundervoll, dich endlich hier in Rom zu sehen!“ Er ließ endlich von ihr ab und setzte sich neben ihr nieder. “Ich hoffe, deine Reise ist gut verlaufen?“

  • Nigrina nippte zwischendurch an ihrem Wasser und wippte dem Fuß, den sie locker über den anderen geschlagen hatte, nachdem sie sich in einen der Stühle gesetzt hatte. Warten. Sie hasste es zu warten. Sie fand es auch unmöglich, dass man sie warten ließ, wobei sie sich widerwillig eingestand, dass Aulus ja nicht gewusst hatte, wann genau sie ankommen würde, und dass er – nach allem, was sie wusste – es inzwischen aufgegeben hatte in den Tag hinein zu leben und es geschafft hatte, sich einen vernünftigen Posten anzulachen, was Arbeit bedeutete… Und trotzdem. Er sollte hier sein. Jetzt. Sie unterdrückte ein ungeduldiges Knurren und fragte sich, ob er wenigstens die Singerei aufgegeben hatte, oder ob er diesem wolkigen Traumgebilde immer noch nachhing. Künstler. Hatte er sich nicht selbst so bezeichnet? Nigrina hielt nicht viel von Künstlern, nicht einmal von denen, die wirklich Talent hatten. Unterhaltung hatte es in gewissen Situationen zu geben, und von niederrangigen Menschen war zu erwarten, dass sie dafür sorgten. Die Götter hatten die Talente nicht ohne Sinn und Verstand so verteilt. Wenn Menschen wie sie unterhalten werden wollten, hatten Menschen wie… nun, wie Sklaven oder Peregrini eben dafür zu sorgen, dass sie unterhalten wurde. Und das möglichst gut, denn sonst konnten sie genauso gut den Boden schrubben. Wenn sie von den Göttern mit einem entsprechenden Talent gesegnet waren, dann waren sie einfach dazu da, es zum Wohle höher Gestellter zu nutzen. Also ihr, beispielsweise. Insofern konnte Aulus ja von Glück reden, dass sein Talent eher… mäßig ausgeprägt war, denn sonst würde Nigrina sich fragen, wie viel flavisches Blut tatsächlich in ihm steckte.


    Und dann tauchte er endlich auf – nach einer nicht allzu langen Zeitspanne, aber für Nigrina, die die Ungeduld in Person war, dennoch zu lange. Aber zumindest vorerst verzichtete sie sich eine entsprechende Bemerkung, sondern setzte ein Lächeln auf. „Salve, Bruder.“ Fließend erhob sie sich aus dem Stuhl, nachdem sie den Becher abgestellt hatte, und kam ihm einen Schritt entgegen, um sich dann von ihm in den Arm nehmen zu lassen. Doch, es tat ganz gut, ihn wieder zu sehen, stellte sie fest, Tagträumer hin oder her. Und ihm konnte es ganz gut tun, wenn sie nun hier war und ihm gelegentlich – im übertragenen Sinn – in den Hintern treten konnte. Dass er nur ihr Halbbruder war, zählte für Nigrina wenig. Mit ihrer Mutter verband sie wenig, außer dass sie einen guten Teil ihrer Zickigkeit geerbt hatte – und dass sie, obwohl sie durchaus einige Erinnerungen an sie besaß, sie nicht im Mindesten vermisste oder sich wünschte, sie würde noch leben. Nigrina war schon immer ein Vaterkind gewesen. Ihr Vater bildete – für sie – den Mittelpunkt der Familie. Aulus war ein Sohn ihres Vaters und damit ihr Bruder. Wer seine Mutter gewesen war, spielte überhaupt keine Rolle. „Wundervoll, endlich hier zu sein. Und willkommen geheißen zu werden.“ Den Nachsatz konnte sie sich nun nicht mehr verkneifen. „Oh, angenehm. Langweilig, aber angenehm, insofern als dass es keinerlei Zwischenfälle gegeben hat.“ Nigrina hatte begonnen, die Sklaven zu triezen, weil ihr so langweilig gewesen war. „Wie ist es denn dir ergangen? Ich habe gehört, du machst nun Karriere?“ Nigrina war stolz auf sich. Ihr hatten eigentlich ganz andere Formulierungen auf den Lippen gelegen – ich habe gehört, du machst nun was Anständiges, oder: ich habe gehört, du hast endlich deinen Allerwertesten hochgekriegt, oder ich habe gehört, du hast beschlossen nicht mehr herum zu gammeln… –, aber die, die sie letztlich gewählt hatte, klang überhaupt nicht abfällig, fand sie. Sie mochte zwar etwas euphemistisch formuliert sein, aber sie war nicht abfällig.

  • Piso hatte sich schon einige Szenarien ausgemalt, in der er sich vorgestellt hatte, wie Nigrina auf seinen Anblick reagieren würde. Zornig vielleicht, weil er sich mit ihrem so heiß geliebten Vater überworfen hatte, und keine Schritte unternommen hatte, um den Streit zu glätten. Nun, es waren unverzeihliche Worte gefallen, und Piso wunderte sich schon scher, dass jetzt überhaupt sein Vater ihm einen Brief schrieb. Es musste einer der impulsiven Hüftschüsse gewesen sein, für die Aetius notorisch war und die Piso auch eindeutig von ihm geerbt hatte. Nicht, dass Piso vom Brief sehr erbaut gewesen wäre, aber brüderliche Pflichten wogen dann doch immer wieder recht schwer. Vor allem, weil er ja gar nichts gegen Nigrina selber hatte. Nein, er mochte seine Schwester sogar irgendwie, obwohl sie viele Seiten hatten, die ihm rein überhaupt nicht in den Kram passen wollten. Immerhin wusste sie Schönheit zu schätzen. Und sie war kein jämmerlicher Waschlappen, mochte sich in dieser Hinsicht vielleicht auch vom zimperlichen Piso, der von seiner calpurnischen Mutter die Empfindsamkeit hatte, unterscheiden. Nur war es ihre Zuneigung zu seinem Vater, der Piso nie wirklich nahe gestanden war, die ihm missfiel. Doch wer wäre er, ihr Liebe zu ihrem Vater zu verbieten?
    Sie erwiderte seine Willkommensworte, die durchaus als solche gemeint waren, wiewohl das Wort Willkommen eher implizit gewesen war, und ihm blieb nichts anderes übrig, als sich ein wenig zu verwundern über den leicht sarkastischen Tonfall, den man ihrer Stimme dabei anhören konnte. Nun, seine kleine Schwester war schon immer seltsam gewesen. Wie halt alle Flavier. So ignorierte Piso erst einmal den Tonfall, er konnte eh nur verlieren, wenn er es ansprach.
    “Nun, das ist schön zu hören!“, meinte er, als Nigrina ihm von ihrer langweiligen, aber sicheren Reise erzählte, wiewohl sie gleich weiter sprach. Ein Lächeln bildete sich auf seinem Gesicht. Dieser Punkt war wie Balsam auf seiner Seele. “Das stimmt, ich hänge jetzt nicht einfach nur mehr herum!“, sprach er aus, was sie sich schon gedacht hatte. “Vor die steht ein Septemvir und ein Tresvir Capitalis. Nicht zu vergessen, ein Mitglied der Arvalbruderschaft!“, meinte er stolz, und bei jeder Aufzählung von einem weiteren Titel wurde sein Grinsen breiter. “Wahre Ästhetik, Schwester, besteht doch nur dann, wenn man das Beste tut und hoch zielt!“ Befriedigt blickte er seine Schwester, die niemals politische Ämter erreichen werden würde, an. “Du wirst sehen, schon bald bin ich Senator Roms. Das hätte man sich wohl nie denken lassen, als ich noch damals in Ravenna herumgelümmelt bin, doer in der Welt herumgezogen bin.“ Er lachte kurz, bevor ebendieses Lachen verebbte.
    “Wenn du dich fragst, wieso Vera nicht hier ist... nun ja... es geht ihr sehr schlecht.“ Er ließ seinen Kopf leicht hängen. Nigrina würde sicher wissen, wieviel ihm an Vera lag, war sie doch der Mensch auf der Erde, den Piso am meisten und am tiefsten liebte. Schließlich war sie seine einzige volle Schwester, und ihm in vielem ähnlich. Zum Beispiel im Kunstgeschmack.
    Er erhob seine rechte Hand und tätschelte Nigrina linkisch an die Schulter. “Gut, dass du da bist, Nigrina, gut...“ Er dachte kurz nach, was nun? “Wie geht es eigentlich den unseren in Ravenna?“


    Sim-Off:

    EDIT: Die liebe Kosmetik ;)

  • Was den Streit betraf, den ihr Bruder mit ihrem Vater angezettelt hatte: Nigrina hatte ihn nicht persönlich erlebt, sie war zu dieser Zeit nicht einmal auf dem Landgut gewesen. Sie wusste nur, was Aetius ihr erzählt hatte, und der hatte ihr dieses kleine Intermezzo mit seinem Sohn ein wenig anders dargestellt, als Piso es wohl würde. Dies war mit einer der Gründe, warum Nigrina gerade auch gut zu sprechen war auf ihren Bruder, hatte ihr Vater den Streit doch in einer Art dargestellt, wie er auch im Brief an Piso darüber geschrieben hatte – endlich, endlich, besann sich der Junge seiner Wurzeln, seiner eigentlichen, flavischen Wurzeln, stand seinen Mann und machte etwas aus seinem Leben! Dass er sich dabei gegen seinen Vater auflehnte, war nur natürlich, so waren Männer, in welcher Familie geschah das nicht, oder besser: welcher wahrhaft große Mann hatte das nicht irgendwann getan? Dass Aulus damit einige Jahre später dran war als viele andere, störte das Bild nur minimal.


    Zu der Wartezeit, die Nigrina über sich hatte ergehen lassen, sagte ihr Bruder nichts, nicht einmal eine Entschuldigung, was eine ihrer Augenbrauen sich nach oben wölben lassen ließ. Aber sie sagte nichts. Sie hatte ja auch eigentlich nichts sagen wollen, ursprünglich. Aber sie wartete einfach nicht gern! Nur, sie war gerade erst angekommen. In Ravenna kannte sie alles und jeden, hier kannte sie außer Aulus und Vera niemanden, nicht wirklich – hatte vielleicht den ein oder anderen in früher Kindheit mal getroffen, auf irgendwelchen Familienfeiern oder ähnliches, aber nie so, dass man wirklich von kennen sprechen konnte. Es war ganz gut, es sich nicht gleich am Anfang zu verderben, schon gar nicht wegen einer Kleinigkeit, die ihr vermutlich gar nicht aufgefallen wäre, wenn sie nicht die Reise hinter sich gehabt hätte – und die nicht so furchtbar langweilig gewesen wäre. Nigrina hatte ja nicht nur einige Augenblicke im Atrium gewartet, sie wartete – gefühlt, jedenfalls – seit Tagen, nämlich darauf, endlich anzukommen. Mit ihrer Frage nach seiner Karriere allerdings hatte sie offenbar genau das richtige Thema getroffen. Ein Schmunzeln konnte sie nicht unterdrücken, als Aulus aussprach, was sie sich gerade verkniffen hatte, und ihr wurde bewusst, dass sie ihn wohl erst mal wieder besser kennen lernen musste. Sie hätte nicht unbedingt erwartet, dass er das ebenso sah. „Septemvir und Tresvir Capitalis“, wiederholte sie, mit gebührender Bewunderung in der Stimme, aber leichtem Schalk in ihren Augenwinkeln. „Meinen Respekt.“ Senator Roms. Das klang mehr als gut, das musste sie zugeben, und so wie er sich gerade gab, glaubte sie den dafür nötigen Ehrgeiz in jedem Fall zu erkennen. „Nein, ich muss zugeben, bis vor kurzem hätte ich nicht gedacht, dass es dich eines Tages auf diesen Weg verschlägt. Aber Ästhetik lässt sich doch in allem finden, das man mit dem Streben nach Perfektion angeht.“ Ästhetik war das A und O für Aulus, das wusste sie. Und sie selbst… nun, sie schätzte Ästhetik ebenfalls. Und was sie gerade gesagt hatte, war ebenfalls wahr. Die Perfektion beispielsweise, die ihr Vater im Spiel mit den Frauen entwickelt hatte, hatte ihre ganz eigene Ästhetik, fand sie.


    Und dann sprach Aulus von Vera, und Nigrina merkte auf. Natürlich hatte sie sich gefragt, wo diese blieb, allerdings hatte es ihr schon genügt, nicht mehr länger warten zu müssen, und Aulus war ja derjenige, in dessen Obhut ihr Vater sie gegeben hatte. „Oh, sie… das tut mir leid.“ Sie wusste, wie nah die beiden sich standen, auch wenn sie es nie ganz begriffen hatte. Der Mensch, der ihr am nächsten stand, war sie selbst. Davon abgesehen hatte sie Vera immer für… nun ja… empfindlich gehalten. Weinerlich. Gut, sie war kränklich, aber Nigrina konnte sich des Gedankens nicht erwehren, dass da ein Gutteil Aufmerksamkeitshascherei dahinter steckte. Und warum hatte sie quer durch die Weltgeschichte reisen müssen, wenn sie doch ohnehin eher schwächlich war? Aber sie war ihre Schwester, immerhin. „Ist es das alte Leiden? Und ist sie hier, in der Villa?“ Sie musterte Aulus kurz und legte dann ihre Hand auf die seine, als er ihre Schulter berührte, dann deutete sie ein Achselzucken an. „So weit geht es allen gut, es hat sich nicht allzu viel getan, schon gar nicht auf unserem Anwesen.“ Natürlich wechselten die Begleiterinnen ihres Vaters, aber das war ja nun wirklich nichts neues. Eine Nachricht wäre gewesen, hätte sie Aulus erzählen können, dass mal wieder eine da war, die es länger schaffte an seiner Seite zu bleiben. Die letzte, die mehr als ein Jahr da gewesen war, war schon eine Weile her. „Einer der Gründe, warum ich auch froh bin, hier zu sein. Ravenna ist auf die Dauer zu… eintönig. Es passiert einfach nichts. Ich kann dir nur ein wenig Klatsch erzählen. Erinnerst du dich noch an Potitus Publicius Staius? Er hat seinen Posten in der Stadtverwaltung aufgegeben, seitdem verbringen er und Vater fast noch mehr Zeit miteinander bei abendlichen Treffen. Staius’ Frau ist nicht allzu begeistert darüber… Nicht, dass er sich mit Vater trifft, aber dass er nun nirgendwo mehr tätig ist.“ Nigrina nippte an ihrem Wasser und fuhr nach der Pause fort. „Von diesen Geschichten könnte ich dir noch einige erzählen. Aber ich weiß nicht, ob der Tratsch einer Kleinstadt wirklich so interessant ist… für einen Septemvir Roms.“

  • Eigentlich könnte sich Piso denken, dass sein Vater den Streit nicht allzu publik gemacht hatte. Schließlich wäre dann auch herausgekommen, worum es in diesem Streit gegangen war. Mittlerweile tat es Piso fast schon wieder ein wenig Leid, dass er sich von seinem Vater losgesagt zu haben schien. Aber... seine Mutter umbringen... es war ein fürchterliches Dilemma gewesen, und in diesem hatte sich Piso, der sich von seinen Vater schon immer ungeliebt gefühlt hatte, dafür entschieden, die Partei seiner Mutter zu ergreifen, die in seinen Träumen sowieso schon göttliche Züge angenommen hatte – Calpurnia Fausta, die Heilige. Sicher hatte sie Vera nicht unähnlich geschaut, immerhin sagte man ja allgemein, dass sie eine sehr schöne Frau gewesen war – was ja auch unbestritten Vera war.
    Er hörte an, dass durchaus etwas Respekt durchklang in der Art und Weise, wie sie seine Titel echote. Aus ihrem Mund klang es fast noch hübscher, denn Piso hätte sich nie gedacht, dass Vera in Verbindung mit Piso jemals etwas sagen würde, was auch nur im Entferntesten mit einem solchen Respekt in Verbindung stand. Dabei konnte sich Piso fast denken, dass Nigrina dies gefiel. Jedenfalls schien sie recht glücklich, mit einem Lächeln auf ihrem Mund. Ebenso, wie es ihrem Vater gefiel. Wenn man sagen konnte, der Bruder war Politiker und Priester, klang das um einiges besser, als Rumgammler und Nichtsnutz. Vor allem das Priestertum hätte man Piso wohl eher nie zugetraut. Schließlich hatte er sich nie groß um die Götter gekümmert – bis er dann, fast auf einem Schlag, damals, als er den Arvalbrüdern beitreten wollte, seine Spiritualität entdeckt hatte.
    Er war es nun, der ein leichtes Schulterzucken machte und dabei schmal lächelte. “Ich wäre der letzte gewesen! Aber, ich sage dir... hier in Rom ist das ziemlich brutal für einen Mann. Entweder man macht Karriere, oder man wird als asozialer Absteiger zum Stadtgespött. Dies wäre untragbar für mich gewesen.“ Genauso untragbar, wie in Ravenna zu bleiben, oder seine Talente irgendwo sont in der provinz vermodern zu lassen. Wenn er daran zurückdachte, was er früher für ein riesiger Hallodri gewesen war... nun, er war es noch immer. Aber er konnte sich, wenn es darauf ankam, nun unter Kontrolle halten. Kurz erinnerte er sich zurück an das erste Mal, dass er Gracchus unter die Augen getreten war. Gracchus musste ja gedacht haben, dass er ein kompletter Idiot war, mit seinen schrägen Ansagen. Mittlerweile aber malte er sich schon gute Chancen aus, die Wertschätzung seines Vetters zu genießen. Schließlich hatte er ihm dabei geholfen, das zu werden, was er nun war.
    Als sie ihm ihr Beileid versicherte über den miserablen Zustand von Vera, und ihm sogar die Hand auf die Schulter legte, lächelte er sie kurz dankbar an. “Das alte Leiden...?“ Sein Gesicht drückte wieder inneren Schmerz aus. “Nein, Nigrina, nein... es ist viel schlimmer. Sie liegt in einem Koma, einem Zustand der Bewusstlosigkeit, was weiß ich! Ich bin doch kein Arzt!“ Kurz schien es, als wolle er aufbrausen, dann sank er wieder in sich zusammen. “Ich mache mir echte Sorgen... aber, ach was, es wird schon wieder in Ordnung kommen.“ Er rang sich zu einem Lächeln durch undseufzte leise. Er war, musste er sagen, bisher angenehm überrascht von ihr. Sie schien aus dem ärgsten Zickenalter heraus sein. Oder bildete er es sich nur so ein?
    “Auf jeden Fall, sie ist hier, in ihrem Zimmer. Hoffentlich musste er jetzt nicht noch ewig herumerzählen über ihr Leiden, und war relativ froh, dass das Thema jetzt nciht mehr angeschnitten wurde.
    Nigrina erzählte ihm, was es so Neues gab, und er nickte dann und wann. Nichts wirklich interessantes. Ravenna war noch immer ein Kaff. Was war das, Staius? “Ja, an den erinnere ich mich noch. Das Walross.“ Er formte mit seiner Linken einen überdimensionalen Bauch. Der hat es also geschmissen? Kein Wunder. Ravenaaer Politik war halt einfach uninspirierend.
    Als sie dann den Septemvir ganz nebenher erwähnte, grinste Piso, der für Schmeicheleien schon immer anfällig gewesen war und es auch sein würde. “Jaja, schaut nicht so interessant aus... aber sag einmal, ich habe gehört, Erutia Furnilla hat geheiratet.“ Er grinste. Furnilla war wohl so eine Art Kindheitsschwarm von ihm gewesen, auch wenn er es nur ungerne zugegeben hatte. Mittlerweile war sie ja schon erwachsen, und ihr Ehemann konnte sich sicherlich glücklich schätzen, eine solche Schönheit zu heiraten. “Und, ach ja, wie geht es Sophonisba?“ Das Wohlbefinden der alten Sklavin, die sein Kindermädchen gewesen war, interessierte ihn dann doch.

  • Nigrina lachte leise. Ja, ihr Bruder Aulus war eben doch auch ein Flavier. Als asozialer Absteiger zum Stadtgespött zu werden, das wäre für keinen Flavier – keinen echten Flavier! – je eine Alternative gewesen. Alles andere, aber das nicht. „Nun ja, Rom mag brutal sein in dieser Hinsicht, aber, wenn ich das so sagen darf: der Druck tut dir ja offenbar ganz gut, Bruder.“ Oh ja, Piso schien tatsächlich einer von der Sorte zu sein, die den Druck brauchten. Nigrina wusste, dass er von ihrem Vater nicht dasselbe hielt wie sie, aber gerade jetzt wieder hatte sie doch den besten Beweis, dass er eigentlich froh sein konnte, einen Vater wie Aetius zu haben. Wer wusste schon, was aus Piso geworden wäre, hätte er einen Vater gehabt der ihn einfach hätte machen lassen? So hatte er sich austoben können, hatte sogar das Gefühl bekommen, sich gegen seinen Vater aufgelehnt zu haben, und war letztlich doch auf dem Weg gelandet, den Aetius gewollt hatte für seinen Sohn. So präsentierte sich die Sachlage jedenfalls Nigrina, was sie wohlweislich nicht laut aussprach, und besser, fand sie, konnte man seine Kinder doch kaum erziehen.


    Dann wurde sie allerdings tatsächlich ernst. Dass es um Vera so schlecht stand, hatte sie nicht gewusst. „Das… tut mir leid. Das wusste ich nicht.“ Fast ein wenig betroffen musterte sie ihren Bruder, der wirklich zu leiden schien unter dem Wissen, dass es Vera so schlecht ging, während sich zugleich unwillkürlich der Gedanke in ihren Kopf schlich, wie unnütz zu starke Bindungen doch waren. Man sah es ja an ihm. Er mochte seine Schwester zu sehr, sie war ihm zu wichtig, und deshalb ging es ihm jetzt schlecht. Oder war Piso, ganz Künstlerseele, allgemein zu empfindlich? Die hatten es doch immer mit der Empfindsamkeit, Nigrina könnte sich jedes Mal aufregen, wenn sie irgendeinem Künstler gleich welcher Art über den Weg lief, der den ganzen Weltschmerz auf sich zu spüren meinte. „Ich werde nach ihr sehen, so bald ich mich hier eingerichtet habe“, versprach sie, nicht aus übermäßiger Geschwisterliebe heraus, aber sie mochte sie ja beide. Und es gehörte sich einfach. Und Vera möglichst bald zu besuchen, hieß ja nicht, dass sie von jetzt an jeden Tag an ihrem Bett sitzen und ihr die Hand halten musste, was ohnehin völlig unsinnig wäre, wenn sie tatsächlich in einem Koma lag.


    Neuigkeiten aus Ravenna zu berichten, funktionierte als Ablenkung jedoch ganz gut, und Nigrina hatte beinahe den Eindruck, dass Piso froh darüber war – vielleicht aus anderen Gründen, aber ebenso froh wie sie. Ein Grinsen hob ihre Mundwinkel. „Genau. Das Walross“, bestätigte sie, und ihr Grinsen wurde noch ein wenig breiter, als sie sah, wie ihr Bruder auf die beiläufige Erwähnung des Septemvirs reagierte. Männer waren manchmal doch herrlich einfach. „Ja, das stimmt, die hat tatsächlich geheiratet. Aber wenn du mich fragst, völlig unter Niveau. Nicht dass die Erutia eine grandiose Familie wären, aber so wie sie aussieht, hätte sie doch jemand deutlich Besseren abkriegen können. Und der erste Rotzlöffel ist auch schon unterwegs…“ Nigrina unterdrückte ein Schaudern. Das war etwas, was auf sie auch noch zukommen würde, und es gab nichts, was sie dagegen tun konnte. Bälger in die Welt zu setzen, das war eine der Aufgaben von Frauen in der Ehe, und so sehr sie den Gedanken an die Unannehmlichkeiten, die Schwangerschaft und Geburt so mit sich brachten, auch hasste – man denke nur daran, wie unförmig der Körper dann aussehen würde! –, gab es doch keinen Weg, der darum herumführen würde. Es brachte noch nicht einmal etwas, sich zu wünschen, sie könnte keine Kinder empfangen, denn dann würde sie keinen Ehemann abkriegen, keinen jedenfalls, den sie als Flavia verdient hatte und der ihr das sichern konnte, was sie an Status und Reichtum beanspruchte. „Wer?“ rutschte ihr dann heraus, bevor sie sich dann doch erinnerte. Die Sklavin. Das Kindermädchen. Nigrina hatte ja nie viel von Kindermädchen gehalten, und sie hatte einen recht hohen Verschleiß gehabt, im Gegensatz zu Piso. „Ah, die. Hm.“ Verflixt, warum musste er ausgerechnet nach einer Sklavin fragen? Nigrina wühlte in ihren Erinnerungen herum, aber Sklaven waren einfach… nicht wichtig genug, um sich zu merken, was los war mit ihnen. Wenn denn überhaupt etwas los war, Sklaven waren Sklaven, deren Gefühlsleben passte doch auf eine Messerspitze. Schließlich zuckte sie nur mit den Achseln. Es war immerhin kein Geheimnis, was sie von Sklaven hielt. „Offen gestanden, ich weiß es nicht. Frag meine Leibsklavin, wenn es dir wichtig ist, sie kann dir sicher mehr sagen.“ Und wenn Piso das tun würde, würde Nigrinas Leibsklavin ihm mit Sicherheit erzählen können, dass Sophonisba es bis heute nicht verarbeitet hatte, dass Piso ihr gesagt hatte, sie nie wiedersehen zu wollen. Aber davon hatte Nigrina nicht den geringsten Schimmer.

  • Piso legte seinen Kopf leicht, marginal, schief. “Denkst du, er tut das?“ Aber wenn er ganz ehrlich sein musste mit sich selber – gut möglich. Rom hatte ihn geformt. Ohne Rom wäre er nicht das, was er war. Ravenna als Stadt lud zum Faulenzen ein, Rom hingegen haftete der Duft der großen weiten Welt an. Rom war etwas Spezielles. “Womöglich.“ Er wollte das Thema nicht weiter elaborieren, wiewohl es ihm einen durchaus bemerkenswerten Denkanstoß gegeben hatte, den er ja noch ausfeilen konnte. Nur soweit, wer in Rom nicht graduell die Erfolgsleiter nach oben fiel, der konnte nicht recht ticken. Denn der Verschleiß an guten Leuten in Rom war hoch, und so wurden ständig immer wieder hohe Plätze oben frei. Gerade hatte ja wieder der Procurator ab epistulis seinen Platz geräumt. Ob Archi ihm nachrücken würde, fragte sich Piso in Gedanken.
    Er war Nigrina dankbar, dass sie ihn ob seines Schmerzes nicht veräppelte. Er lächelte vage. “Ja.. Sie wird sich sicher sehr freuen... wenn sie es denn... bemerkt...“ Piso zwinkerte hektisch mit den Augen, er wollte nicht, dass Nigrina sah, dass seine Augen leicht feucht geworden sind. Er hatte ja noch, als er Nachricht bekommen hatte, dass Nigrina ankommen würde, große Bedenken gehabt. Er kannte sie halt nur als kleine Zicke. Doch Nigrina war zu einer echten Dame geworden, und je mehr er sich nun mit ihr unterhielt, desto mehr Ähnlichkeiten entdeckte er zwischen ihnen. Blut war eben doch dicker als Wasser. Was nicht heißen musste, dass die geschwisterliche Eintracht, die die beiden jetzt darstellten, nicht von einem heftigen Streit von einer Sekunde auf die Nächste wieder dahingemacht werden konnte. Doch momentan war alles gut, und Piso würde tunlichst vermeiden, den friedlichen Intervall durch eine unbedachte Aktion zu zerstören.
    Es tat sehr gut, dass nun über etwas anderes als Vera gesprochen wurde. Pisos Vermutung wurde bestätigt, und auch er musste leicht grinsen. Das Walross, nicht nur wegen seines Bauchumfanges, sondern auch wegen seines enormen Schnurrbartes, der jedem, der es sah, immer wieder ein Schmunzeln auf die Lippen zauberte – es sei dahingestellt, ob jenes erfreut, amüsiert oder auslachend war. Aber sein Ruhestand war wohl verdient.
    Nigrina erzählte auch von Furnilla, und Piso hörte dabei zu. Er nickte dann und wann. Unter ihrem Niveau geheiratet, das war traurig. Nun, dem alten Erutius war das zu zuzutreuen gewesen, dass er seine Tochter um ein Apfel und ein Ei verscherbelte. Und schwanger war sie auch, wie es ihm seine Schwester mit angebrachter Höflichkeit ausdrückte. Oh weh. Piso hatte schon oft von schwangeren Frauen gehört, die am Ende ihrer Schwangerschaft komplett unförmig zurückblieben. Er würde Furnilla mal besuchen, sollte er wieder mal nach Ravenna kommen. Ob sie ihn noch empfing? Sie war ja nie besonders angetan gewesen, wie Piso und Archi ihr immer Steine an die Wand gehauen hatten – ach ja, Archi!
    “Du erinnerst duch sicher ncoh an Archias!“ Klar, Nigrina hatte ja im zerstörerischen Alter von 2 Jahren nie etwas besseres im Sinn gehabt, als Pisos und Archias‘ mühevoll aufgebauten Sandburgen zu zerstören. “Er lebt wieder in Rom. Ist jetzt Ritter geworden, und arbeitet in der Kanzlei, so wie ich es früher gemacht habe. Aber ich sage dir, ich bin doch froh, aus dem Block heraus zu sein. Mit der Zeit kriegt man dort seltsame Gehirndrehungen...“ Er machte eine verschwurbelte Geste, um ihr das Konzept zu verdeutlichen.
    Er ließ leicht die Schultern sacken, als er hörte, dass Nigrina nichts über Sophonisba wusste. “Nun ja, auch egal...“, winkte er dann ab. Sophonisba hatte ihm sein ganzes Leben lang die wahren Umstände um den Tod seiner Mutter verschwiegen. Er hatte ein Recht darauf gehabt, es zu wissen. Natürlich wäre Sophonisba bestraft worden – aber er hätte das verfluchte Recht gehabt, es herauszufinden!
    Er schob den Gedanken daran mit geradezu bewundernswerter Vehemenz weg und konzentrierte sich wieder auf Nigrina. [color=green]“Hmm. Nun ja. Wo hast du denn eigentlich deinen ganzen Reisekrempel hingebracht? Richtet man dir schon ein Cubiculum ein?“[color] Vielleicht würde es ja das sein zwischen dem seinen und dem von Furianus. Sodass eine gewisse weibliche Abgrenzung da wäre. Denn vor Furianus hatte er trotz allem noch immer ein wenig Angst – und dies war auch der einzige Mensch der Welt, vor dem er so etwas überhaupt verspürte.

  • Sim-Off:

    Entschuldige die Wartezeit!


    In einer Geste, die beinahe spiegelbildlich war zu der ihres Bruders, neigte auch Nigrina ihren Kopf leicht zur Seite. Oh ja, sie dachte definitiv, dass Piso der Druck gut bekam. Zumindest nach dem, was sich ihr gerade so präsentierte. Bei den Göttern, er hatte doch selbst aufgezählt, was er nun war, und wo er hin wollte – das hätte sie ihm früher nicht zugetraut. Und sie hatte sich auch entsprechend lustig gemacht darüber, auf geschwisterlich-schroffe Art eben, die ihr nun mal zueigen war, selbst bei den Menschen, die ihr doch näher standen. Es gab nun mal nicht viel, was Nigrina Respekt abringen konnte, und das galt für jeden in ihrem Umfeld. Piso erschien ihr immer noch… zu weich. Ein wenig. Irgendwie. Aber er ging nun seinen Weg, in Rom, er machte Karriere, also schien es für ihn doch zu funktionieren. Aber sie nickte nur und antwortete darauf nichts mehr, genauso wenig wie sie noch etwas zu Vera oder ihrem Zustand sagte. Nicht etwa, weil doch deutlich wurde, dass Piso das Thema belastete, sondern weil sie selbst nicht gern darüber sprach. Vera war ihre Schwester, sie würde sie besuchen und sich ihren Zustand selbst ansehen, aber wenn es tatsächlich so schlimm war wie ihr Bruder sagte, dann war es doch besser, das ganze Thema einfach… nun ja… beiseite zu schieben. Abzuhaken. Warum großartig darüber reden? Es half ja doch nichts. Und als sie dann noch gewisse trügerische Anzeichen bei Piso zu erkennen meinte, war dieses Gesprächsthema für sie erst recht gestorben. Er war ein Kerl, bei allen Göttern! Er würde doch nun wirklich nicht anfangen zu flennen, weil seine Schwester – die ja nun mal seit Jahren schon kränklich war – in irgendeinen Zustand verfallen war, in dem sie nur noch im Bett lag! Natürlich machte sich Nigrina, trotz der deutlichen Worte, keine Vorstellung davon, wie schlimm Veras Zustand tatsächlich war. Aber selbst dann hätte sich an ihrer Einstellung nicht allzu viel geändert. Sie hatte keine große Lust darauf, nun ihren Bruder trösten zu müssen, also nahm sie den Themenwechsel nur allzu gern an.


    „Aah…“ Nigrina musste einen Augenblick lang überlegen, bevor sie mit dem Namen den chaotischen Freund ihres Bruders in Verbindung brachte. „Archias!“ Sie lachte leicht. Was für ein Chaotenteam die zwei gewesen waren… Piso hatte doch nicht etwa immer noch Kontakt mit dem? Wobei es ja doch Spaß gemacht hatte, die zwei zu ärgern. „Natürlich erinnere ich mich noch an ihn. Wie hat er das denn geschafft, Ritter zu werden?“ Sie nippte leicht an ihrem Becher. „Weißt du, so ehrbar die Arbeit in der kaiserlichen Kanzlei für einen Plebejer auch sein mag, für einen Flavier kann das doch einfach nicht das Wahre sein. Du bist für Höheres bestimmt, Aulus.“ Bei diesen Worten klang aus Nigrinas Tonfall eine Selbstverständlichkeit, die keinen Widerspruch duldete. Was auch immer geschehen würde: ihr Glaube daran, dass Patrizier – insbesondere natürlich die Flavier – etwas Besonderes waren, war unverrückbar.


    Die Frage nach der Sklavin war für Nigrina damit abgehakt, und sie verschwendete auch keinen weiteren Gedanken daran. Und auch die nächste Frage tat sie mit einem leichten Schulterzucken ab. „Die Sklaven kümmern sich um alles.“ Davon jedenfalls ging sie fest aus, und ihre Sklaven taten auch besser daran, tatsächlich alles zu ihrer Zufriedenheit vorzubereiten. „Ich gehe davon aus, dass bereits alles fertig ist, immerhin hatten sie Zeit genug dafür… Wie sieht es bei dir aus, hast du heute noch viel zu tun? Ich halte dich doch hoffentlich nicht von etwas Wichtigem ab.“

  • Sim-Off:

    So. Jetzt sind wir, was Wartezeiten angeht, quitt. 8)


    Sie sagte nichts mehr, blickte ihn nur an, schien mit ihren Gedanken abzuschweifen in Gefilde, die zu sehen nur den Besitzern der jeweiligen Fantasiewelten, derer es so viele gab wie Köpfe, vorbestimmt war. Oder so ähnlich, dachte sich Piso. Er bemerkte am Rande, wie sie mit ihrem Kopf eine Bewegung ausführte, ähnlich wie die, die er gerade gemacht hatte, was ihm doch noch ein leichtes Lächeln entlockte. Doch amsonsten sagte sie nichts mehr zu dem ganzen, und Piso fand das auch eigentlich gut. Er war zwar ein Quatschkopf, aber sich Probleme, Emotionen von der Seele reden, damit tat er sich doch manchmal ein wenig schwer. Und wenn er dies tat, dann nur in einer Art und Weise, die andere kaum verstehen könnten. Hie und da konnte man Probleme nicht herumerzählen, man musste sich dann einfach im Zimmer verschanzen und sich in irgendetwas stürzen – Arbeit, das Spiel an der Lyra, die Poesie, den Dienst an den Göttern. So konnte man am Besten verdrängen – und Piso war ein guter Verdränger. Nur, wenn es um Vera ging, war es des Öfteren so, dass er, in ganz unerwarteten Momentan, in Lethargie verfiel. Er erahnte schon in der Ferne den Schatten des Todes, welcher Vera dräute, und die Ungewissheit war vor allem schlimm. Nicht daran denken, befahl er sich selbst. Verdrängen. Einfach nur dies tun.
    Er betrachtete Nigrina dabei, wie sie nachdachte, als er ihr gegenüber den Namen von Archias erwähnte. Klingelte bei ihr tatsächlich nichts? Er wollte schon ein paar Hilfestellungen geben, allerdings kam sie doch noch drauf. Er grinste. Doch noch wieder. “Na also, geht doch! Na ja, ich weiß auch nicht. Ich glaube, vor allem durch seinen Onkel Aelius Quarto. Jetzt weiß ich nicht, ob dir der Name etwas sagt. Auf jeden Fall ist er Senator, Consular, und sehr einflussreich. Er ist der Bruder des Kaisers, musst du wissen.“ Auf jeden Fall hatte er einen lustigen Bart, das schon mal vorweg, dachte er sich. “Und Archi hat auch echt etwas aus sich gemacht! Er war Postpräfekt in Aegyptus, und hat es sich, wenn ich das mal so behaupten darf, wirklich verdient.“ Er nickte suggestiv. Sein Nicken wurde etwas langsamer, als Nigrina ihm ihre Meinung zu ritterlichen Posten sagte. “Nun. Ich habe mich damals um einen ritterlichen Posten bemüht. Ja, wirklich. Das ist aber in die Hose gegangen. Dieser Vescularius, der Stadtpräfekt, will keine Patrizier als Ritter in der Kanzlei. Es gibt dazu schon ein Edikt.“ Er schüttelte den Kopf. “Eine Schande. Wir werden an allen Ecken und Enden diskriminiert. Das einzige, was uns noch bleibt, ist die Steuerfreiheit. Wer uns die nimmt, bricht uns entgültig das Genick, dann können wir unseren Reichtum einpacken.“ Er schüttelte bedauernd den Kopf. Er brachte dann aber doch noch ein geschmeicheltes Lächeln hervor. “Bin ich das?“ Natürlich war er das, für Höheres bestimmt, aber er wollte sich dies gerne von Nigrina bestätigt wissen.
    “Ah, sehr gut.“ Er nickte. Phrima würde sich sicherlich darum kümmern, dass Nigrina ein angemessenes Zimmer bekam. Ihre Frage erwischte ihn dann aber schon noch ein wenig. “Ich? Öh, ich äh... nein, habe ich nicht“, gab er zu. “Du würdest gerne was machen mit mir?“, riet er jetzt einfach einmal, und kratzte sich ein oder zwei Male am Kinn.
    “Nun, sicher. Machen wir etwas gemeinsam. Wohin möchtest du? Ich kenne ein paar sehr gute Tavernen und Gaststätten. Oder willst du auf die Tiberinsel? Ist jetzt sehr schön, so im Frühling. Oder zum Kapitol, Tempel anschauen gehen? Oder auf den Markt? Steht dir alles offen!“ War doch schön, in einer Stadt zu geben, wo man so viel machen konnte. Wenn er sich nur an Ravenna zurückerinnerte... pah. Müdes Kaff.

  • Nigrinas Augenbraue wölbte sich leicht nach oben. Aelius Quarto wiederum war ein Name, der ihr sofort etwas sagte – allerdings hatte sie nicht wirklich in Erinnerung, dass Archias tatsächlich näher mit ihm verwandt war. „Der ist sein Onkel? Aber kein direkter, oder?“ Wäre er das, wäre der Kaiser ja auch Archias’ Onkel. Am Ende musste sie sich mit dem Chaoten noch gut stellen, wenn er so nah mit dem Kaiser verwandt war… Andererseits… Am Ende war er kein gar solcher Chaot mehr wie früher. Ihr Bruder hatte sich ja auch weiter entwickelt. Postpräfekt war er also gewesen… Nun ja. „Wenn er es verdient, wird er sicherlich noch weiter aufsteigen. Ist er immer noch so ein Chaot?“ Sie konnte ein Lachen nicht unterdrücken. Was hatten die zwei nur immer angestellt früher, und sie… nun, sie hatte ihnen das Leben nicht wirklich leicht gemacht, das gab sie auch gern zu. Aber was hätte sie auch tun sollen? Sich ärgern zu lassen von ihrem großen Bruder und seinem Freund, ohne zurückzuschlagen in irgendeiner Form? Das war vielleicht Veras Art gewesen, aber so zurückhaltend war Nigrina nie gewesen. Im Grunde war sie es bis heute nicht. „Vescularius.“ Nigrina runzelte leicht die Stirn. „Ist das nicht dieser… dieser plebejische Empörkömmling? Was fällt dem eigentlich ein? Er sollte froh sein, dass er überhaupt einen derartigen Posten innehat, anstatt Patrizier zu diskriminieren.“ Die ihm allein von Geburt überlegen waren. Gleich darauf machte sie eine wegwerfende Bewegung. „Gleichgültig. Du solltest froh sein. Ein Patrizier hat nichts in der Kanzlei verloren, und so ehrbar es für manche sein mag, Ritter zu sein – ich bitte dich, du hattest doch nicht etwa vor, das tatsächlich zu mehr zu nutzen als lediglich als Sprungbrett. Und deine jetzigen Positionen sind dir da doch sicher hilfreicher.“ Dann zeigte sich das typische, feine Lächeln auf ihren Zügen. Piso war wie alle Männer – Schmeicheleien zeigten doch stets ihre Wirkung. Auch wenn Nigrina das diesmal ernst gemeint hatte. „Natürlich bist du das“, bekräftigte sie. Immerhin war er flavischen Blutes, das allein bestimmte ihn schon zu Höherem. Und darüber hinaus wusste sie auch, dass er zu einigem fähig war. Er brauchte nur den richtigen Antrieb, und Rom bot ihm offenbar diesen Antrieb.


    Dann lächelte Nigrina – und als Piso weitersprach, begann sie zu strahlen. Dass sie gerade erst angekommen war, spielte überhaupt keine Rolle. Sie würde sich kurz frisch machen, aber ausruhen musste sie sich ganz sicher nicht. „Ja, das würde ich sehr gerne. Ich weiß nicht, was schlägst du vor? Was kannst du empfehlen für meinen ersten Tag hier?“

  • Genauso wie Nigrinas Augenbraue nach oben wanderte, so taten dies Pisos Mundwinkel. Der Flavier wiegte den Kopf hin und her bei ihrer Frage. “Zweiten Grades“, gab er lapidar Auskunft. Es war wohl wirklich so, dass Archias mit einem der mächtigsten Männern Roms, der scheinbar der Patron jedes zweiten Bürgers dieser Stadt war, stark verbandelt war. Und sicherlich war ihn zu kennen eine gute Art und Weise, an Quarto heranzukommen. Piso war so an ihn herangekommen. Nur leider hatte sich aus ihrem Gespräch nicht allzu viel ergeben. Leider. Piso hätte gerne Quarto als politischen Verbündeten an seiner Seite. Der Aelier hatte immerhin für ihn gestimmt, damals, als er sich zu den Vigintiviratswahlen gestellt hatte.
    Er nickte weiterhin, als Nigrina sagte, man sollte ihn im Auge behalten – und grinste dann plötzlich, wie aus heiterem Himmel, als sie ihm die Frage stellte. “Ich glaube, das kann man kurz und bündig beantworten. Ja.“ Er nahm sich kurz etwas zu trinken und fuhr dann fort. “Aber in einer guten Art und Weise, nicht, dass du mich jetzt falsch verstehst.“ Was sie darunter aber zu verstehen hatte, ließ er im Unklaren.
    Er verzog leicht seine Lippen, als Nigrina den Namen des Vesculariers erwähnte. Diese Sau, das dicke Schwein. “Es ist deplorabel“, zitierte Piso Gracchus. “Meinst du?“, fragte er dann aber schon, als sie abwinkte. “Nun, ich hatte wirklich nur vor, es zu bekleiden, bis die Wahlen kommen... aber es ist schon gut, dass ich es nicht getan habe, du hast recht. Man hat mir selber auch dringend davon abgeraten.“ Schon alleine die Tätigkeit als Primicerius hatte man kritisiert. Wenn er vorher anderes getan hätte, hätte man ihn vielleicht mit einem noch höheren Prozentsatz gewählt.
    Sie hatte ein hübsches Lächeln, fand Piso. Sie hatte es gewissermaßen perfektioniert. Der Flavier musste jetzt aufpassen, dass er seine Schwester nicht unter Wert verscherbelte. Er grinste, als sie bestätigte, er wäre wirklich für Höheres bestimmt. Irgendwie baute ihn das auf. Er fand es super, dass sie das dachte. Auch wenn sie seine Schwester war und somit das ganze mit einer ganz eigenen Perspektive sah.
    Als sie ihn nach einem Vorschlag fragte, musste er nicht lange fackeln. “Der Markt! Es ist das Schönste und Tollste, was es in Rom gibt! So etwas siehst du in der ganzen Welt nicht noch einmal! Wollen wir jetzt gleich gehen?“ Ohne recht die Antwort von Nigrina abzuwarten, nahm er sie mit einigem an Überschwang am Arm und führte sie hinaus, durch die Gassen, zum Markt hin.

Jetzt mitmachen!

Du hast noch kein Benutzerkonto auf unserer Seite? Registriere dich kostenlos und nimm an unserer Community teil!