"...dürfe wohl das Nichtseiende um nichts weniger sein als das Seiende. Denn sowohl das Nichtseiende ist nichtseiend, als auch das Seiende ist seiend, so dass um nichts mehr sind als nicht diese Dinge. Wenn aber dennoch das Nichtsein ist, so ist, sagt er, das Sein nicht, als dessen Gegenteil. Denn wenn das Nichtsein ist, gehört es sich, dass das Sein nicht ist. "
Aus der halboffene Türe des Hörsaales, neben dem ich wartete,drangen diese Worte. Verständnislos – aber fasziniert – spähte ich hinein, sah die jugendlichen Schüler, die aufmerksam an den Lippen ihres hageren Lehrers hingen. Bei allem Respekt für die Gelehrsamkeit... was brachten einem solche Spitzfindigkeiten? Mal abgesehen von einem Knoten in den Gedankengängen...
"Tribun Decimus Serapio?"
Ich wandte mich der Stimme zu und sah eine Dame den Säulengang entlang auf mich zu schreitend. Kühl, aber längst nicht so alt wie ich sie mir vorgestellt hatte, im Gewand einer Gelehrten.
"Der bin ich. Und du musst die Philologa Theokleia sein. Sei gegrüßt." Ich reichte ihr die Hand. "Man sagte mir, du seist die Meisterin auf dem Gebiet der Chiffren und Verschlüsselungen, ungeschlagen darin die Tiefen verborgenen Sinns auszuloten."
Sie nickte zustimmend.
"Gehen wir doch ein Stück. Im Gehen fällt das Denken leichter. Was führt dich her, Tribun?"
"Ein Rätsel, das ich nicht zu ergründen vermag."
Nicht nur ich hatte mir die Zähne an der geheimen Botschaft ausgebissen, auch die beiden Frumetarii, die ich zu meiner Unterstützung hinzugezogen hatte, hatten vergeblich daran herumgerätselt.
"Werte Theokleia, ich bitte dich in dieser Angelegenheit jedoch um Stillschweigen. Es könnte nämlich von größerer Bedeutung für eine unserer Ermittlungen sein."
Wir wandelten durch den wunderschönen Park des Museions, und ich schilderte ihr, ohne auf die genaueren Umstände einzugehen, den Fund der geheimen Botschaft. Weich war das Gras unter unseren Füßen, die Zweige der Palmen beschatteten unseren Weg, und immer wieder erblickte ich exotische Tiere, die dort in Gehegen gehalten wurden. Darunter sogar ein Flußpferd, das mich aus unerfindlichen Gründen an meinen früheren Kommandanten erinnerte.
Die Gelehrte hörte mich ruhig an. Schließlich zeigte ich ihr die Botschaft, und damit schien ihr intellektuelles Interesse zu erwachen, zeigte sich auf den beherrschten Zügen auf einmal so etwas wie Jagdinstinkt.
"Es scheint polyalphabetisch substituiert zu sein."
Aha?
Sie eilte in einen leeren Hörsaal, ich hinterher, und dort überlegte sie nicht lange, schrieb ein wenig auf die Schiefertafel, und extrahierte aus dem Buchstabenwust
ciur lg jqwjiy iqzzid kmuiv ybzv or hynfeiy miiiv ivtdyx, zyktrv vov qiumal sthlvmz.
qc kilbplqfb eov lmvutmk.
im Handumdrehen:
Wenn du wieder einmal einen Mord in Auftrag geben willst, suchen dir jemand anderen.
Du schuldest mir einiges.
Ich war sprachlos.
"Bona Dea!! Der ist geliefert. - Ich danke Dir, ich danke Dir! Und ich werde dem Museion natürlich eine große Spende zukommen lassen. Aber wie bei allen Göttern hast du das gemacht?"
Ehrlich, ich hätte die Frau küssen können.
"Das Verfahren basiert auf der Methode Caesars. Jedoch werden ausgehend von einem Schlüsselwort verschiedene Verschiebungen kombiniert. Geheimnis ist hier der Schlüssel. Der erste Buchstabe wird um g verschoben, also um sechs Stellen, der zweite um e, also vier, der dritte um h etc."
Ja, jetzt wo sie es sagte, erschien es mir auch ganz einfach. Aber da musste man erst mal drauf kommen! Ich bedankte mich noch unzählige Male bevor ich wieder nach Nikopolis aufbrach, voll Vorfreude auf das anstehende Verhör mit dem Perser.
Der Ruhm der Theokleia gebührt übrigens einer gewissen Decima Lucilla