Rom steht Kopf - Feiert die Nonae Caprotinae!

  • Ich entging nur knapp einem geworfenem Etwas, das kurz darauf in der Menge hinter mir verschwand und offensichtlich jemand anderen traf. Gegen ausgelassenes Feiern war sicherlich nichts einzuwenden, zumal viele custodes dafür sorgten, dass niemand wirklich nahe an ihre Herren und Herrinnen herantreten konnte. Und doch gab es genug Leute in Roms Straßen, die allein oder in Grüppchen unterwegs waren und nur allzu gute Ziele für Diebe und sonstiges zwielichtiges Gesindel boten. Ganz in der Nähe spielten drei Männer auf ihren Instrumenten, umringt von einem Pulk an Zuhörern, die klatschten, johlten, lachten und krakeelten, an der gegenüberliegenden Straßenecke hatte ein Puppenspieler sein Reich aufgebaut und gab eine Parodie über Nero zum Besten. Hin und wieder liefen kleine Gruppen von Frauen vorüber, manche mit Feigenzweigen bewaffnet und halbherzige Hiebe austeilend, manche nur scherzend und gut gelaunt. Für Sänften war hier kein Durchkommen mehr möglich - wer mitfeiern wollte, musste das zu Fuß tun.


    Ein wenig fehl am Platze fühlte ich mich durchaus, doch hatte ich Präsenz zu zeigen, und ich konnte mich auch nicht immer von den Nachwehen eines angenommenen Opfers fernhalten. Ein Sklave reichte mir einen Becher Wein, den ich zwar annahm, doch nur in der Hand hielt. Das Chaos zu überblicken, hatte ich längst aufgegeben, und so begnügte ich mich damit, mir den nicht enden wollenden Festzug anzuschauen. Sklavinnen wie Römerinnern wurden heute gefeiert, und wie bei fast jedem Feste stand Rom Kopf, wenn es etwas zu feiern gab.


    Sim-Off:

    Nur zu!

  • Eher durch Zufall war die junge Aurelia in das Durcheinander der Feiernden Massen geraten. Ursprünglich nach Zerstreuung suchend, hatte sie sich, begleitet von zwei custodes auf dem Weg zum Markt gemacht – kam dort aber nie an. Eine Gruppe von Frauen kam ihr entgegen, die ihren beiden Beschützern erst einmal Feigenzweige um die Ohren schlugen und der jungen Frau schließlich selbst ein paar Zweige in die Hand drückten, noch ehe die zwei Sklaven zur Besinnung gekommen waren und ihre Herrin hatten schützen können. Zunächst noch verwirrt auf die Zweige starrend hatte es ihr dann gedämmert, was dieser Unfug sollte. Die Nonae Caprotinae…hatte sie den Gedenktag doch tatsächlich vergessen. Verwunderlich war es nicht, denn in letzter Zeit gab es vieles, das einfach so an der jungen Frau vorüber zog, ohne dass sie davon Kenntnis nahm. Viel zu sehr war sie seit dem Gespräch mit Marcus mit sich selbst beschäftigt. Mit sich selbst und dem Weg, den der Aurelier ihr eröffnet hatte.


    „domina…ich glaube dort sollten wir nicht entlang…“, erklärte einer der custodes. Die Frauen hatten es wohl besonders übel mit ihm gemeint. Ein roter Striemen zog sich über seine Wangen. Nun, dass er ein Gallier war, war weithin an seinen rotleuchtenden Haaren zu erkennen. Ein Ziel mit Präferenz jedenfalls. Narcissa folgte seiner Geste, mit welcher er nach rechts wies. Tatsächlich drang aus dieser Straße mächtiger Lärm und ein atonaler Chor verschiedenartiger Stimmen. Da war eindeutig was los. Einen Moment lang war Narcissa versucht seinem Einwand stattzugeben, doch dann übermannte sie ein Gefühl des Trotzes, das sie selbst nicht so ganz verstand. „Ist schon gut….ich möchte es mir nur ansehen…“, erklärte sie und schritt entschlossen in jene Richtung.
    „domina!“ Auf die Warnung des Galliers hörte sie nicht mehr.


    Je mehr sie sich der Straßenmündung näherten, desto mehr Menschen kamen auf sie zu. In den Straßenecken spielten Instrumente und es gab allerlei andere Dinge zu sehen, zu bestaunen. Kaufleute hatten sich aufgestellt und boten ihre Ware feil. Narcissa ließ sich auf das Treiben ein, beobachtete und fühlte wie sich ihre Gedanken allmählich zerstreuten und sich ihr Gemüt erhellte. Je weiter sie kam, desto stärker wurde das Gedränge, um sie herum und die custodes hatten einige Mühe ihrer Herrin ein wenig Raum zu verschaffen. „Mensch…hier bekommt man ja fast keine Luft mehr…“, beschwerte sich Narcissa dann doch etwas kleinlaut, als ein Ellenbogen sie unvorbereitet traf in die Seit traf…

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    Mancinus war kein großer Freund von Straßenfesten. Sie behinderten ihn, als Liktor, im Weiterkommen. Doch es wäre zu schön gewesen, hätte der Manilier nur vor einem Wagen oder einer Sänfte im würdevollen Tempo einherzuschreiten und manchmal mit salbungsvoller Stimme „Kusch, kusch“ zu rufen, wenn jemand drohte, den Weg zu versperren, was fast eh nie der Fall war. Nur dumm, dass es weitaus abenteuerlicher war, der ehrwürdigen Claudia Romana ein Liktor zu sein, als anderen Sacerdotes Vestales. Er seufzte und blickte kurz nach hinten. Romana war noch immer da, sogar ihr nutzloser Anhang, die Sklavin Parthenope, die ansonsten Weltmeisterin im sich-verlaufen war.


    “Ich möchte schneller nach vorne kommen! Also, mein lieber Manilius, mach mal deine Arbeit!“, hörte er die dunkle Stimme der Claudia, die natürlich wie eh und je zu Fuß gekommen war, von hinten. Mancinus blickte zu der großen Patrizierin hinauf, kratzte sich in seinem fettigen, schwitzigen Haar, dann nickte er. “In Ordnung, Chefin. Äh...“ Er nahm den Liktorenstock, den er als Liktor einer Vestalin anstelle eines Rutenbündels hatte, und nahm ihn in beide Hände. Damit schob er die Leute ein wenig vorwärts, wie ein Optio die Soldaten in einer Schlacht. Romana blinzelte etwas verblüfft, als sie diese militärisch anmutenden Methoden sah – und als Tochter eines Veteranen wusste sie, was Mancinus nachzuahmen versuchte.


    Sie seufzte, denn sie sah genau, wie Mancinus scheiterte. Zwar ruckten die Leute etwas zur Seite, als nach und nach das Wissen, dass eine Vestalin durchzukommen versuchte, einsickerte, aber Mancinus war alleine, und konnte so dem Bulk nicht Herr werden. Frustriert fasste er den Stab mit beiden Händen und versuchte durch Herumschwingen die Leute dazu zu animieren, wegzugehen. Das einzige, was der Liktor jedoch erreichte, war, dass er es irgendwie schaffte, während er herumfuchtelte, entweder mit dem Stab oder irgendeinem Teil seines Körpers, Romana konnte es nicht genau erkennen, sehr derb eine Frau zu treffen. Die Vestalin machte einen ein bisschen verzweifelt wirkenden, unterdrückten Laut und ging auf Mancinus zu. “Du bist der wirklich der absolut dümmste...“ “Aber Claudia, ich habe doch nur nach deinen Anweisungen...“ “Was nicht heißt, dass du die alles niedermetzeln musst, du rücksichtsloser...“ Sie verbiss sich ein Schimpfwort, dass ihrem Stand nicht angemessen gewesen wäre, ließ den bedröppelten Manilier links liegen und wandte sich hingegen an die Getroffene – aber erst, nachdem sie sich vergewissert hatte, dass Parthenope noch herumstand und nicht längst schon den Anschluss verloren hatte.


    “Alles in Ordnung bei dir?“, fragte die in der charakteristisch weißen Kleidung gewandete Priesterin der Vesta die andere – scheinends eine Patrizierin wie sie selber. Der Claudia konnte man ansehen, dass ihr das rüpelhafte Auftreten ihres Liktors etwas peinlich war.

  • Dontas schritt durch die Menge, allein um die Frauen zu ehren. Spätenstes als ein mit voller Kraft geschlagener Feigenzweig auf ihn herabsauste und einen blutigen Striemen auf seiner linken Hand hinterließ, wünschte er sich nie aus den Haus gegangen zu sein.
    Ihm schien als geriet das Fest zusehends außer Kontrolle, überall flogen Steine herum, er fragte sich wo sie die nur herhatten, die Straßen waren doch erst am vohrigen Tag gekehrt worden. Er kam sogar auf die dubiose Idee sich ein Legionärsschild zu kaufen oder in eine verkommene Taverne einzukehren und dort bis zum späten Abend zu warten. Aber dann beschloss er doch schnell kehrt zu machen, sich duckend hechtete er zurück zur Casa Iulia.

    „Menschen von Wert arbeiten hart, bringen Opfer und werden zum Opfer, und zwar aus eigenem Willen; sie werden nicht vom Schicksal geleitet, sondern sie folgen ihm und halten gleichen Schritt; hätten sie es gekannt, wären sie ihm vorausgegangen.

  • Die junge Aurelia achtete gar nicht auf das Gespräch, das direkt hinter ihr stattfand. Zweifelsohne wäre es in dem allgemein brandenden Lärm ohnehin zu Wortfetzen verkommen. Stattdessen war Narcissa damit beschäftigt die schmerzende Stelle zu reiben und hatte sich diesbezüglich auch etwas weiter an den Rand der fortwährend vorwärts drängenden Masse gedrängt. „Ihr solltet wirklich-“, wandte sie sich schon grollend an ihre beiden custodes – schöne Wächter waren das! – als sie direkt angesprochen wurde. Überrascht sah Narcissa auf, stutzte ob des weißen Gewandes, das keine Frau bei einem solchen Fest freiwillig tragen würde, ehe sie erkannte, wer da vor ihr stand: Eine Vestalin.


    Eine waschechte, blütenweiße Priesterin, deren Wangen eine leise Röte zierte, als empfände sie Scham. >Ist es Zufall – kann es das überhaupt sein? – vielleicht ein Zeichen?< Narcissas Gedanken und Empfindungen überschlugen sich. >So ein Quatsch-du bist überempfindlich-aber!....eine Vestalin!<
    „Das muss ein böser Scherz sein…“, kam es ihr unbedacht angesichts ihres Schreckens über die Lippen, ehe die Aurelia im nächsten Moment begriff, dass sie ihren Gedanken tatsächlich in lautes Wort gefasst hatte. „Verzeih…es geht schon…Ich glaube, das ist nur die Hitze…“, versuchte sie sich an einem Lächeln, das kläglich scheiterte und zu einem bedrückten Mundwinkel Verziehen verkam, während sich deutliche Verwirrung und Schrecken auf ihrem Gesicht abzeichneten.

  • Von den Steinen, die an einer komplett anderen Stelle des Festes geworfen wurden – was sich eh gleich wieder beruhigte – bekam Romana nichts mit. Ohnehin kümmerte sie sich lieber um die von Manilius Mancinus so rüde durch die Mangel genommene junge Frau. Sie war etwas jünger als sie, schätzte Romana, mit Haaren, die an Lockigkeit mit ihren zu wettstreiten suchten.


    Romana nun hätte mit allem gerechnet – von einem Schwall an unflätigen Beschimpfungen ihrer Person und/oder ihres Liktors, bis zu mildtätigen Worten des Vergebung. Aber das? Ein blöder Scherz? Das Gesicht der Claudia wandelte sich von besorgt-reuevoll zu verwundert. Blöder Scherz... hatte sie damit Manilius Mancinus gemeint? Oder dass gerade ein Liktor, der die Würde einer Vestalin beschützen sollte, diese durch solche Aktionen gefährdete? Oder aber... nein, sie konnte sich keinen Reim daraus machen, und das sah man ihr wohl auch an.


    Erst dann kam wieder etwas über die Lippen des Mädchens... verzeih? Die Hitze? Vermutlich wollte die Kleine – denn als eine solche erschienen der regelrecht hünenhaften jungen Vestalin fast all ihre Geschlechtsgenossinnen – einer Vestalin nicht auf den Schlips treten. Romana aber ließ das aus reinem Schuldgefühl nicht gelten. “Verzeihung, wie? Das ist doch nicht deine Schuld, sondern meine.“ Schließlich hatte sie den Manilier auf die Leute losgelassen. Dem mittlerweile auch schon ein brav reuemütiges Gesicht Machenden warf sie einen verärgerten Gesichtsausdruck zu, bevor sie sich wieder dem Mädchen zuwandte, und sie mit einer gewissen Verzagtheit anschaute. Vielleicht wollte die Frau irgendein Schmerzensgeld? Das würde Romana gerade noch fehlen!

  • Jetzt hatte Narcissa es doch tatsächlich auch noch geschafft jene Verwirrung, die sie mit eisernem Griff festhielt auch auf das Gesicht der großen Vestalin zu spiegeln. Beinnahe riesenhaft war die Frau, die kaum älter war, als sie selbst und die das weiße Gewand der Vesta Priesterinnen trug. >Ob sie sich eingesperrt vorkommt?< der Gedanke tauchte unvermittelt über den Spiegel ihres Empfindungswirrwarrs empor und hielt sich den Zehntel eines Atemzugs dort, ehe er wieder hinab sank in die aufgewühlte Gefühlswelt. >Ist sie unglücklich?< Die junge Frau machte eigentlich, obschon ihrer offenkundigen Verwirrung einen recht munteren Eindruck. Aber natürlich war es schwierig auf den ersten Blick hin ein Urteil über die Zufriedenheit eines anderen Menschen zu fällen. Etwas schien sich jedenfalls hinter ihrer Stirn, die von braunen lockigen Haaren umrahmt wurde, zu tun.


    >Ihre Schuld?< Ihre Irritation nahm einen Moment sogar noch zu. Wessen Schuld war es, dass sich ihre Wege gekreuzt hatten. Doch der Zufall – oder hatte etwa Aurelius Corvinus seine Finger im Spiel gehabt und ihr diese Vestalin über den Weg geschickt, um sie zu überzeugen? Sie mochte ihm ja vieles zu trauen, aber nicht das. Warum sollte er es auch nötig haben. Er, der ihren Bruder und auch ihre Mutter auf seiner Seite hatte. Dann doch Zufall. Schicksal. >Die Göttin?< Noch nie war Narcissa besonders gläubig gewesen. Natürlich hatte sie den Göttern ihren Dienst erwiesen, hatte sie jedoch stets als etwas ganz fernes empfunden. Doch jetzt in eben diesem Moment, spürte die junge Aurelia wie diese Grundfeste leise in ihrem Inneren erzitterte. >Schicksal< So etwas gab es. Es war ein Gewirr aus feinen Fäden, das sie nicht zu durchdringen vermochte.
    „Es geht wirklich wieder...mach dir keine Sorgen...ich bin nicht...“, Ihr Blick glitt rasch zu dem blutjungen Liktor hinüber, „böse...Nur verwirrt“, Narcissa sah sie Priesterin wieder an. „Ich habe nicht damit gerechnet jetzt auf eine Vestalin zu treffen...“, gestand sie.

  • Wieso sah die andere so verwirrt aus? Als ob sie nicht eine Vestalin, sondern eine Außerirdische sähe, oder gar eine Halbgöttin. Nicht, dass sich Romana gänzlich ungeschmeichelt fühlen würde, würde dieser Vergleich gezogen werden, aber der Claudia kam die ganze Situation etwas abstrus vor. Gut, sie erwartete Respekt vor ihrer Stellung als Vestalin. Aber gleich dieses Ausmaß an, ja, fast Furcht, welches sie bei der Patrizierin sah? Eigenartig, eine Vestalin war kaum eine Person, vor der besondere Gefahr ausging.


    Was die sichtlich Konfuse nun von sich gab, trug auch nicht gerade dazu bei, dass Romana sich besonders im Klaren über die Situation fühlte. “Öh.“ Verwirrt? Was war an ihr verwirrend. Vielleicht der Umstand, dass du der riesigste Trampel bist, der hier rumläuft, und vielleicht, weil du deine hochheiligen Klamotten anhast, ätzte eine innere Stimme in ihr. Seltsamerweise, denn sie war auf ihren Beruf und in einer eigenartigen Weise auch auf ihre Größe stolz, doch in ihrem Unterbewusstsein gab es eine Seite, die immer versuchte, sie herabzuziehen.


    Aber aus den Worten der jungen Frau vor ihr konnte sie deutlich zwei Sachen herausdestillieren. Erstens, verwirrt, zweitens, jetzt. Sie sollte sie jetzt eigentlich in Ruhe lassen, aber ihre Neugier siegte. “Du bist verwirrt, eine Vestalin jetzt zu treffen... du wärst wohl weniger verwirrt, wäre es ein anderes Mal gewesen?“ Sie legte ihren Kopf leicht schief.

  • Was die Priesterin nicht ahnen konnte war, dass sie für Narcissa in diesem Augenblick tatsächlich der Inbegriff aller Gefahr war. Eine Gefahr für ihr Leben, das sie bald nicht mehr würde so frei leben können, wie sie es sich wünschte. Dagegen wirkte noch jeder Dieb, der es auf ihren Geldbeutel abgesehen hatte wie ein netter, leider verirrter Kerl. Nur sehr langsam löste sich der Schrecken von ihr, während ihre Gedanken nach wie vor darum kreisten, wie sie das unvermittelte Auftauchen – denn anders konnte man es wirklich nicht nennen – der Vestalin nach ihrem sehr unangenehmen Gespräch mit Marcus zu bewerten hatte.


    Allmählich wurde Narcissa klar, dass sie auf die Frau, die sie nach wie vor mit einer gewissen Verwirrung betrachtete, wie ein regelrechter begriffsstutziger Tölpel wirken musste, der nur unzusammenhängende Dinge von sich gab. Ein Wunder, dass sich die Priesterin nicht schon längst kopfschüttelnd abgewandt hatte. Ihr Liktor stand nur wenige Schritte hinter ihr und auch er schien sie mit einem Blick zu mustern, als habe sie nicht mehr alle Tassen im Schrank. Das reumütige Lächeln auf seinen Lippen konnte sie nicht täuschen. Die Aurelia befand es zwar für keine gute Idee eine Wildfremde über ihr Gefühlsleben aufzuklären, aber immerhin handelte es sich bei ihrem Gegenüber um eine heilige Priesterin, die sich zudem nicht von ihrem Stuss abgeschreckt zeigte. „Ich bin verwirrt“, begann Narcissa, als sie sich etwas beruhigt hatte, „Weil mir gestern von einem meiner Verwandten eröffnet wurde, dass die Familie wünscht, den Kaiser zu bitten, mich in die Priesterschaft der Vesta aufzunehmen – und jetzt steht eine Vestalin vor mir….“ Zögernd fügte sie hinzu: „Ich weiß nicht, als was ich das nun deuten soll: Als Zeichen – oder Zufall…“

  • Ntürlich hätte Romana sehr vehement widersprochen, hätte die Aurelia ihre Präkonzeptionen ihr gegenüber geäußert. Da sie das aber nicht tat, blickte sie nur weiterhin neugierig die junge Frau an. Und da hörte sie auch schon, was dem Mädchen auf dem Herzen lag – und wusste sofort, ihre Intuition, dass sie hier nachhaken sollte, hatte ihr recht gegeben. Vor ihr stand eine potentielle zukünftige Vestalin!


    “Vestalin also willst du werden“, murmelte Romana. “Beziehungsweise deine Familie will, dass du Vestalin willst. Ah...“ Ein kurzer taxierender Blick wurde auf Narcissa geworfen. “Aber... wie alt bist du denn?“, fragte Romana verwirrt, wusste sie doch, dass es selten war, dass Jungfrauen über 10 Jahre aufgenommen wurden. Nun gut, 15 war noch vorstellbar, bei ihr war das auch so dank kaiserlichem Dispens gewesen, aber die hier war gewiss älter!


    Die Frage der Frau gab ihr selber zu denken. Zeichen oder Zufall? “Das Göttliche ist immer und überall“, antwortete sie ausweichend und blickte der jungen Frau vor ihr in die Augen. Wurde sie etwa auf den Arm genommen? Nein, unmöglich. Dieser Zufall war zu groß, als dass er zu fassen wäre. Wobei, vielleicht wurde es gerade in Rom en vogue, dass man alle junge Mädchen zu den Vestalinnen schicken wollte?


    “Also wirst du vielleicht den Platz ausfüllen, der gerade vakant geworden ist. Hmm. Dann wirst du vielleicht neue Vestalinnenschülerin. Ich denke, auf jeden Fall sollte ich mich erst einmal vorstellen. Ich bin Claudia Romana, Priesterin der Vesta, und wie heißt du, wenn ich fragen darf?“

  • Voraussehbar war es gewesen, dass die Vestalin sie auf ihr Alter ansprach. Ganz offenkundig hatte Narcissa jenes Alter, in welchem es normalerweise üblich war, junge Mädchen durch die Captio in die Priesterschaft aufzunehmen, längst überschritten hatte. Vielleicht wäre genau das am Ende ihre Rettung. Womöglich hatte sie doch noch Glück und würde den Plänen ihrer Familien entgehen. Der Gedanke ließ eine Welle der wagen Hoffnung über sie hinweg schwappen. Nicht, dass es eine angenehme Empfindung war. Vielmehr gehörte es der Sorte „nagend“ an; Eine dünne, schlingernde Linie, die sich zwischen Erleichterung und Schrecken wand und jederzeit zur einen oder andere Seite kippen konnte. „17 Winter“, erwiderte sie der Priesterin und hoffte schon auf die erlösenden Worte, den Rat es gar nicht erst zu versuchen. „Mein Bruder und der Pontifex wollen es aber dennoch versuchen und beim Kaiser vorstellig werden.“


    Der Gedanke, womöglich einem Trend zu folgen, kam der Aurelia gar nicht. Aber genauso wenig wäre sie jemals auf die Idee gekommen, den Dienst als eine Vestalin für ihre Zukunft in Betracht zu ziehen. Dieses Zusammentreffen aber tauchte alles in ein anderes Licht. In Narcissa, die sich selbst nie zu den überreligiösen Menschen gezählt hatte, meldeten sich nun doch leise Zweifel an. Es gab Menschen, deren Weg war vorbestimmt; Durch die Geschichte, durch ihre Geburt, ihr Schicksal. Da konnten sie noch so sehr versuchen auf Selbstbestimmung zu beharren. Am Ende spuckte sie das Schicksal doch wieder an dem Ende aus, an dem sie eigentlich stehen sollten: zu Füßen der Vorsehung. Womöglich irrte sie sich, wenn sie Dienst als Vestalin so vehement abtat. Vielleicht hatte auch sie das Schicksal nun zu Füßen dieser Vestalin getragen. >Werde doch nicht albern!<, schalt eine innere Stimme; Es war jene, die fest daran glaubte, dass es den Göttern herzlich egal war, was die kleinen Würmchen unten auf der Erde trieben. Sollten sie sich doch gegenseitig an die Kehle gehen, wenn sie wollten!


    Tatsächlich! Hatte Narcissa in ihrem ganzen Schrecken doch vergessen, sich vorzustellen. Wie unhöflich! „Selbstverständlich darfst du das“, entgegnete sie lächelnd. „Aurelia Narcissa“, Insgeheim fragte sich die junge Frau in welcher verwandtschaftlichen Beziehung sie wohl zu jenem Claudius Lepidus stand, den sie einst in den Straßen Roms getroffen hatte. Diese Begegnung schien ihr nun schon Ewigkeiten zurück zu legen. Romana war nun schon das dritte Mitglied der gens, welchem sie begegnete. Ganz dunkel gab es da auch noch Erinnerungen an einen gewissen Claudius Brutus.


    „Vielleicht…“, So gern hörte Narcissa es nicht, dass eine Stelle frei geworden war. „Ich hoffe…“, Sie zögerte einen Moment, unsicher ob es klug war sie der Claudia so zu offenbaren…“- verstehe mich nicht falsch – aber ich hoffe nicht.“ Andererseits weckte die Tatsache, dass eine Priesterin aus dem Dienst ausgeschieden war, aber auch ihre Neugierde. „Warum ist die Stelle denn frei geworden…?“, Bekanntlich konnte es dafür ja verschiedene Gründe geben.

  • 17 Jahre war sie also. Romana betrachtete Narcissa, wie eine Wissenschaftlerin ein interessantes Studienobjekt inspizieren würde, wie ein Mediziner, der einen sezierten Frosch beäugt. Zur Unterstreichung eben dessen fuhr sie sich mit der rechten Hand ans Kinn, setzte Zeigefinger und Daumen dran an, und begann ganz leicht ihr Kinn zu reiben. Es hätte nicht mehr viel gefehlt, und sie hätte ihr linkes Auge vor lauter Konzentration zugekniffen. 17 Jahre, nicht einmal viel jünger als Romana selber. Als sie einen Pontifex ins Spiel brachte, begann Romana zu nicken. “Wenn es ein Pontifex sagt, wird der Kaiser vielleicht darauf hören. Dispense werden vergeben. Und ohnehin hat der Kaiser einiges an religiöser Macht an die Pontifices... devolviert.“ Devolution mochte der richtige Ausdruck sein, Abwälzung. Als ob sich der Kaiser von einer riesigen Last befreit hätte. Romana selber liebte den Kaiser über alles, aber hie und da kam sie nicht umhin, sich zu fragen, was an den Worten wahr war, die Flavius Gracchus einst geäußert hatte. Der Pontifex Maximus sorgte nicht mehr um seine Kinder. Aber... das war unmöglich, nein. Der Kaiser liebte sie! Nur war er noch immer krank... krank, seitdem Romana aufgenommen worden war.


    Schließlich stellte sich die Aspirantin auch vor, und Romana hob beide Augenbrauen. Aurelia Narcissa, eine Aurelia. Jetzt wusste sie, wer der Pontifex war. “Ah. Dann sprachst du vorhin gewiss über Pontifex Aurelius Corvinus. Er hat meine Priesterprüfung abgenommen, gemeinsam mit Pontifex Flavius Gracchus. Ein netter Mensch“, machte sie pflichtschuldigst, obwohl sie eigentlich gar nichts über ihn wusste, außer, dass er sie bestehen hatte lassen. “Wer ist dann dein Bruder?“, wollte sie wissen.


    Mit einem neugierigen Lächeln auf ihren Lippen erwartete sie Narcissas nächste Antwort, doch als sie diese herausstammelte, verebbte dieses. Romana blickte Narcissa ungläubig an. “Du hoffst nicht? Was willst du damit sagen?“, rief sie aus im Tonfall einer Frau, die ihr komplettes Glück im Dienst an der Vesta gefunden hatte, und gar nicht verstand, warum andere das nicht wollten. Dann seufzte sie. “Ich verstehe. Du hast überhaupt keine Lust, nach den Regeln unserer Schwesternschaft zu leben. Im Partikulären bedeutet das, du willst lieber einen Mann haben, es mit ihm treiben, und Kinder kriegen. Stimmt das?“, wollte sie wissen.


    Die nächste Frage war hingegen leicht. “Eine der Sacerdotes, Hortensia Calpetana, hat nach ihren 30 Jahren Dienst den Kult verlassen“, machte sie. Um ehrlich zu sein, konnte sie es ihrer vormaligen Lehrerin kaum missgönnen – die Arme hatte an einer Krankheit zu laborieren, die sie nicht mehr dazu befähigte, ihren Dienst fachgerecht auszuführen.

  • Etwas unangenehm war es schon, wie die Claudia sie eingehend untersuchte. Unter dem Blick der aufmerksamen braunen Augen kam sich Narcissa ungewöhnlich klein vor. Verglichen mit dieser Riesin war sie das ja auch. Wie um dem inneren Gefühl der Winzigkeit entgegen zu treten, reckte sich die Aurelia etwas und spielte unruhig mit dem kleinen Namenssilberkettchen an ihrem Handgelenk. Das was die Priesterin dann sagte, war nicht unbedingt das, was sie hören wollte. Lieber wäre es ihr gewesen, hätte die Vestalin jegliche Möglichkeit einer Aufnahme aus Gründen ihres doch für eine Priesteramtsanwärterin fortgeschrittenen Alters ausgeräumt. Aber das tat sie nicht. Ganz im Gegenteil. >Das heißt noch gar nichts...< versuchte sich Narcissa selbst zu beruhigen. >Vielleicht hat der Kaiser einen schlechten Tag<...und wusste selbst, wie schrecklich naiv ihre Gedankengänge doch waren. Der Kaiser und einen schlechten Tag! Die hatte er dann wohl schon seit Jahren! Und nach allem was die Claudia gesagt hatte, hatten die Pontificies einiges an Macht dazu gewonnen. Marcus, das war klar, würde sie durchboxen.


    Nett. Sie selbst hatte wohl kaum mehr Erfahrung mit dem Aurelier als Romana. Bisher hatte sie ihn nur als hauptsächlich unsichtbare graue Eminenz der Villa kennen gelernt, die man irgendwie nie sah, es sei denn zu offiziellen Anlässen, die aber trotzdem in jedem Winkel des Hauses präsent war. Eine zweite Seite seiner selbst hatte sich Narcissa erst vor kurzem offenbart. Nämlich als schwarzer Rabe unangenehmer Nachrichten. Er machte seinem Cognamen alle Ehre. Ein neuer Gedanke kam ihr in den Sinn. Hatte ihm vielleicht die Prüfung dieser Vestalin die Idee eingeimpft, eine Aurelia ebenfalls zur Priesterin zu machen? Oder war Orestes da unlängst an ihn heran getreten?
    „Aurelius Orestes ist mein Bruder...“, gab sie Romana Antwort und schob vorsichtshalber noch „Er war Augur“, nach. Wo er im Moment steckte, war der jungen Aurelia jedoch ein Rätsel. Es lag schon eine ganze Weile zurück, dass sie ihren Bruder gesehen hatte. Zuletzt kurz nach Ankunft der Zwillingsschwestern in Rom. Seitdem hieß es, er wäre sehr mit seiner Karriere beschäftigt, weshalb es auch Marcus gewesen war, der ihr jene Zukunftspläne offenbart hatte. Er und nicht Orestes.


    „Nein...ich....wie?...WAS?“, Vollkommen überrumpelt starrte sie Romana an. So etwas aus dem Mund einer Priesterin zu hören. Sie benötigte einen Moment, um ihre Gedanken zu ordnen. „Das sind sehr drastische Worte...“, entgegnete sie deshalb, um ein wenig Zeit zu schinden. Wollte sie heiraten? Vielleicht. Die Liebe finden – sicher. Kinder? Unmerklich schüttelte sie den Kopf. Schon oft hatte sie darüber nachgedacht, geträumt, wie es wäre zu heiraten oder vielmehr was für ein Kerl es denn wäre, den ehelichen würde. Würde. Dieses Wort war im Begriff sich in Luft aufzulösen. Aber eigentlich, wenn sie ganz ehrlich zu sich selbst. Mann und Kinder – das war nicht der Grund, weshalb sie strauchelte, weshalb ihr das Priesteramt so unmöglich erschien. „Nein, das ist nicht der Grund...“, begann sie besonnen. „Ich möchte mein Leben frei gestalten können. Ich möchte entscheiden, was wann wie und wo passiert. Als Vestalin wäre mein Leben für die nächsten dreißig Jahre zementiert..." Sie würde Rom nicht einmal einen einzigen Tag verlassen können.

  • Die Silberkette, an der die Aurelia nervös herumzunesteln begann, fiel Romana sofort auf. Der Name der Besitzerin war auf einer Plakette eingraviert, sie hätte eigentlich so schon vorher den Namen der jungen Frau erraten können. Sie bemerkte auch, wie die „Kleine“ sich auf die Zehenspitzen stellte, um relativ zu Romana etwas größer zu erscheinen. Die Vestalin konnte sich ein Grinsen nicht verbeißen. “Wenn es dir angenehmer ist, kann ich ja in die Hocke gehen. Oder wir können uns irgendwo hin setzen.“ Sie war es ja gewohnt, dass man immer mit einem gewissen Maß an Ungläubigkeit auf ihre Größe reagierte. Manchmal war es etwas nervig, aber die Claudia wusste es mit Humor zu tragen. Denn es war doch immer gut, aus der Menge hervorzustechen und keine graue Maus zu sein. Also redete sich Romana regelmäßig ein, ihre Größe war etwas, auf das sie stolz sein konnte, denn so ließ sich das Ganze immer gut ertragen. Narcissa schien etwas verstört über Romanas Ansage bezüglich des Pontifex Maximus, doch sagte sie nichts weiter dazu, sodass Romana das Thema nicht weiterhin verfolgte.


    Auch auf ihre Reaktion auf den Namen Corvinus bekam sie keine Gegenreaktion, auf ihre Frage nach ihrem Bruder sehr wohl. Aurelius Orestes. Den Namen kannte sie woher. Wer hatte ihn ihr gegenüber schon erwähnt? Es war... “Arvinia. Tiberia Arvinia. Er ist ihr Verlobter, nicht wahr?“ Eine Schwester würde das sicherlich wissen. “Aber... er war Augur? Jetzt nicht mehr? Was ist geschehen?“ Hat man ihn rausgeworfen? Ging er? Oder ist er gar gestorben? Eingedenk, dass Letzteres durchaus ein realistischer Gedanken war, machte sie schon gleich vorbeugend ein betroffenes Gesicht. Was mochte ihm passiert sein?


    Sie hob ihre Augenbrauen leicht, als Narcissa ihre offen gesprochenen Worte etwas ungläubig aufnahm, und lächelte. Drastische Worte, ja, das stimmte, das waren sie, aber Romana wollte nicht mit Wattebällchen werfen. Scharfe Munition war viel besser, fand sie.


    Und schließlich kamen auch die Worte aus dem Mund von Narcissa. “Leben frei gestalten können...“ Mei putzig! Die Kleine war so naiv, dass Romana gerührt-mütterlich lächelte. “Also denkst du, du wirst dein Leben frei entscheiden können, wenn du verheiratet wirst, an irgendeinen besitzergreifenden Mann, der aufpasst, dass seine Frau ja auch nichts tut, um seine Ehre zu beflecken, der dich zu Geschlechtsverkehr zwingt, der dich unterjocht. Gut, du kannst auch einen liberaleren Mann bekommen, aber darauf kannst du sicher nicht wetten, das liegt nicht an dir. Nennst du das freie Gestaltung deines Lebens?“ Sie schüttelte mit einem gewissen Unglauben ihren Kopf so energisch, dass ihre Haare herumflogen, und sie sie erst zurechtstreichen musste.


    “Als Vestalin hingegen hast du die Freiheit, dein Leben zu gestalten! Du kannst Karriere machen! Und du musst ja auch nicht den ganzen Tag lang im Atrium Vestae sein und Gefangene spielen – als Schülerin bekommst du genug Ausgang, und als ausgebildete Vestalin kannst du sowieso frei entscheiden, was du mit deiner Freizeit tust, ob du sie dem Kult widmest oder deinem sozialen Leben.“ Dass jene Freizeit manchmal extrem knapp bemessen war, sagte Romana nicht, denn das war auch nur eine Kehrseite der Medaille – in manchen Zeiten des Jahre gab es tagelang nichts zu tun außer Feuerwache und Türdienst. “Du kannst zur Obervestalin werden, der mächtigsten Frau Roms nach der Augusta! Die Möglichkeiten, dein Leben frei zu gestalten, wie du es ausdrückst, sind phänomenal, wenn du Vestalin bist! 30 Jahre lang, oder auch mehr, hast du natürlich Pflichten, aber auch Macht, sowohl göttlicher wie auch weltlicher Natur, die du dir zunutze machen kannst. Du wirst eine Ausbildung bekommen, die ihresgleichen sucht. Und alle werden dir mit Respekt begegnen.“ Bis auf Vescularius Salinator. “Das klingt für mich viel eher nach Selbstverwirklichung, als bis zur Stunde deines Todes irgendwo in einer Villa zu hocken, ein hübsches Gesicht zu machen und dann irgendwann tot umzufallen, ohne eine spürbare Marke in der Geschichte hinterlassen zu haben. Denkst du nicht auch?“

  • Ein Lächeln huschte über Narcissas Gesicht. Das erste Mal, seitdem sie sich begegnet waren. „Lass nur“, entgegnete sie. „Aber vielleicht sollten wir hier tatsächlich weg und uns dorthin setzen, wo es etwas ruhiger ist“, Das Thema ihrer Unterhaltung war ihr zwar kein angenehmes und diese junge Frau schien auch bei weitem nicht zu jener Sorte zu gehören, die ein Blatt vor den Mund nahm und auch unangenehmes aussprach, aber sie würde ihr keinesfalls ausweichen. Dennoch, das musste man schon sagen, hatten sich die beiden Frauen nicht unbedingt den sichersten Platz ausgesucht, um die Köpfe zusammen zu stecken. Um sie herum bewegte sich nach wie vor eine grölende, Steine werfende, feiernde Menge und ihre beiden custodes zuckten ein ums andere Mal zusammen, als ein graues Etwas über die Köpfe ihrer Herrinnen hinweg flog.


    „Ja…ich meine so war der Name seiner Verlobten…“, bestätigte Narcissa mit einem nachdenklichen Stirnrunzeln. „Meiner Schwester und mir war es bisher leider noch nicht vergönnt, sie persönlich kennen zu lernen.“ Das bezog sich nicht nur auf seine zukünftige Frau, sondern auch auf Orestes selbst, den sie bisher nur ein einziges Mal zu Gesicht bekommen hatten. Anfänglich hatte er ihr noch gefehlt, mittlerweile war er in eine Art Nebel eingegangen. Sie wusste, dass er da war, dass sie ihn nicht sehen konnte, aber es tangierte die junge Aurelia nicht mehr. Zumindest hatte es das, bis er Corvinus vorgeschickt hatte, um ihr seine Pläne darzulegen. Narissa sah Sorge in Romanas Zügen aufflackern. „Nein, keine Sorge…Es geht ihm gut. Er ist nur…hm…ich würde sagen er ist verschollen zwischen Schreibkram und Arbeit und ist so beschäftigt, dass er im Moment seiner Aufgabe als Augur eher weniger nachkommen kann“, antwortete sie nüchtern. „Nicht einmal seiner Pflicht als Bruder kommt er nach…“, Das klang schon eher nach Enttäuschung. Zuvor hatte sie immerhin noch Flora gehabt, der Zwilling, der einfach immer da war. Mit Eintritt in die Priesterschaft als discipula würde auch ihr Ebenbild in die Ferne rücken, wortwörtlich ausgeschlossen werden.


    Lucretia Lucilla, Mutter der aurelischen Zwillinge war stets der Ansicht gewesen, dass es keine größere Ehre gab, als der Familie zu dienen. Über Jahre hinweg hatte sie ihren Töchtern deshalb eingebläut sich stets den Wünschen ebendieser zu beugen. Ohne jede Rücksicht.
    Der Aurelia waren aber auch gegenteilige Äußerungen nicht unbekannt. Man traf nicht auf viele Frauen, die sich laut ein selbstbestimmtes Leben wünschten, die Ehe verteufelten und dann den bewaffneten Widerstand ausriefen. Ohne jede Rücksicht. Man traf sie nicht oft, aber man konnte sie finden. Und diese Priesterin? War das Bitterkeit, die aus ihr sprach? War das ihre ureigene Meinung oder nur etwas, das sie sich zurecht gelegt hatte, um den Dienst als Priesterin zu ertragen? Es mutete ihr kaltherzig an, der Vortrag der jungen Claudia. Mochte sie in den Augen der anderer naiv erscheinen – sie gab es selbst zu - , im Grunde war es eher das Hoffen auf das Eintreten des bestmöglichen Falles. So ganz konnte sich Narcissa den Ausführungen Romanas nicht verwehren, die in so etwas wie einer Lösung gipfelten. Immerhin war auch sie ein eher rational als emotional geprägter Mensch. In Normalfällen.


    Das Licht wurde ein Stück verrückt und sie nahm die junge Frau anders wahr als zuvor. Womöglich war auch sie auf der Suche nach einem gewissen Grad von Selbstbestimmtheit, Freiheit gewesen – und hatte für sich auch, wenn auch nicht weniger radikale, Antwort gefunden. Aufmerksam lauschte Narcissa Romanas Worten, nahm sie für sich auf, ließ aber noch nicht erkennen, was sie tatsächlich davon hielt. Es klang verlockend, war weniger schreckenserregend als das, was sie sich vorgestellt hatte. Und dennoch – das was ihr Romana servierte war nur eine Seite der Medaille.
    Warum bist du Vestalin geworden?“ Die beiden Frauen hatten sich inzwischen aus der Menge heraus bewegt und steuerten nun eine ruhigere Seitenstraße an. In der war immer noch genug los. Desto weiter sie sich jedoch vom Zentrum der Feierlichkeiten entfernten, desto menschenleerer wurde es um sie herum.

  • Romana hatte es schon bezweifelt, doch Narcissa strafte dem Gedanken Lügen – die Aurelia war tatsächlich und wirklich in der Lage zu lächeln! Eine leichte Befürchtung hatte die Claudia ja schon gehegt, dass Narcissa den ganzen Tag wie ein Bock einherschaute. Diesen Gedanken konnte sie nun ad acta legen. Romana entgegnete das Lächeln. “Sehr gut“, machte sie, als die Aurelia ihren Vorschlag gar wohl auffasste, und deutete in eine Richtung hin, wo die Menge weniger dicht war, weg vom Umzug, hin zu einem Ort, wo Romana beschauliche Plätze wähnte. Besorgt aber glitt ihr blick nach oben, als sie sah, wie ein Stein über die Menge flog. Das war ja gemeingefährlich! Nichts wie weg von hier, auch wenn sich Romana innerlich sehr ärgerte, dass ein paar Kerle sich herausnahmen, diese religiöse Zeremonie so dermaßen zu entweihen.


    Romana nickte, als die beiden Frauen sich ihren Weg aus der Menge herausbahnten, oder besser, sich von ihren Custodes respektive Liktor einen Weg herausbahnen ließen. Dann hatte sie also richtig gelegen. “Ah, Tiberia Arvinia. Eine sehr nette, hübsche Frau, mit ihr hat dein Bruder gewiss einen guten Fang gemacht. Aber ich habe jetzt schon ewig nichts mehr von ihr gehört. Hmm.“ Vielleicht hatte sich Arvinia so zurückgezogen, weil ihr Verlobter selbiges gemacht hatte?


    Sie legte ihre Stirn in Runzeln, und es zogen sich ihre Augenbrauen zusammen, als Narcissa erzählte, was Orestes so trieb. Ein Augur, der seinen Aufgaben als Augur nicht nachkam? Nun gut, das wäre nichts, wovon man noch nie etwas gehört hätte. Viele berühmte Auguren der Geschichte – Pompeius Magnus, Tullius Cicero, Licinius Lucullus, Marcus Antonius – waren durch komplett anderes bekannt als ihr Augurentum. Dass Aurelius Orestes den Worten der Aurelia nach aber auch in seinen Familienpflichten versagte, mochte da schwerer wiegen. Sie blinzelte für einen Augenblick verblüfft über die Pflichtvergessenheit, die die Aurelia ihrem Bruder unterstellte. Aber gut, so mochte es gehen. Wenn sie an Lucius dachte... was tat der für seine Familie? Er bewegte nicht einmal eine Arschbacke, um den ruhmreichen Namen der Claudia weiterleben zu lassen. Es war ein Trauerspiel. Wieso versuchte er sich nicht einmal an einem Vigintivirat? Romana verstand es nicht, und es mochte nicht das erste Mal, dass eine Welle des Frustes in ihr hochschoss, dass sie eine Claudia Romana, und kein T. Claudius Romanus geworden war. Sie hätte sicher nie ihre Familie so hängen lassen wie Lucius, oder wohl auch Orestes.


    Den Gedanken wischte sie innerlich weg mit einer enervierten Handbewegung, die ihr einen Moment später Leid tat, denn es war nun möglich, dass Narcissa dies auf sich selber beziehen könnte. Die junge Frau hörte derweil ihrer Tirade zu, ohne in irgendeiner Weise darauf zu reagieren; an ihrem Gesichtsausdruck konnte Romana nichts absehen. Dann jedoch stellte die Aurelia eine Frage, die wenig mit Romanas Rede zu tun hatte, und die die Claudia überrumpelte. “Öh.“ Der Grund, warum sie sich den Vestalinnen angeschlossen hatte, war einer, den Romana nicht gerne erzählte, nur Wenige wussten darüber Bescheid.


    “Setzen wir uns doch erst einmal.“ Sie deutete auf eine Bank, die dankbarerweise gerade jetzt nun vor ihnen aufgetaucht war, als ob ein gnädiger Gott sie für die beiden Frauen aus den Boden hätte wachsen lassen.


    “Also, Aurelia. Jetzt möchte ich dir eine Gegenfrage stellen: wie kommst du darauf, dass ich mich freiwillig gemeldet habe und nicht, wie die meisten Vestalinnen, vom Los gezogen worden bin?“ Sie legte den Kopf leicht schief, als sie auf eine Antwort wartete.

  • Die Claudia musste die Verlobte ihres Bruders zweifelsohne näher kennen. Dass sie gut über die Tiberia sprach war beruhigend. Zu ihrem eigenen Missfallen war sie Orestes nicht näher gekommen und kannte ihren Bruder daher echt wenig. Seine Frauenwahl ließ weitere Rückschlüsse auf ihn zu. Auch wenn es ihr anders viel lieber gewesen wäre – manches…vieles konnte man sich leider nicht aussuchen. Vor allem nicht als Frau. „Ich würde sie gern kennen lernen. Vielleicht hat sie sich über den Sommer aufs Land zurück gezogen…“, vermutete Narcissa. Das taten ja immerhin die meisten Patrizier.


    Ihr Bericht über Orestes schien der Vestalin indessen nicht sehr zu zusagen. Sie sah es an der Art, wie Romana die Stirn in Runzeln legte und sich eine scharfe Falte zwischen ihren schmalen Brauen bildete. Angesichts ihrer offenkundigen Missbilligung tat es ihr fast schon Leid, dass sie so hart mit ihm ins Gericht gegangen war. Denn so ganz und gar ließ er seine Familie ja doch nicht im Stich. Er engagierte sich öffentlich und versuchte seiner Familie Ehre zu machen. Wenn man es außerdem genau nahm, dann hatte man ihm die Zwillinge ohne ihn zuvor zu fragen einfach aufs Auge gedrückt. Vielleicht hatten sie gar nicht in seine Lebenssituation gebracht. Dass er sie beide gar nicht hatte aufnehmen wollen, wurde umso logischer, als sie daran dachte, wie schnell er sich darum gekümmert hatte, dass er sie wieder los wurde. Dennoch verspürte Narcissa den Drang ihn gegenüber der Claudia in Schutz zu nehmen: „Ich bin mir sicher, dass es ihm sehr unrecht ist seinem Amt als Augur nicht nachkommen zu können….“ – Leicht zu durchschauende Spekulation. „Bestimmt wird er wieder öfter da sein, wenn er die Dinge für sich geordnet hat.“


    Mit einem Stirnrunzeln quittierte Narcissa Claudias Handbewegung. Sie überdachte noch einmal rasch ihre letzten Aussagen, um den Ursprung ihres Unmuts zu erkunden. Entweder es war nach wie vor Orest, oder es war etwas, dass sie selbst von sich gegeben hatte. Vielleicht war es ihre allzu freigiebige Art mit Informationen. Es war recht unklug gewesen, der Vestalin Einblick in das Familienleben gegeben zu haben. Dafür kannten sie sich weiß Gott noch nicht gut genug. Dabei war sie eigentlich immer äußerst Bedacht auf ihre Worte. Selten kam ihr etwas über die Lippen, das unangebracht war, hatte sie es sich doch unlängst zur Gewohnheit gemacht, erst zu zuhören, Informationen zu sammeln, dann darüber nachzudenken und Schlüsse zu ziehen, zu sondieren und zum Schluss erst Antwort zu geben. Es war etwas, dass sie von ihrem Zwilling unterschied. Flora lag das Herz zuweilen auf der Zunge. Doch blieb nicht genug Zeit sich darüber weiter Gedanken zu machen. Überrumpelung machte sich auf Claudias Zügen breit. Sie deutete auf eine Bank, die neben einem Hauseingang an der Wohnhauswand stand. Es war eine typische Insula, wie man sie zu Hauf in der Innenstadt vorfand. „Verzeih – ich wollte dir nicht zu Nahe treten!“, beeilte sie sich zu entschuldigen, als sie sich auf der Bank niederließen, während sich die Leibwächter aufstellten. Jetzt war es Narcissa, die erstaunt war.


    Ja, warum eigentlich nahm sie an, dass die Claudia freiwillig Vestalin geworden war. Die junge Aurelia hielt kurz inne und antwortete dann ihrer Intuition folgend, in dem sie Romana ins Gesicht sah. „Nun…ich glaube es ist die Art und Weise, wie du über das Amt sprichst.“ Die Leidenschaft in ihren Augen war nur bei Menschen zu finden, die sich ganz und gar einer Sache verschrieben hatten und davon überzeugt waren das richtige zu tun. „Du musst dich freiwillig gemeldet haben…“

  • Nachdem Romana ihr von ihrer hohen Meinung über Arvinia erzählt hatte, sagte Narcissa etwas davon, dass sie Arvinia gerne kennen lernen wollte. Kennen lernen? Also kannte sie nicht einmal die eigene zukünftige Schwägerin? Scherte sich dieser verlotterte Bruder, der sein heiliges Amt vernachlässigte, und noch schlimmer, seine Familie, denn um rein gar nichts mehr? Freilich ließ sich Romana nach außen hin nichts anmerken von ihren Gefühlen, und dämpfte ihre negativen Gedankengänge dadurch, indem sie sich in Erinnerung rief, dass sie eine Claudierin war. Und somit fein raus war aus diesem unorganisierten Haufen, der sich Gens Aurelia nannte, wo es, wenn man sich das anhörte, drunter und drüber gehen musste. Aber zum Schaden musste nicht Romana noch den Spott hinzufügen – das würde nicht gut kommen – sondern gab einfach nur vor, den Satz gefressen zu haben. “Ich bin sicher, dass du sie mögen würdest“, machte sie allerfreundlichst. “Aber wo sie ist, weiß ich nicht.“ Vom Erdboden verschwunden würde sie schon nicht sein.


    “Sicherlich, keine Frage“, entgegnete sie, wiederum sehr höflich, während sich ihre Stirn glättete, auf Narcissas weitere Versuche, ihren Bruder in Schutz zu nehmen. Dass sie aber nicht sagte, was Orestes aufhielt, konnte Romana nur vermuten, dass es etwas war, von dem die Aurelier nicht gerne wollten, dass es ans Tageslicht kam. Und deshalb würde Narcissa das auch nicht breittreten wollen, und es wäre unangemessen, da weiterzuhacken. Romana war von natur aus kein Mensch, der sonderlich an Klatsch und Tratsch interessiert war, und war sich ziemlich sicher, dass sich das Augurenkollegium selbst zu helfen wusste in so einer Situation.


    Das Stirnrunzeln der Aurelia war unübersehbar, als Romana mit der Hand rumfuchtelte. Die Claudia könnte sich eine Ohrfeige geben für ihr Getue, aber nun war es zu spät. So kam nur ein kurzes, gezwungenes Grinsen zwischen ihren Lippen hervor. Vor ihrem geistigen Auge erschien das strenge, mütterliche Gesicht der Obervestalin Pomponia Pia. Eine Vestalin, Claudia, sagte das Gesicht, darf sich nie eine Blöße geben, und nie die Contenance verlieren! Manchmal waren die strengen Anforderungen doch etwas... anstrengend. Romanas entschuldigendes Lächeln wich, ohnehin kam das Gespräch auf etwas anderes.


    Die Claudia winkte ab, als sich Narcissa entschuldigte, während sich die beiden hinsetzten und sich ihr Liktor nicht weit von ihr aufstellte. “Nein, nein, schon recht!“, behauptete sie. Und dann hoben sich zuerst ganz, ganz leicht ihre Mundwinkel, bevor sie loslachte. Sie schüttelte ihren Kopf, als das Lachen verebbte. “Jetzt musst du mir verzeihen! Aber, weißt du was? Du bist eine augezeichnete Menschenkennerin, Aurelia. Ja, es stimmt, ich habe mich freiwillig entschlossen.“ Sie rieb sich kurz ihre Stirn und schaute dann Narcissa in die Augen. “Dann hör gut zu, ich erzähle dir, was geschah. Ich bekam den Auftrag, ins Atrium Vestae zu gehen, von der Göttin selbst. Sie erschien mir, und gab mir den Auftrag, ich solle als Vestalin die alte Religion bewahren, und gefährlichen, neumodischen Kulten, die nach Rom aus dem Osten übergreifen wie ein Geschwür, somit Einhalt gebieten!“ Das Feuer des Fanatismus loderte wie aus dem Nichts in Romanas Augen auf – wenn sie über die Religion sprach, hatte die sonst so pragmatische Romana kaum mehr etwas Bodenständiges an sich. “Wir Vestalinnen sind das Bollwerk gegen Christen, Mithraisten, Cybeleschweinepriester, und sonstigen Scharlatanen und Sektenspinnern hier in Rom!“, ließ sie eine volle Breitseite gegen untraditionelle Kulte donnern. Sie zwang ihren Atem dazu, nicht zu schwer zu gehen vor Empörung. “Und selbst wenn niemand in Rom mehr für die alten Götter einsteht, werden wir es noch immer tun. Auf dass Rom das bleibe, was es ist.“ Voller religiöser Inbrunst fasste sie die Aurelia an eine ihrer Schultern. “Und wenn du, Aurelia, dich uns anschließt, wirst du ein Teil davon. Du würdest dazu beitragen können, dass hier in dieser Stadt nicht alles vor die Hunde geht. Du würdest die Möglichkeit bekommen, unsere Macht, unsere Stellung unter allen Völkern, unsere Werte, unsere Stadt, unsere Religion zu bewahren, mit all deinen Kräften den Zerfall, der Not und Elend für uns alle bedueten würde, zu bewahren. Es würde an dir liegen.“ Neugierig blickte sie Narcissa an. Hatte sie nun ihr Interesse geweckt?

  • Der Claudia gelang es meisterlich ihre Gedanken zu verbergen, ein Grad der Perfektion, wie ihn nur Mädchen aus patrizischen Hause ihn durch zu exerzieren vermochten. Sie schien ihre Verteidigung jedenfalls zu billigen. „Sie wäre dann die zweite Tiberia in unserem Haus...“, meinte Narcissa , um von ihrem Bruder ab – und zu erfreulicheren Dingen hin zu lenken. Nun ja, vielleicht wäre es die beste Verteidigung gewesen, einfach zu zu geben, dass der Aurelier fernab von Roma mit einem Fieber kämpfte. Aber Fieber machte sich nun mal nicht so gut. Von der drohenden Auflösung der Verlobung ahnte sie noch nichts. Kurz fragte sie sich wie es Septima wohl in diesem Soldatenlager in Mantua erging, so weit weg von der Familie. Sie vermisste sie ehrlich und nahm sich vor so bald wie möglich einen Brief an die angeheiratete Verwandte aufzusetzen. „Tiberia Septima ist mit meinem Cousin Aurelius Ursus verheiratet...“, fügte sie vorsichtshalber hinzu, hatte sie schließlich keine Ahnung ob ihr der Name ein Begriff war.


    Vom wilden Herumfuchteln ging Romana im Laufe ihrer Antwort erst auf ein feines Lächeln und dann in ein lautes Lachen über, sodass sich sogar ihre beiden Bewacher zu den Frauen umdrehten und sie mit gehobenen Augenbrauen musterten. >Macht sie sich über mich lustig?<, war der erste Gedanke, der unmittelbar hinter der aurelischen Stirn aufflammte. Dann >Nein, doch nicht...< Ihre empörte Verwirrung wich leiser Verlegenheit. Eine >ausgezeichnete Menschenkennerin<. Eigentlich hatte nicht sehr viel dazu gehört, im Gesicht der Claudia zu lesen, zumindest was ihren Dienst bei den Vestalinnen betraf. Ein Paar brauner Augen traf die ihren, als wollte die Claudia sie beschwören.
    Und dann war es sie, die sich zusammenreißen musste, um nicht ihre Gedanken zu verraten.
    Religion war ja schön und gut, aber das, wovon die Vestalin sprach, prallte krachend gegen ihren rationalen Verstand, in dem es keinen Platz für Visionen und Aufträge von Göttern gab. Einen Moment lang glaubte sie, Romana mache Scherze oder vielleicht hatte die junge Frau auch einfach irgendeine Droge zu sich genommen. Als sie aber den Fanatismus in Romanas Augen aufflammen sah, war sie davon überzeugt, dass es gar keine andere Möglichkeit gab, als dass es wahr war. Zumindest musste die Claudia einen solchen Traum gehabt haben und felsenfest daran glauben, andernfalls wäre sie in letzter Konsequenz niemals Vestalin geworden. Sie betrachtete die Priesterschaft als das römischste, das es gab, als Bewahrer der Tradition. Einer Tradition in welcher Frauen „an irgendeinen besitzergreifenden Mann“ verheiratet wurden, „der aufpasst, dass seine Frau ja auch nichts tut, um seine Ehre zu beflecken, der dich zu Geschlechtsverkehr zwingt, der dich unterjocht.“, wie sie selbst gesagt hatte.
    Jeder andere hätte die Claudia jetzt wohl für übergeschnappt gehalten, als sie dazu überging die Priesterschaft als Bewahrer Roms zu erheben, Narcissa jedoch nicht. Sie lauschte aufmerksam ihren Worten, beschworen durch die Augen, die sie festhielten und innen ein fanatisches Feuer loderte. Es war nicht das, was Romana sagte – zumindest nicht in erster Linie – sondern wie sie es mit tief empfundener, inbrünstiger Überzeugung vortrug.
    „Es ist beeindruckend, was du da sagst“, erwiderte Narcissa auf ihren neugierigen Blick. „Wirklich beeindruckend.“ Sie schwieg einen Moment, kaute nachdenklich auf ihrer Unterlippe. „Du hast eine Aufgabe gefunden – und du wusstest, welchen Preis du dafür zu zahlen hast. Das ist selbstlos...“, Für sich selbst konnte die Claudia wohl kaum etwas heraus ziehen. „Bereust du es manchmal?“ Eigentlich ergab sich die Antwort schon aus der Art und Weise, wie Romana über ihren Dienst sprach, dennoch wollte sie es aus deren eigenem Mund hören.

  • Romana hatte sich nie für eine ausgezeichnete Schauspielerin gehalten, Narcissa jedoch schien sie nicht zu durchschauen – zumindest, wenn sie es tat, machte sie nicht den Anschein, als ob sie es täte. Gut, dachte sich Romana, die interessiert Narcissa zuhorchte, als diese es schaffte, das Gespräch auf andere Bahnen zu lenken. Eine zweite Tiberia – sprach sie gerade von Septima? Tatsächlich! “Auch sie kenne ich“, machte Romana lächelnd, sich sehr weltmännisch vorkommend dafür, dass sie diese Namen alle kannte. Ja, Septima befand sich eindeutig in ihrem Bekanntenkreis, auch wenn sie einige Zeit nichts mehr von ihr gehört hatte – außer aus zweiter Hand die Tatsache, dass sie mit ihrem Mann, den sie ja flüchtig kennen gelernt hatte auf dem Tag nach der Hochzeit, der so katastrophal geendet hatte für sie wie ohnehin alle Feiern, auf die sie ging (Unziemlich angegrabscht werden, auf einer Latrine vor Magenkolik fast elend krepieren, jemand anderen von oben bis unten mit Kuchenbröseln verdrecken, sich als Vestalin unglücklich verlieben – was war davon das Schlimmste? Wohl die Latrinengeschichte, wenn sie es sich überlegte, knapp vor den anderen). “Ich war auf der Feier, die sie nach der Hochzeit feierten“, gab sie zum Besten – wie schön es war, ein integriertes Element der römischen Gesellschaft zu sein? Oder auch nicht, denn die Banden waren zerbröselt, vor allem, seit Calvena und Septima weg waren, und sie Serrana aus dem Weg ging, weil sie überzeugt war, dass ein Fluch auf ihr lastete.


    Das ein wenig undamenhafte Lachen der Claudierin schien gar nicht recht gut anzukommen, und Narcissa war wohl ein bisschen irritiert, bis sich Romana auch, noch immer lachend, entschuldigte. Sie hatte selber keine Ahnung, warum ihr das so komisch vorgekommen war – wohl, weil das, was die Aurelia gesagt hatte, haargenau auf sie gepasst hatte.


    Romanas Wetterei traf auf keinen verbalen Widerstand der Aurelia. Wenn diese meinte, dass Romanas Worte widersinnig oder gar schwachsinnig wären, dann verriet sie es nicht. Ja, Religion war etwas, wofür Romanas Herz schlug. Andere mochten ihre Überzeugungen als Superstitio und hanebüchen ablehnen. Sie aber kam erst richtig in Fahrt, wenn solche Vorwürfe kamen. Das, was die Alten gelehrt hatten, das, was althergebracht war, das und dafür wollte Romana leben. Es mochte Aspekte in diesen Weisheiten geben, die sie selber weniger mochte – doch würden sie nicht existieren, hätten die Götter sie nicht gewollt! Das Schöne war – Romana wäre vielleicht keine gute Matrone geworden (viel eher hätte sie einen Ehemann tyrannisiert und komplett unter die Pantoffel gebracht), doch die Götter hatten ihr den Weg der Vestalin mitgegeben, ein Weg, der genau richtig für sie gewesen war! Denn alles war weise vorbestimmt von den Parzen, alles, innerhalb der Ordnung der Götter. Und eine Missachtung der Mos Maiorum, da war sie sich ganz sicher, beschwörte den Zorn der Götter herbei. Doch sie waren immer gerecht, sie gaben den Menschen sogar Prodigien in ihrer grenzenlosen Weisheit und Einsicht, und waren immer versöhnungsbereit, wenn man ihnen ein gutes Opfer brachte. Und deshalb liebte Romana die Götter so sehr, wie sie sie fürchtete. Und noch mehr, was sich gegen diese Götter richtete, war ihr zutiefst suspekt.


    Von der inbrünstigen Predigt zitterte ihre linke Hand noch immer, als sich die Aurelia wieder traute, etwas zu sagen. Ein leichtes Lächeln zeigte sich auf den Lippen der Vestalin, als sie die Hände von Narcissa runternahm. War es selbstlos gewesen, dass sie Vestalin geworden war? Gut möglich. Doch hatte es ihr das gegeben, wonach sie gesucht hatte. Erfüllung. Einen Auftrag. Einen Lebenssinn. Die Möglichkeit, die Welt im Gleichgewicht zu bewahren, indem man den Status Quo verteidigte wie das eigene Leben.


    Ob sie es manchmal bereute? Romana zögerte kurz, nur den Bruchteil einer Sekunde zu lange. Sie dachte an Sedulus. Was für ein wundervoller Mann... und wie sehr sie sich bei Calvena darüber ausgeheult hatte, weil sie ihn nicht haben konnte. Doch die Liebe war scon abgeflaut in ihr drinnen... denn Liebe verging schnell. Eine Ehe musste aus Respekt und Vertrauen gebaut sein, Liebe war sekundär. Ob sie es auch lange mit einem Sedulus an ihrer Seite ausgehalten hätte? Wohl nicht. Schon alleine, weil er ein Plebejer war – und welch unglückselige Närrin musste man sein, um als Patrizierin einen Plebejer zu heiraten? Noch dazu als Claudia? Nein! “Nein“, antwortete sie unbewegten Gesichtes. “Nicht im Geringsten.“

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