[Ludus Dacicus] Gladiatorenschule

  • [Blockierte Grafik: http://img823.imageshack.us/img823/1926/malachi2.jpg]


    Der Scriba des Lanista kam kurzzeitig in die Arena und winkte einen der drei doctores herbei, wechselte mit ihm ein paar Worte. Malachi beachtete sie nicht weiter, sondern hieb weiter brav auf seinen palus ein, wie es ihm als Übung aufgetragen worden war. Präziser sollte er werden. Wuchtiger. Was zur Folge hatte, dass er versuchte, eine Kerbe so präzise und wuchtig wie möglich immer wieder zu treffen, ohne dass er sich dabei einen Muskel im Arm zerrte. Er ließ sich auch nicht von seiner Übung ablenken, als sowohl Scriba als auch doctor immer mal wieder zu ihm herschauten. Er war nicht dumm und wusste, dass irgendwas da auf ihn zukam. Nur war es ihm schlicht gleichgültig.
    Er erinnerte sich an die Frage, die ihm seine Herrin gestellt hatte, als sie ihn gekauft hatte. Ob er keine Angst hatte, zu sterben. Hatte er nicht, hatte er schon sehr lange nicht mehr. Die Angst war gegangen, als man ihn hierher gebracht hatte. In Iudaea, da hatte er ständig Angst gehabt. Ob sie genug Wolle auf den Märkten tauschen konnten. Ob die Ziegen genug Milch geben würden. Ob der Brunnen noch Wasser führen würde. Ob eine römische Patrouille ihn oder seine Frau auf dem Weg einfach so aufgreifen und töten würde. Als man ihn zum Sklaven gemacht hatte und nach Rom verschifft hatte, nachdem so viele andere einfach erschlagen worden waren, da hatte er Angst gehabt. Doch irgendwo in diesen Mauern, während er immer wieder auf dem Boden knien musste und darauf warten, ob der Lanista ihn doch wirklich töten lassen würde oder es wieder nur eine Übung war, irgendwo, als er seinen ersten Gegner getötet hatte, irgendwo da hatte die Angst aufgehört. Er hatte sich damit abgefunden, dass die Dinge eben passierten, und dass der Tod wie ein Begleiter immer neben einem war. Das war nichts, wovor man sich fürchten musste. Nichts, vor dem man fliehen konnte.
    Und dieses Wissen gab ihm die Ruhe, einfach hinzunehmen, dass der doctor wohl etwas mit ihm plante. Vielleicht würde er dabei sterben, und seine kleine, verrückte Herrin würde auch nichts daran ändern können. Vielleicht würde er leben. Vielleicht war es unangenehm, vielleicht angenehm. Es machte alles keinen Unterschied. Er wiederholte nur geduldig seine Übung, bis der doctor ihn schließlich zu sich rief. “Du, komm her!“
    Malachi nahm das Schwert mit der Schneide nach unten, wie es ihm ebenfalls eingehämmert worden war, und trat im Laufschritt auf den Ausbilder zu, um direkt vor ihm mit ergeben gesenktem Kopf stehen zu bleiben. “Ja, doctor?“
    “Wir kriegen einen Neuen. Du sollst mit ihm kämpfen, damit er zeigen kann, was er drauf hat. Mach ihn aber nicht gleich kaputt.“
    Malachi nahm die Information auf. Nur kurz huschte die Frage durch seine Gedanken, warum ausgerechnet er das tun sollte, was sonst ein Ausbilder selber tat, während die anderen zusahen. Aber im Grunde war das nicht weiter von Belang. Er würde so oder so gehorchen müssen, warum also den Befehl in Frage stellen? Er nickte nur einmal und wartete so auf den Tirones.


    Malachi lockerte gerade ein wenig seine Muskeln und federte leicht auf der Stelle, als der Mann eintrat. Er war ein bisschen kleiner als er selber, aber nicht viel. Nicht genug, als dass es ein Vor- oder Nachteil wäre. “Tiro“, lenkte er dessen Aufmerksamkeit auf sich und machte eine herwinkende Handbewegung mit dem Schwert, Schwertspitze zur Sicherheit nach unten. Wer wusste schon, wie nervös der Kerl war. Einige starben beinahe, wenn sie die Arena das erste Mal betraten. Das waren auch meist die, die die erste Woche schon nicht mehr überlebten. Aber hier wollte er dem Neuling keine Angst machen.
    “Mach dich ein bisschen warm und locker deine Muskeln. Schonmal gekämpft?“ Bevor Malachi auf ihn eindrosch, wollte er wissen, wie vorsichtig er dabei sein musste. Immerhin sollte er ihn nicht gleich kaputt machen, wie der doctor so schön gesagt hatte.

  • Flüchtig runzelte sich seine Stirn, als Shayan hörte, wie der andere ihn ansprach. Tiro. Er hatte keine Ahnung, was das war, aber es klang nach einem Namen. Vielleicht war ihm einfach irgendeiner gesagt worden, wer wusste das schon. „Nicht Tiro. Shayan“, verbesserte er ihn, während er sein Gegenüber musterte. Ein bisschen größer als er, augenscheinlich auch muskulöser. Nicht wirklich verwunderlich. Vermutlich war jeder der Gladiatoren hier muskulöser als er. Shayan presste kurz die Lippen aufeinander, und wieder dachte er an seinen Bogen. Daran, dass er hier vermutlich nicht ganz an der richtigen Stelle war. Er ahnte schon, was gleich passieren würde, es gab gar keinen anderen Ausweg. Er war nicht hier, um möglichst bald eine Rückzugsmöglichkeit zu finden. Aber es hatte keine Möglichkeit gegeben, seine Meinung zu dem Ganzen kund zu tun. Und so wie er seine Herrin jetzt schon einschätzen konnte, hätte sie vermutlich trotzdem darauf bestanden, dass er kämpfte. Nein, es hätte wohl nicht viel Sinn gehabt, wenn er versucht hätte sie zu zwingen zuzuhören. Außer womöglich irgendeiner Strafe, die er sich eingefangen hätte. Und da war es ihm allemal noch lieber, zu kämpfen, selbst wenn er in diesem Kampf kaum eine Chance hatte.


    Er folgte den Worten des anderen und begann, sich aufzuwärmen, seine Muskeln zu lockern, und seine Bewegungen zeugten davon, dass er das bei weitem nicht zum ersten Mal machte. Er sagte jedoch nichts zu dem Kommentar des anderen, nichts in der Richtung, dass er ihm das nicht sagen müsse, dass er Bescheid wisse, vielen Dank auch. Der andere konnte es nicht wissen, und selbst wenn, es war einfach unnötig. Nur auf die letzte Frage hin blickte er auf. „Ja. Mehr als einmal.“ Er ging dazu über, seine Schultern und Oberarme zu lockern. „Allerdings: kaum mit dem Schwert. Ab und zu ein Training, selten im Ernstfall. Ich bin Bogenschütze.“

  • [Blockierte Grafik: http://img823.imageshack.us/img823/1926/malachi2.jpg]


    Ja, offensichtlich noch kein Tiro. Allerdings dachte Malachi das, ohne dabei zu lächeln. Der andere war wirklich neu, ganz neu. Nicht nur neu in dieser Schule, sondern so neu, dass er wohl noch in keiner Arena gestanden hatte. Eher ein novicius. Und Shayan... als Rang war dieses Wort Malachi unbekannt. Er vermutete, es war der Name.
    Er nickte nur einmal kurz und machte sich selber etwas locker. Leicht beobachtete er sein Gegenüber und schätzte ihn gewohnheitsmäßig ab. Er hatte einen trainierten Körper, wenngleich nicht so trainiert wie die übrigen hier. Gute, stabile Grundmasse, würde er sagen. Und er hatte gutes Gleichgewicht. Kein hoffnungsloser Fall.
    Sein Blick glitt kurz zum Ausbilder, der schon etwas ungeduldig wirkte. Sie sollten ja nicht hier stehen und sich unterhalten, sondern kämpfen und zeigen, ob der Neue brauchbar war. Unterdessen antwortete der Parther auf die Frage, und Malachi nickte nochmal. “Wenn sie dich nehmen, wird sich das ändern. Zeig erstmal ein paar Angriffe. Komm.“ Malachi ließ sein Schwert einmal auf seinem Schild klingen. Das Geräusch war dumpf und hohl, aber irgendwie beruhigend. Zumindest für den Juden, es sagte ihm, dass das Schild noch da war. Er ging in eine leicht defensive Stellung und wartete auf den ersten Angriff.

  • Keine Vorstellung. Nun gut, Shayan hatte sich auch nicht im eigentlichen Sinn vorgestellt, aber er hatte immerhin seinen Namen genannt. Aber nun, er war noch nie auf einen Gladiatoren getroffen. Vielleicht war es so üblich in der Arena, immerhin: keiner wusste wohl, wie lange er noch zu leben hatte. Und wer den Tod letztlich verantworten würde. Vielleicht spielten Namen dann keine allzu große Rolle. Im Heer war das anders, aber das war auch nicht weiter verwunderlich. Man hatte Kameraden, man verließ sich aufeinander, man musste sich aufeinander verlassen können. Nur wie die Gegner hießen, gegen die man kämpfte und die man tötete, interessierte einen auch nicht weiter. Shayan ging davon aus, dass er wohl noch früh genug lernen würde, wie die Sitten in einer Gladiatorenschule waren. Vorausgesetzt, sie nahmen ihn, denn so viel hatte er begriffen, dass es nun wohl an ihm und seiner Leistung hing, ob er für fähig befunden wurde. Vermutlich war es tatsächlich gut, dass man ihm zwei Schwerter gegeben hatte – vermutlich auf Wunsch seiner Herrin, jedenfalls ging er davon aus. Seine Rüstung war leichter, ließ ihm mehr Bewegungsspielraum und belastete ihn zugleich weniger, ebenso fehlte das Gewicht des Schilds. Die Agilität, die einen berittenen Bogenschützen ausmachte, konnte er so besser ausspielen, als wenn er Schwert und Schild gehabt hätte.


    Er beendete die Aufwärmübungen und nickte nur leicht, als der andere noch mal antwortete. Wenn sie dich nehmen, wird sich das ändern. Im letzten Jahr, seit seiner Gefangennahme, hatte sich so viel verändert in seinem Leben, dass es darauf nun wohl auch nicht mehr ankam. Dennoch versetzte er ihm einen leichten Stich, der Gedanke, dass er sich vom Bogen würde verabschieden müssen. Er konnte immer noch mit einem trainieren, aber er machte sich nichts vor: wenn er hier am Schwert ausgebildet werden würde, würde sich sein eigener Schwerpunkt verlagern. Er würde nicht wieder auf denselben Trainingsstand mit dem Bogen erreichen können, den er einmal gehabt hatte. Er konnte es versuchen und würde es, so er genügend Zeit übrig hatte, aber wieder so gut zu werden wie er gewesen war, als er im Heer mit den anderen geritten war, konnte er abschreiben. Er war immer noch besser als die meisten wohl, weil er früher mehr als nur gut gewesen war. Mit ein bisschen Training würde hier, wo ihn keiner von früher kannte, wohl kaum einem etwas auffallen. Aber er wusste es, er spürte den Unterschied. Aber nun, vielleicht sollte er froh sein, dass er überhaupt die Gelegenheit in Aussicht hatte, regelmäßig zu trainieren, und das noch dazu nicht alleine, sondern mit anderen. Und dennoch: er vermisste seinen Bogen. Und er ahnte, dass er ihn allzu bald noch viel mehr vermissen würde, ebenso wie das Gefühl zeigen zu können, was er konnte, anstatt sich in etwas beweisen zu müssen, worin er derzeit bestenfalls Durchschnitt war.


    Als es dann an den Kampf ging, ließ Shayan sich Zeit. Sein Gegenüber hatte ihn aufgefordert, den Anfang zu machen, aber er hatte nicht vor, unüberlegt einfach drauflos zu schlagen. Er war Trainingspartner seines früheren Herrn gewesen, mit Schwert und Schild und allem, was dieser so gebraucht hatte bei seinem Gegner, also war ihm auch diese Art von Kampf nicht gänzlich unvertraut – diese Art, in der er unterlegen war. Und Shayan war Krieger. Dass er wusste, dass seine Chancen schlecht standen, änderte nichts daran, dass er im Grunde dennoch gewinnen wollte. Natürlich wollte er das. Und er hatte nur eine Chance, wenigstens länger standzuhalten, wenn er bedacht handelte, wenn er sich Zeit ließ, den anderen einzuschätzen. Er führte seinen rechten Arm, ließ das Schwert in einem Standardangriff nach vorne zucken, brachte aber wieder Abstand zwischen sich und seinen Gegner, als dieser mühelos abwehrte. Er sollte Angriffe zeigen. Nun gut. Ein weiterer folgte, schneller diesmal, Shayan zog das Tempo ein wenig an – aber ebenso ein Standardangriff, nichts besonderes, das wusste er selbst. Er konzentrierte sich dennoch lieber darauf. Die Standardsachen waren die, die er immer noch am besten beherrschte, weil er sie schlicht als erstes gelernt und am häufigsten geübt hatte. Wenn man auf rasche Flucht aus war, hielt man sich nicht mit den Feinheiten der Schwertkunst auf. Ein weiterer Angriff von Shayan folgte, erneut ein wenig schneller, und diesmal lenkte er das Schwert selbst zur Seite, bevor sein Gegner parieren konnte, und ließ einen Schlag mit der Linken folgen, ungelenker als mit der Rechten, aber dennoch mit Kraft und einem gewissen Geschick geführt, das darauf hindeutete, dass auch seine Linke nicht unbrauchbar war.

  • [Blockierte Grafik: http://img823.imageshack.us/img823/1926/malachi2.jpg]


    Es dauerte eine ganze Weile, bis der Mann sich darauf einließ, ihn zu schlagen. Malachi wartete einfach nur geduldig ab und machte sich im Geist Notizen. Er war zwar kein doctor, auch wenn er vom Alter her gut und gerne einer sein könnte. Aber er war schon lange genug dabei und hatte lange genug überlebt, um sich eine Meinung über die Eigenschaften eines Mannes zu machen, der ihm gegenüber stand. Er war vorsichtig, vielleicht etwas unsicher. Gut, als Bogenschütze nicht weiter verwunderlich. Wenn große Schlachten nachgestellt wurden, gab es ab und an Sagittarii, die mit ihren Bögen Tod und Verderben brachten, allerdings auch aufgrund ihrer Gefährlichkeit dann das Ziel Nummer 1 waren. Aber die wurden hier nicht ausgebildet.
    Shayan ging überlegt vor, machte keine großen Experimente. Sehr auf Sicherheit bedacht. Keine großen Kunststücke. Malachi würde sagen, ehemaliger Soldat. Nur schnell und effizient kämpfen, ohne große Einlagen, die die eigene Haut in Gefahr brachten. Nicht schlecht, für den Anfang, wenngleich ihm die Übung fehlte, um auch nur ansatzweise durch Malachis Deckung zu brechen.


    Eine ganze Weile ließ Malachi sich einfach angreifen, ohne etwas nennenswertes dagegen zu unternehmen. Erst, als er das zufriedene Nicken des Ausbilders bemerkte, fing er an, die Schläge aktiv abzufangen. Die Rechte blockte er mit seinem Schild geschickt ab, hier war die Hauptkraft des Parthers. Die Linke benutzte er eher beiläufig, streute sie ein, wenn es ihm passend schien. Nur war er dadurch noch vorausberechenbar. Malachi wartete einen solchen Angriff ab und fing ihn mit seiner Sica ab. Ein schneller Schritt, den der Parther gut mitmachte, aber nicht gut genug. In einem ernsten Kampf hätte Malachi seine Klinge weiter gedreht und so ein Loch in seine Deckung gezwungen. Aber das hier war kein ernster Kampf.
    Ohne weitere Ansage oder Vorwarnung ging nun Malachi zum Angriff über. Ohne Schild blieb einem Dimachaerus nicht viel, um sich zu verteidigen. Er konnte die Klingen nur abfangen oder auf die leichte Rüstung vertrauen, mehr blieb ihm nicht. Und ausweichen, ausweichen, ausweichen. Malachi startete langsam, ließ dem Parther die Gelegenheit, sich auf seine Schläge einzustellen. Klinge traf auf Klinge, immer wieder auf die Linke, dann auch so weit, dass er die Rechte einsetzen musste. Schneller, härter, präziser. Wie zuvor auf seinem palus führte Malachi fast mechanisch eine Übung durch, alternierte Höhe und Kraft der Angriffe, ebenso wie ihre Geschwindigkeit.

  • Shayan wusste nicht, nach welchem Muster sein Gegner den Kampf gestaltete, aber es wurde deutlich, dass es ein Übungskampf war. Eine ganze Weile ließ ihm der andere den Vortritt, ließ ihn angreifen, und Shayan begann sich zunehmend lächerlich zu fühlen. Diese Phase seiner Ausbildung hatte er schon lange genug hinter sich, dass er es schlicht nicht mehr gewohnt war, wie ein Anfänger angreifen zu müssen, ohne dass irgendetwas kam. Am liebsten hätte er einfach aufgehört. Aber er wusste auch, dass er nicht in der Position war zu entscheiden. Ganz und gar nicht. Andere an seiner Stelle hätten nun wohl wenigstens die eine Gelegenheit genutzt, die sie hatten, um das Ganze zu beschleunigen: das Tempo noch mehr anziehen, deutlich mehr in die Offensive gehen, versuchen den Gegner so sehr zu reizen, dass er aus der Reserve kam. Shayan nicht. Seine Bewegungen blieben überlegt, während er Angriffe durchführte, um zu zeigen, was er konnte, und zugleich im Grunde darauf wartete, dass ihnen der Doctor das Ende des Kampfes befahl – oder sein Gegner endlich zur Sache kam.


    Und dann kam er endlich zur Sache. Zunächst bemerkte Shayan es nur daran, dass er seine Angriffe nicht mehr passiv blockte, sondern aktiv dagegen vorging. Und nur wenige Momente später war er der Angegriffene. Mehr noch als zuvor zeigte sich nun, wo Shayan in der Defensive war, dass er zwar wusste, wie er mit einer Klinge umzugehen hatte, aber kein guter Schwertkämpfer war. Gerade eben noch war er es gewesen, der das Tempo des Kampfes beeinflusst hatte, nun wurde die Geschwindigkeit mehr und mehr von seinem Gegner bestimmt – und da Shayan seinem Können nicht allzu viel entgegenzusetzen hatte, gab es für ihn auch keine Chance, das Ruder herumzureißen. Shayan wich weit häufiger aus als er parierte, nutzte seine Schnelligkeit und Agilität, und versuchte wenigstens, Einfluss auf den Verlauf des Kampfes zu nehmen, indem er angriff, wenn sich ihm eine Möglichkeit bot. Dennoch war klar, wer die Oberhand hatte, nun, da sein Gegner an ihrem Kampf auch tatsächlich teilnahm. Shayan blockte einen weiteren Hieb ab, vernachlässigte dabei seine Deckung und erhielt prompt den Schild gegen seine Seite. Ein weiterer Schlag folgte, abermals gegen seine Linke, und Shayan begann die Anstrengung in diesem Arm zu spüren. Dennoch parierte er den Hieb und hielt dem Druck stand, den der andere für einen Moment auf seine Klinge ausübte. Und das Tempo nahm noch weiter zu. Die Angriffe des anderen wurden schneller, und sie wurden wuchtiger – und ließen ihm immer weniger Raum, selbst in die Offensive zu gehen. Shayan steckte noch weitere Treffer einen, keinen, der ihn wirklich ernsthaft verletzt hätte, aber allesamt durchaus schmerzhaft, und bei einigen hatte er jetzt schon das Gefühl, sie später als Bluterguss auf seinem Körper betrachten zu können. Er wich einem weiteren Angriff aus, blockte, konzentrierte sich auf seinen Gegner und versuchte abzuschätzen, was als nächstes kommen würde. Ein weiterer Hieb, dem Shayan ausweichen wollte, aber sein Gegner war schneller, zog sein Schwert in einem Winkel herum, den der Parther schwerlich für möglich gehalten hätte, und im nächsten Augenblick berührte die Klinge seine Schulter, dort, wo sie in den Hals überging.

  • [Blockierte Grafik: http://img823.imageshack.us/img823/1926/malachi2.jpg]


    Löcher in der Deckung, die man noch ausmerzen musste. Zuviel Konzentration auf den rechten Arm, zuwenig auf den Linken. Wäre dies ein Kampf in der Arena gewesen unter dem Beifall des Publikums, Malachi hätte den Parther wohl zerfetzt. Oder aber, wenn noch kein Blut an diesem Tag geflossen wäre, ihn entwaffnet und auf die Knie gezwungen, und das Publikum entscheiden lassen. Immerhin gab es einen Ehrenkodex unter ihresgleichen, und es gab nur wenige unter ihnen, denen es wirklich Freude bereitete, einen anderen zu töten. Und solange das Publikum noch kein Blut geleckt hatte, waren die Chancen größer, die Arena lebendig zu verlassen. Je weiter der Tag voranschritt, umso mehr forderte die hungrige Meute ihren Zoll.
    Aber er war brauchbar, zumindest nach Malachis Meinung. Wahrscheinlich weit brauchbarer als er selbst gewesen war. Er selber war nur ein aufständischer Ziegenhirte gewesen, und es war fast ein göttliches Wunder, dass er nicht wie so viele andere am Kreuz gelandet war, sondern in der Arena. Aber er war groß gewesen und kräftig, wenn auch nichts im Vergleich zu jetzt. Und wer wusste schon, was Gott für einen vorgesehen hatte? Vielleicht war es ja sein Schicksal, auf parthische Bogenschützen einzuprügeln.


    Irgendwann nickte der doctor vor sich hin, und Malachi nahm an, dass er genug gesehen hatte. Der Parther war gerade noch im Schwung der Bewegung, und mit einer Schnellen Klingendrehung und einem geschickten Schritt durchbrach Malachi dessen Deckung und legte seine Klinge ruhig und präzise auf dem Halsansatz des Parthers ab.
    Der Ausbilder klatschte nur einmal in die Hände, und Malachi trat einen Schritt zurück und ließ die Waffen sinken. Er sagte kein Wort, sondern wartete einfach geduldig auf das Urteil des doctor. Dieser schritt mit kritischem Blick noch einmal um Shayan herum, ehe er schließlich nickte. “Na gut, hab schon schlechteres Material gehabt.“ Er sah hoch zur Tribüne und gab dem Lanista mit der Hand ein zustimmendes Zeichen, ehe er die beiden mit einem “Genug Training für den Moment“ entließ.


    Malachi nickte und lockerte noch einmal kurz die Muskeln, indem er die Schultern rollen ließ. Diese Übung hatte länger gedauert als üblicherweise, und wenn er eines gelernt hatte, dann dass es das wichtigste war, die Muskeln geschmeidig zu halten. Er sah kurz zu seinem Gegner, der wohl bald sein Bruder sein würde. Sobald alle Papiere unterzeichnet waren, würde er wie jeder andere schwören müssen, und dann gehörte er zur Familie. “Ich bin Malachi. Deine neuen Brüder werden sich vorstellen, wenn du den Eid gesprochen hast. Lass uns die Waffen wegbringen.“ Er machte einen kleinen Wink mit dem Schwert, dass Shayan ihm folgen solle. Er selbst wollte gern ins Balneum und sich den Schweiß und den Staub abwaschen. Allerdings durfte kein Gladiator mit Waffen die Arena verlassen.



    Oben auf der Tribüne hatte Axilla sich alles mitangesehen. Auch sie sah ab und an ein Loch in der Deckung von dem Sklaven der Flavia, aber weit seltener als Malachi in der Arena unten. Und er war gelenkig und wich gut aus. Es war schön, den beiden zuzuschauen. Auch wenn Axilla so ein wenig Angst hatte, dass doch Blut fließen könnte. Sie hatte zwar keine Angst davor – Blut war ja nur Blut. Das sah man täglich auf den Straßen, in den Küchen und auf den Altären – wenngleich Menschenblut an letzteren beiden Orten seltener war. Aber sie wollte trotzdem ihre frisch geschlossene Bekanntschaft nicht gleich so besiegeln.
    Und dann mit einem Mal war der Kampf vorbei und Malachi hatte gewonnen. Seine Klinge lag am Halsansatz des Parthers, und der Ausbilder rief die beiden auseinander. Ganz kurz lächelte sie – immerhin hatte ihr Sklave gewonnen, auch wenn es ein recht ungleicher Kampf gewesen war. Und kurz darauf gab der doctor auch schon ein Zeichen an den Lanista.
    “Der doctor schätzt deinen Sklaven als tauglich ein, werte Flavia. So es dein Wunsch ist, werde ich dann die Verträge aufsetzen lassen. Über den Termin, wann dein Sklave dann seine Eide ablegt, müssen wir noch befinden, ebenso über den Beginn seiner Ausbildung.“

  • Shayan erstarrte mitten in der Bewegung, als er das kühle Metall auf seiner Haut spürte. Er hatte gewusst, dass es letztlich darauf hinauslaufen würde, entweder auf ein solches Ende oder eben darauf, dass irgendjemand den Kampf vorher abbrach. Er hatte es schon gewusst, als er noch oben bei seiner Herrin gestanden hatte. Und dennoch erfüllte es ihn mit einer gewissen Unzufriedenheit. Er war nicht Soldat geworden, um zu verlieren. Daran änderte auch die Tatsache nichts, dass das Schwert nicht seine Hauptwaffe war und er keine Chance gehabt hatte. Er ließ seine Waffen sinken und warf seinem Gegner einen kurzen, undeutbaren Blick zu, nickte dann leicht, anerkennend, als er sich zurückzog. Dann wanderte sein Blick zu dem Doctor, der begann um ihn herumzugehen. Shayan schwieg, und während er wartete, überlegte er, was die Flavia wohl mit ihm anstellen würde, wenn es nun hieß er sei ungeeignet. Sie hatte sich in den Kopf gesetzt, einen Gladiator haben zu wollen als Leibwächter, und sie hatte sich in den Kopf gesetzt, dass er das sein sollte. Und sie wirkte nicht so, als sei sie es gewohnt, dass etwas einmal nicht nach ihrem Willen ging. Er kannte verwöhnte Gören wie sie, es hatte sie in seiner Heimat auch gegeben – der Unterschied war nur, dass er bisher noch nie in der Lage gewesen war, einer ausgeliefert zu sein.


    Allerdings würde er zumindest heute nicht erfahren, was es hieß, wenn sie enttäuscht von ihm war oder zornig. Der Doctor hatte seine Musterung beendet, und sein Urteil war, wenn auch nicht schmeichelnd, so doch immerhin positiv. Auch Shayan lockerte Arme und Schultern, unschlüssig, was nun als nächstes kommen würde. Für den Moment war er angewiesen darauf, dass ihm andere sagten, was er zu tun hatte, und das gefiel ihm ebenso wenig wie die Tatsache, dass er deutlich unterlegen gewesen war. Vielleicht wäre es besser gewesen, wenn er nicht sein Bestes gegeben hätte, wenn er versucht hätte sich als ungeeignet zu erweisen – Shayan ahnte, dass er sich damit wohl einiges erspart hätte. Andererseits war da immer noch seine Herrin. Er könnte sie zwar fragen, ob sie ihn nicht irgendwo als Bogenschütze unterbringen könnte, aber er hatte auch den Eindruck, dass es gerade diese direkten Zweikämpfe waren, die ihr gefielen. Ein Bogenschütze stellte eine tödliche Gefahr für jeden Gegner dar, aber in einem Kampf Mann gegen Mann entwickelte sich eine völlig andere Dynamik, eine andere Spannung, auch bei denen, die zusahen. Wenn die richtige Strategie gewählt worden war, wenn die anderen Soldaten ihre Arbeit machten, waren die Bogenschützen kaum in Gefahr – es war selten so, aber das war stets der Plan. Der Bogenschütze war in Sicherheit, nur sein Gegner hatte um sein Leben zu bangen. Und auf einem Pferderücken hatte ein parthischer Bogenschütze noch viel mehr Gelegenheiten, seinem Gegner zuzusetzen und zugleich für die eigene Sicherheit sorgen zu können. Nein, das war etwas anderes als ein Zweikampf, und von dem, was er gehört hatte, schwärmte seine Herrin für gerade die Spannung, die sich bei einem solchen Wettkampf aufbaute. Es ging ihr nicht um Können oder Präzision, die sie bewundern konnte. Es ging ihr um den Kampf, das Adrenalin. Vielleicht auch um das Blut, das irgendwann floss. Mehr noch als alles andere wäre er sich jedoch selbst im Weg gewesen, hätte er versucht absichtlich schlechter zu kämpfen als er es gekonnt hätte. Es war nicht seine Art, unaufrichtig zu sein. Oder weniger zu geben als sein Bestes.


    Shayan nickte ein weiteres Mal, als sich sein Gegner sich nun vorstellte. Malachi. Der Name klang ungewohnt in seinen Ohren. Er folgte ihm auf seinen Wink hin – er ging einfach davon aus, dass es in Ordnung sein würde – und war mit wenigen, weit ausgreifenden Schritten an seiner Seite. „Welcher Eid?“ fragte er nach, während sie hinein gingen, in die Richtung, aus der Shayan bereits gekommen war und wo er die Waffen und die Rüstung bekommen hatte.

  • Nigrina, auf ihren Getränkewunsch angesprochen, hatte verdünnten Wein gewählt und diesen auch bekommen. Und nun stand sie da und musste zusehen, dass sie ihren Ärger verbarg. Gut, im Grunde war ihr klar gewesen, dass ihr Parther es wohl kaum mit einem Gladiator würde aufnehmen können. Aber... trotzdem! Er war immerhin Soldat gewesen! Und, und überhaupt! Er musste doch nicht so... so versagen! Er hätte wenigstens ein bisschen besser sein können! Nigrina hatte zwar nicht viel Ahnung von Kämpfen und was es da alles gab, was damit zusammenhing, sie sah einfach nur gerne zu, wenn es ein guter, spannender Kampf war – aber sogar ihr war aufgefallen, dass ihr Parther reichlich chancenlos gewesen war. Und das obwohl sich der Sklave der Iunia nicht sonderlich angestrengt zu haben schien. Und das ärgerte sie einfach. Es ärgerte sie maßlos. Aber es wäre wohl zu schön gewesen, wenn dieser Parther ein derartiger Glücksgriff gewesen wäre, dass er gleich einen Gladiator platt machte, obwohl sie sich das durchaus ausgemalt hatte. Sie würde ihm nachher einbläuen müssen, dass er besser schnell zu lernen hatte, und zwar wirklich schnell, denn wenn sie ihm beim nächsten Mal bei einem Schaukampf zusehen würde, wollte sie eine bessere Leistung präsentiert bekommen als das da. Andernfalls konnte sie immer noch beim Ludus Matutinus nachfragen, vielleicht brauchten die noch Löwenfutter. Das sollte sie ihm am besten androhen, gleich heute noch. Mit irgendetwas musste das Sklavenzeug ja angetrieben werden, und so erstaunlich es im Grunde für ein simples Besitzstück war, das nicht frei über sich verfügen konnte und nur dazu da war, den Willen seines Herrn zu erfüllen, die meisten Sklaven hatten durchaus Angst um ihr Leben, und das konnte man sich zunutze machen.


    Hoheitsvoll nickte Nigrina dem Lanista dann zu, als dieser meinte, dass sein Ausbilder den Parther für tauglich hielt. Wäre ja noch schöner gewesen, wenn es nun zu allem Überfluss geheißen hätte: entschuldige, aber deinen Sklaven nehmen wir nicht... Sie lächelte sogar, wenn auch einen Tick weniger strahlend als zuvor. „Ja, lass sie aufsetzen. Was den Termin für die Eide angeht und den Beginn der Ausbildung: mir wäre es lieb, wenn dies so bald wie möglich geschehen könnte.“ Am besten heute noch. Hatte ja jeder gesehen, was für eine Pfeife der Kerl im Moment noch war. Je eher er hier anfangen konnte, desto eher würde er eine vernünftige Leistung abliefern können. „Dein Sklave war gut“, kommentierte Nigrina dann beiläufig in Richtung der Iunia. „Wie lange wird er hier schon ausgebildet?“ Bitte, bitte, bitte, Götter, lasst es nicht erst ein paar Wochen sein, dachte sie insgeheim. Lasst es irgendein Zeitraum sein, der es akzeptabel macht, dass er besser war.

  • [Blockierte Grafik: http://img823.imageshack.us/img823/1926/malachi2.jpg]


    Sie gingen zu der Rüstkammer, immer beobachtet von strengen Augen. Malachi war schon lange genug hier, als dass ihm Vertrauen entgegen gebracht wurde. Aber Shayan war neu. Er war Sklave, und bewaffnet. Niemand kannte ihn, seine Treue stand noch zum Beweis offen. Der einzige Grund, warum er eine scharfe Waffe erhalten hatte, war, weil der Lanista es so angegeben hatte für diese Übung. Aber niemand ließ einen Neuen mit scharfen Waffen unbeaufsichtigt. Sie waren eine Gefahr für die Trainer und für die anderen Gladiatoren, denn viele ertrugen den Druck einfach nicht.
    Malachi war es im Grunde fast gleichgültig. Er hatte zwar keine Todessehnsucht, aber wenn es sein Schicksal war, so zu sterben, dann war dem so. Auch wenn er nicht leichtsinnig war, und auch, wenn er dem Neuling ebensowenig vertraute wie die anderen, ging er voraus bis zu dem gut verschlossenen Raum, um den beiden Angestellten des Ludus dort sein Schwert und seine Rüstung zu übergeben. Der Helm war nach der Waffe das erste, das er übergab. Er öffnete gerade die Verschnürung seiner Manica auf der Innenseite seines rechten Armes, als er die Frage des Parthers hörte.
    “Ich, Malachi, Sohn des Baruch, schwöre hiermit meine Treue gegenüber dem Ludus Dacicus. Ich werde jedem Befehl Folge leisten, ohne ihn in Frage zu stellen oder zu zögern.“ Der Verschluss war offen und er ließ sich dabei helfen, die Rüstung abzunehmen, ohne dass sie auf den Boden fiel.
    “Ich schwöre, mein Leben in Ehre, Würde und ohne Klagen zu führen. Ich schwöre, keine Angst zu zeigen.“ Nun folgten die ocreae an den Beinen, die er ebenfalls abgab, so dass er letzten Endes nur im Lendenschurz dastand.
    “Die Gladiatoren des Ludus Dacicus sind meine Brüder, und wie solche werde ich sie behandeln. Ich werde sie mit Achtung und Respekt behandeln und ihnen nicht vorsätzlich schaden. Wenn sie gestorben sind, werde ich dafür Sorge tragen, dass sie ein anständiges Begräbnis erhalten und ihre Familien, so es in meiner Macht steht, versorgt sind.
    Doch sollte ich ihnen in der Arena gegenüber stehen, werde ich dennoch mit all meinem Können und meinem Geschick gegen sie kämpfen, selbst wenn das heißt, sie zu töten.“
    Zwar hatten bei weitem nicht alle Gladiatoren eine Frau und Kinder, aber doch einige. Üblicherweise erhielten die vom Lanista die Gage für zwei Auftritte, wenn ein Gladiator starb, damit sie erst einmal über die Runden kamen. Der Gladiator selber erhielt wie viele Sklaven in Rom auch einen Anteil seiner Gage als Peculium. Rechtlich gesehen Geld des Lanistas, aber faktisch Geld des Gladiators, von dem sich einige vergnügten, andere eben eine Familie versorgten.
    “Der Lanista sei für mich wie ein Vater. Ich werde ihm gehorchen und seine Entscheidungen nicht in Frage stellen.
    Sollte ich die Erwartungen, die an mich gestellt werden, nicht erfüllen, so schwöre ich, jede Strafe hinzunehmen, sei es durch Schlagen, durch Feuer oder durch das Schwert. Selbst meinen Tod werde ich in Würde hinnehmen, ohne mich zu beklagen.“

    Malachi sah nun Shayan an, ohne erkennbare Regungen im Gesicht, sondern nur mit der Ruhe und Würde, von der er die ganze Zeit sprach. “Sollte ich meinen Schwur brechen, so mögen Götter und Menschen mich jagen und töten und mein Name auf alle Zeit vergessen sein, denn verflucht sei der, der seine Brüder verrät.“
    Erst jetzt zeigte sich so etwas wie der kurze Anflug eines Lächelns auf Malachis Gesicht, wenn auch nur ganz kurz und nicht wirklich ausgereift, für die, die ihn kannten, aber schon fast herzlich. “Diesen Schwur meine ich. Der einzige, der zählt, nachdem du hier aufgenommen wirst.“
    Malachi gab dem Angestellten noch ein kleines Nicken und machte sich dann auf in Richtung Balneum, um sich den Schweiß von der Haut zu waschen. Hygiene gehörte auch mit zu den Dingen, auf die hier streng geachtet wurde. Nicht auszudenken, wenn ein Gladiator krank wurde und damit ausfiel. “Wenn deine Herrin dich zurück erwartet, dort geht es hinauf zur Tribüne. Wenn nicht... ich geh mich waschen.“ Es war nicht wirklich eine Einladung, mehr eine Ansage. Aber viel mehr gab es zum jetzigen Zeitpunkt auch nicht zu sagen.



    ------------


    Oben auf der Tribüne unterdessen hatte Axilla mitangesehen, wie Malachi und Nigrinas Sklave die Arena verlassen hatten. Sie hörte nur beiläufig dem Lanista zu, da dieser mit Nigrina sprach.
    “Sobald die Verträge unterschieben und von deinem Tutor abgesegnet sind, lässt sich dies einrichten. Ich werde meinem Scriba entsprechende Termine mit angeben, wenn ich ihn zu dir schicke. Wenn die Damen mich dann entschuldigen würden, solcherlei Verträge wollen vorbereitet sein und noch andere Geschäfte harren meiner Aufmerksamkeit. Flavia, Iunia, es war mir ein Vergnügen.“
    Auch wenn die Worte des Iuventiers freundlich waren, seine Miene war so unbeweglich wie eh und je. Er erhob sich, verneigte sich leicht vor den Damen und machte sich dann mangels Widerspruch auf in sein officium.
    Axilla wandte sich dann ganz der Flavia zu und rückte jetzt auch etwas auf, ohne ihr jedoch zu nah auf die Pelle zu rücken. “Danke dir. Malachi ist hier jetzt seit zwei Jahren. Wenn der Lanista mich nicht angeschwindelt hat.“ Den letzten Satz sagte sie mit einem verschmitzten Lächeln, von dem sie nicht ganz sicher war, ob es angebracht war. “Aber dein Sklave sah auch schon ganz gut aus. Fehlt ein bisschen die Übung, aber er hat schöne Muskeln und ein gutes Gleichgewicht.“ Den anderen Sklaven zu loben konnte auch nichts schaden. “Hast du ihn schon lange?“

  • Shayan bemerkte, dass er beobachtet wurde. Es war auch nicht sonderlich schwer, weil sie sich keine Mühe gaben, es zu verbergen. Aber er ignorierte die Blicke schlicht, die ihm wie ein steter Schatten folgten. Selbst wenn er auf eine Flucht aus gewesen wäre, es hätte keinen Sinn gemacht, nicht hier, nicht so. Er war Soldat, er hatte in dem Krieg gegen die Römer gekämpft, er hatte schon anderes hinter sich gebracht. Würde er fliehen wollen, würde es keine Kurzschlussreaktion sein, er würde planen. Aber er wollte nicht fliehen. Er sah keinen Sinn darin. Dass er hier gelandet war, hatte einen Grund, und wer war er schon, dem zuwider zu handeln, was Ahura Mazda ihm auferlegt hatte? Sollten sie ihn nur misstrauisch beäugen, Shayan in jedem Fall würde ihnen keinen Grund geben, noch misstrauischer zu werden. Er folgte Malachi einfach nur und gab wie er die beiden Schwerter ab, mit ruhiger Miene und ohne jedes Zögern. Er wusste auch, dass das kaum ausreichen würde, Vertrauen zu gewinnen. Wie er gerade selbst gedacht hatte: ein Fluchtversuch jetzt wäre töricht. Ein Fluchtversuch dann, wenn sie begannen ihm zu vertrauen, konnte Erfolg haben. Natürlich würde keiner hier denken, er sei vertrauenswürdig, nur weil er sich an seinem ersten Tag hier nichts zuschulden kommen ließ.


    Parallel zu Malachi begann auch Shayan, sich Stück für Stück seiner Rüstung zu entledigen, während dieser nun den Eid aufsagte. Und abgesehen davon, dass ein Teil von ihm fast amüsiert darüber war, dass der wortkarge Gladiator nun plötzlich so viele Worte am Stück von sich gab, machte ihn der Eid nachdenklich. Nicht alles, schon gar nicht der Teil, wo es um die Kameradschaft unter den Gladiatoren ging, oder darum, Würde und Ehre zu zeigen. Was Shayan zu denken gab, war der Teil, der ihn völlig dem Lanista und seinen Leuten unterwerfen würde. Leistete er diesen Eid, war kein Widerwort möglich. Und da er sowohl aufgrund von Abstammung als auch aufgrund seiner Leistung nie nur ein einfacher Soldat gewesen war, der stumpf gehorchte, war er das nicht gewöhnt – im Gegenteil, er war es gewöhnt selbst zu denken, und die Verantwortung zu tragen für andere, die ihm unterstanden. Und, sicher war es nicht so, dass sein Leben als Sklave etwas anderes für ihn bereit hielt als das, was ihn hier als Gladiator erwartete. Aber das war eben einer der Aspekte seines neuen Lebens, mit denen er deutlich Schwierigkeiten hatte, nach wie vor, so sehr er sich auch bemühte sich damit abzufinden – und es war auch etwas anderes. Als Sklave hatte er keine Wahl, und er konnte dennoch aufbegehren, konnte es zumindest versuchen, wenn etwas geschah, was ihm völlig zuwider lief, weil er nie, niemals, etwas versprochen hatte. Auch wenn sein Gott ihn hierher geschickt hatte, er war letztlich nicht freiwillig hier, und wenn etwas geschah, was er nicht mit sich und seinem Gewissen vereinbaren konnte, dann würde auch sein Gott wollen, dass er sich wehrte, davon war er überzeugt. Tat er aber diesen Schwur, war ihm diese Möglichkeit genommen. Shayan brach keinen Eid, den er geleistet hatte.


    Ebenso ruhig erwiderte er den Blick Malachis, als dieser ihn nun musterte. Der seine, der auf den des anderen traf, war nachdenklich, und erst als er meinte ein Lächeln zu sehen, hoben sich seine Mundwinkel ein wenig in Erwiderung darauf. Er wusste, dass er eigentlich keine Wahl hatte als diesen Eid zu leisten. Aber hier war die Entscheidung, die er treffen musste. Wenn er diesen Schwur tat, dann mit vollem Herzen. Wenn er das nicht konnte, musste er ablehnen, gleich was die Flavia dann mit ihm anstellen mochte. Er nickte langsam, bevor Malachi sich abwandte, und holte dann leise, aber tief Luft. Der Lanista sei für mich wie ein Vater, ging ihm durch den Kopf. Mit wenigen Schritten war er wieder an Malachis Seite. „Sie wird nach mir schicken lassen, wenn sie mich an ihrer Seite wissen möchte“, antwortete er nur. Er wusste nicht, ob die Flavia ihn jetzt schon wieder bei sich haben wollte, aber nach dem Kampf wollte auch er sich waschen, und sie hatte zuvor nichts gesagt. Und dass sie ihn holen würde, wenn sie ihn wollte, davon war er überzeugt. „Wenn es dir Recht ist, begleite ich dich.“ Malachi schien keine Einwände zu haben, und wieder folgte Shayan ihm. Einige Augenblicke vergingen in Schweigen, bis sie das Balneum erreicht hatten und betraten, und für einen Moment hielt Shayan im Türrahmen inne angesichts des – für ihn zumindest – überraschenden Luxus', der sich vor seinen Augen auftat. Das hier war kein Vergleich zu den Sklavenwaschräumen, die es in der Villa Flavia gab, oder den unzureichenden Waschmöglichkeiten an der Front. Gladiatoren schienen tatsächlich nicht allzu schlecht zu leben, dachte er, aber er sprach es nicht aus. Stattdessen fragte er Malachi etwas anderes. „Ist es möglich, mit dem Lanista zu sprechen?“

  • Nigrina schenkte dem Lanista ein weiteres Nicken. Würde sie Piso eben in den Hintern treten müssen, so einfach war das. „Vale“, antwortete sie ihm leichthin und wandte sich endgültig der Iunia zu, während der Lanista verschwand. Unten in der Arena waren auch der Parther und der andere verschwunden. „Zwei Jahre?“ Nicht allzu lange. Da fragte sie sich doch, warum ihr Parther, der angeblich schon länger Soldat war und sogar im Krieg gekämpft hatte, so schlecht gewirkt hatte gegen ihn. Warum? Das konnte doch wohl einfach nicht wahr sein! Dass er Bogenschütze war, eigentlich, daran dachte Nigrina überhaupt nicht, obwohl ihr auch das gesagt worden war. „Danke“, erwiderte dann auch sie. „Er hat im Krieg gekämpft, er sollte etwas drauf haben.“ Wenigstens etwas. Eigentlich. „Nein, ich habe ihn noch nicht lange. Mein Bruder hat ihn mir geschenkt, und er hat ihn auch erst vor kurzem gekauft. Kommt angeblich direkt von der Front, dort, wo unsere Leute noch stationiert sind an der Grenze zum Partherreich. Du hast deinen also auch erst seit kurzem? Woher kommt er?“

  • Im Krieg? Axilla sah sich den Mann an. Der Parthien-Feldzug war ja schon eine ganze Weile her. Was hatte der Mann in der Zwischenzeit wohl gemacht? Denn nur durch stete Übung erhielt man die nötige Stärke. Hatte zumindest ihr Vater immer gesagt, vor allem dann, wenn ihre Mutter sich beschwert hatte, warum er sie schon wieder verließ und zu seinen Legionen zurück ging. Abgesehen davon, dass er wohl kaum einen Befehl hätte verweigern konnte, hatte er immer gemeint, er brauche die Übung, sonst würde er fett und faul werden.
    Fett und faul sah nun aber der Parther nicht gerade aus. Eigentlich war er gut durchtrainiert und einigermaßen schnuckelig. Gut, sogar überdurchschnittlich schnuckelig. Und die Erklärung kam auch gleich hinterher, dass er von der Grenze kam. War vermutlich bei einem Spähtrupp gewesen und gefangen worden, mutmaßte Axilla. Oder aber, er war wirklich schon mehrere Jahre Sklave und hatte sich einfach gut gehalten.
    “Ah, dann hast du einen sehr großzügigen Bruder“ , meinte Axilla lächelnd zu der Sache mit dem Geschenk. Sie hatte ja keinen Bruder, der ihr etwas hätte schenken können.
    “Malachi kommt ursprünglich aus Iudaea. Aus Caesarea, um genau zu sein.“ So genau hatte sich Axilla noch gar nicht mit ihm unterhalten, über das wie und warum er nun Gladiator war. Vielleicht musste sie das mal nachholen. Das einzige Problem war nur, dass Malachi so ruhig war. Da wusste Axilla gar nicht so recht, wie sie ihn überhaupt fragen sollte. “Und ich hab ihn erst vorigen Monat gekauft, also wirklich noch nicht lange. Ich lass ihn dreimal die Woche hier trainieren. Ich glaube, es gefällt ihm. Und es hält ihn in Form. Sollte er ja als Custos Corporis sein, nicht?“ Wieder ein unschuldiges Lächeln, das so gar nicht zu der Trauerkleidung passen woltle. “Und deiner? Soll er in der Arena kämpfen?“


    ----------


    [Blockierte Grafik: http://img823.imageshack.us/img823/1926/malachi2.jpg]


    Der Parther schloss zu Malachi auf und betrat mit ihm das Bad. Ganz kurz blieb er im Eingangsbereich stehen und sah sich um. Vielleicht hatte er noch nie ein Balneum gesehen, oder zumindest kein so großes. Aber immerhin lebten hier nicht nur die Gladiatoren (die ja auch schon nicht wenige waren). Hinzu kamen noch die Doctores Thraecis und die Doctores Dimachaeri, die Medici, die Masseure, die Köche, die Sklaven des Ludus, die Sklaven einzelner Gladiatoren (ja, es gab durchaus Gladiatoren, die selbst Sklaven waren und dennoch welche besaßen), Frauen... Da brauchte man schon ein etwas größeres Bad.
    Rebecca war gerade im Bad und lächelte ihn wie jedes Mal an, als er eintrat und sich gänzlich entblößte, ehe er sich außerhalb der Becken an einer großen, marmornen Waschschüssel den Staub von der Haut wusch. Sie war Sklavin des Ludus. Ab und an bekam einer der Gladiatoren sie „zur Entspannung“. Aber sie lächelte nur Malachi so an. Und er mochte sie. Er hatte sie gern. Dennoch zuckte er nie auch nur mit einer Miene. Ab und zu sah er ihr länger nach, wie auch in diesem Moment, aber sonst nichts. Es war nicht gut. Er war dem Tod geweiht und das war nicht das, was er wollte. Und auch nicht das, was er ihr antun wollte.
    “Kommt darauf an, weswegen“, beantwortete er die Frage des Parthers, während er sich Wasser auf seinen Nacken mit der Hand schaufelte und darüber rieb. Auf dem Boden unter ihm bildete sich eine sandige Pfütze, während das Wasser an ihm herablief. “Es gibt hier eine sehr einfache Hierarchie. Novici wie du sprechen am Anfang erst einmal gar nicht. Wenn du das Grundtraining geschafft hast, wirst du Tiro. Tirones Gladiator. Dann erhältst du sowas.“ Malachi streckte seinen Arm zu dem Parther, damit er die Tätowierung darauf sehen konnte. Ein paar einfache Muster, sowohl an Malachis Armen, als auch an seinen Beinen. “Tut ziemlich weh.“ Wurde ja auch teilweise mit einem Brenneisen gemacht. “Dann kannst du mit den Doctores sprechen, wobei du erst deine Brüder fragen solltest. Und wenn die sagen, dass der Lanista darüber befinden muss, dann kannst du mit ihm sprechen, ja.“ Es war wie in jeder disziplinierten Struktur: Man konnte nicht einfach ein paar Stufen überspringen und direkt zum Chef rennen. Es gab einen Dienstweg, der eingehalten wurde. Ausnahmen gab es nur in wenigen Sonderfällen.


    Malachi war soweit mit seiner Grundreinigung zufrieden und stieg in das warme Wasser des Beckens. Rebecca kam sofort heran und reichte ihm ein Tuch, damit er sich den Schweiß besser von der Haut reiben konnte. Sie hatte auch eine Bürste mit weichen Borsten in der Hand, wie jedes Mal, aber wie jedes Mal, schüttelte Malachi einfach nur kurz den Kopf und mit diesem leicht enttäuschten Lächeln ging sie wieder beiseite zu ihren Seifen, Salben und Töpfchen, über die sie wachte.
    “Wieso, was willst du vom Lanista?“ Malachi benutzte das Tuch, um sich die Arme abzureiben. In dem warmen Wasser hatte er gleich das Gefühl, dass der Schweiß hinfortgespült wurde. Und dennoch konnte er nicht so wirklich entspannen und nicht so wirklich sich darüber freuen.

  • Shayans Blick streifte kurz die Frau, die im Bad war und irgendetwas herum räumte, bevor er ein ums andere Mal seinem Begleiter folgte und es ihm gleich tat. Mit ruhigen Bewegungen begann er sich zu waschen, während er sich der Antwort Malachis lauschte. Und was er zu hören bekam, war noch etwas, was in seine Entscheidung einfließen musste. Eine straffe Hierarchie herrschte hier. Nebenbei registrierte er, wie Malachi wieder dieses Wort verwendete – Tiro –, und begriff nun, dass es keineswegs ein Name gewesen war, aber er kommentierte es nicht weiter, klärte auch seinen Irrtum von zuvor nicht auf. Es spielte keine Rolle, nicht jetzt, nicht mehr. Wichtig waren die Worte, die Malachi in diesem Moment aussprach. Shayan grübelte einen Augenblick. Mit der Hierarchie an sich würde er kein Problem haben, auch wenn es ihm kaum gefiel, zunächst ganz unten zu stehen. Immerhin bestand hier noch die Möglichkeit, sich hochzuarbeiten, was als Sklave weit weniger möglich war, jedenfalls bei seiner augenblicklichen Besitzerin. Sklaven behandelte sie immer gleich, er hatte bisher noch nicht entdecken können, dass es irgendeinen unter ihnen gab, den sie irgendwie bevorzugte oder besser behandelt hätte. Ein Muskel zuckte in seiner Wange, während er die Tätowierungen betrachtete, die der andere ihm in diesem Augenblick zeigte.


    Er hielt inne in dem, was er tat, und ließ sich in das warme Wasser des Beckens sinken, zeitgleich mit Malachi, und immer noch schweigend. Die Frau kam ein weiteres Mal an, und diesmal bemerkte Shayan, wie sie lächelte, als sie davon ging. Einen Augenblick sah er ihr nach und fragte, ob die zwei etwas miteinander hatten. Oder ob einer der beiden es sich wünschte. Im nächsten tauchte er völlig unter Wasser und hielt die Luft an, harrte aus für einige Momente, bevor er wieder hochkam und sich mit beiden Händen über das Gesicht fuhr. So viel hatte sich geändert, in den letzten paar Wochen. Gerade als er verdaut gehabt hatte, gefangen genommen worden zu sein, nicht mehr nach Hause zu können, sein Leben, wie er es bisher gewohnt war, nicht mehr führen zu können... Es ging ihm noch nicht einmal allzu sehr um den Luxus daheim, den das Leben bei seiner Familie bot, weil das Leben beim Heer weit davon entfernt war. Aber ein Sklaven-Dasein war doch noch einmal etwas anderes. Allein die Tatsache, nicht mehr frei zu sein... Und gerade, als er angefangen hatte sich daran zu gewöhnen, war sein Herr gestorben und er nach Rom verfrachtet worden. Wo alles neu war. Alles anders. Und er nun einer Herrin gehörte, die er noch nicht so recht einzuschätzen wusste, von der er aber jetzt schon sagen konnte, dass sie nicht einfach war. Und nicht freundlich, nicht zu Sklaven. Bestenfalls ignorierte sie sie, wenn sie taten was sie wollte. Er sah wieder zu Malachi hinüber, der ihm nun seinerseits eine Frage stellte. „Ich will den Eid nicht leisten, wenn ich nicht überzeugt bin davon.“ Nachdenklich rieb Shayan über seine Schultern und seine Brust und versuchte in seinem akzentgefärbten Latein zu erklären, was in ihm vorging. „Es ist viel. Verlangt viel. Nicht die Ehre, nicht der Respekt vor den anderen. Den Brüdern. Aber der... absolute Gehorsam.“ Shayan musterte sein Gegenüber. „Ich leiste einen Eid, ich folge ihm. Keine Ausflüchte. Keine Ausnahme.“ So einfach war das für ihn. So einfach, und so schwierig. „Wenn der Lanista wie ein Vater sein soll, ich möchte... würde gerne vorher reden, mit ihm. Vor dem Eid. Vor meiner Entscheidung.“ Shayan war sich bewusst, dass diese Worte aus seinem Mund merkwürdig klingen mochten. Aber der Lanista würde ihn kaum aufnehmen, wenn er sich weigerte, seinen Eid zu leisten. Shayan würde sich dann nur mit dem auseinander setzen müssen, was die Flavia sich für ihn ausdachte... Sollte es tatsächlich nicht möglich sein für ihn, mit dem Lanista zu reden, würde er sich irgendwie so ein Urteil bilden müssen. Ob er das hier tatsächlich eingehen wollte. Ob es das war, was Ahura Mazda wirklich für ihn wollte. „Kannst du etwas über ihn sagen? Und das Leben hier, die Gemeinschaft, die Ausbildung?“

  • [Blockierte Grafik: http://img823.imageshack.us/img823/1926/malachi2.jpg]


    Malachi kannte mindestens zehn Mitbrüder, die in diesem Augenblick in schallendes Gelächter ausgebrochen wären. Er wollte den Eid nicht leisten, wenn er davon nicht überzeugt war. Als ob er eine Wahl hätte! Man leistete den Eid, oder aber man hoffte, dass man wieder verkauft und nicht verfüttert wurde. So einfach war es. Einige sprachen auch nur die Worte und suchten die erstbeste Gelegenheit, ihr Wort zu brechen. Aber sprechen musste man sie, ob nun aus vollem Herzen oder nur, weil man mehr Angst vor dem hatte, was passierte, wenn man sie nicht sprach als vor dem, was passierte, wenn man sie sprach.
    Malachi selbst allerdings wusch sich nur ruhig weiter, während er dem Parther zuhörte. “Dann hast du ein Problem. Der Lanista wird nicht mit dir reden. Er ist nicht unser Freund, er ist nicht unser Rabbi... oder wie auch immer du weise Männer nennen magst. Aber er ist auch nicht unser Feind. Er ist ein vernünftiger Mann und er weiß, dass wir ihm mehr Geld einbringen, wenn wir lange leben. Er tut was nötig ist, um uns zu disziplinieren. Er hat keine Gnade mit den Schwachen. Er hat kein Problem damit, uns in die Arenen zu schicken. Aber er ist nicht herzlos. Wir müssen nur sehr selten gegeneinander kämpfen, und keiner mehr als vier Mal in einem Jahr. Und er hält die Preise für große Schlachten sehr hoch, so dass es unwahrscheinlich ist, dass wir auf der geplanten Verliererseite landen.“
    Malachi war an und für sich nicht sehr gesprächig, und dieses Frage-Antwort-Spiel war auch nicht wirklich nach seinem Geschmack. Also beschränkte er sich auf das nötigste, ohne etwas zu beschönigen. Auch wenn das schon bedeutete, dass er wahnsinnig viel reden musste, was er eigentlich nicht wollte.
    “Die Ausbildung ist hart. Sie werden dir rudus am Anfang geben. Holzschwerter, die zweimal so schwer sind wie deine richtigen Schwerter. Mit denen wirst du üben, bis dir die Muskeln brennen. Deine Brüder werden dich verspotten für deine Spielzeugwaffen, bis du sie töten willst. Die Trainer werden dich üben lassen, bis du sie töten willst. Wenn du nicht gut und nicht schnell genug bist, werden sie dich schlagen. Entweder du brichst, du rastest aus, oder du stehst es durch.
    Danach wirst du Tiro. Du bekommst deine Zeichen und darfst dich Bruder nennen. Du bekommst richtige Waffen zum üben. Und du wirst üben, bis jeder Hieb mechanisch erfolgt. Du wirst die Sprache lernen, die Regeln der Arena. Die Zeichen, wann du schlagen darfst, wann nicht. Wann du angreifen darfst, wann nicht. Du wirst üben, zu töten, und du wirst üben, in den Tod zu gehen. Ruhig wirst du Stunden damit verbringen zu knien, während wieder und wieder eine Klinge deinen Hals berührt und du nie weißt, ob sie dich dieses Mal nicht doch tötet.“

    Malachi mochte es nicht, so viel zu reden. Er war fertig damit, sich zu waschen und verließ das Becken mit dem warmen Wasser, um noch in eines mit kaltem zu steigen, um den Körper noch etwas auszukühlen.
    “Irgendwann gibt es ein großes Essen vor einem Arenatag. Es wird gefeiert und gelacht und getanzt, vielleicht schickt der Lanista auch eine der Frauen zu dir in die Kammer. Aber noch vor der sechsten Nachtstunde wirst du dich schlafen legen, aber nicht schlafen können. Am nächsten Tag gehst du in die Arena, um einen anderen Tiro zu töten. Er hat dir nichts getan, du hasst ihn nicht, du kennst ihn nicht einmal. Doch entweder, du tötest ihn, oder er tötet dich. Weil die Zuschauer das so wollen. Wenn du den Tag überlebst, kommst du wieder zurück hierher. Die Brüder, die es nicht geschafft haben, werden gewaschen, gesalbt und verbrannt oder vergraben, je nachdem.“ Er hatte seine Brüder darum gebeten, ihn zu begraben und Steine auf sein Grab zu legen. Anderen Schmuck brauchte er nicht. Er war Jude, er brauchte seinen Körper. Er konnte nur hoffen, dass Gott ihm verzieh, dass er diesen mit Mustern hatte verzieren lassen. “Und doch wirst du froh sein, dass du noch lebst. Es wird nicht gejubelt werden, es wird nicht gefeiert werden, aber du wirst es in den Gesichtern sehen. Und dann bist du ein Bruder, mit dem man sich unterhält. Bei dem man wissen will, woher er kommt, ob er Familie hatte. Ob er eine neue gründen will.“ Vorher fragte keiner. Man freundete sich nicht mit Neulingen an. Es starben zu viele. Entweder, sie rasteten aus, weil sie die Gewissheit nicht ertragen konnten, dass sie sterben würden, oder aber sie brachen in sich zusammen und ließen sich bei der ersten Gelegenheit töten. Einige hatten sie auch schon tot in der Zelle gefunden, mit der Decke aufgehängt oder mit einer Steinscherbe die Pulsadern geöffnet. Wenn ein Mann den ersten Tag in der Arena hinter sich hatte, die johlende Masse, den blutigen Sand, wenn er anfing, zu verstehen, DANN beschäftigte man sich mehr mit ihm. Vorher verstand er einfach noch nicht genug. Verstand nicht, warum man nicht sein Freund sein wollte. Verstand nicht, warum man den letzten Abend vor der Arena feierte. Hinterher war es anders.
    “Und als Lohn erhältst du ein Dach über dem Kopf, ein eigenes Bett, drei Mahlzeiten am Tag, das beste Training, die besten Medici, Masseure für deine Muskeln, die Möglichkeit, eine Familie zu versorgen, Geschenke von Bewunderern, die dir niemand nehmen darf, obwohl du ein Sklave bist. Du erhältst freie Zeit, die du nutzen kannst um zu lesen oder um dich zu vergnügen. Du musst dir um nichts sorgen machen, was die Zeit zwischen den kämpfen angeht, denn du wirst besser versorgt als die meisten Arbeiter da draußen.“
    Malachi war fertig und stieg nun endgültig aus dem Bad. Rebecca kam mit einem großen Handtuch, das sie ihm reichte und ihm auch gleich half, sich die Beine abzutrocknen, wie sie es auch bei Shayan tun würde – allerdings mit etwas weniger Elan.

  • Shayan wusste, dass er Sklave war. Er wusste, dass ihm das die Freiheit der Wahl im Grunde nahm. Und doch hatte er sie. Natürlich wollte er nicht ausgepeitscht werden, natürlich wollte er nicht sterben oder in irgendeinem Steinbruch schuften. Aber das war das Schicksal, das er wählen würde, bevor er einen Eid schwor, von dem er wusste, dass er ihn nicht halten konnte. Der ihm falsch erschien. Er wollte nicht erpicht darauf zu erfahren, welche Seiten die Flavia aufziehen würde, wenn ein Sklave ihr nicht gehorchte, aber er hatte auch keine Angst davor. Wenn er zu der Überzeugung kam, dass es das war, was Ahura Mazda wollte, würde er auch das über sich ergehen lassen. Ob sein Gott ihn strafen wollte oder einen anderen Plan hatte, spielte da weniger eine Rolle – obwohl Shayan mehr und mehr zu der Auffassung kam, dass er sich irgendetwas hatte zuschulden kommen lassen. Das, was er hier in Rom nun erlebte, kam verdächtig nah an eine Strafe heran, und gerade die Sache mit den Gladiatoren schien so oder so höchst unangenehm für ihn auszugehen, egal wie er sich entschied. Vielleicht hatte er eine falsche Entscheidung getroffen in diesem Krieg, eine, die unnötige Menschenleben gekostet hatte. Vielleicht hatte er Ahura Mazda unbeabsichtigt beleidigt. Er wusste es nicht. Aber ob es eine Strafe war oder nicht, er würde akzeptieren, was sein Gott ihm auferlegte. Was allerdings nicht hieß, dass es für ihn dadurch leichter wurde. Es hieß nicht, dass er leichter würde ertragen können, was ihn erwartete.


    Es gab also keine Möglichkeit, mit dem Lanista zu reden, vorab. Allerdings war Shayan sich nun nicht mehr so sicher, ob das wirklich nötig war. Malachis Worte sagten einiges aus, genug, vielleicht. Kein Freund. Aber auch kein Feind. Nach dem, was der andere sagte, schien der Lanista immerhin gerecht zu sein – hart, sehr hart wohl, aber gerecht. Und das war es, was für Shayan eine Rolle spielte, nicht die Tatsache, wie sympathisch der Mann ihm nun war. Er wollte wissen, ob es einer von der Sorte war, dessen Befehlen er gehorchen konnte. Und das musste nicht notwendigerweise jemand sein, den er mochte, das hatte er spätestens in der Armee gelernt. Man konnte den größten Respekt vor Männern haben, mit denen man aus den unterschiedlichsten Gründen sonst kaum einen Abend verbringen würde. Der Gladiator erzählte unterdessen weiter. Und es war nichts, was Shayan sonderlich gefiel. Wem hätte schon die Zukunft, die Malachi gerade ausbreitete, gefallen? Aber sollte er sich dafür entscheiden, würde er damit leben können, irgendwie, das wusste er. Und wenn es ihn an die Grenzen seiner Leistungsfähigkeit treiben würde, was mit Sicherheit wohl tun würde, er würde sich zwingen, durchzustehen. Mit unbewegtem Gesicht lauschte er, während er grübelte. Er maßte sich nicht an zu denken, dass die Anfangszeit im Heer vergleichbar wäre mit dem, was Malachi ihm in Aussicht stellte. Anfänger dort hatten es auch nicht leicht, aber da war schon mal der erste Punkt, dass Shayan nicht so eingestiegen war wie die meisten anderen. Ein anderer Punkt war, dass es immer mehrere Anfänger gab, die sich gegenseitig unterstützen konnten. Und auch sonst klang es danach, als sei das Training, das ein Gladiator absolvieren musste, mehr abverlangte als das, das er kannte. Und dann war da die Sache mit dem Tod. Shayan hatte ganz sicher kein Problem damit, zu töten, wenn es notwendig war. Noch nicht einmal damit, es gezielt, bewusst zu tun und nicht einfach nur im Eifer des Gefechts. Er war Bogenschütze. Er war dazu ausgebildet worden, mit Präzision und Kaltblütigkeit Gegner zu töten. Und er kannte auch das Gefühl vor einer Schlacht, das Gefühl, nicht zu wissen, ob man den nächsten Tag überleben würde. Aber man hatte es immer noch wenigstens irgendwie in der Hand, man hatte sein Können, man konnte kämpfen, und wenn der Tod so plötzlich kam, dass man nichts tun konnte, dann musste man in der Regel nicht warten. Und das war etwas völlig anderes, als im Sand knien zu müssen und auf die Gnade eines anderen angewiesen zu sein.


    Shayan blieb noch einen Moment in dem Becken mit dem warmem Wasser. Nach und nach wurde ihm nun langsam bewusst, vor welcher Wahl er da wirklich stand, und plötzlich wurde ihm ein wenig kalt. Das Bild, das Malachi von dem Leben als Neuling unter den Gladiatoren gezeichnet hatte, war düster. Düsterer als alles, was Shayan bisher erlebt hatte. Er hatte es nicht immer unbedingt leicht gehabt, in den letzten Monaten nicht, und auch davor nicht, war seine Herkunft doch stets mit einer nicht geringen Erwartungshaltung verbunden gewesen, aber das hier – das war etwas anderes. Er würde ganz unten sein, noch weiter unten als er es als Sklave ohnehin schon war. Und er zweifelte nicht daran, dass es in der Realität noch um einiges schlimmer werden würde als das, was Malachi mit so stoischer Ruhe beschrieb, als erzähle er gerade etwas über das Wetter. Shayan verließ ebenfalls das warme Wasser, stieg in das kalte und grübelte immer noch. Du denkst zu viel. Die Worte seiner kleinen Schwester klangen plötzlich in seinem Kopf, Worte, die sie mehr als einmal zu ihm gesagt hatte – und nahezu jedes Mal vergeblich. Er verharrte einige Augenblicke im kalten Wasser, verließ dann auch dieses und nahm sich eines der Tücher, noch während die Frau damit beschäftigt war, Malachi zu helfen. Merkwürdigerweise wäre es ihm unangenehm gewesen, sich von ihr helfen zu lassen, obwohl er das von zuhause, von seinem früheren Leben wie selbstverständlich gewohnt war. Aber nun... Er hatte sich verändert, er war nicht mehr der Gleiche wie noch vor ein paar Jahren. Das Heer hatte ihn verändert, der Krieg, und nicht zuletzt die Sklaverei. Und er hatte nicht vergessen, was Malachi gerade noch erzählt hatte. Er war hier im Moment nichts. Nichts. Und wenn er diesen Eid leistete und hier aufgenommen wurde, würde er noch eine ganze Zeit lang nichts bleiben. Und irgendwie führte das dazu, dass er sich merkwürdig fehl am Platz vorkam in diesem Augenblick. Shayan trocknete sich also ab und zog sich seine Tunika, die jemand hierher gebracht hatte, über den Kopf, ohne die Hilfe der Frau in Anspruch zu nehmen. Erst danach wandte er sich an Malachi. „Ich danke dir. Für deine Erzählung, und für den Kampf.“

  • Zitat

    Original von Iunia Axilla
    Im Krieg? Axilla sah sich den Mann an. Der Parthien-Feldzug war ja schon eine ganze Weile her. Was hatte der Mann in der Zwischenzeit wohl gemacht? Denn nur durch stete Übung erhielt man die nötige Stärke. Hatte zumindest ihr Vater immer gesagt, vor allem dann, wenn ihre Mutter sich beschwert hatte, warum er sie schon wieder verließ und zu seinen Legionen zurück ging. Abgesehen davon, dass er wohl kaum einen Befehl hätte verweigern konnte, hatte er immer gemeint, er brauche die Übung, sonst würde er fett und faul werden.
    Fett und faul sah nun aber der Parther nicht gerade aus. Eigentlich war er gut durchtrainiert und einigermaßen schnuckelig. Gut, sogar überdurchschnittlich schnuckelig. Und die Erklärung kam auch gleich hinterher, dass er von der Grenze kam. War vermutlich bei einem Spähtrupp gewesen und gefangen worden, mutmaßte Axilla. Oder aber, er war wirklich schon mehrere Jahre Sklave und hatte sich einfach gut gehalten.
    “Ah, dann hast du einen sehr großzügigen Bruder“ , meinte Axilla lächelnd zu der Sache mit dem Geschenk. Sie hatte ja keinen Bruder, der ihr etwas hätte schenken können.
    “Malachi kommt ursprünglich aus Iudaea. Aus Caesarea, um genau zu sein.“ So genau hatte sich Axilla noch gar nicht mit ihm unterhalten, über das wie und warum er nun Gladiator war. Vielleicht musste sie das mal nachholen. Das einzige Problem war nur, dass Malachi so ruhig war. Da wusste Axilla gar nicht so recht, wie sie ihn überhaupt fragen sollte. “Und ich hab ihn erst vorigen Monat gekauft, also wirklich noch nicht lange. Ich lass ihn dreimal die Woche hier trainieren. Ich glaube, es gefällt ihm. Und es hält ihn in Form. Sollte er ja als Custos Corporis sein, nicht?“ Wieder ein unschuldiges Lächeln, das so gar nicht zu der Trauerkleidung passen woltle. “Und deiner? Soll er in der Arena kämpfen?“



    „Nun“, Nigrina lächelte fein, „er ist eben ein großer Bruder. Mit den Vor- und Nachteilen, die ein großer Bruder so an sich hat.“ Doch, dieses Geschenk konnte man durchaus als großzügig bezeichnen, da musste sie der Iunia zustimmen. So verwöhnt sie auch sein mochte, einen Sklaven bekam Nigrina dann doch nicht alle Tage geschenkt, schon gar nicht einen solchen. Dann sah sie interessiert auf. „Iudaea, sagst du? Leben da nicht die, die diese abstruse Ein-Gott-Theorie haben?“ Zwischen Christianern und Iudaeern machte Nigrina da keinen großen Unterschied, sie wusste noch nicht einmal so genau, dass es da überhaupt einen gab. „Nein, das ist auch nicht lange“, lächelte sie zurück, und zog dann eine Augenbraue hoch. „Dich interessiert, ob ihm das gefällt? Nun… ich habe vor, den Parther auch als Custos Corporis einzusetzen, wenn er sich als vertrauenswürdig erweist. Und hier ein bisschen was dazu lernt“, fügte sie ein wenig abschätzig an. „Ich denke für die Arena ist er noch nicht bereit, ich will ja nicht, dass er mir gleich wegstirbt… Andererseits: fressen oder gefressen werden, so heißt es doch, nicht wahr?“ Nigrina lächelte nun ein wenig verschmitzt. Dass sie hier gerade über den unvermeidlichen Tod entweder ihres Sklaven oder eines anderen Gladiators sprach, tangierte sie dabei überhaupt nicht. „Jedenfalls, wenn der Lanista ihn in die Arena schicken möchte, werde ich wohl nicht nein sagen, denke ich. Ich möchte schon wissen, wie er sich in einem echten Kampf schlägt. Und da der Iuventier weiter Geld verdienen möchte, kann ich wohl davon ausgehen, dass er ihn erst dann für einen Kampf haben möchte, wenn er tatsächlich tauglich für die Arena ist.“

  • [Blockierte Grafik: http://img823.imageshack.us/img823/1926/malachi2.jpg]


    Der Novicus hörte ihm nur zu und sagte nichts. Keine Fragen, keine Kommentare, gar nichts. Nicht dass Malachi darüber erfreut wäre. Aber er war auch nicht traurig deswegen. Im Grunde war er nicht einmal richtig überrascht. Die meisten Neulinge fragten zwar alles mögliche. Ob es Möglichkeiten gab, zu fliehen. Das war bei den unfreiwilligen Gladiatoren mit die erste Frage. Das war auch der Teil, der am häufigsten starb. Gefolgt von dem Teil, der sich hier freiwillig gemeldet hatte, um die Familie zu ernähren, aber nicht bedacht hatte, wie hart es wirklich sein konnte. Man hatte die beste Verpflegung und die gebildetsten Ärzte, eine tolle Ausbildung... aber das musste man auch erst einmal alles bewältigen. Hinzu kam der Schmerz, von der Familie getrennt zu sein, die Ungewissheit, ob sie bei einem bleiben würden, die Ungewissheit, wie lange man sie versorgen konnte. Zu viel Druck für viele.
    Aber Shayan fragte nichts, er dachte nur still über alles nach, was Malachi zu sagen hatte. Beinahe konnte man es in seinem Geist rattern hören, so angestrengt schien er dem Wortschwall des Älteren zu folgen. Vermutlich hatte auch er sein Leben sich anders vorgestellt. Aber wer hatte das nicht? Hätte man Malachi vor zehn Jahren gefragt, wie er sich die Zukunft vorgestellt hätte, hätte er wohl geantwortet, dass er Ziegen hüten würde, wie sein Vater und sein Großvater und der Vater seines Großvaters es auch schon getan hatten. Aber es war eben anders gekommen.


    Malachi zog sich eine einfach gewebte Tunika über. Nichts besonderes, nur guter, fester Stoff, der nicht kratzte. Dazu einen einfachen, schmucklosen Gürtel, und fertig war er. Den Dank des Parthers kommentierte er nur mit einem kurzen Nicken zum Zeichen, dass er es gehört hatte. Was sollte er auch schon groß dazu sagen? 'Bitte, freut mich, dass dir meine Darstellung gefallen hat'? Oder 'Der Kampf war sehr amüsant'? Malachi fand, dass es rein gar nichts zu sagen gab. Es hatte stattgefunden, weil es notwendig war. So einfach war die Sache.
    “Deine Kleidung liegt wohl noch bei der Rüstkammer. Ich werde dich dorthin begleiten, ab da übernimmt einer der Angestellten und führt dich zu deiner Herrin.“ Malachi konnte ihn nicht unbeaufsichtigt hier herumlaufen lassen. Erst recht nicht, wenn nur Rebecca hier war. Die konnte sich nicht wehren – abgesehen davon, dass sie sich ohnehin nie gegen irgenetwas wehrte.


    --------------


    Wie große Brüder eben sind... Axilla konnte nur etwas befangen lächeln. Sie hatte keine Ahnung, wie ein großer Bruder so war. Oder ein kleiner. Oder eine Schwester. Sie hatte keine Geschwister. Keine, die die ersten vier Wochen überlebt hätten. Keine, an die sie sich bewusst erinnern würde. Zum Glück aber redete die Flavia gleich weiter und fragte nach Iudaea.
    “Ja, ich glaub, die kommen da her. Die sind ja irgend so eine jüdische Sekte... wobei die glaub ich auch nur einen Gott haben... Wobei die Juden noch gehen. In Alexandria gab es ja auch jede Menge davon, aber die halten sich zurück. Die Spinner, die diesem Zimmermann folgen, die sind viel nervtötender. Du glaubst gar nicht, was man da in Alexandria für Graffitti zu lesen bekam, wenn man so durch die Stadt getingelt ist.“ Axilla verstellte ihre Stimme, so dass es halb drohend, halb lächerlich klang. “Das Ende ist nah! Bekennet!“ Danach musste sie kichern. “Wenn du mich fragst, die haben nicht mehr alle Amphoren im Regal.“


    Als Nigrina dann erzählte, was sie mit ihrem Sklaven vorhatte, ließ Axilla sie erstmal reden. Was die Flavia dann auch ausgiebig tat. Axilla verkniff sich den Kommentar, dass ihr Sklave vielleicht etwas alt war, um in der Arena Karriere zu machen. Man musste sich ja nicht gleich zu Beginn eines Gespräches unbeliebt machen. Außerdem schien die Flavia ja ganz nett zu sein. Sie fragte zumindest nicht dauernd nach ihrer Trauerkleidung oder sah sie mit diesem Blick an, als ob Axilla gefälligst trauriger zu sein hätte, weil der Anstand das verlange.
    “Naja, ich finde es ganz hilfreich, wenn es ihm auch gefällt. Dann macht er es freiwillig, und ich muss es nicht bestimmen.“ Sie konnte nicht zugeben, dass sie es nicht machen würde, wenn sie das Gefühl hätte, Malachi wollte das nicht. Wobei sie sich da auch nicht sicher war, ob er es wirklich wollte oder nur keinen Einspruch erhob. “Und Malachi soll eigentlich auch nur mein Custos Corporis sein. Man braucht ja einen, die Stadt ist ja gefährlich.“ Kurz huschte etwas Wehmut über Axillas Gesicht, als sie sich an Leander erinnert fühlte. Aber sie hatte es gleich im Griff. “Aber in der Arena lass ich ihn nicht mehr kämpfen. Glaub ich zumindest.“ Das letzte fügte sie mit einem Lachen an. Wenn Malachi unbedingt wollen würde, würde sie es ihm schon erlauben. Auch wenn sie vermutlich furchtbare Angst um ihn haben würde. Auf der anderen Seite, sie wäre schon stolz auf ihn, wenn er kämpfen würde.

  • Shayan machte sich keine großartigen Gedanken darüber, wie seine Einsilbigkeit wirken mochte. Das machte er nie. Er ließ sich nur selten drängen, und wenn er nichts zu sagen hatte, war es so. Und obwohl es nicht so war, dass Shayan nichts auf das gab was andere von ihm denken mochten, war er nicht bereit sich anders zu geben als er war – oder Kompromisse einzugehen bei dem, was ihm wichtig war –, nur um vielleicht einen besseren Eindruck zu machen. Oder einer wütenden Flavia zu entkommen, die ihn wohl auspeitschen lassen würde, wenn er ihr auf die Nase band, dass er diesen Eid nicht sprechen konnte. Aber ob es so kommen würde, wusste Ahura Mazda allein. Shayan musste sich erst all das durch den Kopf gehen lassen, was Malachi ihm erzählt hatte. Es war eine Herausforderung, so viel war klar. Er wusste nur nicht, ob das positiv war oder nicht. Ob er sie annehmen sollte... oder nicht.


    „In Ordnung.“ Er nickte dem Gladiator zu und folgte ihm ein weiteres Mal, zurück zur Rüstkammer, wo er sich seine eigene Kleidung überstreifte und – wie der Gladiator es gesagt hatte – von einem Angestellten der Schule in Empfang genommen wurde. Der Parther nickte Malachi noch einmal zum Abschied zu, bevor er nun dem Angestellten folgte, der ihn wieder hinauf zur Tribüne brachte. Der Lanista war nicht mehr hier, wie er feststellte, während er seine Herrin und die Römerin an ihrer Seite mit einem leichten Nicken begrüßte. Also gab es wohl tatsächlich keine Möglichkeit, ihn wenigstens anzusprechen. Dennoch überlegte er für einen Moment, ob er den Angestellten oder seine Herrin bitten sollte, ein Treffen mit dem Lanista zu arrangieren. Und Shayan war sich sogar einigermaßen sicher, dass – sollte seine Herrin seiner Bitte nachkommen – der Lanista wohl wenigstens noch einmal kommen würde. Nach allem, was er jedoch von Malachi gehört hatte, bezweifelte er, dass es so gut sein würde, wenn er nun versuchte darauf zu bestehen. Sollte er sich dazu entschließen, den Eid tatsächlich zu sprechen, konnte es durchaus sein, dass es ihm jemand übel nahm, weil er zuvor eine Sonderbehandlung für sich in Anspruch genommen hatte. Letztlich war er nur ein Sklave, nicht mehr. Nein, er würde allein zu einer Entscheidung kommen müssen. Mit Malachis Worten hatte Ahura Mazda ihm alles gegeben, was er brauchte, um einen Entschluss zu fassen – wäre es nicht genug, wäre der Lanista noch hier, oder es würde sich eine andere Gelegenheit ergeben. Wenn es keine gab, dann sollte es einfach nicht sein.

  • Nigrina merkte nicht, wie die Iunia reagierte auf ihren Kommentar mit den großen Brüdern, dafür war sie viel zu sehr von sich selbst eingenommen. „Ah die Juden gehen noch? Naja ich weiß nicht... wer glaubt denn bitte nur an einen Gott...“ Nigrina zuckte andeutungsweise die Achseln und musterte Axilla dann erneut, diesmal mit echtem Interesse. „Du warst in Alexandria? Wie das? Wie war es?“ warf sie dazwischen, bevor auch sie kichern musste, als Axilla von den Zimmermannspinnern sprach. „Das Ende ist nah? Ernsthaft? Wie kommen die denn auf diesen Gedanken? Die haben sie doch wirklich nicht mehr alle.“ Nigrina schüttelte amüsiert den Kopf.


    „Hm. Hilfreich.“ Ahso. Aha. Nigrina warf einen Blick in die Arena und schürzte leicht die Lippen. Sie war der Auffassung, dass sie die Herrin war. Wenn sie wollte, hatte ihr Sklave auch zu wollen, und es hatte ihm zu gefallen, so einfach war das. „Nun... dem Parther wird es gefallen.“ Nigrina zuckte die Achseln, und ihr Tonfall war in etwas der, als hätte sie gesagt: Er hat keine Wahl. Nun, hatte er ja auch nicht. Etwas merkwürdig mutete ihr allerdings schon an, dass die Iunia es vorzog, nicht bestimmen zu müssen. Aber sie wollte sich nun nicht darüber austauschen, ob Sklaven Gefühle hatten oder irgendein Motivationstraining brauchten, um besser zu funktionieren. Es waren Sklaven, bei allen Göttern. Sie hatten keine Meinung zu haben, sie taten was man ihnen auftrug, fertig. Nigrina hatte nicht das geringste Bedürfnis, über diese Tatsache mit irgendjemandem zu diskutieren. Über Tatsachen gab es einfach nichts zu diskutieren. „Ja, einen Custos Corporis braucht man sicher. Wenn nicht sogar zwei. Nun, ich weiß nicht inwiefern du deinem Sklaven schon trauen kannst... ich werde den Parther erst mal eine Weile im Auge behalten lassen, ob man ihm tatsächlich trauen kann. So vorteilhaft es auch ist, einen eigenen zu haben, bis es so weit ist, werde ich mich wohl nach wie vor auf die allgemein flavischen Leibwächter verlassen müssen.“ Sie machte eine wedelnde Handbewegung hinter sich, wo die anderen Sklaven stumm warteten, ohne sich zu rühren. Sie achtete kaum darauf, dass in diesem Moment der, von dem sie gerade sprachen, wieder die Tribüne betrat, gebracht von einem Angestellten des Ludus, registrierte aus dem Augenwinkel sein Nicken, wedelte aber erneut nur kurz und vage mit der Hand, als ob sie eine Fliege verscheuchte. Er würde schon kapieren, dass sie ihn damit hieß zu warten wie die anderen. „Warum nicht? Ich stelle mir so einen Kampf in der Arena noch spannender vor, wenn man tatsächlich einen der Gladiatoren besitzt.“ Nun glitt doch ein Blick zu dem Parther, und mit einer Mischung aus Zufriedenheit und vager Enttäuschung registrierte sie, dass er gewaschen und sauber war – zufrieden, weil es von Reinlichkeit zeugte, enttäuscht, weil er verschwitzt in der Rüstung doch... lecker... gewirkt hatte. „Was ist mit deinem Sklaven, kann er nun auch gehen? Oder muss er noch bleiben – und wartest du hier bis er fertig ist?“

Jetzt mitmachen!

Du hast noch kein Benutzerkonto auf unserer Seite? Registriere dich kostenlos und nimm an unserer Community teil!