[Ludus Dacicus] Gladiatorenschule

  • Nunja, auch unter den Römern gab es durchaus Spinner, die meinten, dass der große Tag des göttlichen Zorns nicht mehr fern sei. Einige der gallischen Peregrini verkündeten auch, dass ihnen der Himmel auf den Kopf fallen würde. Aber es war viel lustiger, die Christianer zu verspotten, weil deren Glaube so abstrus erschien. Und so schrecklich intolerant war. Für sie existierten die römischen Götter ja nicht einmal, oder die aller anderen Völker. Die Römer veralberten vielleicht die Ägypter mit ihren Tiergöttern, aber sie existierten für sie sehr wohl.Nur diese Leugnung der Christianer machte die ganze Sache furchtbar kompliziert.
    “Keine Ahnung, aber die kommen ja auch auf den Gedanken, irgend so ein Aufständischer wär ein Halbgott gewesen. Ich denke, man muss an und für sich schon ziemlich verrückt sein, wenn man zu denen gehören will.“ Axilla zuckte grinsend mit den Schultern.


    Dass Nigrina etwas strenger wohl im Umgang mit Sklaven war, merkte Axilla spätestens bei ihrer Bemerkung über den Parther. Dieser kam auch gleich darauf wieder zu ihnen auf die Tribüne und begrüßte sie mit einem Nicken. Axilla lächelte noch immer, als sie kurz zu ihm aufsah, und sah deshalb gleich wieder beiseite. Nicht, dass die Flavia noch auf die Idee kam, Axilla hätte ihren Sklaven angelächelt. Der war zwar durchaus sehr schnuckelig. Und er hatte graue Augen. Aber Axilla würde nicht fremder Leute Eigentum anschmachten oder den Eindruck erwecken, es zu tun.
    “Oh, Malachi ist sehr vertrauenswürdig. Der Lanista hat es mir zwar sowieso versichert... hat wohl irgendwas damit zu tun, dass sie auch absoluten Gehorsam und Treue schwören oder so. Auf jeden Fall bin ich in der Hinsicht durchaus zufrieden mit ihm.“ Über mangelndes Vertrauen zwischen ihnen beiden konnte Axilla wirklich nicht klagen. Sie vertraute Malachi. Das hatte sie aber auch von Anfang an, seit sie ihm in seine grauen Augen gesehen hatte, die so streng einfach immer nur geradeaus sahen. Vielleicht sollte sie inzwischen mehr von ihrer Naivität abgelegt haben, aber in diesem Fall sah sie dazu keinen Grund.
    Dann kam Nigrina aber darauf zu sprechen, warum sie ihn denn nicht doch mal in der Arena kämpfen lassen wollen würde, und Axilla war ein wenig in Erklärungsnot. Sie konnte ja nicht sagen, dass sie Angst hatte, dass ihm was passierte! Wie klang denn das? Da könnte sie ja gleich selber Gerüchte streuen, sie hätte ihn nicht gekauft, damit er auf sie aufpasste, sondern um sich das Witwendasein ein wenig zu versüßen! Aber sie war nicht um eine kleine Notlüge verlegen. “Nunja, er hat viel Geld gekostet. Wär doch jammerschade, wenn er in der Arena stirbt und das futsch wäre? So viel Geld werfen meine Betriebe nun doch nicht ab, als dass ich mir das allzu oft leisten könnte.“ Dass sie damit offenbarte, dass sie ihr eigenes Geld hatte und nicht etwa ihren Vater, Bruder oder sonstigen männlichen Verwandten angepumpt hatte, merkte Axilla erst, als es zu spät war. Aber egal, sollte die Patrizia ruhig wissen, dass Axilla in der Beziehung etwas freier war als sie selbst und Betriebe führen konnte, die auch noch genug abwarfen, um sich einen Gladiator zu leisten.
    Axilla sah sich auch mal nach Malachi um, der auch wenig später am Rand der Tribüne erschien und dort wie immer wartete. “Nein, ich glaube, er ist fertig. Wenn ich mit herkomme und zuschaue, wart ich meistens, bis er fertig ist. Ich find das Training sehr interessant. Und so entkomm ich auch grad den ganzen Kondolenten.“ Hier war Axilla ehrlich, weil sie nichts schändliches dabei fand. Warum auch sollte sie nicht zuschauen, wenn sie schonmal da war? “Aber meistens geht er allein und kommt danach wieder heim. Ich hab mit dem Lanista einen etwas anderen Vertrag als du geschlossen, aber Malachi hatte ja auch schon eine Ausbildung.“ Axilla überlegte, ob sie die Flavia darauf hinweisen sollte, dass sie sich übers Ohr hatte hauen lassen, aber sie ließ es. Der Zeitpunkt schien ihr dafür nicht ideal, und sie beide kannten sich ja auch kaum.


    Da fiel ihr ein, dass sie eine Frage gar nicht beantwortet hatte. “Oh, und du hattest nach Alexandria gefragt? Ja, ich hab da bis vor etwa einem dreiviertel Jahr gewohnt, im Haus meiner Familie. Mein Vetter war damals dort Tribunus Augusticlavus bei der Legio, und meine Cousine war in der dortigen Politik. Eine sehr schöne Stadt mit sehr interessanten Leuten. Sollte es dich einmal dahin verschlagen, sag mir vorher Bescheid, dann kann ich dir vielleicht ein paar Tipps geben, was man nicht verpassen sollte.“
    Axilla liebte Alexandria nach wie vor, das konnte man ihr auch ansehen und anhören. Auch wenn es wohl unrömisch war, sie fand, Rom konnte da nicht mithalten. Auch wenn sie das so nicht offen sagen würde. Nur gab es in Rom andere Dinge, die sie hier gehalten hatten und weiterhin hielten. Nicht zuletzt, weil sie nicht wusste, wie sicher Ägypten für sie war, solange Terentius Cyprianus an der Macht war. Er hatte Urgulania umgebracht, was würde ihn daran hindern, sie zu töten?

  • Nigrina erwiderte das Grinsen der Iunia. „Ja, das muss man wohl“, erwiderte sie und zuckte andeutungsweise die Achseln. „Letztlich sind diese Spinner aber nicht einmal die Aufmerksamkeit wert, die wir ihnen gerade schenken… Solang sie nicht gerade selbst in der Arena stehen.“ Ein weiteres Achselzucken, dann ein Lächeln und ein aufmerksamer Blick, als ihr Parther herein kam und die Iunia ebenfalls zu ihm sah. „Nun… wenn der Lanista deinem Iudaeer vertraut und er ihn schon länger hat…“ Nigrina würde ihm wohl selbst dann noch nicht vertrauen, nicht nach nur ein paar Wochen, aber meine Güte, das war nicht ihr Problem. Generell schien die Iunia in dieser Hinsicht aber etwas… nun ja… anders als sie selbst, um es mal so auszudrücken. Sie vertraute diesem Sklaven nach kurzer Zeit, sie legte Wert auf seine Meinung, und sie wollte ihn nicht kämpfen lassen, obwohl er Gladiator war. Nigrina legte den Kopf ein wenig auf die Seite und hörte sich Axillas Erklärung an, und sie musste immerhin eingestehen, dass diese durchaus logisch wirkte, setzte man in diesem Modell voraus, dass es um jemanden ging, der fast schon an der Grenze zur Armut kratzte. Und wenn eine Frau wie die Iunia sogar darauf angewiesen war, eigene Betriebe führen zu müssen – was in Nigrinas Augen für Frauen ein absolutes Unding war! –, um sich den Lebensunterhalt zu sichern oder einen Leibwächter leisten zu können… nun, eine solche Frau kratzte für ihr Verständnis an der Grenze zur Armut. Und dann machte es auch Sinn, dass sie mit ihrem Eigentum ein wenig vorsichtiger umging. Selten gab Nigrina zu, dass sie sich glücklich schätzen konnte um ihre Familie und deren Stellung und Reichtum, aber dies war so einer dieser Momente. Sie war ganz eindeutig froh darum, dass sie all die Privilegien in Anspruch nehmen konnte, die einer Frau ihrer Meinung nach auch zustanden im Gegenzug dafür, dass die Männer sich einbilden konnten das Sagen zu haben. „In der Tat… Tragisch, wenn dein Mann vor seinem Tod nicht dafür gesorgt hat, dass du ausreichend versorgt bist.“ Ob sie mit diesem Kommentar womöglich einen Finger in eine offene Wunde legte, fiel Nigrina gar nicht so wirklich auf. „Allerdings sollten sich nun ja wohl wieder die Männer deiner Familie verantwortlich fühlen. Dein Vater, Brüder, Onkel, Cousins…“


    „Oh ja, die Kondolenten… furchtbar.“ Nigrina nickte leicht und sah ein weiteres Mal in die Arena hinunter, angeregt durch Axillas Kommentar, bevor sie flüchtig den iunischen Sklaven abschätzig musterte, nur um sich dann wieder seiner Besitzerin zuzuwenden. „Dann heißt das im Grunde, dass du jetzt auch verschwindest? Sollen wir ein paar Schritte gemeinsam gehen?“ bot sie an. „Oh, du hast in Alexandria sogar gewohnt? Du bist aber nicht dort geboren, oder?“ Dann wäre sie ja fast schon eine Peregrina… Aber der Kommentar gerade hatte nicht so gewirkt. „Hört sich spannend an, muss ich sagen. Vielleicht komme ich ja tatsächlich auch einmal dorthin, wer weiß…“

  • Als Nigrina auf Christianer in der Arena zu sprechen kam, verzog Axilla kurz ganz leicht das Gesicht. Sie hatte zwar sicher nichts dagegen, dass Verbrecher hingerichtet wurden. Und wenn die Christianer die Pax Deorum gefährdeten indem sie die Existenz der Götter öffentlich verleugneten, dann war das ein Verbrechen. Auch wenn man sie allgemein meist tolerieren konnte, waren sie auch nicht viel verrückter als andere Sekten, die in Rom ja auch ihren Platz hatten. Insgesamt war die römische Religion ja sehr tolerant. Und Axilla hatte auch ncihts gegen Blut. Nur... “Nunja, ich finde das dann meist etwas unsportlich. Ich meine, natürlich ist es das Ziel, dass sie sterben, aber wenn sie sich nichtmal richtig wehren können ist das... weiß nicht.“ Axilla hatte daran kein Gefallen. Sie ersäufte ja auch keine kleinen Kätzchen zum Spaß, warum also sollte es sie freuen, wenn ein Christianer von einem hungrigen Löwen zerfetzt wurde? Oder von einem Gladiator durch die Arena gejagt wurde? Es widersprach einfach irgendwie ihrer Auffassung von Ehre. Wenn sich die Verurteilten wehren könnten, wär das etwas anderes, aber so abgeschlachtet zu werden war nichts, bei dem Axilla zuschauen musste. So blutrünstig war sie nicht. Sie erkannte die Notwendigkeit dieser Strafe fragenlos an, aber deshalb musste sie die Art und Weise ja nicht begeisternd aufnehmen.


    Dann aber kam das Thema zu weniger erfreulichen Dingen. Nun, an und für sich fand Axilla ihre Betriebe ja schon sehr erfreulich, nur irgendwie fühlte sie sich in diesem Moment der Flavia etwas unterlegen. Sie sprach von Geld, als wäre das sowas wie Luft, was eben um einen rundherum war. Vermutlich, weil die Flavier noch immer sehr reich waren, während Axillas... nunja, es momentan eher weniger war. Und dabei floss in ihren Adern ein sehr altes Blut, das mindestens ebenso nobel war wie das der Flavia. Einzig fehlte es an Senatoren. Und dem Halbmond auf den Schuhen, den ihre Familie vor langer Zeit einmal gehabt hatte. Nunja, zumindest Teile ihrer Familie. Aber Axilla hatte ja noch Hoffnung, dass sich dies noch ändern würde. Eines Tages würden die Iunier sicherlich wieder im strahlenden Licht stehen mit einem Consul, ganz wie es sich gehörte. Nur eben im Moment nicht.
    “Mein Vater und meine Onkel sind alle gefallen. Brüder hab ich nicht.“ Axillas Stimme schwankte irgendwo zwischen Stolz und Scham, denn es war eine große Ehre, für das Imperium zu fallen. Dennoch fühlte sie sich nicht so wirklich gut, zuzugeben, dass ihr keine so einflussreiche Verwandtschaft gegeben war. Aber sie überspielte es mit Selbstsicherheit, die sie gar nicht verspürte. “Aber keine Sorge, meine Familie sorgt gut für mich. Aber so ein Gladiator ist dennoch eine etwas größere Investition und soll sich ja auch auszahlen. Das wär ja, als wenn man einen Zuchthengst kauft, der sich dann ein Bein bei einem Rennen bricht.“ Axilla konnte manchmal schon gut schauspielern. Wenn sie solche Dinge sagte, die sie eigentlich gar nicht genau so meinte. Sie würde Malachi nicht mit einem Pferd vergleichen, innerlich. Aber was sich äußerlich gehörte und was nicht, dafür hatte sie schon zumindest ein Grundgefühl vermittelt bekommen. Und so lächelte sie leichthin und charmant und überspielte die Peinlichkeit des Moments einfach.


    “Nun, im Grunde können wir auch sitzen bleiben, aber wenn du auch gehen möchtest, wär es mir eine Freude, wenn wir ein wenig gemeinsam gehen.“ Axilla hatte es nicht eilig, auch wenn sie nun nach Hause konnten. Aber soviel Römerin war sie dann doch, dass sie nicht auf Malachi Rücksicht nahm, ob er Heim oder sonstwo hin wollte. So schloss sie sich Nigrina an, was auch immer diese bestimmte, und beantwortete deren Frage. “Nein, ich bin in der Nähe von Tarraco geboren. Wir hatten dort ein Landgut, nichts allzu besonderes. Und dort war ich bis vor etwa drei Jahren. Nachdem meine Mutter auch verstorben war, bin ich zu meinen nächsten verwandten gezogen, und die waren in Alexandria. Eine wirklich wundervolle Stadt. Dort kann man viel Spaß haben und viel entdecken, wenn man weiß, wo man hin muss. Und du bist Stadtrömerin?“

  • Unsportlich fand die Iunia es also. Nigrina deutete ein flüchtiges Achselzucken an. Unsportlichkeit war kein Aspekt, der für sie bei Spielen großartig zählte, obwohl es natürlich weit interessanter war, wenn tatsächlich ein Kampf zu sehen war und kein hirnloses Abschlachten. Dennoch konnte Nigrina durchaus auch daran Gefallen finden, den Raubtieren zuzusehen... was allerdings mehr an den Tieren lag denn an den Menschen, die ihnen vorgeworfen wurden. Dann warf Nigrina der Iunia einen Blick zu. „Du bist sicher stolz auf sie“, entgegnete sie. Immerhin, das war auch in Nigrina verankert: ohne die Legionen wäre das Imperium nicht das, was es heute war. Würde ihr ein einfacher Soldat gegenüber stehen, würde sie ihm deswegen trotzdem nicht wesentlich mehr Achtung entgegen bringen als jedem anderen Plebejer, aber immerhin. Die römischen Legionen waren siegreich, und das war etwas, womit Nigrina sich doch sehr identifizieren konnte. Und sie meinte auch, was sie sagte – natürlich konnte die Iunia stolz darauf sein. Ihre Verwandten waren für das Imperium gestorben, was konnte es denn besseres für einen Soldaten geben? Im Grunde war das doch irgendwie der einzige Sinn und Zweck von Soldaten. Zu kämpfen für das Reich, und zu sterben das Reich, wenn es sein musste. „Ja...“, machte sie dann nachdenklich, als Axilla weiter sprach. Von der Perspektive hatte sie das noch nicht so wirklich betrachtet, musste sie ehrlicherweise zugeben. Eine Investition. Wie ein Zuchthengst, bei dem man ja auch nicht wollte, dass er sich das Bein brach. Mit dem Vergleich konnte sie etwas anfangen, und die Iunia hatte irgendwie Recht damit, gestand sie ihr zu. Sie wusste nicht genau, wie viel ihr Bruder geblecht hatte für den Parther, aber es war sicher deutlich mehr gewesen als für einen simplen Haussklaven – und wenn er erst mal hier ausgebildet worden war, würde er noch mehr wert sein. Dass sich Axillas Familie um sie kümmerte, war in Nigrinas Weltanschauung hingegen so selbstverständlich, dass sie die Versicherung kommentarlos hinnahm. Die bloße Annahme des Gegenteils hatte sie vorhin überrascht, und nun ja, der Fakt dass die Iunia eigene Betriebe besaß, hatte sie nun mal zu diesem Schluss kommen lassen. Aber scheinbar gehörte sie zu denen, die das offenbar unbedingt wollten. Nigrina fand das unverständlich... nun, eine Zucht zu besitzen mit edlen Tieren... Pferde... Oder eine Art Garten, außerhalb Roms, mit exotischen Tieren, einfach nur so zum Spaß... das konnte sie sich schon vorstellen, so etwas eines Tages zu besitzen. Und selbst dann würde sie sich nicht selbst die Arbeit machen, sondern höchstens als Besitzerin auf dem Papier fungieren. Sie sah überhaupt nicht ein, sich anzustrengen für so etwas. „Ja, da hast du wohl Recht. Sicherlich ist es lohnender, wenn der Gladiator überlebt. Ganz abgesehen davon, dass es befriedigender ist, wenn er in der Arena gewinnt.“ Ein feines Lächeln umspielte ihre Mundwinkel, während sie der Iunia wieder lauschte und dann antwortete. „Ja, doch, ich würde nun gehen. Schön dass du mitkommen möchtest.“ Mit einer fließenden Bewegung erhob sie sich und machte sich auf den Weg zum Ausgang. „Nein, ich stamme aus Ravenna. Mein Vater besitzt dort Ländereien, und abgesehen von Besuchen bei Freundinnen habe ich nahezu mein gesamtes Leben dort verbracht. In Rom bin ich noch nicht allzu lange.“

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    Der Tag begann früh. Wie jeder Tag mit Sonnenaufgang wurde geweckt, Sommer wie Winter, jeden Tag, ohne Ausnahme. Auch die Kranken wurden geweckt. Auch die Verletzten. Wer nicht kämpfen konnte, durfte sich ausruhen, aber Disziplin gab es dennoch. Nach dem Aufstehen wusch sich jeder in seiner Zelle, danach ging es zum Frühstück. Die Kranken natürlich abseits, um die anderen nicht anzustecken. Die Neuen in Ketten, um nicht auf dumme Ideen zu kommen. Denen war auch verboten, zu sprechen. Nur die, die ihre Treue unter Beweis gestellt hatten, durften reden, und auch diese taten es erst einmal nur leise. So früh am Morgen ohnehin. Es gab Puls, Früchte, Käse. Manchmal gab es morgens auch kaltes Fleisch vom Vortag, oder geräucherten Fisch. Heute nicht.
    Danach begann das Training. Wie jeden Tag, Sommer wie Winter, ohne Ausnahme. Gleichgültig, welches Wetter war, gleichgültig, welche Temperaturen herrschten. Zu diesem hier war auch Malachi bereit, der wie immer erst nach dem Frühstück kam. Ein wenig fehlte es ihm, diese ersten, stillen Minuten, aber nicht genug, als dass er wieder hier in den Ludus ziehen wollte. Überhaupt hatte er seiner Meinung nach da nicht mitzureden, da seine Herrin dies entschied.


    Und es wurde trainiert. Die doctores liefen zwischen den Pfählen durch, brüllten ihre Befehle. Schlag, Schlag, Schlag. Härter, präziser, effizienter, immer auf den Pfahl, genau so, wie der doctor es wollte. Hier und da gab er Anmerkungen. Ellbogen hoch, Kopf mehr nach Unten, mehr aus der Seite, Mehr aus der Hüfte, mehr aus den Beinen, Deckung nicht vernachlässigen. Rüstung vernünftig festmachen. Natürlich alles im durchdringenden Ton eines Schleifers. Das waren keine Bitten, die er aussprach, und jeder tat, wie ihm befohlen. Schon lange war Malachi über das Stadium des Zorns hinaus. Er reagierte nur noch mechanisch, führte aus ohne zu denken. Schlag. Schlag. Schlag. Immer gerade zustoßend. Härter, präziser, effizienter. Und als seine Muskeln brannten und der Schweiß an ihm hinunterlief, machte er einfach weiter. Schlag. Schlag. Schlag.


    Irgendwann war Mittag. Sie wuschen sich den Schweiß vom Körper, trockneten sich gründlich ab. Auch wenn sie alle robust waren, niemand wollte krank werden. Und es wurde kühler, die Gefahr von Krankheiten damit höher.
    Mittags war die Laune schon ausgeglichener. Die Neuen waren vom Training so erschöpft, dass sie nicht einmal daran dachte, aufzubegehren, oder gar zu fliehen. Selbst reden war ihnen zu viel, sie wollten nur etwas Essen und ausruhen. Einige wollten noch nicht einmal essen, sondern nur ausruhen, und wurden wenig sanft darauf hingewiesen, dass auch dieser Teil des Tages nicht auf Freiwilligenbasis funktionierte. Sie mussten essen, und zwar alles, was auf den Tisch kam. Gemecker gab es nicht. (Abgesehen davon, dass das Essen vergleichsweise gut und sehr nahrhaft war. Definitiv besser als das meiste, was der Durchschnittsrömer so auf seinem Teller hatte).
    Heute gab es einen Eintopf aus Gemüse und ein wenig Huhn. Überhaupt war Fleisch ein großer Teil der Nahrung, was wohl der größte Unterschied zwischen einem Gladiator und jedem anderen Sklaven, selbst den meisten Bürgern war. Malachi löffelte den Eintopf langsam und schweigend in sich hinein.


    Einer seiner Kollegen war nicht ganz so schweigend. “Habt ihr das auch gehört? Vom Ludus Magnus?“ Malachi musste nicht aufsehen, um zu wissen, wer sprach. Publius Genucius Matinius war einer der Autoratii hier. Also einer der Männer, die freiwillig dem Ludus beigetreten waren und sich selbst für die Dauer von 2 Jahren dem Director verkauft hatten. Für die Sicherheit, drei Mahlzeiten und ein Dach über dem Kopf zu haben, und am Ende ihrer Zeit 2.000 Sesterzen, plus alles, was ihre amatores ihnen schenken wollten. Und natürlich der Möglichkeit, sich danach erneut zu verkaufen, diesmal allerdings für 12.000 Sesterzen.
    “Was denn, Matinius?“ Das war der Nubier. Alle nannten ihn nur der Nubier. Malachi wusste nicht einmal, ob er einen Namen hatte. Interessierte ihn aber auch nicht. Er war großer, schlanker, dunkler Kerl, elegant wie die Panther aus Indien. Dimachaerus.
    “Na, die Preise dort? Nicht gehört?“
    “Hehe, wieso, bezahl'n die jetzt in Weibern?“ Ferox, ein Thraker (nicht nur von der Waffengattung, sondern auch von Geburt), hatte immer nur Weiber im Kopf. Dabei sah er aus wie der Alptraum der schlaflosen Nächte der römischen Frauen: Narbe vom rechten Ohr (welches zur Hälfte fehlte) zum Mund (in dem einige Zähne fehlten), nur vereinzelt Haare auf dem Kopf, grobschlächtiges Gesicht, zu eng stehende Augen, zu große Nase.
    Nachdem das allgemeine Gelächter sich gelegt hatte, sah der Genucier sich nur halb verzweifelt um. “Ihr habt es wirklich nicht gehört, oder?“
    “Offensichtlich nicht. Jetzt spuck's schon aus, bevor du noch 'nen Hustenanfall bekommst.“
    Malachi aß derweil ruhig und gleichförmig weiter.
    “Die nehmen jetzt Sklaven von Privatleuten. Zu Schleuderpreisen. Für die Männer weniger als für die Pferde, die sie da haben.“
    Das nun brachte großes Gelächter zutage. Außer bei Malachi, der weiteraß. Der Rest aber lachte so laut, dass die Aufseher nun doch einen Blick zu dem Tisch warfen und näher kamen. Nachdem aber alle Gladiatoren nach diesem kurzen Ausbruch wieder gerade über ihr Essen gebeugt dasaßen und eine Weile diszipliniertes Schweigen übten, widmeten sich die Männer lieber wieder den Neuen, denen Sprechen verboten war. Im Gegensatz zu den Veteranen, die hier am Tisch saßen.
    “Jetzt hör aba auf, Mann. Ma ehrlich, Pferde gibt’s genuch, aba Gladiatoren, die brauchen se. Der Direktor dort müsst n Trottel sein, wenn er nem anderen Lanista ne goldene Nase verdient.“
    “Naja, kommt drauf an, Dicker, kommt drauf an. Wenn die anderen mitziehen, weil der Staat die Preise senken will, gibt’s weniger Kohle für uns.“
    “Das mein ich ja! Was, wenn der Iuventier auch auf so eine Idee kommt? Wenn er muss, weil der Senat das so beschlossen hat?“
    “Und?“
    “Ja, dass dich das nicht stört, du Arsch, ist mir klar. Du gehst zurück in deine Heimat und vögelst ein paar Schafe, die kannst du von deinem Lohn bezahlen. Aber was sag ich Densa? Die verlässt mich, wenn ich kein Geld mehr für sie und die Kinder hab.“
    Matinius vergrub seinen Kopf in seinen Händen, Ferox lachte wieder, aber leiser, der Nubier überlegte.
    “Ist sicher nur ein Gerücht“, versuchte der Schwarze zu vermitteln und seinem Waffenbruder die Sorge zu nehmen.
    “Und wenn nicht? Ich hab Schulden da draußen, Mann. Ich brauch das Geld! Meine Frau und die Kinder brauchen das Geld auch! Kann das Collegium vielleicht was machen, was meint ihr?“
    Die Männer tauschten einen zweifelhaften Blick, keiner sagte was. Das Schweigen wuchs. Malachi aß. Irgendwann hielt der Römer es nicht mehr aus. “He, du, Jude, sag doch auch mal was.“
    Malachi schluckte runter, sah auf, sah seine Waffenbrüder einmal an, legte ruhig den Holzlöffel beiseite und atmete einmal ruhig durch. “Ist mir gleichgültig.“ BÄM. Im Grunde fasste das perfekt Malachis Einstellung zu dem ganzen Sachverhalt zusammen. Er hatte seine Herrin, war nach wie vor Sklave, würde nur mit viel Glück seine Freiheit in der Arena erhalten. Und selbst wenn der Kaiser bei öffentlichen Spielen entscheiden SOLLTE, ihm diese zu geben, er hatte nichts, wo er hingehen sollte. Seine Familie war tot, seine Frau, seine Brüder, seine Nichten und Neffen, seine Eltern, sein Heim war in Rauch aufgegangen. Er hatte nichts anderes mehr. Was kümmerte es ihn da, wieviel dafür bezahlt wurde?
    Der Genucius ließ den Kopf schwermütig mit der Stirn gegen die Tischplatte sinken, Ferox war sich nicht sicher, ob das nun ein Scherz war oder ernst und war irgendwo zwischen Lachen und Verwirrung gefangen, und der Nubier sah ihn vorwurfsvoll an. “Danke Mann, große Hilfe.“
    Ein Signal erklang, und die Ausbilder brüllten wieder Befehle. Alle Mann erhoben sich und gingen wieder in Richtung Trainingsplatz. Das Training ging weiter.

  • Wochen waren vergangen, seit er das erste Mal hier gewesen war. Anfangs hatte er keine Ahnung gehabt, was so lange dauerte, aber spätestens als er mit dem Vater seiner Herrin zu einem anderen Ludus hatte gehen müssen, war ihm klar geworden, dass dieser seiner Tochter offenbar nicht ganz vertraute, in jedem Fall nicht, was Geschäftliches betraf. Als Sklave wurde Shayan kaum aufgeklärt über das, was sie mit ihm vorhatten, geschweige denn irgendwelche Hintergründe. Und sein Latein war nach wie vor nicht so gut, als dass er in den Gesprächen, die er als sklavischer Schatten im Hintergrund mitbekam, genug hätte entnehmen können um zu verstehen, um was es genau ging – je komplexer die Sachverhalte wurden, desto mehr Schwierigkeiten hatte er. Allerdings, dass er nun wieder hierher kam, ließ den Parther vermuten, dass der Flavier verschiedene Möglichkeiten hatte ansehen wollen, bevor er sich entschied. Wahrscheinlich hatte er auch noch versucht, den Preis zu drücken, sofern er günstigere Angebote vorliegen hatte.


    So oder so war der Vater insofern dem Entschluss seiner Tochter gefolgt, als dass er Shayan nun doch wieder hierher geschickt hatte. Ob tatsächlich weitere Verhandlungen stattgefunden hatten, wusste Shayan nicht genau, auch wenn er es vermutete, jedoch konnte er als sicher annehmen, dass die Verträge nun unterschrieben und die erste Rate gezahlt worden war, anderenfalls wäre er nicht hier. Von zwei anderen flavischen Sklaven zum Ludus gebracht und dort – Shayan behagte die Formulierung nicht, aber sie war nun mal treffend – abgegeben, war er von Angestellten des Ludus in Empfang genommen und vom Gebäude verschluckt worden. Shayan ließ sich schweigend durch die Gänge führen, während er einmal – ein letztes Mal – darüber nachgrübelte, ob er wirklich den Eid leisten konnte, der ihm bevorstand. Im Grunde hatte er sich schon entschieden, sonst wäre er nicht hier. Er hatte Zeit genug gehabt zum Nachdenken, über das, was sein damaliger Gegner erzählt hatte, vom Ludus, vom Leben darin, vom Lanista. Und sein Entschluss, diesen Eid leisten zu können, hatte sich gefestigt. Und dennoch... ein letzter Rest Zweifel blieb.

  • Ob Shayan zu irgendetwas bereit war oder nicht, interessierte hier keinen. Während er vom dunklen Gang am Eingang des Ludus verschluckt wurde, wurden bereits alle Vorbereitungen für sein Training getroffen. Ob er bereit war oder nicht, er würde trainieren. Und wenn er es nicht schaffte, würde er sterben. So einfach war es. Zumindest für die angestellten des Ludus.


    Shayan wurde mitgeführt, bewacht wie jeder andere Neuling auch. Unterwegs wurden ihm die Regeln erklärt von einem schmächtigen Mann, der definitiv nicht hier war, um zu kämpfen. Er war Schreiberling hier, einer von vielen, und arbeitete dem Archivar zu. Ein Ludus bestand schließlich aus mehr als nur Ausbildern und Rekruten.
    “Verstehst du unsere Sprache? Gut, ich wiederhol mich nämlich nicht gerne. Als Novicus ist es dir nicht gestattet, zu sprechen, außer, du wirst etwas gefragt. Solange du hier bist, bist du offiziell Besitz des Ludus, und wie jedes andere Besitzgut zu behandeln. Die Doctores und die Direktion kann dich bestrafen, wie auch immer es ihnen richtig erscheint. Was deinen Tod im Übrigen beinhaltet.“
    Sie kamen in einen Raum, wo bereits ein paar Jungen warteten. Diese sahen erwartungsvoll zu Shayan, dem Beamten und den beiden Wachen, die ihn begleiteten. “Leg deine Kleider ab, für den Anfang trägst du nur ein Subligaculum.“ Der Schreiber sah kurz auffordernd zu ihm.
    “Den Anweisungen der Doctores ist in jedem Fall Folge zu leisten. Ansonsten wirst du, wie bereits gesagt, bestraft werden. Ebenso ist dem anderen Personal hier – das beinhaltet die Medici, die Scribae der Direktion und vor allem dem Director – Folge zu leisten. Widerspruch wird nicht geduldet.“
    Der Scriba blickte nun von seiner Tafel auf und sah Shayan fast schon gelangweilt an. Offensichtlich spulte er diesen text nicht zum ersten Mal ab. “Und fürs Archiv benötige ich noch einige Formalia. Deine Besitzerin ist eine Flavia Nigrina, das habe ich bereits vermerkt. Ich brauche noch dein Alter und deine Herkunft.“

  • Shayan folgte dem Schmächtigen und nickte leicht, als dieser ihn nach seinen Sprachkenntnissen fragte. Nach wie vor sprach er Latein nicht fließend, aber gerade was das Verstehen betraf, waren seine Kenntnisse gut genug, zumal er inzwischen auch bereits einige Fortschritte gemacht hatte. So schweigend, wie es von ihm von nun an ohnehin gefordert sein würde, den Worten des Angestellten nach, lief er neben ihm her und hörte sich an, welche Regeln ihm auferlegt wurden. Nicht reden, es sei denn er wurde gefragt. Nun, das würde er hinbekommen. Weiter ging es, in einen Raum hinein, wo einige andere schon waren, und ohne erkennbaren Widerspruch, stets mit reglosem Gesicht, entledigte Shayan sich wie aufgefordert seiner Kleidung. Den Anweisungen Folge leisten. Kein Widerspruch. Er kommentierte nichts davon, und er stellte auch keine Frage. Es gab einfach nichts zu sagen, und so öffnete er den Mund erst, als der Scriba ihn etwas fragte. „25. Ich stamme aus Persepolis, in Parthia.“ Nur bekleidet mit einem Subligaculum, wie angewiesen, stand er nun vor dem Angestellten, näher bei den anderen, die offenbar ebenso neu waren wie er, nur um einige jünger und untrainierter, wie es schien.

  • Endlich hatte ich Zeit gefunden um mich um weiter Geschäfte zu kümmern. So ging ich zum Ludus Dacius, um mich mit besagtem Doctor zu unterhalten welcher mit empfohlen wurde.
    Am Eingang erklärte ich meine Absichten und hoffte, dass besagter Malachi anzutreffen war. Ansonsten würde ich an einem anderen Tag mein Glück erneut versuchen müssen...

  • Der Scriba kratzte alles in seine Wachstafel. “Fünfundzwanzig... Parthia... naja, deine Herrin erwartet ja keinen Champion.“
    Die beiden Jungen waren wirklich weitaus schmächtiger als Shayan, und sie hätten auch das richtige Alter gehabt, um mit der Ausbildung anzufangen. Fünfzehn war geradezu perfekt, da man einen jungen Körper da noch formen konnte, wie man es brauchte, und nicht die Alterserscheinungen das Training einschränkten. Oder festgesetzte Gewohnheiten die Brauchbarkeit einschränkten. Aber: Sie wurden trotzdem nicht Gladiatoren, sondern waren nur die helfenden Hände im Hintergrund, die die Kleidung des Parthers verstauten und ihm gleich darauf mit Wollbinden und Lederbändern zu Leibe rückten. Geschickt wickelte der eine dem Parther eine Manica, und der andere band immer wieder die Lederbänder fest daran, damit das Konstrukt nicht rutschte, aber auch nicht zu fest saß.
    “Streck und beuge den Arm“, meinte einer von beiden und unterstützte seine Worte mit passenden Bewegungen.
    Nachdem die Manica also richtig saß und somit das Verletzungsrisiko für das folgende Training shconmal eingeschränkt war, winkte der Scriba nochmal kurz.
    “Du wirst nun in die Arena gehen. Diese beiden werden dich zum Doctor Dimachaeri bringen, und du wirst machen, was er dir sagt. Und beachte das Sprechverbot.“
    Und damit war der gute Mann mit seinem Text auch schon fertig und machte sich wieder auf in die Verwaltung des Ludus.

  • Heute war kein Tag, der für den Publikumsverkehr eigentlich geöffnet war. Und so schickte die Wache am Tor einen Burschen zur Verwaltung, um sich zu erkundigen, ob der Direktor der Schule denn überhaupt Zeit hatte. So dauerte es eine Weile, bevor Hadrianus Iustus überhaupt vorgelassen und zu den Officii geleitet wurde.


    Spurius Iuventius Murcus schließlich empfing den Procurator dann mit gewohnt stoischer Zurückhaltung in seinen Räumlichkeiten und bot ihm auch gleich Platz an.
    “Procurator Hadrianus, sei gegrüßt. Möchtest du etwas trinken? Ich habe einen sehr guten Falerner gerade hier, falls du einen Schluck möchtest?“ Das Gehalt eines Direktors gab es durchaus her, sich auch einmal solchen Luxus leisten zu können.

  • Nun, mit seinem Kollegen wollte er eigentlich noch nicht über den Doctor sprechen aber gut... Ich nahm dankend Platz.


    Salve Procurator Iuventius Murcus. Nein danke, ich möchte nichts auch wenn sich dein Angebot recht verlockend anhört.


    Lehnte ich mit einem freundlichen Lächeln ab.


    Eigentlich hätte ich mit dem Doctor Malachi reden wollen. Ist er denn hier?


    Kam ich auch gleich zur Sache.

  • “Ich bin Director, procurator Hadrianus.“ Nur ein kleiner Hinweis zur richtigen Benennung seines Amtes. Immerhin war er als Director weitaus besser bezahlt, wenn auch mit einem eingeschränkterem Betätigungsfeld. Aber wer wollte schon solche Erbsen zählen?


    Da sein Besuch nichts trinken wollte, setzte sich der Iuventier bequem hin und hörte sich das Anliegen des Kollegen an, wenngleich dieser nicht so genau bekannte, was er denn nun wollte.
    “Hier ist kein Ausbilder mit diesem Namen“, erwiderte Murcus sachlich gefasst auf die Frage. Hier im Ludus waren zwölf Doctores, eine so überschaubare Zahl, dass Iuventius Murcus sich befleißigte, sich die Namen zu merken. Vor allem, da die meisten von diesen sich mit dem Training einzelner, besonders herausragender Gladiatoren befassten, so dass ihm diese Namen noch geläufiger waren. Ein guter doctor war pures Gold wert, und das absolut nicht metaphorisch gemeint.


    Da diese Antwort aber dem Hadrianer kaum weiterhelfen würde, gab Murcus einem seiner Schatten einen kleinen Wink. Der Scriba, der bislang unauffällig im Hintergrund gestanden hatte, machte sich sogleich auf den Weg aus dem Officium hinaus, ohne dass weitere Worte nötig waren.
    “Vielleicht ist es einer der Gladiatoren, wenn auch nicht der Primus Palus.“ Dessen Namen war dem Iuventier aufgrund seiner Erfolgswelle auch geläufig. “Aber sag an, was interessiert dich an dem Mann?“

  • Entgegen seiner ersten Einschätzung waren die Jungen keine neuen Gladiatoren wie er – sondern im Gegenteil hier angestellt oder ähnliches, und das offenbar auch nicht erst seit gestern. Behende sprangen sie um ihn herum und wickelten Bänder an ihm fest. Shayan verfolgte die beiden mit Blicken, sagte aber weder etwas noch rührte er sich. Erst, als er dazu aufgefordert wurde, beugte er den Arm, streckte ihn wieder, bis alles zur Zufriedenheit saß – ob nun zu seiner oder der der Jungen, war dem Parther nicht ganz so klar. Seine Meinung schien nicht wirklich eine Rolle zu spielen. Nicht dass er etwas anderes erwartet hätte, dennoch... irritierte es ihn. Und das, obwohl er nun bereits doch einige Zeit Sklave war.


    Als der ältere Mann noch einmal das Wort an ihn richtete mit Anweisungen, nickte Shayan nur – was hätte er auch sagen sollen darauf, vor allem nach dem Hinweis: beachte das Sprechverbot? Er war alles andere als ein Freund von stumpfem Gehorchen, aber er wusste um die Realität. Egal was er sagte oder tat, er war Sklave. Was er dachte, was er wollte, zählte nicht. Sicherlich gab es auch für einen Sklaven die Möglichkeit, wenn schon nicht seinen Willen durchzusetzen, so doch Dinge zu verweigern, die völlig inakzeptabel schienen – aber dann war es besser abzuwägen, ob es den Preis auch wert war, den man dafür würde zahlen müssen. Und so sehr Shayan das Sklavendasein bei der Flavia und das, was hier im Ludus gefordert war – und damit meinte er nicht das Training an sich – zuwider lief, war er doch auch niemand, der einfach nur rebellierte um des Rebellierens willen. Es hatte einfach keinen Sinn. Ohne ein weiteres Wort also drehte er sich um, als der Mann verschwunden war, und folgte einem der Jungen, der ihm den Weg in die Arena wies, und dort angekommen, betrat er das Rund und hielt Ausschau nach dem Doctor Dimachaeri. Der Parther kannte sich nicht wirklich aus mit den unterschiedlichen Gladiatorengattungen, aber er wusste, was er lernen sollte, also bewegte er sich auf eine Gruppe von Kämpfern zu, die mit zwei Schwertern trainierte. In der Nähe des Mannes angekommen, der offensichtlich der Doctor war, blieb Shayan stehen. Er neigte kurz den Kopf zum Gruß, ohne allerdings etwas zu sagen, und verharrte abwartend.

  • Zitat

    Original von Iunia Axilla
    “Ich bin Director, procurator Hadrianus.“ Nur ein kleiner Hinweis zur richtigen Benennung seines Amtes. Immerhin war er als Director weitaus besser bezahlt, wenn auch mit einem eingeschränkterem Betätigungsfeld. Aber wer wollte schon solche Erbsen zählen?


    Da sein Besuch nichts trinken wollte, setzte sich der Iuventier bequem hin und hörte sich das Anliegen des Kollegen an, wenngleich dieser nicht so genau bekannte, was er denn nun wollte.
    “Hier ist kein Ausbilder mit diesem Namen“, erwiderte Murcus sachlich gefasst auf die Frage. Hier im Ludus waren zwölf Doctores, eine so überschaubare Zahl, dass Iuventius Murcus sich befleißigte, sich die Namen zu merken. Vor allem, da die meisten von diesen sich mit dem Training einzelner, besonders herausragender Gladiatoren befassten, so dass ihm diese Namen noch geläufiger waren. Ein guter doctor war pures Gold wert, und das absolut nicht metaphorisch gemeint.


    Da diese Antwort aber dem Hadrianer kaum weiterhelfen würde, gab Murcus einem seiner Schatten einen kleinen Wink. Der Scriba, der bislang unauffällig im Hintergrund gestanden hatte, machte sich sogleich auf den Weg aus dem Officium hinaus, ohne dass weitere Worte nötig waren.
    “Vielleicht ist es einer der Gladiatoren, wenn auch nicht der Primus Palus.“ Dessen Namen war dem Iuventier aufgrund seiner Erfolgswelle auch geläufig. “Aber sag an, was interessiert dich an dem Mann?“


    Director? Ich ging immer davon aus, dass alle Ludi gleichermaßen von kaiserlichen Beamten und somit auch das selbe Gehalt und die selbe Titelierung hatten bzw. der Leiter des Ludi Magnus sogar ein wenig besser gestellt war. Aber man lernte ja nie aus.


    Wie dem auch sei Director Iuventius Murcus...


    Eigentlich wollte ich dem Director nicht auf die Nase binden, weshalb ich mit dem Mann reden wollte. Aber ich würde wohl oder übel eh nicht drumherum kommen.


    Ich will es kurz machen. Ich benötige für meinen Ludus einen neuen brauchbaren Ausbilder und da kam mir der Name dieses Melachi zu Ohren. Der des Ludus Magnus in Jahre gekommen und wird bald ausscheiden...

  • Ah, natürlich, der Procurator suchte nach neuen Talenten. Auch wenn der Iuventier davon ausgegangen war, dass Procuratoren sich dafür eher auf den Sklavenmärkten ihrer Bezirke tummelten und nicht in Ludi gingen, die ja bereits ausbildeten. Aber scheinbar hatte der Procurator hier den Posten des Directors des Ludus Magnus inne, eine Sache, von der Iuventius Murcus als Provisorium seinerzeit ausgegangen war. Aber es stand ihm nicht zu, über die Entscheidungen der Administratio zu urteilen, er genoss einfach sein Salär, das überdies äußerst großzügig war.


    “Nun, da ist es verständlich, dass du dich an einen anderen Ludus wendest.“ Verständlich, wenn auch unfein. Denn so, wie der Hadrianer geklungen hatte, hätte er einen der Ausbilder von hier abwerben wollen. Und Murcus natürlich verwehrte sich dagegen, seinen Ludus als Zulieferbetrieb des Ludus Magnus zu sehen. Schließlich war es der Ludus Dacicus, der die besten Thraker und Dimachaeri ausbildete! Abgesehen von dem Ludus in Ravenna vielleicht (und selbst hier ließe es Murcus auf einen Vergleich ankommen). Doch natürlich ließ er sich nichts anmerken, zu viele Jahre im Sinne der Stoa lehrten einen gleichmütigen Gesichtsausdruck. Noch dazu, wo dieser Malachi oder Melachi oder wie auch immer der Kerl hieß, keines seiner besseren Pferdchen im Stall war. Über den konnte man also gegebenenfalls verhandeln.


    Und da kam auch schon der Scriba mit einer Tafel herein, die er mit einer kleinen Verneigung an Murcus weiterreichte. Dieser nahm das Schriftstück, und kurz zuckte eine Augenbraue nach oben.
    “Nun, wie es scheint, Procurator, bin ich hierfür der falsche Ansprechpartner. Wir haben hier einen Gladiator namens Malachi, der allerdings vor einigen Monaten privat an eine Iunia verkauft wurde. Sie lässt ihn hier weiter trainieren, aber über einen Wechsel des Ludus und des Einsatzfeldes müsstest du mit ihr verhandeln.“
    Und damit erinnerte sich Murcus auch schwach daran, wen der Hadrianus meinte, hatte er seinerzeit doch selbst den Verkauf abgewickelt.

  • Sicher mußte mein Ansinnen meinem Gegenüber etwas merkwürdig erscheinen, allerdings wenn ich selbst einen brauchbaren Ausbilder unter meinen Gladiatoren hätte würde ich mir diese Mühe nicht machen.


    Selbstverständlich weniger. Es macht mir auch nicht wirklich Freude, davon kannst du ausgehen. Aber es ist eben nun einmal so...


    Dabei verzog ich ein wenig mein Gesicht, als hätte ich in eine Zitrone gebissen.
    Als dann der Schreiber kam und erklärte, dass dieser Malachi gar nicht mehr hier "angestellt" war, verzog ich gleich noch einmal ein wenig mehr mein Gesicht. Hätte ich dies gewußt, so hätte ich mir diese mehr oder weniger Blamage ersparen können...
    So nahm ich dankend die Information entgegen und verabschiedete micht auch gleich wieder, um mich auf die Suche nach dieser Iunia Axilla zu machen, der dieser Gladiator nun war.


    Dann danke ich für diese Information und wünsche dir noch einen angenhemen Tag Iuventius Murcus.


    Nickte ihm noch einmal freundlich zu und verließ sein Officium und den Ludi.

  • Zitat

    Original von Shayan
    [...] In der Nähe des Mannes angekommen, der offensichtlich der Doctor war, blieb Shayan stehen. Er neigte kurz den Kopf zum Gruß, ohne allerdings etwas zu sagen, und verharrte abwartend.


    Und der Parther blieb zunächst einmal da stehen. Schweigend, ohne etwas zu sagen, ohne auf sich aufmerksam zu machen. Und ohne scheinbar bemerkt zu werden. Er wusste nicht genau, wie lange er da nun stand, aber ganz sicher zu lange, um das noch als Zufall abzutun, oder tatsächlich zu glauben, der Doctor – und auch sonst keiner – habe ihn gesehen. Einen Moment unschlüssig, ob er nicht doch irgendwie auf sich aufmerksam machen sollte, und sei es durch ein Räuspern, beschloss Shayan dann doch, einfach stehen zu bleiben und zu schweigen. Nach allem, was er gehört hatte – sowohl von dem Juden als auch von dem Angestellten vorhin – mochte das bereits ein erster Test sein, ob er sich an die Regeln hielt. Es ist dir nicht gestattet zu sprechen, außer du wirst gefragt. Nun, er selbst hielt das hier gerade für Zeitverschwendung, aber wenn dem so war, dann war es so.
    Shayan blieb also stehen und beobachtete nur die Kämpfer vor ihm, wie sie übten, immer wieder dieselbe Schlagabfolge, immer wieder auf den Pfahl, immer auf dieselbe Stelle. Er kam nicht umhin, die Präzision derer zu bewundern, die erfahrener waren, das Spiel der Muskeln, das eine fließende Qualität zu haben schien. Er mochte Bogenschütze sein, aber er kannte sich genug aus, um zu erkennen, wann er einen Kämpfer vor sich hatte, der sein Handwerk beherrschte, gleich welche Waffengattung es sein mochte.
    Er sah den Kämpfern weiter zu, bis irgendwann dann doch der Doctor zu beschließen schien, dass es nun an der Zeit war, sich ihm zu widmen. „Parther.“ Der Mann sah nicht zu ihm, lediglich ein mit dem Wort einhergehender Wink mit dem Arm machte Shayan klar, dass er gemeint war. Er folgte der Aufforderung und kam näher, während die Gladiatoren einfach weiter trainierten, und im nächsten Moment, nach einem weiteren Wink, bekam er von einem der beiden Jungen zwei Holzschwerter in die Hände gedrückt. Das unerwartete Gewicht überraschte ihn im ersten Moment etwas, zog ihn gar ein wenig nach vorne, bevor er sich fing, aber der Doctor achtete gar nicht weiter darauf, sondern gestikulierte nur erneut, etwas unwilliger diesmal. „Gleiche Abfolge. Los.“ Shayan passte den richtigen Moment ab, in dem er einsteigen konnte, ohne sofort aus dem Rhythmus zu geraten, und begann dann.


    Und kam nicht sofort aus dem Rhythmus. Erst einen Moment später.


    Von da an reihte sich ein Augenblick an den nächsten, in einer schier endlosen Zahl. Shayan verlor jedes Zeitgefühl. Seine Muskeln begannen schon nach kurzer Zeit zu protestieren gegen das, was er von ihnen forderte. Er war Bogenschütze gewesen und Reiter, kein Schwertkämpfer und schon gar nicht einer, der mit größeren Gewichten hantierte, wie es diese Holzschwerter darstellten, und selbst dafür, für seine ureigenste Disziplin, hatte er schon zu lange nicht mehr trainiert, um eine Übungseinheit wie diese mühelos überstehen zu können.
    Und dennoch machte er stur weiter, Schlag auf Schlag, immer die gleiche Abfolge, bis der Doctor eine andere befahl. Unterbrochen nur, wenn er aus dem Tritt kam, dem Rhythmus nicht folgen konnte, was häufig geschah und nie sonderlich angenehm für ihn endete, weil der Doctor nicht lange fackelte, wenn es darum ging ihn weiter anzutreiben. Wortlos die Verbesserungen hinnehmend, an der Haltung seines Oberkörpers, seiner Füße, seiner Arme, seiner Hände, seiner Bewegungen und seiner Technik, überhaupt allem, wie ihm schien, stets nebenher, stets so beiläufig, dass sie eigentlich nicht dazu angedacht waren, die Übungen zu unterbrechen, und doch in schöner Regelmäßigkeit dazu beitrugen, dass er den Rhythmus verlor, insbesondere dann wenn er sie nicht sogleich umzusetzen versuchte, weil der Doctor auch dann nicht lange fackelte.


    Und je mehr Zeit verging, desto mühsamer wurde alles. Shayan hatte nicht das Gefühl, dass das, was er in seiner Grundausbildung gelernt hatte mit dem Schwert, ihm hier wirklich viel brachte. Genauso wenig manifestierte sich der Eindruck, dass er auch nur ansatzweise so etwas wie Routine bekam.
    Stattdessen schienen die Waffen immer schwerer und schwerer zu werden, schien es immer mehr und mehr Kraft zu kosten, sie zu heben, auszuholen, auf den Pfahl einzuschlagen wie vorgegeben, und zugleich wurde es schwerer, sich all das zu merken, was noch dazu gehörte – Haltung, immer wieder Haltung, Arme, Beine, Hände, die richtige Haltung, der richtige Schwung, der richtige Dreh. Schweiß rann ihm in Strömen hinunter, während es immer häufiger dazu kam, dass er Fehler machte, zu langsam war, taumelte.
    Ein Vormittag.
    Ein einziger Vormittag, Stunden nur, reichten aus um ihn an den Rand der Aufgabe zu bringen, denn so weit war der Parther irgendwann, dass sein Körper ein einziger Schmerz zu sein schien, dass mit jeder weiteren Anstrengung seine Muskeln aufzubrüllen schienen und Ruhe verlangten. Und doch war es nicht das erste Mal in seinem Leben, dass er an den Rand der Erschöpfung kam, nicht das erste Mal, dass er sich danach sehnte einfach aufhören zu können. Seine Ausbildung, so viel sie auch gefordert haben mochte, war kein Vergleich hierzu. Der Krieg, die Schlachten, in denen er gewesen war, die bittere Realität, die damit einherging, hingegen schon.
    Das hier hatte... letztlich nur eine andere Qualität. Ein anderer Rahmen, andere Bedingungen, andere Forderungen – vor allem andere Voraussetzungen. Er war hier nicht wirklich freiwillig, auch wenn er sich insofern dafür entschieden hatte, dass er darauf verzichtet hatte sich zu weigern – und dafür bestraft zu werden. Es gab nichts, wofür er kämpfen konnte. Nichts, wofür es sich zu kämpfen lohnte. Nur der Zwang durch die Tatsache, dass er im Grunde keine Wahl hatte, weil er ein Sklave war und seine Herrin mit ihm tat, was sie wollte. In diesem Moment half ihm nicht einmal sein Glaube sonderlich viel, denn wo er im Krieg Kraft aus seiner Überzeugung hatte ziehen können, begann er nun mehr und mehr zu glauben, dass er irgendetwas getan haben musste, was Ahura Mazda dazu veranlasst hatte ihn zu strafen. Und so sehr er gewillt war, das zu ertragen, so wenig verhalf ihm dieser Gedanke zu Stärke. Und irgendwann war es nur sein Stolz und sein Ehrgeiz, die ihn daran hinderten die Holzschwerter einfach hinzuwerfen, sondern ihn weitermachen ließen.

  • [Blockierte Grafik: http://img823.imageshack.us/img823/1926/malachi2.jpg]


    Mittag. Eine erste Verschnaufpause im Training – oder eine Unterbrechung, je nachdem, wo man stand. Zusammen mit seinen Brüdern ging Malachi zur Essensausgabe. Jeder hatte seine Schale und seinen Löffel, und ohne irgendein Wort, ohne Scherz oder gar Streit, standen sie alle an, ließen sich ihre Kelle Essen und einen Kanten Brot geben, um zu ihren Plätzen zu gehen. Es war jeden Tag dasselbe Ritual, derselbe Ablauf. Die alten Gladiatoren vollführten dies genauso routiniert wie davor die Übungen mit dem Schwert: Schweigend, präzise und ohne auch nur darüber nachzudenken.
    Nur die neueren hatten da Probleme. Ein Novicus – ein Freiwilliger, soweit Malachi wusste – stellte eine Frage: Was das da in seiner Schale war. Das Ergebnis war, dass einer der Doctores ihm einen Schlag in den Rücken mit dem Stock verpasste, so dass dieser die Hälfte seines Essens verschüttete. Die harschen, gebrüllten Worte, die folgten, ließen aber keinen Zweifel daran dass er sich “AN SEINEN PLATZ SETZEN!“ sollte. Und “WEHE, EIN TROPFEN ESSEN LANDET AUF DEM BODEN!“, dann würde dieser “MISTKÄFER VON EINEM SCHWÄCHLING!“ den Doctor erst von der wirklich unangenehmen Seite kennenlernen. Danach war wieder Totenstille.
    Ein anderer Novicus zitterte so sehr, dass er beinahe seine Schale nicht zum Platz tragen konnte. Die Ketten rasselten bei jeder Bewegung. Sein Gesicht sah blass aus. Ein sehr guter Kandidat für das Spiel.
    “20 Sesterz'n auf den Griech'n“, meinte Ferox vergnügt, als das Essen eröffnet worden war und zumindest den älteren Gladiatoren ein leises Gespräch gestattet war. (Oder besser gesagt, es wurde nicht so drakonisch geahndet.)
    Der Nubier ließ seinen Kennerblick ebenfalls über die neuesten Brüder gleiten. Seinem schwarzen Gesicht war keine Regung anzumerken, bis zu dem Zeitpunkt, als er mit einem Lächeln eine herausstechend weiße Reihe Zähne zu zeigen. “Eine gute Wahl, Thraker, gute Wahl. Doch glaube ich, du bist vorschnell. Ich denke viel eher, dass unser Auctorati dort drüben das rennen machen wird. Was meinst du, Matinius?“
    Seitdem Genucius Matinius die Sache mit den Spottpreisen bei den Gladiatoren vom Ludus Magnus gehört hatte, hatte er beständig schlechte Laune. Er schaufelte momentan lustlos sein Essen in sich hinein und brütete in seinen Gedanken. Seine Frau stand an der Essensausgabe und half den Bediensteten, zusammenzuräumen. Sie war eine echte luda (und nicht zu verwechseln mit einer lupa) und solange ihr Mann hier als Gladiator arbeitete, lebte sie mitsamt ihrer Familie hier und half bei den Aufgaben, die sie erledigen konnte. Die beiden hatten wohl einen lauteren Streit gehabt, was noch mehr zur Verdrießlichkeit des Genuciers beitrug.
    Er schaute nur kurz missmutig auf. “Der Parther“, meinte er so lustlos wie alles andere und widmete sich dann seinem Essen wieder.
    “Der Parther? Bist du sicher, Mann?“
    “Lass ihn, Nubius, lass ihn. Sein Geld is' mir sehr willkomm'n, ich bin mir nicht zu fein, 's ihm abzuknöpf'n'.“ Ferox lachte sein dreckiges, unangenehmes Lachen, bis ein Aufseher hersah. Augenblicklich verstummte er und beugte sich über sein Essen. “Pst. Jude! Malack! Was meinst'n du? Willst mich nich' auch 'n bisschen reicher machen?“
    Malachi sah von seinem Essen auf und blickte über die Neulinge. “Ich denke, der Nubier nimmt dich aus. Wie jedes Mal.“ Er beteiligte ich nicht am Spiel.


    Die Regeln des Spiels waren ganz einfach. Die Neulinge waren die Anstrengung des Trainings nicht gewohnt. Und sie mussten essen, wenn es Essen gab. Sie durften sich nicht erst ausruhen und entspannen, bis sie so weit waren. Was zur Folge hatte, dass immer mindestens einer sich die Seele aus dem Leib kotzte. Oder anfing, unkontrolliert zu heulen und zu schluchzen und danach zu jammern, hier heraus zu dürfen/dass seine Mutter ihm half/dass die Götter ihm das Schicksal ersparten. Und nun schlossen die übrigen Tische kleine Wetten ab, wer das denn sein würde. Manchmal brachen auch mehrere zusammen, dann wurde der Topf gestaffelt ausgeschüttet. Der erste bekam den Löwenanteil, der zweite noch ein wenig und der Dritte vielleicht seinen Einsatz wieder.


    Und es dauerte auch nicht lange, bis das Spiel anfing. Der zitternde Grieche, auf den Ferox gesetzt hatte, zitterte immernoch und aß nicht einen Happen. Solang, bis zwei Ausbilder herbei kamen und erst auf ihn einredeten mit eindeutigen Worten, und schließlich dann einer ihn festhielt und der andere ihm erst einmal einen Löffel Getreidebrei in dem Mund stopfte. Wenn der Befehl lautete, zu essen, wurde gegessen. Die Männer brauchten die Nahrung, um durchhalten zu können.
    Der Schwätzer, auf den der Nubier gesetzt hatte, hatte unterdessen zu essen angefangen. Langsam, sich immer wieder die Rippen haltend. Der Doctor vorhin war nicht zimperlich mit ihm umgesprungen. Während also der Grieche zu heulen anfing, als die beiden Aufseher ihn zum Essen zwangen, wurde er immer blasser und verschwitzter. Und schließlich schaffte er es noch gerade so eben, aufzustehen und sich vom Tisch abzuwenden, ehe sich hauptsächlich Galle und ein wenig Puls einen Weg von seinem Magen zum Steinboden suchten. Ein Aufschrei des Ekels folgte von den Umstehenden.
    Der Grieche wurde losgelassen, weil die beiden Aufseher erst einmal Ordnung in die Gladiatoren bringen mussten – was sie auch mit einigen gebellten Befehlen recht schnell schafften. “WEITERESSEN!“ war dabei noch das freundlichste, und wurde umgesetzt. Als alle wieder saßen, wurde der Auctoratus von den beiden erst einmal abgeführt und zum Medicus verfrachtet. Schlagen als Strafe half da – noch – nicht viel, aber das würde folgen, wenn er nicht mehr ganz so geschwächt war.


    Malachi wandte sich an Ferox. “Hab ich doch gesagt. Er gewinnt immer.“
    Ferox maulte etwas unverständliches in seiner Muttersprache und reckte dem Nubier die Faust entgegen, die dieser mit selber Geste berührte, womit klar war, dass Ferox seine 20 Sesterzen bezahlen würde. Sobald er sie hatte. Dem Genucius erließ der Nubier seinen Einsatz.


  • Er hielt durch. Natürlich hielt er durch, etwas anderes wäre gar nicht in Frage gekommen für ihn. Er war Parther, er war edler Abstammung, aber allem voran: er war Mitglied des parthischen Heeres gewesen. Aufgeben war keine Option für ihn. Eine unausweichliche Niederlage akzeptieren, das ja – aber nicht aufgeben, solange es allein in seinem Ermessen lag, weiter zu machen. Also machte Shayan weiter, Schlag auf Schlag, bis irgendwann die Doctores das Zeichen zur Mittagspause gaben.
    Shayan wischte sich grob den Schweiß und Schmutz aus dem Gesicht, während er den anderen zur Essensausgabe folgte. Hunger hatte er nicht wirklich, aber das war etwas, was er durchaus noch gewohnt war, von der Ausbildung, und mehr noch vom Krieg. Anstrengung dieser Art ließ einem den Appetit vergehen, aber Nahrung war nötig, und so holte er sich seine Portion, ignorierte den kleinen Vorfall bei der Ausgabe, setzte sich auf den angewiesenen Platz und begann zu essen, langsam, bedächtig, aber ohne zu stocken. Nicht zu schnell essen, das funktionierte in der Regel.
    Er war zu erschöpft, um großartig auf die anderen zu achten. Dazu kam, dass einer von ihnen gar nicht aß und von den Aufsehern schließlich gezwungen wurde, was mit Geheule des Mannes einherging, das Aufmerksamkeit auf sich zog. Beides führte dazu, dass Shayan erst bemerkte, als es schon zu spät war, dass noch einer der anderen an seinem Tisch nicht so ganz damit klar kam, direkt nach dem Training zu essen. Plötzlich stand der Mann neben ihm auf und wandte sich ab, und im nächsten Moment entleerte er den Inhalt seines Magens auf dem Boden. Shayan zuckte zur Seite weg, konnte aber nicht verhindern, dass er von ein paar Spritzern getroffen wurde, was er mit einem Stirnrunzeln zur Kenntnis nahm, bevor er aufstand und Anstalten machte, dem Mann zu helfen. Das allerdings wurde effektiv von den Aufsehern verhindert, noch bevor er sein Vorhaben wirklich in die Tat umsetzen konnte. Grob wurde er an der Schulter gepackt und wieder auf die Bank zurückgestoßen, wo er zunächst auch sitzen blieb – aber zu essen begann er erst wieder, als er sah, dass der Kerl fortgebracht wurde.


    Nach dem Essen ging es weiter. Die kurze Pause hatte nicht wirklich dazu beigetragen, dass er sich hätte erholen können. Im Gegenteil, es war gerade genug gewesen, um es nun dieses kleine bisschen schwerer zu machen, sich wieder zu bewegen, anzustrengen. Shayan verfluchte die Wochen, die er im Besitz des Händlers damit zugebracht hatte, sich einfach nur durch die Gegend transportieren zu lassen. Bei seinem vorigen Besitzer hatte er trainieren können, nicht so wie hier, aber damals war er in weit besserer Form gewesen als jetzt, ganz zu schweigen vom Krieg selbst. Weiter ging es, wieder Schlag auf Schlag, neue Bewegungsabfolgen, neue Kombinationen, neue Schrittfolgen. Die Qual am Vormittag bewies nun den Vorteil, dass Shayan wesentlich schneller an den toten Punkt kam, ab dem er einfach stur tat, was er zu tun hatte, ohne mehr großartig auf die Schmerzen in seinen Muskeln zu achten, einfach weil er so weit weg war, dass er gar nicht zu ihm zu gehören schien.
    Shayan bewegte die Schwerter also weiter, nicht mit dem Elan, der vielleicht darin liegen sollte, nicht mit der Präzision, die andere zeigten, aber immerhin: er schlug zu, folgte den Anweisungen so gut es ihm möglich war, und steckte ohne zu klagen die Schläge ein die folgten, wenn er aus dem Tritt kam oder zu langsam war. Weiter, immer weiter, etwas anderes als das schien es nicht zu geben. Bis plötzlich Aufruhr entstand.
    Der Kerl von vorhin, der sich beim Essen übergeben hatte, war bereits seit einiger Zeit wieder in die Arena zurückgekehrt, immer noch bleich, und eindeutig nicht sicher auf den Beinen, was sowohl an den Unstimmigkeiten liegen mochte, die er mit seinem Magen gehabt hatte, als auch an dem, was die Aufseher mit ihm danach angestellt haben mochten. Das an und für sich hatte noch niemandes' Aufmerksamkeit erregt. Der Auctoratus allerdings hatte zusehends Schwierigkeiten, mitzukommen, handelte sich deswegen immer häufiger einen Schlag eines der Doctores ein – bis er schließlich nicht mehr zu können schien. Oder einfach nur beschlossen hatte, nicht mehr zu wollen. Er taumelte, brach auf ein Knie und ließ seine Waffe sinken, aber im nächsten Augenblick war schon ein Aufseher bei ihm und zog ihn grob wieder nach oben, mit einem gebrüllten Befehl, weiterzumachen, und dem Stock gezückt, bereit ihn einzusetzen.
    Auch Shayan sah, wie einige andere, hinüber, trug sich das Ganze doch direkt in seiner Nähe zu. Und als er die Erschöpfung im Gesicht des Mannes sah, handelte er ohne nachzudenken. Er ließ seine Waffen sinken und trat ein paar Schritte näher. „Lasst ihn in Ruhe. Der Mann hat genug.“ Seine Stimme war nicht einmal sonderlich laut, aber deutlich und klar genug, um gehört zu werden. Er war kein einfacher Soldat gewesen, er hatte seine Bogenschützen angeführt, er war es gewohnt, vor Leuten und in Tumult zu sprechen – und gehört zu werden. Allerdings war das hier eindeutig ein Nachteil. Die Neulinge um ihn herum jedenfalls schienen kollektiv den Atem anzuhalten, fast als hätten sie Angst, versehentlich die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken, während Shayan und der Doctor sich für einen Moment ansahen, der Doctor abschätzend, Shayan regungslos, ohne Provokation, aber zugleich auch nicht gewillt, seinen Blick zu senken. Er wusste, in diesem Moment, was ihm blühte. Es wäre ihm von vornherein klar gewesen, hätte er vorher darüber nachgedacht. Trotzdem kam es nicht in Frage für ihn, nun zu kuschen und um Gnade zu winseln, und sei es nur durch irgendeine Geste.
    „So. Meinst du.“ Im nächsten Augenblick blieb Shayan die Luft weg, als er einen Schlag vor die Brust bekam, so heftig, dass er taumelte – gefolgt von einem weiteren, der ihn endgültig in den Sand schickte. Er spürte den metallischen Geschmack von Blut im Mund, aber bevor er sich wieder aufrappeln konnte, wurde er bereits grob nach oben gezogen, während um ihn herum nun plötzlich wieder Leben in die anderen kam.

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