Es war definitiv eine schlechte Idee gewesen. Er hatte gegen die wohl wichtigste Regel verstoßen, die es in einem Ludus gab, jedenfalls wenn er den Juden richtig verstanden hatte, als er das letzte Mal hier gewesen war. Er hatte nicht nur unerlaubt gesprochen, er hatte widersprochen. Trotzdem bereute Shayan nicht, dass er für den anderen interveniert hatte. Der Mann war fertig. Nicht dass es ihm viel brachte, denn er wurde genauso wieder brüllenderweise ins Training getrieben wie die anderen Neulinge und ein paar der älteren Gladiatoren, die im Training gestockt hatten, um zuzusehen, aber dennoch war er überzeugt davon, dass es einfach richtig gewesen war, etwas zu sagen. Wenigstens darauf hinzuweisen.
Ohne sich zu wehren ließ Shayan sich auf die Füße zerren, ein paar Schritte fort von den Trainierenden, hin zu einer Vorrichtung, wo ihm mit wenigen Handgriffen die Hände gefesselt und nach oben gezogen wurden, bis er gerade noch so stehen konnte.
Augenblicke später ging schon der erste Peitschenhieb auf seinen Rücken nieder.
Gleich darauf der nächste.
Und der nächste.
Shayans Finger hatten sich um das Seil gekrampft, das seine Hände gefesselt hielt, sein Kopf war gesenkt, die Lider aufeinander gepresst, während er die Schläge zählte, ohne wirklich bewusst zu erfassen, wie oft die Peitsche ihn nun traf. Er zählte einfach nur, um sich abzulenken von dem Schmerz, der in seinem Rücken aufblühte. Zählte den Moment herbei, in dem sie aufhören würden. Ohne es zu merken, stieß er manche der Zahlen, in seiner Muttersprache, halblaut hervor, immer dann, wenn er sich nicht gerade die Lippe noch blutiger biss als sie ohnehin schon war, um einen lauteren Schmerzlaut zu unterdrücken, lauter als das Stöhnen, das er bald nicht mehr unterdrücken konnte. Und er zählte weiter, weil es das Einzige war, woran er sich wirklich klammern konnte in diesem Moment, verlor sich darin, zählte, als hinge sein Leben davon ab, und unterwarf sein Bewusstsein dem Rhythmus dieses Zählens, der wiederum den Schlägen unterworfen war. Zwang seinen Atem, sich diesem Rhythmus ebenso zu unterwerfen, Schlag, Zahl, nur den Bruchteil eines Augenblicks nachdem die Peitsche ihn berührt hatte, Ausatmen gemeinsam mit der Zahl, Einatmen, Ausatmen, Einatmen, abgehakt nur, dazu gedacht, diese winzige Pause zu füllen, ja nicht aus dem Takt kommen, der ihm half, den Schmerz zu beherrschen, und dann wieder Schlag. Zahl. Ausatmen. Einatmen. Ausatmen.
Irgendwann kam der Moment, in dem kein Schlag mehr kam. Shayan begriff es zuerst überhaupt nicht, zählte und atmete weiter, bis auch er aufhörte, als die Schläge ausblieben. Keinen Augenblick später drangen die Schmerzen zu ihm durch, und er biss sich auf die Lippe und spannte die Muskeln an, noch mehr als zuvor, um sich zu beherrschen. Es dauerte allerdings nicht lange, bis er losgemacht und wieder durch die Gegend geschleift wurde, und bevor er es sich versah, war er irgendwo in den Ludus gebracht worden in einen Raum, wo er unsanft auf eine Liege gedrückt wurde, mit dem Bauch nach unten. Gleich darauf spürte er, wie sich jemand an seinem Rücken zu schaffen machte, und diesmal, ohne die Hilfe des Zählens, konnte er einen Schmerzlaut nicht mehr unterdrücken. Aber auch das ging vorbei. Die Wunden wurden gesäubert, das spürte er nur zu deutlich, und anschließend wurde irgendetwas aufgetragen. Shayan fragte nicht nach, was es war, oder wer ihn da behandelte. Es spielte keine Rolle, es wurde einfach gemacht, ob nun mit oder seine Kenntnis oder gar sein Einverständnis, war völlig gleichgültig. Und die Paste kühlte, linderte den Schmerz tatsächlich.
Für einige Momente wurde er dann in Ruhe gelassen. Kein Wort fiel, in der gesamten Zeit nicht. Shayan lag einfach nur da, zwang sich, kontrolliert zu atmen, spürte den Schmerz nach und nach weit genug abebben, dass er wieder klar denken konnte, und begriff ebenso nach und nach, dass der Aufseher kaum mit seiner ganzen Kraft zugeschlagen hatte. Verständlicherweise. Letztlich war er hier, um zu trainieren, zu kämpfen, und das konnte er nicht mehr, wenn sie ihn zu Brei schlugen. Es sollte eine Strafe sein, nicht mehr und nicht weniger, und eine Strafe war effektiver, wenn er danach bald weiter machen konnte, sie noch spürend, sie vielleicht auch den anderen zeigend, aber ganz sicher nicht irgendwo herumliegend und umsorgt werdend.
Wieder spürte er Hände auf seinem Rücken, spürte er erneut, wie etwas aufgetragen wurde. Dann öffnete sich eine Tür, und Shayan hörte einen Mann rufen: „Könnt ihn wieder mitnehmen.“
Gleich darauf war der Parther wieder in der Arena, die Holzschwerter in der Hand, und zwang sich mühsam – und nicht von sonderlich viel Erfolg gesegnet, jedenfalls was Takt und Tempo anging –, weiterzumachen.