Die Neuankömmlinge

  • Zunächst dachte sie, Melina würde nicht reden wollen, weiter die Mauer um sich aufbauen hinter der sie sich versteckte. Den Kummer nicht zeigen, den sie mit sich herum trug. Wie gut konnte sie Melina verstehen. Auch sie hatte so einiges durchgemacht, viel Leid erfahren, viel Kummer erlebt. Es hatte ihr geholfen zu reden, sich jemandem anzuvertrauen. Umso erstaunter war sie dann als Melina sich so plötzlich ihr öffnete. Umgehend stellte sie den Becher ab und setzte sich zu der Quintilia auf die Kline und nahm sie tröstend in den Arm. „Es tut mir Leid“, sagte sie leise und streichelte ihr über den Rücken. „Es ist nie leicht, wenn man jemanden verliert den man liebt“, fügte sie mitfühlend hinzu. „Ich bin mir sicher, dass er wusste, dass du ihn lieb hattest. Brüder wissen so etwas!“ meinte Calvena sanft und ließ es zu, dass Melina ihren Tränen freien Lauf ließ. Kurz zeigte sich auch auf ihren Gesicht der alte Kummer, doch es war nicht mehr so schlimm. Zwar vermisste sie ihre Familie immer noch, aber es gab andere Menschen die sie nun liebte und für sie da waren.
    Umso deutlicher trat nun das Schicksal von Serrana in den Vordergrund und sie schluckte trocken. Auch ihr standen kurz die Tränen in den Augen, sie fürchtete sich davor ihre liebste Freundin zu verlieren.
    „Ich weiß wie es dir geht“, vertraute sie ihr an.

  • Melina blickte mit von Tränen geröteten Augen auf. Mit einem schwungvollen Wurf wurden die Haare in ihre alte Position zurückbefördert, dennoch die schwungvolle Bewegung konnte nicht über die traurige Stimmung hinwegtäuschen. "Danke," japste Melina und schluckte. Calvena war nun hier und konnte mit Melina die nichtverarbeitete Trauer aufarbeiten, auch wenn Melina das nicht offen wollte. "Wirklich? Hat er es gewusst?" Ihre Augen waren glasig, groß und voller Traurigkeit als der Blick in Calvenas Augen fiel. "Du weißt es?" Das traurige Mädchen war wirklich überrascht, denn sie hatte nicht damit gerechnet, dass die stolze Calvena so ein Gefühl kannte. Für Melina war Calvena immer perfekt gewesen: die perfekte Römerin, schön, lieblich und klug sowie beherrscht. Ihr Augen weiteten sich in ihrem glasigen Schimmer. Calvenas Umarmung fühlte sich gut an. Sie war der rettende Hafen, den sie nun brauchte. Melina legte ihren Kopf auf ihre Schulter. "Ich vermisse ihn...," sagte sie. "...meinen Bruder."

  • Es war, als hätte Melina darauf gewartet, mit jemandem über ihrem Kummer zu reden. Anscheinend hatte die Quintilia weniger Freunde, als es den Anschein hatte, oder aber ihre Freunde bestanden wirklich nur aus einem Haufen wilder Jungs. Beide Möglichkeiten waren nicht sonderlich aufbauend, besonders nicht für eine junge Frau, die Kummer mit sich herum trug. „Ganz sicher hat er das gewusst“, anscheinend hatte sie die richtigen Worte gefunden. Sie gaben Melina wieder etwas auftrieb und ließe wohl die Schuldgefühle schrumpfen.
    Ihr Eingeständnis, dass sie wusste wie es Melina ging, schien die Quintilia erst einmal zu verwundern. Calvena drückte Melina noch etwas mehr an sich und ließ es zu, dass diese ihren Tränen freien Lauf ließ.
    „Du wirst ihn auch noch eine ganze Weile vermissen. So ist das mit Menschen, die wir lieben. Wir vermissen sie, wenn sie nicht mehr da sind und haben dann meist das Gefühl, dass wir vergessen haben ihnen etwas Wichtiges zu sagen. Man ist dann nicht nur traurig, sondern fühlt sich auch ein klein wenig schuldig…“ Zumindest ging es ihr so.

  • Die Tränen wogen schwer im zarten Gesicht von Melina. Die Worte von Calvena waren Balsam für die traurige Seele des jungen Mädchens. Er hatte es gewusst? Ja, das stimmte wohl. Er war immer der freudige Bruder gewesen, der mit Melina zusammen gelacht hat. Sie erinnerte sich. Eine wohlige Wärme machte sich in ihrem Herzen breit. "Ja, das hat er wohl," sagte sie leise als die Gedanken kurz in die Vergangenheit fielen. Einige Bilder, Emotionen umspühlten den jungen Geist von Melina. Ihr Bruder war kurz präsent. Er lächelte, streckte die Hand zu ihr aus und wischte ihr die Tränen aus dem Gesicht, dann verschwand er in einem nebelartigen Schein. Melina zuckte kurz zurück. Ihr Bruder war hier, da war sie sich sicher aber nun war er wieder weg, endgültig weg. Ihr Unterbewusstsein hatte soeben den entscheidenen Verarbeitungsschritt getan. Die Umarmung von Calvena tat ihr Übriges, dass Melina die Trauer verarbeiten konnte.


    "Du hast Recht, Calvena." Sie zog kurz die Nase hoch, da sich einiges an Flüssigkeit in dieser gesammelt hatte, hauptsächlich Tränenflüssigkeit. "Ich habe ihn gerade gesehen," sagte sie ehrlich. "Er erschien mir gerade vor meinem inneren Auge. Er möchte nicht, dass ich traurig bin." Melina kam sich nach dieser Aussage ein wenig lächerlich vor aber sie war der Meinung, dass Calvena die gesamte Wahrheit über sie verdiente. Nun gab es keinen Weg mehr zurück für Melina, jetzt blieb nur noch eines übrig; Calvena offen gegenüberzutreten. Eine weitere Träne verebbte am unteren Kinn von Melina.

  • Melina war völlig aufgelöst und schien ihre Zeit zu brauchen, ehe sie vollkommen ihren Kummer überwunden hatte. Die Quintilia hatte lange ihren Kummer hinter einer dicken Mauer versteckt und nun kam er zum Vorschein. Sanft streichelte Calvena ihr über den Rücken, während diese in die Ferne starrte und versuchte den Gefühlen her zu werden. Wie gut kannte sie dieses Gefühl. Völlige Verzweiflung, gemischt mit einer Spur Einsamkeit und vielen ungeweinten Tränen. Auch wenn Melina so oft unbeschwert und froh tat, dahinter hatte sich eine unglaublich traurige junge Frau versteckt.
    Wenig Damenhaft zog Melina die Nase hoch, aber sie konnte es ihr nicht verübeln, es gehörte dazu, später würde sich Melina dann etwas besser fühlen. Eine ganze Weile lang war Melina in Gedanken woanders, und Calvena gab ihr die Zeit die diese brauchte. Floskeln wie Alles wird gut waren überflüssig, es war viel Wichtiger dass man die Zeit bekam, seinen Kummer auszuleben und den Tränen freien Lauf zu lassen. Sie fühlte sich nun wirklich wie die große Schwester und wartete einfach ab, bis die Quintilia die Stille durchbrach.


    Ganz leicht legte sie den Kopf schief, als Melina ihr dann eröffnete, sie habe gerade das Gefühl gehabt, dass ihr Bruder da gewesen war und nicht wollte, dass diese traurig war. Ein Wink der Laren? Gut Möglich. „Weißt du, du musst dich nicht verstellen. Wenn du traurig bist, dann sei es ruhig. Du musst dich nicht für mich oder jemand anderes verbiegen, Wir haben dich so gern wie du bist!“

  • Melina atmete ein und aus. Ihre Lunge war schwer geworden in ihrer Brust. Die Luft wog ebenso schwer. Die Luft bewegte sich, wie Blei, durch ihre Luftröhre. Einige Tränen rannen noch aus ihren Augen, die leicht gerötet waren. Doch war die große Trauer inzwischen verflogen, statt dessen keimte in ihr eine gewisse Traurigkeit, ein Gefühl von Einsamkeit. Calvena unterstützte sie und dies machte die Traurigkeit ertragbar. Sie zeigte ihr, dass nicht die ganze Welt in diesem Moment kalt, einsam sowie still war. "Ja," jappste sie mit beschlagener, fast nicht mehr vorhandener Stimme. Ihr fehlten die Worte bei so viel Hilfe und Unterstützung. Calvenas Umarmung stützte die junge Frau wirklich. Melina konnte sich sogar ein kleines, trauriges Lächeln abringen, um Calvena zu zeigen, dass sie dankbar war. "Danke," jappste sie noch einmal und wandte sich zu Calvena um. Melina umarmte sie nun ebenso. "Danke, Calvena."

  • Langsam und allmählich schien Melina sich wieder zu beruhigen und zu sammeln. Auch wenn sie noch etwas traurig drein schaute und schniefte. Calvena wusste wie es Melina ging und auch wenn diese nun über ihren Kummer geredet hatte, war es im Grunde nur der Anfang. Melina brauchte Zeit, nur die Zeit konnte die Wunden heilen und den Schmerz lindern. „Du brauchst dich nicht bedanken... wenn du mit mir reden willst, dann hab ich immer ein offenes Ohr für dich.“ Melina umarmte sie stürmisch, dankbar und auch ein wenig halt suchend. Anscheinend hatte diese wirklich eine Freundin gebraucht, die ihr auch einmal zuhörte und nicht immer zu irgendwelchem Unsinn anstifte. Hinter der Fassade des Wildfanges versteckte sich eben eine traurige junge Frau, die noch auf der Suche nach sich selbst war. Irgendwann würde diese sicher auch fest mit beiden Beinen im Leben stehen, aber bis dahin durfte sie ruhig unsicher sein und auch mal über das Ziel hinaus schießen. Außerdem war sie ja kein schlechter Mensch, nur eben mit Brüdern aufgewachsen und Brüder waren nicht immer gute Zuhörer. Dafür aber gute Kumpels mit denen sich Pferde stehlen ließ und reichlich Unfug anstellen. Doch dann kam ein Mädchen meist etwas zu kurz und wenn die Brüder dann erwachsen waren, hatten sie wenig Verständnis für ein wildes Mädchen, welches ihren Brüdern nacheiferte.

  • Melina lächelte leicht abgerungen, fast schon steinig. Ihr steckte die Traurigkeit im Gesicht. All das Unglück, das ihr widerfahren war, keimte in ihr als eine traurige Weinrebe. Calvena war jedoch die Gärtnerin, die diese Rebe zu recht stutzte, bevor sich weitere Sprossen bildeten. Melina wollte nicht mehr allein sein. Sie wollte eine Familie haben, wie jedes andere Mädchen. Sie war zu lange Einzelkämpferin. "Ehm...", jappste sie im traurigen Tenor. "Calvena, du bist eine echte Freundin." Melina akzeptierte Calvena nun vollens. Sie vertrautre ihr. Erst mochte sie Calvena, die hübsche, perfekte Frau von Valerian, nicht aber nun sah sie diese Person in einem anderen Licht. Sie war eine Freundin, ein Vorbild und eine Stütze. Melina wollte nun vergessen, nicht verdrängen, denn sie suchte nun einen Weg zurück ins Leben. "Hast du Lust mit mir über den Markt zu gehen?" - eine einfache Frage, dennoch sprach sie das aus, was Melina gerade dachte. Sie dachte an eine echte Freundschaft zwischen den beiden. Zumal wollte Melina nun der Traurigkeit entfliehen. Ihr Bruder war nun an einem besseren Ort, das wusste sie und Calvenas Hilfe ließ wieder die Blüte der Hoffnung in ihr Keimen im Gegensatz zur traurigen Rebe. Aber immer noch wirkte ihr Gesicht traurig, was sich die nächsten Momente auch nicht ändern würde.

  • Nach wie vor, war Melina traurig und nicht zum ersten Mal fühlte sie sich an ihren eigenen Kummer erinnert. Sie musste an die durchweinten Nächte denken, an die vielen Vorwürfe die sie sich gemacht hatte, obwohl sie keine Schuld an dem trug, was sie erlebt hatte und die Einsamkeit die sie lange Zeit verspürt hatte. Vertrauen zu fassen, war ihr nicht leicht gefallen, doch am Ende hatte sie doch wieder Freude am Leben gefunden. Nachdenklich spielte sie kurz mit dem Ring an ihrem Finger. Das Verlobungsgeschenk von Valerian. Dieser Ring entlockte ihr sanftes aber auch irgendwie traurig wirkendes Lächeln. Sie war nun glücklich, aber sie würde nie die Menschen vergessen, die sie aufgezogen hatten und sie viele Jahre über begleitet haben. Noch immer vermisste sie diese Menschen. Eigentlich war es ihr damals schwer gefallen zu glauben, dass sie wieder glücklich sein würde. Aber das war sie und deshalb brauchte sie kein schlechtes Gewissen haben. Schließlich hätten sich ihre Lieben gewünscht, dass sie wieder glücklich wurde und nicht ihr Leben in Tränen und Einsamkeit verbrachte. Für den Moment vermisste sie Valerian und wäre nur zu gern in die Castra spaziert um ihm nah zu sein.
    Melina holte sie aus ihren Gedanken, als sie erklärte, dass sie ihr eine wahre Freundin war. Ganz leicht winkte sie ab. Irgendwie machte sie das verlegen. „Wir können gern über den Markt spazieren. Aber erst einmal solltest du ruhig ein Bad nehmen und andere Kleider ansehen. Du bist ganz staubig und auch verweint. Oder willst du so auf die Straße gehen?“ fragte sie diese. Melina war trotz ihres Kummers voller Tatendrang, das war irgendwie bewundernswert. Sie wollte sich am liebsten immer zurück ziehen, wenn sie traurig war. Allein sein, sich im Bett vor der Welt verstecken und ungesehen Tränen vergießen. Dies war ihre Art mit dem Kummer zurecht zu kommen. „Wir können auch Morgen auf den Markt gehen! Dann kannst du dir etwas Zeit für dich selbst nehmen. Der Markt rennt uns nicht weg!“

  • Die Tränen trockneten nur langsam, sehr langsam und einige wollten nicht kapitulieren. Sie rannen unweigerlich über die jungen Wangen von Melina. Melina lächelte immer noch abgerungen. Calvena hatte recht, ein Bad würde sie ablenken, die Tränen abwaschen und neue Kleidung? Ja, das wäre wohl angebracht. Sie nickte Calvena schniefend zu. "Gut, gehen wir Morgen, versprochen?" Sie blickte ihre neue Freundin mit ihren glasigen von den Tränen in Kulleraugen verwandelten Augen an. Melina löste sich langsam von ihr. Sie stand auf. Noch einmal schniefte sie traurig. Mit einer langsamen Handbewegung ordnete sie ihre Haare, zog kurz ihre Hand durch diese und sagte dann: "Ich gehe nun baden. Wir sehen uns später, oder?" Nun stand sie etwas verloren vor Calvena, immer noch leicht traurig wirkend.

  • Kurz strich Calvena Melina sanft eine Strähne aus dem tränennassen Gesicht. „Versprochen, wir gehen morgen auf den Mercatus und ich zeig dir ein wenig Mogontiacum“, versprach sie ihr sanft. Das Mädchen hungerte regelrecht nach Aufmerksamkeit und Trost, das konnte sie in ihren Augen erkennen. „Ich werde nicht weg rennen. Ich werde auspacken! Keine Sorge, ich lass dich nicht allein!“ ein leichtes Lächeln lag auf ihren Zügen. „Geh und genieß dein Bad! Und wenn du etwas brauchst, dann sag Elissa Bescheid!“ Das Bad hatte sie vorsorglich schon vorbereitet. Sie selbst hatte sich nach der langen Reise auch erst einmal ein Bad gegönnt. Elissa hatte sich sicherlich das Haus schon angesehen und sich ihre Gedanken gemacht. Es würde hoffentlich nicht lange dauern, bis der Haushalt einen Tagesrhythmus gefunden hatte. Aber die nächsten Tage würde wohl noch ein wenig Unordnung sein. „Du kannst dir ja überlegen, ob es etwas gibt, dass du gern hättest!“ zwinkerte sie ihr zu, auch um Melina etwas aufzuheitern. Zwar war diese nicht unbedingt bestechlich, aber es gab sicherlich auch ein paar Dinge, die sie sich wünschte.


    Die Quintilia verschwand im Bad und sie wendete sich mit einem kleinen Seufzer den vielen Kisten zu. Sie hatte so gar keine Ahnung, was wo drin war. Ob Elissa einen Überblick hatte? Tatsächlich dauerte es am Ende fast zwei Tage um die ganzen Möbel, Kleider, Nippes und andere Dinge im Haus zu verteilen und dem ganzen einen heimeligen Schliff zu verpassen. Dabei hatte sie doch eigentlich nicht so viel eingepackt... oder hatte sie es einfach verdrängt? Das war gut möglich, schließlich hatte sie sich während der Reise um diese Dinge keine Sorgen machen brauchen.

Jetzt mitmachen!

Du hast noch kein Benutzerkonto auf unserer Seite? Registriere dich kostenlos und nimm an unserer Community teil!