Tempel der Iuno Sospita | Von der Bitte um schlaflose Nächte

  • Laute Rufe taten kund von dem Aufmarsch, der sich an jenem Tage zutrug. Sie hallten der Sänfte voraus, die sanft Celerina und mich schaukelte, schufen Platz und sorgten bedauerlicherweise auch für Aufsehen, auf das ich selbst gut hätte verzichten können. Flavier wie Aurelier waren gleichsam hierüber informiert und zugleich eingeladen worden, dem Opfer beizuwohnen, ein Zug aus Klienten, Sklaven und engen Vertrauten begleitete uns. Mir kam der Auflauf beinahe eine Spur zu groß vor. Doch es musste sein, allein schon, um Celerinas Glauben an die große Göttin nicht weiter wanken zu lassen. Sie würde ihren Zuspruch brauchen und ihren Rat, so Iuno gewillt war, uns ein Kind zu schenken. Hatte ich mich am frühen Morgen noch wie ein Schauspieler im Theater gefühlt, durchflochten von Zweifeln und schlechtem Gewissen, so war ich nun, hier in dieser Sänfte, der Mann, der ich sein musste. Ich hatte mir die größtmögliche Mühe gegeben, jedweden Gedanken zu vertreiben, der nicht eng mit diesem Opfer in Zusammenhang stand, und mehr oder minder war mir dies gelungen. So ergriff ich die Hand meiner Frau mit dem Gefühl, dass uns nicht mehr, doch auch nichts weniger verband, als der Wunsch nach einem Kind. Ich schenkte ihr ein Lächeln, das nicht meine Augen erreichte, doch Aufmunterung signalisierte. "Du wirst sehen, es wird alles gut gehen dieses Mal", sagte ich zu ihr.


    Es war alles vorbereitet worden für dieses Opfer. Keine Mühe war gescheut worden, denn das Anliegen war uns ein wichtiges - das wichtigste überhaupt, bedachte man die Geschehnisse der letzten Zeit. Unserer Sänfte folgten drei Sklavinnen. Sie alle trugen Gefäße, die Opfergaben beinhalteten, ausgesucht nach bester Qualität und hervorragendem Aussehen. Die Angelegenheit war mir zu kostbar erschienen, um gewisse Dinge dem Zufall zu überlassen - oder auch nur der Beurteilung eines Sklaven, und so hatte ich mich der Auswahl selbst angenommen. Hinter den Sklaven folgte ein weiterer, ein filigranes Gefäß schwenkend, das den wohligen Geruch nach einer guten Weihrauchmischung verbreitete, und durch den weißlichen Dunst hindurch konnte man das herrlich geschmückte, weiße Tier sehen, welches von einem Sklaven hinterdrein geführt wurde.


    Bald wurde die Sänfte am Rande des Tempelvorplatzes abgesetzt. Ich bot Celerina eine Hand und half ihr aus der Sänfte, nachdem meine toga gerichtet worden war. Nun Zusammenhalt zu zeigen, erschien mir überaus dringlich. Ein flinker Opferdiener kam uns bereits eingegen geeilt. "Es ist alles bereit", verkündete er, als er vor uns inne hielt.

  • Ein Großaufgebot wand sich durch die Gassen Roms hin zum Tempel der Iuno Sospita, Sänften, Sklaven, Klienten und sonstige Schaulustige, die dem Tross folgten. Ein Ausrufer sorgte dafür, daß jedermann wußte, wer sich da dem Tempel näherte. So wußte auch jedermann, was unser Begehr war - ein Kind. Endlich ein Kind!
    Aufgrund dieses Pflichttermins, trat die seltengewordene Konstellation ein, da Marcus und ich eine gemeinsame Sänfte benutzten. Der Weg zum Tempel schien endlos zu sein. Ich war nicht sonderlich gesprächig. Der Grund hierfür war weniger die Tatsache, daß wir uns nichts zu sagen hatten. Vielmehr war es meine Anspannung, die mich zur Stille zwang. Mir war, als liege auf mir die Last der ganzen Welt. Aus unerfindlichen Gründen, hatte es sich Marcus nicht ausreden lassen, alle Verwandten zu dieser Opferung einzuladen, Aurelier sowie auch Flavier. Wenn ich alleine schon daran dachte, wie unter Gracchus´ kritischen Augen jenes Opfer vollzogen würde welches dann auf ähnliche katastrophale Weise endete, wie beim letzten Mal, dann konnte ich für die nächsten hundert Jahre im Erdboden versinken. Niemand hatte mich vom Gegenteil überzeugen können, warum dieses erneute Opfer nicht noch einmal in einem Fiasko enden sollte.
    Um meine Anspannung auf einem Minimum zu halten, versuchte ich, die an uns vorbeiziehende Kulisse durch den leichten transparenten Vorhang zu beobachten. Dies bereitete mir ein wenig Ablenkung vor dem Bevorstehenden.
    Meine Rastlosigkeit, die bereits am Morgen unübersehbar gewesen war, durfte auch meinem Ehemann nicht entgangen sein. Ungewohnte Freundlichkeit, aufmunternde Gesten schenkte er mir, auch nun in der Sänfte. Seine Worte durchbrachen die erdrückende Stille. Ich wandte ihm meinen Blick zu, erwiderte das Lächeln, welches nur wenig überzeugend sein konnte und meinte nur brescheiden: "Ja."
    Diesmal war unser Aufgebot ein ganzes Stückchen größer und vor allen Dingen prachtvoller. Alle unsere Gaben waren von Marcus höchstpersönlich handverlesen. Nichts sollte dem Zufall überlassen bleiben. Gar nichts! Ich ersparte mir den Gedanken, was ich tun sollte, wäre uns die Göttin auch dieses mal nicht gewogen.
    Endlich erreichten wir den Tempel. Augen zu und durch, sagte ich mir. Und so entstieg ich mit der Hilfe meines Mannes die Sänfte. Das Sonnenlicht blendete mich ein wenig, während die geschickten Hände der Sklavinnen meine Tunika glätteten.
    Alles war bereit, so verkündete es der Opferdiener, der uns empfing. Nun denn, so wollten wir Iuno Sospita nicht länger warten lassen.

  • Ich nickte dem Opferdiener zu, bot meiner Frau hernach den Arm, um sie die Stufen empor und zum Tempel zu geleiten. Über Rom spannte sich heuter ein hellblauer Himmel, nur durchzogen von weißen, kleinen Wolken, die wie Nebelfetzen herab hingen. Es würde ein schöner Tag werden. Stufe um Stufe erklommen wir, bis wir alsbald durch den Eingang des Tempels schritten. Nur wenige Schritte entfernt ragte das Wasserbecken empor, herrliche Fresken bedeckten den marmornen Sockel mit der auf Hochglanz polierten Silberschale. Sie zeigten die Göttin in verschiedenen Situationen, als Heilspenderin, Wächterin, Königin. Ich tauchte meine Hände in das klare, kühle Wasser, verweilte einen Moment gedankenversunken in dieser Position. Erst einen Moment später sprach ich leise die rituelle Formel. "Möge dieses Wasser alle Unreinheit von meinem Körper waschen wie das Verwandeln von Blei in Gold. Reinige den Verstand. Reinige das Fleisch. Reinige den Geist. ita est." Es plätscherte leise, als das Wasser meine Hände wieder freigab und Celerina Platz machte. Ein fröhlicher Laut, schoss es mir durch den Kopf. Ein kleines Wasserspiel im aurelischen Garten fehlte dort eigentlich noch.


    Die Sklaven hatten derweil die Opfergaben auf einem Nebentisch platziert. Celerina und ich würden sie abwechselnd der Göttin darbieten, so hatten wir es abgesprochen, denn eine gemeinsame Bitte bedingte gleichsam auch gemeinsame Interaktion. Leises Summen war zu hören, ein Singsang, der ein anderer Opfernder wie in Trance von sich gab. Nur wenige Worte waren zu verstehen, und doch klang es klagend, und in dieser Situation bescherte mir diese Tristess ein ungutes Gefühl. Weihrauch schwängerte die Luft, Myrrhe war zu riechen und andere Kräuter. Dies hier erschien mir plötzlich unwirklich.

  • Meine Hand ruhte auf Marcus´ Arm, als ich die Treppen zum Tempel hinaufstieg. Ich hatte dabei einen fahlen Beigeschmack in meinem Mund. Selbst das schöne Wetter konnte mich heute nicht ablenken, noch meine Anspannung auflösen. Die stetige Angst, das Opfer könnte erneut abgelehnt werden, begleitete mich heute auch Schritt und Tritt.
    Wir passierten den Eingang. Alles kam mir so seltsam vertraut vor. Der Blick ging zum Bildnis der Göttin, die bei meinem letzten Besuch so wenig Mitleid mit mir gehabt hatte. An dem Wasserbecken kam ich schließlich zu stehen und nachdem Marcus geendigt hatte, tat ich es ihm gleich. Auch ich reinigte mich und hoffte, dadurch auch meine Furcht einfach so hinweg waschen zu können. Freilich war aber meine Furcht tiefer verankert, als das sie mit dem Wasser hätte entfernt werden können.
    Doch um nicht erneut zum Tagesgespräch zu werden, mußte ich mich nun zusammenreißen, damit meine Nerven nicht wieder mit mir durchgingen. Ein wenig Optimismus hätte mir wahrscheinlich auch besser gestanden, ich jedoch war ein gebranntes Kind, das erneut das Feuer suchte. Wie hätte man mir dies also verübeln können?
    Ich sah kurz zu Marcus. Ja, ich war jetzt bereit, das Voropfer gemeinsam mit ihm zu vollziehen.

  • Ich zog einen Zipfel meiner toga über mein Haupt. Celerina trug ihr Haar offen und ohne Schmuck, wie es das Opfer erforderte. Gemeinsam gelangten wir an der Nische an, in der, auf einem geschmückten Altar, ein Kultbild der Göttin thronte. Herrisch schien sie auf uns herabzublicken, strengen Blickes bedachte sie uns. Ich entließ Celerina aus meiner Führung, griff stattdessen in die körnige Mischung des wohlriechenden Weihrauch-Kräuter-Gemisches und streute selbiges über die Kohlen. Es zischte, es knisterte, und es dauerte nur wenige Augenblicke, bis der erste dünne Rauchfaden sich emporkräuselte, sie in einem dünnen Lufthauch drehte und wandt. Ich hatte die Augen geschlossen, und als ich sie nun wieder öffnete, nickte ich einem der Opferdiener zu, der wiederum dafür Sorge trug, dass nun leises Flötenspiel erklang. Die Melodie war erschien mir grave und barg etwas von Trauer in sich, doch vielleicht interpretierte ich auch nur Falsches hinein in die Töne. Ich atmete tief den beruhigenden Duft ein, der inzwischen in Schwaden von dem Kohlebecken aufstieg und der Göttin verkündete, dass hier ein Opfer stattfand.


    "Iuno Sospita, mater regina, göttliche Königin... Gewähre uns die Gunst deiner Aufmerksamkeit. Hehre Iuno, wir bitten dich, Göttliche, erhöre unsere Bitte, denn sie ist der innigste Wunsch deiner beiden Kinder. Geliebte Göttin, Mutterder Mütter, wir erflehen deine Hilfe, Himmlische, höchste aller Göttinnen, denn nur du kannst uns gewähren, wonach wir uns sehnen." Ich hielt den Blick gesenkt, unfähig, das marmorne Antlitz der Statue anzusehen. Dennoch wagte ich nun einen Seitenblick, hin zu einem der Sklaven, die parat standen. Ich streckte die Linke seitlich aus, verlangte damit die erste Opfergabe - den Wein. Die silberne Kanne wurde mir angereicht, und sie war gefüllt mit gutem mulsum, zu süß für meinen Geschmack, doch man sagte, dass die Göttin gesüßten Wein bevorzugte. "Iuno Sospita, mater regina, wie es dir gebührt, so geben wir dir, höchste Herrscherin, Iuno Sospita, mater regina, diesen Wein, auf dass er dir munden möge." Ich musste die Rechte zur Hilfe nehmen, um die Kanne halten zu können, und goss den Wein selbst in die Vertiefung am Boden des Altars. Golden füllte die Flüssigkeit die steinerne Schale aus, reflektierte das Licht in alle Richtungen, bildete dabei einen Wirbel und war kurz darauf glucksend in der Öffnung verschwunden. "Große Mutter, wir bitten dich, nimm unsere bescheidenen Gaben an, auf dass dieser Kuchen, oh Göttliche, dich erfreuen möge, Iuno Sospita, mater regina." Das Küchlein ward mir angereicht, und mit einer demütigen Geste brachte ich es der Göttin dar. An Celerinas Seite standen zwei weitere Sklavinnen, die eine hielt einen flachen Korb mit vielerlei wohlriechenden Blüten - darunter auch einige Orchideen, die ich zu diesem Zwecke hergegeben hatte - die andere hielt einen Korb mit Früchten aller Art.

  • Voller Demut sah ich zum Standbild der Göttin hinauf, als wir an den Altar traten. Nur nichts falsch machen, ganz konzentriert sein, das sagte ich mir ständig vor. Wenn auch dieses Opfer nicht fruchtete, was würde dann sein? Über die Folgen hatte ich mir die letzten Tage schon viele Gedanken gemacht. Doch nun war für sie kein Platz.


    Mit ausdruckslosem Gesicht beobachtete ich Marcus dabei, wie er mit dem Opfer begann. Der intensive Geruch des Weihrauchs stieg mir in die Nase, als die Körner die glühende Kohle erreichten. Zwangsläufig mußte auch ich die Augen dabei schließen. Leises Flötenspiel erklang nun und dann Marcus Worte, die er an die Göttin richtete. Langsam gingen meine Augen wieder auf. Ich konnte beobachten, wie der Göttin Wein und Kuchen dargebracht wurden. Nun setzte ich fort, was Marcus begonnen hatte.


    "Oh Iuno Sospita, gütige Mutter, Herrscherin des Himmels, bitte erhöre unsere Bitte. Edle Königin, geliebte Göttin, sei uns gnädig und erfülle uns unseren Herzenswunsch, den nur du uns kannst erfüllen, Erhabene." Die seitlichen Strähnen meines offenen Haares fielen mir ins Gesicht. Eine der Sklavinnen, die neben mir standen, reichten mir das Körbchen mit den Blüten. Herrlich war ihre Pracht. Nur die schönsten und wohlriechensten Blüten, darunter waren Rosen Orchideen und Lavendel, um nur einge zu nennen, hatte ich heute Morgen selbst in unserem Garten gepflückt. Und genau mit diesem schöne Potpourri aus Blüten, wollte ich nun die Göttin beglücken.
    "Iuno Sospita, mater regina, nimm diese Blumen, oh Göttliche, auf daß du dich an ihnen erfreuen mögest." Ich nahm einigee Handvoll Blüten, bis das Körbchen leer war und streute sie in eine bereitstehende Schale. Dann trat die andere der beiden Sklavinnen an mich heran. Sie hielt ein Körbchen mit verschiedenen frischen Früchten.
    "Erhabene Mutter, himmlische Königin, so nimm auch nun diese erlesenen Früchte, auf daß sie dir munden mögen."
    Vorsichtig nahm ich auch die Früchte und gab auch sie in eine kleine goldene Schale, die auf dem Altar stand. Demütig zu Boden blickend, verharrte ich noch eine Weile.

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