Cubiculum AFP | Und wieder ein Parther

  • Im Bad musste es Shayan nicht sonderlich interessant gefunden haben. Ein Bad halt, nicht sonderlich heiß, alleine bis auf Phoebus, dem schweigsamen Sklavenjungen, der auf alles, was man ihn fragte, nur wortkarge Antworten gab, somit kein unterhältlicher Gesprächspartner war. Shayan wurde ins Bad gebeten, abgetrocknet und bekam eine neue Tunika verpasst. Angetan in diesen Kleidungsstücken geleitete ihn Phoebus zum Zimmer des Herrn.
    Piso, schon beschwert von seinem Liebeskummer, aber nichts ahnend vom nahenden Tod seiner Schwester, geschweige denn seines besten Freundes, pflückte er an einem großen Teller voller Trauben herum. Trauben nämlich waren gesund fürs Hirn uns schmeckten gut. Über dem prunkvollen Bett hing Pisos Prachtlyra, und auf dem Regal standen neben einer Sammlung von kitschigen Porzellanstatuen eine Büste von Kaiser Titus (Vespasian stand in seinem Arbeitszimmer) und daneben eine mehr als nur neckige kleine Statue von Venus, die sie dabei zeigt, wie sie ihr Kleid hochhebt, um sich einen kontrollierenden Blick auf ihren entblössten Hintern zu erlauben. Das Zimmer aber war relativ aufgeräumt, kein Vergleich mehr zu der Zeit, als er noch in der Kanzlei arbeitete. Das hing auch damit zusammen, dass am Schreibtisch am Fenster nicht mehr so viel herumlag – ein paar Pergamente nur mit Gedichten drauf. In der Mitte ein Pergament, welches zwar mit griechischen Buchstaben beschriftet war, dennoch stellte sich bei näherer Betrachtung raus, dass es sich nicht um griechisch handelte. Tatsächlich war es galatisch. In den Regalen standen zwischen den Figürchen verstreut ungeordnet Pergamentrollen, die meisten beschäftigten sich mit den Eigenheiten irgendwelcher Provinzen des römsichen Reiches.
    Der Flavier legte den Teller beiseite und blickte auf Shayan, ohne aufzustehen. “Ah, du bist also der neue Sklave. Salve. Setz dich doch.“ Er pflückte sich etwas von seinen Trauben runter und deutete auf einen Hocker, der vor dem Bett stand, und wo sich Shayan niederlassen konnte. “Magscht du etwasch?“, fragte er kauend und hielt dem Sklaven die Schüssel Trauben hin.

  • Baden. Obwohl der Händler durchaus Acht auf seine Ware gegeben hatte, darauf, dass sie in einem einigermaßen präsentierfähigen Zustand war, war das sklavische Bad der Flavier doch etwas völlig anderes als das, was ihm beim Händler zur Verfügung gestanden hatte. Nun, was er aus seiner Heimat kannte, war ebenso anders. Aber man wurde genügsam – in der Armee, und in der Sklaverei erst recht. Man wusste die einfachen Dinge wieder deutlich besser zu schätzen.


    Frisch gewaschen also und in eine neue Tunika eingekleidet wurde Shayan also von dem Jungen, der ihn auf Geheiß des Ianitors bereits in die Villa geleitet hatte, weiter geführt durch die Gänge. Und was Shayan sah, bestätigte nur den Eindruck, den er bereits von außen gewonnen hatte: eine angesehene Familie offenbar, reich in jedem Fall, deutlich besser situiert als wohl die meisten anderen. Es konnte, musste aber nicht von Vorteil für ihn sein. So oder so war es jedoch das, was Ahura Mazda ihm zugedacht hatte. Shayan atmete tief ein, als der Junge schließlich vor einer Tür stehen blieb, und entließ die Luft dann in einem längeren Atemzug, nicht ganz ein Seufzer, aber fast. Ahura Mazda hatte einen Plan. Davon war er überzeugt. Es hatte einen Sinn, dass er hier war. Wie auch immer das hier werden würde. Nachdem der Sklavenjunge – der ebenso schweigsam geblieben war wie Shayan selbst – die Tür geöffnet hatte, trat er ein.


    „Herr.“ Trotz allem – trotz der Zeit, die er mittlerweile schon Sklave war, und trotz seiner Überzeugung, genau dort zu sein, wo sein Gott ihn haben wollte – fiel es Shayan immer noch nicht leicht, dieses Wort über seine Lippen zu bringen. Vielleicht gehörte das ja zu den Dingen, die er lernen sollte. Demut. Gleich in welcher Situation. Dem entgegen sprach allerdings das Benehmen des Flaviers, der ihn einlud sich zu setzen und ihm gleich darauf Trauben anbot – dass er nebenher noch am Kauen war, verleitete Shayan allerdings beinahe zu einem Stirnrunzeln, das er sich allerdings gerade noch verkneifen konnte. Sein Gesichtsausdruck blieb ruhig, nur seine Augen blickten etwas... zweifelnd drein. Er nahm wie geheißen auf dem Hocker vor dem Bett Platz, schüttelte aber leicht den Kopf auf das Angebot des Römers hin. „Ich danke dir. Aber nein.“

  • Herr. Ein Wort, eine Begrüßung. Eine Salve davor hätte sehr gut ausgesehen, dachte sich Piso, aber immerhin wusste, der Sklave, wie er ihn anzureden hatte, also ließ er einen Kommentar nicht über seine Lippen kommen. Zum ersten Mal hatte er die Gelegenheit, sich den Sklaven genauer anzusehen. Athletischer Körper. Ungefähr so groß wie Piso, der aber gegenüber dem Sklaven weniger muskulös wirkte. Graue Augen, wie er selber auch. Alles in allem eine Gestalt, wie man es sich unter einer heißen parthischen Kataphraktenrüstung vorstellte.
    Der Sklave lehnte die Trauben ab. Immerhin dankend. Piso blcikte kurz missbilligend – er hatte sich eine dankbarere Reaktion erhofft –, dann zuckte er die Schultern. “Dann eben nicht.“ Er zog den Teller zurück und pflückte sich eine weitere Traube hervor. Immerhin hatte der Parther Platz genommen, sodass er nun den Sklaven auf Augenhöhe betrachten konnte. Nun denn. Pisos Frage an den Sklaven war lapidar.
    “Nun denn, Shayan.“ Er gab sich Mühe, den Namen korrekt auszusprechen. “Dann erzähle mir von dir. Woher kommst du?“ Sag jetzt bloß nicht Charax-Spasinu, dachte er sich, an den unflätigen Parther, den er und Prisca damals am Markt getroffen hatten, zurückdenkend. “Du warst Soldat – was für einer? Kataphrakte, Bogenschützen, Fußvolk? Hattest du einen anderweitigen Beruf? Aus was für einer Familie stammst du? Was genau kannst du alles? Wie kommt es, dass du so gut latein kannst?“ Er lehnte sich zurück, darauf hoffend, dass der Parther nun gesprächiger werden würde als bisher.

  • Für einen Augenblick bekam Shayan den Eindruck, dass dem Römer missfiel, dass er nichts wollte. Aber es kam nur ein Kommentar, nichts sonst, und er schwieg. Wartete. Der Römer würde schon etwas sagen, wenn ihm danach war, und Shayan war von Natur aus eher zurückhaltend. Vorsichtig. Ganz davon abgesehen, dass er Sklave war, und das hier sein neuer Herr, von dem er keine Ahnung hatte, von dem er nicht wusste, wie er war und wie er reagieren würde. Mochte er ihm auch damit Unrecht tun, Shayan war und blieb auf der Hut.


    Schließlich ergriff der Römer wieder das Wort, und was dann kam, war nicht nur eine Frage, es waren gleich mehrere. Noch dazu so gestellt, dass er sie nicht mit einem einfachen Ja oder Nein beantworten konnte, was ihm am liebsten gewesen wäre. Er kam nicht umhin, dem Römer ein gewisses Maß an Respekt zu zollen, vorausgesetzt er hatte die Fragen mit Bedacht so formuliert. „Ich stamme aus Persepolis, Herr“ setzte Shayan zu seiner Antwort an. Seine Worte kamen nicht zögernd, aber langsam, mit Bedacht. Er konnte seinen Akzent nicht verbergen, aber er versuchte, sorgfältig zu formulieren, versuchte Fehler zu vermeiden. „Ich war Bogenschütze, bei den Reitern meines Volks. Keinen anderen Beruf. Ich bin in das Heer meiner Familie... eingegangen, als ich 17 war. Meine Familie gehört zu den einflussreichen in Parthien.“ Shayan machte eine kurze Pause und überlegte, während er zugleich Erinnerungen, die sich nach vorn drängen wollte bei dieser Erzählung, im Hintergrund hielt. „Für mein Können ist es besser, wenn du fragst, Herr. Nach bestimmtem. Meine...“ Shayan machte eine vage Handbewegung und zögerte, bis ihm das Wort einfiel, „Ausbildung war viel. Ich habe Latein gelernt bei meinem früheren Herrn.“

  • Piso wackelte effeminiert mit dem Kopf. “Persepolis...“, echote er. Dieser Name war natürlich ein Begriff. Auch wenn Persepolis enorm an Macht verloren hatte, als die Parther ihre Hauptstadt nach Ktesiphon verlegten, war Persepolis sicherlich ein Ort, aus dem gerne der eine oder andere Parther stammte. Persepolis... er leckte sich mit seiner Zunge über die Lippen. Die Hauptstadt der alten persischen Könige. Klingend.
    Die Beantwortungen seiner nächsten Fragen kamen auch prompt, untermalt von einem rauen Akzent, aber sein latein war auf jeden Fall besser als Pisos Parthisch (irgendwann einmal hatte er gewusst, wie man sich auf parthisch begrüßt, doch hatte er es wieder vergessen). “Berittener Bogenschütze. Hmm, Soldat also. Du weißt, dass man in Rom keine Waffe tragen kann? Einmal nicht innerhalb des Pomeriums? Sag, womit kannst du eigentlich kämpfen? Auch mit dem Schwert? Mit Knüppeln? Mit einem Stab?“ Beide zuletzt Genannten waren keine Waffen im eigentlichen Sinne, und so in Rom erlaubt.
    Er war ins Heer eingegangen? Sodass es nun passfest saß? Piso schmunzelte kurz, wurde dann aber wieder ernst, als der Sklave Weiteres von sich gab. Seine Ausbildung war also viel. Piso fühlte sich bemüssigt, zu sagen: “Deine Ausbildung war nicht viel, sie war gut. Du kannst sagen, ich habe viel gelernt!“, gab er schulmeisterisch von sich. “Wie heißt deine Familie?“ Unwahrscheinlich, dass es die beiden einzigen waren, die er kannte, die Surenas und die Karenas, die beiden wichtigsten und mächtigsten Hochadelsgeschlechter in Parthien.
    “Gut, dann frage ich dich nach Bestimmten. Kannst du griechisch? Besser als latein?“, wollte er wissen, bevor er kurz überlegte. “Kannst du kochen? Kannst du lesen und schreiben, auf latein, auf griechisch, auf parthisch? Kannst du Instrumente spielen? Kannst du singen? Kannst du Geschichten erzählen? Beherrschst du ein Handwerk – schneidern, schmieden, weben, was auch immer?“ Fragend blickte er ihn an.

  • Shayan war, gelinde gesagt, ein wenig unschlüssig, wie er reagieren sollte. Die Art des Römers war... verwirrend. Wie er den Namen seiner Heimatstadt wiederholte, wie er es aussprach, wie er dabei den Kopf neigte... Shayan bemühte sich, einen neutralen Gesichtsausdruck zu wahren, aber wieder blitzte etwas wie Zweifel in seinen Augen auf. Der Mann war anders als die, mit denen er in den vergangenen Jahren zu tun gehabt hatte – deutlich anders. Wäre es nicht schon zuvor klar gewesen, spätestens jetzt hätte er keinen Zweifel mehr daran gehabt, dass der Römer kein Soldat war. Er wirkte einfach zu... zu... weich. Vielleicht war das das falsche Wort, aber Shayan fiel kein besseres ein. „Nein“, antwortete er auf die Frage, ob er wüsste, dass man in Rom keine Waffe tragen dürfte – innerhalb des Pomeriums jedenfalls, was auch immer das sein mochte. Shayan beschloss, später einen seiner neuen Mitsklaven zu fragen. „Ich kann mit dem Schwert kämpfen. Nicht gut, aber gut genug, für Verteidigung im Notfall.“ Knüppel oder Stab... Ein flüchtiges Stirnrunzeln zeigte sich. Das waren keine richtigen Waffen, fand er. Er konnte damit so gut oder so schlecht umgehen wie jeder, der es verstand, einfach draufzuhauen. Er war Krieger, wenn es sein musste, wenn er gezwungen war und nichts anderes zur Verfügung hatte, nutzte er zur Not auch das als Waffe. „Nicht in der Armee gelernt. Wenn du das meinst.“


    Der Parther nickte ruhig, als sein neuer Besitzer ihn verbesserte. „Sie war gut“, wiederholte er, ungeachtet des Tonfalls, den er beim anderen vernahm und der ihm nicht sonderlich gefiel. Aber was gab es schon zu sagen? Er war Sklave, daran führte kein Weg vorbei. Es war besser, wenn er sich einfach zurückhielt. „Die Familie meines Vaters ist Widarna*.“ Erneut musterte er den Mann vor sich, als dieser nun erneut eine Salve von Fragen auf ihn losließ. Shayan bekam den Verdacht, dass der Römer sich gern reden hörte. Andererseits... nun, es mochte ein gutes Zeichen sein, dass er Interesse zeigte an seinem neuen Sklaven, aber so ganz sicher war sich der Parther nicht darüber. Aber das würde er wohl noch herausfinden. „Ich kann Griechisch. Deutlich besser als Latein“, fügte er auf Griechisch an. „Es war Teil meiner Ausbildung in meiner Heimat. Ich kann lesen und schreiben – in meiner Sprache, in Griechisch. Nicht in Latein, die Zeichen sind fremd. Kein Instrument, kein Singen. Erzählen... nicht sehr gut.“ Shayan war nicht unbedingt das, was man musikalisch nennen konnte. Oder generell künstlerisch begabt. „Auch kein Handwerk. Ich kenne Wissenschaften. Ich kenne griechische Schriftsteller, philosophische Werke. Ich kenne Politik und Strategie. Ich habe Ausbildung, wie sie üblich ist, für mein Stand. In Parthien“, fügte er nach einer winzigen Pause noch hinzu. Und obwohl er einiges gelernt hatte – zwangsläufig – war er doch nie einer der Besten darin gewesen. Er hatte sich schon immer mehr für alles interessiert, was körperliche Aktion erforderte, und so war es für niemanden verwunderlich gewesen, als er in die Armee eingetreten war.



    Sim-Off:

    *von mir gedacht als eine der Sieben, jedoch ohne historischen Hintergrund

  • “Nein? Dann weißt du es jetzt!“, meinte Piso mit einer schwurbeligen Geste, infolgedessen er fast Shayan mit seinen Händen in den rechten Augapfel gefahren wäre. “Keine Waffen. Nicht hier in Rom. Knüppel und Stäbe gelten nicht als Waffen, also kannst du diese benutzen!“, belehrte er weiterhin und pflückte sich noch eine Traube vom Teller. “Ganz sicher, dass du nicht noch eine willst? Wie dem auch sei. Du sagst, du kannst mit dem Schwert kämpfen, aber nicht gut? Was ist denn deine Primärwaffe? Kolben? Lanze?“, fragte er, kauend natürlich. Erst nach seinen Worten schluckte er die Trauben herab und blickte starr geradeaus auf Shayan, als ginge es darum, ihn zu hypnotisieren. Dann grinste er urplötzlich (Verwirrungstaktiken fand Piso bei Sklaven gut). “Es wird schon gehen irgendwie, oder? Ganz sicher, dass du keine Trauben willst?“, wiederholte er seine Frage von vorhin, unbeachtet der Antwort, die Piso sowieso ignoriert hatte, und streckte dem Sklaven wiederum den Teller hin.
    “Widarna“, wiederholte er mit einem genau so seltsamen Tonfall, wie er schon persepolis wiederholt hatte. Nicht, dass Piso das shcon irgendwann einmal gehört hatte, aber es klang ganz hübsch. “Ach, ich liebe die parthische Sprache. Und die parthische Kultur. Ihr Kerls habt eine ganz wundervolle Auffassung von Kunst und Ästhetik!“, behauptete er. “Und wenn du willst, können wir griechisch reden. Kein Problem“, setzte Piso hinzu, auf Griechisch, wenngleich in einem leichten dorischen Akzent – als ob ein Mann aus Kreta versuchte, attisches Griechisch zu reden. Der Dialekt zeichnet sich vor allem dadurch aus, dass öfters ein e als a ausgesprochen wurde und ein s als t. Auch waren die Vokale etwas länger als normal. Immerhin hatte er keinen deutlich hörbaren lateinischen Akzent, im Gegenteil zum Keltischen, was ebenfalls eine Sprache war, die er halbwegs konnte, aber im öffentlichen leben einfach nicht so anerkannt war wie das Griechische. “Ich fasse zusammen... kämpfen kannst du... Philosophie kannst du... schreiben kannst du auf griechisch und parthisch... latein schreiben ist einfach, das lernst ganz einfach so.“ Er schnippte die Finger vor Shayans Nase. “Zack! Aber kein Instrument und kein Singen? Deplorabel.“ Er seufzte. Anderes hätte er durchaus erwartet.
    “Sag, wie ist deine Einstellung zu den Künsten an sich – zu den freien Künsten, die eines freien Mannes würdig sind?“ Sicher kannte der Sklave dieses Konzept von den griechischen Philosophen. “Insbesondere die... Musiklehre?“

  • Shayan versuchte noch den Reflex zu unterdrücken, die Hand mit seiner abzufangen, die da plötzlich auf seine Augen zugeschossen kam – konnte aber nicht verhindern, dass sein Arm hochzuckte und seine Finger das Handgelenk des Flaviers berührten, die eigene Hand flach, nicht in einer Geste, die ein Umschließen des Gelenks zur Folge gehabt hätten, sondern lediglich zum Abwehren, zur Seite lenken gedacht. Das allerdings führte Shayan nicht mehr aus, stattdessen zog er rasch seine Hand zurück, als sein Verstand den Reflex eingeholt und ihn wieder im Zaum hatte. Für einen Augenblick schwieg er, bevor er murmelte: „Verzeih, Herr.“ Es ging ihm gegen den Strich, sich dafür entschuldigen zu müssen, aber er wusste, was er war. Leichthin nickte er dann bei der Erklärung, dass Knüppel oder Stab in Rom offenbar erlaubt waren, ohne die Frage einzuwerfen, die interessant gewesen wäre für ihn: ob es ihm denn erlaubt sei, als Sklaven. Er würde es erfahren. Solange sein Herr ihm nicht befahl, eine Waffe zu tragen, würde er es ohnehin unterlassen. Müssen. Der Römer allerdings verwirrte ihn zunehmend. Die breite Gestik, die er verwendete, die Ausdrucksweise, wobei es vielmehr der Tonfall war denn die eigentlichen Worte, wie er ihn dann anstarrte, ohne zu blinzeln, nur um im nächsten Moment zu grinsen… Shayan schüttelte wiederholt den Kopf, als ihm wiederholt Trauben angeboten wurden, und zog leicht verwirrt eine Augenbraue hoch. „Der Bogen“, antwortete er auf die Frage nach seiner Hauptwaffe. Hatte er zuvor nicht schon erwähnt, dass er Bogenschütze gewesen war? Oder wollte der Römer ihn irgendwie auf die Probe stellen, oder noch weiter verwirren? Shayan kam mehr und mehr zu der Auffassung, dass es eben das war: er wollte ihn verwirren. Das plötzliche Schwärmen über seine Heimat kam ihm auch nicht ganz geheuer vor. Sie hatten Krieg geführt gegeneinander. Schwärmte man so von seinem Gegner? Andererseits war der Römer kein Soldat, wie er Shayan nun schon mehr als einmal bewiesen hatte. Allerdings wusste der Parther auch nicht so recht, was er nun antworten sollte darauf, dass der Römer die parthische Sprache, die Kultur, und ihm generell sein Volk zu gefallen schien. „Griechisch wäre einfacher für mich“, antwortete Shayan schließlich, und überging dezent, was der Römer über sein Volk gesagt hatte. „Aber ganz wie du es wünschst, Herr. Ich werde mich bemühen, noch besser Latein zu lernen.“ Und wieder übernahmen seine Reflexe kurzzeitig die Oberhand, diesmal in Form eines Zurückzuckens, als der Römer erneut urplötzlich seine Hand ausstreckte und direkt vor Shayans Nase schnippte. Gleich darauf fragte er sich ein weiteres Mal, was das sollte. Er verstand den Römer nicht – nicht die Worte, die verstand er schon, aber seine Art. Was er damit bezweckte. Shayan begriff es nicht, so wenig, dass er noch nicht einmal zu sagen vermochte, ob tatsächlich etwas dahinter steckte, oder ob der Flavier einfach so war. Wenn er allerdings so war, dann fand Shayan, war er ein wenig seltsam. Seine Schwester hätte vermutlich gesagt, dass der Römer einen Sprung in der Amphore hatte. Und das Gespräch ging auch so weiter. Wieder eine Frage, diesmal eine, die Shayan abermals ein wenig verwirrte. „Meine Einstellung zu den Künsten… ist die, die eines freien Mannes würdig ist“, antwortete er, ein wenig vorsichtig, bevor ihm der Fehler auffiel und er noch hinzufügte: „Ich bin nun Sklave, aber an meiner Einstellung hat sich nichts geändert. Ich weiß die Kunst durchaus zu schätzen. Aber ich bin Soldat.“

  • “Heppeppeppeppepp!“, kommentierte Piso mit belehrender Stimmlage, als der Arm des Parthers hochfuhr. Sonderlich verängstigt oder beeindruckt wirkte er dabei nicht. Er war hier in seiner Villa, umringt von seinen Custodes. Ein altes Sprichwort drängte sich ihm auf, wer bewacht die Wächter? Denn es war eindeutig, dass dieser Kerl hier Custos-Corporis-Material darstellte. Ein Leibwächter, hmm, das wäre seiner Position als wichtiger Mann angemessen (auch wenn er zu diesem Zeitpunkt noch nicht zum Quaestor gewählt worden war). Ruhig sah der Flavier dabei zu, wie der Parther seine Hand wieder herunternahm. Sehr gut. Er nickte nur knapp, als der Parther sich entschuldigte. Ja, Entschuldigen, eine emaskuliernde Aufgabe für jeden. Für absolut jeden, bei Iuppiter. Vielleicht, dachte er sich in einem Geistesbitz, sollte er dem Parther ihm seine Füße ablecken lassen zum Zeichen seiner Devotion? Aber nein, das ging zu weit. Erstens würde es kitzeln. Zweitens könnte sich die Drohung materialisieren, die diese Asny ihm einst gegeben hatte – dass ein Sklave beim Fuß küssen einen Zehennagel abreißen könnte. Was nicht so toll aussehen würde. Nein, das war vielleicht keine gute Idee.
    Beleidigt blicke Piso Shayan an, als dieser abermals die Trauben verschmähte. Nur eine hochgezogene Augenbraue? Wie flavisch, dachte sich Piso und pflückte eine Traube von seinem Teller herab. Diese kaute er lang und ausgiebig in seinem Mund herum.
    “Bogen. Stimmt, du warst bei den Bogenschützen“, was Piso wohl verriet, dass Shayan kein Edelmann war. Denn parthische Edelleute kämpften als Kataphrakte in voller Rüstung. Eine grausame Vorstellung, vor allem, wenn man sich die Temperaturen in der Wüste anschaute.
    “Der Bogen aber ist in Rom verboten. Kannst du dir abschminken“, kaute Piso, mit seiner Traube beschäftigt, und dann ging es auch schon ins Griechische über. Kein Kommentar zu seinen Lobhudeleien? Och wie schade. Dabei hätte Piso gerne etwas über die parthische Kultur herausgefunden. Aber offenbar war der Sklave kein großer Ästhet. Schade, schade, schade! Piso mochte Parthien. Und es war ihm ganz egal, ob man gegen sie Krieg führte oder nicht. Er war ja nicht davon betroffen, ätsch.
    “Fein. Fein. Fein. Dann reden wir auf griechisch. Aber ja, das Lateinische ist sehr wichtig hier in Rom. Einige können hier Griechisch, die meisten können es nicht, weil sie ungebildet sind. Ohne gutem Latein wirst du es schwer haben hier in Rom“, indoktrinierte er dem Sklaven und fuhr dabei megalomanisch mit den Händen in der Gegend herum.
    Das Zurückzucken des Sklaven beim Fingerschnipsen amüsierte Piso so sehr, dass er sich zu einem kurzen, leicht weibischen Kichern herabließ. Sofort wurde er aber wieder ernst. Und als Shayan eine durchaus nicht schlechte Antwort gab, und sich selber korrigierte, grinste Piso wieder. “Ahhhhh! Schlau ist er. Das war eine sehr gute Antwort“, lobte er den Sklaven. “Ich würde dir jetzt als Lohn eine Traube geben... aber lassen wir das.“ In einer affektierten Bewegung stand er auf. “Du musst wissen, Shayan, Sklave, ich selber bin...“ Er begann herumzuschreiten. “Ein Künstler von mitnichten unbedeutendem Ruf. Tatsächlich werde ich regelmäßig im Zusammenhang mit der höchsten Stufe der Avantgarde erwähnt!“, legte er Shayan grinsend seine Traumwelt dar. “Und so versteht es sich von selber, dass meine Sklaven eine gewisse Kunstfertigkeit haben. Shayan, du solltest ein Musikinstrument erlernen! Ich bin sicher, du würdest fabulöse Musik darauf machen“, behauptete er und wandte sich rasch zu Shayan hin. “Was denkst du?“

  • Shayan nickte ruhig, als der Römer betonte, dass auch Bögen in Rom verboten waren. Er liebte Bogenschießen – nicht nur weil das etwas war, in dem er wirklich gut war, sondern auch, weil er die Tätigkeit an sich mochte. Die Spannung, die Ruhe, die Konzentration… ganz egal welcher Aufruhr um ihn herum war, ein Bogenschütze musste in der Lage sein, in diesem einen Augenblick in höchste Konzentration zu versinken, damit der Pfeil sein Ziel fand. Ungenauigkeit brachte einen ebenso wenig weiter wie Hektik. Er sehnte sich danach, endlich wieder zu trainieren, wusste aber ebenso gut, dass es fraglich war, wann ihm das das nächste Mal möglich sein würde. Wenn überhaupt.


    Der Römer allerdings verstand es weiterhin, einen Eindruck zu machen, der Shayan… nun, sagen wir: ein wenig ratlos machte. Immer noch war es dem Parther nicht möglich zu unterscheiden, ob der Flavier das mit Absicht machte oder ob er einfach so war, was zu einem Teil auch daran lag, dass er Latein nicht gut genug verstand, um die Feinheiten in der Sprache herauszuhören. Besser wurde das, als sein Herr ins Griechische wechselte, dennoch wusste Shayan auch dann noch nicht mit Bestimmtheit zu sagen, ob der Römer tatsächlich so… nun ja, irgendwie ein wenig… kindisch… kindlich… dümmlich? war. Oder benahm er sich so, weil er den Parther dafür hielt?


    „Ich werde es lernen“, antwortete er ruhig, ebenso auf Griechisch nun wie sein Herr. Letztlich war die Sache so einfach. Es war nötig, also würde er Latein lernen, noch besser als er es bereits jetzt beherrschte. Ein leichtes Nicken, als der Römer ihn lobte, sonst keine Regung – obwohl er diesmal eine gewisse Irritiertheit verspürte, weil die Art des Römers, wie er mit ihm sprach, mit ihm umging als sei er ein Kind, ein Schüler, kein trotz seines Sklaventums erwachsener Mann, nun anfing, ihn tatsächlich ein wenig zu stören. Sein Blick folgte dem Flavier, als dieser sich erhob und anfing, umher zu gehen. Und wurde nun mit jedem Moment irritierter. Er war sich nicht ganz sicher, warum um alles in der Welt der Mann ihm das erzählte, und langsam begann sich der Eindruck in ihm zu manifestieren, dass das Leben als Sklave unter diesem Herrn um einiges unangenehmer werden konnte als unter seinem vorigen – wenn er immer so war wie jetzt. „Ist das so“, bemerkte er zunächst nur, in einem Tonfall der wohl ein wenig zu trocken war um angemessen zu sein für ihn in dieser Situation. Aber Shayan konnte nicht anders. Er hatte keine Ahnung, warum der Römer das erzählte, aber es klang sehr stark nach Selbstbeweihräucherung – unabhängig davon, ob es sich nun wirklich so verhielt oder nicht. Und dann, dann kam endlich die scheinbare Erklärung dafür, warum er sich das anhören musste. Auch wenn diese Erklärung den Parther nun tatsächlich überraschte. Und auch nicht sonderlich gefiel. Er und ein Instrument? Das konnte nicht gut gehen. „Nun…“ Shayan zögerte ein wenig, nahm sich Zeit, zu überlegen, seine Worte zu wählen. Fabulös, hatte der Flavier gesagt. Ja, fabulöse Musik würde er wohl machen können, aber ob fabulös in diesem Fall gleichzusetzen war mit gut, daran zweifelte Shayan stark. „Wenn du es wünschst, werde ich das tun. Aber ich denke…“ Immerhin hatte der Römer ihn ja danach gefragt, und auch wenn Shayan zu wissen meinte, was er eigentlich hören wollte – er würde ihn nicht anlügen. „…dass das keine gute Idee ist. Ich bin nicht musikalisch begabt.“

  • Er würde es lernen, lernen würde er es also. Piso nickte eifrig. “Du wirst es lernen, jawohl, das wirst du, und zwar geschwind. Nichts leichter wie Latein. Sogar die barbarischen Germanen haben es gelernt.“ Gar nichts einmal gegen die Germanen, schließlich war ihre Wildheit durchaus sartyresk. Wenn auch Piso Bärte als sehr unästhetisch vorkamen. Nung, gut, dass Shayan keinen Bart hatte, denn wie er gehört hatte, waren Bärte in Parthien durchaus gang und gäbe. Gut war es, dass er an einen Parther der bartlosen Sorte geraten war, was gut war, bedachte man das weit gefächerte Assortiment an Parthern am Markt. Wiewohl ein Parther mit Bart einen validen Grund liefern hätte müssen, um seinen Bart zu behalten.
    Der Sklave ließ ihn auch reden, als er herumtrabte und seine mehr als nur wundervolle und glänzende Rede hielt. Bis auf eine Ausnahme. Ist das so. Piso hielt inne und wedelte dem Parther mit seinem Zeigefinger von der Nase herum. “Ja, das ist so!“, bellte er auf Latein. Was dachte sich dieser Typ! Glaubte er, Piso scherzte? Wollte er eine Kostprobe von Pisos Kunst? Doch nein! Die Ohren des Knilches waren zu unwürdig, um seiner Musik zu lauschen. Als Schuhabtreter war der Typ aber hoffentlich noch gut genug. Er blickte ihn indigniert an, bevor er in normaler, salbungsvoller Stimme fortfuhr, wie oben zu lesen.
    Der Flavier harrte dann gespannt schon der Antwort. Die ein wenig... hmm... unenthusiastisch ausfiel. Ungebegabt? Piso runzelte seine Stirn. “Niemand, Sklave, ist musikalisch unbegabt, nicht einmal du! Jeder hat das Zeug in sich, aus einem musikalischen Instument etwas Wundervolles, etwas Schönes, etwas Extraordinäres hervorzuholen!“ Er kicherte verloren in sich rein. “Jeder, tief drinnen, Parther, ist ein Künstler! Ein Künstler, denn sein Genie speist sich komplett aus der Scheiße... äh, verzeih, aus dem Schweiße seines Angesichts! Nur durch Mühe kann man die Position erreichen, die ich erreicht habe unter den Künstlern Roms!“ Er machte eine ganz und gar grandiose Geste. “Ja, mein musikalischer Custos Corporis sollst du sein... von den Musen geküsster Streiter... Bewahrer des Verfechters der Kunst...“ Künstlerisch würde Piso austeilen! Ganz real würde Shayan einstecken! Was für wundervolle Gedanken! Ganz und gar spektakulär wunderbar!
    “Heute noch sollst du zu Paris, dem Artifex gehen. Nachdem du dein Quartier bezogen hast. Die Lyra soll er dir lehren. Die Lyra, Göttin aller Instrumente! Und nun gehe, gehe los, Parther!“ Er stemmte die linke Hand in die Hüfte, hob sein Becken links leicht an, deutete auf die Türe und grinste albern. “Husch! Kusch!“, demandierte er mit weicher Stimme, als ob er dem griechischen Laster anheim gefallen wäre – was nicht stimmte, wiewohl Piso den Burschen durchaus ästhetisch Ansprechendes zuschrieb.

  • Erneut war Shayan ein wenig irritiert, als der Flavier wiederholte, was er gesagt hatte. Er würde es lernen. Natürlich würde er es lernen. Und es war ja auch nicht so, dass er nicht bereits schon Latein gesprochen hatte mit seinem neuen Besitzer. Er war ja nicht erst seit kurzem in der Sklaverei, er hatte bereits Monate davon hinter sich. Der Parther allerdings beschloss, nichts mehr darauf zu sagen. Er hätte ohnehin nicht gewusst was, und er hatte das Gefühl, dass er es nur noch schlimmer machen würde – was sich auch gleich darauf zeigte, als ihm dieser unbedachte Kommentar entwischte. Diesmal zuckte er nicht zurück, als der Römer wieder mit der Hand in Richtung seines Gesichts schnellte, aber sowohl die Geste als auch der Tonfall und die Tatsache, dass der Mann kurz ins Lateinische wechselte, sagten Shayan, was er im Grunde schon gewusst hatte, während er gesprochen hatte: mit diesem Kommentar hatte er wohl die Grenze überschritten von dem, was einem Sklaven, noch dazu einem neuen, zugestanden wurde. Er nahm sich vor, sich noch besser zu beherrschen – und wurde gleich darauf erneut auf die Probe gestellt, als der Römer weiter sprach. Ihn Sklave nannte, als hätte er keinen Namen. Seine Worte, seine Einschätzung, einfach abtat. Und bei allem, was Shayan seit seiner Gefangennahme erlebt hatte, war doch immerhin sein voriger Besitzer jemand gewesen, der eine andere Einstellung ihm gegenüber gehabt hatte. Der ihn beim Namen genannt hatte, und der ihn als das gesehen hatte, was er war: als Soldat. Und der ihn als solchen auch respektiert hatte, irgendwie. Und dieser Römer hier begann nun etwas zu faseln, was es Shayan mehr als schwer machte, ruhig zu bleiben. Musikalischer Custos Corporis… von den Musen geküsster Streiter… Der Parther, dem man außer einem zweifelnden, fast unwilligen Zusammenziehen der Brauen kaum eine Regung in seiner Mimik ansehen konnte, wusste in diesem Augenblick nicht so recht, ob er heulen oder lachen sollte. Wenn es dem Römer ernst war, würde er sich vor allen zum Deppen machen, machen müssen. Und so sehr er sonst gewillt war, alles anzunehmen, was Ahura Mazda ihm auferlegte, fragte er sich in diesem speziellen Fall dann doch, was um alles in der Welt er angestellt hatte, um damit bestraft zu werden.


    Allerdings: er sagte nichts. Es gab nichts zu sagen. Wenn sein Besitzer wollte, dass er die Lyra lernte, war es das, was er tun würde. Der Römer würde noch früh genug merken, dass Shayan tatsächlich unmusikalisch war, oder besser: würde vermutlich denken, er gäbe sich nicht genug Mühe, wenn er tatsächlich der Auffassung war, dass jeder musikalisch sein konnte. Bei diesem Gedanken hätte der Parther am liebsten die Augen verdreht, was er jedoch unterließ. Wenn der Flavier wirklich so dachte, sah Shayan die ersten Strafen schon auf sich zukommen. „Ja, Herr“, war das einzige, was noch über seine Lippen kam, bevor er aufstand und wie befohlen den Raum verließ, während er sich zugleich – für den Moment wenigstens – jeden Gedanken daran verbot, was für einen komischen Kauz er nun als Besitzer abbekommen hatte.

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