Der Brief von Vala hatte ihn zum Nachdenken gebracht. Oder viel eher dazu, sich über sich selbst zu ärgern, weil er tatsächlich etwas übersehen hatte und erst von einem anderen darauf aufmerksam gemacht werden musste. Sextus schätzte es nicht, mit einer Erkenntnis überrascht zu werden, und hatte daher die letzten beiden Tage ausgiebig mit Überlegungen verbracht. Der Brief war mittlerweile schon seiner Bestimmung als Kohleanzünder zugeführt worden, Antwort an Vala hatte er noch keine geschrieben.
Auch hatte er sich mit seinem Schwiegervater nicht besprochen. Flavius Aetius würde am Ende noch an einem Lachanfall krepieren, wenn Sextus ihm Gründe aufzeigen wollte, warum er seine Tochter aus seiner patria potestas entlassen sollte. Und die Wahrheit würde ganz sicher den heftigsten Lachanfall auslösen. Wer bitte gab seine Tochter für läppische 12 Aurei auf, wenn das Familienvermögen mehrere tausend Aurei umfasste? Und welchen anderen Grund konnte es geben? Sextus war ja sicher nie um eine Ausrede verlegen, aber hexen konnte auch er nicht. Es gab keinen vernünftigen Grund, das zu tun. Da konnte auch er keinen erfinden.
Seine Cousinen konnten gar nicht erben. Im Grunde war ihm das vollkommen gleichgültig. Flora würde verheiratet werden und Narcissa Vestalin, wofür brauchten die beiden bitte Geld oder Güter? Sie waren Frauen. Allerdings, und das kam ihm im Verlauf seiner weiteren Überlegungen zugute, waren die beiden der perfekte Vorwand, das zu tun, wozu er sich gerade aufmachte.
Er und Prisca hatte seit jenem unsäglichen Theaterabend reichlich wenig miteinander gesprochen. Er vermutete ja, sie war ihm noch immer böse, dass er ihre romantischen Phantasien mit einem Stück Realität erschlagen hatte. Aber was hätte er sonst machen sollen? Zulassen, dass dieser Flavier sie, sich selbst und vor allen Dingen: Ihn lächerlich machte? Ihn vor seiner Gens bloßstellte, für ein Gefühl? Das war so lächerlich, dass es nicht einmal einen Gedanken wert war.
Und er selbst hatte kein Interesse verspürt, ihr mehr als nötig auf die Pelle zu rücken. Das war wie beim Angeln: Man warf den Köder aus und ließ dann Leine. Wenn der Fisch anbiss, ließ man ihn erst einmal eine Weile damit schwimmen und sich in Sicherheit wiegen, ehe man ihn mit einem kräftigen Ruck zu sich holte. Es machte keinen Sinn, Prisca zu bedrängen. Wenn sie ihn wollte, würde sie es umso mehr, wenn er ihr nicht nachstellte. Und wenn nicht, dann verschwendete er nur Zeit.
Jetzt allerdings hatte er einen Vorwand, sie aufzusuchen, der nur peripher mit ihm selbst zu tun hatte. Und das wiederum war eine perfekte Gelegenheit, die er sich nicht entgehen lassen wollte. So stand er also an ihrer Zimmertür und klopfte an.
“Prisca, kann ich reinkommen?