[Tablinum] Ein Angebot, das sie nicht ablehnen kann

  • Wie verabredet hatte Sermo ein Abendessen in gemütlicher Zweisamkeit vorbereiten lassen. Das Tablinum war mit zwei Clinen ausgestattet worden, die im rechten Winkel zueinander standen, was das Gespräch erleichtern sollte. Die mensa, der Speisetisch, war in für Sermo typisch schlichter Art und Weise nur mit einem kleinen Gesteck geschmückt, das aus Reben, Winterblumen und Immergrün bestand. Der Rest des Raumes war ebenso schlicht ausgestaltet. Leuchtende Wandmalereien luden zum Schwärmen ein, während einige wenige Bücherregale dem Raum die völlige Leere nahmen. Etwas abseits stand ein Beistelltisch mit verschiedenen Fruchtsäften und der obligatorischen Weinkaraffe, die zum Mischen herhielt.
    Der Hausherr selbst trug die vestis cenatoria, die bequeme Tischkleidung eines Römers, in einem dunkelgrünen Farbton. Auf den Streifen, der seinen Stand des Ordo Equester kennzeichnete, hatte er wohlweislich verzichtet. Sein Bart war frisch gestutzt, die Haut wie immer mit wohltuenden Salben gepflegt. Im Gegensatz zu vielen, viiielen anderen Römern legte er übermäßig viel Wert auf gute Körperpflege. Natürlich behielt er das meist lieber für sich, um nicht weibisch zu wirken. Doch Eitelkeit war eben eine besondere Eigenschaft seiner Person, die er sich nie so recht hatte austreiben können, aller gelegentlich durchgreifender Disziplin zum Trotz. Das Bild des stattlichen jungen Mannes rundete eine Duftwassermischung aus Sandelholz, Lavendel und Moschus ab, die der Quintilius nun schon seit Jahren zu benutzen pflegte, wenn möglich.
    So vorbereitet und mit einem mutigen Vorhaben im Sinn erwartete er seinen liebreizenden Gast.

  • Nachdem der Ianitor ihr die Botschaft des Quintilius ausgerichtet hatte, hatte Seiana sich einige Momente lang die Zeit genommen nachzudenken. Auch wenn sie mittlerweile dazu übergegangen war, nicht mehr darüber zu grübeln, konnte sie sich doch nur zu genau daran erinnern was passiert war, als sie das letzte Mal eine solche Einladung angenommen hatte. Nicht dass sie davon ausging, dass dasselbe passieren würde, nur... Sie fühlte sich ein wenig hin- und hergerissen. Sie wusste, dass es sich nicht schickte, einer solchen Einladung, zu einem Essen zu zweit, zu folgen, dass es sich beim letzten Mal nicht geschickt hätte und dass es sich diesmal nicht schickte. Nicht für eine alleinstehende Frau. Andererseits... sie verabschiedete sich mehr und mehr von der Illusion, sie könnte noch irgendwie dem Bild einer vorbildlichen Römerin entsprechen. Sie war deutlich über das Alter hinaus, in dem eine Frau zu heiraten hatte, sie hatte erfolgreich laufende Betriebe, obwohl ihre Familie reich genug war, dass sie das nicht nötig hätte, sie arbeitete in der Schola und leitete die Acta. Gar nicht zu reden von eben dem, was bei der letzten Einladung passiert war, auch wenn davon niemand etwas wusste außer ihr und dem Duccius – jedenfalls ging sie stark davon aus, dass er nicht geplaudert hatte. Nein. Sie entsprach nicht nur nicht dem Bild einer tadellosen Römerin, sie hatte mittlerweile jede Chance verloren, es wenigstens annähernd zu erreichen. Neu war, dass sie begann sich damit abzufinden... ohne sich jedoch äußerlich etwas davon anmerken zu lassen. Der Schein musste gewahrt bleiben, so oder so, denn die Ehre der Familie war Seiana immer noch so wichtig wie eh und je. Wenn sie diese Ehre nicht wahren konnte, indem sie es schaffte den Traditionen und Anforderungen gemäß sich zu verhalten und zu leben, dann blieb ihr nichts anderes übrig, als nach außen hin wenigstens so gut als möglich so zu tun, so dass kein Zweifel aufkommen konnte. Und im Übrigen andere Wege zu finden, den Namen ihrer Gens hochzuhalten. Die Artikel in der Acta, als sie noch Lectrix gewesen war, und der Tratsch auf den Straßen hatten sie ohnehin realisieren lassen, dass es nicht ausreichte, ein ehrbares Leben zu leben, um Glanz und Ehre der Familie zu erhalten.


    Und so hatte Seiana sich dazu entschlossen, auch dieser Einladung zu folgen. Was gab es auch zu verlieren für sie? Dass sie in dieser Hinsicht nicht konform ging mit den gesellschaftlichen Erwartungen, war ohnehin klar. Spätestens seit sie Auctrix geworden war, ließ sich so einiges nicht mehr vermeiden, was für eine Frau eher nicht schicklich war. Und sie hatte sich mit dem Quintilius gut genug unterhalten bei ihrem Treffen in Ostia, dass sie einem weiteren nicht abgeneigt war. Also hatte sie dem Duumvir eine positive Nachricht zukommen lassen, hatte ihr Kommen für diesen Abend angekündigt und war nun hier, in der Casa Quintilia, und wurde ins Tablinum geleitet. Die Palla legte sie ab und übergab sie einem Sklaven, darunter kam eine Tunica zum Vorschein, die überwiegend cremefarben war, sah man von den sich schlängelnden, in Blau gehaltenen Stickereien ab, die den Stoff an Ärmeln und Rock verzierten, und sich vermehrten, je mehr sie auf den Saum zuliefen. Blau und in ähnlichen Formen gehalten war denn auch der schmale, elegante Haarschmuck, der an zwei der Nadeln befestigt war, die ihre zurückgesteckte Frisur formten, blausilbern der Schmuck, den sie trug. Insgesamt war ihre Erscheinung wie stets, elegant, aber in jeder Form als dezent, fast schon zurückhaltend zu bezeichnen, nichts, was sofort jede Aufmerksamkeit auf sie gezogen hätte, nichts, was irgendwie herausstach oder auffallend gewesen wäre. So betrat sie Tablinum und deutete ein Lächeln an, als sie den Hausherrn sah. „Salve, Quintilius. Ich danke dir für die Einladung.“

  • Endlich wurde ihm die Ankunft der Decima von Diomedes gemeldet, der die junge Dame daraufhin hereinführte. Ihre Erscheinung konnte man wahrlich nicht als sonderlich aufsehenerregend definieren. Doch Sermo hatte daran bereits Gefallen gefunden, als er sie erblickte. Seiana teilte offensichtlich seine Vorliebe für schlichtes, dezentes Auftreten, das dennoch nicht stillos zu nennen war. Sie hatte einen guten Geschmack und verstand es wohl, sich elegant auf Empfängen zu bewegen. So schätzte er sie zumindest ein, denn wenn sie es schaffte ihn hier zu beeindrucken, dann würde sie das gewiss auch auf größeren Zusammenkünften der Nobilitas schaffen. "Decima, herzlich willkommen in der Casa Quintilia," begrüßte Sermo sie, nachdem er sich erhoben hatte und ein paar Schritte auf sie zugegangen war. "Danke für dein Kommen." Als Form der Begrüßung wählte er jene, die er beinah immer bei Frauen anwendete. Den Handkuss. So nahm er beinahe vorsichtig aber dennoch zielstrebig ihre Rechte und hauchte einen Kuss auf den Handrücken. "Gut siehst du aus," fügte er daraufhin an, denn ein gelungener Abend begann meist mit einigen gelungenen Komplimenten. Und er hatte bereits zuvor festgestellt, dass die Decima Komplimente offenbar sehr schätzte, wenn sie sich das auch nicht immer anmerken lassen wollte. "Setzen wir uns doch," führte er das übliche Begrüßen-Komplimente machen-Hinsetzen-Smalltalkquasseln-Prozedere fort. Sie ließen sich nieder, während Diomedes verdünnten Wein oder Wahlweise Fruchtsäfte nach Wunsch reichte. Sermo nahm stark verdünnten Wein. "Auf einen angenehmen Abend," brachte er seine Erwartung im Trinkspruch zu Wort. Den Göttern wurde ein Tropfen geweiht, dann nahm er einen guten Schluck. "Es freut mich, dass du meine Einladung angenommen hast. Unsere Stadtführung ist dir hoffentlich noch in bester Erinnerung geblieben?" Während die nächsten Floskeln ausgetauscht wurden, nutzte Sermo die Zeit seine Gegenüber näher zu betrachten. Er hatte sich wirklich die richtige Frau ausgesucht, das konnte er wohl mit Recht behaupten. Ihre feinen Gesichtszüge waren meist ernst, aber immer elegant. Wenn sie lächelte, dann tat sie das nicht übertrieben und versuchte ihre geraden Zähne zu zeigen wie ein Sklave, den man auf dem Markt begutachtete, sondern tat es ganz natürlich und mit einer Verhaltenheit, die Sermo irgendwie anziehend fand. Ganz zu schweigen von ihrem Körper. Herrje, man konnte Seiana mit Fug und Recht als verdammt schöne und begehrenswerte Frau bezeichnen! Ein Wunder eigentlich, dass sie nicht schon längst verheiratet war. Das wollte Sermo wirklich immer noch nicht in den Kopf gehen! Jedenfalls stand für ihn fest, dass Seiana eine Frau mit Stil, Eleganz und von großer Schönheit war, die dazu noch wohl erzogen worden war und sich sicher auf öffentlichem Parkett zu bewegen wusste. Eine gute Partie, zumal behauptet wurde, dass sie dazu noch einiges in ihrer Kasse besaß.

  • Seiana neigte leicht ihren Kopf, als der Quintilius ihr einen Handkuss zur Begrüßung gab und ein Kompliment über ihr Aussehen anhängte. Diesmal war sie darauf gefasst, und wenigstens seine Worte waren allgemein genug gefasst, so dass diese ohnehin kein Problem für sie darstellten, nichts, was ihrer eigenen Ansicht zuwider gelaufen wäre und sie so in Verlegenheit hätte bringen können. Mehr und mehr jedoch lernte sie ohnehin, sich auch in solchen Situationen zu beherrschen, nicht nur weil sie sich eben dies vorgenommen hatte, sondern auch, weil es ihr nun als Auctrix immer häufiger passierte, dass Menschen sie, nun... hofierten. Häufig genug, dass sie tatsächlich Übung darin bekam.


    Sie nahm wie von ihm angeboten Platz, wählte verdünnten Wein und lächelte leicht, als sie seinen Trinkspruch hörte. „Auf einen angenehmen Abend“, wiederholte sie und spiegelte seine Bewegungen, bevor sie zunächst auf die Stadtführung einging und sich dann allgemein ein wenig mit dem Quintilier unterhielt – das übliche Geplänkel, das ihr selten wirklich gefiel, um das sie noch seltener herum kam, und in dem sie mittlerweile dennoch zu brillieren verstand. Gelernt hatte sie es schon früh, hatte ihre Mutter doch keine Gnade gekannt, was ihre Ausbildung betraf, um später einmal eine gute Ehefrau sein zu können. Wirklich gut war sie darin allerdings erst geworden, als sie gelernt hatte, den Widerwillen, der sie bei solchen Unterhaltungen häufig überfiel, einfach zu ignorieren, ihn höchstens für die ein oder andere Antwort zu nutzen, die schärfer war als sie klingen mochte, und sich darüber hinaus ihren Teil zu denken. Der Tonfall mit dem Quintilius blieb indes locker, bis die Vorspeisen gereicht wurden. Seiana ließ sich gerade eine Auswahl an Oliven reichen, als sie scheinbar beiläufig fragte: „Welchem Umstand verdanke ich die Ehre dieser Einladung?“

  • Sermo genoss die Unterhaltung mit Seiana nur halb. Die ganze Zeit hatte er sein Vorhaben im Hinterkopf und wartete auf den richtigen Moment, um mit der Sprache herauszurücken. Doch noch bot sich dieser Augenblick nicht. Sie sprachen über Ostia, über die Stadtführung und solcherlei Nichtigkeiten. Sermo beherrschte derart Geplänkel. Doch heute nervte es ihn eigentlich nur. Deshalb war er auch erleichtert, als die Decima endlich nach dem Grund für die Einladung fragte.
    Während Sermo antwortete, richtete er sich auf der Kline auf und holte Luft, um dann zu seiner Erläuterung anzusetzen. "Der Umstand ist ein ganz besonderer," begann er etwas geheimnisvoll. Sachlicher fuhr er fort. "Ich bin kein Mann langer Reden, wenn es um die wirklich wichtigen Dinge des Lebens geht. Und jener Umstand ist eins dieser wirklich wichtigen Dinge, die mich veranlassten dich einzuladen." Aufregung drohte Besitz von ihm zu ergreifen, die er jedoch zu unterdrücken versuchte. Ein letztes Schlucken, dann überwand er sich endlich. "Geschätzte Decima...ich wage von mir zu behaupten ein pflichtbewusster Römer zu sein. Ein Römer, der seine Pflichten kennt, kann jedoch nicht immer ledig bleiben, so wie ich es derzeit bin. Überdies strebe ich seit längerem eine Verbindung an, die meiner Gens gute Vorteile bringt. Sowohl in politischer als auch in wirtschaftlicher Hinsicht. Da ich meine Ansprüche habe und auch eine Dame von Eleganz, Sittsamkeit und außerdem von ambitionierter Tatkraft favorisiere, ist mir eine Wahl bisher schwer gefallen.
    So, jetzt kam es. Was Seiana vermutlich schon mit Überraschung erahnen konnte, würde er jetzt aussprechen. Gerade heraus, zack-bumm. Er wollte sie nicht mit Gelabere aufhalten und das Überraschungsmoment zerstören.
    "Und so wollten es die Parzen, dass ich dich traf!" Er lächelte, wobei eine Spur Verlegenheit gerade noch unterdrückt werden konnte. Er saß mittlerweile auf der vorderen Kante der Kline, weil er vor Aufregung beinah nicht mehr still bleiben konnte. Erwartungsvoll sah er seine Gegenüber an. "Es mag ungewöhnlich erscheinen, aber mir ist niemand anderes bekannt, dem ich an deiner Stelle mein Anliegen vorbringen könnte. Decima Seiana, ich schlage dir eine eheliche Verbindung zwischen Decimern und Quintiliern vor. Um Konkret zu sein: Ich möchte dich zur Frau nehmen."

  • So beiläufig sie die Frage gestellt haben mochte, so sehr traf sie damit anscheinend ins Schwarze. Der Quintilier richtete sich auf, atmete ein, kurz, gab genug Anzeichen dafür, dass es mehr mit dieser Einladung auf sich hatte als lediglich eine kürzlich geschlossene Bekanntschaft zu vertiefen. Seine Worte bestätigten diese Annahme – mehr noch, wenn sie nicht einfach nur dahin gesagt waren, um etwas spannender zu machen als es war, sondern sein Anliegen Schritt halten konnte mit der Einleitung, dann hatte er offenbar etwas Wichtiges zu sagen. Seiana hielt kurz inne in der Musterung der Oliven und sah ihn abwartend an, und beschloss dann nach einem weiteren Moment, zunächst in aller Seelenruhe einfach zuzuhören. Auch wenn ihr nicht danach war, denn seine weiteren Worte waren durchaus dazu angetan, eine Mischung aus Neugier, vager Aufregung und beinahe etwas wie Unwohlsein in ihr zu entfachen. Die wichtigen Dinge im Leben. Dennoch blieb ihre Mimik ruhig, regungslos. Sie lauschte weiter seiner kleinen Ansprache, bemerkte die Zeichen, wie er ein wenig nervöser wurde, und konnte nicht verhindern, dass auch sie ein wenig nervös wurde. Sie war nicht dumm. Und ohnehin war es nicht schwer zu ahnen, worauf er hinaus wollte, mit jedem weiteren Wort, das er von sich gab. Sie... war nur für den Moment sprachlos. Mehr noch, gedankenlos. In ihrem Kopf herrschte für Bruchteile von Augenblicken gähnende Leere. Sie hörte seine Worte, sie konnte sie auch richtig einordnen, wusste, was sie bedeuteten – aber sie wusste im ersten Moment nichts damit anzufangen, oder besser: wusste nicht, was sie davon halten sollte.


    Als der Quintilius dann schließlich aussprach, was Seiana schon vor einigen Sätzen zu ahnen begonnen hatte, stellte sie zunächst, mit einer ruhigen, bedächtigen Bewegung, ihren Becher zur Seite. Eine eheliche Verbindung. Zwischen Decimern und Quintiliern. Zwischen ihr und ihm. Jetzt war es an ihr, einzuatmen und sich aufzurichten. Sie suchte nach einem Lächeln in sich, aber sie fand keins, und so blieb ihre Miene wie sie war – aufmerksam, ernst, aber nicht angespannt, wie sie es innerlich plötzlich zunehmend war. „Ich fühle mich geehrt, Quintilius.“ Dann zuckte es leicht um ihren linken Mundwinkel, was entfernt als Andeutung eines Lächelns gelten mochte, genauso gut aber auch Teil eines ansonsten unterdrückten Gesichtsausdrucks sein konnte, der in seiner Gesamtheit Verwirrung und Überraschung preis gegeben hätte. „Verzeih mir, du hast mich... ein wenig überrascht, muss ich zugeben. Ich hätte mit einigem gerechnet, aber nicht damit.“ Vielleicht, nein, sicher sogar war Offenheit nun, bei diesem Thema, wohl das Beste, womit sie taktieren konnte. Quintilia. So weit sie wusste, hatte diese Gens nicht wirklich einen herausragenden Politiker oder Militär gestellt, was sie im direkten Vergleich mit der Decima schlechter abschneiden ließ. Sie selbst allerdings, da machte sie sich nichts vor, konnte nicht allzu viele Ansprüche stellen, nicht mehr – sicher, da war ihre Familie, die nach wie vor wichtige, in Rom bekannte Männer stellte; da war der Reichtum, über den die Gens und auch sie verfügte; da war sie, ihre Ausbildung, ihre Fähigkeiten, ihr Aussehen, was sie, alles zusammen genommen, sicher zu keiner schlechten Ehefrau machen würde. Andererseits: da war sie. Sie besaß Betriebe, nicht nur nominell, sondern wahrhaftig, die sie selbst verwaltete; sie arbeitete in der Schola; sie war Auctrix; sie tat Dinge, die von einer Frau von stand nicht wirklich erwartet wurden, die nicht wirklich... schicklich waren, und sie tat sie, obwohl sie das nur zu genau wusste; vielleicht sahen manche das sogar als Vorteil ein, weil sie Macht hatte, Einfluss, aber im Großen und Ganzen waren Männer dann doch eher geneigt, sich Ehefrauen zu wählen, die sich auf den Bereich beschränkten, der ihnen gesellschaftlich zugebilligt wurde, um dort Einfluss auszuüben; und: sie war unverheiratet, immer noch, nach einer Dauerverlobung mit einem Aelier, der sie dann sitzen gelassen hatte für eine andere, jüngere, und sie war bereits Mitte 20, da gab es kein Leugnen. Zu alt, um zum ersten Mal zu heiraten. Was ihre Vorteile zwar nicht aufhob, aber doch senkte. Genug, dass sie dies umgekehrt bei ihren Ansprüchen bedenken musste.


    Sie hatte sich genug gefangen, um nun doch wieder ein Lächeln aufsetzen zu können, auch wenn es nicht mehr war als das für sie so typische, vage Lächeln. „Quintilius. Du hattest sicher Zeit, Informationen einzuholen und dir deine Gedanken zu machen. Über mich, über meine Familie, über eine mögliche Verbindung. Ich hatte diese Zeit nicht, deswegen hoffe ich du akzeptierst, dass ich dir einige Fragen stelle, bevor ich dir antworte.“ Allein dass sie Fragen stellte, zeugte jedoch davon, dass sie durchaus nicht uninteressiert war. „Was ist dein Plan für deine Zukunft? Deine Karriere? Du hast gesagt, eine weitere Amtszeit als Duumvir würde dich reizen, allerdings habe ich gehört, dass du zu den Wahlen nicht angetreten bist. Was wird dein nächster Schritt sein – und wo siehst du dich in, sagen wir, fünf Jahren?“

  • Sie fühlte sich geehrt. Das klang ja schonmal vielversprechend. Halbwegs konnte Sermo ein zufriedenes Lächeln unterdrücken, als sie weitersprach. Der Überraschungseffekt hatte seine Wirkung nicht verfehlt. Gut für Seiana war jedenfalls, dass ihr Gegenüber ihre Gedanken nicht lesen konnte, denn andernfalls hätte er wohl über ihre damenhafte Schicklichkeit und all den Schmarrn noch eine Winzigkeit anders gedacht. So aber hörte er nur ihre folgenden Worte, die sich in Fragen äußerten, mit denen Sermo durchaus gerechnet hatte. Niemand wollte die Katze im Sack kaufen. "Gewiss," warf er nur zustimmend ein, bevor Seiana loslegte. "Die Kandidatur zum erneuten Duumvirat habe ich bewusst zurückgezogen, um an anderer Stelle aktiv zu werden. Genauer gesagt: An recht weit entfernter Stelle. Mein Patron, Senator Spurius Purgitius, hat mich an meinen Mitklienten Senator Kaeso Annaeus vermittelt, der in wenigen Wochen die Reise nach Germania antreten wird - als Ablösung des Statthalters. Er will mir einen Ritterposten erteilen, sobald der Praefectus Urbi meine Erhebung unterzeichnet hat. Das sollte nicht mehr lange dauern, da mein Patron sich gut für mich einsetzt." Ihr Interesse ließ erkennen, dass eine Verbindung für Seiana wohl nicht allzu abwegig klang. Das gab Sermo Mut. "In fünf Jahren...ja, wo sehe ich mich da?" Er tat kurz grübelnd, bevor er weitersprach. "Mit etwas Glück bin ich dann Tribunus Angusticlavius oder Procurator, der auf der Schwelle zur dritten Stufe der Ritterlaufbahn steht. In welchem Teil des Imperiums das sein wird, kann ich jedoch nicht sagen. Da wäre ich wohl erstmal an die Weisungen des Kaisers gebunden. Rom ziehe ich natürlich immer vor." Sermo lächelte schmal. "Ich hoffe einfach meinen Vater, der Tribun bei der II. war, um ein Weites übertreffen zu können."

  • Seiana hörte dem Quintilier ruhig zu, als er ihre Fragen beantwortete. Germanien. Er ging nach Germanien, um dort einen Posten anzunehmen. Sie wusste nicht so recht, was sie davon halten sollte – es war ein weiterer Schritt auf seiner Karriereleiter, was eine Voraussetzung dafür war, dass sie überhaupt darüber nachdachte, ihn zu heiraten. Das immerhin war sonnenklar für sie: sie blieb lieber unverheiratet denn die Frau zu werden eines Mannes, der Zeit seines Lebens Duumvir oder ähnliches blieb oder besser: bleiben wollte. Aber dass der Quintilius durchaus über Ehrgeiz verfügte, war deutlich. Nur... Germania. Das hieß, dass eine mögliche Hochzeit würde warten müssen. Und sie hatte schon ihre Erfahrung gemacht was es hieß, Dauerverlobte zu sein – und wie es enden konnte. Sie presste kurz die Lippen aufeinander und erwiderte sein Lächeln nicht. „Du hast Ehrgeiz. Das ist gut“, stellte sie zunächst nüchtern fest, bevor sie nach einer kleinen Pause fortfuhr: „Ich bin mir sicher, du weißt über meine Vergangenheit Bescheid. Über meine letzte Verlobung.“ Sicher wusste er das – er würde sich über sie erkundigt haben, davon war Seiana überzeugt, als er angefangen hatte mit dem Gedanken zu spielen, sie zu ehelichen. Sie atmete ein. „Gesetzt den Fall, ich stimme zu – ich tue es noch nicht, aber gesetzt den Fall: ich möchte keine weitere Verlobung eingehen, bei der noch nicht im Mindesten abzusehen ist, wann die Hochzeit stattfinden wird.“ Diesmal fragte sie nicht, ob das in Ordnung für ihn war. Das war ein Punkt, der unverhandelbar war für sie, und das konnte man ihr anhören – sie würde sich nicht zum Gespött der Leute machen, indem sie als die Dauerverlobte in die Geschichte Roms einging. „Gesetzt den Fall, ich stimme zu: dann würde ich dich bitten, in Germania mit meinem Onkel zu reden. Ich mag sui iuris sein, dennoch gebietet der Anstand, dass das Familienoberhaupt einbezogen wird in eine derartige Entscheidung. Ebenso mein Bruder, der sich derzeit allerdings in Aegyptus befindet, weswegen es hier ein Brief wird sein müssen. Wäre das für dich in Ordnung?“ Sie hatte sich einmal die Finger verbrannt, war einmal komplett zwischen alle Fronten geraten bei ihren Verwandten und ihrem Verlobten. Auch das würde sie kein zweites Mal zulassen.

  • Allerdings hatte Sermo sich informiert. Er wusste, dass Seiana es eine halbe Ewigkeit als Verlobte mit diesem Aelius in Alexandria ausgehalten hatte. Und er wusste, dass diese Verlobung nach ihrer Rückkehr nach Rom schließlich wieder gelöst worden war...zugunsten einer Iunia Axilla, die er durchaus auch schon persönlich kennen gelernt hatte. Damals auf irgendeiner Feier. Bei den Iuliern? Gut möglich. Vor diesem Hintergrund verstand er nun auch Seianas nächste Worte, die allerdings nichts mit Verhandlungen zu tun hatten, sondern eine unabdingbare Forderung waren. Abseits von ihrem Kompliment ob seines Ehrgeizes, das Sermo ihr mit einem stillen Nicken dankte. Seine Antwort war jedenfalls folgende.
    "Ich verstehe. Deinen Onkel und Bruder werde ich gern kontaktieren wie es sich gehört." Er hielt kurz inne, bevor er vom Fragen Beantworten in die Offensive wechselte. "Ich mache dir einen Vorschlag. In Germania rede ich persönlich mit deinem Onkel. Von dort aus schreibe ich - sofern ich vom Senator eine positive Antwort erhalte - einen Brief an deinen Bruder. Nach dessen Bestätigung würde ich ganz einfach dich unterrichten und man könnte - im Fall der Fälle auch einfach schriftlich - die Verlobung arrangieren. Die Hochzeit selbst sollte dann recht zeitnah folgen. Wenn es dir recht ist, könntest du im Frühjahr, wenn die Alpen besser passierbar sind, nach Mogontiacum reisen und wir feiern dort unsere Hochzeit." Diesmal lächelte Sermo nicht, sondern versuchte eine etwas bequemere Sitzhaltung einzunehmen. Er hatte sein Konzept jetzt vorgebracht und erwartete gespannt Seianas Reaktion.

  • Innerlich ein wenig angespannt wartete Seiana auf seine Antwort. Im Grunde hatte sich hier unverhofft eine Möglichkeit aufgetan, die sie nicht im Geringsten erwartet hätte – eine Heirat. Die Möglichkeit, Matrona zu werden. Sie überlegte. Faustus hatte gesagt, er würde Ausschau halten nach einem geeigneten Ehemann für sie, Lucilla hatte ihr diesbezüglich auch etwas geschrieben... Die Antwort des Quintilius hingegen gefiel ihr, nahm ihr etwas von der plötzlichen Anspannung. Er stellte keine Fragen, das war der erste Pluspunkt für ihn, und seine Worte machten deutlich, dass er sich einverstanden erklärte, mit beiden ihrer Forderungen. Dennoch lächelte auch sie nicht, ebenso wenig wie er. „Das klingt machbar“, antwortete sie langsam. „Sofern wir eine Vereinbarung treffen, können wir so verfahren.“ Seiana musterte ihn einige Momente lang schweigend, bevor sie zu einem Entschluss kam. „Das ist keine Entscheidung, die man leichtfertig treffen sollte. Daher bitte ich dich um einige Tage Bedenkzeit. Ich werde dir Bescheid geben, noch bevor du nach Germania abreist – und sofern ich zustimme, werde ich dir einen Brief für meinen Onkel mitgeben.“

  • Beiden war offensichtlich klar, wie ernst diese Unterhaltung war und wie schwerwiegend etwaige Entscheidungen sich auf ihre Zukunft auswirken konnte. Sermo zeigte sich mit Seianas Reaktion jedoch durchaus zufrieden und nickte zustimmend. "Meine Teuerste," erwiderte er. "Die Bedenkzeit will ich dir gern gewähren. Ich werde deiner Antwort mit größter Erwartung entgegensehen." Puh...der schlimmste Teil war vorüber. Die ganze Quaterei am Anfang, das Gelabere, dann endlich der harte Brocken. Alles überstanden. Jetzt galt es nur noch das richtige Ergebnis zu bekommen. Hoffentlich zeigte Seiana sich einverstanden. Wenn nicht, wäre er ganz schön angeschmiert. Zugegebenermaßen: Sie auch. Aber das wusste Sermo ja nicht so genau. Er sah zunächst erstmal nur seinen eigenen Vorteil in dieser ganzen Geschichte. "Nun gut. Da ich dir diese einmalige Chance nun so schmackhaft gemacht habe, wollen wir zur Auflockerung nun endlich den Hauptgang zu uns nehmen?" Ein schiefes Grinsen begleitete sein Angebot, das eigentlich eine versteckte Aufforderung war. Augenblicke später erschien auch schon Diomedes im Raum, der das Essen servierte. Er hatte die Anweisung seines Herrn aus einem Nebenraum heraus bereits erwartet.

  • Erst, als Sermo ihr bereitwillig die gewünschte Bedenkzeit zugestand, verzogen sich Seianas Mundwinkel zu einem zunächst noch angedeuteten Lächeln. Sie hatte also ein Verlobungsangebot, über das sie nachzudenken hatte. Eine Familie, über die sie Erkundigungen einziehen konnte. Und jetzt, wo der vorläufige Rahmen geklärt war, kam der nächste Schub an Emotionen. Sie beherrschte sich zu meisterhaft, um sich etwas anmerken zu lassen, aber innerlich wurde sie für Momente wieder aufgewühlter, und sie ahnte, dass sie noch nicht – nicht wirklich – realisiert hatte, was dieses Angebot in letzter Konsequenz für sie bedeutete, bedeuten konnte, das er ihr gerade gemacht hatte. Allerdings schob sie all das beiseite, so gut es ging, verschloss es in sich, begrub es unter der Kälte, die ihr so gut half, sich zu beherrschen. „Ich danke dir, Quintilius.“ Noch fügte sie das Sermo nicht hinzu. Sie brachte es nicht über die Lippen, es hätte sich... falsch angehört. Sie befeuchtete sich leicht mit der Zungenspitze die Lippen, von denen sie gar nicht bemerkt hatte, wie trocken sie geworden waren durch die Anspannung während der letzten Momente. Nein, sie war innerlich nicht ganz so ruhig, wie sie sich gab, und jetzt, wo die Anspannung nachzulassen begann, spürte sie manches Zeichen der Nervosität. Würde sie stehen, würden ihre Knie nun wohl ein wenig weich werden. Seiana griff nach ihrem Becher und trank von dem verdünnten Wein, sich nun wünschend, die Mischung würde weniger Wasser enthalten.


    Bei den nächsten Worten des Quintiliers musste sie schmunzeln, und unwillkürlich war sie ihm dankbar, nicht nur für die Ablenkung, sondern vor allem für den lockeren Tonfall, den er nun anschlug. „Eine gute Idee“, lächelte sie, und nur wenig später aßen sie, als der Hauptgang serviert war.

  • Na, das lief doch beinahe schon zu gut. Man konnte zwar nicht sagen, dass Sermo sich seiner Sache endgültig sicher war, aber Seiana schätzte er intelligent genug ein, ein solches Angebot nicht wegen falschen Stolzes oder ähnlichem Schwachsinn auszuschlagen. Im Folgenden hatte er gut daran getan, die Stimmung etwas zu lockern. Während des Hauptgangs führten sie ein unverfängliches Gespräch über allerlei Nebensächlichkeiten, was Sermo aber recht entspannend fand. Die Aufregung war beinahe ganz gewichen, ebenso die Sorge eine direkte Absage zu bekommen. Einige süße Leckereien folgten dem Hauptgang, während die Mischung des Weins - zumindest in Sermos Fall - von Glas zu Glas etwas weinlastiger wurde. Letztendlich verflog die Zeit unbemerkt schnell, was Sermo irgendwann dann doch feststellen musste. "Meine Liebe, dieses Essen mit dir war ein einziger Genuss," lächelte er galant. "Die Zeit schwand nur so dahin und es ist spät geworden. Wie sagt man so schön: Man soll aufhören, wenn es am schönsten ist?" Sermo grinste verschmitzt.


    Sie erhoben sich also, woraufhin Diomedes auch gleich Seianas Palla bereithielt, natürlich wohlplaziert am Rande des Geschehens. "Decima, ich danke dir sehr herzlich für dein Kommen. Ich hoffe, mein Angebot wird nach reiflicher Überlegung positiv von dir beantwortet." Diesmal lächelte er selbstbewusst, wobei er versuchte nicht zu aufdringlich zu sein. Er wollte sie ja nicht unter Druck setzen, das kam selten gut an.


    Nachdem Diomedes ihr dann letztendlich die Palla gereicht hatte und sie das Atrium zur Tür durchgequert hatten, hieß es Abschied nehmen von der Frau, die wohl hoffentlich bald mehr als nur irgendeine Frau sein würde. "Es ist schon recht dunkel. Wünschst du einen Fackelträger zur Begleitung?"

  • Seiana schaffte es sogar, das Essen tatsächlich zu genießen, trotz der so wichtigen Entscheidung, die ihr unmittelbar bevorstand. Sie schaffte es selbstredend nicht ganz, die Gedanken daran zu verbannen für diesen Abend, natürlich nicht – im Gegenteil kam sie nicht umhin, ihn beiläufig zu beobachten, seine Reaktionen abzuwägen, sein Verhalten einzuschätzen. Natürlich war ihr auch klar, dass er – wie sie auch – sich von seiner besten Seite zeigte. Trotzdem war es der einzige Anhaltspunkt, den sie hatte, was ein mögliches gemeinsames Leben betraf, und sie ging durchaus davon aus, dass dieser Anhaltspunkt doch in die richtige Richtung wies, es sei denn, der Quintilier verstellte sich völlig. Einen gewissen Grundrespekt ihr gegenüber erwartete sie schlichtweg in einer Ehe, egal mit wem – und da sie nicht gedachte, ihre Unabhängigkeit aufzugeben, konnte sie diesen auch einfordern. So oder so beherrschte sie sich jedoch gut genug, um sich nicht wirklich etwas anmerken zu lassen, wenn sie derartige Gedanken nicht verdrängen konnte, und die lockere Unterhaltung, die sie führten, war durchaus angenehm. „In der Tat“, lächelte sie zurück. „Die Zeit ist schnell vergangen. Dann werde ich mich nun verabschieden.“


    Gemeinsam erhoben sie sich, und Seiana ließ sich von dem quintilischen Sklaven dabei helfen, die Palla umzulegen. „Ich danke dir für die Einladung. Und für dein Angebot.“ Diesmal war ihr Lächeln wieder vage, neutral, auf seine Art verschlossen. „Sei versichert, dass ich es genug in Erwägung ziehe, um tatsächlich reiflich zu überlegen“, erwiderte sie, um noch einmal deutlich zu machen, dass sie nicht nur aus reiner Höflichkeit gesagt hatte, sie würde es sich überlegen. Währenddessen waren sie im Atrium angekommen, wo der Sklave bereits wartete, der sie hierher und nun auch wieder zurückbegleiten würde. Seiana überlegte einen Moment, dann nickte sie leicht. „Ein Fackelträger kann nicht schaden. Wenn es dir also keine Umstände macht, würde ich dieses Angebot gerne sofort annehmen.“ Sie verabschiedete sich endgültig von dem Quintilius, und mit einem Fackelträger und ihrem Sklaven also machte Seiana sich auf den Weg in die Casa Decima.

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