Hortus | Die kleinen Freuden des Lebens

  • Einige Tage waren bereits vergangen, seitdem ich hier war. Bisher hatte ich noch nicht viel gesehen, von meiner neuen Wohnstatt. Mein cubiculum hatte ich noch am ersten Tag bezogen. Die Bibliothek hatte ich an meinem zweiten Tag kennenlernen dürfen. Amalthea hatte Anweisung von meiner Mutter erhalten, auch hier, fern von ihr, nicht meine Ausbildung schleifen zu lassen. Darin vertraute sie meinem Vater nicht im Geringsten. So war ich dazu angehalten, täglich mehrere Stunden mit Lesen zu verbringen.
    Heute jedoch war es mir gelungen, Amalthea und diversen griechischen Dichtern einfach zu entfleuchen, als sie kurz die Bibliothek verlassen hatte, um mir etwas zu trinen zu holen.
    Auf leisen Sohlen schlich ich mich davon. Nur der alte, griesgrämige Bibliothekar bemerkte mich. Doch verraten würde er mich sicher nicht. Denn nun würde wieder Ruhe und Frieden in sein Reich einkehren. Anfangs irrte ich ziellos durch die Villa, bis ich den Zugang zum Garten fand. Der Garten! Ich war entzückt. Staunend über die immense Größe und die Auswahl an interessanten Pflanzen, setzte ich meinen Weg fort. Wie schön musste es hier erst im Sommer sein, wenn alles blühte und duftete?
    Die Sklaven hatten bereits ganze Arbeit geleistet, um den Garten winterfest gemacht. Die Gehölze waren zurückgeschnitten. Das Laub, welches von den Bäumen gefallen war, war sorgfältig auf einen Haufen gerecht und anschließend entfernt worden. Nur die nackten Baumgerippe mahnten uns noch, dass alles vergänglich war. Aber sie erinnerten uns auch daran, dass alles Leben wieder zurückkehren würde, so es dem Willen der Götter entsprach.


    Auf einer Steinbank ließ ich mich nieder und erfreute mich an der wärmenden Wintersonne, die den ansonsten kühlen Wintertag etwas erträglicher machte. Ich atmete tief durch, denn im Augenblick war ich einfach nur glücklich und zufrieden. Ich war in Rom und wenn es nach meinem Vater ging, dann war ich auch noch im kommenden Sommer hier und konnte die Vorzüge dieses wunderschönen Gartens genießen. Darauf freute ich mich. Mehr hätte es im Augenblick nicht bedurft, um glücklich zu sein.


    Sim-Off:

    Reserviert! :)

  • Bedächtig einen Schritt vor den anderen setzend, eine wohl etwa zum Drittel ausgerollte Schriftrolle in beiden Händen trat Flaccus auf und rezitierte ... Homer, was auch sonst? Die Odysseia war es, wohl um den fünften Gesang, die der junge Flavier in Hexametern vor sich hermurmelte und dadurch unbewusst aber dennoch wirkungsvoll den Jahrtausende alten Atem des Dichters, dem die junge Domitilla sich vermutlich ob ihrer Flucht aus der Bibliothek glücklich entronnen glaubte, in den herbstlichen Garten trug. Natürlich wusste Flaccus selbst nichts von alledem, weder dass Flavia Domitilla sich in den Gärten befand, noch dass sie aus der Bibliothek entschlüpft war, genaugenommen wusste er von ihr nicht mehr, als dass sie erst vor wenigen Tagen nach Rom und in die Villa gekommen war - Gelegenheit zum Kennenlernen hatte es bisher noch keine gegeben. Und doch war das im Grunde vielversprechendes Wissen, war Domitilla ja damit ein dem des Flaccus nicht unähnliches Schicksal widerfahren, zumindest, was die Tatsache, dass sie sich jetzt in Rom, im Schoß der flavischen Familie befand, betraf. Und doch war es weder die Intention noch die Hoffnung des Flaviers gewesen, ausgerechnet sie im Garten zu treffen, sodass er eben dies, sie zu treffen, zunächst auch gar nicht tat. Wie sollte er sie denn auch bemerken, wenn er in Gedanken sich ja gar nicht in den flavischen Gärten, ja nicht einmal in Rom befand, sondern vielmehr unter der Besatzung des Ithakers, die eine Herausforderung nach der anderen zu meistern hatte, und ihrer Heimat doch nicht näher zu kommen schien, ob des unbändigen Zorns des gewaltigen Beherrschers der Meere, Poseidon.


    Nichtsdestotrotz schien es unumgänglich und wer weiß, vielleicht hatte ja auch Fortuna ihre Hände im Spiel, sie, die der jungen Flavia ja heute besonders hold schien (oder sollte die glückliche Flucht aus der Bibliothek etwa nicht ihrer Gunst zu verdanken sein?). Jedenfalls ließ Flaccus im richtigen Moment die Schriftrolle sinken und Anwesenheit der jungen Flavia gewahr, ein Umstand, der zunächst nur ein etwas überraschtes "Oh.", ihn hervorbringen ließ, hatte er doch nicht damit gerechnet irgendjemanden, am wenigsten wohl Domitilla in den herbstlichen Gärten anzutreffen. "Salve, Domitilla.", fügte er rasch hinzu. "Ich bin Flavius Flaccus, dein ...", kurz ratterte es merklich im Kopf des jungen Patriziers, als er mühsam versuchte die korrekte verwandschaftliche Beziehung zu der jungen Flavia herauszufinden, "...ach, lassen wir das." Beendete er den mühsamen Prozess aber bald wieder, erstens, weil es im Grunde ja egal war, und zweitens, weil er im Moment noch zu sehr in die Odyssee vertieft war, um auch nur einen klaren Gedanken zu fassen. "Hast du dich schon eingelebt?"

  • Fernab von Homer, saß ich nun saß auf der steinernen Bank, mit geschlossenen Augen. Mein Antlitz zur Sonne gerichtet, um jeden wärmenden Strahl einzufangen. Konnte es etwas schöneres geben? Die Schönheit des Augenblicks, der so unermesslich wertvoll war, obgleich er nichts kostete. Doch wie so oft im Leben, waren die einfachen Dinge die besten im Leben.
    Der überraschte Ausruf eines jungen Mannes öffnete mir meine Augen wieder. In gewisser Weise machte ich wohl einen eher ertappten Eindruck. War er von Amalthea geschickt worden, um mich wieder zurück zur Bibliothek zu führen, damit ich dort mit meinen Lectionen fortfuhr? Wohl eher nicht! Der junge Mann machte nicht den Eindruck eines einfachen Boten. Außerdem verriet alleine schon seine Kleidung, dass er ein Mann von Stand war.
    Ich erinnerte mich wieder, ihn bereits bei der cena gesehen zu haben, obgleich ich seinen Namen längst wieder vergessen hatte. Was wohl eher daran lag, dass wir noch kein Wort miteinander gewechselt hatten. Jedoch war sein Namensgedächtnis um einiges besser.
    "Salve, Flavius Flaccus!", entgegnete ich und lächelte dabei ein klein wenig verschämt. Inwieweit jener Flavius Flaccus mit mir verwandt war, hätte ich auf Anhieb auch nicht sagen können. Nach einem ersten Blick auf den flavischen Stammbaum, welcher in der Bibliothek aufbewahrt wurde, hatte ich erahnen können, wie weitverzweigt doch die Gens war. Ja, es war wohl besser, man zerbrach sich nicht den Kopf darum.
    "Oh, ein wenig. Nach und nach entdecke ich meine neue Umgebung und lerne alle kennen, die hier wohnen. Die Bibliothek kenn ich schon sehr gut. Dafür den Garten umso weniger."
    Auf den zweiten Blick fiel mir dann schließlich auch die aufgerollte Schriftrolle in seiner Hand auf. Griechische Buchstaben! Ich erkannte sofort die dicht aneinander gereihten griechischen Buchstaben auf dem Papyrus. Letzendlich hatte ich mich doch vor ihnen in den Garten geflüchtet.

  • Die Bibliothek. Ja, das war wohl, wenig verwunderlich, auch für Flaccus der erste Ort gewesen, den er so richtig kennengelernt hatte. Erfreut hatte er schon bald nach seiner Ankunft in Rom und bei den Flaviern festgestellt, dass die Bibliothek der Villa überaus gut bestückt war, ja weitaus besser sogar, als die eigene Bibliothek am Landgut bei Paestum, wo er seine Kindheit verbracht hatte, wiewohl die wenigen, größtenteils philophischen Schriften, die er selbst aus Athen mitgebracht hatte, in der flavischen Bibliothek noch nicht vertreten gewesen waren, und sich somit als Bereicherung durchaus gut eingefügt hatten. Den Garten der Villa allerdings hatte auch er erst in einem zweiten, einem genaueren Kennenlernprozess sich erschlossen, allerdings, je genauer er ihn ausgekundschaftet hatte, auch in ähnlicher Weise zu lieben gelernt.


    Flaccus trat näher und ließ sich schließlich auf die steinerne Bank neben Domitilla nieder. "Und, gefällt dir, was du siehst?", fragte er, wenngleich die Antwort wohl ohnehin voraussehbar war. Wer schließlich konnte sich selbst der herbstlichen Schönheit eines solchen Gartens schon verschließen? Dennoch brauchte es einen lockeren Einstieg ins Gespräch, schließlich konnte er die junge Flavia ja nicht gleich mit allen möglichen Fragen bombardieren, die ihm womöglich in den Kopf schossen.

  • "Oh ja! Dir etwa nicht?" entschlüpfte es aus mir. "Wie muss es hier erst im Sommer sein, wenn alles blüht und duftet? Aber auch der Herbst und Winter hat seine Reize. Wenn die Natur beginnt inne zu halten und sich ausruht, um sich dann im Frühling wieder neu entfalten zu können." Ich freute mich schon auf den Frühling und die Erneuerung, die jedes Mal wieder damit einherging. Dann konnte ich wieder meinen Forschungen nachgehen.
    "Der Garten meiner Mutter in Aquileia ist viel kleiner als dieser hier." fügte ich noch hinzu, doch ich merkte schon, dass das Gartenthema damit eigentlich schon ausgereizt war. Vielmehr wollte ich noch etwas über meine Familie wissen, die mir im Grunde immer noch fremd war. Doch wollte ich den armen Flaccus nicht mit unzähligen Fragen überhäufen, sonst bekam er von mir noch einen ganz falschen Eindruck. Dass es dem jungen Flavier in keinster Weise anders erging, hätte ich mir zwar denken können, doch ich tat es nicht. Drum ging ich behutsam vor und begann erst einmal mit einer Frage.
    "Die Villa ist ja auch riesengroß. Man könnte sich beinahe darin verlaufen. Lebst du schon immer hier in Rom?" Glücklicherweise war mir solches noch nicht widerfahren, denn fast überall traf man auf einen Sklaven, der einem den richtigen Weg weisen konnte.

  • "Doch sehr natürlich, es gibt kaum einen Ort der Villa, den ich lieber mag ... mal abgesehen von der Bibliothek natürlich.", erklärte Flaccus seiner jüngeren Verwandten freimütig. Vor allem an lauen Sommerabenden, würde hier im üppigen Grün des Gartens wohl die eine oder andere Stunde in fröhlichem Beisammensein verbracht werden können, jedenfalls stellte der junge Mann sich das so vor. Noch eine kleine Bemerkung Domitillas über den Garten ihrer Mutter in Aquileia folgte, ehe sie dieses Thema anscheinend für erschöpft erachtete und auf Flaccus und sein Dasein in der flavischen Villa den Fokus des Gesprächs richtete. "Nein, ganz und gar nicht. Ich bin selbst erst ein paar Monate ... naja, es mag schon fast ein Jahr sein ...", unterbrach er sich selbst, denn tatsächlich war die Zeit seit seiner Ankunft in der Villa wie im Fluge verronnen, womöglich wäre es langsam angebracht, wieder einmal seine Mutter zu besuchen, oder jedenfalls einen Brief zu schreiben - ja, ein Brief würde wohl reichen. "... hier in Rom. Geboren bin ich auf dem Landgut meines Vaters bei Paestum, oder wie ich es eigentlich lieber nenne, Poseidonia. Vor einigen Jahren hat mich mein Weg dann nach Athen geführt, und im letzten Jahr schließlich kam ich hierher nach Rom ..." Vielleicht sollte er doch wieder mal nach Kampanien, um wenigstens nach dem Rechten zu sehen ... wer konnte schon ahnen, auf welch abartigen Ideen seine Mutter in ihrer Langweile kommen würde. Flaccus hatte sie stets verachtet, weil sie es zuließ, dass die Sklaven - junge Männer, die sie aus den entlegensten Winkeln des Imperiums zusammengekauft hatte - große und dadurch potentiell gefährliche Macht über ihre Gefühle ausüben konnten. Man konnte fast meinen, sie liebte diese strohdummen Schönlinge. Dass sie jene zur Befriedigung gewisser Bedürfnisse, welche der alte Cnaeus Flaccus schon lange nicht mehr erfüllen konnte oder wollte, gebrauchte, wäre ja weiter nicht ehrenrührig gewesen, doch dass sie ihre Abhängigkeit von jenen Dingen so offensichtlich zur Schau stellte, war, zumindest in den Augen des jungen Flaccus, welcher durchaus an Ehre und Moral glaubte, ungeheuerlich. Solange der ältere Flaccus noch am Leben - und einigermaßen bei Sinnen - gewesen war, hatte wenigstens jener Mutter und Sklaven in Schranken gewiesen, denn wenn er auch sein Interesse an der jungen Aemilia Flava schon längst zugunsten der Vogelzucht verloren hatte, so war ihm doch wenigstens ein Funken an Rechtschaffenheit und Anstand geblieben, um dem allzu bunten Treiben Grenzen zu setzen. Nicht in den kühnsten Träumen mochte sich der junge Flavier jedoch vorstellen, welche Ausmaße das Liebestreiben seiner verwitweten Mutter mittlerweile angenommen haben könnte.

  • Sim-Off:

    Entschuldige bitte die lange Wartezeit. War keine Absicht. ;)


    "…die Bibliothek, natürlich," echote ich nachdenklich. Amalthea hatte mit hoher Wahrscheinlichkeit meine Absenz bereits bemerkt und schon nach mir suchen lassen oder sich sogar selbst bemüht. Sie würde gewisslich nicht gut auf mich zu sprechen sein, wenn sie mich fand. Doch dieses Risiko ging ich ein. Hier draußen war es allemal besser, als eingesperrt in der Bibliothek über Homer zu sitzen.
    "Ah, aus Paestum! Oh Campania, wie schön!", rief ich, als ob ich die Stadt selbst schon bereits hätte. "Der Tempel der Hera!" Mein Wissen hatte ich aus Büchern und den Erzählungen meiner Kinderfrau, die immer ein wenig stolz war, wenn sie über die Errungenschaften ihres Volkes sprach. Unglücklicherweise hatte ich vor meiner Reise nach Rom niemals Aquilaia verlassen. Meine Reisen zu den wundervollsten Orten der Welt hatten sich nur in meinem Kopf abgespielt. Im Gegensatz zu Flaccus, der wie viele junge Römer von Stand in jungen Jahren Achaia bereist hatte, um dort zu lernen.
    "Nun, dann bist du ja auch noch nicht so lange hier.", stellte ich fest. Doch Flaccus, da war ich mir sicher, hatte wie jeder junge Mann aus guter Familie, diese Zeit genutzt, um seine Laufbahn voranzutreiben. Ein bisschen konnte man ihn schon beneiden.
    "Und, welche Pläne verfolgst du?" fragte ich schließlich.
    Wenn ich über meine eigene Pläne nachdachte, kam ich relativ schnell ins trudeln. Denn zum einen war es nicht meine Sache, darüber zu befinden. Das taten andere. Zum Beispiel mein Vater oder mein Bruder, der sozusagen die rechte -hand meines Vaters in Rom war.
    Zum anderen war ich mir gar nicht so ganz sicher, was ich denn wirklich wollte. Wenn ich aber ganz realistisch blieb, dann lief es doch irgendwann darauf hinaus, verheiratet zu werden, Kinder zu bekommen und eine ehrbare Matrone zu werden. Hoffentlich wurde ich nicht mit einem alten Knacker verkuppelt! Ach herrje, mir wurde ganz schwindlig.


    "Was liest du denn da?", fragte ich Flaccus und deutete auf die Schriftrolle, die er hatte sinken lassen als er mich gefunden hatte und die noch immer in er Hand hielt.

  • Sim-Off:

    Ich hab kein Problem mit Warten. ;)


    Erfreut bemerkte Flaccus mit welcher Begeisterung Domitilla auf die Erwähnung von Poseidonia als seiner Heimatstadt reagierte. "Ja, ganz genau!", bekräftigte er sie noch, "Es ist wunderschön dort! Viel schöner als zwischen Misenum und Stabiae, wenn du mich fragst...", fügte er noch hinzu, denn er hatte nie verstehen können, warum lediglich der Golf von Neapel so einen ausgezeichneten Ruf genoss. Die Spuren der gewaltigen Katastrophe, die gerade einmal dreißig Jahre zurücklag waren dort immernoch allgegenwärtig. "Und die Tempel erst ...", er geriet ins Schwärmen, "Einer prächtiger als der andere! Auch das Theater und das Comitium sind wundervoll ...", fuhr er fort, nur um dann einzuwenden, "Natürlich nicht so prächtig wie das flavische hier in Rom, aber ganz überschaubar und behaglich!" Er grinste breit - es waren durchwegs positive Erinnerungen, die er mit seiner Heimatstadt verband. Dann allerdings konfrontierte ihn die junge Dame neben ihm auf der Steinbank mit einer Frage, die Flaccus durchaus nicht erwartet hätte. Welche Pläne er verfolgte, wollte Domitilla wissen, und klang dabei sehr erwachsen. Einige Momente blickte der junge Mann in die Weiten des flavischen Gartens, ehe er sich wieder zu seiner Verwandten wandte. "Also, ich werde wohl in den Cursus Honorum eintreten, und Politik machen, Reden halten und so." Wie langweilig das eigentlich klang! "Und irgendwann bin ich dann Consul.", fügte er noch mit breitem Grinsen hinzu. Dann deutete Domitilla auf die Schriftrolle, die Flaccus noch immer in der Hand hielt und fragte danach. "Das?", Flaccus rollte sie ein wenig auf, "Das ist die Odyssee ... hast du die schon gelesen?", freundlich blickte er Domitilla an.

  • Ah, Misenum und Stabiae… Ich träumte weiter. Das waren Orte, die ich nur aus Erzählungen kannte, die ich aber noch nie mit eigenen Augen gesehen hatte. Stabiae, jene Stadt, die beim Ausbruch des Vesuvs auch in Mitleidenschaft gezogen worden war. Amalthea hatte mir alles darüber erzählen müssen, was sie gewusst hatte.
    Nur zu gern hörte ich Flaccus´ Ausführungen über seine alte Heimat zu. Da konnte man direkt neidisch werden, dort zu leben, wohin sich im Sommer die reichen und von der Hitze geplagten Römer, begaben um den Sommer, das Meer und die üppigen kulinarischen Genüsse, die diese Landschaft zu bieten hatte, voll auszuschöpfen.
    "Oh, das flavische Theater?" Es wäre sicher töricht und naiv gewesen, ihn zu fragen, ob er schon dort gewesen war. Ganz bestimmt war er schon da gewesen. Wahrscheinlich hatte er spannenden Gladiatorenkämpfen und blutigen Tierhatzen beigewohnt. Oh, wie sehr sehnte ich mich danach, auch einmal einem solchen Spektakel beiwohnen zu können.
    "Das würde ich mir auch gerne einmal ansehen!", bemerkte ich begeistert. Wäre meine Kinderfrau an meiner Seite gewesen, so hätte sie mich nun sicher zur Geduld ermahnt, da man ja bekanntlich nicht alles auf einmal haben konnte.
    Offenbar hatte Flaccus nicht mit meiner Frage gerechnet. Andere Mädchen in meinem Alter interessierte sich wohl eher für andere Dinge. Wenn es mir schon nicht bestimmt war, meine eigenen Pläne zu schmieden, so hörte ich mir doch gerne die von anderen an. Flaccus Plan ähnelte dem, wie wohl den meisten männlichen Vertretern der Gens, die sich für eine politische Laufbahn entschieden.
    "Aha! Consul möchtest du also werden!". Ich grinste ebenfalls. Da lag noch ein langer weiter Weg vor ihm. Aber mit genug Ausdauer konnte er es sicher schaffen.
    Mein Grinsen verging mir allerdings ganz schnell wieder, als Flaccus endlich das Geheimnis um die Schriftrolle lüftete.
    "Oh!", machte ich überrascht. Homer hatte mich wieder eingeholt. Hätte ich nur nicht nachgefragt! Jetzt fehlte nur noch eine zeternde Amalthea, die mich zurück in die Bibliothek schleifte.
    "Äh, das kann man wohl sagen. Genauer gesagt, ich bin gerade dabei. Und um noch genauer zu sagen, ich habe mich deshalb aus der Bibliothek absentiert." Die Röte schoss mir ins Gesicht. Ich hatte mich nun wohl selbst verraten.

  • Die Offenbarung des Inhalts der Schriftrolle, die Flaccus immer noch in Händen hielt, löste bei seiner jungen Verwandten offenbar ein beträchtlich Maß an Verwunderung aus, welches er selbst sich nicht auf Anhieb konnte plausibel erklären. Doch schon ihre nächsten Worte lüfteten das, im Nachhinein nicht sonderlich komplexe, Geheimnis um ihre Verblüffung auf dem Fuße. Die mit ihren Worten aufziehende Röte in ihrem jugendlichen Antlitz vermochte auf Flaccus Zügen ein Grinsen hervorzurufen, da Domitilla offensichtlich nicht die gleiche Begeisterung für die uralten Geschichten Homers hegte, wie sie der Flavier schon seit frühester Kindheit sorgsam kultiviert hatte. Nun war es jedoch an ihm, das Grinsen schleunigst verschwinden zu lassen, und stattdessen einen Ausdruck gespielter Verwunderung auf sein Antlitz zu zaubern. "Tatsächlich? Gefallen dir die Geschichten Homers nicht?" Wiewohl hinter einer Fassade des Witzes versteckt, bargen seine Worte doch auch den Kern echter Neugier. Er selbst erachtete die Epen des alten Griechen ohne Zweifel als das Gewaltigste von Menschen in der Literatur zu Schaffende.

  • Nanu! Huschte da etwa ein Grinsen über die flavischen Lippen, welches kurze Zeit später schon wieder verschwunden war und einem Ausdruck der Verwunderung Platz machte? In der Tat! Nun, die trug nicht sonderlich dazu bei, dass ich mich dadurch besser fühlte. Ganz im Gegenteil. Es irritierte mich, um genau zu sein.
    "Äh…"
    Was sagte ich jetzt? Die Wahrheit, dass ich die Geschichten viel lieber mögen würde, wenn ich nicht dazu gezwungen würde, sie zu lesen. Oder doch lieber das, was alle belesene Erwachsene hören wollen? Nämlich dass man Homer für einen Höhepunkt der griechischen Literatur hält und sich am liebsten mit nichts anderem beschäftigt, als ihn zu lesen, über das Gelesene zu diskutieren, und den Text zu analysieren.
    Die Entscheidung wurde mir buchstäblich abgenommen. Und zwar in Form einer streng blickenden und laut zeternden Griechin mit hochrotem Kopf, die direkt auf mich zu walzte. Allein ihr Anblick wirkte komisch, da ihre Tunika bei jeder ihrer hastigen Bewegungen in Wallung geriet. Zum Lachen aber war mir gewiss nicht. Ich hätte mich am liebsten versteckt, wo mich niemand in den nächsten paar Jahren hätte finden können. Doch diese Gelegenheit war vertan.
    "Flavia Domitilla! Was erdreistest du dich? Verschwindest einfach aus der Bibliothek! Vernachlässigst deine Studien! Wenn das deine Mutter wüsste! Aber keine Sorge! Sie wird es erfahren! Noch heute werde ich ihr Bericht erstatten! "
    Eigentlich war Amalthea ganz umgänglich. Eigentlich. Doch es gab gewisse Momente, da wollte man nicht in ihrer Nähe sein. Ein solcher Moment war genau jetzt. Die Griechin wendete ihr wutentbranntes Antlitz von mir, hin zu meinem Verwandten, den sie wohl jetzt erst wahrnahm. Doch seine Präsenz änderte absolut nichts an ihrem Verhalten. Letztendlich führte sie doch nur die Befehle meiner Mutter aus.
    "Entschuldige Dominus, ich muss diese kleine Ausreißerin wieder zu ihrem Unterricht bringen!", meinte sie nur. Mir hingegen warf sie einen auffordernden Blick zu, auf der Stelle wieder mit zu kommen, Was ich dann auch tat.
    "Entschuldige mich bitte, Flavius Flaccus. Vielleicht können wir unser Gespräch etwas später fortsetzen," sagte ich und meine Unglück war mir durchaus anzumerken. Doch dann folgte ich Amalthea.

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