Ärger in den Archiven

  • Verus blickte von seinem Platz auf, als eine Person die Arbeit seiner Leute störte. Die beiden Prätorianer hatten sofort ihre Suche unterbrochen, um zum Fabius zu blicken. Doch Verus gestattete dies nicht und machte eine Handgeste, die Fortsetzen anzeigen sollte. Die beiden willfährigen Gehilfen der Schattengesellschaft leisteten dem Folge und warfen weitere Schriften vor Verus, nachdem sie diese grob identifiziert hatten. "Nichts von Belang," war die halblaute Antwort des Trecenarius, die er zum fremden Mann schickte. Das Gesicht kam ihm bekannt vor. Womöglich hatte ihn aktive Flüsterstimmen auf diese Person einst aufmerksam gemacht, als er den Palast betreten hatte aber auf Anhieb fiel Verus keine Zuordnung der Person ein. Sie musste recht neu im Palast sein aber sein Auftreten sprach von gewisser Wichtigkeit und Amtsgewichtung. Verus entschied sich, sich nicht vorzustellen und die Dinge geschehen zu lassen. Die Situation würde sich bei Bedarf aufklären oder durch Zeitablauf erledigen, da hier nicht viele Geheimschriften lagen und man bald enden konnte.

  • Gewand und Aufmachung der Eindringlinge waren auch mir vertraut, sodass ich sie auf den zweiten Blick als Praetorianer identifizieren konnte. Nichtsdestotrotz war ich aufgebraucht angesichts dieser Dreistigkeit und fühlte mich innerhalb meines eigenen Arbeitsbereichs attackiert. Zweifellos war dies ein Grenzübertritt, den ich mir als Leiter der Archive nicht gefallen lassen musste! Ich rang kurz nach Fassung, nachdem mich der offenbar führende Soldat der ungebetenen Delegation mit einer ebenso dreisten wie spärlichen Antwort abstrafte. "Deinen dümmlichen Kommentar kannst du dir sparen, Soldat!", entgegnete ich sichtlich aufgebracht nun mit lauter Stimme. "Ich bin der vom Kaiser bestellte Leiter dieses Archivs - und wenn ihr keine kaiserliche Anordnung vorweisen könnt, fordere ich euch auf, diese Räumlichkeiten augenblicklich zu verlassen!" Hinter mir hatten sich neben dem Notarius, der mich informiert hatte, bereits weitere Angestellte der Kanzlei versammelt. Immerhin erlebte man in den Gängen des kaiserlichen Aktenpalastes ein solches Spektakel nicht tagtäglich.

  • Verus nahm die Reaktion zur Kenntnis. Dieser Mann schien recht schnell seine Fassung zu verlieren, was sicherlich ein gutes Zeichen war. Denn unbeherrschte Seelen waren leicht durch äußere Faktoren zu eigenen Gunsten zu manipulieren. Ebenso, wie Narzissten und Egomanen. Der Trecenarius ließ sich Zeit zu antworten, sog mehrfach ruhig Luft durch die beiden Nasenflügel, bevor er einige Gedanken sortiert hatte. "Ich denke nicht, dass wir eine Anordnung benötigen," war die zynische Antwort. Immerhin besaßen sich permanentes Kriegsrecht, konnten jederzeit Informationen heranziehen und waren mit einer außerordentlichen Befugnis ausgestattet worden, die sich aus ihrer originären Aufgabe als staatliche Geheimpolizei und Kaisergarde ableitete. "Diese Schriften nehmen wir mit," sagte der Trecenarius und deutete auf einen kleinen Stapel, während er sich vom Stuhl erhob. Geheimschutz war eine wichtige Aufgabe. Eine sehr wichtige Aufgabe sogar. Diese Schriften sollten nicht im Zusammenhang mit der Kommission in Erscheinung treten. Verus würde sich eigenhändig noch einmal sichten, tiefergehend studieren, um eine verbesserte Kopie an die Kanzlei zurückzusenden. "Nicht alle Mühlen brauchen Wasser oder Wind," trat er auf Fabius zu und machte eine ausladende Geste mit beiden Händen. "Dies ist eine Sache der Prätorianer. Eine Sache der imperialen Sicherheit," floskelte der Trecenarius mit einem bissig-zynischen Schmunzeln, welches durch kalte Augen sinister unterstrichen wurde. Verus war durch die frostige Grausamkeit des Geschäftes bereits in jene Welt abgedriftet, die mit beißendem Zynismus nicht nur die eigene Seele, sondern auch fremde Personen strafte.

  • Zum ersten Mal seit ich mein Amt als Procurator a memoria angetreten hatte, fühlte ich mich machtlos - und dieses Gefühl behagte mir ganz und gar nicht. Für einige Wochen hatte ich mich gefühlt, als wäre ich der König der kaiserlichen Administratio, als würde sich mein Einfluss stetig und fortlaufend mehren. Und nun stellte sich mir ein Soldat entgegen und wühlte in meinem höchstpersönlichen Aufgabenbereich - in meinen Räumlichkeiten! Noch dazu begegnete er mir mit einer Dreistigkeit, die ich seit meiner Zeit als einfacher Notarius nicht mehr erlebt hatte. Innerlich kochte ich vor Wut, vor allem aufgrund der Tatsache, dass ich nichts unternehmen konnte, um diesen Wahnsinn just zu stoppen. Ironischerweise sorgte nun genau ein Mann der Institution für Chaos in meiner Abteilung, die eigentlich auch für die Verhaftung solcher Unruhestifter verantwortlich war.


    Ich holte tief Luft und versuchte einen klaren Gedanken zu fassen. "Ich bin mir sicher, der Kaiser wird schnell Licht ins Dunkel bringen und Konsequenzen ziehen. Das illegitime Eindringen in die kaiserlichen Archive ist selbst unter dem Deckmantel der 'imperialen Sicherheit' eine Straftat!", entgegnete ich laut. "Wie ist dein Name, Soldat?"

  • Verus schien überrascht, dass dieser Mann in übliche Obrigkeitsverhaltensweisen fiel. Obrigkeiten konnten nur dann helfen, wenn man ein klares Ordnungsverhältnis hatte. In dieser Sache galt kein Ordnungsverhältnis, sondern schlicht Interessen zumindest gleichrangiger Gruppen. Der Trecenarius war nicht in der Stimmung dieses Theater länger als nötig zu betreiben, denn in dieser Sache war seine Zeit begrenzt. Eine Unmenge an Aufklärungsarbeit lag vor ihm. "Ruhig atmen," ließ sich Verus Zeit und gab dem guten Procurator einen Rat, den er selbst auch häufig beherzigen musste. Man sollte sich niemals all zu sehr beteiligen und aufregen. Nicht über Dinge, die man ohnehin nicht ändern konnte. "Ich möchte dich nicht an das Kriegsrecht erinnern. Die Zuständigkeiten der Prätorianer?" - fragte der Geheimdienstchef rhetorisch und nickte dem Fabier gelassen zu. "Warum diese Drohung? Diese Forderung?" - fragte er nun ehrlich interessiert, da er verstehen wollte, warum dieser Mann sich an seine Obrigkeit klammerte. In dieser Sekunde erinnerte sich Verus an ein Gedicht, welches er gelesen hatte. Schöne Worte, die umschrieben, welches Dilemma Menschen besaßen. Niemand konnte wirklich seiner Haut entfliehen und war verdammt dazu, hier zu sein. Einfach hier zu sein. Dieses Hier hatte Verus schon immer fasziniert. "Übrigens, wenn wir bereits Straftaten etablieren: Die Behinderung der Prätorianer in einer Sicherheitsermittlung ist Förderung und Beihilfe zum Umsturz oder Verrat. Was machen wir nun?" Verus schien unbeteiligt und deutete seinen beiden Soldaten an, dass sie sich mit den geborgten Unterlagen entfernen konnten. "Wir können gerne den Kaiser in dieser Sache informieren und dann informieren wir ihn auch gerne über diesen Vorfall und erklären ihm, dass du eine wichtige Ermittlung aus Stolz behindern wolltest," sagte der Prätorianer-Offizier im dezenten Schritt an Fabius vorbei. "Oder wir gehen einfach auseinander, so als ob wir nie hier waren. Du behinderst uns nicht und wir stören die Archivruhe nicht weiter?" Für den Trecenarius war die Sache längst entschieden.

  • Die Anmaßungen, die sich der Soldat erlaubte, erzürnten mich aufs Äußerste. Ich hatte noch nie mit den Prätorianern zu tun gehabt und wusste auch um ihre gesonderte Stellung, aber nichtsdestotrotz war ich Procurator der kaiserlichen Kanzlei und kein einfacher Bibliothekar! Kriegsrecht hin oder her, ich fühlte mich umgangen und von einem einfachen Soldaten beleidigt. Während sich der Eindringling zum Gehen wandte, schossen mir tausend Gedanken durch den Kopf. Gleichwohl konnte ich keine Möglichkeit ersinnen, die mich wieder Herr über diese missliche Situation werden ließ. Weder Gewalt noch meine Worte waren in diesem Moment vielversprechende Optionen. "Aus Stolz sagst du? Da liegst du falsch. Mir gefällt es nur nicht, dass ungebetene Gäste ohne Rücksprache mit mir in meinem Archiv herumwühlen und damit nicht nur die Archivruhe stören, sondern auch die kaiserliche Administration hintergehen!", erklärte ich weiter, während der Prätorianer an mir vorbeischritt. "Ich hoffe für dich, dass zumindest der Kaiser bei diesem Vorhaben involviert ist. Und nun geht!" Hier und heute war die Schlacht verloren und ich fühlte mich geschlagen. Nichtsdestotrotz würde ich diese Angelegenheit keinesfalls verschweigen. Immer noch erzürnt wandte ich mich um und schritt durch die Gänge der Verwaltung zurück in mein Officium.

Jetzt mitmachen!

Du hast noch kein Benutzerkonto auf unserer Seite? Registriere dich kostenlos und nimm an unserer Community teil!