cubiculum FN | Es gibt Menschen...

  • ...denen der Geduldsfaden schon beim Einfädeln reißt.
    Gerhard Uhlenbruck



    „RAAAAAAAARGH!“ Ein Aufschrei hallte durch den Raum und pflanzte sich auch noch über die Beschränkung der Wände hinaus fort, dicht gefolgt einem lauten Krachen und dem Klirren von Scherben, als eine große – und ziemlich teure – Vase gegen Mauerwerk prallte und dort zerbarst. „Wie KONNTE er nur?!? Wie konnte er mir DAS antun?“ Nigrina konnte es immer noch nicht fassen. Natürlich war ihr klar gewesen, schon immer, dass diese ominöse kleine Halbschwester von ihr irgendwann auftauchen würde. Sie war eine Flavia, und ihr Vater ließ keines seiner Kinder bei irgendeiner seiner alten Liebschaften erwachsen werden. Dass dieses... dieses Kind also nun in ihr Leben getreten war, war nicht weiter verwunderlich. Und es störte sie auch nicht. Nun ja, nicht sehr. Nicht sonderlich. Ein kleines bisschen vielleicht. Gut, es störte sie ein bisschen mehr, immerhin hatte sie bisher als die Jüngste gezählt und hatte einen entsprechenden Platz bei ihrem Vater. Die Kleine hatte ja nie eine Rolle gespielt. Aber damit kam Nigrina klar, das hatte sie unter Kontrolle, schon allein weil es zu erwarten gewesen war, dass das Mädchen kommen würde irgendwann. Nur: warum, warum, WARUM durfte SIE in Rom bleiben? Wie um alles in der Welt hatte sie Aetius DAZU gebracht?


    Eine Flut von Schimpfwörtern ergoss sich über Nigrinas Lippen, bunt gemischt mit Anklagen gegen ihren nicht anwesenden Vater, der die Botschaft wohlweislich nicht persönlich gebracht hatte. „Dieses... dieses Gör! Dieses impertinente kleine DRECKSGÖR! Das ist einfach UN - GLAUB - LICH!“ Noch während sie am Fluchen war, wurde der nächste Gegenstand quer durch den Raum gepfeffert – diesmal eine Büste, die dicht neben der Tür an die Wand krachte. In so ziemlich genau dem Moment, in dem diese sich öffnete.


    Sim-Off:

    Reserviert

  • Der Ärger war kaum zu überhören. Selbst, wenn man sich wie Sextus anstrengte, diese unbedachten Gefühlsäußerungen einfach zu ignorieren, ab einer gewissen Lautstärke fiel das alles andere als leicht. Nicht, dass er durch die zu ihm dringenden Wortfetzen auch nur den Hauch einer Ahnung hätte, was geschehen war. Nicht, dass ihn das auch nur annähernd interessieren würde. Er und seine Frau waren nun schon ein paar Monate verheiratet, und er hatte ein paar Dinge über sie mittlerweile gelernt. Nicht, dass dies besonders schwer war, Nigrina verteilte sehr freigiebig Informationen über sich, da sie sich ihren Launen meistens postwendend hingab. Und so hatte er schon einiges an Dingen erfahren, die sie ärgerten. Da wären beispielsweise andere Frauen. Vor allem andere Frauen. Eigentlich fast ausschließlich andere Frauen, vor allem solche, die jünger und von höherem Stand waren als sie. Mit Sklavinnen hatte Nigrina nun kein Problem, auch nicht, wenn sich morgens eine aus Sextus Zimmer schlich und sie es mitbekam. Da waren er und seine Frau wohl auf einer Wellenlänge, dass Sklaven nicht unter die Definition Mensch fielen. Wo er aber augenblicklich mit Streit rechnen konnte, war, wenn er sich mit der Tochter eines angesehenen Senators patrizischen Standes unterhielt. Vor allem, wenn diese jünger und hübscher war als Nigrina. Da war die bloße Anwesenheit einer solchen Frau schon eine unausgesprochene Kriegserklärung, Sextus musste noch nicht einmal in ihre Richtung sehen.
    Was er natürlich dennoch tat, er war ein Mann und ließ sich von keiner Frau, erst recht nicht von seiner eigenen, sagen, wem er nachschauen oder auch, wem er nachsteigen durfte. Wobei er letzteres bisweilen unterlassen hatte und seiner Frau zumindest insoweit treu war, dass er keine anderen Frauen, die allgemein als für einen Patrizier heiratbar galten, vögelte. Und mehr konnte keine Frau verlangen. Die einzige, mit der er legitime Nachkommen zeugen würde, war Nigrina, und das wusste sie auch. Vermutlich wusste sie das sogar ein wenig zu gut.


    Aber nachdem sein holdes Weib anfing, die Inneneinrichtung auseinander zu nehmen, hatte Sextus doch beschlossen, einmal nachsehen zu gehen. Und er öffnete gerade da die Tür, als neben dieser etwas einschlug. Sextus zuckte nicht einmal im mindesten, sondern betrachtete nur den Gegenstand, um ihn zu identifizieren. Ah, die Büste des Flavius Vespasianus, die Nigrina erst unbedingt hatte haben wollen, um ihrem Gemach etwas mehr flavisches Flair zu geben – oder schlicht, um zu unterstreichen, das irgendwer in ihrer Gens mal Imperator gewesen war und die Aurelier mit ihrer nicht ganz so rauschenden Familiengeschichte froh sein konnten, sie jetzt unter ihrem Dach zu haben.
    “Wenn ich dir verspreche, einen Giftmord an diesem – wie war das gleich? - unglaublichen Drecksgör, wer immer sie sein mag, zu arrangieren, lässt du dann die Inneneinrichtung stehen? Ich glaube, ersteres ist kostengünstiger, als dieses Zimmer erneut einzurichten.“ Völlig trocken und ohne Anflug von Humor brachte Sextus seinen Vorschlag vor, ehe er seine Frau ansah. Dieses Mal ein wenig genauer. Einer der neuen Innenausstattungsgegenstände hatte nichts besseres zu tun gehabt, als sich mit ihm zu unterhalten und ihn zu fragen, ob ihm schon aufgefallen sei, wie oft sich sein holdes Weib in letzter Zeit vor dem Frühstück erbrach. Nicht, dass er auf diesen dämlichen Konversationsversuch eingegangen wäre – er musste vielleicht einmal mit Avianus reden. Die Sklaven hier waren furchtbar verhätschelt worden, vor allem auch durch Ursus. Nachdem dieser und seine Cousinen derzeit in Mantua waren, konnte man ihnen vielleicht ihren Platz wieder etwas klarer machen und ihnen erneut beibringen, dass sie nicht zu sprechen hatten, bis man dies wünschte.
    “Oder muss ich erst wieder betonen, wie niedlich es aussieht, wenn du wie ein Kind mit den Füßen stampfst?“ Das war jetzt doch ein kleiner Scherz, bei dem er sogar ein wenig lächelte und sich lässig in den Türrahmen lehnte. Solange sie weitere Dinge hatte, die sie werfen konnte, musste er die Entfernung zu ihr nicht unbedingt verringern.

  • Nigrina schäumte vor Wut, und das irgendjemand ohne zu klopfen hereinkam – dass sie ein eventuelles Klopfen bei ihrem eigenen Gebrüll nicht hätte hören können und entsprechend gar nicht wusste, ob geklopft worden war oder nicht, interessierte sie gerade überhaupt nicht –, befeuerte diesen Zustand eher noch. Erst als sie einen Augenblick später ihren Mann erkannte, war zumindest das wieder ein Grund zum Aufregen weniger, denn das der nicht unbedingt anzuklopfen hatte, wenn er zu ihr kam, war für sie selbstverständlich. Sie klopfte auch nicht jedes Mal an. Und Sextus war in diesem Fall eher so was wie ein, wenn schon nicht wirklich willkommener, dann doch immerhin akzeptierter Zuschauer. Sextus war immerhin jemand, mit dem sie reden konnte, ganz im Gegensatz zu der Handvoll Sklaven, die um sie herum standen und, im Fall der flavischen, die die Mehrheit ausmachten, einfach stoisch ihren Wutausbruch ertrugen, im Fall der beiden aurelischen jedoch recht hilflos bis verschreckt wirkten angesichts des emotionalen Wirbelsturms, der sich da entlud.


    Allerdings hörte Sextus' Anwesenheit in dem Moment auf, hilfreich zu sein, als er den Mund öffnete. Das war nun leider öfter der Fall, wie sie seit der Hochzeit hatte lernen müssen. Sextus ging zwar durchaus auf ihre Launen in irgendeiner Form ein, allerdings nicht in der Form, die sie gewöhnt war. Er machte überhaupt vieles nicht so, wie sie es gewöhnt war. Wie sehr ihr Vater sie eigentlich auf Händen getragen hatte, hatte sie erst in den vergangenen Monaten mit Sextus wirklich begriffen. Er behandelte sie nicht schlecht, das ganz sicher nicht, aber er... nun ja... er gab weit weniger häufig ihren Launen nach, und wenn er es nicht tat, machte er sich kaum die Mühe, es dann wenigstens so zu tun, dass sie trotzdem irgendwie zufrieden sein konnte, wenigstens halbwegs. Andererseits hatte Sextus zahlreiche Vorteile, die das wieder aufhob – was wiederum dazu führte, dass Nigrina dazu tendierte, sich bei ihm mehr zusammenzureißen als das bei anderen der Fall war. Oh, und natürlich sein Benehmen so wie jetzt, das trug auch seinen Teil dazu bei, dass sie sich manchmal – wenn auch zähneknirschend – zu beherrschen versuchte. Niedlich wollte sie ganz sicher nicht wirken. Und wie ein Kind schon mal gleich gar nicht. Was aber nichts daran änderte, dass sie sich nach wie vor immer, immer, erst mal noch viel mehr aufregte, wenn ihr Mann mit solchen Sprüchen ankam. Diesmal war es ein Becher, der in seine Richtung segelte. „Du machst mich WAHNSINNIG mit deinem niedlich!“ fuhr sie ihn an, nicht wesentlich leiser, aber immerhin ein wenig. Danach drehte sie sich einmal um sich selbst, während sie ihre Hände an ihre Schläfen presste und ein undefinierbares Geräusch über ihre Lippen kam, das verdächtig nach einem Knurren geklungen hätte, wäre es nicht gegen Ende hin immer höher geworden. „Das Gör ist meine Halbschwester, und so verlockend es klingt, sie einfach wegschaffen zu lassen – das Balg wird spätestens dann nützlich, wenn sie verheiratet wird.“ Den Blick voller Anklage starrte sie Sextus an. „Aber WARUM darf sie jetzt schon in Rom bleiben? Sie ist gerade mal 13! Das ist doch ein schlechter Witz, weißt du wie LANGE ich Papá damit in den Ohren gelegen hab, bis er MICH nach Rom gelassen hat? Das ist UNFAIR!“ Die Wut über diese Ungerechtigkeit war immer noch deutlich zu hören aus ihren Worten, aber immerhin brüllte sie nicht mehr das ganze Haus zusammen. Zwei der Sklavinnen indes hatten begonnen, das Abflauen des Sturms dafür zu nutzen, die Scherben der Vase fortzuräumen. Beim letzten Wort allerdings, das wieder lauter durch den Raum hallte, zuckte eine der beiden zusammen – und schnitt sich prompt, und ziemlich heftig, an einer Scherbe. Es dauerte nicht lang, bis Nigrina das Gesicht verzog und mit einer Hand vor ihrem Gesicht herum wedelte. Der leicht metallisch-süßliche Geruch des Blutes, der sich auszubreiten begann, drohte ihren Magen revoltieren zu lassen. „Bona dea, schafft sie raus hier!“ fauchte sie mit einem Wink zu betreffender Sklavin, die ohne ein Wort zu sagen, aber mit einem ziemlich dankbaren Gesichtsausdruck, verschwand.

  • Ein Glasbecher flog grob in seine Richtung und zerschellte an der Wand einige schritte neben ihm. Nicht einmal ansatzweise ein Grund, zu zucken, seine Frau warf so ungenau wie die meisten wütenden Weibsbilder. Solange er ruhig stehenblieb, war er also vor sämtlichen Wurfgeschossen absolut sicher. Nur sollte er anfangen, auszuweichen – was er sowieso nicht zu tun gedacht. So lange sie keine Metzgerbeile nach ihm warf, war alles im Rahmen – würde sie ihn vermutlich mit Sicherheit treffen.
    “Das sind dann nochmal dreißig Sesterzen“, meinte er nur trocken mit Blick auf die Scherben. Er wusste, wieviel das Zeug gekostet hatte. Er hatte es bezahlt. Und im Gegensatz zu Nigrina wusste er, welchen Wert Geld hatte. Man verpulverte es nicht einfach nur für nutzlosen Kram. Damit konnte man bestechen, kaufen, Treue sichern. Damit konnte man vergiften, erdolchen, ersäufen lassen. Geld stellte keine moralischen Ansprüche oder kam einem mit Geschwätz über Götter. Und wenn Sextus gezwungen war, auf jemanden zu vertrauen, dann eher auf jemanden, den er kaufen konnte, denn auf jemanden, der etwas aus moralischen Gründen tat. Letztere Personen hatten unangenehme Eigenschaften, wie beispielsweise einem Feind eine faire Chance zu lassen oder ähnlichen Blödsinn. Kurzum: Sextus mochte Geld und sah es nicht ein, seiner Frau ein Prinzesschendasein zu finanzieren, nur weil die ihre Tage hatte. Oder eben nicht hatte, wenn stimmte, was er aus dem Gehörten folgerte.


    Die blutende Sklavin wurde von dem anderen Sprachinventar nach draußen gebracht und Sextus betrat notgedrungen das Zimmer, um die kleine Kolonne vorbei zu lassen. Einen Moment betrachtete er Nigrina einfach schweigend und errechnete seine Chancen, irgendetwas sagen zu können, was sie nicht sofort in den falschen Hals bekam, und das nachhaltig nützen würde. Natürlich könnte er sie in den Arm nehmen und trösten, aber das wäre insgesamt doch eher kontraproduktiv für ihre Beziehung. Sie sollte ihn nicht auch nur für eine Sekunde für zu weich halten und ihren Respekt verlieren, sie sollte nicht auch nur eine Sekunde denken, dass sie über ihn herrschte. So etwas war reines Gift für eine funktionierende Partnerschaft zwischen Mann und Frau.
    Dennoch waren ein paar Worte wohl nicht gänzlich falsch. “Dein Vater wird seine Gründe haben. Vielleicht hat er ein neues Spielzeug und kann kein kleines Kind gebrauchen, während er es zureitet, und bürdet sie daher eher deinem Bruder auf. Vielleicht will er sie auch einfach nur gleich verheiraten und sie soll ihren Mann in Rom unverbindlich treffen. Wenn du es wissen willst, schreib ihm und frag ihn.“ Aetius würde seine Pläne zwar kaum mitteilen, aber wenn es Nigrina wirklich interessierte, musste sie das tun. “Es nützt aber nichts, wenn du nur dein Zimmer verwüstest.“
    Er hätte noch andere Dinge sagen können. Wie beispielsweise, dass Nigrina nach Rom gelassen worden war, um sich hier vor ihrer Hochzeit schonmal mit der Gesellschaft bekannt zu machen, damit die Ehe mit Sextus reibungsloser ihre Anfangszeit erleben konnte. Und dass sie ein paar potentielle andere Ehemänner treffen konnte, wäre aus dieser Verbindung nichts geworden. Aber Sextus war sich sicher, seinen Schwiegervater gut genug einschätzen zu können um mit Sicherheit zu sagen, dass Nigrinas Bettelei nicht ausschlaggebend war. Aber soviel Selbsterhaltungstrieb hatte er doch, dass er das verschwieg.


    Stattdessen kam er nun in den Raum und setzte sich in einen der Korbsessel. Schrecklich weich gepolstert für seinen Geschmack, aber was erwartete man im Schlafzimmer einer Frau? Dafür waren sie recht stabil.
    “Wenn du dich beruhigt hast, wollte ich dich etwas fragen“, meinte er er schließlich und sah zu ihr herüber, auf eine Antwort wartend. Vermutlich würde sie den nächsten Tobsuchtsanfall bekommen, wenn er mit seinem Wissen herausrückte, da wollte er sie vorher lieber ruhig und sitzend fern von weiteren Wurfgeschossen haben.

  • Nigrina warf ihrem Mann einen zornfunkelnden Blick zu, als dieser es doch tatsächlich wagte, das Wort Sesterzen in den Mund zu nehmen. Dass er sich da manchmal etwas hatte, das hatte sie in der Zwischenzeit auch gemerkt. Aber in Momenten wie diesen scherte sie sich nicht sonderlich um die Kosten dessen, was sie da zerstörte. Sie scherte sich ja nicht einmal sonderlich darum, was sie durch die Gegend warf. Und sie war ja nun nicht völlig mittellos in diese Ehe gekommen, im Gegenteil – ihre Mitgift betrug einiges, und ihr selbst hatte ihr Vater auch ein nicht unbeträchtliches Vermögen mitgegeben. Eine Flavia war nicht vom Gutdünken ihres Ehemannes abhängig. Das passte nicht. Und Geld war etwas, was man hatte. An dieser Einstellung hatte noch nicht einmal die Tatsache etwas ändern können, dass, seit sie verheiratet war, nicht mehr ihr Vater einfach zahlte, sondern sie ihr eigenes Vermögen zu verwalten hatte. Oder dass sie sich um diesen Haushalt kümmerte, bei dessen Führung ihr engere finanzielle Grenzen gesteckt waren als sie es in ihrem eigenen privaten Bereich gewohnt war. So oder so hatte sie allerdings, wenn sie wütend war, nicht den geringsten Nerv, sich mit solchen Kleinigkeiten abzugeben. Gerade deshalb verzichtete sie darauf, Sextus etwas entgegen zu fauchen auf seinen Kommentar. Es war eine Kleinigkeit, die nur von dem ablenkte, was hier wirklich das Problem war. Ihr Vater. Und das Gör. Das in Rom bleiben durfte, jetzt schon, mit 13!


    Einen Augenblick herrschte Schweigen in dem Raum, während die Sklavin, begleitet von zwei anderen, verschwand. Danach ergriff ihr Mann das Wort, und er handelte sich gleich noch einen wütenden Blick ein. Konnte er nicht EINMAL ihre Partei ergreifen? Sich mit ihr aufregen? Aber nein, er musste immer die Stimme der Vernunft geben, was sie meistens noch mehr aufregte – gleichzeitig tat er das aber auf eine Art, die es ihr schwer machte, weiter zu toben, so sehr sie das manchmal auch wollte. Weil sie sich dann immer so lächerlich und kindisch vorkam. „Zwei Jahre! Aber nein, er musste ja warten, bis er sich mit deinen Eltern einig war!“ maulte sie trotzdem – obwohl es ihr inzwischen selbst kindisch vorkam, und obwohl er kein weitergehendes Interesse an diesem Fakt gezeigt, geschweige denn eine eigene Einschätzung auf ihre – zugegeben rhetorische – Frage gegeben hatte. Was Nigrina aber nicht daran hinderte, es ihm trotzdem zu sagen. Zumal es noch schöner passte auf seinen Kommentar hin. „Na sicher, verheiraten wir das Gör jetzt schon! Ist ja nicht so als ob ich freiwillig gewartet hätte bis ich 17 war! Aber weißt du, vielleicht zeigt sich da ja ein Muster, Leontia wollte Papá nicht weglassen, bei Vera hatte er kein Problem, mich wollte er nicht weglassen, die Kleine ist wieder kein Problem.“ Ja. Neben der Erklärung, dass das Gör ihn wohl einfach stören würde – ganz im Gegensatz zu ihr natürlich! –, war das doch eine Erklärung, die ihr gefiel. Natürlich nervte es sie trotzdem, dass ihre Halbschwester Rom jetzt schon in Rom bleiben durfte, aber der Gedanke, dass das nicht daran lag, dass das Gör womöglich ihr den Rang in der Gunst ihres gemeinsamen Vaters ablief, sondern Ausdruck des genauen Gegenteils war, der besänftigte Nigrina.


    Immer noch missmutig folgte ihr Blick Sextus, als dieser nun durch den Raum ging und sich hinsetzte. Bei seinen Worten legte sie allerdings den Kopf ein wenig auf die Seite. Sie hätte sich eigentlich immer noch aufregen können, aber er hatte leider recht: es brachte nichts. Und sie wusste weder, was die Beweggründe ihres Vaters gewesen waren, noch kannte sie das Mädchen. Sextus' letzter Kommentar dagegen machte sie neugierig, und sie wusste auch, dass er nichts sagen würde, so lange sie am Toben war. Würde sie auch nicht. Nun ja. Einen Moment zögerte sie noch, dann zuckte sie die Achseln und kam zu ihm herüber, wo sie sich ihm gegenüber hinsetzte. „Was gibt’s?“

  • Sextus verzichtete auf theatralische Gesten wie Aufseufzen oder das Verdrehen der Augen, während er ruhig wartete, dass seine Frau wieder anfing, sich wie eine Erwachsene zu benehmen. Sicher hatte sie auch ein paar gute Seiten. Sie besaß einen gewissen Ehrgeiz, das konnte er ihr nicht absprechen. Sie wusste, wie man sich herrichtete und sie war nicht ein verliebtes Dummchen, das sich von jedem einwickeln ließ. Aber sie hatte auch ein paar ganz entschiedene, enervierende Fehler. Und ihre Unfähigkeit, ihre Gefühle auch nur im Ansatz unter Kontrolle zu behalten, gehörte dazu. Dazu noch die schlechte Angelegenheit, sich dann furchtbar kindisch zu verhalten. Wären die Flavier für ihn in seiner derzeitigen Situation für sein weiteres, politisches Vorankommen nicht so wichtig, vermutlich hätte er schon seinen Gefallen daran verloren, ihr mit ein paar Spitzen Bemerkungen etwas beibringen zu wollen. Nur seine Zukunftsplanung zwang ihn dazu, den Status Quo zu erhalten; und damit, seiner Frau einige Dinge vielleicht doch noch beizubringen. Sollte das hier funktionieren, war das unerlässlich.
    Doch gab es ein paar Umstände, die das ganze hier verkomplizieren konnten. Unter anderem der, aus dem er hierher gekommen war. Nichts desto trotz hieß das nicht, dass er denselben Fehler beging wie Nigrinas Vater und sie nun deshalb verhätschelte. Oder auf seinen Spott ihr gegenüber verzichten würde. Wollte er jemals auch nur den Hauch einer Chance haben, sie zu einem erwachsenen und ihrem Verstand angemessen handelnden Menschen zu erziehen, sollte er auch gar nicht darüber nachdenken. Was er überdies ohnehin nicht tat, da er durchaus Interesse an einer funktionierenden Partnerschaft hatte und sich nicht jetzt schon über Nigrinas Nachfolge Gedanken machen wollte. Letzteres wäre aber zwangsweise notwendig, wenn dies hier auf ein Schauspiel seinerseits auf unbestimmte Zeit hinauslaufen sollte.


    Und so wartete er, bis sie sich gesetzt hatte und einigermaßen so aussah, als könne man mit ihr reden. “Ich habe gehört, dir ginge es in letzter Zeit nicht gut. Vor allem in den Morgenstunden soll dich eine heftige Übelkeit plagen. Ich wollte mich nach deinem Befinden erkundigen und dich fragen, ob du mir vielleicht etwas mitteilen möchtest? Du weißt, ich mag Überraschungen nicht besonders.“
    Er sagte es ganz ruhig und sachlich, und inzwischen sollte Nigrina ihn auch gut genug kennen, um zu wissen, dass er keinen Gefühlsausbruch haben würde, egal wie ihre Antwort ausfallen würde. Wenn sie ihm seine Vermutung bestätigte, war das eine Information, mit der er arbeiten konnte. Verneinte sie, ging er davon aus, dass sie das Kind abtreiben versuchen würde. Ihm persönlich war ihre Entscheidung da relativ gleichgültig, zumindest insofern es das Kind betraf. Er benötigte noch keinen Erben, und es war Nigrinas Risiko, wenn sie ihm keinen schenkte. Dauerte dieser Zustand lange genug – beispielsweise, wenn sie durch eine Abtreibung unfruchtbar werden würde, was bei jeder fünften Frau durchaus passierte – konnte er ohne Gesichtsverlust sich scheiden lassen und sich eine jüngere Frau suchen, die ihm dann einen Erben schenkte. Folgerichtig hatte er es nicht eilig damit, da ihm genügend Optionen blieben, während Nigrina das Risiko allein trug.
    Allerdings wüsste er gerne Bescheid, um nicht in ein paar Monaten völlig überrascht zu sein. Oder noch schlimmer, von bedeutenden Persönlichkeiten auf den Zustand seiner Frau angesprochen zu werden, und nichts Fundiertes erwidern zu können. Ganz zu Schweigen von der Möglichkeit, dass seine Frau bei einer Abtreibung verbluten könnte, und er doch gezwungen wäre, sich über ihre Nachfolgerin Gedanken zu machen. Und natürlich galt es auch einige Einschränkungen vorzunehmen, sollte sie ein Kind austragen.

  • Nigrina musterte ihren Mann, als dieser nun dazu ansetzte ihr zu erzählen, weswegen er gekommen war. Was er allerdings sagte, kam so unvermittelt, dass ihre Miene für einen Augenblick nur Fassungslosigkeit zeigte, während sie ihn für Augenblicke einfach nur anstarrte.


    Bitte WAS war das?


    „Woher weißt du davon?“, fragte sie dann nach einem Moment, und ihrer Stimme war nichts von der Fassungslosigkeit zu entnehmen, die ihre Miene gerade eben noch gezeigt hatte. Nigrina klang vielmehr lauernd, und ähnlich war der Ausdruck, der sich nun in ihren Augen und auf ihrem Gesicht ausbreitete. Woher hatte er das bitte, dass ihr vor allem morgens ständig übel war? Woher wusste er das, und wer hatte es ihm auf eine Art gesteckt, dass er offenbar auch wusste oder wenigstens vermutete, dass sie schwanger war? Denn dass er sich nach ihrem Befinden erkundigte, missverstand Nigrina keinen Moment für echte Besorgnis – das hätte sie nicht einmal dann getan, wenn er nicht noch gefragt hätte, ob sie ihm etwas mitteilen wolle. Oder die kleine Anmerkung mit den Überraschungen hinterher geschoben hätte. In ihr begann schon wieder Wut zu brodeln, aber diesmal war es eine eisige, eine, die nicht so schnell und explosiv nach außen drang. Sie mochte Überraschungen ebenso wenig wie er. Und sie mochte es nicht, wenn jemand Geschichten über sie verbreitete.
    Nicht, dass diese konkrete Geschichte nicht stimmen würde. Ihr war übel, und diese Übelkeit hatte ihren Grund darin, dass sie schwanger war. Sie war es schon seit mindestens fünf Wochen, eher länger. Und fast genauso lange hatte sie auch schon den Verdacht – der vor knapp vier Wochen dann mehr oder weniger zur Gewissheit geworden war, als sie eine Hebamme hatte kommen lassen. Und die Entwicklung seither deutete ganz daraufhin, dass die Hebamme Recht gehabt hatte mit ihrer Einschätzung. Die Übelkeit, die Schlappheit, all das, was so unglaublich nervend war an dem Blag, noch bevor sie es überhaupt – unter Schmerzen! – auf die Welt bringen konnte, wo es noch viel mehr nerven würde.
    Die Neuigkeit ihrem Mann mitzuteilen, daran hatte sie allerdings nicht im Traum gedacht – ganz im Gegenteil, sie hatte sich bewusst dagegen entschieden, ihn jetzt schon zu informieren. Und das ganze vor ihm geheim zu halten, war auch nicht allzu schwer gewesen. Jedenfalls hatte sie das bisher gedacht. Es war ja nicht so, dass sie ständig aneinander klebten, ganz im Gegenteil. Er hatte seine Beschäftigung, sie die ihre. Sie aßen für gewöhnlich zusammen, sie suchten häufiger das gemeinsame Gespräch – Nigrina vor allem dann, wenn sie irgendwelche Informationen hatte von denen sie glaubte, sie könnten wichtig für ihn sein; sie nahm ihre Rolle als Ehefrau in dieser Hinsicht durchaus ernst. Und natürlich schliefen sie miteinander, was auch… nun, nicht gerade selten vorkam. Was allerdings auch nicht hieß, dass sie jedes Mal die ganze Nacht miteinander verbrachten. Ebenso häufig kam es vor, dass sie oder er – oder beide, je nachdem wo sie waren – sich anschließend in die eigenen Gemächer zurückzog. Und wenn sie tatsächlich zusammen einschliefen, dann stand er in aller Regel früher auf als sie, früh genug, dass die morgendliche Übelkeit bei ihr noch nicht eingesetzt hatte. Sie wusste nicht, ob er überhaupt einmal mitbekommen hatte, wie sie sich übergeben hatte – wenn es so weit war, war sie kaum in der Lage auf mögliche Zuschauer zu achten –, aber selbst falls das mal der Fall gewesen sein sollte: er war ein Mann. Und als solcher in ihren Augen per se ein Nichtwisser, was Frauendinge betraf.


    Nein, Nigrina mochte Überraschungen nicht. Sie mochte es auch nicht, wenn jemand Geschichten über sie erzählte. Und sie konnte es absolut nicht ausstehen, wenn jemand ihre Pläne durchkreuzte.
    Und doch war genau das geschehen. Sextus saß ihr gegenüber und warf ihr im übertragenen Sinn etwas vor die Füße, was in ihren Ohren nur eines bedeuten konnte. Und was ihren Plan damit zunichte machte, denn seine Worte einfach abzutun, seine Frage als Gelegenheit zu nutzen, mit einem simplen Nein zu antworten, der Gedanke kam Nigrina nicht einmal ansatzweise. Es machte keinen Sinn. Die Schwangerschaft geheim zu halten, so lange es möglich war, war eine Sache. Ihren Mann deswegen anzulügen hingegen eine völlig andere – gerade weil er früher oder später sowieso davon erfahren und sich ihre Lüge damit entlarven würde.


    Aber woher bei Pluto wusste er davon?

  • Weder ein Dementi noch eine vernünftige Zustimmung, nichts, was den voraussichtlichen Status seiner Ehefrau irgendwie näher definieren würde. Im Grunde hatte Sextus schon damit gerechnet, dass Nigrina ihm nicht gleich antworten würde. Sie hatte durchaus ihre Vorzüge, sie hatte auch den richtigen Instinkt. Was sie nicht hatte, waren Erfahrung, Ruhe und planerisches Vorgehen. Letzteres versuchte sie im Ansatz zu zeigen, aber sobald etwas auftauchte, das ihr nicht passte, und sie sich in Sicherheit wähnte, ließ sie ihrem Temperament einfach freiem Lauf, ohne auch nur ansatzweise zu hinterfragen, ob ihr die Anstrengung eines Wutausbruches auch nur ein kleines bisschen weiterhelfen würde. In 99% aller Fälle waren diese nämlich äußerst kontraproduktiv, zumindest was Sextus selbst anging. Wenn sie schrie und um sich schlug wie ein Kind, konnte er sie nicht mehr für voll nehmen, und er wusste, dass sie eigentlich genau das wollte: für voll genommen werden.
    Und ein ähnliches Problem hatte Sextus auch jetzt. So verdutzt und wütend, wie sie dreinschaute, würde er ihr garantiert ihre Frage vorerst nicht beantworten. Der nächste Wutanfall wäre vorprogrammiert, noch mehr teure Einrichtungsgegenstände wären zerbrochen und er hätte erst recht keine Antwort, und das wäre noch einmal ein weiterer, kleiner Stein auf dem Weg zu einem erwachsenen Miteinander, den Sextus erst aus dem Weg schaffen musste. Eines Tages würde Nigrina vielleicht selbst genug vorausdenken, um auf so eine Frage einfach antworten zu können, ja, sie vielleicht schon vorauszuahnen und ihm damit die frage vorwegnehmen. Aber dieser Tag war definitiv noch nicht heute. Oder in naher Zukunft.
    “Das ist nun nicht die Antwort, die ich erwartet habe“, log er charmant und nonchalant, ohne ihre Gegenfrage zu beantworten. Überhaupt mochte er es nicht besonders, wenn er die Beweggründe für seine Fragen erst dem Gesprächspartner herleiten musste, anstatt eine Antwort zu erhalten. Aber dies war auch wieder etwas, weswegen es sich nicht zu streiten lohnte, selbst wenn er es enervierend fand. Die Verbindung zu den Flaviern und der Haussegen waren wichtiger als die kurze Befriedigung, den persönlichen Stress im wortreichen Disput abgebaut zu haben. Und da er sehr wohl taktisch und planvoll vorging, ließ er das streiten folgerichtig auch einfach bleiben.
    “Ich werde dir deine Frage gerne beantworten. Allerdings würde ich wirklich gerne zunächst deine Antwort hören, Schatz. Ich würde ungern auf der Straße angesprochen werden und dann von nichts wissen.“ Ganz ruhig, ganz sachlich, vielleicht sogar ein wenig Verständnis erheischend.


    Aber vielleicht war sich Nigrina ihrer Entscheidung auch nicht sicher und dachte, er würde in irgendeiner Form böse werden, wenn sie das falsche sagte. Frauen kamen mitunter auf solch abstruse Gedankengänge und versuchten dann, Zeit zu schinden, indem sie erst einmal Fragen stellten, um einen auszuhorchen. Vielleicht sollte er ihr da ein wenig Sicherheit geben.
    “Wir haben uns überhaupt noch nicht über Nachwuchs unterhalten, stelle ich dabei gerade fest. Vielleicht sollten wir das jetzt nachholen.“
    Ein wenig bequemer lehnte sich Sextus zurück und beobachtete dabei Nigrina unauffällig. Er wollte mitbekommen, wann er einen Nerv bei ihr traf, und seine Frau war fast immer so nett, das auch zu zeigen. “Ich persönlich habe es damit nicht einmal so eilig. Ich denke, ich kann es durchaus deinem Feingefühl überlassen, den richtigen Zeitpunkt abzuschätzen. Natürlich wäre es ungut, ins Gerede zu kommen, aber prinzipiell liegen nun keine zwingenden Gründe vor.“ Soviel erst einmal um ihr Sicherheit zu geben. Allerdings sollte sie es nicht so auffassen, als ob er nicht auch mit einem Kind leben könne, so sie es behalten wollte. Also galt es noch eine Kleinigkeit anzufügen. “Aber natürlich wär es ebenfalls ein gutes Zeichen der flavisch-aurelischen Freundschaft, sollte sich schon früh Nachwuchs einstellen.“

  • Natürlich antwortete Sextus nicht. Was hatte sie auch erwartet? Er tat in solchen Sachen doch nie das, was sie gerne hätte. Nicht so wie ihr Vater, der immer versucht hatte sie irgendwie zufrieden zu stellen, zumindest wenn es möglich war. Nur wenn es sich um Themen gehandelt hatte, die wichtig waren, hatte Aetius sich niemals erweichen lassen – und Nigrina hatte bereits früh gelernt, wann sie es bei ihrem Vater gar nicht erst zu versuchen brauchte. Ihr Mann allerdings setzte da ganz andere Maßstäbe. Und er war schon gar nicht so wie Aulus, der ihr dann immerhin Kontra gab, nicht das eines Erwachsenen, sondern ein ebenso temperamentvolles. Ja, mit Aulus konnte sie sich wunderbar streiten.
    Nein, Sextus regte sich nicht auf, und es ging ihm auch nicht darum, ob ein Thema wichtig war oder nicht. Und das wiederum machte es für Nigrina schwer einzuschätzen, wann es bei ihm besser angeraten war, sich zusammenzureißen. Sie hegte ja inzwischen den argen Verdacht, dass es bei ihm einfach immer besser war, sich zusammenzureißen. Was ihr aber elend schwer fiel.


    Nigrina presste die Lippen aufeinander, während sie ihm zuhörte. So ruhig, so vernünftig trug er seine Worte vor. So... unmöglich. In Situationen wie diesen fragte sie sich immer, wie um alles in der Welt er das schaffte, so ruhig zu bleiben. Sie schlug ein Bein über das andere und lehnte sich in ihrem Sessel zurück, bemüht, sich gelassen zu geben, aber in ihr brodelte eine bunte Gefühlsmischung – immer noch der Ärger darüber, dass ihr Plan nicht so funktioniert hatte wie sie wollte, immer noch ein wenig Fassungslosigkeit, dass Sextus es herausgefunden hatte, immer noch das unangenehme Gefühl, sich zu kindisch aufgeführt zu haben, und zunehmend das etwas perplexe Staunen, das sie immer erfasste, wenn sie ihren Mann in einer solchen Situation so... so unfassbar gefasst erlebte. Wie MACHTE er das? Sie an seiner Stelle wäre vermutlich schon längst ausgeflippt, sie hätte wohl nicht einmal die erste Frage so ruhig gestellt, und wenn sie das Ganze von seinem Standpunkt aus betrachtete, dann musste sie auch zugeben, dass er Recht damit hätte. Sie war immerhin seine Frau. Und sie war nun schon eine Weile schwanger, ohne es ihm bisher gesagt zu haben.
    Und dann fing er auch noch an, ganz allgemein über die Nachwuchs-Frage zu plaudern! Unwillig schüttelte sie den Kopf. „Du glaubst doch nicht, dass ich das Risiko eingehe unfruchtbar zu werden, bevor ich dir einen oder besser mehrere Erben geboren habe?“ Sie zwang sich, ruhig zu sprechen, auch wenn sie nicht vermeiden konnte, dass in ihrer Stimme immer noch ein unwilliger Unterton mitschwang. „Und ja, ich bin schwanger.“ Sie verkniff sich auch das schnippische zufrieden?, das ihr auf den Lippen lag. Einen Augenblick presste sie dann erneut eben jene aufeinander, bevor sie seufzte.
    „Ich hätte dir das schon noch gesagt. Ich meine, bevor irgendwer anders etwas hätte merken können. Und auch bevor du etwas hättest merken können, jedenfalls war das der Plan.“ Wirklich zu merken würde die Schwangerschaft doch erst dann sein, wenn sie sich an ihrer Figur zeigte. Und was das betraf war Sextus ohnehin der Kandidat mit den größten Chancen, ihre Schwangerschaft als erstes zu bemerken. Eine Gewichtszunahme, die sich noch dazu auf einige ganze konkrete Bereiche ihres Körpers konzentrierte, war wohl einige Zeit lang zu verschleiern, wenn man bekleidet war, und noch einige Zeit länger, wenn man seine Kleidung geschickt wählte – aber eben nicht nackt. Und Sextus war nicht nur der einzige, der sie nackt zu sehen bekam – Sklaven zählten ja nicht –, sondern dürfte ihren Körper ebenso gut kennen wie sie selbst. Nein, zu warten, bis er oder jemand anderes tatsächlich hätte erkennen können, dass sie schwanger war, war nicht Bestandteil ihres Plans gewesen. Deswegen war sie ja gerade auch so angefressen. Dass er sie darauf ansprach, egal ob nun jetzt oder irgendwann später, hatte sie nicht im Sinn gehabt, als sie beschlossen hatte Sextus noch nicht einzuweihen.
    „Weißt du, wie viele Frauen ein Kind verlieren, gerade in der ersten Zeit der Schwangerschaft? Sollte mir das passieren, ist es mir lieber, wenn das keiner mitkriegt. Dann kann's mir auch keiner vorhalten. Oder mit geheucheltem Mitleid ankommen.“ Nigrina verzog das Gesicht bei dem Gedanken daran. „Und so lange von der Schwangerschaft noch nichts zu sehen ist, lässt sich ein solches Szenario wunderbar vermeiden.“

  • Wieso nur klangen ihre Worte wie eine Anklage an ihn? Erst machte sie deutlich, dass sie ihre Stellung durch mehrere Erben hier festigen wollte, und dann blaffte sie ihn an, dass sie schwanger war. Ihre Erklärung hingegen, warum sie nichts gesagt hatte, klang durchaus einleuchtend, wenngleich er ihr nicht vollumfänglich zustimmen konnte. Sie war es, die wiederholt mit Argumenten wie 'wir sind doch verheiratet' zu punkten versuchte, um ihm Zugeständnisse und Informationen zu entlocken. Allerdings schien dies eine sehr einseitige Auffassung zu sein, denn im Umkehrschluss schien das nicht zu bedeuten, dass auch sie gedachte, ihre Pläne ihm mitzuteilen. Im Grunde genommen war das sogar eine positive Überraschung, denn es ließ die Möglichkeit offen, dass diese Art der Argumentation nur ein taktisches Spiel von Seiten seiner Ehefrau war und nicht mit aller Blauäugigkeit dem wirklichen Denken von Nigrina entsprach. Vielleicht aber war es auch nur die allgemeine Doppelmoral der Frauen und kein Grund für Enthusiasmus.


    “Nein, ich weiß nicht, wie viele Kinder abgehen in den ersten Monaten“, beantwortete er wahrheitsgemäß und ruhig ihre wohl rhetorisch gemeinte Frage. Im Grunde interessierte es ihn auch absolut gar nicht, denn das war auch überhaupt nicht der springende Punkt. Seine Intention war es gewesen, Informationen zu sammeln, die ihm zukünftig etwas brachten, und nicht, sich sorgenvoll zu geben. Oder gar mitleidig. Das waren Charakterzüge, die ihm nur äußerst selten unterstellt wurden.
    “Und wenn es dich beruhigt, von mir wird niemand explizit auf diesen Umstand hingewiesen werden, so dass es weiterhin geheim bleiben kann, wenn du dies wünscht. Allerdings solltest du dann dafür Sorge tragen, dass niemand es auf diese Art und Weise erfährt, auf die ich es erfahren habe.“
    Er machte eine kleine, rhetorische Sprachpause, um seine eigenen Gedanken kurz zu ordnen. Er hatte immerhin einige Informationen erhalten und konnte diese vielleicht oder vielleicht auch nicht verwerten. Seine Frau war schwanger, und wenn alles glatt ging, wäre er bald Vater. Ob das positiv oder negativ für die anstehende Quästur war, wusste er noch nicht genau abzuschätzen. Seine Frau war sich durchaus der Risiken eines Abbruchs bewusst und war klug genug, ihre Stellung sichern zu wollen. Was seine theoretischen Überlegungen über eine adäquate Ersatzpartie erst einmal hinfällig machte.
    Er ruckte etwas im Sitz, um zu einer angenehmeren Position zu kommen. Die Korbsessel waren schlicht zu weich, um auf Dauer als bequem zu gelten. “Was mich auch gleich zu deiner Frage zurückführt, die du vorhin gestellt hast“, schloss er also nahtlos an seine vorherige Aussage an. Sie hatte seine Frage beantwortet, nun hielt er Wort und beantwortete die ihre. “Der neue Sklave, dieser rotharige Bursche, hat sich erdreistet, mich darauf anzusprechen. Du weißt schon, dieser Bretone oder Kelte oder was auch immer.“ Sextus interessierten die Nationalitäten seiner Sklaven noch weniger als deren Namen. Und die merkte er sich schon nur in absoluten Ausnahmefällen, weil er notgedrungen mit einem von diesen Luxusgegenständen mit erweiterten Funktion öfter zu tun hatte und die Art der Funktion eine sprachliche Beteiligung beider Seiten bedingte. Man konnte also zusammenfassen, Sextus hatte sich die Namen von Ianitor und Maiordomus gemerkt und sonst keine.
    “Er meinte, mich auf deine morgendlichen Übelkeitsanfälle aufmerksam machen zu müssen und heuchelte Sorge um deine Gesundheit als Grund vor. Eine Impertinenz, wenn du mich fragst, allerdings wollte ich zunächst wissen, ob an diesen Beobachtungen etwas dran ist. Und zum zweiten wollte ich dir nicht den Spaß verwehren, ihn in seine Schranken zu weisen.“
    Sextus war vieles, aber nicht blöde. Natürlich war absehbar gewesen, dass Nigrina hatte wissen wollen, woher er seine Informationen bezog. Natürlich war absehbar gewesen, dass sie nicht sofort antworten würde – auch wenn Sextus sich das gewünscht hatte. Folglich war es nur ein weiterer, kleiner Schachzug – oder in Ermangelung dieses Spiels eher ein Soldatenspielzug – ihr nun einen Schuldigen zu präsentieren, an dem sie ihren Unmut auslassen konnte. Und angesichts der Tatsache, dass sie soeben ihr Zimmer verwüstet hatte, nur weil ihre kleine Schwester in Rom war, wohl auch würde.

  • Das war einer der großen Vorteile an ihrem Mann: Nigrina musste nicht befürchten, dass er ihr mit Mitleid kam. Vorhaltungen, das ja, aber nicht Mitleid. Und sie war damit auch zufrieden. Gut, ein wenig Verständnis, wenn sie sich beispielsweise so furchtbar darüber aufregte, dass ihr Vater ihrer Schwester geschlagene vier Jahre früher als ihr erlaubt hatte, in Rom zu bleiben, das wäre vielleicht ganz nett, aber Mitleid in einer Sache, die wirklich ernst war oder werden könnte, konnte sie nicht ertragen. Nicht umsonst war sie nach Veras Tod diejenige gewesen, die Aulus gestützt hatte, und nicht umgekehrt. Sie war die Starke, die, die von solchen Geschehnissen nur peripher berührt, aber nicht wirklich beeinflusst oder gar beeinträchtigt wurde. Es war nicht nur so, dass sie sich in dieser Rolle schlicht gefiel – das stimmte schon auch, aber das war zu oberflächlich. Egal was geschah, Nigrina wollte nicht schwach wirken. Um keinen Preis. Wenn es nur um etwas ging, wovon die Leute dachten es müsse sie treffen, sie davon aber eher unberührt blieb – oder es, wie Veras Tod, zwar gemischte Gefühle in ihr hervorrief, sie sich aber nicht schwach fühlte –, nervte es sie meistens nur. Vor allem dann, wenn andere Leute es mitbekamen und daraus womöglich die falschen Schlüsse zogen. Wenn es sich aber um etwas drehte, was sie tatsächlich schwach sein ließ, und sei es nur für Augenblicke – und einen ungewollten Abgang zählte sie hier dazu, allein schon wegen der körperlichen Beeinträchtigung, ganz zu schweigen von der Tatsache, dass sie dann Sextus' Erben verloren und die Chance, ihre Stellung als seine Frau noch deutlich mehr zu festigen, vertan haben würde –, dann war so etwas wie Mitleid für Nigrina unerträglich. Doch, es war beruhigend, dass sie das von ihrem Mann zumindest nicht befürchten musste.


    „Eine Menge“, tat sie kund, als Sextus verkündete, er wisse nicht wie viele Kinder abgingen. Nigrina wusste auch keine genaue Zahl, aber sie wusste immerhin, dass das nicht allzu selten passierte.
    Sie musterte ihren Mann, während der weitersprach. Die Aufregung, die Wut von zuvor war weitestgehend verpufft – das geschah ihr häufig. So schnell sie hoch feuerte, so schnell beruhigte sich ihr Temperament auch wieder. Die Ruhe, die Sextus die ganze Zeit ausstrahlte, half dabei noch zusätzlich. Dass ihr Plan nicht ganz so aufgegangen war, wie sie wollte, war immer noch ärgerlich, aber das hatte sie nun unter Kontrolle – passiert war passiert, ändern konnte sie daran auch nichts mehr, und Sextus gab ihr herzlich wenig Grund zum Aufregen gerade. Und so waren es im Moment einzig die Scherben auf dem Boden, die davon zeugten, dass in diesem Raum gerade eben noch ein Wutanfall stattgefunden hatte.
    Was nicht hieß, dass sie die Frage vergessen hätte, die sie Sextus gestellt hatte. Oder dass sie nach wie vor wissen wollte, woher er das erfahren hatte – denn dass er von selbst darauf gekommen war, hielt sie für eher unwahrscheinlich. Wie erwähnt: er war ein Mann. Und nicht sonderlich aufmerksam, was Frauendinge betraf. Zum Glück, das hatte einige Vorteile. Sie runzelte die Stirn und neigte sich ein wenig nach vorn, als ihr Mann zunächst nur darauf anspielte, wie er es erfahren hatte. Sie wiederholte ihre Frage nicht, sondern sah ihn nur auffordernd an, und in der Tat rückte er nun mit der Sprache heraus.
    Ein Sklave also. Ein Sklave. Natürlich, das war klar gewesen – von wem sonst hätte er es haben sollen? Aber einer von denen, die sie mitgebracht hatte, konnte es keiner gewesen sein. Es wäre falsch gewesen zu behaupten, dass sie für ihre Sklaven die Hand ins Feuer legen würde, denn das würde sie ganz sicher nicht tun, für niemanden, schon gar nicht für irgendwelchen Besitz, aber: die flavischen Sklaven waren loyal. Ausnahmslos. Nigrina ließ nur die in ihre engste Umgebung, von denen sie überzeugt war, dass sie ihr absolut treu ergeben waren. Und das wegen simpler Erziehung. Die Sklaven, die ihr Vater ihr mitgegeben hatte, waren allesamt aus der handverlesenen flavischen Zucht, sah man einmal von dem Parther ab, den ihr ihr Bruder geschenkt hatte. Sklaven wie diese waren unbezahlbar.
    Sextus' nächste Worten machten allerdings klar, dass es keiner von ihren Sklaven gewesen war. Noch nicht einmal einer der aurelischen, jedenfalls keiner von denen, die schon länger hier waren, sondern ein neuer. Rothaarig. Nigrinas Stirnrunzeln vertiefte sich, als sie sich flüchtig die verschiedenen Objekte ins Gedächtnis rief, die hier herumliefen – rote Haare waren durchaus dabei gewesen, aber sie konnte kein Gesicht damit verknüpfen. Vermutlich war es einer von den Sklaven, die niedere Arbeit hier verrichteten. Das Zimmer putzen oder ähnliches, das machten immerhin nicht ihre hochwertigen Sklaven, das überließ sie schön den aurelischen – und da konnte es schon sein, dass unbefugte Ohren etwas mitbekommen hatten, was sie nicht sollten. Oder irgendwo in der Villa, immerhin hielt Nigrina sich nun nicht den ganzen Vormittag nur in ihren Gemächern auf, damit ja keiner etwas hätte mitbekommen können, wenn ihr schlecht war.


    Letztlich war das auch gleichgültig. Der Sklave hatte ihren Plan durchkreuzt, hatte sie an ihren Mann verraten – hatte ihm etwas gesagt, was IHR Vorrecht gewesen wäre zu erzählen. Nicht dass sie irgendwelchen emotionalen Gründen irgendeinen Wert darauf gelegt hätte, aber hier ging es ums Prinzip. Der Sklave hatte ihr etwas weggenommen, gestohlen, wenn man es ganz genau betrachtete. Und das gehörte bestraft. Die Wut in ihr nahm wieder zu, aber wie bereits zuvor war es in diesem Fall eine andere Art von Wut. Eine kalte, und eine deutlich – in ihren Augen jedenfalls – rechtschaffenere. Eine weniger kindische, wenn man so wollte. Und definitiv eine gefährlichere. Ihre Augen glitzerten kalt, dennoch lächelte sie Sextus fein an. Und aufrichtig, denn es war ihr ernst mit den folgenden Worten. Er immerhin hatte ihr gegeben, was sie von ihm wollte. Sie wusste nun – mehr oder weniger – wer es gewesen war, alles andere stand nun fest. „Das ist wirklich liebenswürdig von dir, dass du das mir überlässt.“
    Einen Augenblick sah sie ihn noch an. Dann veränderte sich ihr Lächeln, glich sich mehr und mehr dem Ausdruck ihrer Augen an. „Parther.“ Sie sah nicht zu ihrem potentiellen zukünftigen Custos Corporis hin, der sich mit einigen anderen flavischen Sklaven noch im Raum aufhielt, als sie ihn mit eisiger Stimme rief. Ihr Blick ruhte weiterhin auf Sextus, während sie sich zugleich wieder ein wenig zurücklehnte. Der Parther schien die richtige Wahl für diese Aufgabe. Sie hatte ohnehin nach einer Möglichkeit gesucht, seine Loyalität auf die Probe zu stellen, ihn sich bewähren zu lassen. Das immerhin konnte sie jetzt schon über ihn sagen, dass er Potential hatte – jedenfalls hatte er sich bisher vor allem damit hervor getan, dass er nachgerade vorbildlich mit dem Hintergrund verschmolz, wann immer sie befahl, dass er in ihrer Nähe sein sollte. Er redete nicht, wenn er nicht gefragt war, und er fiel nicht auf, wenn er nicht auffallen sollte. „Du machst diesen Sklaven ausfindig und schneidest ihm die geschwätzige Zunge heraus.“


    Nigrina wartete noch nicht einmal, bis der Parther verschwunden war – sie wandte ihrem Mann wieder ihre volle Aufmerksamkeit zu und musterte ihn ein wenig abschätzend. „Wenn es nach mir geht, würde ich es gern noch ein wenig geheim halten. Warum habe ich schon gesagt.“ Aber da er es nun wusste, ging es nicht mehr nach ihr. Nicht mehr nur, jedenfalls. Zwar hatte Sextus ihr zugesichert, nichts zu sagen, wenn sie das wollte, aber nun wo er es wusste, wollte sie doch ganz gern seine Meinung hören. „Aber was meinst du? Ist es besser noch nicht zu verkünden, dass wir Nachwuchs bekommen? Oder wäre es im Gegenteil besser für dich und deine Karriere, wenn die Leute jetzt schon Bescheid wissen?“

  • Liebenswürdigkeit wurde Sextus wohl ebenso selten unterstellt wie Mitgefühl oder Herzensgüte, zumindest nicht von den Personen, bei denen er nicht die Maske des Charmes trug. Natürlich war er auch zu Nigrina charmant, zumindest in den Momenten, in denen sie sich nicht wie ein Kind benahm. Alles andere hätte zu Spannungen geführt, schließlich bekam sie ja durchaus mit, wie gefällig er sich anderen Frauen gegenüber verhielt. Wäre er zu ihr folglich nur spöttisch – oder schlimmer: ehrlich – hätte die weitere kindische Auseinandersetzungen zur Folge, und Sextus hatte keinen gefallen daran, mit seiner Frau wegen solcher Nichtigkeiten zu streiten. Also bemerkte er durchaus auch mit Worten, wenn sie sich hübsch hergerichtet hatte oder artig ihren Pflichten als Hausherrin nachkam. Dennoch sollte seine Frau ihn mittlerweile gut genug kennen, dass er nicht wie seine Vettern dies aus reiner Herzensgüte und dem überschwänglichen Gefühl von Verliebtheit tat, sondern mit einer gewissen Ernsthaftigkeit, die der Liebenswürdigkeit per se im Weg stand.
    Doch dies waren überdies philosophische Gedanken ohne grundlegenden Mehrwert, weshalb Sextus sich auch nicht lange mit diesem Wort aufhielt. Viel interessanter war die Strafe, die seine Frau dem Sklaven angedeihen ließ. Sie rief einen ihrer Sklave, um dem Mann die Zunge rausschneiden zu lassen. Eine vergleichsweise milde Strafe im Vergleich zu dem, was Sextus sich gedacht hatte. Er hätte auch keinen Einspruch erhoben, hätte sie den Mann im Garten kreuzigen und anzünden lassen, so dass er wie die lebendigen Fackeln Neros schreiend seine Tat bereute. Sicher hätte er dann mit Avianus zwar Ärger bekommen, sie würden die übrigen Sklaven verunsichern, aber das wäre schon gegangen. Er hatte es seiner Frau ja zugesagt, sie durfte entscheiden.
    Dass sie sich dann dazu entschied, ihm sauber die Zunge rausschneiden zu lassen – herausreißen, so dass er an seinem Blut erstickt wäre, wäre immerhin ebenfalls eine Option gewesen – war da doch vergleichsweise harmlos. Aber vielleicht hatten auch seine kleinen Anspielungen über die mutwillige Zerstörung teurer Einrichtungsgegenstände endlich Früchte getragen. Es wäre zu wünschen, reduzierte das doch die Kosten für Neueinrichtung erheblich. Und so ein Sklave war ein wenig teurer als ein Glasbecher, und dank des Kuschelkurses der übrigen Hausbewohner auch mit mehr Schwierigkeiten verbunden.


    “Meine Karriere steht noch am Anfang. Ich denke nicht, dass es bereits jetzt von öffentlichem Interesse ist, ob ich Nachwuchs erwarte oder nicht. Auch hege ich keine Ambitionen in Richtung eines Flaminates, so dass es von daher zu Vorteilen führen würde. Aufgrund der rigiden Voraussetzungen für Haruspices ist es auf diesem Gebiet irrelevant, ob ich einen Sohn habe oder nicht.“ Sextus tat etwas, was er selten tat: Er ließ Nigrina ausführlich an seinen Gedanken teilhaben. Meistens verkündete er nur deren Ergebnis und ließ die Herleitung seiner Meinung weg. Aber so langsam war es vielleicht an der Zeit, dass seine Frau ihren Kopf zu etwas anderem benutzte, als eine hübsche Frisur durch die Gegend zu tragen. Und dafür würde sie noch eine ganze Menge lernen müssen.
    “Es war für mich eher von Interesse, sollte mein Patron mich darauf ansprechen. Oder aber jemand aus deiner Verwandtschaft. Sofern sie dies aber nicht tun, sehe ich keinen Grund, erst einmal abzuwarten, bis es sichtbar wird. Es ist nichts verwerfliches daran, es nicht groß herauszuposaunen. Es wäre nur ärgerlich, es erst abzustreiten und dann den offensichtlichen Beweis des Irrtums zu präsentieren.“

  • Der Parther verschwand, kaum dass sie geendet hatte, und Nigrina lehnte sich erneut in ihrem Sessel zurück. Das Wissen, wer der Verräter war, und dass er seine Strafe erhalten würde – die noch dazu sicher stellte, dass er tatsächlich nie mehr plappern würde – befriedigten sie. Weit mehr als es das Zerschmettern von irgendwelchen Bechern gekonnt hätte. Gegenstände waren danach einfach kaputt. Irgendwer räumte die Scherben zusammen und warf sie weg. Sklaven allerdings, nun, Sklaven zogen ihre Lehren daraus. Nigrina musste noch nicht einmal dabei sein, musste es noch nicht einmal sehen – obwohl sie das hin und wieder durchaus gerne tat –, es reichte zu wissen, dass der Sklave bestraft wurde. Und dass er noch einige Zeit lang daran denken und bereuen würde, was er getan hatte, in diesem Fall: sein Leben lang. Und auch wenn Nigrina diesen Sklaven und die Bestrafung, die sie ihm zugedacht hatte, vermutlich allzu bald schon wieder vergessen haben würde: in diesem Augenblick war es ihr mehr als bewusst, und in diesem Augenblick verschaffte ihr das Zufriedenheit. Weit mehr, als ein zerschmetterter Becher es gekonnt hätte.


    Und es kam noch besser, denn ihr Mann beantwortete ihre Frage – ausführlich. Und das wollte etwas heißen bei ihm. Für gewöhnlich musste sie zu irgendwelchen Tricks greifen oder ihm irgendeine Gegenleistung bieten, um ihm seine Gedanken irgendwie heraus zu locken, aber diesmal... Sie verkniff sich das Lächeln, das abermals auf ihre Lippen schleichen wollte, und wahrte eine gleichmütige Miene, was ihr nun, mit dem entspannenden Wissen der Bestrafung des Sklaven, deutlich leichter fiel. „Dann behalten wir das noch für uns“, entschied sie. Sie hatte keine Ahnung, ob ihre Gründe für ihn lächerlich anmuteten oder nicht – seine Reaktion zuvor hatte keinerlei Rückschlüsse zugelassen –, aber im Grunde war das gleichgültig. Ihr war es nun mal wichtig, dass ihr keiner dumm kommen konnte. Und wenn sie dabei quasi nebenbei noch diese ersten, ungemütlichen Monate mit sich allein abhandeln konnte, ohne ständig von irgendwem mitleidig gefragt zu werden, wie es ihr ging, wenn sie noch dazu die Zeit verkürzen konnte, in der ihr irgendwer mit irgendwelchen lästigen Glückwünschen ankam und von ihr verlangte, die strahlende werdende Mutter zu spielen, während sie in Wahrheit einfach nur genervt oder schlecht gelaunt war – umso besser.
    Sextus' letzte Worte allerdings ließen sie zu ihm aufsehen. War das doch noch ein verkappter Vorwurf, den sie da hörte?
    „Es weiß noch niemand. Auch niemand meiner Verwandten.“ Nicht einmal ihr Vater wusste davon. Nigrina hatte ruhig geklungen, beinahe erklärend – dann gab sie sich einen Ruck und sprach weiter, und ihre nächsten Worte wurden sogar fast entschuldigend. Was ein immenses Zugeständnis für ihre Verhältnisse war. „Ich wollte ganz sicher nicht riskieren, dass du von jemand anderem darauf angesprochen wirst, und dann dumm da stehst, weil du von nichts wusstest.“ Nein, das hatte sie ganz sicher nicht gewollt. Ihr Mann sollte in der Öffentlichkeit, bei Freunden und Förderern, natürlich nicht unwissend oder gar dumm wirken, ganz im Gegenteil. Ihr Einfluss, ihre Macht, waren zu eng an seine Karriere gekoppelt, als dass sie das in Kauf genommen hätte. Sie war es nur so gewöhnt, dass den Sklaven, die sie umgaben, zu trauen war, dass sie nicht daran gedacht hatte, einer könnte womöglich schwatzen. Aber die aurelischen waren nun mal nicht die flavischen. Schon gar nicht solche, die frisch vom Markt kamen.


    „Ich würde noch ein paar Wochen warten“, kam sie dann auf das vorige Thema zurück. „Viel länger wird es wohl nicht mehr dauern, bis zumindest wir etwas werden sehen können, fürchte ich. Und wenn es so weit ist...“ Sie zuckte die Achseln. „Dann werde ich es zumindest meiner Familie mitteilen. Wann und wem du sagst, dass du Nachwuchs erwartest, ist selbstverständlich dir überlassen, aber ich würde vorschlagen, dass du es dann ebenfalls den Personen mitteilst, bei denen dir wichtig erscheint, dass sie es nicht durch irgendwelchen Tratsch erfahren. Deine Familie, dein Patron, wer auch immer. Der Rest wird es danach in der Gerüchteküche erfahren. Ich muss nur bei den Richtigen etwas fallen lassen, dann macht das von selbst die Runde.“
    Solange die Nachrichten, über sie verbreitet wurden, von ihr selbst lanciert waren, hatte sie nicht das Geringste dagegen. Das allerdings war wichtig: dass sie so gut als möglich kontrollierte, was über sie erzählt wurde. Natürlich ging das nicht in vollem Umfang, aber wenn man nun das Beispiel Schwangerschaft nahm: sie wollte und sie würde es sein, die dieses Gerücht in Umlauf brachte. Und zwar zu exakt dem Zeitpunkt, den sie für richtig hielt. Und das würde dann sein, wenn es eben nicht mehr lange dauern würde, bis man ihr auch mit Kleidung etwas würde ansehen können. Sicherlich hätte sie die Neuigkeit auch schon längst verbreiten können, dann hätte sie nicht das Risiko, dass irgendwer anders plauderte. Und eine Schwangerschaft – in einer Ehe – war eigentlich eine überaus positive Nachricht, vor allem die erste. Das Problem war eben nur, dass eine Schwangerschaft ein zweischneidiges Schwert war, weil eine misslungene sich extrem negativ auswirken konnte. Und zwar für die Frau, weil sie es war, die die Schuld trug, ganz gleich ob sie etwas dafür konnte oder nicht.

  • Wenn sie es nicht hatte riskieren wollen, dass er von solch einer Frage überrascht würde, weswegen hatte sie es dann riskiert? Die Logik dieser Worte widersprach ihrem eigenen Inhalt, aber solcherlei Paraphrasen gehörten nun mal zum allgemeinen Sprachgebrauch, ungeachtet ihrer Aussage. Sextus nahm das Zugeständnis darin durchaus wahr, und solange seine Frau verstanden hatte, dass er Überraschungen nicht schätzte, war es ihm auch egal, ob sie Dinge ausdrückte, die sich selbst widersprachen. Letztendlich war entscheidend, wie sie handelte, und nicht, welche Wortwahl sie dabei an den Tag legte. Zumindest nicht, wenn sie allein waren, bei so manch empfindsamen Gemüt senatorischen Standes mochte die Wortwahl entscheidend sein. Doch zu solchen Begebenheiten achtete Nigrina üblicherweise tadellos auf ihr Erscheinungsbild, was ihre Wortwahl mit einschloss.
    Die Tatsache, dass sie es auch ihren Verwandten nicht vor ihm gesagt hatte, sollte vermutlich ebenso beruhigenden Charakter haben. Und in gewisser Weise war es auch so, denn immerhin implizierte das, dass seine Frau sich sehr wohl zu Loyalität ihm gegenüber verpflichtet sah, und nicht ausschließlich ihrer Gens und ihrer Familia gegenüber. Eine Tatsache, die durchaus Wohlwollen hervorbrachte, wenngleich Sextus nicht töricht genug war, ihr deshalb nun zu vertrauen. Auch die Worte, die sie über den eigenen Bruder verloren hatte, ließen seiner Meinung nach keinen Rückschluss darauf zu, ob es ihr tatsächlich gleichgültig wäre, sollte Piso ein Unglück geschehen. Und eine Beteiligung seiner selbst in so ein Unglück war keineswegs ausgeschlossen, sofern es Sextus opportun im Zuge seiner Allianz mit Duccius Vala et altera erschien. Nichts desto trotz, ein gutes Zeichen.


    “Ich denke nicht, dass mein Rang und Name bereits öffentlich genug sind, als dass diese Nachricht gewichtige Vorteile brächte.“ Er war Haruspex und (zu diesem Zeitpunkt noch) Vigintivir, das war nicht wirklich von gewaltigem, öffentlichen Interesse. Wäre er Haruspex Primus oder gewesener Quaestor, sähe die Sache anders aus. Aber momentan sah Sextus keinen Vorteil darin, es an die große Glocke zu hängen.
    “Unseren Verwandten sollten wir es zeitnah mitteilen, sonst fühlen sie sich zurückgesetzt. Und meinem Patron werde ich es ebenfalls mitteilen. Wenn du für dich persönlich weitere Öffentlichkeit wünscht, kannst du natürlich alles in die Wege leiten.“ Vielleicht würde es ihre Stellung in ihren (weiblichen) Kreisen erhöhen, wenn bekannt war, dass sie schwanger war. Von solcherlei Dingen hatte Sextus keine Ahnung, und es interessierte ihn auch nicht wirklich. Solange er auf die Netzwerke der Frauen zugreifen und diese für seine Zwecke benutzen konnte, waren ihm die feinen Regeln dieser komplexen Zusammenhänge nicht weiter wichtig. Abgesehen davon, dass er in eben jene wohl auch nie eingeweiht werden würde, geschweige denn sie ob ihrer Unlogik nachvollziehbar reproduzieren könnte.


    Von seiner Seite aus war damit alles gesagt. Er hatte noch überlegt, sie noch darauf hinzuweisen, dass gewisse nächtliche Aktivitäten im weiteren Verlauf ihrer Schwangerschaft zurückgefahren werden müssten, aber er unterließ es. Angesichts der im Zimmer versammelten Scherben hielt er dies für keine besonders gute Idee, und es würde auch nichts ändern, darüber zu reden. Angesichts der von Nigrina eigens angesprochenen Zerbrechlichkeit des potentiell neuen Lebens würden sie eine gewisse Vorsicht walten lassen müssen und nächtliches Beisammensein ganz einstellen, sobald das Ding sich zu bewegen anfing. Etwas, das Sextus nicht allzu schwer fallen dürfte, nutzte er doch nach wie vor Sklavinnen, Lupae und dumme Freie zur Befriedigung seiner Vorlieben. Er würde sich einfach mehr auf diese verlagern. Vielleicht lachte er sich eine hoffnungsvolle Peregrina an. Die bemühten sich, waren mit Almosen zufrieden und sollte solch eine Frau schwanger werden, konnte man sich bequem absetzen, ohne dass sie eine Handhabe hatte. Besser als bei einer Römerin, wo es selbst bei Plebejern noch Ärger mit der Familie geben konnte. Peregrine waren da viel kosteneffizienter.
    “Wenn es sonst kein wichtiges Anliegen deinerseits mehr gibt, geh ich noch ein wenig meinen Amtspflichten nach. Wir sehen uns dann bei der Cena?“ Wie gesagt, von seiner Seite aus war alles gesprochen.

  • Nigrina deutete ein Nicken an. Nein, so gewichtig war Sextus' öffentliche Position nicht – noch nicht, hieß das, jedenfalls wenn es nach ihr ging –, als dass ihre Schwangerschaft, immerhin die erste dieser Ehe, einen großen Unterschied gemacht hätte. Geschweige denn, wann sie es bekannt gaben oder dafür sorgten, dass es bekannt wurde. Und wenn das hier ein Junge wurde, dann kam weiteren Schwangerschaften nicht mehr eine so große Bedeutung zu, nicht, solange er am Leben blieb. Aber das war ohnehin noch Zukunftsmusik. Erst einmal hieß es für sie, diese Schwangerschaft durchzustehen.
    „Werde ich, wenn es so weit ist“, antwortete sie leichthin. Natürlich wollte sie zu gegebener Zeit mehr Öffentlichkeit haben. Nur eben noch nicht jetzt, wo die Gefahr noch so groß war, dass sie das Kind verlor. Und wo ihr noch so schnell übel wurde, was sich hoffentlich bald legen würde. Aber wenn diese Phase erst mal vorbei war... Nun, dann war eine Schwangerschaft schlicht und ergreifend eine zu positive Nachricht, um den Effekt des ersten Bekanntwerdens nicht selbst zu dirigieren, um ihn nutzen zu können.


    Als Sextus dann wieder das Wort griff, schüttelte sie leicht den Kopf. „Nein, von meiner Seite aus gibt es nichts“, antwortete sie. Von ihrer Seite aus hatte es eigentlich von Anfang an nichts gegeben, denn eigentlich hatte sie Sextus ja erst später einweihen wollen. In ein paar Tagen vielleicht. Ein paar Wochen, höchstens. Aber nicht jetzt schon, und vor allem nicht so. Aber nun, daran ließ sich nichts mehr ändern, und der Sklave, der das zu verantworten hatte, bekam seine Strafe. Und dafür, dass sie ihren Mann zwar nicht direkt belogen, aber doch irgendwie an der Nase herumgeführt hatte, war der sehr gelassen geblieben. Nigrina war durchaus klar, dass manch anderer Mann anders reagiert hätte als Sextus in dieser Situation. „Ja...“ Sie lächelte, während sie zugleich innerlich darüber grübelte, ob zum Zeitpunkt der Cena wohl eher der Hunger oder mal wieder die Übelkeit die Zügel in der Hand haben würde. Dennoch verabschiedete sie Sextus aus ihren Gemächern, indem sie seine letzte Frage bejahte. „Wir sehen uns bei der Cena.“

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