[Horti Luculliani] Ein Hauch von Frühlingswärme

  • So langsam ging der Winter zu Ende. Es war noch immer frisch, es regnete noch immer viel, aber zwischen drin waren immer wieder Tage, an denen die Sonne über einen azurfarbenen Himmel strahlte und die Luft soweit erwärmte, dass man schon an Frühling glauben mochte. Und just einer dieser Tage war es, an dem Axilla beschloss, dass er viel zu schön sei, um in den eigenen vier Wänden zu bleiben.


    Die Horti Luculliani waren noch so winterlich wie alle Gärten Roms, und doch hatten sie auch jetzt ohne Blumenpracht und ohne das satte Sommergrün eine subtile Schönheit. Die Bäume hier waren hoch und schön gewachsen, wenngleich die meisten noch völlig kahl dastanden. Hier und da standen feine, weiße Gebäude, die in der Spätwintersonne hell leuchteten und glänzten und sich kräftig gegen den dunkelblauen Himmel dahinter absetzten. Blumenbeete waren bereits angelegt, nur die Blüten mussten noch ihren Weg finden und aufblühen, und der Garten wäre an Pracht kaum zu überbieten. Höchstens vom Paneion, an das die ganze Anlage Axilla stark erinnerte.


    Sie schlenderte über einen feinen Weg, Malachi als unsichtbarer Schatten kurz hinter ihr. Die meiste Zeit hatte sie die Augen geschlossen und genoss einfach das warme Gefühl der Sonne auf ihrer Haut. Wenngleich es nicht mit der ägyptischen Sonne zu vergleichen war, es war so unbeschreiblich wundervoll warm, dass Axilla es mit allen Sinnen genießen wollte. Verträumt schlenderte sie den Weg entlang und summte hier und da sonnenverliebt vor sich hin. Es war ein wirklich wunderschöner Tag.
    Eine Bank war auch schnell gefunden, die schön mit Blickrichtung zur Sonne lag, und Axilla setzte sich gemütlich darauf, lehnte sich leicht zurück und genoss einfach die hellen strahlen. Ein wenig verschlafen blickte sie sich um. Kaum zu glauben, dass ein so schöner und friedlicher Ort so viel Grausamkeit gesehen hatte. Und doch war in ihm und für ihn gemordet worden. Messalina soll den einstigen Besitzer, den Consul Decimus Valerius Asiaticus, zum Selbstmord gezwungen haben, nur um die Gärten zu erben. Dabei war er mit ihr verwandt. Und auch ihren Stiefvater, Gaius Appius Iunius Silanus – der über so viele Ecken mit Axilla verwandt gewesen sein mochte, dass sie nicht sagen konnte, wie nun genau – hatte sie wegen angeblicher Verschwörung durch Kaiser Claudius hinrichten lassen. Da war es fast schon ausgleichende Gerechtigkeit des Schicksals, dass sie in just diesen Gärten von den Prätorianern bei einem Fest verhaftet wurde und hier starb.


    Aber auch die größte Schönheit konnte Axilla nicht davon ablenken, weswegen sie eigentlich nach draußen gegangen war. Sie musste noch immer den Artikel über Purgitius Macer schreiben, beziehungsweise über das Gespräch mit ihm. Und sie hatte absolut keine Ahnung, wie sie das vernünftig in Worte kleiden sollte, was alles vorgefallen und besprochen worden war. Was davon durfte sie schrieben, was durfte sie nicht schreiben, was sollte sie mutmaßen, was nicht... Das waren schwierige Fragen, wenn man den eigenen Namen daruntersetzen sollte und das alles mit der Staatszeitung verbreiten wollte. Noch dazu, da sie wohl der ungeeignetste Mensch im ganzen Imperium war, so etwas zu tun. Sie hatte keine Ahnung von Politik. Es interessierte sie auch nicht einmal großartig, mehr aus Tradition denn aus Interesse. Sie hatte keine Ahnung von Intrige, keine Ahnung von den kleinen Feinheiten eines solchen Gesprächs. Und keine Ahnung, wem sie es sonst aufs Auge hätte drücken können, ohne das derjenige durchschaut hätte, dass sie von der Materie keine Ahnung hatte.
    Ein letzter Blick auf die Sonne, dann klappte sie die mitgebrachte Wachstafel auf. Sie hatte sie immernoch, und noch immer stand nicht wirklich viel darauf. Sie hatte sich kaum Notizen bei Purgitius Macer gemacht. Aber was sollte sie sonst anstarren, um auf eine Idee zu kommen, was sie schreiben könnte?



    Sim-Off:

    Falls jemand sich dazugesellen und Axilla vor schlimmen Grübeleien retten will, ist er herzlich eingeladen.

  • Mit jedem Aufenthalt außerhalb der ewigen Stadt hatte Gracchus festgestellt, dass ein Leben ohne Rom kein rechtes Leben war, dass so sehr er auch an manchen Tagen sich grämte über Hektik, Unrat, Lärm, Gedränge oder Pflichten der Stadt er doch nicht ohne sie konnte existieren - und doch, manches mal schien ihm als würden seine Sinne zerspringen, als würde sein Geist implodieren und sein Leib in alle Partikel zerfallen müssen so er auch nur eine geraume Weile noch länger in ihrem Zentrum verweilte. An solchen und similären Tagen bot zumeist die Villa Flavia mit ihrem geschickt angelegten Garten ihm ausreichend Möglichkeit, dem urbanen Trubel sich zu entziehen, doch bisweilen suchte er auch ein wenig Abwechslung in den wunderschönen Gärten Roms, die sommers wie winters mit ähnlicher Kunstfertigkeit und Hingabe wurden gepflegt wie das flavische Anwesen. An diesem Tage hatte es ihn nach der morgendlichen Sitzung im Senat ob dessen in die von Licinius Lucullus angelegten Gärten gezogen, welche recht günstig zum Quirinal lagen, so dass der Weg durch das Stadtzentrum hindurch ihm auf dem Nachhauseweg würde erspart bleiben. Unter seinen Stiefeln knirschten kleine Kiesel, während Gracchus scheinbar ziellos durch die Anlage hindurch schlenderte - gefolgt nur von dem Schatten seines Sklaven Sciurus -, in Gedanken indes den rechten Weg suchte zu einer ganz bestimmten Bank, welche in den Wintermonaten beinahe den gesamten Tag hindurch im vollen Lichte der Sonne stand, dabei rückwärtig von einigen Rhododendren wurde eingerahmt, deren immergrünes Blattwerk den Hauch des Windes fern hielt, der bisweilen aus dem Tal des Tibers durch den Park hindurch wehte, und dabei gleichsam Ausblick bot über Blumenbeete hinweg auf eine Skulptur des Hyakinthos, welche im Frühjahr tatsächlich umringt war von der farbenfrohen Pracht zahlloser Hyazinthen - deren Couleur dann von unschuldigem Weiß, über blasses Mauve und zartes Rosé bis hin zu kräftigem Purpur und leuchtendem Gelb reichte. Obgleich Gracchus' Orientierungsvermögen aufgrund des mangelnden Gebrauches - üblicherweise ging er Sklaven hernach oder wurde von diesen in Sänften getragen - nicht sonderlich ausgeprägt war, so fand er doch schlussendlich anhand der in den Gärten aufgestellten Plastiken und Brunnen den rechten Weg, sah sich indes beim Erreichen seines Zieles mit einer neuerlichen Unwägbarkeit konfrontiert, hatte doch bereits eine andere Person jene Bank im Schein der Sonne okkupiert. Einige Augenblicke blieb Gracchus in einiger Entfernung stehen, unschlüssig über sein weiteres Vorgehen, denn obgleich die zierliche, junge Frau einen durchaus adretten Eindruck auf ihn machte, so scheute er sich doch ein wenig, mit ihr die Sitzgelegenheit zu teilen. Suchend blickte er den Weg zurück, welchen er gekommen war, hernach zur Seite hin, wo ein weiterer schmaler Pfad abzweigte, doch entdeckte er nur in einiger Entfernung eine marmorne Bank, welche sich in den Schatten einer großen Pinie schmiegte - was im hitzigen Sommer zweifelsohne ein angenehmer Platz mochte sein, im allmählich schwindenden Winter indes kaum. Einige Augenblicke noch haderte er mit sich selbst, raffte jedoch schlussendlich die Falten seiner Toga praetexta und setzte sich wieder in Bewegung auf die sonnige Bank zu, schlussendlich war deren Sitzfläche durchaus breit genug, mehrere Hinterteile darauf zu fassen, wiewohl die bereits anwesende Frau ohnehin in den Text einer Wachstafel war vertieft, so dass zu hoffen war, dass Gracchus' Anwesenheit sie nicht weiter würde tangieren - während er selbst ihre Anwesenheit zweifelsohne mühelos würde ausblenden können, sobald seine Gedanken sich in den Wirrungen seines Geistes würden verlieren.
    "Salve"
    , grüßte Gracchus die junge Frau, welche ihm nun bei näherer Betrachtung vage bekannt vorkam, ohne dass er recht wusste, in welche Kreise er sie sollte einordnen.
    "Gestattest du, dass ich die hiesige Seite dieser Bank belege, ist es doch im näheren Umfeld die einzige Sitzgelegenheit, welche bereits mit den Strahlen der Sonne beda'ht wird und sich nicht im Schatten des Winters verbirgt?"

    cdcopo-pontifex.png flavia.png

    IUS LIBERORUM

    PONTIFEX PRO MAGISTRO - COLLEGIUM PONTIFICUM

  • Vielleicht sollte sie es so machen, wie es passiert war? Einfach schreiben, wie es zu dem Gespräch gekommen war, und was Purgitius auf ihre Fragen so geantwortet hatte, ohne großen Schnickschnack? Würden die Leute das wohl verstehen, und wichtiger, würden sie das so lesen wollen? Immerhin war die Acta ja die Staatszeitung, da wollte man lesen, was der Staat gerade wichtiges machte. War das, was der Consul so tat, wichtig? Naja, vermutlich war es das, sonst bräuchte man ja keinen Consul.


    Wie üblich, wenn sie sich ihrer Sache nicht sicher war, kaute Axilla auf ihrer Unterlippe herum. Auch vom auf die Tafel starren wurde es nicht wirklich erkennbarer, was sie tun sollte. Nicht einmal die Sonne mit ihren warmen Strahlen änderte irgendwas daran, dass Axilla keine Ahnung hatte, wie sie die ganze Sache beginnen sollte. Und das war ja eigentlich das einzig schwierige an der Sache, denn war der Anfang gemacht, folgte der Rest schon irgendwie nach. Nur diese ersten Zeilen, die musste man erst einmal finden.
    So langsam versank Axilla in Frust über ihre Ideenlosigkeit, als die Rettung herbeieilte. Vermutlich wusste der Retter nicht einmal etwas von seiner unglaublichen Heldentat. Es würde an ein Wunder grenzen, wenn er auch nur erahnen könnte, wie sehr sich Axilla eine Ausrede gewünscht hatte, um sich mit etwas anderem zu beschäftigen. Aber da stand er, im Licht der Sonne keine zwei Schritte neben ihr, und fragte, ob er sich zu ihr setzen durfte.
    Axilla blinzelte hoch, die Sonne blendete ein bisschen, und schenkte ihrem Retter ein strahlendes Lächeln. “Selbstverständlich gerne, setz dich.“ Erst einen Moment später erkannte sie den dicken, roten Streifen an der Toga, und ein nicht vollkommen unauffälliger Blick in Richtung Schuhe verriet Axilla, welche Stellung der Mann hatte. So kam ein hastig nachgeschobenes “Senator“ nichts desto trotz strahlend über ihre Lippen.
    Irgendwoher kam ihr der Mann vage bekannt vor, aber sie wusste nicht woher. Vermutlich hatte sie ihn irgendwo mal gesehen, als Senator würde er ja durchaus den einen oder anderen öffentlichen Auftritt haben. Und da sie für die Acta arbeitete, sah sie sich den einen oder anderen öffentlichen Auftritt eines Senators schon mal auch an. Aber Axillas Gedächtnis, was das Zusammenbringen von Namen zu den passenden Gesichtern anging, war ohnehin nicht übermäßig ausgeprägt. Vielmehr begnügte sie sich damit, von einer unangenehmen Aufgabe nun abgehalten zu sein und tat das, was all jene taten, die hier und da mal gerne prokrastinierten: Sie sagte sich, dass sie für die unangenehme Aufgabe gar keine Zeit nun hatte, da eine andere Aufgabe so direkt und unerfüllt vor ihren Augen lag. Die einen erkannten dann, wie unaufgeräumt ihre Wohnung war und fingen an, zu putzen, die anderen entdeckten, dass irgendwelche Bücher völlig unalphabetisch geordnet im Regal lagen, wieder andere beantworteten erst einmal liegen gebliebene Korrespondenz. Axilla wiederum sagte sich, dass es doch äußerst unhöflich wäre, einen Senator Roms mit Schweigen zu bestrafen und sich in ihre Arbeit zu verkriechen, wo sie sich doch viel eher mit ihm unterhalten sollte. Ihre Arbeit konnte sie ja immerhin auch später machen, aber der Senator war jetzt hier.


    So wartete Axilla nur gerade, bis der Mann sich gesetzt hatte, als sie auch schon – noch immer mit der Sonne um die Wette lächelnd – ein kleines Gespräch initiierte. “Es ist herrlich hier, nicht? Bei dem vielen Regen in den letzten Wochen weiß man die Sonne erst richtig zu schätzen. Ich kann es schon kaum erwarten, dass endlich Frühling wird und hier dann alles zu blühen anfängt.“
    Sie wandte kurz ihren Blick von den Gartenflächen direkt auf ihren Gesprächspartner. Sie hatte ganz vergessen, sich vorzustellen. “Ich bin übrigens Iunia Axilla.“ Vielleicht nicht die formvollendetste Begrüßung, aber dafür ehrlich.

  • Das Gefühl, als Gracchus' Hinterteil die Oberfläche der Sitzgelegenheit berührte, glich dem Eintauchen in ein warmes, wohliges Bad in der Therme, umspülten doch die Sonnenstrahlen ihn den weichen Wellen des Wassers gleich, strichen über seine Haut mit sanfter Berührung und durchdrangen die Stoffbahnen seiner Kleidung hindurch bis tief in seinen Leib hinein. Obgleich er den Regen seines Ergebnisses wegen durchaus mochte, so bemerkte er in diesem Moment erst, wie sehr er doch die Strahlen der Sonne misste, wie sehr der triste Winter ihn ennuyierte, und er dem Erwachen des Frühlings harrte. Dennoch blieb nicht allzu lange Zeit die stille Wärme alleinig zu goutieren, denn die Frau neben ihm war mitnichten mehr in ihrer Arbeit vertieft, nahm seine Anwesenheit zugleich als Vorwand ein Gespräch zu beginnen – allfällig da er untrüglich als Senator zu erkennen war, wie sie auch mit ihrer Begrüßung hatte bestätigt, allfällig da eine arbiträre Ablenkung von ihrer Tätigkeit ihr mochte gelegen kommen, oder aber auch nur da sie möglicherweise generell affabel war. Einige Augenblicke zögerte Gracchus, lag ihm doch nicht sonderlich viel an belanglosen Gesprächen, war er zudem nicht sonderlich versiert in der Führung solcher, entsann sich jedoch alsbald der senatorischen Pflicht stets für die Belange der Bürger Roms ein offenes Ohr zu haben, so dass er - da eben die Möglichkeit bestand, dass dies der Grund des Gespräches war - es nicht wollte in seinem Keime ersticken - auch um nicht dem Gerede der Straße Vorschub zu leisten, gerade die patrizischen Senatoren würden stets nur ihre hochmütige Arroganz den Bürgern präsentieren und niemals um deren Belange sich sorgen -, und schlussendlich war er zudem auch nicht in die Stille geflohen, sondern nur in Ablenkung des Alltages, welche sich bei einem kurzweiligen Gespräch durchaus würde finden lassen können, wiewohl dies ihm seine Gedanken zweifelsohne weitaus mehr würde zerstreuen als das Verharren in Schweigen, welches stets eher dazu gereichte, seinen Geist anzutreiben.
    "Flavius Gracchus, es ist mir eine Freude dich kennen zu lernen"
    , erwiderte er die Vorstellung, während derer er noch einmal suchte, nun mit der Information ihres Namens ausgestattet, die junge Frau einzuordnen, was ihm gleichwohl nicht wollte gelingen, ob dessen er seine Aufmerksamkeit zurück auf den Garten legte, welcher - ohne dass er dies recht realisierte - ihn sehr schnell in seinen Bann zog und ob der gefühlten Anonymität ihn durchaus wortreich werden ließ.
    "Warst du schon einmal in den Frühlingsmonaten hier, an genau diesem Ort? Von dieser Bank aus hat man dann Aussi'ht über ein schier endlos scheinendes Meer aus Hyazinthen, welche in den prächtigsten Farben die Skulptur umgeben, als hätte Hyakinthos eben erst dort sein Leben gelassen und als hätte Apollon hier an diesem Ort aus dem Blute seines Geliebten dies Blütenmeer entstehen lassen – und bis..weilen mag man sich fragen, wie aus einem menschlichen Leibe so viel Blut zu strömen vermag, dass es für dies Ausmaß an prachtvoller Herrlichkeit konnte gereichen, doch ist man der Schönheit des Anblickes willen geneigt, dies in die unbegreifli'hen Bereiche der Mystik zu verschieben wie man schlussendlich auch die Sage des Hyakinthos selbst nicht anzuzweifeln vermag."
    Als könne er dies Bildnis – das gleichermaßen Vergangenheit wie Zukunft war - vor seinen Augen sehen, legte ein sublimes Lächeln sich um Gracchus' Lippen.
    "So dann noch vom Tiber her ein seichter Lufthauch weht, die Blütenköpfe sanft umschmei'helt und in kaum wahrnehmbare Schwingung versetzt, dann kann man beinahe vergessen, dass man mitten in Rom, im Zentrum der Welt sitzt, umgeben von geschäftigem Treiben."
    Mit dem Blick zurück zu Iunia Axilla kehrend, das feine Lächeln noch immer auf seinem Antlitz tragend, fügte er in leicht humorigem Tonfalle an.
    "Wahrhaft deplorabel, dass diese Illusion alsbald im Sommer durch den ungustiösen Odeur des brackigen Tiber..wassers ein wenig entzaubert wird, wogegen manchen Tages nicht einmal der Hyazinthen Duft sich behaupten kann."
    So war sie nun einmal, die schöne Roma – launenhaft und wankelmütig wie das Leben selbst.

    cdcopo-pontifex.png flavia.png

    IUS LIBERORUM

    PONTIFEX PRO MAGISTRO - COLLEGIUM PONTIFICUM

  • Flavius. Daher kannte sie den Senator also. Bestimmt hatte sie ihn auf der Sponsalia von Nigrina gesehen. Hatte sie sich da mit ihm unterhalten? Kurz musste Axilla überlegen, aber sie kam zu dem Ergebnis, dass sie wohl nicht miteinander gesprochen hatten. Wenngleich Axillas Erinnerung an den Abend nicht so ausgeprägt war. Nachdem erst Piso sie vor aller Augen angegangen war und später Vala vor ihr geflüchtet war und die Vinicia geküsst hatte, hatte sie nicht mehr besonders viel Freude an irgendwelchen Bekanntschaften gehabt und dem Abend nur mit körperlicher Anwesenheit weiter Beachtung geschenkt, während ihr Geist in Schmerz ertrunken war. Aber bestimmt hätte der Flavier etwas gesagt, wenn sie sich schon einmal getroffen hätten.
    Kurz zuckte ein anderer Gedanke noch durch Axillas Geist. Wusste der Flavier wohl, dass sie Piso einen Schlag verpasst hatte? Kurz blickte sie zögerlich zu ihm hoch, erwartete schon eine Schelte. Flaccus hatte ihr ja deswegen abgesagt, sie zu den Lupercalien noch einmal zu treffen, obwohl er zuvor ganz versessen darauf gewesen war. Und wenn der schon so stark reagierte, wie musste es dann erst ein Senator?
    Doch Flavius Gracchus blieb ganz ruhig. Er verhielt sich mitnichten streitlustig oder gar aggressiv ihr gegenüber. Stattdessen erzählte er von dem Garten hier, noch genauer von exakt diesem Platz, an dem sie sich befanden. Von der Blumenpracht, von der Intensität der Gerüche, vom Frühling in all seinen Farben.
    Und während Axilla immer sprachloser und verzauberter einfach zuhörte und ihren Blick wieder über den sonnengefluteten Garten wandern ließ, wurde ihr noch etwas anderes klar. So zu reden war eine Eigenart der Flavier. Bei Piso hatte sie es immer abgetan als Versuch, besonders künstlerisch zu klingen. Immerhin versuchte der, Dichter und Musiker zu sein – auch wenn man letzteres nur mit Watte in den Ohren ertragen konnte. Bei Flaccus hatte sie gedacht, er wolle sie beeindrucken. Oder aber, dass das einfach daran lag, dass er aus Griechenland kam. Aber jetzt redete Flavius Gracchus genauso! Achwas, nicht reden, das traf es nicht. Er malte, komponierte bunte Bilder aus Worten und reihte sie zu einem komplexen Werk, das vor Axillas Auge fast lebendig wurde und ihr einen verträumten Gesichtsausdruck entlockte, während sie ihren Blick über die jetzt noch kargen Wiesen gleiten ließ. Hyazinthen... Axilla hatte keine Ahnung, ob sie schon mal welche gesehen hatte, oder ob sie wusste, wie diese riechen mussten. Aber in ihrem Kopf war es einfach der Geruch von Frühling selbst, und diesen sehnte sie jetzt noch viel mehr als eben schon herbei.
    “Nein, ich war hier noch nie im Frühling, aber jetzt muss ich es mir unbedingt ansehen. Das klingt noch schöner als das Paneion, wenn die Krokusse blühen. Warst du schon einmal da?“ Vielleicht ein wenig naiv, diese Frage zu stellen. Nicht jeder reiste um die halbe Welt, und schon gar nicht wegen einem Garten. Auch nicht wegen den großen Gartenanlagen des Paneions, wo so viele Blumen wuchsen, dass Axilla sie vermutlich selbst dann nicht hätte aufzählen können, wenn sie deren Namen gewusst hätte.

  • Für einen kurzen Moment blitzte ein Funkeln auf in Gracchus' Augen, doch allfällig war dies auch nur die Reflektion der Wintersonne in seinen Pupillen.
    "Das Paneion ... in Alexandria?"
    fragte er als gäbe es einige davon und ließ den Namen der Stadt regelrecht sich auf der Zunge zergehen, während sein Blick beinah ein wenig verträumt zur Sonne empor wanderte, welche auf Rom ebenso unbedarft herab schien wie auf das ferne Alexandria. Unendlich schien die Entfernung zu diesem leuchtenden Rund am Himmel, und da die Sonne von Rom etwa in gleicher Distanz lag wie von Alexandria, so war die Entfernung zu Faustus in diesem Augenblicke gewissermaßen die doppelte Unendlichkeit. Selbstredend war die Strecke nicht tatsächlich ident, war doch allgemeinhin bekannt, dass die Welt rund, darob die Strecke zu einem weit entfernten Punkt über ihr kaum jemals an zwei Orten auf ihrer Oberfläche exakt gleich lang war, doch schlussendlich blieb die Unendlichkeit auch dann noch unendlich, wenn man noch einige Meilen ob der Krümmung wegen hinzurechnete - so dass auch die Entfernung zu Faustus doppelt unendlich blieb und darob eben so unvorstellbar schwer auf Gracchus' Gemüt lastete, wenn auch er dies zumeist tief in sich hinab drängte.
    "Nein, ich war noch nie dort"
    , beantwortete er schlussendlich nach einem kurzen Augenblick stillen Schweigens Axillas Frage und fühlte in sich die Sehnsucht emporsteigen, nicht nur nach dem ihm unbekannten Alexandria, nicht nur nach Faustus - obgleich jene ihm am bedeutsamsten schien -, sondern ebenso nach den Möglichkeiten seiner Jugend, welche ungenutzt an ihm vorbei waren gezogen, nach vertanen Chancen und verpassten Gelegenheiten.
    "Ich wollte immer einmal die Stadt besuchen, hauptsä'hlich der Bibliothek wegen, doch nun ist es wohl zu spät."
    Ein wenig Bedauern mochte wohl in der Couleur seiner Stimme liegen, denn selbst so der Imperator ihm als Senator die außerordentliche Erlaubnis würde einräumen, die kaiserliche Provinz zu betreten - wozu kaum ein plausibler Grund ihm wollte in die Sinne gelangen, welcher einen Kaiser würde von der Notwendigkeit dessen persuadieren können, selbst einen anderen Manne denn Valerianus, der ohnehin in Bezug auf die flavische Familie einen widrigen Sonderfall darstellte -, so würde doch sein kultisches Amt ihn in Rom halten, sah das Collegium es doch überaus widerwillig, wenn die Pontifices allzu weit allzu lange von Rom entfernt blieben - zu schmerzlich erinnerte Gracchus sich daran, wie schnell sie ihn bei seiner letzten, nicht gänzlich freiwilligen Absenz aus der Hauptstadt hatten aus dem Amte entlassen, wiewohl er im Falle eines anderen zweifelsohne similär würde handeln. Um nicht der Tristesse seiner Gedanken zu verfallen - denn eben um dies zu vermeiden, hatte er schlussendlich den Garten visitieren mögen -, suchte er mehr über den Aufenthalt der Iunia in der fernen Provinz herauszufinden.
    "Was hatte dich dort hingeführt, nach Aegytpus? Doch zweifels..ohne nicht die Blüte der Krokusse im Paneion?"
    Er schmunzelte leicht bei der Vorstellung, dass jemand eine solche Reise zum Studium der Pflanzenwelt mochte unternehmen - wiewohl es zweifelsohne auch Philosophen gab, welche auf dieses Gebiet sich spezialisiert hatten.

    cdcopo-pontifex.png flavia.png

    IUS LIBERORUM

    PONTIFEX PRO MAGISTRO - COLLEGIUM PONTIFICUM

  • Eifrig nickend bestätigte Axilla seine Frage nach dem Paneion. Ihr war zwar neu, dass es noch andere Paneion geben könnte, davon hätte sie sicher gelesen. Es war auch der einzige künstlich aufgeschüttete Berg, der ihr bekannt war. Aber vielleicht wusste der Flavier mehr, und Axilla war grade zu froh um die Ablenkung von der Arbeit, als dass sie sich darüber wirklich ernste Gedanken machen würde.
    “Ja, in Alexandria. Das ist auch wunderschön. Wenn hier Winter ist, regnet es dort ja sehr viel. Das ist dann direkt unheimlich, wieviel Regen der Boden dort aufnehmen kann. Und dann, von einem Tag auf den anderen, hört es auf zu regnen, und die Sonne kommt wieder heraus. Noch nicht so heiß wie im Sommer. Im Sommer kann man Mittags kaum auf die Straße. Aber im Frühjahr, wenn die Nilschwemme anfängt, dann ist es wunderbar warm, und die Luft ist dann noch nicht so schwer und süß. Dann muss man ins Paneion, weil dann blühen da die Krokusse in Gelb und Weiß und zartem Violett... die Gärtner dort bauen dann Muster und Bilder aus den Blumen, ein ganzes Meer davon, so weit das Auge reicht. Und der Duft... das ist, als würde man durch einen Traum laufen. Wobei das Paneion immer wie aus einem Traum ist. Als hätten Faune und Nymphen ihre Musik gespielt.“
    Kurz wurde Axillas Blick ein wenig glasig, als sie die Erinnerung vor ihrem geistigen Auge lebendig werden ließ. Sie vermisste Ägypten und die Art, die es einfach an sich hatte. Das ganze Land schien ein wenig wie aus Morpheus Reich. Das mochte natürlich auch an dem Opiumrauch liegen, der dort gerne mal durch die Straßen zog, aber es war mehr als das. Hier in Rom war es zwar auch wunderschön, aber es war einfach... kälter. Und Axilla meinte nun nicht das Wetter. Hier waren alle so beherrscht, so streng, so ruhig. In Ägypten waren die Themen zwar nicht weniger ernsthaft, und doch erschien ihr dort einfach alles bunter. Emotionaler. Wärmer einfach.


    Die Feststellung, dass der Flavier das wohl nie sehen würde, machte sie ein wenig verlegen, und genau so lächelte sie. Sie wollte dem Mann ja nichts schmackhaft machen, was er nie sehen würde. Wobei... “Vielleicht gibt dir der Kaiser ja eine Erlaubnis? Flavius Furianus war ja auch da.“ Mit der hoffnungsvollen Zuversicht der Jugend sah sie den Verwandten eben jenes erwähnten Flaviers an, aber irgendwie schien sich ihr Optimismus nicht ganz auf den Mann zu übertragen. Er schien ihr eher nachdenklich denn hoffnungsfroh.
    Und seine Frage brachte sie sowieso auf andere Gedanken. “Ich?“ fragte sie kurz etwas überrascht nach. Nun, das war ja eigentlich ganz einfach. “Zu der Zeit waren dort meine nächsten, lebenden Verwandten, und nach dem Tod meiner Mutter konnte ich nicht allein in Hispania bleiben. Ich war ja noch nicht ganz sechzehn und unverheiratet.“ Undenkbar, wenn sie da allein geblieben wäre. Selbst wenn die Krankheit ihrer Mutter sie nicht in solche Schulden gestürzt hätte, dass sie das Land und das Haus sowieso nicht hätte halten können. Ein junges Mädchen ohne Mann und ohne Verwandte, die es verheiraten könnten, das war schlicht undenkbar. Sie brauchte ja einen Tutor, wenn es irgendetwas wichtiges gab.
    “Aber das war wirklich ein Glück. Wo du die Bibliothek erwähnt hast... Das Museion ist wirklich atemberaubend. Ich meine... ich hab noch nie so viele Schriften auf einem Platz gesehen. Die flavische Bibliothek ist ja auch schon sehr umfangreich“ - Axilla wusste das ja, Flaccus hatte sie ihr ja gezeigt – “...aber das wäre nicht einmal einer der Räume dort. Sie haben Schriften dort, die so alt sind, dass man sie schon zum dritten Mal abschreiben musste, weil das Papier sonst längst verwittert wäre. Weißt du, ich war ja Scriba des Epistates tou Museion.“ Auch wenn Nikolaos Kerykes diese Stelung nicht lange innerhatte, als Axilla dann abreiste. “Und da durfte ich manchmal zusehen, wenn sie Schriften übertragen haben. Aber einige davon waren in Sprachen, da weiß ich nicht einmal, ob das irgend jemand lesen kann.“
    Und jetzt hatte sie schon wieder von etwas geschwärmt, was der Flavier wohl nie sehen würde. Schlechtes Gewissen machte sich in Axilla breit und hinterließ einen ganz bitteren Geschmack auf ihrer Zunge. Sie wollte ja nicht gemein sein. Also blieb nur eines: Ablenken.
    “Hast du schon einmal eine größere Reise gemacht?“ Wenn er nicht in Ägypten war, war er ja vielleicht irgendwo anders. Hoffentlich, denn so würde er ein wenig reden und Axillas kleiner Fauxpas wäre galant überspielt.

  • Obgleich Axilla recht eilig durch die Jahreszeiten hindurch sprang, folgte Gracchus ihr mit jedem Wort, sah die Fluten des strömenden Regens, der im morastigen Grunde versickerte, der noch mehr Unrat mit sich hinfort schwemmte als in Rom und die prachtvolle Stadt zurück ließ im schimmernden Glanz perlender Tropfen, schmeckte die süße Hitze der gleißenden Sonne, die flirrende Luft, welche man kaum noch konnte atmen, an welcher gleichsam man dort sich labte wie in Italia an Wein, sah den opulenten Blumenrausch in pasteller Couleur, welcher sanft auf den Wogen der Strömung schaukelte, zog den betörenden Odeur dieses Oceanos in seine Nase dass vor seinen Augen beinahe blümerant ihm wurde, und lauschte den harmonischen Klangkaskaden, zu welchem die Spielleute des Pan aufspielten, im einen Augenblicke pompöses Geschmetter aus Blütenkelchfanfaren und das Krachen des Trommelschlages auf hohlem Stamm, im nächsten klandestines Flötenwispern aus Grashalmen belgeitet vom zarten Choral der raschelnden Blätter. Auch Gracchus vermisste das nie gekannte Alexandria, auf seine eigene Art und Weise, welche jedoch ebenso wie das Sehnen Axillas geprägt war durch die Realität Roms.
    "Furianus war in Aegyptus?"
    fragte er sodann derangiert nach. Er konnte nicht sich dessen entsinnen, nicht an den Grund für einen Dispens, nicht an den Grund für diese Reise. Dann jedoch wurde ihm bewusst, dass er wohl wissen sollte, dass sein Vetter war dort gewesen, dass dies Geschehen allfällig in jenen Zeitraum fiel, von welchem er kaum noch etwas wusste, was wiederum die Iunia wie der Rest der Welt nicht musste wissen, ob dessen er bestätigend, wenn auch nicht gänzlich überzeugend, nickte.
    "Natürli'h war er dort, ja, ich er..innere mich. Doch für einen solchen Dispens ist ein durchaus gewi'htiger Grund vonnöten, wiewohl noch mehr mein kultisches Amt mich in Rom hält. Doch allfällig irgendwann einmal ..."
    Auch diese Worte klangen nicht sonderlich überzeugt, so dass auch Gracchus wiederum nur allzu gerne von dieser Causa sich ablenken ließ. Von einem kurzen Ausflug nach Hispania, gleitet von trüben Reminiszenzen an den Tod, führte die Reise zurück nach Alexandria, direkt in das graue Zentrum von Wissen und Weisheit, wo Buchstaben in harmonische Melodien sich reihten, wo Worte zu epischen Liedern von sanfter Klangfarbe sich fügten, und Schriftrollen zu monumentalen Konzerten sich auftürmten, welche allfällig niemand mehr würde mit seinem Geiste erfassen können, doch unbezweifelt einem jeden Menschen sich tief in die Seele mussten prägen, dass ihm nicht mehr würde bleiben als in ehrfürchtiger Andacht zu Staub zu zerfallen ob der Unermesslichkeit dieser Schätze, gegen welche alles was Gracchus je hatte gesehen, gehört, gelesen und gespürt, alles was er sorgfältig in seinem Gedankengebäude hatte zusammen getragen würde verblassen einer Träne gleich gegen den Oceanos.
    "Achaia"
    , bekannte er leise auf ihre Frage nach einer großen Reise, doch obgleich dies einstig seine innere Heimat war gewesen, obgleich er nur gute Erinnerungen damit verband - zu gut beinah, dass sie längst wieder schmerzlich waren -, so wirkte die Wiege der römischen Kultur und Philosophie doch nurmehr blass und farblos verglichen mit der Traumwelt Aegyptens.
    "Hauptsächlich Athenae. Als ich noch sehr jung war schickten meine Eltern mich zur Erziehung und Aus..bildung dorthin, so dass ich mehrmals die Reise von Rom nach Athenae und zurück auf mich nahm, auch später noch einige Male."
    Auf der Insel Creta hatte er ebenfalls einige Zeit verbracht, doch war dies eine ihm überaus unangenehme Episode seiner Jugend, so dass er dies nicht wollte erwähnten, ebenso nicht, dass er gar schon einmal auf einem Schiffe im Hafen Alexandrias vor Anker hatte gelegen ohne das Festland zu betreten, war dies doch ohnehin eine Reise gewesen, deren er kaum nur sich konnte entsinnen. Damals war er seiner geliebten Base Leontia hernach gereist, welche geglaubt hatte mit ihm gen Süden aufgebrochen zu sein, tatsächlich jedoch seinem Bruder war gefolgt, und schon kurz nachdem das Schiff in Ostia den Anker hatte gelichtet, war nicht nur die übliche Gräuel der Reise über Gracchus hereingebrochen, sondern ein fiebriges Delirium, welches erst zurück in Baiae allmählich von ihm war gewichen, ihm einige Zeit noch hatte Aufschub gewährt vor der bitteren Wahrheit, dass das Schiff mit Leontia an Bord niemals an irgendeiner Küste war angelangt. Doch all dies war nurmehr nebulös in seiner Erinnerung, glich der Begegnung mit Quintus similär ihm beinah wie die lückenhaften Reste eines Traumes, eines Albtraumes, welchen er hätte nur allzu bereitwillig von sich abgeschüttelt, hätte nicht die Realität, die Abwesenheit Leontiens ein solch gewaltiges Loch in sein Herzen gerissen, dass es noch immer spürbar dort klaffte, dass es vermutlich niemals zur Gänze sich würde schließen können.
    "Allerdings finde ich ohnehin nur wenig Gefallen an der Reise an sich, genau genommen ist es mir sogar ein rechtes Gräuel, ins..besondere so es eine Schiffspassage inkludiert. "
    Ein leicht verlegenes Lächeln stahl sich um seine Lippen, und neuerlich suchte er darob von sich abzulenken.
    "Du hast die flavische Bibliothek in Bezug zum Museion in Alexandria erwähnt - zu welchem Anlass hattest du Gelegenheit sie zu sehen?"
    Es verstärkte in ihm den Eindruck, dass er hätte sich an die Iunia entsinnen müssen, andererseits indes hätte in diesem Falle sie nicht sich ihm vorgestellt.

    cdcopo-pontifex.png flavia.png

    IUS LIBERORUM

    PONTIFEX PRO MAGISTRO - COLLEGIUM PONTIFICUM

  • Zuerst klang es wie eine Frage, als Gracchus Furianus ansprach. Axilla nickte freundlich und eifrig, und erst einen Moment später kam ihr die Frage, warum der Flavier hier das nicht wusste. Flavius Furianus war ja auch nicht irgendwer gewesen, und da hatte sie erwartet, dass die anderen Flavier das von seiner Krankheit und dem Aufenthalt in Ägypten zur Gesundung wussten. Aber einen Moment später relativierte Gracchus auch schon Axillas Überlegungen. Vielleicht war es ihm auch einfach kurz entfallen? Axilla sah den Mann neben sich an und überlegte, wie alt er wohl war. Eigentlich noch nicht so alt, dass einem etwas entfiel, aber vielleicht war er in Gedanken auch nur gerade bei den Hyazinthen und Krokussen gewesen und hatte nicht richtig zugehört. War auch nicht weiter wichtig.
    “Achso. Aber vielleicht kannst du später einfach den Kaiser ja fragen, vielleicht erlaubt er es ja. Irgendwann mal.“ Irgendwann mal. Axillas Lieblingszeit. Irgendwann mal würde sie verheiratet sein und einen Sohn haben, auf den ihr Vater stolz wäre. Irgendwann mal würde diese Sehnsucht in ihr aufhören. Irgendwann mal würde sie ihrer Gens sicher Ehre machen. Irgendwann mal. Und irgendwann mal, da war sie zuversichtlich, würde der Flavier hier neben ihr Ägypten besuchen können. Wenn ihn sein Amt nicht mehr in Rom hielt, welches auch immer das war. Axilla hatte keine Ahnung, wenn sie ehrlich war. Sie wusste, er war nicht Konsul, und sie meinte, irgendwas gelesen zu haben, er wäre gewählt worden. Sie hatte ja noch die Meldung Korrektur gelesen. Notgedrungen aufgrund ihrer Aufgabe als Lectrix der Acta. Aber was genau... Fehlanzeige. War auch nicht weiter wichtig, um sich mit ihm hier zu unterhalten.


    Und er war in Achaia gewesen, genauer gesagt in Athen. Zur Ausbildung, wie es sich für einen jungen Mann gehörte. Axilla hörte den wenigen Worten zu und war fast ein bisschen eifersüchtig. Ihre Ausbildung war bei weitem nicht so tief gegangen. Iason, einer der Sklaven, hatte ihr Lesen und Schreiben beigebracht und war dann an dem Versuch mitunter verzweifelt, ihr Interesse für andere Dinge zu wecken als für Schlachten und Gemetzel. Mit verschiedenen Epen hatte er da Glück, so dass Axilla Homer fast auswendig runterrezitieren konnte. Mit Mathematik eher weniger; diese Lektionen waren die gewesen, die Axilla zum ausgiebigen Aus-dem-Fenster-gucken und mitunter auch zum Aus-dem-Fenster-klettern-und-flüchten genutzt hatte. Aber auf dem Hof in Hispania ohne nennenswerte höhere Gesellschaft war das auch nicht weiter wichtig gewesen. Und ihr Vater hatte sie nie wirklich geschimpft, wenn er denn mal zuhause war, also hatte Axilla es auch nie ernst genommen.
    So wog die eigentliche Freude über ihr doch sehr freies und unbeschwertes Leben zu einer Zeit, in der noch alles einfach gewesen war, die Eifersucht, keine tiefgreifende und für Mädchen ohnehin unübliche Bildung erhalten zu haben, bei weitem auf. Einzig ein wenig Wehmut blieb bei der Erinnerung an diese Zeit, die so abrupt mit dem Tod des Vaters geendet hatte.


    So schwieg Axilla zu der Erzählung, sah hinaus in den von der Frühjahressonne beschienenen Garten. Irgendwas war in der Aussprache des Mannes neben ihr, was nicht ganz passte. Er verschliss manche Silben ein wenig, als würde er nicht richtig Luft kriegen, und Axilla kaute sich kurz verlegen auf der Unterlippe rum. Neugierig wäre sie ja gewesen, ihn zu fragen, wie das kam. Sehr neugierig sogar. Es fiel ja durchaus auf. Aber sie traute sich nicht. Sie konnte ja schlecht fragen 'Du, sag mal, warum sprichst du so komisch?'. Das wäre arg unhöflich und obendrein unheimlich kindlich gewesen. Und Axilla musste zumindest erwachsen und gesittet scheinen. Sie hatte es sich vorgenommen. Sie durfte nicht mehr einfach fliehen und sich kindisch verhalten, wenn ihr etwas nicht so gefiel. Kein Aus-dem-Fenster-klettern mehr.
    Zum Glück aber unterbrach der Flavier sämtliche Gedanken in diese Richtung ohnehin dadurch, dass er sie nach der flavischen Bibliothek fragte. “Oh, Flavius Flaccus war so nett, mich einzuladen. Eigentlich wollte er mir ja den Garten zeigen, aber dann hat es geregnet und wir waren ganz nass und haben uns dann in die Bibliothek verlagert.“ Axilla erzählte es, bevor sie so recht darüber hatte nachdenken können. Durfte man das so erzählen? Das klang ja fast, als hätte Flaccus Interesse an ihr, wenn sie das so hörte. “Er und ich haben uns auf der Sponsalia von Flavia Nigrina und Aurelius.... Name vergessen. Verdammt! “... kennengelernt und ein wenig unterhalten. Über Nymphen, zufälligerweise. Ich denke, dass er mich deshalb in den Garten eingeladen hat.“ Gut, das war jetzt auch nicht wirklich besser. Einfach weiterreden und hoffen, dass sie den Politiker mir Ausbildung in Achaia neben ihr irgendwie damit aus dem Konzept brachte. Wunder passierten ja manchmal immer wieder, und vielleicht interessierte ihn das ja auch gar nicht so. “Die Sponsalia war übrigens wirklich sehr schön. Ich glaube aber, wir sind uns dort nicht vorgestellt worden. Aber vermutlich hattest du da auch viel zu tun, es waren ja einige Politiker da, und als Verwandter der Braut... Ich hab Nigrina übrigens schon eine Weile nicht gesehen. Weißt du zufällig, ob es ihr gut geht? Ich denke, ich muss ihr mal wieder schrieben und sie einladen oder sowas.“ Das war jetzt nicht hohe Konversation gewesen, aber was besseres fiel Axilla auf die Schnelle nicht ein.

  • Irgendwann mal - das klang auch für Gracchus durchaus agreabel, obgleich es in seinen Gedanken eher irgendwann einmal mochte lauten. Irgendwann einmal würde er nach Aegyptus reisen, und irgendwann einmal würde er sich über alle familiären Erwartungen und öffentlichen Konventionen hinwegsetzen und tun, was ihm beliebte. Irgendwann einmal würde er immerhin auch sterben, und da dies zweifelsfrei gesichert war, so musste dies auch für alles andere gelten, das irgendwann einmal würde stattfinden - obgleich er sich musste eingestehen, dass er darüber keine philosophische Diskussion würde führen wollen, schien ihm die logische Beweisführung doch durchaus ein wenig mangelhaft. Keinesfalls mangelhaft war indes in diesem Augenblicke Gracchus' Auffassungsgabe bezüglich Flaccus' Einladung, wenn auch die Information nur sukzessive sich in seinen Verstand hin vorarbeitete. Flaccus hatte die Iunia eingeladen. Um ihr den Garten zu zeigen. Weil er sich mit ihr über Nymphen unterhalten hatte.
    "Nymphen?"
    fragte er skeptisch, ohne dessen sich bewusst zu sein, die Frage laut ausgesprochen zu haben, wiewohl dabei seine linke Braue deutlich in die Höhe sich hob, als wolle sie den Zweifel an der Vernunft seines Vetters noch unterstreichen, und sein Verstand zu der Bestrebung überging, die junge Frau vis-à-vis ein wenig genauer einzuschätzen. Axilla war eine durchaus attraktive, junge Frau, jung genug womöglich, um noch nicht verheiratet zu sein, wiewohl Gracchus derzeitig nicht - ohne dass dies wäre auffällig geworden - konnte eruieren, ob sie dem patrizischen Zweig der Iunia entstammte, wodurch ein etwaiges Interesse seitens Flaccus sich würde in Ansätzen begründen lassen, wiewohl auch dann noch eine solche Einladung nicht der rechte Weg wäre gewesen, notwendige Verhandlungen einzuleiten. Doch auch ohne diesen Hintergedanken, oder gerade dann, war etwas Ungeheuerliches an diesem Besuch einer jungen Dame im Heim eines jungen Patriziers, da beide sich kaum wohl kannten, augenscheinlich nur einmal zuvor hatten miteinander gesprochen. Gleichwohl schien die Iunia, wenn auch sie wohl ein wenig unbedarft die Einladung hatte angenommen, diese nicht provoziert zu haben, so dass er sie ob dessen nicht wollte in diese Richtung zu Rede stellen, sondern sich vornahm, Flaccus zu diesem Ereignis zu befragen und gegebenenfalls zu tadeln. Vorerst aber suchte er sich an die erwähnte Sponsalia zu entsinnen - Nigrinas Sponsalia, die noch vor Nigirnas Hochzeit war gewesen, vor Pisos Sponsalia und Hochzeit zudem, welche rückwirkend betrachtet wie all die anderen Feierlichkeiten dieser Art in Gracchus' Erinnerung zu einer Art Meta-Feierlichkeit verschmolzen, welche stets irgendwie ident waren geartet, bei welchen gegessen und konversiert wurde, bei welchen er stets mit allerlei Menschen einige Worte wechselte ohne tatsächlich etwas zu sagen - selbst seine eigene Hochzeit stach dabei nicht heraus, abgesehen von dem Gefühl des latenten Unwohlseins, welches an diesem Tage ihn hatte belgeitet, welches jedoch auch danach nicht gewichen war, und der abominablen Fährnis der Hochzeitsnacht. Darüberhinaus mochte er solcherlei Feierlichkeiten schon allein der vielen Menschen wegen nicht.
    "In der Tat, eine sehr schöne Sponsalia ..."
    , pflichtete er dennoch bei, schlussendlich wäre ihm wohl in Erinnerung geblieben, wäre es keine Sponsalia gewesen, welche man allgemeinhin als schön erachtete.
    "Allfällig habe ich einige Worte mit deinem Gemahl gewechselt?"
    suchte er sodann unauffällig - dabei überaus ungeschickt, hätte ein potentieller Gemahl ihm doch zweifelsohne seine Gattin vorgestellt - ein wenig mehr über den Status Axillas herauszufinden, welche dies zweifelsohne darauf würde in entsprechender Art und Weise bekräftigen oder verneinen, abhängend davon ob sie verheiratet war oder nicht, ob sie mit ihrem Ehemann auf der Sponsalia gewesen war, als Begleitung ihres Vaters oder eines anderen Verwandten - dass sie alleine gekommen wäre, schloss Gracchus schlichtweg aus, da dies nicht in sein Weltbild mochte sich einfügen.
    "Nigrina geht es bestens im Hause der Aurelia."
    Zumindest glaubte er dies, hatte nichts anderweitiges gehört. Andererseits indes hatte er auch stets geglaubt, seiner Schwester gehe es gut, bis dass sie ein Messer sich in ihr Herzen hatte gerammt. Er hatte auch stets geglaubt, Caius wäre glücklich zurück in Rom, bis dass er ihn ohne ein Wort hatte verlassen. Und er hatte geglaubt, Vera befände sich auf dem Wege der Besserung solange sie in Rom war, bis dass nurmehr ihr Leichnam zurück geblieben war. Zumeist war er schlussendlich wohl eher der letzte, welcher bei anderen eine emotionale, psychische oder physische Malaise bemerkte, häufig erst dann, wenn es zu spät war, dies zu konterkarieren - wiewohl ihm dies auch nicht sonderlich ungewöhnlich schien, konnte er doch in niemandes Inneres hineinblicken, so dass er davon ausging, dass dies allen anderen Menschen ebenso erging.
    "Woher kennt ihr euch, du und Nigrina?"
    Obgleich er nicht sonderlich versiert war in Plaudereien über Belanglosigkeiten, so suchte Gracchus nun doch dieses unverhoffte Gespräch in Gange zu halten, genoss er doch die ein wenig ungestüme Leichtigkeit und unbedarfte Nonchalance Axillas Sprache, welche ihm so different schien zu der eigenen, dabei indes nicht platt oder plump wirkte, sondern durchaus ein gewisses Maß an Esprit inkludierte.

    cdcopo-pontifex.png flavia.png

    IUS LIBERORUM

    PONTIFEX PRO MAGISTRO - COLLEGIUM PONTIFICUM

  • Leider, leider hatte der Flavier wohl doch genauer zugehört, als Axilla das eigentlich gesagt hatte. Und so bekam seine hochgezogene Augenbraue ein entschuldigendes und eindeutig peinlich berührtes Lächeln als Antwort, als er noch einmal nach den Nymphen fragte. Sie konnte ja nichts dafür, dass Flaccus da so ein Faible für die Wald- und Wiesengeister zu haben schien, dass ausgerechnet das ihr Thema gewesen war. Wobei sie sich auch nicht unbedingt gegen dieses leichte Thema gewehrt hatte und gern auch neckisch darauf eingestiegen war. Und so nickte sie nur mit einem kurzen, schüchternen Blick und war nur allzu froh, dass das Thema doch nicht weiter vertieft wurde.
    Wenngleich die Freude nur kurz hielt. Gracchus war zwar durchaus so gnädig, das Gesprächsthema auf die scheinbar sicherere Sponsalia zu verlagern, allerdings suchte er überaus zielsicher das Thema aus, über das Axilla am liebsten geschwiegen hätte. Oder besser gesagt, eines der Themen. Immerhin war ja durchaus noch mehr vorgefallen, über das Axilla nicht so gerne sprach. Wie Piso betrunken und in schwarz gekleidet zu ihr gekommen war und sie angepöbelt hatte, das Gespräch mit Flaccus damit unterbrochen hatte, ehe er sich taumelnd verabschiedet hatte, beispielsweise. Oder auch, dass sie Vala hinterhergelaufen war, was vielleicht auch der ein oder andere gesehen haben mochte. So im Nachhinein betrachtet war es wohl eine Schnapsidee gewesen, das Thema der Sponsalia als Ablenkungsmanöver anzuschneiden.


    Aber hinterher war man ja immer schlauer. In der Gegenwart stand Axilla nun vor der Aufgabe, eine passende Antwort zu geben, während sie noch gleichzeitig über die exakte Bedeutung des Wortes 'allfällig' nachgrübelte und kurz überlegte, ob 'Mein Mann war zu diesem Zeitpunkt schon allfällig tot' eine inhaltlich korrekte Erwiderung darstellte.
    Etwas verlegen wanderte ihr Blick wieder zu den grünen Rasenflächen, während ihre Beine in einer mädchenhaften Bewegung kurz über den Kies zu ihren Füßen scharrten, als sie diese näher zur Bank zog. “Nein, hast du sicher nicht. Zu diesem Zeitpunkt war ich bereits verwitwet und die Trauerzeit für meinen Ehemann vorüber.“ Plusminus ein paar Tage, so genau nahm Axilla das nicht. Nachdem Archias ihr in den letzten Monaten vor seinem Freitod das Leben alles andere als leicht gemacht hatte, sie eingeengt hatte und sie sich zuletzt dazu entschlossen hatte, sich scheiden zu lassen, ungeachtet der Konsequenzen, war sie zwar durchaus traurig über seinen Tod gewesen, aber nicht so sehr, als dass sie zehn lange Monate nur in Sack und Asche herumgelaufen wäre, weil sie selbst sich ins Reich der Toten an seine Seite gesehnt hätte.
    Aber Axilla führte das Thema nicht von sich aus näher aus. Wenn es Gracchus interessierte – oder er schlicht nicht merkte, dass sie sich bei dem Thema nicht besonders wohl fühlte – stand zu befürchten, dass er weiter nachfragte. Aber sie musste nicht von sich aus tiefer in die Materie vordringen, als unbedingt notwendig.


    Leider erwies sich das Ausweichthema aber als nicht minder schwierig. Oder aber der Flavier hatte einfach ein natürliches Talent dafür, genau das zu fragen, was nur mit sprachlichem Feingefühl als absolut harmlos und unbedeutend hingestellt werden konnte. Auf der anderen Seite hatte Axilla vielleicht auch nur ein Talent dafür, sich außerhalb der Etikette zu bewegen und damit irgendwie durchzukommen. Ihr lag Chaos schon immer näher als Kosmos, und irgendwie funktionierte es ja dennoch.
    “Wir haben uns eher zufällig getroffen, bei... Spielen.“ Axilla war eine miserable Lügnerin, aber Halbwahrheiten beherrschte sie meist ganz gut. Dennoch zögerte ihre Stimme kurz, ehe sie ein klein wenig flunkerte, wobei die Halbwahrheit auch nicht unbedingt besser wäre. Sicher, ganz Rom schaute sich spiele an, aber hauptsächlich das männliche Rom und nicht sittsame Bürgerinnen. Wobei niemand behauptet hatte, sie und Nigrina wären sittsame, brave Hausmütterchen. Dennoch war es Axilla ein wenig peinlich, immerhin wollte sie Nigrina nun auch nicht schlecht bei ihrem Verwandten dastehen lassen. “Und wir kamen zufällig ins Gespräch, da unsere beiden Custodes Corporis einen ähnlichen Hintergrund teilen.“ Oder anders, beide trainierten beim gleichen Ludus. Da sich eine römische Bürgerin im allgemeinen aber wegen möglicher Gerüchte nicht mit Gladiatoren abgeben sollte – auch wenn solche zu besitzen, gerade als Wächter, durchaus in Mode war und sie nützlicher waren als deliciae, die in etwa denselben modischen Standard erfüllten – vermied Axilla es, das so direkt anzusprechen. “Und ich muss sagen, sie ist wirklich eine sehr angenehme Gesprächspartnerin gewesen. Sehr humorvoll und intelligent.“ Oder anders, sie hatten sich nicht über Wetter, Frisuren und den neuesten Schnitt der Kleider unterhalten, was Axilla insgesamt sehr langweilig fand.

  • Über dem Hyacinthus zog ein Rabenvogel seine Kreise, dessen dunkle Silhouette deutlich gegen den blassblauen Himmel sich abhob, schien einige Augenblicke darüber zu sinnieren, sich zur Erde hinab zu begeben in das Meer aus noch in der Erde schlummernden Blumen, entschied sich jedoch letztlich dafür, in Richtung des Campus Martius weiter zu fliegen - allfällig da die imaginierten Wogen nicht suffizient für ihn waren, allfällig auch nur da er ganz unpoetisch dort auf besseres Futter hoffte.
    "Oh"
    bemerkte Gracchus derweil beinah ein wenig peinlich berührt.
    "Das ist über..aus deplorabel."
    Da jedoch der Tod Axillas Ehemann weit über ein Jahr zurückzuliegen schien, entschied er sich dennoch dafür in Erfahrung zu bringen, mit wem sie verheiratet gewesen war, um allfällig über diese Information einen Rückschluss auf ihren Status ziehen zu können - welcher für diesen Augenblick im Grunde gänzlich irrelevant war, doch in Hinblick auf Flaccus' Einladung Gracchus keine Ruhe wollte lassen. Weiters war ohnehin nicht anzunehmen, dass die Erwähnung des Toten die junge Frau sonderlich aus dem Konzept würde bringen, schlussendlich wurden römische Ehen nicht aus Liebe geschlossen und dafür, dass solcherlei Emotionalität bereits nach langer Gewohnheit zwischen Axilla und ihrem verstorbenen Gatten mochte erwachsen sein, war sie wohl ein wenig zu jung. Und selbst wenn anderes wäre zu erwarten gewesen, selbst so Axilla in desperater Couleur betrübte Worten über ihren verstorbenen Gemahl hätte verloren, so hätte Gracchus letztlich kaum wohl nur realisiert, dass das Thema seinem Gegenüber unangenehm war, wie er selten solcherlei latente Gefühlsregungen bemerkte.
    "Darf ich denno'h fragen, wer dein Gemahl gewesen ist?"
    Axillas Befürchtung über allfällig für eine junge Römerin ihres Standes ungebührliches Verhalten durch den Besuch von Spielen war indes gänzlich unnötig, denn ohne darüber groß nachzudenken ging Gracchus ganz selbstverständlich davon aus, dass sein Gegenüber und seine Base sich bei Theaterspielen hatten kennengelernt - nicht nur Iunias wegen, sondern vielmehr aus dem Grunde, dass Nigrina eine Schwester Leontias war, und er darob auch dieser den feinsinnigen Esprit und die gesittete Kultiviertheit unterstellte, welche seiner Lieblingsbase waren zu eigen gewesen - zumindest aus seiner Sicht. Zwar war ihm dabei nicht gänzlich verständlich, wie die beiden Custodes Corporis in dieses Bild sich wollten einfügen, doch schien dies ihm eher eine vernachlässigbare Marginalität zu sein.
    "Das ist sie in der Tat"
    , bestätigte er darob Axillas Einschätzung seiner Base, obgleich er selbst bisherig so gut wie kein einziges, auch nur halbwegs tiefgehendes Gespräch mit Nigrina hatte geführt, denn zu jenen Zeiten als er mit Leontia in Ravenna über tiefgründige Gedanken, Ideen, Philosophien und Epen hatte parliert, war Nigrina noch ein für ihn gänzlich uninteressantes Kind gewesen, und in der kurzen Zeit da sie in Rom bis zu ihrer Hochzeit in der Villa Flavia hatte gewohnt, hatte sich keine zufällig Gelegenheit ergeben, wiewohl er keinen speziellen Grund hatte gefunden, das Gespräch mit ihr zu suchen.
    "Welches Stück habt ihr euch angesehen?"
    fragte er sodann interessiert weiter, waren doch ludi scaenici nicht nur ein Gesprächsfeld, auf welchem er bedenkenlos sich konnte bewegen, sondern ebenso eines, welches er selbst überaus ästimierte ob seiner eigenen Begeisterung für die Aufführung von Stücken aller Couleur.

    cdcopo-pontifex.png flavia.png

    IUS LIBERORUM

    PONTIFEX PRO MAGISTRO - COLLEGIUM PONTIFICUM

  • Deplorabel, ja, in der Tat. Wenn ein Wort traf, was Axilla bei der ganzen Angelegenheit fühlte, war es wohl deplorabel. Zutiefst deplorabel. Nicht, dass ihr dieses Wort je eingefallen wäre, aber jetzt, wo sie es hörte, konnte sie innerlich nur zustimmen. Es waren einige Dinge vorgefallen in diesem Zusammenhang, die sie bedauerte. Dass sie und Archias im Bett gelandet waren, als dieser noch mit Seiana verlobt gewesen war. Dass sie darüber hinaus schwanger geworden war. Dass der Abbruch nicht geglückt war und sie dabei beinahe selbst gestorben wäre. Dass Archias das alles rausgefunden hatte. Dass er so unendlich eifersüchtig auf Vala bei der Hochzeit der Tiberia und des Aurelius reagiert hatte, so dass er da den Grundstein für seine eigene Paranoia und seinen Abstieg im Ansehen in der Gesellschaft gelegt hatte. Dass er sich mit Seiana so zerstritten hatte, dass er die Verlobung gelöst hatte. Dass er sie geheiratet hatte, obwohl sie ihn mehrfach gebeten hatte, sich das mit Seiana noch zu überlegen. Der Überfall in der Subura, bei dem Axilla dann das Kind doch verloren hatte. Die ganze Zeit der Ehe, wo sie fast nur gestritten hatten. Vor allem über Vala, den Archias unbedingt als Mörder des Kindes sehen wollte und wo er sich nicht davon abbringen ließ. Die Intrige, die er sogar gegen Vala gesponnen hatte, indem er Aelius Quartos Siegel benutzt hatte, um den Duccius zu sich zu locken. Und schließlich sein Selbstmord, indem er sich vom tarpejischen Felsen gestürzt hatte. Das war wirklich alles sehr, sehr deplorabel.
    Axilla atmete einmal tief durch und nickte als stumme Zustimmung. Es gab einige Dinge, die sie hierbei bedauerte. Eine ganze Menge sogar. Und doch wusste sie nicht, an welcher Stelle der Geschichte sie wirklich etwas anders gemacht hätte. Sie hatte Fehler gemacht, sogar ganz viele und sehr schwere, doch zu den Zeitpunkten waren sie nicht als solche erschienen. Aber dennoch war sie sicher nicht schuldfrei. Sie hätte sich nie auf Archias einlassen sollen, dann wäre er wohl noch am Leben. Und Leander wäre noch am Leben. Wäre sie nicht aus Ägypten abgereist, wäre vielleicht sogar noch Urgulania am Leben. Ja, sie bedauerte eine Dinge. Überaus deplorabel.


    Und der Flavier kannte auch nur wenig Gnade und fragte nach, wer denn ihr Mann gewesen war. War an sich auch nichts ungewöhnliches, Axilla hätte damit rechnen müssen, vor allem nach dieser Einlassung. Und doch wär es ihr lieber gewesen, das Thema wäre irgendwie vergessen worden. Es förderte nicht unbedingt ihren inneren Versuch, sich von etwaigen Schuldgefühlen abzulenken. Dennoch versuchte sie sich an einem freundlichen, kleinen Lächeln.
    “Natürlich darfst du. Ich war die Frau des damaligen Procurator a memoria. Caius Aelius“ – soweit der Teil, den man laut und geradeheraus ohne irgendeine Scham sagen konnte, gefolgt von einem leicht genuschelten “Archias.“ Es gab viele Caii, und auch ein paar Aelii, aber wohl nur einen mit dem Cognomen Archias, der sich von dem Felsen gestürzt hatte, wo sonst nur Verräter und flüchtige Sklaven hingerichtet wurden. Es war ja nun schon eine ganze Weile her, aber Axilla konnte nur hoffen, dass der Senator das vergessen hatte. Wobei das nicht unbedingt wahrscheinlich war, stürzte sich doch nicht alle Tage ein Mitglied der Gens des Kaisers von tarpejischen Fels.


    Da war das andere Thema schon besser. Wenn der Senator es auch erstmal schaffte, Axilla kurz zu verwirren. “Welches Stück?“ Axilla blinzelte Gracchus einmal perplex an, bis ihr nach einer Sekunde aufging, dass er ihr unvorsichtig dahingeworfenes ludi sehr vorteilhaft interpretiert hatte. “Oh, äh, ja. Also... Das Stück. Natürlich. Entschuldige, ich war grade durcheinander.“ Und das vergebungsheischende Lächeln war sogar nicht einmal gespielt.
    Doch wie das nun ausnutzen? Axilla war schlecht im Lügen, und sie wollte ja auch gar nicht so wirklich lügen. Aber wenn der Senator ihr schon so großzügig einen Fluchtweg in ungefährliche Gefilde offerierte, dann musste sie ja fast schon annehmen. Also begab sich Axilla auf das Terrain der Halbwahrheiten.
    “Es war ein kleineres Stück, nichts bekanntes. Noch recht neu. Ich denke, es war eine Komödie. Es ist niemand gestorben.“ Bei Tragödien stürzte sich der Held irgendwann doch in sein Schwert, nachdem er irgendwas oder irgendwen erschlagen hatte. “Aber es war nicht wirklich witzig. Mehr... heroisch. Wurde viel gekämpft. Und auch gut gekämpft, es sah wirklich sehr überzeugend aus. Aber an den Namen kann ich mich nicht mehr erinnern, tut mir leid.“ Axilla glaubte, dass es technisch unmöglich war, noch mehr die Wahrheit zu sagen, ohne die Wahrheit zu sagen. Jetzt musste der Flavius ihr nur noch glauben.

  • Ein Aelius als Ehemann führte nicht wirklich zu einer Auflösung Gracchus' Überlegungen über Axillas Herkunft, denn obgleich es nur plebejische Zweige der Aelier gab, so gehörten sie zum Teil doch der Nobilitas an, wiewohl es durchaus patrizische Väter mochte geben, welche geneigt waren ihre Töchter ob der Verbindungen zum Kaiserhaus an einen Aelius zu verheiraten. Ohnehin drängte Gracchus dieser Gedanke sich nur kurz auf, respektive bis zu eben jenem Augenblicke, in welchem die Iunia den Cognomen ihres verstorbenen Gatten nannte, in einer solchen Klangfarbe, dass nicht zuletzt darob eine gewisse Skepsis in Gracchus erwachte, sukzessive seine Denkprozesse in diese Richtung in Bewegung sich setzten, um die Windungen seiner Erinnerung zu durchforsten, und er in seinem Gedankengebäude zahllose Schubladen durchforstete - und letztlich mit einem Male die relevante Information hatte entdeckt. Aelius Archias, der Verwandte des Imperators, der Verräter, welcher seinen Tod am tarpeischen Felsen hatte gefunden, wobei, soweit Gracchus dies in Sinnen war, bis zuletzt nicht fest stand, ob er sich selbst hatte zum Verräter gebrandmarkt durch seinen Freitod, oder aber durch einen anderen dazu war verurteilt worden, welcher ihn hatte hinab gestoßen - was indes keinerlei Differenz bedeutete für das Ausmaß der Schmach.
    "Oh"
    , war alles, was Gracchus zu dieser Causa mochte einfallen, ehedem es ihn drängte zu schweigen. Denn es war mithin das letzte, nach dem ihm die Sinne standen, Axilla weiter ob dessen zu befragen, kannte er mit Verrat in der eigenen Familie und der daraus erwachsenden Kompromittierung doch nur allzu gut sich selbst aus. Auch nur ein einziges Wort noch darüber zu verlieren, eine Nachfrage gar, dies wäre gewesen als hätte ihn selbst jemand befragt: War nicht der oberste Anführer der Christianer Flavius Animus dein Bruder? War nicht der Pirat und Verbrecher Quintus Tullius dein Bruder? oder In welcher verwandtschaftlichen Relation stehst du eigentlich zu dem Kaiserattentäter Flavius Sextus und seiner Mutter? Nein, Gracchus mochte nicht einmal darüber nachdenken, wollte solcherlei gänzlich verbannen aus diesem wunderbaren Augenblick, weiter in dem behaglichen Kokon aus warmen Sonnenstrahlen, aus blumigem Ausblicke und gefälligem Gespräch verharren, ehedem die Schwere der Erinnerung, die Düsternis der Vergangenheit sich auf die Iunia und ihn mochte herabsenken, weshalb er sich hastig auf das Thema des Theaters stürzte, ob dessen er auch ihre diesbezügliche Verwirrung in keinster Weise auf das Stück selbst bezog, sondern mehr den vorangehenden Unannehmlichkeiten zuschob. Ein sublimes Lächeln kräuselte seine Lippen als Axilla suchte das gesehene Stück in eine Gattung einzuordnen und er ein wenig schmunzelte über die unkomplizierte Art ihrer Klassifikation.
    "Von diesen Stücken haben ich bereits gehört, die sich im klassischen Sinne weder als Komödie, noch Tra..gödie rubrizieren lassen, die beinah nicht einmal zu den Dramen zu zählen sind, da sie überhaupt wenig Dialog enthalten, von einer Katharsis gänzlich zu schweigen. Dies scheint eine Strömung aus dem Süden zu sein."
    Sinnierend blickte er auf die seicht im Winde wankenden Gräser auf der anderen Seite des Weges.
    "Ich hoffe, dass solcherlei nur eine Randerscheinung des Theaters bleibt, denn schlussendlich ist es doch der Dialog, welcher es auszei'hnet, wiewohl ich mir kaum vorstellen kann, dass die bloße Handlung auf einer Bühne jemals den Zuschauer in gleicher Art überzeugen, in gleicher Art mitreißen kann wie die Tiefgründigkeit, die Brillanz und der Esprit des gespro'henen Wortes."
    Mit einem marginalen Lächeln wandte er sich wieder der Iunia zu.
    "Für jene, welche es nach der simplen, gehaltlosen Dramatik schneller Bewegung giert, bleiben schlussendli'h noch immer die Arena oder der Circus."
    Beides mochte durchaus seine Berechtigung unter den Vergnügungen Roms haben, doch beides hatte Gracchus niemals mitreißen können - von den ewig kreisenden Runden und der rasenden Geschwindigkeiten im Circus wurde ihm allein beim Zusehen bereits schwindlig, und den Kämpfen der Gladiatoren konnte er wenig abgewinnen, nicht nur weil auch dabei ihm beim ersten Blutfluss blümerant wurde, sondern da er seit jeher kaum Gefallen an kämpferischer Darstellung fand. Seine Besuche dieser Veranstaltungen hielten sich darob in Grenzen, folgten wenn nur der Pflicht zu öffentlichem Erscheinen oder familiären Zwängen.
    "So es dir nach einer guten Mischung aus tiefsinnigem Dialog und ein wenig mehr Vehemenz auf der Bühne steht, kann ich dir indes Senecas Thyestes oder Hercules Furens sehr empfehlen, obschon diese deplorablerweise recht selten in Rom auf..geführt werden."
    In Athena hatte Gracchus einst eine überaus formidable Aufführung des Thyestes besucht, von welcher er bisweilen noch immer ab und an einzelne Komponenten in seinen Träumen wiederfand.

    cdcopo-pontifex.png flavia.png

    IUS LIBERORUM

    PONTIFEX PRO MAGISTRO - COLLEGIUM PONTIFICUM

  • 'Oh' war beinahe genauso treffend wie 'deplorabel', wenngleich noch weitaus vielschichtiger. Es bedeutete, dass der Flavier wusste, von wem sie sprach, und mehr noch, wusste, warum genau dieser Umstand so deplorabel war. Wer wünschte sich schon einen Ehemann, der vom Verräterfelsen gesprungen war? Und mehr noch, wer wollte näher mit der Witwe eben jenes Mannes zu tun haben? Axilla hatte sich schon an die teils scheelen Blicke gewöhnt, die ihr dann und wann zugeworfen worden waren, an das Flüstern hinter vorgehaltenen Händen, an die übertriebene Freundlichkeit im Gespräch mit ihr, die sich in hurtiges Nuscheln verwandelte, sobald man sie außer Hörweite wähnte. Mittlerweile war es lange genug her, so dass es dringlichere Tagesthemen gab. Der Skandal von Nemi hatte auch sein Übriges dazu beigetragen, Archias Tat in den Hintergrund treten zu lassen. Wo man über Patrizier munkelte, die sich an der Göttin vergangen hatten, über Mord auf heiligem Boden, was war da ein einzelner Aelier, bei dem nicht gewiss war, was nun zu seinem Tod geführt hatte? Nur dann und wann gab es in letzter Zeit noch einen Blick oder eine Bemerkung. Die letzte wohl von Flavius Piso, dem sie deshalb ihren Standpunkt handfest klar gemacht hatte. Ein weiteres 'oh', sozusagen. Vor allem, wenn man bedachte, dass nun ein anderer flavischer Senator und Pontifex neben Axilla saß und keine Anstalten machte, aufzuspringen, sich zu entschuldigen, sie zu mustern oder zu verurteilen oder dergleichen.
    Im Gegenteil: Nachdem er und sie sich einen peinlichen Moment angeschwiegen hatten, brach er erneut eine Lanze für Axilla und ging gänzlich in dem Thema des Theaters auf. Eine durch und durch angenehme Überraschung, wie Axilla zuerst mit vorsichtigem, dann immer freudigerem Lächeln feststellte. Sie hatte zwar von der Hälfte von dem, was er sprach, keine Ahnung, aber er schien das Thema wirklich zu genießen. Und somit – was umso erstaunlicher für die Iunia war – das Gespräch mit ihr.


    “Ich wusste nicht, dass es mehrere solcher Stücke gibt. In Ägypten habe ich kein solches gesehen. Was aber nichts heißen muss, ich war in Alexandria nicht oft in einem Theatron oder Odeion. So richtig eigentlich nur beim Neujahrsfest und dem musischen Agon, aber da gab es ja kein richtiges Stück, das war mehr ein Wettstreit.“
    Axilla merkte, wie ein wenig Druck von ihr abfiel. Der Flavier saß noch immer neben ihr und unterhielt sich mit ihr, obwohl er das von Archias sicher wusste. Und das von Piso wusste er offensichtlich nicht. Das Thema war, wenn auch auf einer Notlüge aufgebaut, dennoch leicht und angenehm. Die Sonne schien und kündete vom nahen Frühjahr. Es war einfach ein einzelner, leichter Moment, und Axilla hatte schon lange keinen mehr gehabt.
    Zumindest kurz, bis Gracchus die Arena erwähnte und Axilla sich doch ein wenig ertappt fühlte. “Nunja, die hat auch ihre Glanzstunden. Ich meine, es geht ja nicht um das Blut und die Gewalt, sondern um den heldenhaften Kampf und den Mut und das Geschick, also all das, wovon die Dichter so gerne auch reden. Also, es sollte zumindest darum gehen.“ Ein bisschen was zur Ehrenrettung der Arenen und deren Besucher musste sie sagen, denn irgendwie gehörte Axilla ja selber dazu. Und sie fand sich ganz und gar nicht blutrünstig. Das Training im Ludus anzusehen gefiel ihr sogar besser als die richtigen Kämpfe in der Arena, da es dabei wirklich nur um die Technik des Kämpfens ging und nicht ums Blutvergießen. Naja, und große, gut durchtrainierte Männer in Rüstungen mit viel gezeigter Haut...
    “Ähm, Thyestes den Tantaliden?“ Schnell ablenken war vielleicht besser, als das Thema zu vertiefen. Und Axilla kannte weder das eine noch das andere Stück. Aber wenn es um den Thyestes ging, den sie aus den Geschichten kannte, dann war es wohl definitiv keine leichte Kost. Eine Familie, dazu verflucht, miteinander Inzest zu betreiben, der Vater jeweils vom Sohn erschlagen oder umgekehrt, oder von Liebschaften der untreuen Frau oder dergleichen. Definitiv nichts für eine Komödie.
    “Das Stück kenn ich gar nicht, aber es klingt... gewichtig.“ Es war schwer, nette Worte für 'Das erschlägt einen sicher' zu finden. Aber heute versuchte sich Axilla in allen Formen der Diplomatie. “Ich fand ja in der Odyssee sehr beeindruckend, wie Homer die Qualen seines Ahnen geschildert hat.
    Auch den Tantalos sah ich, mit schweren Qualen belastet.
    Mitten im Teiche stand er, den Kinn von der Welle bespület,
    Lechzte hinab vor Durst, und konnte zum Trinken nicht kommen.
    Denn so oft sich der Greis hinbückte, die Zunge zu kühlen;
    Schwand das versiegende Wasser hinweg, und rings um die Füße
    Zeigte sich schwarzer Sand, getrocknet vom feindlichen Dämon.
    Fruchtbare Bäume neigten um seine Scheitel die Zweige,
    Voll balsamischer Birnen, Granaten und grüner Oliven,
    Oder voll süßer Feigen und rötlichgesprenkelter Äpfel.
    Aber sobald sich der Greis aufreckte, der Früchte zu pflücken;
    Wirbelte plötzlich der Sturm sie empor zu den schattigen Wolken.

    In feinstem Ionisch trug Axilla die Zeilen vor, wenn auch etwas leise und fast verlegen. Sie wollte ja angeben, aus keinem anderen Grund hatte sie diesen Bogen geschlagen und die Zeilen aus ihrem Gedächtnis gekramt. Und sie wusste, dass ihr Ionisch gut war, war es doch der erste griechische Dialekt, den sie gelernt hatte. Auch wenn den kaum einer Sprach, außer eben der griechische Sklave, der sie unterrichtet hatte. Und eben Homer.
    Aber sie war sich nicht sicher, ob es nicht doch zu dick aufgetragen war. Sie wollte ja nicht nach Komplimenten fischen. Naja, vielleicht ein wenig, aber nicht sehr. Und sie hoffte, dass der Flavier ihren Gedankensprüngen noch folgen konnte. Leicht machte sie es ihm sicher nicht.


    “Dann magst du also lieber Rhapsoden?“ meinte sie schnell, nachdem sie ihre eigene kleine Rhapsodie beendet hatte, ehe dadurch noch ein peinlicher Moment entstehen mochte.

  • Für einige Augenblicke schlich neuerdings die Sehnsucht nach dem nie gekannten Alexandria in Gracchus' Gemüt sich ein bei der Erwähnung des musischen Agons, von dessen Art er selbst seit langer Zeit keinem Wettstreit mehr hatte beigewohnt, derer in Athena er sich jedoch prächtigst - und allfällig ein wenig sentimental überzogen - erinnerte, wo oftmals im Zuge der alten, archaischen Feste den griechischen Göttern zu Ehren ganze Tage lang sich die Streiter in Rezitationen epischer Lobgedichte, musikalisch untermalter Poesie oder dramatischer Epigramme hatten gemessen. Nicht nur darob, in sentimentalen Reminiszenzen geborgen, wollte er nicht Axillas Bemerkung über die existenzielle Berechtigung von Gladiatorenspielen kommentieren, fürchtete er doch bei eingehender Betrachtung dieses Sujets auch irgendwann seine eigen Abneigung detaillierter rechtfertigen zu müssen, eingestehen zu müssen, dass im Anblick des fließenden Blutes ihm blümerant wurde vor Augen - ein Umstand, welcher einem Senator des römischen Volkes nicht eben gut zu Gesichte stand, wenn nicht gar ein wenig kompromittierend war. Ohnehin war dies nicht nötig, denn nach einer kurzen Bestätigung ihrer Frage,
    "Ganz recht, eben jener Thyestes aus dem Geschle'hte der Tantaliden"
    , setzte Axilla an in vollendetem ionischen Dialekt aus der Odyssee zu rezitieren, in jener ihm ein wenig fremd anmutenden Lautmalerei gefärbt also, in welcher Homer weiland selbst den Epos hatte verfasst, welcher darob die vollkommene Perfektion der Wortkonstrukte und Satzgebilde in sich barg, und Gracchus konnte nicht dem sich erwehren, umspült von der Couleur ihrer Stimme in diesen ergötzlichen Worten zu schwimmen, in dem alten, heroischen Epos gänzlich zu versinken - und in diesem Augenblicke war es ihm in keinster Weise mehr verwunderlich, wie Flaccus auf die Idee kam, mit der Iunia im flavischen Garten über Nymphen zu sprechen. Mit dem zweiten Vers schlossen sich seine Augen, ein aus Zufriedenheit mit der Welt, dem Leben und dem gesamten Rest erwachsenes, feines Lächeln kräuselte seine Lippen und spiegelte das stille Behagen wider, welches in seinem Inneren sich ausbreitete, obgleich dort mit jeder Silbe die Qualen des Tantalos sich manifestieren, obgleich Gracchus den Durst konnte fühlen auf seinen Lippen, seiner Zunge und seinem Gaumen, obgleich er den Hunger verspürte auf die verlockenden Früchte des unerreichbaren Baumes, und ihm der Fluch des Tantalos bisweilen so traut schien - so dass der einzige Makel in Iunias Rezitation dessen Marters die ausbleibende Stille ward, welche den Qualen folgte. Derangiert blinzelnd öffnete Gracchus seine Augen und wusste nichts anzufangen mit ihrer Frage nach Rhapsoden, welche sich so gar nicht wollten einfügen in die Reihe der Birnen, Granaten, Oliven, Feigen und Äpfel, welche die unerreichbaren Äste über ihm zum Boden hin neigten, ob dessen zweifelnd sich seine linke Braue ein wenig in die Höhe empor hob.
    "Rhapsoden?"
    hakte er verwirrt nach als hätte er den Klang dieses Wortes nie zuvor in seinem Leben vernommen, und schlussendlich musste dies so sein, denn welchen Sinn konnte der Gequälte für die Künste, die Vergnügungen und Spielereien des Lebens aufbieten, da all sein Streben einzig der alltäglichen Agonie galt, da seine Gedanken beständig kreisten um unerreichbares Gut, wie um die Qualen selbst. Mit einem Male kroch ein eisiger Schauer durch Gracchus' Leib, zog ein kalter Hauch über seine Haut, obgleich weiter die Sonne ihre wärmenden Strahlen auf ihn hernieder legte, der Wind still stand in diesem Augenblicke, denn plötzlich ward ihm als hätte er die Qualen des Tantalos wahrhaftig durchdrungen, als wäre er endlich dessen inne geworden, was diese Erzählung postulierte über das Leben, als hätte er seine eigene Qual durchschaut.
    "Mehercule!"
    entfleuchte ihm leise. Tantalos war nicht dazu verdammt gewesen zu sterben an seiner Entbehrung, er war verdammt gewesen zu beständig um die Qual kreisenden Gedanken, welche keine anderen mehr zuließen als jene über die Agonie selbst. Gracchus' Braue senkte sich hernieder und wieder erfasste ihn eine Leichtigkeit, ließ er sich entspannt zurück sinken an die Lehne der Bank und für einige Augenblicke schien es beinah als hätte er Iunia Axilla neben sich vergessen über diese Erkenntnis, welche ihm wie eine Erleuchtung schien, eine Erlösung, die gar dazu mochte gereichen Leben zu verändern, sein Leben. Allfällig sollte er beizeiten Sciurus noch einmal Homer zitieren lassen, von Beginn bis Ende, dabei in höchster Aufmerksamkeit nach verborgenem Sinne darin suchen, denn womöglich tat man dem Dichter Unrecht, ihn nicht als Philosophen zu feiern.
    "Welch adorablen Worte"
    , setzte er schlussendlich an.
    "So zeitlos, tiefsinnig und stets voller Überraschungen."
    Lächelnd blickte er zu Axilla, ihre Frage zu beantworten, welche allmählich sich wieder in die Szenerie der Realität hatte eingefügt.
    "Rhapsoden, in der Tat"
    , suchte er seine Gedanken zu sammeln.
    "Gleichwohl Lieder, Hymnen, Tragödien und Komödien, lyrische Dar..bietungen aller Arten - kaum nur kann ich mich der Wirkung des poetischen Wortes entziehen."
    Wohingegen langwierige Senatsreden, insbesondere über Gesetzte, bisweilen ihn zu überfordern vermochten, was indes mehr dem Inhalt als der Vortragsweise war geschuldet.
    "Konntest du denn einen Unterschied feststellen in Bezug auf das kulturelle Leben im all..gemeinen und der Theaterkultur im besonderen zwischen Rom und Alexandria?"
    Selbstredend kannte er die Erzählungen über zügellose Feste in den Straßen der aegyptischen Stadt, hinwieder jedoch auch ebenso die Behauptung, die Alexandriner seien die wahren kulturellen Erben der vergangenen griechischen Kultur. Die Realität mochte wohl irgendwo dazwischen liegen.

    cdcopo-pontifex.png flavia.png

    IUS LIBERORUM

    PONTIFEX PRO MAGISTRO - COLLEGIUM PONTIFICUM

  • Der Flavier neben ihr schloss die Augen, während Axilla rezitierte, und einen Moment mochte sie schon meinen, er sei eingeschlafen. Er sah so friedlich aus, wie er da saß, sich von der Sonne bescheinen ließ, und als sie ihn nach den Rhapsoden fragte, richtete er einen Blick auf sie, als ob sie gerade von Dingen jenseits dieser Welt redete. Er wiederholte das Wort mit traumschwerer Zunge und Axilla nickte einfach nur eifrig dazu, mit einem verlegenen Ausdruck auf dem Gesicht. Sie wusste nicht, was gerade in dem Flavier vorging, doch wirkte er, als würde er gerade in einem Traum wandeln und nur mühsam daraus aufwachen. Und Axilla kam sich ein wenig schuldig vor, dass sie ihn überhaupt aus jenem gerissen hatte. Träumen hatte etwas unschuldiges an sich, etwas befreites und freies, und Axilla sehnte sich sehr danach. So sehr, dass sie nicht einmal wusste, wie sie mit dem Flavier neben ihr umgehen sollte, der einen Moment lang diese vollkommene Geborgenheit von Morpheus Umarmung zu fühlen schien.
    Und dann wachte er auf. Mit einem Ausruf, der Axilla kurz zusammenzucken ließ, und einem Kompliment. Sie besaß genug Scheu in diesem Moment, um damenhaft zu erröten. Man hatte ihre Worte schon vieles geheißen. Verwaschen, durcheinander, zu schnell, unzusammenhängend, unlogisch, verwirrend, unvollständig und unwichtig. Manchmal auch witzig und spritzig und bissig und flatterhaft. Aber adorabel war ganz sicher noch nie darunter. Selbst wenn irgendjemand in Axillas Umgebung so ein Wort benutzt hätte im täglichen Sprachgebrauch. Und dieses kleine Wort wurde auch gleich durch ein tiefsinnig und ein zeitlos verstärkt, so dass Axilla noch verlegener lächeln musste.
    Sie hatte ja angeben wollen, das war ja Sinn und Zweck der Sache gewesen. Aber dass sie gleich so erfolgreich damit sein würde, das hatte sie jetzt wirklich nicht geglaubt. Und sie versuchte auch gleich, das ganze irgendwie vernünftig zu erklären. Sicher war es nur das schöne Frühlingswetter, und die Worte galten bei näherer Betrachtungsweise auch gar nicht ihr, sondern den Worten an sich. Homer, wenn man eine Person für das Kompliment benennen wollte. Nicht Axilla, die hier saß mit geröteten Wangen und einem schüchternen Lächeln, das sich nach dieser Erkenntnis aber nur allzu schnell wieder verflüchtigte. Warum auch sollte der Senator sie loben?


    Seine Frage lenkte sie dann auch zum Glück wieder ab. Vor allem, da Axilla sich nicht sicher war, ob sie sie denn richtig verstand. Unterschiede kultureller Natur zwischen hier und Alexandria? Es war ja nicht so, als wäre sie ein Fundus an kulturellem Wissen, der nur darauf wartete, eben jenes preis zu geben. Im Grunde hatte sie von Theatern und Musik nur dann eine Ahnung, wenn es dasselbe auch in Buchform gab und sie die Möglichkeit gehabt hatte, eben jenes zu lesen. In einem Theaterstück war sie, soweit sie sich erinnern konnte, noch nie. Oder bei großen Aufführungen anderer, lyrischer Werke. Oder musischer.
    “Naja, wie ich bereits gesagt habe, ich war in Alexandria eigentlich nicht im Theatrum, und auch hier in Rom eigentlich nicht.“ Einen Moment später fiel ihr ihre kleine Notlüge wieder ein, die sie natürlich bekräftigen musste. “Oh, außer das mit Flavia Nigrina, natürlich.“
    Sie kaute auf ihrer Unterlippe auf der Suche nach einer adäquaten Antwort. Über das Theater konnte sie vielleicht nicht so viel erzählen, aber dafür über die vielen anderen Unterschiede umso mehr.
    “Weißt du... das Leben in Alexandria ist anders. Also, alles, mein ich. Es ist so... ich....“ Sie suchte nach passenden Worten, kramte in ihrer Erinnerung nach einer Beschreibung. Dass sie ins Koine dabei wechselte, fiel ihr selbst gar nicht auf. “Ich wandelte im Traum und träumte doch nicht, trank mich satt an tausend Sonnenuntergängen und atmete die süße Schwere des Augenblicks an der Grenze der Schatten im Reich des zerrissenen Gottes.“ Sie wusste nicht mehr, aus welchem Buch sie das hatte, aber dass es nicht ihr selbst entsprang, war sie sich relativ sicher. Sie hatte im Museion hunderte von Schriften gelesen – oder zumindest damit angefangen und die meisten wieder aus Langeweile darüber wegbringen lassen – und auch von Nikolaos immer wieder das ein oder andere gehört im Vorbeigehen, wenn sie ihm irgendwas gebracht hatte oder geholt hatte, während er sich in seiner Funktion als Epistates mit jemandem unterhalten hatte... Vielleicht war es auch eine Mischung aus allem gehörten, das sie heillos durcheinander brachte, und dennoch beschrieben die Worte ihr Gefühl von Alexandria, das mit Logik nicht zu erklären war.
    Sie sammelte sich wieder und sah Gracchus an, noch immer nach passenden Erklärungen suchen, die jemandem helfen mochten, zu verstehen, der nie dort gewesen war. “Weißt du, dort ist das Leben anders. Nicht besser oder schlechter, nur... anders. Ich glaube, das ist wegen Dionysos so.“ Normalerweise nannte man den Gott nicht so direkt beim Namen, nannte ihn eher Bacchus, den Lärmer, oder in Ehrfurcht Liber Pater. Aber Axilla hatte keine Angst vor ihm, nicht im Moment. Vermutlich wäre es klüger, immerhin war sie schnell betrunken und machte dann allerlei dumme Dinge – wie beispielsweise ihre Nebensitzerin auf einer Feier zu küssen – aber im Moment war Axilla ohnehin zu sehr damit beschäftigt, passende Worte zu finden, als dass sie auf solche Dinge wirklich hätte achten können. “Die Ägypter haben ihm den Namen Osiris gegeben, und dort herrscht er in der Unterwelt, weil er nach der Zerstückelung nicht wieder geboren wurde, sondern von Isis nur zusammengenäht. Und auch Alexander hat ihm ja ein Heiligtum in Alexandria errichten lassen.“ Sas Paneion war schließlich nicht nur dem Pan, sondern ebenfalls dem Dionysos gewidmet. “Man sagt ja, seine Mutter sei eine Mänade gewesen... naja, ich weiß es nicht, warum er es gemacht hat. Aber... Ägypten ist wirklich sein Reich. Es ist alles dort so viel... bunter, und freier, und gleichzeitig langsamer. Oder... nein, nicht langsamer, zeitloser. Ja, genau, das ist es! Zeitlos. Die Zeit fließt dort wie der Nil, steigt und fällt, vergeht und steht doch. Dort hat alles seine eigene Zeit irgendwie.“
    Axilla war sich sicher, dass ihre jetzige Erzählung wieder mehr in Richtung 'verwirrend' denn in Richtung 'adorabel' ging, aber sie konnte es nicht vernünftiger beschreiben.
    “Weißt du, als ich nach Alexandria kam, da hatte ich unheimlich viel Angst. Vor allem. Ich war allein und... ich wusste nicht, wohin, und ich konnte nur ionisch, und sonst eigentlich nichts. Aber als ich nach einem Jahr dann ging, um nach Rom zu kommen, da war ich Scriba eines der einflussreichsten Männer Alexandrias, ich kannte sämtliche Honorationen der Stadt, ich habe mehr Bücher gelesen, als ich dachte, dass es gibt, habe Sachen gelernt... Ich hab in einem Jahr sämtliche der großen griechischen Dialekte gelernt, Koine, Attisch, Dorisch... Gut, mein Dorisch ist miserabel, aber... und ich konnte sogar ein wenig demotisch, ein paar Brocken... keine Ahnung, was die in Syria sprechen, aber von da kam der Händler, von dem ich es aufgeschnappt habe. Und das war nicht merkwürdig, oder herausragend. Also, ich sage nicht, dass jeder das so kann, aber... es war einfach... einfach.“ Axilla hatte keine Ahnung, ob der Flavier ihr auch nur halbwegs folgen konnte. Sie war sich noch nicht einmal sicher, ob sie sich selber folgen konnte. “Die Zeit dort ist einfach anders. Es war nur ein Jahr, eigentlich, und doch war es ein ganzes Leben. Ich weiß nicht, ob das verständlich ist, aber...“
    Naja, vielleicht kam sie besser auf hier zu sprechen, auf Rom. Das war mit harten Worten besser zu beschreiben. “Hier ist alles viel... klarer, und gerader. Hier träum ich nicht. Also, nicht so. Es ist viel geordneter, direkter. Aber auch gezwungener. Ich hab mir in Alexandria nie etwas dabei gedacht, wenn ich irgendwo hingegangen bin. Also jetzt nicht die gefährlichen Gegenden, das mein ich nicht. Aber... hier zählt es weit mehr, was man sagt und was man tut. Hier ist es einfach viel... geregelter.“
    Axilla hatte nun keine Ahnung, ob sie seine Frage beantwortet hatte. Um ehrlich zu sein wusste sie nicht einmal mehr so genau, was er gefragt hatte. Trotzdem schaute sie ihn mit offenem und vielleicht ein wenig melancholischem Blick an und suchte in seinen Augen, ob er verstanden hatte, was sie versucht hatte, zu beschreiben. Wenn sie doch einfach all das, was in ihrem Herzen zu Ägypten war, einfach nehmen könnte und ihm geben, dann wäre das um so vieles einfacher!

  • Ein zartes Rosé strich über die Wangen seines Gegenübers, fügte das schüchterne Lächeln in einen passenden Rahmen, ob dessen Gracchus einen Augenblick lang sich wollte diskulpieren im Verdacht einem Faux Pas erlegen zu sein, doch waren ihm die Antezedenzien dieses Gebarens nicht im geringsten nachvollziehbar, dass ihm die rechten Worte hierzu fehlten, so dass er nur schuldbewusst schwieg, neuerlich ein wenig derangiert war als sie gestand, nicht in Alexandria, noch in Rom das Theatrum besucht zu haben, was er ob ihrer Wesensart implizit hatte angenommen. Doch ihre Worte fingen ihn erneut in ihren Bann, türmten sich auf zu Anakoluthen, unter deren Brandung er trotz der ein wenig verkümmerten Satzstruktur willenlos wurde hinweg gespült, da sie nahtlos uferten in einer traumwandlerischen Szenerie, die getragen ward durch den Klang Gracchus' Jugend. Er wusste nicht mehr, ob sie sprach oder zitierte, ob sie existierte oder nur einem Traum war entsprungen, so mirakulös entrückt klangen ihre Worte, so sehr erinnerte die Melodie, die über ihre Lippen perlte, ihn an die so oft entschwundene Kalliope, bis dass sie ihn wieder direkt ansprach, bis dass sie von dem Traum erzählte, den die Aegypter von ihren Göttern träumten. Ein wenig wusste Gracchus über dieses Pantheon, waren die aegyptischen Götter doch ein Interessengebiet seines Freundes Cornelius Scapula, doch mit viel mehr als den rudimentären Eigenschaften der göttlichen Sonne Aton hatte er bisherig sich nicht befasst. Entgegen Axillas Befürchtung indes verwirrten Gracchus ihre Worte nicht, schien ihm die Erklärung zu steigend und fallender Zeit weitaus plausibler als jedes logische Gesetz es hätte sein können, war ihm die Zeitlosigkeit viel näher als jedes vermessene Intervall, und er folgte begierig jeder Silbe, welche aus ihrem Munde drang, nicht bereit auch nur einen einzelnen ihrer Buchstaben ungehört an sich vorüberziehen zu lassen. Erst als sie auf Rom zu sprechen kam wurde ihm wieder bewusst, wie fern diese andere Welt, dieses zeitlose Sein war.
    "So ist es"
    , bestätigte er ein wenig wehmütig.
    "Klar und gerade."
    Es fiel Gracchus stets schwer das innere Sentiment eines Gegenübers zu bestimmen und auch in den Augen, in welchen manch einer bis zur Seele eines Menschen mochte hinab blicken können, sah er zumeist nur den schillernden Glanz der Iris, doch in Axillas Stimme lag eine sehnsuchtsvolle Melancholie, welche nur allzu vertraut ihm schien.
    "Dennoch, es mag von Belang sein, was du sagst und was du tust, doch niemand, niemand kann dir aufoktroyieren, was du träumst, niemand kann ob dessen über dich ri'hten, niemand kann dies prohibieren. Nicht einmal Rom."
    In seinem eigenen Blick, in seinem eigenen Klang lang nun eine Ernsthaftigkeit als ginge es um Iunias Freiheit oder Leben, und aus Gracchus' Sicht war dies so, waren die endlosen Flure, die weiten Ebenen und infiniten Sphären traumbeladener Unwirklichkeit doch bisweilen der einzig mögliche Ausweg aus einer bedrückenden Existenz, welche nicht gleichsam in der finalen Bedeutungslosigkeit des Exitus gipfelten.
    "Daher solltest du nicht zulassen, dass Rom dir jene Träume raubt, welche Alexandria dir schenkte, denn in Morpheus' Welt ist Ferne ebenso be..deutungslos wie Zeit, dort ist das Leben - und auch das Sterben - ebenso anders wie dort und hier, wie überall und nirgendwo."
    Langsam zog sich Gracchus' linker Mundwinkel zu einem verschmitzten Lächeln empor.
    "Ich möchte sogar behaupten, es träumt sich nirgends besser als in Romas Armen, denn was ist ein Traum, der in Wahrheit über..geht anderes als eine farblose Variation der Monotonie, während ein solcher, der im harten Bruch der Realität endet, ein veritabler Kontrast ist, der beides - Traum und Wirkli'hkeit - in ihrer Einzigartigkeit offenbart."
    Zumeist befand es Gracchus gar als überaus beängstigend, wenn zwischen Traum und Wirklichkeit die Grenzen verschwammen, wenn etwa er erwachte und in der Realität sich glaubte, jedoch nur in einen weiteren Traum war erwacht, oder mehr noch wenn die Schatten der Vergangenheit, die Schimären seiner Albträume in die Wirklichkeit eindrangen.
    "Du bemerktest, dass du viele Bücher gelesen hast in Alexandria. Gibt es einen Autor, welcher dich besonders fas..ziniert?"
    suchte Gracchus schlussendlich einen Bogen zurück in die Realität zu schlagen, wiewohl ihm literarische Welten bisweilen durchaus ebenso phantastisch erschienen wie jene der Traumlande.

    cdcopo-pontifex.png flavia.png

    IUS LIBERORUM

    PONTIFEX PRO MAGISTRO - COLLEGIUM PONTIFICUM

  • “Aufokto..tri..ieren“, murmelte Axilla das Wort nach, das sie nicht kannte, und hoffte, dass ihr Gegenüber es nicht bemerkte. Sie meinte, zu verstehen, was er sagen wollte, allerdings hatte sie nicht wirklich eine Ahnung, was exakt seine Worte wohl bedeuteten. Es erschloss sich aus dem Kontext, wie man so schön sagte, aber ob sie in ihrer Annahme recht hatte, oder es falsch interpretierte, ganz sicher war sie sich ob dessen nicht.
    Sie atmete einmal durch, tief, und stieß den Atem mit einem leisen 'Puh' geräuschvoll wieder aus. Sie sah nicht zu ihrem Gegenüber, sondern in den winterlichen Garten, der nur ganz zart von jener Wärme durchhaucht war, die man Frühling nennen mochte. Sie musste nachdenken. War es ein wirklicher Segen, dass Traum und Realität so weit auseinander waren? Sollte sie mehr träumen? Axilla sah in das ferne Blau leicht nach oben, und doch sah sie es eigentlich gar nicht wirklich.
    “Ist es wirklich ein Segen, wenn Traum und Wirklichkeit so strikt getrennt sind?“ hörte sie sich selbst sagen. Sie wusste es nicht. Es hörte sich richtig an, es schien eine eindeutige Aufforderung zu sein, zu träumen, und die Träume zu genießen. Ein Streben nach Phantasie, wenn man so wollte, ein eigenes Reich, das man mit Ideen und Glück anfüllen konnte, und in das man sich flüchten konnte. Aber war das wirklich gut, dass es so getrennt war? War es gut, wenn einem jeden Morgen der Schmerz bewusst wurde, dass das, was man geträumt, was man erinnert hatte, für immer und alle Zeit vergangen war und nie wieder erreicht werden konnte, egal wie sehr man danach auch streben, wie sehr man es sich wünschen mochte? War das wirklich richtig?
    “Hast du je geliebt? So sehr, dass deine ganze Welt, jedes Sein, jeder Atemzug, nur dadurch überhaupt wirklich war, dass die andere Person da war? Dass sie existierte? Dass sie nicht einmal in der Nähe sein musste, dass ihre bloße Existenz dir die Sicherheit gegeben hat, dass alles, wirklich alles gut ist, dass Angst nur ein Gedanke ist, etwas so abstraktes, dass du es dir nicht einmal wirklich vorstellen konntest? Was, wenn du von diesem Menschen träumst, immer und immer wieder, und du weißt, wenn du aufwachst, ist er tot. Und jeden Morgen, wenn du die Augen aufschlägst, weißt du, dass es ein Traum war, und nichts, was du tust, nichts, was du bist, es jemals ändern kann. Wenn die Wirklichkeit nur Schmerz und Leid ist, ist es dann immernoch gut?“
    Axilla fand es grausam. Und das war der Grund, warum es ihr lieber war, wenn sie sich am Morgen nicht an ihre Träume erinnerte. Nicht an den Baum, auf den sie als Kind so oft geklettert war. Nicht an das Harz an ihren Händen, den tiefen, vollen Geruch des Holzes in der sonne. Nicht an ihren Vater, wie er in seiner Rüstung in der Tür stand und ihre Mutter küsste, ehe er zum Baum kam, wohl wissend, dass sie in den Ästen hockte, und sie dennoch suchend. Nicht an seine Stimme. Nicht an seine grauen Augen. Nicht an sein Lächeln, das sie so gänzlich einfing. Wenn sie sich daran erinnerte, weinte sie meistens, wenn sie noch allein im Zimmer war. Und sie wollte nicht mehr weinen.


    Mit einem dicken Klos im Hals sah Axilla auf zu ihrem Sitznachbarn und merkte erst da, was sie gesagt hatte. Wie das geklungen haben musste. Was sie tatsächlich zu sagen gewagt hatte, welche Frage sie einem Senator Roms gestellt hatte! “Oh, ich meine... das tut mir leid, das war unverschämt von mir. Ich wollte nicht sagen... also...“ Sie hatte keine Ahnung, wie sie das wieder hinbiegen sollte. Sie war so in Gedanken, so im Tagtraum gewesen, dass sie tatsächlich einen Moment vergessen hatte, wer sie war und was von ihr erwartet wurde. Vielleicht hatte ihr Gegenüber zumindest insoweit recht, dass Traum und Wirklichkeit nicht fließend ineinander übergehen sollten, so dass man nicht mehr merkte, wo man sich gerade befand. “Ich meinte nur, dass manche Dinge, die man träumt, auch gerne in der Wirklichkeit haben wollen würde, und wenn diese unerreichbar sind, dann.. dann... ist es vielleicht nicht so gut, diesen Traum in sich zu tragen, weil er vor der Realität keinen Bestand haben kann und nur Schmerz und Leid verursacht.“ Nicht wirklich gerettet, aber Axilla fiel auch kein Thema zum wechseln ein. Und der Flavier hätte das in diesem Fall als Ablenkungsmanöver einfach merken müssen, Axilla hätte da ebensogut ein Schild mit der Aufschrift 'Achtung, Ausrede' hochhalten können. So aber biss sie sich nur mal wieder auf die Lippe und sah betreten beiseite.

  • Eindrücklich prägten ihre Worte sich in Gracchus' Geist, rührten an seinem Herzen, welches in schmerzlicher Erinnerung sich zusammen zog, einen kalten Schauer sein Rückgrat ließ emporwandern. Er hatte geliebt auf diese Art und Weise, die sie beschrieb, und obgleich Caius nicht einmal tot war - auch wenn er dies nicht mit Sicherheit wusste -, so war seine Abkehr von allem, was ihn ausmachte doch eben als wäre er dies, der Gedanke, dass er ihn für ein anderes Leben hatte verlassen allfällig sogar noch schlimmer als ihn im Elysium zu wissen. Bereitwillig hätte Gracchus darob in sentimentale Melancholie verfallen auf ebenso freimütige Art und Weise geantwortet, wie Axilla ihre Frage hatte gestellt, war er doch in die Parkanlage gekommen, um eben nicht zu sein, was Rom in ihm sah, um den Praetor, Senator und Pontifex an den Grenzen des Gartenreiches zurück zu lassen und für eine Weile nurmehr Mensch - mit all seinen Schwächen - zu sein, doch durch die Indignation der Iunia wurde auch er daran erinnert, dass dies unmöglich war, dass außerhalb seiner Träume Rom immer das sah, was sein Äußeres präsentierte, seine Herkunft, seine Pflicht und sein Amt. Dennoch, oder gerade ob dessen ging er nicht ein auf ihre Entschuldigung, sah er doch hierfür keine Notwendigkeit, sondern dachte ihren Traumgedanken weiter.
    "Und so er stirbt in diesem Traume? Wenn ich ihn wieder und wieder in meinem Armen halte und das rotfarbene Blut aus seinem entkräfteten Leibe entwei'ht, wenn sukzessive das Leben aus ihm tropft über endlose Stunden hinweg, wenn die Tortur des Vergehens ihm die Sinne raubt und selbst meine Anwesenheit die Qual ihm nicht erleichtern kann, wenn ich zusehen muss, wie er langsam zer..fällt und am Ende nurmehr eine fahle Hülle bleibt - ist es dann nicht besser, zu erwachen und zu wissen, dass er tot, dass seine Marter längst vergangen ist, als dem Tantalos gleich vergeblich nach Früchten und Wasser zu greifen, als zu tolerieren, dass seine Qual in der Alltägli'hkeit fortdauern muss? Und wenn du endlos fällst in deinem Traum, wenn du den Abgrund bereits unter dir siehst, steinig und scharfkantig, du wieder und wieder an die rauen Ecken des Felsens schlägst, längst übersät bist mit brennend torquierenden Schnittwunden, wenn die Angst dir über..wältigend ist vor dem Aufschlagen auf diesem Grunde, wenn du Todesquale leidest allein der Aussicht auf das Zerbersten wegen - ist es dann nicht besser, zu erwachen und zu wissen, dass dein Bett dich sicher trägt, als weiter mit jedem Schritt in der Realität das Fallen zu für'hten? Und wenn du verlassen inmitten einer kahlen, trostlosen Wüste dich befindest, wenn die unbarmherzige Sonne dir allmähli'h die trockene Haut von deinem Fleische brennt, wenn rastlose Strigae die blutige Muskulatur von deinen Knochen reißen und glühend heißer Ascheregen dein fahles Skelett zersetzt, wenn jedoch die Agonie nicht endet nur weil dein Leib vergangen ist, sondern du übergehst in die körnigen Partikel des Sandes, wenn ein Mahlwerk aus den Fängen des Cerberos dich splittern lässt in aber..tausende Teile bis dass du mit seinem Blute konfudierst, bis dass du der Cerberos selbst bist, dem die Titanen einzeln seine Köpfe vom Leibe reißen - ist es dann nicht besser, zu erwachen mit dem eigenen Kopf auf dem Halse, als den Schmerz und die Qual in den Tag mit hinein zunehmen?"
    Sie blickte ihn nicht an, dass auch Gracchus seinen Blick in die Ferne ließ schweifen, auch um nicht durch sein Antlitz preiszugeben, dass was er sagte, seiner eigenen Erfahrung entsprang und nicht etwa theoretischen Überlegungen zum Wesen des Albtraumes.
    "Es depen..diert wohl von der Art und Qualität, welche Traum und Realität aufweisen, ob das Erwachen schmerzlich ist oder befreiend, gleichwohl wie der Übergang in den Traum. Doch gerade wenn die Wirkli'hkeit nur Schmerz und Leid ist, eben dann ist es gut, dass sie vom Traum separiert ist, denn sonstig würden auch ihre qualvollen Ausläufer ohne Barriere in die Traumwelt gelangen. Gleichsam ist es ein Segen, dass Qual und Alb aus dem Traume spätestens mit dem Morgen enden, denn letztlich ist es wohl eine Wesensart des Traumes, dass Morpheus in seiner Willkür uns bedenkt und wir nicht immer bestimmen können, in welche Welt wir eintau'hen. Könnten wir dies, so würde ich dir zustimmen, so wäre es wohl ein Segen, würde der Traum nicht in der Realität sein Ende finden - obgleich wir auch dann allfällig nicht gänzlich wären zufrieden, denn mit dem Bewusstsein dieser Selbstbestimmung wären wir wohl uns auch bewusst über die geträumten Anteile unseres Lebens, so dass der Geliebte, den wir aus einem Traume mit in die Realität hinüber nähmen noch immer nicht mehr wäre als nur eine Aus..prägung unserer Erinnerung."
    Wieder einmal blieb sein Blick an dem sterbenden Hyacinthus hängen, aus dessen Tod farbige Blütenpracht erwuchs, welche durch alle Zeiten hindurch ihn in Erinnerung würde behalten, gleich ob noch irgendwer ihn träumte.
    "Aber selbst wenn das Erwachen schmerzli'h ist, wäre es nicht weitaus grausamer wäre er gänzlich fort, wenn dir nichts würde bleiben von solch einem Menschen als nur das blasse, fahle Bildnis, welches die Erinnerung des Menschen stets ist, oder schlimmer noch würde er ver..schwinden in einer bedrückenden, toten Leere? Ist nicht die Qual des Erwachens ein geringer Preis, verglichen mit dem, was die Träume bieten können?"
    Er fragte sich, was dies wohl ein Mensch mochte gewesen sein, von welchem Axilla träumte - den Aelier schloss er indes aus, war dies doch zweifelsohne nur eine politische Ehe gewesen.

    cdcopo-pontifex.png flavia.png

    IUS LIBERORUM

    PONTIFEX PRO MAGISTRO - COLLEGIUM PONTIFICUM

Jetzt mitmachen!

Du hast noch kein Benutzerkonto auf unserer Seite? Registriere dich kostenlos und nimm an unserer Community teil!