Cubiculum QFF | Bacche bene venies

  • gratus et optatus.


    Trist waren die letzten Tage des Quintus Flavius Flaccus dahingekrochen, hatten sich, einer zischelnden Natter gleich, den gewaltigen Berg der Zeit herabgeschlängelt, kreuchend und fleuchend ihren Weg suchend, stets geprägt von einer gewissen Melancholie, die selbst die mit zarter Gewalt sich anbahnenden Boten des Frühlings in ihre tiefschwarze See aus hoffnungsloser Schwermut hinabgezogen hatte. Obgleich den ganzen Tag von Hundertschaften an Menschen umgeben, fühlte er sich mehr umzingelt denn umsorgt, und inmitten der Geschäftigkeit am Forum verspürte er lediglich eine schier endlose Einsamkeit, Ausdruck einer unendlichen, pechschwarzen Leere, den düstersten Tiefen des Arvernersees gleich, die sein Innerstes erfüllte. Bedrückt ließ er sich vom unaufhaltsam zermalmenden Strom der Tage dahintreiben, aufreiben durch unzählige Pflichten als Spielball der grauen Mächte des Alltags. Sinnierend lag er auch an diesem Abend hingebreitet über den rauen, feingliedrigen Mosaikboden seines Cubiculums, welchen er dem weitaus bequemeren Bett vorzog, vermochte doch die Kälte des Bodens, die langsam in seine Glieder kroch, seine Stimmung in unvergleichlichem Maße zu intensivieren, und die kleinen bunten Steinchen, die sich, lediglich durch eine zarte Tunika von der nackten Haut getrennt, stechend in seinen Rücken drängten, durch den, bei längerem Verweilen unweigerlich sich einstellenden, Schmerz, den Flavier wenigstens davon abzuhalten Somnus' Reich anheim zu fallen, und seine grübelnden Gedanken auf diese Weise vorschnell zu einem süßen Ende zu bringen. Denn in den trügerischen Mantel der Süße hüllte sich die Bitterkeit des Schlafes, doch nur Tore unterlagen den widersinnigen Verlockungen und falschen Versprechen nach Erlösung durch des Todes Bruder. Hingeben konnte er sich ja immer noch, den Verlockungen unterliegen - nichts leichter als das! Doch ein kleiner lebendiger Keim sproßte noch in der Düsternis der Trostlosigkeit der flavischen Seele, eine winzige Regung leistete der allverschlingenden Schwärze zarten Widerstand, ein Licht erglomm in der Finsternis. Das flackernde Licht des Durstes nach Erkenntnis war es, das tief drinnen den Kampf noch nicht gänzlich aufgegeben hatte, und den Urgrund der Betrübnis zu ergründen trachtete. Und doch vermochtete der Geist die Nebel der Verblendung nicht zu lichten, durch die Schatten der Verwirrung vorzudringen in die Gefilde des Lichts und der Erkenntnis und irrend huschte er über die Abgründe der Täuschung, wiewohl doch die Antwort so klar und strahlend leuchtete, dort am Berg der Weisheit, zwischen den Strömen des Verstands und der Begierde. Tatsächlich musste der Grund allen Unmuts in der bedrückenden Einsamkeit zu finden sein, denn tot, oder durch Meere und Gebirge getrennt waren jene Menschen, denen er sich verbunden fühlte, der einsame Wanderer in den Schatten der Verwirrung, in der Finsternis der Isolation. Tot war der Mentor, tot der Vater - fort war der Freund, fort die Liebe. Was zurückblieb, war der verzweifelt Irrende, der Suchende in den Nebeln der Verblendung. Nicht immer jedoch war die Düsternis so dicht, die Abgründe so unüberwindbar erschienen, denn mitunter hatte strahlender Sonnenschein die Nebelfetzen durchdrungen und zarte Klänge einer besseren Welt waren über die Tiefen geweht, aus der Ferne hatte der Wanderer wunderschöne Wesen erblickt, Nymphen gleich in grünem Kleid, Blumen in bunter Pracht. In Trance war er zugeschritten auf diese wundersamen Erscheinungen die so verlockend erschienen, voll Güte und Freude, Boten einer freundlichen Welt, doch mit einem Schlag - und wie Donner toste es im Himmel und hallte wider an den Hängen der uralten Berge - in grausige Fratzen verwandelten sich die Nymphen und unüberwindbar war plötzlich der Abgrund, der eben noch von zartem Tau umspannt schien. Und wie er sichs versah, hatte die Einsamkeit den armen Wanderer erneut gepackt mit aller Kraft, mit grausamer Gewalt. Und so irrte er wieder alleine in der Finsternis umher, und erkannte doch nicht, woran es ihm mangelte: einem Freund.


    "Aber Herr, du wirst doch nicht den ganzen Abend so zubringen wollen?", erscholl eine wohlbekannte Stimme in den Räumlichkeiten des Quintus Flavius Flaccus und durchbrach die bereits gespenstisch anmutende Stille mit warmen, griechischen Worten. Patroklos, einer der jüngeren Sklaven, er mochte wohl ungefähr im selben Alter wie sein Herr sein, durschritt das Cubiculum mit großen Schritten und blickte dann vergnügt auf den am Boden Liegenden herab. "Heute ist doch das Fest des Bacchus - es wäre ja unverantwortlich, den Gott zu beschämen...", ein schelmisches Grinsen lag über seinen Zügen, als er sprach. Langsam öffnete Flaccus die Augen und wähnte sich wie aus einem langen Traum erwacht. "Bacchus sagst du?" Eifrig nickte der junge Grieche, der in seinem ganzen Leben jedoch keinen anderen Ort als Rom gesehen hatte. Schwerfällig zog sich der junge Flavier auf eine Liege, wo er erschöpft liegen blieb und mit einer Hand seinen schmerzenden Kopf massierte. "Dann hol' Wein!", wies er dann den Sklaven an, "Und bring ein paar Gaditanae." Die Tänzerinnen würden ihn hoffentlich auf andere Gedanken bringen. "Nein, halt. Bring nur Aglaia mit.", wies er Patroklos an, ehe jener dienstbeflissen aus dem Zimmer eilte, um die gewünschten Dinge herbeizuschaffen. Was sich Flaccus davon erwartete, wusste er selbst noch nicht so genau, doch eines stand fest - der Wein würde die Trübsal fortblasen und Aglaia ... ihm auf andere Weise Erleichterung verschaffen.

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