Ein dumpfes Stöhnen drang aus den Gemächern, die Nigrinas waren. So wenig sie ein Problem damit hatte, herum zu brüllen, wenn sie sich gerade aufregte – so sehr hatte sie eines damit, es zu tun, wenn sie Schmerzen hatte.
Und im Augenblick hatte sie Schmerzen. Sie hatte gewusst, dass eine Geburt schmerzhaft werden würde, aber dass es so schmerzhaft werden würde, damit hatte sie nicht gerechnet. Im Traum nicht. Zuerst war es nur ein Ziehen gewesen, das sie für die üblichen Vorwehen gehalten hatte – die immerhin kamen nun immer öfter, und da die Hebamme ihr gesagt hatte, was sie erwartete, ignorierte Nigrina diese schlicht. Sie motzte gelegentlich darüber, aber sie jammerte nicht – und sie ließ schon gar nicht zu, dass diese Unannehmlichkeiten tatsächlich ihr Leben beeinflussten oder gar beherrschten.
Allerdings waren sie häufiger gekommen als bislang. Und sie waren stärker gewesen. Und länger. Und dann waren sie mit einem Sprung plötzlich stärker geworden, so stark, dass sie realisiert hatte, was nun anstand – und zu ihrem Leidwesen war diese beim Essen gekommen, und es hatte sie einiges an Selbstbeherrschung gekostet, sich nichts anmerken zu lassen. Oder es wenigstens zu versuchen. Vermutlich hatte sie das Gesicht verzogen, und sie hatte ganz sicher plötzlich angespannt gewirkt, aber sie hatte immerhin keinen Laut von sich gegeben. Wäre ja noch schöner. Sie hatte abgewartet und sich danach mit einer oberflächlichen Entschuldigung zurückgezogen – um nach der Hebamme schicken zu lassen, und sich in ihre Gemächer zurückzuziehen.
Und dort war sie nun. Herumlaufend, stehend, sitzend, liegend, wieder herumlaufend, irgendwie musste man ja die Zeit totschlagen. Nachdem die Hebamme bestätigt hatte, dass nun wohl die Geburt bevorstand, hatte Nigrina den Parther losgeschickt, der ihrem Mann Bescheid sagen und sich dann vor ihrer Tür postieren sollte, um unerwünschte Besucher abzuwimmeln und zur Not als Botenjunge zu fungieren, wenn drinnen irgendetwas gebraucht wurde. Ein anderer Sklave war geschickt worden, um die Amme zu holen, die Nigrina ausgesucht hatte, das Kind nach dem ersten Stillen zu versorgen.
Und dann hieß es: warten. Warten auf die nächste Wehe, warten auf die nächsten Schmerzen, die sich stückweise zu steigern begannen, warten auf das Ende in Form der Geburt. Nigrina scheuchte Sklavinnen herum. Nigrina scheuchte auch die Hebamme herum, oder jedenfalls versuchte sie es, auch wenn diese sich davon wenig beeindrucken ließ – sie war es gewöhnt, mit schwangeren oder gebärenden Frauen umzugehen, die von hohem Rang waren und sich entsprechend benahmen, denn natürlich hatte Nigrina nicht einfach irgendeine Hebamme ausgesucht. Die Flavia wiederum wusste, dass sie die Frau noch brauchen würde, was der Grund war, warum sie sich ihr gegenüber dann doch noch ein wenig besser verhielt als gegenüber ihren Sklavinnen.
Aber sie brauchte Ablenkung. So lange die Ruhephasen noch ausreichend Zeit boten, tigerte sie also im Raum umher, ließ sich je nach Laune vorlesen, Musik vorspielen, etwas anderes vorlesen... Aber es dauerte. Und dauerte. Und dauerte. Und kontinuierlich wurde das Ziehen stärker, schmerzhafter, ihr Bauch verkrampfte sich mehr und mehr, bis Nigrina schließlich nur noch lag, aber immer noch dauerte es. Die Hebamme versicherte ihr, dass das ganz normal sei, vor allem bei der ersten Geburt, aber der Flavia war ziemlich egal, was normal war und was nicht. Sie wollte einfach nur, dass es schnell ging. Dass sie es hinter sich hatte. Sie hatte sich monatelang abgequält, um ihrem Mann ein Kind zu gebären, ganz wie es sich für eine Ehefrau gehörte, da konnte es doch nun am Schluss wenigstens schnell gehen!
Allein, das Kind ließ sich Zeit. Stunden um Stunden vergingen, die Nacht brach herein, und der Körper der Flavia wurde immer häufiger von immer heftigeren Wehen geschüttelt. Nigrina biss in ein Stück Holz, aber selbst das konnte auf Dauer nicht mehr verhindern, dass sie anfing zu schreien. Und es dauerte immer noch. Erste Geburt, hörte sie zwischendurch die Hebamme wiederholen, da sei das normal. Irgendwann gesellte sich zu der Erste Geburt-Litanei der Schmale Hüften-Singsang. Nigrina hätte der Hebamme am liebsten einen Tritt in deren nicht ganz so schmale Hüften gegeben, aber sie war bei weitem nicht mehr in der Verfassung, sich wirklich zu rühren, geschweige denn aufzustehen und handgreiflich zu werden.
Die Wehen gingen kontinuierlich weiter und schienen sich irgendwann auf einem gewissen Niveau einzupendeln, während die Nacht vorüber ging und draußen der nächste Tag anbrach. Erst, als die Sonne schon aufgegangen war, änderten sie sich wieder und bekamen nun eine völlig neue Qualität. Nigrina meinte, dass es ihren Unterleib beinahe zerriss bei den Wehen, die nun kamen, und zugleich hatte sie das Bedürfnis zu pressen – ohne dass sie gewusst hätte, wo sie die Kraft dafür nun noch hätte hernehmen sollen. Sie hatte nicht einmal mehr die Kraft, zu schimpfen und zu fluchen, wie sie es fast die ganze Nacht lang gemacht hatte. Ihr fehlte im Grunde sogar die Kraft zu schreien, und so konnte man es beinahe schon als Wimmern bezeichnen, wenn ein neuer Schmerz über sie rollte.
Nigrina bekam von ihrer Umgebung kaum noch etwas mit. Sie bemerkte nicht, wie die Hebamme ihre Erste Geburt- und Schmale Hüften-Sprüche irgendwann einstellte. Sie sah nicht, dass der Gesichtsausdruck der Frau ein wenig besorgt wurde und dann, irgendwann, wieder erleichtert, als endlich die Presswehen einsetzten. Und sie merkte nichts davon, dass die Hebamme erneut sorgenvoll dreinschaute, bevor sie sich zu etwas entschloss.
Und sie hörte nicht, als die Frau ihr sagte, dass sie zu eng sei, dass sie drohte zu reißen, und dass die Hebamme deshalb würde schneiden müssen. Was, letztlich, wohl auch besser so war, dass Nigrina davon nichts hörte, obwohl die Hebamme auch erklärte, dass die Flavia ohnehin kaum mehr Kraft zu haben schien um noch weitere Presswehen durchzustehen, und dass sie zudem leichter und schneller verheilen würde, wenn es ein sauberer Schnitt war und kein Riss.
Den neuen Schmerz, der nun kam, nahm Nigrina gar nicht wirklich war, weil er schlicht unterging in den anderen Schmerzen, den Presswehen, der Erschöpfung. Sie merkte nur, dass es irgendwann vorbei war. Endlich. So tiefgreifend müde wie noch nie zuvor in ihrem Leben sackte sie einfach nur zurück. Und dann zwang sie sich doch wieder dazu, die Augen aufzumachen, um nach dem Kind zu sehen. Sie wollte wissen, ob sich die ganze Quälerei wenigstens gelohnt hatte. Und noch bevor sie etwas sagen konnte, hörte sie das Schreien, oder vielmehr ein fiepsiges Quäken zuerst, ehe es an Kraft gewann, als die kleinen Lungen sich mit Luft füllten. Ein Junge, hörte sie die Hebamme sagen, als diese ihr das Kind nun an die Brust legte, damit es die erste Milch von ihr bekam. Wäre Nigrina nicht so fertig gewesen, hätte sie nun wenigstens eine Hand zur Faust geballt und in einer Siegesgeste nach oben gereckt, so allerdings war es nur ein schwaches, nichtsdestotrotz aber triumphierendes Lächeln, das kurz über ihr Gesicht huschte. Ein Junge. War all die Plackerei doch etwas wert gewesen.
Einen Arm, wie von der Hebamme so zurecht gelegt, so um das Kind gelegt, dass es nicht aus Versehen herunterfallen konnte, blieb Nigrina liegen wie sie war, ließ einfach nur geschehen, als die Hebamme und die Sklavinnen anfingen, sie zu versorgen. Sie kümmerten sich um die Nachgeburt – und hier wurde es noch einmal ein wenig unangenehm, aber nichts im Vergleich zu vorher –, sie versorgten die Wunde, wuschen sie und lagerten sie um, damit sie alles sauber machen konnten. Und dann, schließlich, als alles so präsentabel wie unter den Umständen möglich war, wurde der Parther losgeschickt, um dem Vater Bescheid zu geben.