Atrium | Praeparationes

  • Ein wahres Wunderwerk vollbringend hatten unzählige flinke Hände das Atrium des flavischen Anwesens in Rom über Nacht mit zahllosen frischen Blumengirlanden geschmückt, sodass es sich nun, am sechsten Tage vor den Kalenden des Iunius, noch strahlender als sonst dem Auge des Betrachters in unersättlicher Pracht darbot. Hier sollten nun also die vorbereitenden Handlungen für das große Fest der Dea Dia in ihrem Hain an der Via Campana stattfinden. Das Bildnis der Göttin war auf einem zentralen Platz im Atrium aufgestellt worden, davor ein Altar für die notwendigen Opfer. Schon vor Tagesanbruch hatte Quintus Flavius, der an diesem Maifest zum ersten Mal in seinem jungen Leben an einem wahrhaft gewichtigen kultischen Akt aktiv würde participieren, in einem marginalen Anflug von Nervosität die Arbeit der Sklaven bei den Vorbereitungen im Atrium begutachtet, hier und da etwas zurecht gerückt, und sich schließlich eingestanden, dass sie wahrhaftig Großartiges vollbracht hatten. Beruhigt hatte er sich dann also ohne große Eile von einer der geübteren ornatrices die purpurverbrämte, prachtvolle toga praetexta anlegen lassen können, die die Arvalbrüder bei allen Amtsahndlungen zu tragen pflegten, nur um den komplizierten Faltenwurf schließlich in nervenraubender Weise immer und immer wieder zu korrigieren. Bei den ersten Anzeichen des dämmernden Tagesanbruchs hatte er sich jedoch sogleich im Atrium eingefunden, um dort in Gemeinschaft der übrigen Brüder die heiligen Handlungen zu vollziehen. Zunächst wurde Weihrauch, den Quintus schon vor Wochen eigenhändig ausgesucht, und um sündhaft teures Geld erworben hatte, auf glühenden Kohlen dargebracht und schon bald zogen wohlduftende Rauchschwaden ihre wabernden Bahnen durch den Raum. Nun wurde Wein, den der junge Flavier aus den erlesenen Sorten seines campanischen Weinguts erwählt hatte, unter beruhigendem Plätschern in goldene Schalen am Altar gegossen und der Göttin auf diese Weise dargebracht. Sodann brachten die ministri unter ehrfürchtigem Schweigen die fruges aridas et virides, vorjährige dürre und diesjährige grüne Ähren, sowie panes laureati, lorbeerbekränzte Brote herbei, die die anwesenden Brüder nacheinander durch ihre Berührung weihten. Lediglich eine einzige Handlung war nun noch vonnöten, um den officiellen Teil des ersten Feiertages, und damit gleichsam die Vorbereitung der Caerimonien des zweiten Tages abzuschließen. Hierzu wurden kostbare Salben herbeigebracht, mit denen die Brüder nun nacheinander, durch den Weihrauch hindurch, das Bild der Göttin salbten. Als Flaccus selbst an die Reihe kam, hatte sich seine Nervosität gänzlich verflüchtigt, sodass er nun ruhiger Hand seine Finger zunächst über den Salbentiegel, dann allerdings ehrfürchtig über das Antlitz der Göttin gleiten lassen konnte. Mit bereitgehaltenen Zitronen und Wasser säuberte er sich danach die Hände, und verspürte eine große Last von seinen Schultern fallen. Der erste Teil des Tages war erfolgreich vollbracht, sodass die Aufmerksamkeit nun gänzlich auf den notwendigen Handlungen für den übernächsten Tag im Hain an der Via Campana am rechtsseitigen Tiberufer liegen konnte.

  • Selbstverständlich nahm auch Tiberius Durus als Pontifex pro Magistro und ehemaliger Interims-Magister der Arvales Fratres an den Feierlichkeiten zu Ehren der Dea Dia teil. Im Gegensatz zu sonst musste er jedoch diesmal nicht das Opfer vollziehen, sondern hielt sich, gestützt auf seinen Stock, im Hintergrund neben den übrigen Priestern. Als er von einem Gesicht zum nächsten sah, konnte er eine gewisse Nervosität bei Flavius Flaccus, seinem Klienten, wahrnehmen - auch der alte Tiberier konnte sich noch erinnern, wie aufregend seine erste öffentliche Kulthandlung gewesen war...


    Schließlich kreisten die Erstlingsgaben des Jahres, die Durus wegen seines Gehstockes - auf den er auch im Stehen ungern verzichten konnte - einfach kurz in einer Hand hielt und dann weiterreichte. Es schien frisch gebacken zu sein, denn es roch nicht nur hervorragend, sondern schien auch noch jene leichte Wärme des Ofens zu verströmen, den der Alte liebte.


    Schließlich folgte der letzte Akt, bei dem Durus direkt hinter dem Magister auf das Kultbild zuhumpelte, es streng fixierte und dann mit der freien Rechten in die Salbe griff. Unter Kultformeln, die so alt waren wie das Collegium der Arvales selbst, begann er dann vorsichtig das Gesicht der Göttin mit der Salbe zu bestreichen. Während er die ewig jugendlichen, aber kalten und toten Züge der Göttin dabei berührte, musste er unwillkürlich daran denken, bald wieder eine ebenso hübsche und jugendliche Frau sein Eigen nennen zu können - zwar konnte er sich Derartiges auch bei einer Sklavin nehmen, doch freute ihn diese Aussicht doch...

  • Ah. Wie gut war es doch, dass sein Neffe Piso so viel abgenommen hatte in den Vorbereitungen. Dieser Kerl war ein wahres Goldstück. Man konnte es dem Flavier noch immer ansehen, dass er noch nicht ganz über dem Damm war. Er hatte längere Zeit eine Grippe gehabt, welche ihn etwas beeinträchtigt hatte, doch dankenswerterweise hatte er sich wieder halbwegs erholt, sodass er nun auch an dieser Feierlichkeit teilnehmen konnte.
    Sein Blick fiel unmerklich auf das Bein des alten Tiberiers. Uiuiui. Noch immer nicht richtig erholt. Piso stellte sich vor, wie die Knochen des Alten aussehen würden. Vielleicht war das Schienbein nur noch ein schwarzer, fauliger Klumpen... wäh... bar jeglicher Ästhetik.
    Doch solche schrecklichen Gedanken konnte Piso sich gut vertreiben, indem er die Blumegirlanden anschaute, welche Flaccus da aufgehängt hatte. Pisos geschmack zufolge hätten sie ruhig noch ein wenig kitschiger sein können, aber er verbiss es sich, herumzukritisieren. Schließlich hatte er dies nicht gemacht, das war alles Flaccus‘ Werk.
    Pisos Toga war sorgsam über seinen Körper drapiert. Astarte, Pisos Lieblingsornatrix, hatte fast eine halbe Stunde es ertragen, sich von Piso ganz genaue Anweisungen geben zu lassen, wie seine Toga sitzen musste. Die Sklavin war schon daran gewöhnt, wie penibel Piso Wert legte aufs Schöne und Feine, und so hatte sie jegliche Nörgelei heruntergeschluckt. Auch, weil ihr als Sklavin Kritik am Herrn nicht gut bekommen wäre.
    Der Flavier fand sich so also, nachdem er die Speisen in der obligaten rituellen Behandlung berührt hatte—er konnte sie dabei leider nicht riechen, irgendwie waren siene Geruchsorgane noch immer nicht gänzlich in Ordnung—nun inmitten von Weihrauchdämpfen wieder. Mit Mühe und Not verhinderte er es, zu husten, schließlich würde es Dea Dia kaum behagen, besprotzte er ihre Statue mit Speichel. Er unterdrückte also seine Krankheitssymptome und schmierte die Göttin großzügig mit Salbe ein. Er fühlte sich, als verheirateter Mann, fast schon schlecht dabei, dass er eine komplett diebische Freude dabei verspürte, der Göttin linke Brust einzuschmieren. Aber Prisca war eh nicht hier!
    Zufrieden blickte er, als das Werk abgeschlossen war, auf die Eingeschmierte, wie ein stolzer Vater auf sein Kind, weder den leicht lüsternen Ausdruck des alten Tiberiers noch den erleichterten des Flaccus recht registrierend.

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