[Wälder vor Mogontiacum] Treibjagd

  • Bumm. Bumm. Bumm. Die Trommeln klangen dumpf durch den sommerlichen Wald, hallten von den Blätterdächern der großen Laubbäume wider. Das Unterholz knackte immer wieder leicht, wenn sie es niedertraten, dazwischen raschelte das noch liegende Laub vom letzten Jahr. Die grünen Stellen, wo Gräser wuchsen, dämpften die Schritte. An den Wildwechseln standen Wegerich und Huflattich, an den Bachläufen, wo nach jedem stärkerem Regen die Flüsschen über die Ufer traten, oder auch vom nahen Rhenus bei Überschwemmung Schlamm in die Auen getragen wurde, standen Dotterblumen, schwere, rote und violette Akeleien dort, wo der Boden trockener war. Am Rand der Lichtung Rittersporn und Eisenhut. Überall wuchs der kräftig gelbe Hahnenfuß, dann weiße Schafgarbe, roter Mohn. Brennesseln mit ihren gezackten Blättern, Kletten, die an den Hosen hängen blieben. Der Wald war schön zu dieser Jahreszeit.
    Bumm. Bumm. Bumm. Die Vögel hatten aufgehört, zu singen, und flogen vor dem Lärm der Trommel weg. Einige Dohlen schimpften lautstark, wenn sie einem hohlen Baum zu nahe kamen, verteidigten mit ihrem spitzem kjachack ihre Nester. Eichhörnchen saßen hoch auf den Bäumen, keckerten die Menschen zu ihren Füßen an und schimpften, ehe sie sich höher hinauf verzogen. Außerhalb der Reichweite von Steinschleudern.
    Bumm. Bumm. Bumm.Gleichmäßig ging es voran, immer in Sichtweite zum nächsten. Die Aufgabe als Treiber war nicht schwer. Man brauchte nur etwas, das ein bisschen Lärm machen konnte. Zwei große Stöcke, die einen kräftigen Klang beim aufeinanderschlagen gaben. Ein alter Schild, auf den mit einer kleinen Keule gehauen wurde - für die, die gern viel Gewicht trugen oder hier im Wald lieber sicher unterwegs sein wollten. Oder eben ein mit Fell bespannter Holzreif, als einfache Trommel. Es musste nur laut genug sein, alles aufzuscheuchen,was sich in den Sträuchern von Brombeer, Holler und Flieder vor ihnen wegducken könnte.
    Bumm. Bumm. Bumm.Und sie flüchteten. Haken schlagende Hasen, Fasane und Wachteln, rote, zottige Füchse, Wildkatzen, Luchse, Wiesel, Marder, Rotwild. Alles lief weg vor dem Lärm, der für sie nur Mensch.Mensch.Mensch. verkündete, lief weg in die Richtung, wo mit Fangnetzen und Spießen schon die Jäger warteten. Denn heute wurde gejagt.


    Landulf lief mit bei den Treibern. Zu gern wäre er einer der Jäger, aber Mutter hatte es nicht zugelassen. Er sollte froh sein, hier dabei zu sein bei den Treibern, Teil der Gemeinschaft. Er sollte lernen, Teil von etwas zu sein. Um zu führen, müsse man es verstehen. Eins sein. Wer sollte ihm später folgen, wenn er nicht selbst tun konnte, was er von anderen verlangte? Wer sollte auf ihn hören, wenn er nie Dreck gefressen hatte? Und so marschierte er mit den anderen Jungen. Sie waren eine gemischte Gruppe, von acht bis achtzehn alle Altersklassen vertreten. Unter ihnen waren auch noch zwei der Alten, mit graugetrübten Augen und zittrigen Händen, zu schlecht beim Zielen für einen Wurf, zu zittrig mit den Händen für einen Todesstoß, zu stolz im Herzen, um nicht teilzunehmen. Landulf grinste zu einem dieser bärbeißigen Kerle rüber, bekam aber keine Reaktion.
    Bumm. Bumm. Bumm. Es machte nichts. Er ging einfach weiter, schlug mit zwei Stöcken aufeinander, im Takt ihrer Schritte, klapperte besonders bedrohlich an den Wildrosenhecken und scheuchte so noch ein paar Kaninchen mehr auf, sah ihnen nach, wie sie panisch im Unterholz vor ihnen verschwanden. Im Lichtgrün des Waldes vor ihnen raschelte es immer wieder, wenn das ein oder andere größere Tier durchs Unterholz brach auf der panischen Flucht vor den vermeintlichen Häschern. Nur wenige waren so mutig, sich dem Lärm zum Trotz seitlich dazu durchzuschlagen und so der aufgestellten Falle zu entgehen.


    Im Morgen waren sie losmarschiert, als der Tau noch klamm in der Luft hing. Inzwischen war die Sonne schon höher gestiegen, doch noch war nicht einmal Mittag. Sie liefen bereits das zweite Mal auf den Sammelpunkt zu, diesmal von der anderen Seite. An Landulfs Hose klebten überall fleckig Reste des Unterholzes. Alles roch nach Harz. Und von überall klang noch immer das Bumm. Bumm. Bumm!

  • Neben ihm lief ein bärbeißiger alter Kerl, der eine finster ausschauende Narbe quer übers Gesicht hatte. Landulf konnte einfach nicht aufhören, rüberzuschauen. Wie das wohl passiert war? Im jugendlichen Hirn formten sich die tollkühnsten Theorien, wie es wohl dazu gekommen sein mochte, und je wilder die Phantastereien wurden, umso näher trat Landulf zu dem Kerl heran. Dieser natürlich wurde der zielstrebigen Annäherung des jungen Burschen gewahr, und nachdem finster zurückstarren scheinbar seine Wirkung verfehlte, wich er etwas weiter aus.
    Es war nicht viel, was sich so das kleine Zweiergrüppchen seitlich bewegte, eigentlich nur eine kleine Kursabweichung, aber sie reichte aus, dass Trommeln der anderen leiser werden zu lassen, als diese sich mehr und mehr von ihnen entfernten.
    “Sag mal, ich kenn dich irgendwoher. Wie heißt du?“ Landulf beschloss, jetzt einfach zu fragen, in der Hoffnung auf eine Antwort, die hoffentlich mit einer seiner Theorien übereinstimmte. Und der alte Mann kam ihm wirklich irgendwoher bekannt vor. So groß war Mogontiacum ja nun auch nicht – zumindest, wenn man dort aufgewachsen war und irgendwie überall seine Nase schon reingesteckt hatte – und hier auf der Jagd waren ohnehin hauptsächlich Männer vertreten, die irgendwo in der Schuld seiner Sippe standen. Mutter hätte es niemals zugelassen, dass er irgendwo mitging, wo sie nicht sicher war, dass er lebend wieder zurück kam. Auch wenn sie das so nicht ausdrückte, sondern etwas mehr so, als wäre das ganze seine Schuld.
    Doch der Kerl antworte sowieso nicht. Er hörte auf, mit seinem Spieß auf seinen schild zu hämmern, so dass auch Landulf sich ein wenig blöd vorkam, noch weiter mit seinen beiden Klanghölzern Tiere aufscheuchen zu wollen und drehte sich mit einem Grunzen einfach um und stapfte von Landulf weg.
    “He, warte mal“ lief er ihm hinterher und versuchte, aufzuholen. Woher kannte er den Kerl? Woher...? Achja! “Gehörst du nicht zu den Tudicii? Ich hab dich doch im Herbst bei der Aussaat gesehen. Richtig?“
    Wieder nur ein Grunzen, und er stapfte ein wenig schneller mitten ins Nirgendwo, weg von der Jagdgesellschaft, weg von den Trommeln. Und Landulf folgte ihm daher schneller. Natürlich wusste Landulf um die Geschichte, wie die Tudicii in die Munt der Duccii gekommen waren. Jeder hatte es ihm erzählt, ein Dutzend Male, dass einer der Tudicii seinen Vater getötet hatte. Hinterrücks erschlagen, obwohl er den Zweikampf gegen den gewählten Streiter von ihnen gewonnen hatte. Ermordet, der große Lando, dem zu Ehren eine Statue mitten in Mogontiacum stand. Dieser Bronze-Vater, von dem Landulf andauernd hörte, dass er stolz auf ihn sein konnte, was er alles erreicht hatte, wie er sich um die seinen gekümmert hatte. Auch seine Schwester sprach so von ihm, obwohl sie keine fünf Jahre alt war, als er gestorben war. Die wusste eigentlich genauso wenig über ihn wie Landulf selbst, und trotzdem redete sie dauernd von ihm. Vor allem, wenn Landulf mit Witjon etwas unternahm, dem Mann, der der einzige Vater war, den Landulf so kennen gelernt hatte. Auch wenn er wusste, dass er nicht sein Vater war, aber was wusste jemand wie er schon davon, wie der Unterschied war?
    Doch es mochte sein, wie es war, Landulf folgte dem grobschlächtigen Tudicius dennoch. Trotz der Geschichten über ihren Verrat. Trotz der wenig vertrauenserweckenden Art des Mannes oder seiner Sippe. Was sollte schon passieren? Außer, dass er ihn mit seinem Spieß abstach und im Wald verbuddelte und behauptete, von nichts zu wissen, vielleicht. (Eine Möglichkeit, die Landulfs jugendlicher Leichtsinn großzügig ausklammerte.)


    Und so waren sie auch ein gutes Stück von den anderen entfernt, als der Mann sich doch zu ihm umwandte, ihn am Kragen packte und gegen den nächsten Baum drückte. “Lass mich in Ruhe, Junge!“ zischte er Landulf ungehalten zu, ehe er ihn mit einem letzten Ruck gegen die Brust wieder aus seinem Griff losließ und den zu m Zwecke der Machtdemonstration fallen gelassenen Spieß aufheben wollte.
    “Is ja gut, war ja nur 'ne Frage“ meinte Landulf und sammelte seine Ehre wieder zusammen. Doch irgendwas war anders und nicht so, wie es sein sollte. Landulf merkte es erst, als er aufhörte, seine Kleidung wieder zurecht zu zupfen und an sich entlangzuklopfen und den Mann ansah, der in der Bewegung erstarrt war und noch immer gebückt zu seinem Spieß dastand.
    Landulf folgte der Blickrichtung und erblickte das häßlichste und größte Wildschwein, dessen er je ansichtig wurde.

  • “Bleib ja stehen, Junge.“ Der Mann war wie in der Bewegung erstarrt, rührte sich keinen Fingerbreit. Landulf schaute zu ihm, schaute zu dem Speer, der hier zwischen den kleinen Stauden von Wolfsbeeren lag, und zu dem Eber. Da blieb sein Blick am längsten heften, an diesen riesigen gelben Zähnen, von denen einer gesplittert aussah und die bis weit über die gigantische Schnauze zu ragen schienen, krumm und irgendwie scharf aussehend, und dem schwarzen, borstigen Fell, das widerstandsfähiger aussah als die Panzer aller Legionäre Mogontiacums übereinandergeschweißt. Dazu die gewaltigen Hufe, die die Erde aufscharrten und in gefährlich wirkendem Bogen nach hinten aufwarfen. Auch auf der Schnauze, aus der gerade ein beängstigendes Schreien herüberschallte, war jede Menge Dreck. Aber am furchterregendsten waren die kleinen Augen, die genau zu Landulf herüberstarrten, ihn geradezu anvisierten, als wollten sie ihm sagen: Ja, dich mein ich! Dich spieß ich jetzt gleich auf!
    “Nicht bewegen, Junge.“ Landulf blieb zwar stehen, aber bei weitem nicht so unbeweglich wie der Mann neben ihm. Er schaute wieder runter, wieder zum Wildschwein, wieder zum Speer, wieder zum Eber, wieder zu dem Tudicius. Das war doch wohl nicht sein Ernst, dass sie hier einfach stehen bleiben sollten! Das Vieh verspeiste sie beide noch vor dem Frühstück! Und es sah auch nicht so aus, als würde es darauf verzichten, nur weil sie hier schön brav stehen blieben.


    Und dann ging auch alles schnell. Offenbar hatte die Wildsau lang genug überlegt, was sie machen sollte, und stürmte auf sie los. Landulf hörte noch ein sehr garstig klingendes “Scheiße“ von rechts neben sich, als der Mann auch schon noch weiter von ihm weg sprang, mitten in einen Busch. Und Landulf blieb nichtmal Zeit, zu überlegen, was er tat. Seine Beine reagierten einfach aus uraltem Instinkt heraus und hechteten nach links weg. Gerade noch rechtseitig, denn etwas Dunkles und Gewaltiges donnerte an ihm vorbei und krachte gegen mehrere Äste. Landulf rappelte sich vom Boden auf, seine Beine rutschten auf dem nassen Boden immer wieder Weg. Sein ganzer Mund schmeckte nach erde und Eisen, weil er sich auf die Zunge gebissen hatte beim Sturz, als er hinter sich auch mehr fühlte als sah, dass das Vieh noch nicht mit ihnen fertig war.
    Der Tudicius war sonstwo, und Landulf rannte einfach rechtsrum um den Baum, wusste, dass der Eber ihm folgte, glitt nochmal auf dem Boden aus. Seine Linke traf am Boden auf etwas hölzernes, hartes. Der Speer! Er packte einfach zu, drehte sich um, riss was auch immer er da nun in Händen hatte mit herum. Über ihm war ein Schatten, dann Krach, das Splittern von Holz.


    Landulf lag auf dem Rücken und keuchte. In einer Hand hielt er noch einen Teil des Speeres. Landulf hob ihn leicht an und sah, dass das Holz keine drei Hand breit über seinem Griff zersplittert war. Entkräftet ließ er ihn einfach zur Seite fallen. Ein paar Meter hinter ihm schrie der Eber noch einen Moment, ehe er plötzlich verstummte. Landulf sah hoch ins Blätterdach des Auwaldes, als wieder ein Schatten über ihm auftauchte. Im ersten Augenblick zuckte Landulf zusammen, ehe er den Tudicius erkannte. Über ihm, mit blutigem Messer. Der schaute einfach runter, während Landulf hinaufschaute und mit Atmen schwer beschäftigt war.

  • Der Tudicius schaute einfach zu ihm herunter, das blutige Messer fest im Griff. Landulf schaute nach oben und atmete die Süße des Lebens selbst. Er hatte sich den Kopf irgendwie angeschlagen und es dröhnte ein wenig, aber er war so froh, DAS noch zu fühlen, dass es ihm egal war. Er hatte sich schon in Hels Reich gesehen, in der Schnauze eines gewaltigen Ebers, der ihn bis in alle Ewigkeit vermutlich durchkauen würde. Was war da schon ein wenig Kopfweh?
    Und so dauerte es einen Moment, bevor er den Tudicius wirklich wahrnahm, wie er dastand, und wie er zu ihm runterschaute. Der Mann hatte einen seltsamen Ausdruck im Gesicht. Irgendwas, was Landulf nicht zuordnen konnte, was ihn aber augenblicklich an den Gesichtsausdruck des Keilers denken ließ, kurz bevor er angestürmt war.


    Leif:
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    “Was ist hier los?“ kam eine Landulf nur zu gut bekannte Stimme von irgendwo abseits, und mit einem Ächzen, das einem Achzigjährigen angemessen gewesen wäre, setzt sich Landulf auf. Ihm war ein wenig schwindelig, aber ansonsten war er noch heile.


    Leif stand ein paar Schritt weiter, hinter ihm noch ein paar Männer. Landulf sah zu ihm herüber und bemerkte gleich den erschrockenen und auch ärgerlichen Gesichtsausdruck, den dieser an den Tag legte. Landulf kannte den Mann schon sein Leben lang, genauso gut wie jeden in seiner Familie. Leifs Frau Ida hatte Witjons Sohn Audaod großgezogen, der für Landulf wie ein Bruder war. Er kannte diesen Gesichtsausdruck also sehr gut, nur diesmal galt er nicht ihm oder Audaod oder Leifs eigenen Kindern, und er war auch schlimmer, als wenn einer von ihnen etwas angestellt hatte.


    Leif:
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    “Warum seid ihr zwei so weit abseits? Und wessen Blut ist das?“


    Der Tudicius hob beschwichtigend die Hände nach oben, während Landulf sich langsam auf die Beine rappelte und sich dabei leicht den Kopf hielt.
    “War meine Schuld, Leif“, gestand der junge Duccius, und merkte nichts von der Anspannung in der Luft. “Wir sind irgendwie seitlich abgekommen, und dann war da dieses riesige Vieh, und der Keiler hat uns angegriffen, und wir sind dann ausgewichen und ich bin ausgerutscht und dann lag da der Speer und... wo ist das Vieh überhaupt?“ Landulf sah sich um, sah an dem Tudicius vorbei, der stur an ihm vorbei zu Leif blickte und den Blick auf den Eber versperrte. Also stolperte er an ihm vorbei, um sich das Vieh nochmal anzusehen.
    So wie das Tier dalag, sah es irgendwie geschrumpft aus. Landulf hätte schwören mögen, dass der Eber ihm Lebendig bis zur Brust gegangen wäre, mit Hauern so lang wie ein Arm. Jetzt lag der Eber da, der Speer steckte ihm so in der Brust, dass er am Rücken wieder rauskam. Ein tiefer Schnitt ging durch seinen Hals, wohl von dem Messer. Und irgendwie sah er aus wie jedes Wildschwein der Welt, etwas über kniehoch vielleicht, schwarze, dreckige Borsten. Und die Hauer waren zwar beeindruckend und häßlich gelb, aber vielleicht doch nicht ganz so lang.


    Hinter sich hörte Landulf so halb das Gespräch zwischen Leif und dem Tudicius, der ihnen erklärte, dass Landulf das Vieh getötet habe, als dieses Angriff. Dass er im Liegen den Speer hochgerissen habe und der Keiler direkt hineingerannt sei, in leichtem Bogen über den Jungen, den die Aktion erneut zu Boden warf, hinweggerauscht sei und nun eben da hinten liege. Und das Blut an seinem Messer eben von dem Tier war. Keine bösen Absichten, kein böses Blut. Ein paar finstere Kommentare und höhnisches Schnauben zeigte, dass nicht alle, die gefolgt waren, dem Mann glaubten.



    Leif:
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    “Und du hast das Vieh getötet?“


    Leif war hinter ihn getreten, während Landulf noch den Eber anstarrte und sich fragte, wo das riesige Vieh von Eben nur hinverschwunden war und wer es gegen dieses so viel unschrecklichere Wesen ausgetauscht hatte.
    “Öhm, ja. Muss wohl.“ Landulf zuckte die Schultern. Besonders viel hatte er davon nicht wirklich mitgekriegt.


    Leif:
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    Leif machte einmal nachdenklich “Hmmhmm“ und sah neben ihm einfach auf den Keiler runter.


    Landulf stimmte mit einem still seufzenden Nicken ein und blickte ebenfalls zu dem toten Tier. Er hatte keine Ahnung, wie er das hingekriegt hatte, aber vielleicht stimmte ja, was seine Mutter gerne mal sagte: Das Glück ist ein Rindvieh und sucht seines gleichen.
    Die anderen Jäger aber, die nachgekommen waren, waren nicht ganz so schweigsam. Nachdem sich scheinbar die angespannte Situation aufgelöst hatte, kamen die älteren lachend vorbei, einer haute ihm auf den Rücken, so dass Landulf sich beinahe nochmal hingelegt hätte.
    “Sauber, Kleiner! Dein erstes?“
    “Wildschwein?“ fragte Landulf verwirrt nach. Sein Blick lag noch immer auf dem toten Tier. “Öhm, ja, ich war noch nie mit auf Jagd.“ Seine Mutter hatte immer Gründe gefunden, warum er nicht mitdurfte, nur dieses Mal hatte sie es gut gefunden. Aber das sagte er nicht laut.
    “Was? Wirklich? Das allererste Mal? Und dann gleich so ein Vieh? Du weißt ja, was das bedeutet.“
    “Öhm.... nein?“
    Landuf drehte sich nun doch zu den anderen, und sah in lauter grinsende Gesichter. Sogar Leif hatte sein Lächeln wieder gefunden. Offenbar wussten alle etwas, was er nicht wusste.
    Und es dauerte auch nicht lang, bis er herausfand, was es war, als der älteste der Jäger sich nach dem Keiler bückte, seine Hand in das dunkle Blut tauchte und ihm danach damit über die Wange schmierte. Und nach und nach machten die anderen es ihm nach, jeder der anwesende. Außer dem Tudicius, der scheinbar unbemerkt gegangen war.

  • Bumm. Bumm. Bumm. Noch viel dumpfer klangen die Trommelschläge zu der Stelle, wo Hadamar und Sönke mit einem Netz bewaffnet ihre Stellung hielten und sich die Beine in den Bauch standen.


    "Laaaaaaaaaaaaaaangweilig.", nölte Sönke jetzt zum vierten Mal, nachdem er bereits fünf Bäumlinge als unsichtbare Feinde unterschiedlicher Stammeszugehörigkeit so leise wie möglich niedergeknüppelt hatte und seinem Freund vorgeführt hatte, wie die richtigen Legionäre marschierten, "Wessen Idee war es noch einmal, dass wir unbedingt hier aufpassen sollten? Achja... Elfleda. Ich wusste gar nicht, dass sie mittlerweile auch deine Mutter ist.. und mich hier mit reinzieht! Ich könnte bei Leif und Ulf sein, und mit ihnen einen Hirsch erlegen! Das könnte ich!"
    Aus Verdruss musste noch eine unglückliche Pflanze dran glauben die Sönke mit seinem selbstgeschnitzen Speer zu Pürree schlug, so sehr ärgerte ihn die Tatsache, dass er dazu verdammt war auf seinen wertvollen Freund aufzupassen und dabei gar nichts zu tun. Sönke hockte sich hin, sah noch einmal nach links, wo sein Vater mit den anderen älteren Männern die noch unwahrscheinlicheren Fluchtrouten der Beutetiere abdeckte, und erntete einen vorwurfsvollen Blick für seine Tyrannei ob dem unschuldigen Pflanzenvolk. Als er dem Blick ausweichend nach rechts sah, hatte sich da auch nicht viel dran geändert.


    "Wenigstens sind wir keine Treiber.", brummte Sönke in seinen nicht vorhandenen Bart und tauschte mit Hadamar einen vielsagenden Blick ob des jungeren Landulf ein. Den Jungen, den es noch schlimmer erwischt hatte als sie... weil er das große Pech hatte, direkt von Elfleda abzustammen und nicht nur einer ihrer Neffen um x-Ecken zu sein. Plötzlich war es still, und das war irgendwie kein gutes Zeichen. Normalerweise grunzten, schrien oder bellten (ja, Rehe bellten wenn sie auf der Flucht waren) irgendwelche Viecher immer wenn sie vor den Treibern flohen. Aber jetzt war e mucksmäuschenstill.
    "Was'n los?", konnte Sönke gerade noch ahnungslos fragen, dann hörte man mehrere dumpfe Geräusche aus der Richtung der Jäger und Treiber, und schließlich erblickte man mehrere Schemen, die sich parallel zu ihnen in einiger Entfernung durch den Wald bewegten, in eine Richtung, in die sich die Jäger um Leif und Witjon eigentlich nicht bewegen sollten. Vielleicht doch die Jäger, vielleicht aber auch ein Angriff von Lancen, die unbemerkt von den Römern über den Rhein gesetzt hatten um sie alleine anzugreifen! Ja, das war es!!!!


    "Los, komm schon...", rief er Hadamar zu, als er sich seinen Speer packte und in Richtung der Schemen lief, "..wir müssen Leif und die anderen warnen, wir werden angegriffen!!! Ruhm und Ehre!!! Attacke!!!"
    Sprach's und verschwand hüpfend und stolpernd in Richtung des vermeintlichen Angriffs, der nun doch einige Steinwürfe entfernt war. Als er schließlich über eine umgestürzten Baumstamm sprang... klettert... fiel... erreichte er eine Böschung, die er sich in wildem Eifer hinaufsprang, nur um mit einem lauten "HARRRRR!!!" in eine Gruppe von Menschen geraten zu sein, die ihm nur allzu bekannt vorkam, und die ihn verwirrt anblickte. Er blickte eine Zeit lang verwirrt zurück, bevor sich sein Blick senkte, und er eines toten Keilers gewahr wurde. Und den blutigen Händen der Männer.. und Landulf. Mit blutroter Fresse und ziemlich seltsamen Ausdruck im Gesicht. Mehr brauchte er nicht zu sehen um zu kapieren was vorgefallen war.
    "Ein Treiber??????????????????"

  • Jeder einzelne dieser Männer hier zeichnete ihn mit dem Blut des Ebers, die einen ernst und fast schon rituell, die anderen mit breitem Grinsen und einem Schulterklopfen, aber jeder beteiligte sich daran. Landulf verstand, dass das hier ein Ritual war, dass es wichtig war, nur verstand er nicht, was er gemacht hatte, um das auszulösen. Noch immer hatte er dieses flaue Gefühl im Bauch, das man wohl haben mochte, wenn man nur durch eine gewaltige Portion Glück gerade Hels Fängen entronnen war, und mehr Verwirrung über das eigene Leben herrschte als Erleichterung und Freude.
    Doch der eiserne Geschmack in seinem Mund, wo sich der Geschmack seines eigenen Blutes mehr und mehr mit dem des Ebers mischte, der seinen ganzen Geruch jetzt bestimmte, je mehr Blut in seinem Gesicht landete, und die leichten Schmerzen von den Prellungen, die Übelkeit, weil er sich den Kopf angestoßen hatte, all das sagte ihm mehr und mehr, dass das hier wirklich passierte. Und dass er am Leben war. Und dass seine Mutte rihn umbringen würde, wenn sie das hörte! Oh Götter, daran hatte er ja noch gar nicht gedacht! Er würde nie wieder nach draußen kommen, wenn sie davon was hörte! Und sie würde davon hören, die Männer hier lachten und scherzten ja jetzt schon miteinander über „Landulf, den Eberfäller“! Ihm wurde noch ein wenig schlechter. Aber der Stolz behielt alles dort, wo es hingehörte.


    Als genau da Sönke irgendwo durchs Unterholz brach mit wildem Kampfschrei und die Männer sich zu ihm umdrehten, war sich Landulf nicht sicher, ob er lieber im Boden versinken oder sich unsichtbar machen wollte. Warum nur war er nicht bei der Gruppe geblieben und hatte das getan, was er tun sollte? Zum Glück verdeckte das Blut seinen Gesichtsausdruck, wie es da klebrig und dick an seinen Wangen entlangrann, seine Haare verfilzte und seinen Wams verschmierte.
    “Hey Sönke. Ich hab einen Eber getötet. Irgendwie.“ Landulf mochte Sönke. Und er wollte ihm erzählen, was passiert war, aber irgendwie kam er sich umgeben von den ganzen Männern, die bei diesen drei kurzen Sätzen schon zu glucksen anfingen, extrem dämlich vor. Gern wär er zu ihm einfach rübergelaufen und hätte mit verschwörerischer Stimme alles erklärt, die Sache mit dem Tudicius und wie das passiert war. Dann wohl mit ein paar heroischeren Ausschmückungen über die Größe des Ebers, und – sofern er daran gedacht hätte – sein [strike]Glück[/strike] Geschick mit dem Speer. Aber hier unter Publikum wollte er sich nicht wie ein Kind benehmen, sondern wie ein Mann unter Männern. Und wie einem Mann wurde ihm ja auch gerade gratuliert. Also Rücken gerade und Brust raus und so tun, als wär das alles so geplant gewesen.


    Einer der Männer war unterdes schon damit beschäftigt, dem Eber den Bauch zu öffnen. Spontan fragte sich Landulf, was das Vieh gefressen hatte, dass das so stinken musste, als der Mann mit den Händen anfing, die Gedärme rauszuschaufeln. Ein Wust an blaugrauem Zeug quoll aus dem Eber, dazwischen die dunklen Stücke der größeren Organe. Sein rebellierender Magen fand den Geruch alles andere als erbaulich. Auch wenn Landulf nicht wie ein Schwächling wirken wollte, er konnte nicht hingucken. Überhaupt fragte er sich, warum der Mann das jetzt gleich machte und nicht erst später, wenn man die Tiere zusammen ausnahm und häutete und die Teile, die man verwenden konnte, mitnahm.
    Doch das klärte sich gleich auf, als er einen blutigen Beutel triumphierend herausholte, aus dem noch mehr dunkles Blut quoll als aus dem Rest. Das Herz.
    Der älteste Jäger – Landulf hatte keine Ahnung, wie er hieß. Nicht Leif – trat auf ihn zu, als sich die erste Verwunderung über Sönkes Auftritt auf der Lichtung gelegt hatte, legte ihm beide Pranken auf die Schultern und schaute ihn eindringlich an. Er sprach zu ihm, mit ruhiger und tiefklingender Stimme, es klang regelrecht feierlich. Davon, dass er einen wichtigen Schritt zum Mann gemacht habe. Ein Jäger sei ein Mann, kein Kind. Er könne eine Familie ernähren und mit einer Waffe töten. Auch wenn sie Bauern waren und Korn anbauten, um zu überleben, so sei das doch schon eine sehr alte Sitte, und er müsse sich das stets vor Augen führen. Und noch einige Dinge mehr, denen Landulf zu folgen versuchte.
    Und zum Schluss schließlich bekam er das blutige Herz des Ebers in die Hände gelegt und alle traten ein wenig zurück.


    Landulf schaute einen Moment darauf, auf dieses Stück reinen Muskel, das so glitschig in seinen Händen lag, und dann auf in die erwartungsvollen Gesichter. “Danke.... und jetzt?“
    “Na, essen“ kam es irgendwo aus der Menge, und Landulfs Blick heftete sich entsetzt auf das Herz. Die verarschten ihn doch! Die wollten doch nicht ernsthaft, dass er da jetzt reinbiss?
    “Ihr veralbert mich, oder?“
    Eine Runde Gelächter kam als Antwort, ehe der Mann, der zuerst gesprochen hatte, es nochmal bekräftigte. “Nein, im Ernst. Iss es auf. Dann wirst du groß und stark.“
    Landulf sah noch einmal in die Gesichter ringsum, die ihn alle so erwartungsvoll anschauten, und dann auf das blutige Ding in seinen Händen. Er hasste es, der Sohn von Elfleda zu sein. Seine Mutter würde ihn umbringen, weil er sich in solche Gefahr gebracht hatte. Aber sie würde es langsam tun, wenn er nun das hier hinterher versaute.
    Vorsichtig hob er es an den Mund, zuckte dann aber doch nochmal zurück. Der Geruch von dem Teil war übel. Er atmete nochmal, und biss dann hinein. Er konnte nicht wirklich von der zähen Masse abbeißen, auch wenn er es versuchte, und das was er im Mund hatte, wurde irgendwie immer mehr und mehr und mehr... und irgendwann verlor der Stolz dann doch seinen Kampf gegen Landulfs Magen.

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