Wieviele Tage waren sie nun schon in Alexandria? Neriman hatte aufgehört zu zählen. Mit jedem Tag schwanden die Hoffnungen, die ihr diese Stadt schenken sollte. Die Aufnahme ins Haus des Paulus war ein Segen gewesen. Er, die Frau und das Kind, sie waren wie eine Familie und so ein kleines bisschen ein zuhause für sie geworden. Wie wichtig das für sie war, niemand ahnte es. An dem Tag, an dem ihre Mutter starb, flüchtete sie in diese, ihre eigene Welt. Niemand konnte ihr hier wehtun. Nur wenige fanden überhaupt einen Zugang, nur wenigen gewährte sie einen kleinen Einblick. Ihr Vater, ihr Bruder, die kannten sie. Massa - seine Augen - ohne Mühe war es ihm gelungen. Sie hätte es nicht zulassen dürfen. Schwer hing sein Ring über ihrem Herzen. Noch immer schlich sie jeden Abend in die Dunkelheit, suchte am Himmel nach dem Delfin und konnte nicht glauben, was so offensichtlich war. Sie würde ihn nie wiedersehen.
Um sich abzulenken, hatte sie ihre Cousine überredet, mit ihr zum Markt zu gehen. Ein paar Geschenke für ihre Gastgeber waren schon längst überfällig. Ein kleiner Beitrag zum Unterhalt konnte auch nicht schaden. Den beiden folgte ein mürrischer Aufpasser, dem unschwer anzusehen war, dass er sich lieber in eine der Tavernen verzogen hätte. Stattdessen war er dazu genötigt worden, zwei aufgedrehte Weiber zu begleiten, die nichts anderes als bunte Stoffe, Schmuck, Parfum und anderen Frauenkram im Kopf hatten. Zum Dank durfte er dann auch noch ihre Einkäufe schleppen. Es wurde lauter, ein Sklavenhändler pries seine Ware an. Vor ihm stand ein kleines Mädchen, unbekleidet, man konnte ihm die Scham ansehen, so vor den vielen Menschen zur Schau gestellt zu werden. Und Angst, schreckliche Angst. Ein Stich ins Herz. Neriman wandt sich ab, zog ihre Cousine hektisch weiter. Die Ausgelassenheit war dahin, starr war ihr Blick auf die Stände gerichtet. Gewürze und Weihrauch - allmählich wurde das Zittern ihrer Hände weniger. Verborgen unter ihrem Gewand spürte sie den Dolch. Zu gern hätte sie ihn gerade jetzt benutzt, irgendwann würde dieser Tag kommen. Stattdessen aber wies sie ihre Cousine an, einen guten Preis für die Ware auszuhandeln, die sie aussuchte, so, als wäre nichts gewesen.