Cubiculum Faustus Decimus Serapio (ehemaliges)

  • Ich fand mich in einer unerwarteten Umarmung wieder. Aber irgendwie war mir auch das gerade zuviel, etwas in mir sträubte sich gegen all diese plötzliche familiäre Nähe und Wärme... und das Mitleid.
    Hölzern lehnte mein Kopf an der Brust meines Adoptivvaters. Ich schloß die Augen und atmete schwer aus, und selbst jetzt bohrten sich die bitteren Gedanken wieder unaufhaltsam an die Oberfläche, und ich begann mich vehement zu verteidigen gegen eine Anklage, die Livianus gar nicht ausgesprochen hatte (noch nicht). Er war offen ein Feind von Vescularius gewesen. Ich hatte mich - nach reiflichem Abwägen! - trotzdem dafür entschieden, mich auf dessen Seite zu stellen. Aber Livianus durfte nicht glauben, dass ich deswegen so geworden war wie diese postengeilen, unfähigen Schmeichler, die wie die Schmeißfliegen um Vescularius herumgeschwärmt waren!
    "Vater..." murmelte ich dringlich, "bitte versteh mich... ja, ich habe für Vescularius gekämpft, aber ich habe das getan, weil er... verglichen mit diesem verfluchten Kaisermörder und Kriegstreiber...noch immer das... weil er das bedeutend kleinere Übel für Rom war... Bitte glaub mir, die Ermittlungen, das war keine Propaganda... nun, die... die Art der... Formulierung vielleicht schon, aber der Inhalt nicht... es ist wahr... ich habe versucht...weil... und...ich..." ...verlor den Faden. "Aber es ist mir nicht gelungen." Nein.
    Erst jetzt nahm ich meine Schwester wirklich wahr. Ich sah hinab auf meine Hand, die schlaff in der ihren lag, dann in ihr Gesicht, starr und als hätte ich sie noch nie gesehen.
    "Du bist frei. Ich bin... sehr froh dass du frei bist." sagte ich ausdruckslos. "Wie bist du...? ... Manius... hat uns doch auch im Stich gelassen...." Schleppend kamen die Worte, dann wieder Husten. Ich war so müde. Jedes Wort eine Mühsal. "... was du gemeint hat... nichts sagen... das konnte ich nicht. Aber dann... habe ich das Schwein erpresst... und bin gegangen..."
    Wenigstens ein einziges Mal, war das Wissen, das ansonsten nur Unheil brachte, zu etwas gut gewesen. Restlos erschöpft fuhr ich mir fahrig über die heiße Stirn. Jetzt hatte ich meine Schwester gesehen und sogar meinen Vater. Das war mehr als ich hätte erhoffen dürfen. War damit nun... alles vorüber? Argwöhnisch irrte mein Blick umher suchte in den Schatten nervös nach den ersten Anzeichen von Zerfaserung zu Strängen und Worten...

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  • Schweigend saß Seiana neben ihrem Bruder und lauschte dem, was er Livianus erzählte. Sie kannte schon, was er da sagte, und sie konnte auch verstehen, was er mit seinen Worten wohl sagen wollte... die Rechtfertigung vor seinem Adoptivvater, warum es so weit gekommen war, warum sie nun waren, wo sie waren. Nach allem was ihre Verwandten getan hatten, um ihre Familie groß zu machen, hatten sie geschafft dafür zu sorgen, dass sie am Boden waren... aber nicht grundlos, und sie konnte so gut nachvollziehen, warum Faustus das erklären wollte. Ihr war es ja genauso gegangen, als Livianus gekommen war – es ging ihr immer noch so.
    Das allerdings trat völlig in den Hintergrund, als Faustus auf sie aufmerksam wurde. Mit ihr sprach. Auf eine Art, die... die ihr Angst machte. Seiana saß da und starrte ihren Bruder an, und sie bekam Angst. Er wirkte so leblos, so als sei er furchtbar weit weg von ihr. Da spielte es schon gar keine Rolle mehr, dass er sich offenbar nicht zurückgehalten, nicht geschwiegen hatte... mehr noch: verstand sie das richtig, dass er den Kaiser erpresst hatte, um gehen zu können? Seiana schloss die Augen, versuchte ihre Gedanken zu sortieren und die Angst in den Griff zu bekommen. Ihre Finger schlossen sich fester um die Faustus'. „Mach dir keine Gedanken. Du bist wieder hier, wir beide sind hier, das ist alles was zählt“, wisperte sie.

  • "Genau so ist es" sagte Livianus seiner Nichte zustimmend.


    "Wichtig ist, dass du nun hier bist, dass ihr beide hier seit und lebt. Über alles andere werden wir in Ruhe reden, nachdem du dich ausgeruht hast Faustus."


    Natürlich hätte Livianus gerne mehr mit Serapio nach all dieser Zeit und all den Geschehnissen der letzten Monate gesprochen, doch er sah, dass es in diesem Zustand wenig Sinn machte seinen Sohn noch länger von der dringend benötigten Ruhe abzuhalten. Nun wo er hier in Sicherheit war, blieb ihnen alle Zeit der Welt für klärende Gespräche. Vordringlich war nun, dass Serapio gewaschen und die teilweise sichtbaren Schürfwunden versorgt wurden. Und er hatte auch einiges an Schlaf aufzuholen. Livianus kannte diese Erschöpfung selbst nur all zu gut von seiner eigenen Gefangenschaft bei den Parthern. Er wollte die Sklaven rufen, wandte sich aber dann doch an Seiana.


    "Ich denke wir sollten ihn nun Ruhe gönnen. Man soll ihn vorher waschen und seine Wunden versorgen. Kümmerst du dich bitte darum."


    Er dachte das Seiana vielleicht gern selbst noch ein wenig Zeit bei ihrem Bruder verbringen wollte und den Sklaven daher zur Hand gehen oder sie zumindest anweisen konnte.


    "Doch nur das nötigste, damit er bald seine Ruhe hat. Morgen werden wir weitersehen."

  • Der Druck ihrer Hand hielt mich fest. Deutlich sah ich, Furcht war in ihr Gesicht getreten, und ich dachte... irgendwo weit weg... dass ich auch daran schuld war, und dass ich etwas tun sollte, um meiner Schwester nicht auch noch diese Last aufzubürden. Doch auch dies verlor sich in dem trüben Nebel von Erschöpfung und Verzweiflung. Mechanisch streichelte ich ein paar mal über ihre Hand hinweg.
    Mein Vater ging nicht auf das gesagte ein. Anscheinend wollte er mich schonen, suchte zu beschwichtigen. - ... Glaubte er mir nicht? Nicht einmal er?!! Ich ließ den Kopf sinken. Die Beklemmung schloß sich wie ein eiserner Ring um meine Brust. Nein.
    "Nein." sagte ich mit erstickter Stimme. "Das ist nicht alles was zählt."
    Langsam zog ich meine bleischweren Beine hoch auf das Bett. Geschafft. Streckte mich dann darauf aus. Und schloß die Augen. Der Dreck war mir egal. So ziemlich alles war mir egal. Ich wollte einschlafen und nie wieder aufwachen. Und apathisch ließ ich auch jedwede Säuberungsaktion über mich ergehen. Nur als die Wunde an der Brust (die beschämend flach aber schlecht heilend war) versorgt wurde, zuckte ich schmerzlich zusammen. Dann driftete ich wieder weit fort. Ganz weit.

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  • Seiana presste die Lippen aufeinander, als sie Faustus' gemurmelte Antwort hörte, aber sie erwiderte nichts. Stattdessen sah sie kurz zu ihrem Onkel auf und nickte leicht. „Ja, mach ich“, antwortete sie leise, rührte sich aber erst mal noch nicht, sondern hielt nur weiter die Hand ihres Bruders. Hilflos sah sie dabei zu, wie er die Beine irgendwie aufs Bett brachte, wusste nicht, wie sie ihm helfen sollte, außer ihm Platz zu machen. Als er lag, setzte sie sich wieder an seine Seite, seine Hand immer noch in ihrer, und strich sachte mit der anderen über sein Gesicht...


    Es dauerte ein wenig, bis Seiana sich selbst genug gefangen hatte, bis sie die Angst genug im Griff hatte, um irgendetwas zu tun. Sie hatte fast das Gefühl, als würde er einfach verschwinden, wenn sie seine Hand losließ und ihn nicht mehr festhielt. Natürlich war das Unsinn, aber er wirkte so weit fort... Es dauerte, bis sie es über sich brachte dennoch loszulassen, und als sie es tat, wich sie trotzdem nicht von seiner Seite. Sie trug den Sklaven auf warmes Wasser zu holen und weiche Tücher, ein Messer, eine saubere Decke. Als alles gekommen war, schickte sie sie hinaus, alle bis auf eine Sklavin, und gemeinsam mit ihr begann Seiana, langsam, vorsichtig, zärtlich ihren Bruder zu säubern. Sie schnitt ihm seine dreckige und zerlumpte Kleidung vom Leib, tupfte ihn behutsam mit einem der befeuchteten Tücher sauber, arbeitete langsam und methodisch, zuckte nur zurück und hielt inne, wenn Faustus selbst zuckte. Das gebrachte Wasser wurde schmutzig, und die Sklavin sorgte dafür, dass es gewechselt wurde, einmal, ein zweites Mal. Seiana achtete kaum darauf, sie merkte nicht einmal, wie Tränen begannen, lautlos über ihre Wangen zu rollen, als sie ihren Bruder so sah, und sie verlor jedes Zeitgefühl, während sie sich um ihn kümmerte. Als sie schließlich fertig war, verschwand auch die letzte Sklavin, gemeinsam mit dem Wasser und den schmutzigen Tüchern, und Seiana breitete eine Decke aus über ihren Bruder und setzte sich wieder an seine Seite, hielt seine Hand, sah ihn einfach nur an. Und schlief irgendwann selbst ein dabei.

  • Meine Tage vergingen in grauer Verzweiflung. Ich hustete und fieberte und duldete niemanden ausser meiner Schwester bei mir. Nachts verwandelten sich die Wände meines Zimmers in die Mauern des Kerkers, und rückten enger und immer enger zusammen, ich erwachte dann schweißgebadet von meinen eigenen Schreien, glaubte, dass die Mauern mich zwischen sich zermalmt hatten. Oder die Geister meiner gefallenen Kameraden suchten mich heim... und fragten vorwurfsvoll, warum ich denn noch immer nicht zu ihnen gekommen war. Oder ich träumte von dem Garten in dem ich mit den anderen Soldaten stand, und dem Heulen der Keren, und von dem schwarzen Schacht, in dem etwas unsagbar schreckliches lauerte... dieser Traum verfolgte mich schon so lange, er war "alt", und doch war er der schlimmste von allen.


    Ich war in jeder Hinsicht am Ende. Das einzige was mich in diesen Tagen irgendwie festhielt war meine Schwester.... und dass einzige was überhaupt noch klar war - in diesem beschissenen Scherbenhaufen zu dem der Wahnwitz der Schicksalsgötter meine Existenz zertrümmert hatte - das war, dass ich Seiana nicht schon wieder im Stich lassen durfte.
    Ich fürchte allerdings, dass ich ihr ihre Liebe und Fürsorge in dieser Zeit schlecht vergalt, denn wenn ich nicht in einem weit entfernten Dämmerreich verschollen war, dann brütete ich düster vor mich hin, und erwehrte mich gereizt übermässiger Zuwendung. Auch der unserer guten Köchin Candace, die ihr bestes tat, und mir alle Varianten von Krankenkost zubereitete, dazu die Speisen, die ich früher besonders gerne gemocht hatte. Sie briet Seezunge und Sepia, sie kochte Muschelsuppe und buk Perlhuhnpastete und Pistazienkuchen... Aber nachdem ich so lange nichts gegessen hatte, widerstrebte es mir einfach, etwas zu mir zu nehmen, ich hatte keinen Appetit und mir wurde immer schon nach ein paar Bissen schlecht (was Candace nachhaltig kränkte).


    Trotzdem ging das Fieber vorüber, und irgendwann war ich dann nicht mehr länger so schwach wie ein Schluck Wasser, sondern nur noch so schwach wie ein neugeborenes Kätzchen, und schleppte mich zwischendurch wenigstens mal selbst ins Balneum.
    Wie mir dies alles zum Hals heraushing...
    Wie unendlich überdrüssig ich dessen war...
    "Seiana?"

  • Die Tage vergingen, aber sie waren zäh, so zäh und klebrig wie Harz an einem Baumstamm. Seiana ließ sich von Sklaven auf dem Laufenden halten, was außerhalb der vier Wände von Faustus' Cubiculum geschah, aber sie selbst wich nur selten von der Seite ihres Bruders, und wenn sie es denn doch tat, spürte sie den Drang, so rasch wie möglich zurückzukehren an seine Seite. Sie kühlte seine Stirn, wenn er vor Fieber glühte, sie versuchte ihn beruhigen, wenn Albträume ihn in seinem Schlaf quälten, sie half den Sklaven ihn zu versorgen, und wenn es nichts zu tun gab, saß sie bei ihm, las ihm manchmal vor aus seinen Lieblingswerken, oder hielt häufig genug einfach nur seine Hand.
    Mehr als einmal fühlte sie sich dabei unheilvoll an jene Zeit erinnert, als ihre Mutter krank geworden war. Sie war älter, reifer, sie konnte anders damit umgehen... und doch fühlte sie sich kaum weniger hilflos als damals, als sie am Bett ihrer Mutter gesessen hatte, und trotz all den Dingen, die sie auch damals getan hatte – ihr zu helfen beim Essen und Trinken, sie zu waschen, saubere Kleidung anzulegen, alles Kleinigkeiten, die sie den Sklaven mehr und mehr abgenommen hatte, einfach um irgendetwas tun zu können –, trotz all diesen Dingen also nicht wirklich mehr hatte tun können als letzten Endes einfach nur dazusitzen, und ihrer Mutter beim Sterben zuzusehen. Zuzusehen, wie diese Frau, die ihr Zeit ihres Lebens immer so stark erschienen war, schwach und schwächer wurde. Zuzusehen, wie diese Frau, die gerade wegen ihres ambivalenten Verhältnisses zueinander eine so prägende Rolle in ihrem bisherigen Leben gehabt hatte, immer kleiner zu werden schien. Zuzusehen, wie diese Frau, die vier Kinder ohne Vater aufgezogen hatte, die niemals aufgegeben, sich niemals hatte unterkriegen lassen, aufhörte zu kämpfen. Zuzusehen, wie sie starb.


    Es waren Momente wie dieser, wenn sie nicht mehr unterscheiden zu können schien zwischen Gegenwart und Vergangenheit, wenn die Erinnerung so stark wurde, dass sie ihr wie ein eisernes Band um den Brustkorb zu schlingen schien und ihr den Atem raubte, in denen sie es nicht mehr aushielt, an seiner Seite zu bleiben. In denen sie regelrecht floh aus seinem Zimmer, zumeist in den Garten, wo sie nach frischer Luft rang, weil sie fürchtete zusammenzubrechen. Aber es gab auch jene Momente, die ihr deutlich machten, dass es nicht war wie damals. Auch wenn das Fieber heftig wütete, auch wenn er in fieberfreien Zeiten häufig düster vor sich hinbrütete, auch wenn er in beiden Phasen nur allzuoft nicht ansprechbar war und wenn doch, sie kaum an sich heranließ, was ihr jedes Mal einen Stich versetzte – Faustus wurde nicht schwächer, er wurde stärker. Langsam, so furchtbar langsam nur, aber die Tendenz war da, und das war genug um sie hoffen zu lassen.
    Als Faustus an diesem Tag sie ansprach, war Seiana in einer Pose anzutreffen, die ziemlich vertraut war für jeden, der in der vergangenen Zeit das Cubiculum betreten hatte: sie saß in einem Sessel neben dem Bett ihres Bruders, der Oberkörper leicht zur Seite geneigt, die Augen geschlossen, eine Hand in der Nähe der seinen, von der sie allerdings herunter gerutscht war. Der Schlaf, in den sie gefallen war, war aber nur leicht, und als sie Faustus' Stimme hörte, war sie sofort wach. Die mittlerweile schon chronischen Schmerzen in ihrem Rücken aufgrund der ungesunden Haltung, in der sie viel zu häufig geschlafen hatte, ignorierend, richtete sie sich etwas auf. „Hola“, antwortete sie leise, bei diesem ersten Gruß unwillkürlich in die Sprache ihrer Vorfahren fallend, mit der sie als Kinder ebenso aufgewachsen waren wie mit Latein. „Wie... wie geht's dir heute?“

  • "Hola." Ich setzte mich auf, die Decke um die Knie herum festgezogen, bemerkte erst jetzt, dass ich sie aus dem Schlaf gerissen hatte. Meine tapfere große Schwester. Sie sah echt fertig aus. Ich rieb mir übers Gesicht. Zuckte die Schultern. Keine Ahnung wie es mir ging. Leer irgendwie.
    "Ich hab das alles so satt. - Hast du zufällig was zu rauchen?"
    Ohne dich wäre ich nicht mehr hier dachte ich. Meine große Schwester. Der einzige Mensch, auf den ich mich immer verlassen konnte. Sogar in den Carcer hinabgestiegen war sie, um mir Zuversicht zu schenken, und hatte mich gepflegt und meine Albträume vertrieben, jetzt, unermüdlich, auch wenn sie dabei selbst immer grauer im Gesicht wurde. Ich schluckte, kämpfte gegen eine Welle von... warmer Bewegtheit, die hart gegen die steinerne Kuppel brandete, die sich um mich herum gebildet hatte... solche Wellen, das war mir klar, würden einen ganzen Orkan von Aufruhr mit sich bringen, und das konnte ich nun wirklich nicht gebrauchen.
    "Aber du mußt echt nicht die ganze Zeit hier... die Zeit totschlagen." sagte ich nervös. "Es geht mir ja schon besser." Ich bemerkte, dass ich das Laken in den Händen knetete...
    "..... was ist überhaupt los mit der Familie? Hast du Nachricht von Massa?! Und ich muß ... ich muß weg hier, ich bringe euch alle in Gefahr, allein durch mein Hiersein! Ich muß mit Vater sprechen... dringend..... - aber er glaubt mir ja sowieso nicht. Ach zum Hades...!!!"

  • „Bitte was?“ fragte Seiana zurück, im ersten Moment irritiert, und nicht sicher ob sie richtig gehört hatte oder noch halb am Schlafen war. Dann zog kurz eine bedauernde Grimasse. „Tut mir leid. Aber ich kann versuchen was aufzutreiben, über meine Taberna medica.“ Alles, was es ihm leichter machte, was ihm half. Sie dachte nicht daran, dass es das vielleicht noch schlimmer machen könnte – andererseits hatte sie ihren Bruder in dessen schlimmsten Zeiten nie selbst erlebt, hatte nur davon gehört, wie es früher gewesen sein musste, in seiner Jugend, von den Berichten, die ihre Mutter irgendwie hatte bekommen können, und von jener Zeit in Aegyptus wusste sie so gut wie gar nichts.


    Müde rieb sie sich die Stirn, die Augen. „Ich bin gern hier“, versicherte sie ihm. Nun ja... vielleicht nicht gern, das nicht, aber sie konnte sich nicht vorstellen irgendwo anders zu sein. Die Angst ihn zu verlieren trieb sie immer wieder hierher, an seine Seite, ließ es überall anders unerträglich scheinen, selbst wenn die Umstände eigentlich bessere wären: ein vernünftiges Bett, beispielsweise, oder ansprechbare Gesellschaft. Trotzdem verbesserte sie sich nicht. „Wenn“, fügte sie noch mit einem nur angedeuteten Lächeln an, das trotz der guten Absicht nicht so recht gelingen wollte, „du Ruhe haben möchtest, musst du es nur sagen, aber ich bin gern bei dir.“ Sie musterte ihn, fand, dass er tatsächlich besser aussah als in den vergangenen Wochen... und zuckte dann zusammen, als ein Schwall an Worten aus ihm herausbrach. Darunter: ich muss weg hier. Über Seianas Miene huschte ein Schatten. „Das... also...“ Für einen Moment rang sie nach Worten, dann beschloss sie, seine Fragen einfach der Reihe nach zu beantworten. „Der Familie geht es gut. Frag mich nicht warum, aber Cornelius scheint nicht auf Rache aus zu sein. Oder darauf, sonderlich viele oder einprägsame Exempel statuieren zu wollen. Massa ist in Ordnung, auch wenn er versetzt wird zur Classis nach Alexandria. Varenus ist weiterhin in der Kanzlei tätig, Livianus und Aquila haben kandidiert, als Consul und Vigintivir, beide sind gewählt worden...“ Zögerlich griff sie nach seiner Hand, nachdem sie grob die neuesten Ereignisse zusammengefasst hatte, die die Familie betrafen. „Du musst nicht weg, Faustus. Sie lassen uns in Ruhe. Mehr noch, gerade im Senat ist der Rückhalt für uns ganz offensichtlich größer als ich gedacht hätte. Wir...“ Seiana presste die Lippen aufeinander, bevor sie sich einen Ruck gab und fragte: „Was willst du Onkel Livianus erzählen?“

  • Etwas auftreiben. Ich nickte und drängte: "Ja, ich brauche wirklich was, und schnell." Ob ich Ruhe wollte, oder Seiana bei mir hätte ich nicht sagen können und zuckte hilflos die Schultern... ich hätte Ruhe gewollt, die mir auch Ruhe brachte, und meine Schwester bei mir, ohne ihr dabei ansehen zu müssen wie sehr sie selbst mit mir litt...
    Rache. Exempel. Ich schüttelte den Kopf. Auch meine kluge Schwester konnte ganz schön naiv sein.
    "Seiana. Cornelius mag pfundweise Kreide gefressen haben, aber das ändert nicht daran, dass er einer der Leute ist, die den Kaiser und seine Familie vergiften ließen. Der Mann hat nicht mal mit der Wimper gezuckt, als ich ihn mit seinen Verbrechen konfrontiert habe. Er ist vollkommen blasiert und skrupellos, und ganz sicher nicht so volltrottelig, dass er es sich einfach so entgehen ließe, den einzigen überlebenden Anführer des Widerstandes gegen seinen Staatsstreich öffentlich hinzurichten. "
    Nein, ein so kompletter Volltrottel hätte doch niemals die Macht über das Imperium Romanum an sich reißen können. Oder?! (Besser nicht darüber nachdenken, sonst platzte mir doch noch der Kopf.)
    "Ich habe ihn erpresst, Seiana. Ich habe ihm klargemacht, dass ich längst dafür gesorgt habe, dass, wenn er mich nicht in Ruhe lässt, die Beweise für seine Verbrechen allesamt vor dem Senat auftauchen werden. Dann bin ich gegangen und er hat es nicht gewagt mich aufzuhalten. Was auch nicht gerade für überragenden Durchblick spricht."
    Und was, aber das mußte ich wohl nicht laut sagen, keinesfalls sicherstellte, dass er mich auch in Zukunft nicht belästigen würde.


    Massa lebte noch. So losgelöst wie ich war, kam auch dies nicht so wirklich bei mir an, ich dachte lediglich, dass das eine sehr gute Nachricht war. Varenus in der Kanzlei. Das wiederum wunderte mich nicht. Livianus zum Konsul gewählt. Zum Konsul?! Was ich ihm sagen wollte?
    "Die Wahrheit, was sonst. - Zum Konsul." widerholte ich staunend. "Das... ist...... -" Und Aquila, der in meiner Erinnerung noch ein Bub war, zum Vigintivir. Die Zeit war an mir vorbeigerauscht. Während ich in einem schwarzen Verlies verrottet war, war das Leben draussen fröhlich weitergegangen. Und meine Familie... mein Gesicht verschloss sich, als diese Erkenntnis langsam an mich heran sickerte... meine Familie hatte sich offenbar flink mit dem Mörder-Regime arrangiert. Ich entzog meine Hand, ich hatte genug davon der zu sein, dessen Hand man halten mußte.
    "Ich... ich nehme an," sagte ich leise, und jedes Wort schmeckte wie Galle, "also... dann haben die beiden... haben sie sich wohl......öffentlich von mir distanziert. Oder?"
    Ich konnte Seiana nicht ansehen. Mit halb schrägem, halb gesenktem Kopf erwartete ich das Urteil. Ich sah nur die Webborte an ihrem Ärmelsaum. Die dumme Webborte. Ihr Muster füllte den Horizont. Jedes Detail davon prägte sich mir ganz tief ein.

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  • Seiana nickte leicht und nahm sich vor, sich so schnell wie möglich darum zu kümmern, dass er etwas bekam, irgendetwas, so lange es ihm nur half. So lange es nur dafür sorgte, dass er wieder der Alte wurde... und genau in dem Moment, in dem sie das dachte, zerstörte Faustus selbst diese Hoffnung, als er auf ihre nächsten Worte reagierte. Wie sollte irgendetwas gegen das helfen, was ihm auf den Schultern lastete? Es war ja nicht nur die Zeit im Carcer, es war nicht nur die Krankheit. Es war so viel mehr. Und unter seinen Worten gab etwas in ihr nach, was sie bisher aufrecht gehalten hatte, und ließ sie ein Stück weit in sich zusammensacken. Er hatte Recht, das wusste sie. Sie hatte Vinicius Lucianus ja selbst erlebt. Die Gerichtsverhandlung mochte ein Witz gewesen sein, eine Farce, das Urteil schon vorher festgestanden haben, aber sie hatte den Mann erlebt. Hatte gesehen, wie er aufgetreten war, hatte gehört, was er dort gesagt hatte und vor allem wie – und es war nicht der Auftritt eines Mannes gewesen, der im Carcer gebrochen worden war und alles gesagt hätte, nur sich um weitere Folter zu ersparen. Es war der Auftritt eines Mannes gewesen, der nicht nur offen zugab der Verbrechen schuldig zu sein, die ihm angelastet wurden, und überzeugt war das einzig Richtige getan zu haben... sondern der auch noch Stolz darüber zu empfinden schien.
    „Ich weiß“, wisperte sie, hoffnungslos, wie ein Tier, das in die Ecke getrieben worden war und schon längst aufgegeben hatte zu kämpfen. Und sah dann doch wieder auf, mit Überraschung im Blick. „Du hast was?“ fragte sie nach. „Ihn erpresst?“ Das ließ es freilich in etwas anderem Licht erscheinen, dass da nichts gekommen war, bisher nicht, jedenfalls... und es ließ gleichzeitig wieder Sorge in ihr aufflackern. Sie hatte geglaubt, gehofft, es wäre vorbei. Aber wenn Faustus den Kaiser erpresst hatte, dann war nichts vorbei. Es musste noch nicht einmal etwas passieren... aber die Angst würde ein ständiger Begleiter sein. Der ihre jedenfalls.


    Das nächste Thema, das sie anschnitt, machte die Atmosphäre auch nicht gerade angenehmer, obwohl sie doch eigentlich davon angefangen hatte, um etwas Positives zu erzählen. Sie sah auf ihre Hand hinunter, die nun plötzlich wieder alleine auf seiner Decke lag, und kühl war an jenen Stellen, wo sie zuvor noch die seine berührt hatte. Sie sehnte sich nach etwas körperlichem Kontakt, danach, ihn wieder zu berühren, aber sie ließ ihre Hand wo sie war, griff nicht erneut nach seiner, nachdem er sie ihr entzogen hatte. „Sie...“ Sie räusperte sich leise. „Nicht in aller Deutlichkeit, nach dem, was ich gehört habe. Sie haben dich nicht verdammt oder etwas in der Art. Aber...“ Sie hatten vor dem Senat gestanden, hatten ihre Kandidaturrede gehalten, hatten gewählt werden wollen. Faustus wusste so gut wie sie, was das hieß. „Onkel Livianus hat wohl auch versucht, dich zu verteidigen. Uns. Aber natürlich... mussten sie am Ende sagen, dass wir Fehler gemacht haben. Dass wir uns falsch entschieden haben.“

  • Nicht in aller Deutlichkeit... - An Seiana war eine Politikerin verloren gegangen. Ich biss die Zähne zusammen, um ihr nicht ins Wort zu fallen, und hörte mit mahlenden Kiefern was sie zu berichten hatte.
    "Sie mußten." widerholte ich dumpf. Ich hatte keine Kraft mehr, für gerechten Zorn, und meine Worte klangen nur noch monoton. "Sie mußten? Was in aller Welt hat sie denn dazu gezwungen, sich dem Regime des Giftmörders anzubiedern? Mich in aller Öffentlichkeit zu verleugnen und schlechtzumachen. Ohne auch nur einmal mit mir selbst gesprochen zu haben. Ich habe alles, ich habe verdammt nochmal alles verloren, weil ich mich nicht dieser elenden Schweinebande angeschlossen haben, und ich habe verdammt nochmal ein Recht darauf, dass meine Familie wenigstens mit mir spricht bevor sie mir in den Rücken fällt. Es reicht. Es reicht mir. "
    Mit versteinerter Miene schob ich die Beine aus dem Bett, und angelte in der daneben stehenden Kiste nach der nächstbesten Wolltunika. Ich wollte nur noch fort von hier.
    "Und du, Seiana, du weißt doch ebenso gut bescheid wie ich. Warum hast du Livianus nicht gesagt was wirklich geschehen ist? Warum lässt du das zu, dass er die Lügen glaubt, die meinen... die deinen und meinen Namen in den Dreck ziehen?"
    Ich zog die Tunika über meine Schlafklamotte und richtete mich, auf den Bettpfosten gestützt auf. Sofort wurde mir schwummrig, in meinem Kopf drehte sich alles, und verbissen krallte ich mich fest, als schwarze Punkte von unten her zu mir aufwogten, und sich jäh zu einer mich dunkel umwimmelnden Masse zusammenballten.

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  • Wortlos hörte sie sich an, was ihr Bruder zu sagen hatte, zu dem, was sie ihm gestehen musste. Wortlos saß sie da, wusste keine Rechtfertigung, keine, die vor ihm gegolten hätte. Dass sie nun einmal jetzt kandidierten und Faustus so lange kaum ansprechbar gewesen war. Dass sie lange nicht alles wussten. Dass sie kaum eine andere Wahl hatten angesichts dessen, was der Familie sonst drohte. Nichts davon war eine Rechtfertigung in diesem Moment. Und Seiana traute sich noch nicht einmal, ihren Bruder anzusehen.
    Erst als das es reicht mir kam, sah sie doch wieder hoch, unschlüssig und fast ein wenig erschrocken. Trotzdem sagte sie immer noch nichts, sah nur dabei zu, wie er Anstalten machte aufzustehen, obwohl alles in ihr sie dazu drängen wollte ihm zu sagen, dass er noch zu schwach dafür war. Stattdessen zuckte sie nur zusammen, als er begann ihr Vorwürfe zu machen, und suchte jetzt doch endlich nach Worten, nach einer Rechtfertigung. „Was hätte es gebracht, wenn ich das getan hätte?“ antwortete sie müde. Sie war einer solchen Unterhaltung bisher immer ausgewichen... und ihr Onkel war zumindest offenbar nicht traurig darüber, dass es sich hinaus zögerte. In jedem Fall hatte er bis jetzt noch nicht auf einem Gespräch mit ihr bestanden, nicht unter vier Augen, nicht über dieses Thema. „Es bringt ihn nur in die gleiche Zwickmühle wie uns. Es ist leichter für ihn, wenn er nichts weiß.“ Wenn der Preis dafür, dass ihre Familie ruhig schlafen und sich halbwegs ungezwungen in Roms Gesellschaft bewegen konnte der war, dass sie still war und gewisse Dinge mit sich selbst ausmachte, dann war es so. „Welche Alternativen haben wir denn...“
    Mehr als nur ein bisschen nervös sah Seiana währenddessen dabei zu, wie Faustus sich tatsächlich aufrichtete – und schnellte nach vorn, als sie sah wie er wankte, wie er sich festklammerte. „Faustus!“ Ohne nachzudenken griff sie zu, bot ihm weitere Stütze und versuchte, ihn durch leichten Druck dazu zu bringen, sich wenigstens wieder zu setzen.

  • In einem Haus, in dem die eigene Familie mir so treulos in den Rücken fiel, würde ich verdammt nochmal nicht bleiben... das dachte ich noch, dann wurde mir schwarz vor Augen, und meine Beine knickten ein wie Strohhalme. Seiana war mit einem mal ganz dicht an mir dran und stützte mich, einen Moment hing ich irgendwie an ihr wie ein nasser Sack, dann rutschte ich zurück auf das Bett. Tja, soviel zu den Fluchtplänen. Atemlos hockte ich wieder genau da wo ich hergekommen war... und langsam hörte auch der Raum wieder auf zu schwanken. Ich fröstelte. Fuhr mir über die feucht gewordene Stirn und über die Augen. Meine Hand zitterte. Ich wollte nichts mehr sehen. Und nichts mehr hören. Ich wollte... schlafen. Endlich schlafen können, ohne Alpträume, tief schlafen und nie wieder erwachen. Aber Seina ließ mich ja nicht. Sie hielt mich hier fest, in dieser beschissenen Farce von Existenz.
    "Lass mich endlich in Ruhe." murmelte ich. Sah zu ihr auf, und fuhr sie giftig, wirklich boshaft und gehässig an: "Ich erkenn dich nicht wieder! Hast du völlig vergessen wofür unsere Familie steht? Und seit wann rennst du, ausgerechnet du blind mit der Herde?! Glaubst du nicht, Livianus hat ein Recht darauf zu wissen was wirklich geschehen ist?! Aber du, auch du beugst dich den Lügen, auch du läßt mich im Stich und beugst dich der Diktatur der Lügen, nur weil es... 'leichter' ist?! Anstatt das zu tun was richtig ist?!" - Seiana war doch die, die immer das richtige tat. In meiner Welt jedenfalls war sie das gewesen. Sie war doch die, die immer alle Erwartungen übertraf. Diejenige, die bei unserer Mutter ausgeharrt hatte. Diejenige, die mich immer beschützt hatte. Die die Familie zusammengehalten hatte. Sie war die Anständige, die mit dem Schneid und dem Durchblick, sie war der moralische Kompass, der Fels in der Brandung. Gewesen. In meiner Welt. - "Lass mich in Ruhe." verlangte ich. Meine Augen waren trocken, und meine Stimme war wieder so ton- und farblos, dass sie mir selbst fremd in den Ohren tönte. "Geh weg. Ich will allein sein. Ich will keinen von euch mehr sehen."

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  • Für sich endlos ziehende Augenblicke hatte Seiana keinen anderen Gedanken als den im Kopf, dass sie Angst hatte um Faustus. Er war so schwach, er konnte nicht mal alleine stehen, und zugleich war er so abgemagert, so leicht geworden, dass sie das Gefühl hatte es kostete sie kaum Anstrengung, ihn zu halten, zumindest lang genug bis er wieder sicher auf dem Bett saß... Sie blieb bei ihm, als er saß, strich ohne nachzudenken über seine Haare – und erstarrte dann, von einem Moment zum anderen, als er sich genug gefasst hatte dass er wieder reden konnte. Lass mich endlich in Ruhe. Sie konnte nicht ganz glauben, was sie da hörte. Sie wollte es nicht glauben. Und doch standen diese Worte im Raum, hingen schwer in der Luft wie ein sich ankündigendes Gewitter und drückten auf sie nieder. Und als Faustus sie dann anfuhr, mit einem Tonfall, den sie von ihm gar nicht kannte, schon gar nicht ihr gegenüber, zuckte sie unwillkürlich zurück, zog ihre Hand fort und machte sogar einen Schritt rückwärts. Und noch einen ging sie, nein, stolperte viel eher zurück, als er sie mit Vorwürfen überhäufte. Sprachlos stand sie da, wusste nicht was sie sagen sollte, und noch viel weniger wusste sie, wie sie mit dem Schmerz umgehen sollte, der plötzlich in ihr aufblühte. Ganz gleich, was je geschehen war: sie hatte immer geglaubt, dass Faustus und sie etwas Besonderes verband. Etwas Bedingungsloses. Dass nichts sich zwischen sie schieben konnte, ganz gleich was passierte. Ihn jetzt so reden zu hören, traf sie mehr, als sie sich je hätte vorstellen können.


    Für lange Momente stand sie einfach nur da, starrte ihn an, ohne sich zu rühren, während irgendein Teil in ihrem Inneren versuchte, etwas wieder in Gang zu bringen, was gestoppt hatte, etwas, was sie brauchte, um halbwegs funktionieren zu können, um nicht einfach nur dazustehen wie eine Statue und zu nicht viel mehr in der Lage zu sein, als flach zu atmen.
    Irgendwann, Seiana wusste nicht wie lang sie wirklich dafür brauchte, schien es jenem Teil in ihr dann doch noch zu gelingen, alles wieder so weit ins Lot zu bringen, dass sie wenigstens den Versuch in Angriff nehmen konnte zu reagieren. „Es ist... nicht... leicht!“ brachte sie mühsam über die Lippen. „Glaubst du etwa, es... es ist leicht für mich zu sehen, dass dein Name, und meiner, in den Schmutz gezogen wird? Glaubst du es ist leicht zu sehen und zu erleben, was mit uns passiert ist? Mit dir? Was sie dir angetan haben?“ Sie presste eine Hand vor den Mund und versuchte verzweifelt, Fassung zu bewahren, genug, um sich nicht vollends gehen zu lassen, um den Schmerz im Zaum zu halten, um nicht in Tränen auszubrechen. „Aber sag mir, welche Wahl wir haben! Sag mir, was richtig ist! Willst du hingerichtet werden? Willst du dass unsere Familie verbannt wird, oder schlimmstenfalls umgebracht, damit ja keiner etwas Falsches sagen kann?“

  • Ich. Wollte. Nichts. Mehr. Hören.
    Schüttelte den Kopf, als könne ich so ihre Worte abschütteln, wie ein nasser Hund die Tropfen. Ohne sie anzusehen stützte ich die Ellbogen auf die Knie. Das Gesicht in die Hände. Vergrub es darin. Leere. Dumpfe Leere. Ich hielt das nicht mehr aus. Ich hatte auch keinen Sinn mehr für den Schmerz meiner Schwester. Den registrierte ich schon, und irgendwo weit weg dachte ich auch, wie grausam es war, ihr so weh zu tun. Meiner Schwester so wehzutun... dass sie mich... vielleicht... endlich... losließ.
    ".... Lass mich... einfach in Ruhe." flüsterte ich. Ich hatte keine Anworten. Ich wußte gar nichts mehr. Ausser, dass ich unendlich allein war. Und alles... alles verloren.
    "Geh..."

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    Klient - Decima Lucilla

  • Seiana stand da wie erstarrt, und als sie endlich etwas sagen konnte, da... schien es einfach zu verhallen. Faustus reagierte kaum auf ihre Worte. Wiederholte nur erneut, dass sie gehen sollte. Und Seiana hatte das Gefühl, als ob plötzlich jede Kraft aus ihr wich. Er wollte sie nicht um sich haben. Sie hatte so darauf gehofft, dass es ihm endlich besser ging, dass sein Leben nicht mehr auf Messers Schneide stand, dass sie reden konnten, sich unterhalten... über all das, was passiert war, nicht nur in seinem Leben, oder in Rom, sondern auch in ihrem. Sie wusste nicht, ob sie ihm wirklich alles erzählt hätte, aber sie sehnte sich danach, wenigstens etwas los zu werden von all dem, umso mehr da ihr letztes Treffen mit Seneca so schmerzhaft gewesen war. Und jetzt, wo es so weit war, wollte er sie nicht um sich haben. Momente lang stand sie einfach schweigend da... dann, endlich, drehte sie sich um und verließ den Raum, mit langsamen, abgehakten Bewegungen, die mehr wirkten wie eine ungelenke Marionette, die selbst von einem begabten Puppenspieler niemals so bewegt werden könnte wie ein echter Mensch.

  • Sie war fort. Ich war allein. Ich lag auf dem Bett. Ich starrte an die Decke. Alles war... taub. Leere. Dumpfe Leere. Ich wollte sterben, und war zu müde auch nur einen Finger zu rühren. Es dauerte lange. Es wurde schon dunkel. Es dauerte sehr lange... bis es mir gelang, aufzustehen. Ganz langsam. Nicht zu schnell. Ich hielt mich fest, bis der Schwindel abklang. Dann nahm ich eine Öllampe. Suchte einen schweren Schlüssel hervor. Und ging zur Waffenkammer.


    >>

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    Klient - Decima Lucilla

  • Seit kurzer Zeit lebte ich nun also wieder unter dem Dach meiner Familie. Seltsam war das. Ich hatte mich wieder eingerichtet, hatte einen kleinen Serapis-Schrein in meinem Zimmer in die Ecke gebaut, hatte Hanf in den Tontöpfen auf meinem Fensterbrett angepflanzt, und hatte die neu hinzugekommenen Mitglieder der Hausgemeinschaft kennengelernt. Doch heimisch war ich hier noch nicht wieder geworden, ich fühlte mich eher wie ein vorübergehender Gast und litt darunter, trotz allem noch immer suspendiert und zur Untätigkeit verurteilt zu sein. Etwa so wie....ein edles Rennpferd, das Laufen will, es aber nicht kann, weil irgendein Tölpel es in einen engen Verschlag eingesperrt hat.


    Da half es auch nicht gerade, dass ich, der ich mich während Livianus' Jahren in Hispania daran gewöhnt hatte, die Rolle des Hausherrn innezuhaben, nun wieder nurmehr... der Sohn war. Tja. Zudem vermisste ich die Lieben, die früher hier gelebt, und diese Räume mit Leben erfüllt hatten, meine Schwester, Massa, die kleine Stellula, Tante Venusia mit Secundus und Sevilla... Alle fort. Meine Sklaven waren tot oder freigelassen. Und an dem Zimmer, in dem damals... Aton... gehaust hatte, konnte ich nicht vorbeigehen ohne dass es mir jedesmal einen schmerzhaften Stich versetzte. Kurz, die Geister der Vergangenheit ließen mich nicht los.


    Zumindest ein Fluch wurde dann aber gebrochen. Cornelius starb.
    "Endlich." seufzte ich, als ich davon erfuhr. Ich öffnete das Fenster. Die Luft fühlte sich gleich frischer an.


    Umgehend deklarierte ich eine Handvoll unserer Sklaven zu 'Speculatores', und sandte sie aus, um die Ereignisse in der Stadt im Auge zu behalten. Ich hieß unsere Custodes das Haus verstärkt bewachen, und den Inhalt unserer Waffenkammer schärfen und griffbereit halten. Ich war's zwar (leider) nicht gewesen, aber man wusste ja nie.

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    Klient - Decima Lucilla

  • Ich war beleibe kein Urkunden-Fetischist. Doch als ich dieses Stück in den Händen hielt... da streichelte ich zart mit den Fingerspitzen darüber und ein leises Seufzen, in dem sich anhaltende Verwunderung über die Abstrusität der Vergangenheit, abgestandene Resignation und zaghaftes Hoffen auf die Zukunft die Waage hielten, entwich meiner Brust:
    "Endlich."


    IN NOMINE IMPERII ROMANI



    WIRD
    Faustus Decimus Serapio



    MIT WIRKUNG VOM
    - ANTE DIEM IV NON FEB DCCCLXV A.U.C. -
    (2.2.2015/112 n.Chr.)



    ZUM
    Tribunus Cohortis Praetoriae


    ERNANNT.




    LUCIUS IUNIUS SILANUS
    ~~Procurator a libellis - Administratio Imperatoris~~




    Euphorie allerdings sah anders aus. Das Gardetribunat war eine Position, die ich vor wirklich langer Zeit, vor vielen Jahren bereits errungen und schließlich hinter mir gelassen hatte, es war eine Position unter meinem Niveau und gerade in diesen wirren, von neuen Aufständen bedrohten, Tagen wäre die Stadt weitaus besser damit beraten gewesen, wenn ich meine Position zurückerhalten hätte, um der Führungslosigkeit der Garde endlich ein Ende zu bereiten.
    Zumindest aber war es besser als nichts, und ich beschloss, das Beste daraus zu machen.

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