Am heutigen Tage war es endlich soweit: Dives sollte seiner ersten öffentlichen Opferung als Opferherr vorstehen. Und es ging hierbei nicht um irgendeinen semiwichtigen Anlass, zu dem auch nur semiwichtige Leute erscheinen würden und die Resonanz des Volkes auch eher als mäßig zu bezeichnen wäre. Nein! Heute hatte der Princeps Geburtstag und das könnte man in allen Ecken des Imperiums deutlich vernehmen. Überall würde gefeiert und für den wieder ein Jahr weiser Gewordenen gebetet und geopfert werden. So wurde auch in Ostia dieser Tag ganz besonders begangen und statt in der Curia zu sitzen und seiner Arbeit nachzugehen, würde Dives zusammen mit den anderen gewählten Magistraten Teil der alljährlichen großen Prozession durch die Stadt sein. Auch die örtlichen Decuriones, Priester und Mitglieder der örtlichen religösen Sodalitäten, wie beispielsweise der Augustales, waren vor Ort, sodass mit dem Voropfer die ganze Serie an Opferungen eingeleitet werden konnte.
"Favete liguis!", konnte Dives laut vernehmen. Dann setzte das Spiel der Musiker ein und kurz danach begann jemand das Opfergebet zu sprechen. Allerdings registrierte der junge Quaestor nicht genau, wer sprach und was gesprochen wurde, zum Teil sicherlich am Spiel der tibicines lag, viel mehr jedoch an der Aufregung, die nun in Dives empor zu steigen begann. Lange würde es nicht mehr dauern, dann würden tausende Augenpaare auf ihn gerichtet sein und kontrollieren, dass er keinen falschen Handschlag und keine falsche Bewegung tat, tausende Paar Ohren seinen Worten lauschen und wohl jeden Fehler erkennen. Und dabei war Dives nur ein Mensch und keinesfals perfekt! Überhaupt, wer war schon perfekt? Selbst die Götter hatten ihre Schwächen und waren mitnichten unfehlbar. Was würde also passieren, wenn die ganze Chose hier schief ging, nur weil Dives in einem entscheidenen Moment patzte? Besser bloß nicht daran denken, sonst passierte ihm am Ende wahrscheinlich wirklich noch ein Fauxpas!
Kaum hatte er dies gedacht und sich entschlossen, der feierlichen Voropferung mehr Aufmerksamkeit zu schenken, um sich von derlei destruktivem Gedenkengut abzulenken, da erfasste die Menge plötzlich eine geradezu mitreißende Energie: Der Prozessionszug hatte sich in Bewegung gesetzt! Langsam aber sicher würde man damit also dem Zeitpunkt der blutigen Opfer näher rücken. Da kam es Dives mehr als gelegen, dass auch er sich etwas bewegen konnte, um seine Nervosität abzubauen. Und überhaupt: Links und rechts säumten viele Schaulustige die Straßen, sodass auch er, der Quaestor stets von irgendjemandem beobachtet wurde. Eine zweifelnde Miene war da völlig unangebracht, sodass er den folgenden Weg zum Templum Divorum zumindest rein äußerlich bester Laune, aber in angemessener Würde beschritt. Zwar blickte er ab und an in die ihn und die anderen Prozessionsteilnehmer flankierenden Massen, doch wirklich wahrnehmen tat er dabei nichts. Seine Augen waren leer und er schickte gedanklich mehrere duzend Male Hilferufe an die Götter - allesamt natürlich ungehört von jenen, da auch sie nicht dazu in der Lagen waren, Gedanken zu lesen!
So schlängelte sich der lange Zug durch die Straßen unaufhaltsam seinem Ziel entgegen. Ab und an hörte man eines der in mitten der Prozession kontrolliert mitlaufenden Opferrinder kurz muhen - manchmal auch öfter, wobei dann zügig einer der vielen Opferhelfer zur Stelle war, der dem Tier eine neue Ladung Drogen verabreichte, sodass es den weiteren Weg wider ruhig mit der Menge mittrottete. Vor allem bei den jungen Stieren für den Genien der Augusti wäre es wohl mehr als fatal gewesen, wenn es einem zu bunt geworden wäre. Tausende Verletzte wären unweigerlich vorprogrammiert, wenn einer durchdrehen würde - oder gar noch weitere Tiere mit seiner Panik ansteckte! Glücklicherweise und vor allem Dank des zahlreichen Einsatzes dieser flinken Gehilfen, blieb man vor diesem Szenario gefeit. Und auch das gegenteilige Ereignis, dass ein Rind vor lauter Dröhnung keinen Fuß mehr vor den anderen bekam, trat den Göttern sei Dank nicht ein. Noch wenige Meter, dann war der Platz vor dem Templum Divorum erreicht...
... Und Dives musste wirklich aufpassen, dass er nicht mitten im Zug plötzlich einfach stehen blieb oder gar rückwärts stolperte, so viele Menschen standen dort. In seiner ganzen Zeit, die er nun in Ostia war - und das war nun schon fast ein Jahr, denn bald standen ja wieder Wahlen an - hatte er noch nie so vielen Leute gleichzeitig auf diesem Platz gedrängt gesehen. Es war beinahe so, als hätte sich ganz Ostia heute hier versammelt, um den Opferungen zu Ehren des Augustus beizuwohnen. Dass es sicherlich keine 40000 Menschen waren, dessen war sich Dives bewusst. Auch 10000 Leute würden nicht mit einem Mal hier Platz finden. Dennoch fühlte es sich jedoch genau so an. Mit einem flauen Gefühl im Magen erreichten sie den Templum Divorum, den Tempel der Götter, den Tempel, in dem alle divinisierten Augusti und Augustae zuzüglich des Genius des amtierenden Princeps verehrt wurden. In einem kleinen Bereich vor dem Tempel waren die Statuen von Caesar als Divus Iulius, über den Divus Augsustus, den Divus Claudius und die vielen Nachfolger bis hin zum Divus Iulianus aufgestellt worden. Eine weitere sich von den anderen nochmals etwas abhebende Statue stellte ohne jeden Zweifel den Genius Valeriani dar: mit goldenem Lorbeer bekränzt, ein Wohlstand symbolisierendes Füllhorn in der linken und eine patera in der rechten Hand haltend.
Nachdem ale Prozessionsteilnehmer eingetrudelt und die Opferrinder festgemacht sein würden, würde der Hauptteil der Zeremonie folgen: die blutigen Opfer für die Divi Augusti und den Genius Valeriani. Doch zunächst hieß es warten...
Edit: ... Und bis die Menge einigermaßen zum Stillstand gekommen war, dauerte es tatsächlich seine liebe Zeit. Doch genau dies war durchaus in den Planungen einkalkuliert gewesen, denn einige Opferhelfer kamen mit wasserbefüllten Gefäßen an, in denen sich die Opfernden - also auch Dives - die Hände rein waschen konnten. Nachdem die Hände anschließend auch mit dem mallium latum genannten weißen Tuch wieder abgetrocknet worden waren, begann sodann der erste Würdenträger seine Stimme zu erheben:
"O Divus Iulius, Schutzherr der Res Publica, des Imperium Romanum und aller Imperatores Caesares Augusti!
Als du noch auf Erden wandeltest, hast du die Res Publica gut geführt und die Grenzen unseres Imperium bis an den Rhenus erweitert. Du hast die grausame Geißel des Bürgerkriegs hinfortgeweht und die Verräter am Volk der Quiriten niedergestreckt, bis hin zum feigen Mord durch die Feinde Roms! Auch vom Himmel herab schenkst Du unserem Staat Huld und Segen und mehrst unsere Macht!
Nimm unser gerechtes Opfer, diesen makellosen, weißen Stier an, den wir dir, die wir dir stets makellose und gerechte Opfer darbringen, am heutigen Tage anempfehlen! Segne unseren geliebten Princeps, den Imperator Caesar Augustus Gaius Ulpius Aelianus Valerianus! Schenke ihm Weisheit, Kraft und Stärke um seine Aufgabe zu erfüllen! Steh ihm bei als himmlischer Ratgeber und schenke ihm ewigen Sieg, wie er auch dir zuteil wurde, aufdass der Staat gedeihe und wir dir auch in Zukunft gerechte Opfer darbringen mögen zu deiner Ehre und Nahrung!", betete der Mann laut, wurde aber dennoch nur in den ersten Reihen gehört. Einmal mehr waren es einige Opferhelfer, die in regelmäßigem Abstand am Rand der Menschenmenge platziert, die Worte des Opfernden wiederholten und damit die Vorgänge für jedermann nachvollziehbar werden ließen.
Hernach folgte das zweite Opfergebet, welches an den Divus Augustus gerichtet war, bevor jenes an dessen Frau, die Diva Augusta, aufgesagt wurde. So folgte ein Gebet nach dem nächsten und der große Augenblick für den jungen Iulier rückte immer näher und näher. So schlug denn auch das Herz des Quaestor Ostiensis immer schneller und schneller, während der Magistrat sich versuchte nach außen nichts anmerken zu lassen. Dann sprach der Nachbar des Iuliers seine an den Divus Iulianus, den Vater des amtierenden Princeps, gerichteten Verse, bevor Dives schlussendlich an die Reihe kam:
"O Genius Valeriani, Beschützer unseres geliebten Imperator Caesar Augustus, des Pater Patriae!
Du bewahrst unseren Kaiser, der die Geschicke unseres Staates wie ein Vater lenkt, vor aller Krankheit, schenkst ihm die Kraft, den ewigen Sieg, die Autorität, Frömmigkeit, Ehre, Gerechtigkeit und die Weisheit! Auch hast Du ihn mit Fruchtbarkeit gesegnet und den Bestand seines Geschlechts gesichert zur Erhaltung der Gens Ulpia und zum Frieden des Staates!
Nimm unser gerechtes Opfer, diesen makellosen, weißen Stier an, den wir dir, die wir dir stets makellose und gerechte Opfer darbringen, am heutigen Tage anempfehlen! Segne unseren geliebten Princeps, den Imperator Caesar Augustus Gaius Ulpius Aelianus Valerianus! Schenke ihm Weisheit, Kraft und Stärke um seine Aufgabe zu erfüllen! Besonders gewähre ihm Gesundheit in dieser schweren Zeit, leite ihn an und gewähre ihm ein günstiges Schicksal, aufdass der Staat gedeihe und wir dir auch in Zukunft gerechte Opfer darbringen mögen zu deiner Ehre und zum Wohle des Kaisers!", verkündete der Quaestor möglichst laut und deutlich. Danach atmete er erst einmal erleichtert durch. Kein Versprecher, kein Aussetzer, kein sonstiger Patzer - das hatte also schon einmal ganz gut geklappt.
"Agone?", erkundigten sich hernach die Opferschlächter bei den jeweils Opfernden und während von allen anderen recht zügig und sicher das entsprechende 'Age!' kam, schaute Dives erst einmal leicht verdutzt drein. Er hatte sich so sehr gefreut und war so stolz gewesen bis hierher einen guten Job gemacht zu haben, dass er nun erst einmal einen Moment brauchte um zu realisieren, dass die Arbeit damit noch nicht ganz vollbracht war.
"AGE!!", nickte er sodann leicht panisch, weil etwas verzögert zu den anderen. So war dann auch sein blütenweißer Opferstier der letzte, der kurz darauf sein Leben aushauchte und mit einem dumpfen Geräusch zu Boden ging. Von einem zum nächsten Augenblick färbte sich das Straßenpflaster um die toten Stiere und Kühe (für die weiblichen Vergöttlichten) rot von all dem Blut, während die Musiker nun besonders kräftig spielten.
Nachdem die Tiere ausgeblutet waren und die Innereien in der Eingeweideschau auf Fehler und ungewöhnliche Verfärbungen untersucht worden waren, folgte die Verkündung der Litatio, des erfolgreichen Opfers. Damit nun war der offizielle Teil für den jungen Iulius Dives aber wirklich endlich abgeschlossen. Es würde noch ein erfolgreiches Opfer der Duumviri an die capitolinische Trias folgen (natürlich am Capitolium auf der gegenüberliegenden Seite des Platzes) und eine kurze Ansprache des ältestens Duumvir von Ostia. Danach würde im Theatrum Ostiensis gespielt werden und im Rest der Civitas gefeiert, gespielt, gegessen und getrunken bis in die späten Abendstunden.
Am nächsten Morgen dann würde nicht nur ein Bürger Ostias mit Kopfschmerzen oder Übelkeit erwachen...