Das Festmahl hatte den ganzen Nachmittag lang gedauert, bis zum Einbruch der Nacht... und dann war die Zeit für das nächste Ritual gekommen. Da Lucilla nicht nur Pronuba war, sondern auch Seianas nächste weibliche Verwandte – im Grunde die einzige, die heute anwesend war –, war es auch an ihr, den Part zu übernehmen, den üblicherweise die Mutter inne hatte. Seiana ließ sich von ihrem Bräutigam davon führen, um den Scheinraub zu vollführen, und gemeinsam mit ihm und den Hochzeitsgästen ging es durch die Straßen bis zur Casa Terentia.
Sie hörte die Flötenspieler auf dem Weg, die ihn begleiteten. Sie sah die drei Jungen, die sie umringten. Sie nahm all das auf, was zu einem Hochzeitszug gehörte, was ihn ausmachte, in all der Tradition, die dazu gehörte – und irgendwie bekam sie es doch nicht so ganz mit. Ihr Kopf fühlte sich mittlerweile so überladen an, dass sie das Gefühl hatte, nichts mehr wirklich aufnehmen zu können. Die Zeremonie in der Casa Decima, das anschließende Fest, die Unterhaltungen, die geführt worden waren... mit jedem ein wenig, mit niemandem so wirklich. Das Kümmern um die Gäste, damit sich niemand benachteiligt fühlte. Dazu der Lärm, der von all den anderen Gesprächen kam, von dem Geklapper mit Geschirr, von der Musik, die das Essen begleitete. Und der jetzt hier fortgesetzt wurde, wieder mit Musik, mit Lachen und Gesprächen, vornehmlich aber mit den Liedern und Reimen, die gerufen und gesungen wurden... und immer wieder: Talassio. Es rauschte irgendwie an ihr vorüber, und für diese Momente, während ihre Füße sich ohne ihr Zutun zu bewegen schienen, gönnte Seiana sich diese Ruhe, zwang sich nicht, sich dennoch zu konzentrieren, sondern ließ sich einfach treiben. Der Tag war zu lang gewesen, zu anstrengend, und er war noch nicht vorüber. Sie brauchte ein paar Momente für sich, und der Umzug war die einzige Gelegenheit dafür... also nutzte sie sie.
Die Gelegenheit war ohnehin schnell genug vorbei. Seiana war überrascht, wie rasch sie im Grunde bei der Casa Terentia angekommen waren – oder lag es daran, dass sie den Weg gar nicht so wirklich mitbekommen hatte? So oder so war es nun an ihr, ihren Part zu erfüllen, während sich hinter ihr einige der Gäste die Fackeln aus Weißdornholz schnappten. Sie bestrich den Türpfosten mit Öl, wickelte sorgfältig Wolle darum... und ließ sich im Anschluss daran von ihrem Mann über die Schwelle tragen. Was mit Abstand die engste Berührung war, die sie bislang geteilt hatten, was Seiana sich etwas unbeholfen fühlen ließ – aber es war ja nicht sie diejenige, die ihn tragen musste. Und dabei womöglich Gefahr lief zu stolpern... was er allerdings nicht tat, glücklicherweise. Seiana hatte die Augen geschlossen, während der Terentius sie in sein Haus trug, hielt sich an seiner Schulter fest und bemühte sich um innere Gelassenheit – um nach außen kühl und gefasst wie stets zu wirken. Und als der Terentius sie wieder hinunterließ und ihr Wasser und Feuer überreichte, hatte sie sich wieder im Griff, verteilte die Asse, für ihren Mann, den Herd, die Wegkreuzung. Sie setzte sich traditionsgemäß auf das hölzerne Fascinum, das im Atrium vorbereitet worden war. Und endlich, endlich, konnte sie den ganzen Trubel hinter sich lassen, die Gäste, die Feier, den Lärm. Nicht, dass der Gedanke an das Bevorstehende keine Unsicherheit in ihr auslöste, ganz im Gegenteil – sie war unruhig, mehr noch, nervös. Aber im Moment überwog eindeutig die Erleichterung darüber, endlich ein wenig Ruhe zu bekommen.