Die Männer, die den Karren begleiteten, hatten Erfahrung in dem was sie taten. So hatten sie sich nicht alle um einen Karren geschart, sondern mehrere organisiert, die sie teils mit Händlern, teils für sie aus Rom brachten. Andere hatten bereits zuvor die Stadt verlassen, um sich später an einem verabredeten Treffpunkt wiederzusehen, mit einfachen Begründungen, hatten sich als Nichtrömer ausgegeben oder schlicht die Wachen bestochen, was auch kein großes Problem darstellte angesichts der Tatsache, dass sie offensichtlich weder Senatoren noch Ritter waren, noch nicht einmal einer hochgestellten Familie angehörten. Und auch der Weg der Karren verlief problemlos. Nicht dass Nigrina sonderlich viel mitbekam... Aber sie wurden in jedem Fall nicht aufgehalten. Der präparierte Karren tat seine Wirkung und verriet sein Geheimnis nicht, und so hatten sie ihren Weg aus der Stadt hinaus gefunden. Ihrem Naturell hatte Nigrina es dabei zu verdanken, dass sie diese Momente ihrer Flucht in erster Linie mit Ungeduld erlebte, und ihre augenblickliche Wut tat das ihrige dazu, um auch den kleinsten Funken Furcht, den sie sonst vielleicht verspürt haben mochte, auszubrennen. Sie wollte einfach nur raus hier. Raus aus diesem winzigen Drecksloch, in das sie gesperrt worden war. Und weg von Sextus, diesem Kotzbrocken, weit weg von ihm. Sie war ja vorher schon wütend auf ihn gewesen. Aber seit sie eingesperrt in den doppelten Boden des Karrens fristete, hatte sie einen ziemlichen Hass auf ihren Mann entwickelt, und sowohl Scheidung schien ihr gerade als eine sehr verlockende Variante als auch diverse Varianten sich zu rächen an ihm, die sie sich in schillerndsten Farben ausmalte. Und durch die mangelnden Möglichkeiten sich abzureagieren staute sich ihre Wut nur immer mehr auf...
Oh ja, in diesem Augenblick hasste sie ihren Mann. Sie hasste ihn mit einer Inbrunst, die sie vergessen ließ, dass sie sich keineswegs auf einem Ausflug befand.
Es ließ sie hingegen nicht vergessen, wie absolut unwürdig ihre momentane Lage war. Die Zeit schien sich schier endlos zu dehnen in dem winzigen Raum, der ihr zur Verfügung stand, denn selbst nachdem sie das Stadttor hinter sich gelassen hatten, wurde sie noch nicht hinaus gelassen. Und der Weg wurde zur Marter, wegen der Enge und auch wegen der holprigen Straßen, gerade für sie, deren Rücken im Moment ohnehin über Gebühr beansprucht war. Sie spürte jeden Stein, jede Unebenheit, über die sie ratterten... und je länger das dauerte, desto mehr hätte sie am liebsten schreien und um sich schlagen wollen. Nur dass dafür kein Platz war. Fürs schlagen, jedenfalls. Und schreien kam ja auch nicht in Frage. Ihr blieb nichts anderes übrig als die Zähne aufeinander zu beißen und Sextus aufs Heftigste zu verfluchen für das, was er ihr da zumutete. Was hatte ihn überhaupt geritten, bei dieser bescheuerten Verschwörung mitzumachen? Und Gracchus erst, was war in den eigentlich gefahren? Hatte ihr Vater nicht immer behauptet, ihr Vetter sei zu unfähig und feige, um was auf die Reihe zu kriegen, irgendetwas vernünftiges jedenfalls, etwas in Richtung Wirtschaft oder Militär? Gut, die Unfähigkeit dürfte wohl hinlänglich erwiesen sein mit diesem Fehlschlag. Die Feigheit hingegen war damit jedoch wohl als widerlegt zu betrachten. Was sie persönlich allerdings einen Dreck scherte. Sie verfluchte die Mannsbilder nur, einen nach dem anderen, und am meisten davon ihren Mann, der sich doch wirklich, wirklich etwas besseres hätte einfallen lassen können als das hier. Wirklich. Angefangen damit, dass er sie nach Mantua hätte mitnehmen können. Zum einen war sie davon überzeugt, dass er für sich selbst angenehmere Mittel und Wege fand, aus der Stadt zu kommen – zum anderen hätte das Ganze völlig anders ausgesehen, wenn sie ihn hätte begleiten können, selbst wenn das Rausschmuggeln ähnlich unangenehm gewesen wäre. Und zwar schlicht und ergreifend deshalb, weil sie zufrieden gewesen wäre – zufrieden damit, ihren Willen bekommen zu haben. Und jetzt? War sie immer noch rasend vor Wut und in absolut beschissener Stimmung. Was die denkbar schlechtesten Voraussetzungen waren für eine Unternehmung wie diese.
Als sie endlich, nach Stunden, wie es ihr schien, heraus gelassen wurde, war von Rom nichts mehr zu sehen. Und ihre Laune hatte einen Tiefpunkt erreicht, den sie niemals für möglich gehalten hätte.