• Die Männer, die den Karren begleiteten, hatten Erfahrung in dem was sie taten. So hatten sie sich nicht alle um einen Karren geschart, sondern mehrere organisiert, die sie teils mit Händlern, teils für sie aus Rom brachten. Andere hatten bereits zuvor die Stadt verlassen, um sich später an einem verabredeten Treffpunkt wiederzusehen, mit einfachen Begründungen, hatten sich als Nichtrömer ausgegeben oder schlicht die Wachen bestochen, was auch kein großes Problem darstellte angesichts der Tatsache, dass sie offensichtlich weder Senatoren noch Ritter waren, noch nicht einmal einer hochgestellten Familie angehörten. Und auch der Weg der Karren verlief problemlos. Nicht dass Nigrina sonderlich viel mitbekam... Aber sie wurden in jedem Fall nicht aufgehalten. Der präparierte Karren tat seine Wirkung und verriet sein Geheimnis nicht, und so hatten sie ihren Weg aus der Stadt hinaus gefunden. Ihrem Naturell hatte Nigrina es dabei zu verdanken, dass sie diese Momente ihrer Flucht in erster Linie mit Ungeduld erlebte, und ihre augenblickliche Wut tat das ihrige dazu, um auch den kleinsten Funken Furcht, den sie sonst vielleicht verspürt haben mochte, auszubrennen. Sie wollte einfach nur raus hier. Raus aus diesem winzigen Drecksloch, in das sie gesperrt worden war. Und weg von Sextus, diesem Kotzbrocken, weit weg von ihm. Sie war ja vorher schon wütend auf ihn gewesen. Aber seit sie eingesperrt in den doppelten Boden des Karrens fristete, hatte sie einen ziemlichen Hass auf ihren Mann entwickelt, und sowohl Scheidung schien ihr gerade als eine sehr verlockende Variante als auch diverse Varianten sich zu rächen an ihm, die sie sich in schillerndsten Farben ausmalte. Und durch die mangelnden Möglichkeiten sich abzureagieren staute sich ihre Wut nur immer mehr auf...
    Oh ja, in diesem Augenblick hasste sie ihren Mann. Sie hasste ihn mit einer Inbrunst, die sie vergessen ließ, dass sie sich keineswegs auf einem Ausflug befand.


    Es ließ sie hingegen nicht vergessen, wie absolut unwürdig ihre momentane Lage war. Die Zeit schien sich schier endlos zu dehnen in dem winzigen Raum, der ihr zur Verfügung stand, denn selbst nachdem sie das Stadttor hinter sich gelassen hatten, wurde sie noch nicht hinaus gelassen. Und der Weg wurde zur Marter, wegen der Enge und auch wegen der holprigen Straßen, gerade für sie, deren Rücken im Moment ohnehin über Gebühr beansprucht war. Sie spürte jeden Stein, jede Unebenheit, über die sie ratterten... und je länger das dauerte, desto mehr hätte sie am liebsten schreien und um sich schlagen wollen. Nur dass dafür kein Platz war. Fürs schlagen, jedenfalls. Und schreien kam ja auch nicht in Frage. Ihr blieb nichts anderes übrig als die Zähne aufeinander zu beißen und Sextus aufs Heftigste zu verfluchen für das, was er ihr da zumutete. Was hatte ihn überhaupt geritten, bei dieser bescheuerten Verschwörung mitzumachen? Und Gracchus erst, was war in den eigentlich gefahren? Hatte ihr Vater nicht immer behauptet, ihr Vetter sei zu unfähig und feige, um was auf die Reihe zu kriegen, irgendetwas vernünftiges jedenfalls, etwas in Richtung Wirtschaft oder Militär? Gut, die Unfähigkeit dürfte wohl hinlänglich erwiesen sein mit diesem Fehlschlag. Die Feigheit hingegen war damit jedoch wohl als widerlegt zu betrachten. Was sie persönlich allerdings einen Dreck scherte. Sie verfluchte die Mannsbilder nur, einen nach dem anderen, und am meisten davon ihren Mann, der sich doch wirklich, wirklich etwas besseres hätte einfallen lassen können als das hier. Wirklich. Angefangen damit, dass er sie nach Mantua hätte mitnehmen können. Zum einen war sie davon überzeugt, dass er für sich selbst angenehmere Mittel und Wege fand, aus der Stadt zu kommen – zum anderen hätte das Ganze völlig anders ausgesehen, wenn sie ihn hätte begleiten können, selbst wenn das Rausschmuggeln ähnlich unangenehm gewesen wäre. Und zwar schlicht und ergreifend deshalb, weil sie zufrieden gewesen wäre – zufrieden damit, ihren Willen bekommen zu haben. Und jetzt? War sie immer noch rasend vor Wut und in absolut beschissener Stimmung. Was die denkbar schlechtesten Voraussetzungen waren für eine Unternehmung wie diese.


    Als sie endlich, nach Stunden, wie es ihr schien, heraus gelassen wurde, war von Rom nichts mehr zu sehen. Und ihre Laune hatte einen Tiefpunkt erreicht, den sie niemals für möglich gehalten hätte.

  • In den darauffolgenden Stunden geschah nichts, was Nigrinas Stimmung auch nur annähernd gebessert hätte. Sicher, wenigstens war sie befreit aus dem Karren. Aber die Situation blieb trotzdem ätzend. Es war kalt. Der Karren war unbequem. Die Ochsen waren langsam. Es gab nichts zu tun, nichts zum Ablenken, nicht einmal die Möglichkeit, sich massieren zu lassen oder so. Schlafen ging auf dem Karren auch nicht wirklich, weil zu unbequem. Rast kam nicht in Frage, weil Sackgesicht erst mal Abstand zwischen sich und Rom bringen wollte. Der Versuch ihn und seine Männer zu überreden, doch eine Sänfte zu organisieren, mit der sie getragen werden konnte, scheiterte. Der Versuch sie zu überreden, ein anderes, besseres Gefährt zu organisieren, scheiterte ebenso. Und zu allem Überfluss setzte gegen Morgen hin auch noch Eisregen ein. Kein Wunder, dass Nigrina übellaunig war wie selten.


    Als dann noch der Kleine wach wurde und anfing zu wimmern, bis es sich in ausgewachsenes Flennen steigerte, wurde es der Flavia zu viel. Mit einem Ruck stand sie auf und versetzte dem Kerl, der auf dem Kutschbock saß, mit der flachen Hand einen Hieb auf den Hinterkopf. „Halt an!“ fauchte sie, und noch bevor er reagieren konnte, sprang sie auch schon von dem Karren hinunter. Da die Ochsen fast noch gemächlicher gingen als ein Mensch, war das problemlos möglich, und es brachte ihren Begleitschutz effektiv dazu, ebenfalls anzuhalten. Kaum bemerkte Sackgesicht, was los war, riss er sein Pferd grob herum, ließ es zu ihr tänzeln und hielt erst kurz vor ihr, wo er sich zu ihr neigte. „Was soll das bitte werden?“
    Sogar Halbdunkel der gerade erst aufziehenden, immer noch verregneten und wolkenverhangenen Dämmerung konnte Nigrina erkennen, dass er wütend war. Aber das war ihr reichlich egal. Ganz davon abgesehen, dass er ganz sicher nicht so wütend war wie sie. Ohne sich davon beeindrucken zu lassen, dass er auf seinem Pferd deutlich höher war als sie – sie war ja sowieso kleiner als die meisten anderen, da machte ein Kopf mehr oder weniger auch keinen Unterschied –, starrte sie ihn an, als wäre er Dreck zu ihren Füßen – das konnte sie hervorragend, egal aus welcher Position –, und wies mit einer zornigen Geste auf den Karren. „Ich hab KEINE Lust, meinem Mann irgendwann erklären zu müssen, warum sein Sohn bei dieser Flucht draufgegangen ist“, schnauzte sie ihn an. „Und falls er dir das nicht erzählt hat: ich bin mit seinem zweiten Kind schwanger. Also werden wir jetzt halten und eine vernünftige Pause machen, und DU lässt dir irgendwas einfallen, wie die Reise wenigstens ein bisschen bequemer wird!“
    Sackgesicht starrte sie für Augenblicke nur grimmig an, aber Nigrina hielt seinem Blick stand – und schließlich war er es, der nachgab. Aus welchen Gründen er das tat, war ihr völlig egal, aber er tat es, nickte abgehakt, gestikulierte seinen Männern, alles für eine Pause herzurichten, und saß dann ab.

  • Als feststand, dass die Flavia ihren Willen bekommen würde, näherte Shayan sich seiner Herrin, um zur Verfügung zu stehen, wenn sie etwas wollte. Erfahrung hatte gezeigt, dass es am einfachsten war mit ihr umzugehen, wenn sie nicht erst lang nach jemandem suchen musste, der ihr irgendeinen Wunsch erfüllte... wobei er sich keine Hoffnungen machte, dass sie in ihrer augenblicklichen Lage einfach zu handhaben war. Er bewegte sich durch die Pferde hindurch, auf denen ein paar der Männer saßen, die der Aurelier als Begleitschutz angeheuert hatte – freilich aber nicht genug für alle. Und natürlich gehörte Shayan zu denen, die dem Karren zu Fuß gefolgt waren. Zum Glück hatte allerdings niemand angefangen mit ihm darüber zu diskutieren, auf welchem Weg er die Stadt verlassen sollte. Dass er den Karren begleiten würde, in dem seine Herrin war, war auch den Männern klar gewesen – auch wenn sie sich, kaum dass sie das Stadttor hinter sich gelassen hatten, recht bald alle wieder versammelt hatten. Shayan dabei so schweigsam wie eh und je... das Sprechverbot für die Gladiatoren im Ludus – je niedriger sie in der Hierarchie waren, desto umfassender galt es – hatte da ganze Arbeit geleistet, bei ihm jedenfalls, der ohnehin nie der Gesprächigste gewesen war. Und so hielt er sich auch jetzt zurück. Es war im Grunde auch völlig unnötig etwas zu sagen, weil er sowieso nicht zu beurteilen gewusst hätte, ob ihr Fluchtplan nun gut oder schlecht war. Und auch außerhalb Roms gab es für ihn nichts zu sagen, weil er sich nicht auskannte. Seine Gedanken machte er sich freilich dennoch... aber diese drehten sich eher um die Ursache für die Flucht als um deren Ausführung. Der Kaiser tot, und aus irgendeinem Grund war das Anlass genug gewesen für den Aurelier, seine Frau und seinen Sohn fortzuschicken. Da Shayan freilich nicht sein Interesse verloren hatte für politische und gesellschaftliche Vorgänge in seinen Jahren seit seiner Gefangenschaft, und da er zumindest als Sklave der Flavia in deren Haus doch einiges mitbekam, fiel es ihm nicht schwer, zumindest gewisse Dinge einzuordnen oder anzunehmen. Möglich, dass der Aurelier sie weggeschickt hatte, weil der Praefectus Urbi Patrizier ganz offensichtlich nicht leiden konnte. Allerdings zweifelte Shayan daran, dass das der einzige Grund war, warum er eine Flucht diesen Ausmaßes anzettelte und die entsprechenden Risiken einging, die damit verbunden waren, für seine Frau, seinen Erstgeborenen, sein noch ungeborenes zweites Kind.


    Die Pause hielt sich indes in Grenzen. Mit Sicherheit war sie nicht so lang, wie von der Flavia wohl gewünscht gewesen wäre... Andererseits war es auch am Wegesrand nicht sonderlich bequem, und trockener oder wärmer ebenso wenig. Vermutlich hatte sie deshalb nicht wirklich etwas dagegen einzuwenden, als der Anführer der Männer, der Velanius, recht bald darauf drängte, weiter zu reisen, kaum dass der aurelische Spross so weit versorgt worden war, dass er aufhörte zu plärren. Sie schmollte zwar, aber nur aus Prinzip, wie der Parther vermutete – immerhin kannte er sie mittlerweile gut genug um zu wissen, dass sie ganz anders reagiert hätte, wenn sie wirklich weiter hätte bleiben wollen. Was man auch an dem kurzen Zusammenstoß zwischen Patrizierin und Begleitschutz merken konnte, als es darum ging, den Karren etwas bequemer zu gestalten. Vom Velanius kam schlicht, aber kategorisch ein: unmöglich. Was die Flavia nicht akzeptieren wollte... aber letztlich akzeptieren musste. Es gab einfach nichts, um das Ding bequemer zu machen. Sie hatten weder Kissen mitgenommen noch sonst etwas, das einzige, was die Flavia und ihr Sohn – und mit ihm auch die Amme – noch bekamen, waren zwei dicke Mäntel von zwei der Männer, die sie noch als zusätzlichen Schutz vor dem Eisregen verwenden konnten. Und so verfolgten sie weiter ihren Weg, wanden sich aus Vogelperspektive betrachtet wie eine Schlange durch die Landschaft, immer weiter gen Norden, Richtung Tarquinia.

  • Hatte sie eigentlich schon daran gedacht, ihren Mann – und sämtliche Mitverschwörer – zu verfluchen? Nicht in den letzten paar Momenten, beantwortete Nigrina die Frage, die sie sich lautlos selbst gestellt hatte. Sie hasste es. Alles. Den Weg. Den Karren. Das Wetter. Der euphemistischerweise sogenannte Begleitschutz, der auch nur aus dreckigen Kerlen bestand, die keine Ahnung hatten, wie man eine Flavia behandelte. Und zu guter Letzt die Ochsen, vermaledeitedrecksblödeViecher... was zu einem nicht unwesentlichen Teil daran lag, dass sie bei der letzten Rast mitten in einen Haufen Scheiße getreten war, den eins dieser dreckigen Viecher losgelassen hatte, wofür Nigrina ihm am liebsten die Kehle durchgeschnitten und das Fleisch anschließend über einem Feuer gebraten hätte. Hätte den Vorteil gehabt, dass sie endlich was Vernünftiges zu essen bekommen würden. Leider hatte sich Sackgesicht nicht von den Vorteilen dieser Handlung überzeugen lassen... und der Rest der Meute hatte sich mühsam das Lachen verbissen, das hatte Nigrina wohl bemerkt.


    Wie lange waren sie nun eigentlich schon unterwegs? Stunden um Stunden um Stunden sicher, auch wenn Nigrina irgendwie das Zeitgefühl verloren hatte. Aber wenn sie nicht alles täuschte, begann es schon wieder dunkler zu werden, also mussten sie ja schon Stunden unterwegs gewesen sein... Und tatsächlich, ihr Eindruck täuschte sie nicht – nach und nach setzte die Dämmerung ein, was aufgrund der Wolkenschicht am Himmel nicht sofort zu merken war, aber schließlich eben doch, und von diesem Moment an nahm das Tageslicht schnell ab. Und nur kurze Zeit später ließ Sackgesicht die Gruppe endlich halten, um ein Lager für die Nacht aufzuschlagen. In eine Raststation am Weg entlang einzukehren, wie Nigrina prompt forderte, wagte er nicht, wie er in einem seltenen Anfall von Langmut erklärte – vermutlich weil ihm mittlerweile klar war, dass Nigrina sonst wohl die ganze Nacht rumgemosert hätte deswegen. Das Risiko sei zu groß, so erklärte er, dass dort herauskam, wer die Flavia war – und davon sei es dann nur noch ein kleiner Schritt zu der Erkenntnis, dass sie sich unerlaubterweise aus Rom entfernt hatten. Es sei besser, wenn ihre Identität unbekannt bliebe, bis sie sicher Tarquinia erreicht hatten. Dass es zudem besser war, wenn Nigrina auch dort so lange wie möglich unerkannt blieb, ließ er unerwähnt. Schon allein, weil es ihn dann nichts mehr anging. Er hatte den Auftrag, die Flavia und ihren Anhang sicher nach Tarquinia zu bringen und dort bei den Cilnii abzuliefern – und genau das würde er tun. Nicht mehr und nicht weniger.


    Nigrina in jedem Fall ließ sich davon, wenn auch wie üblich nur zähneknirschend, überzeugen, und das obwohl sie wieder mal den Verdacht hatte, dass Sackgesicht eine Raststation auch deswegen mied, weil er dadurch einen weiteren Batzen Geld sparte, den er so für sich einsacken konnte. Aber sie war es leid. Leid, sich mit dem Kerl herumzustreiten, und leid, regelmäßig den Kürzeren zu ziehen. Seit ihr Mann ihre Frage, sie nach Mantua mitzunehmen, derart rüde abgeschmettert hatte, hatte sie irgendwie nur noch nachgeben müssen, jedenfalls kam es ihr so vor, und sie hatte die Schnauze voll davon. Da war es irgendwie nicht ganz so entwürdigend, wenn sie von vornherein so tat, als wäre sie derselben Meinung. Und siehe da – ob es nun daran lag, dass sie diesmal nicht versucht hatte zu streiten, oder daran, dass Sackgesicht das ohnehin vorgehabt hätte, oder vielleicht daran, dass er realisiert hatte, dass es mit der Flavia leichter war wenn er wenigstens so tat als hätte sie die Möglichkeit Einfluss zu nehmen, sei mal dahin gestellt –, der Kerl kam am Abend tatsächlich noch mal zu ihr, um ihr den weiteren Plan zu erläutern. Sie hatten an diesem ersten Tag eine gute Strecke geschafft, gut dafür, dass sie mit einem langsamen Ochsenkarren unterwegs waren, hieß das. Aber Tarquinia war auch nicht allzu weit entfernt – morgen würden sie weiter reisen, und im Lauf des darauffolgenden Tages, ab Mittag ungefähr, würden sie schließlich an ihrem Ziel ankommen, wenn sich ihre Reise nicht aus irgendeinem Grund verzögerte. Und auch wenn Nigrina sich das nicht anmerken ließ, nahm sie diese Information sowohl dankbar als auch erleichtert auf. Zwei Tage. Das war auszuhalten. Dann konnte sie es sich erst mal gut gehen lassen, und parallel dazu Informationen einholen, sich auf dem Laufenden halten – und sich Gedanken machen, wie es weiter gehen sollte. Wie lange sie in Tarquinia bleiben würde. Denn dass sie da ganz sicher nicht brav warten würde, bis sich ihr Mann dazu bequemte sie irgendwann irgendwohin nachholen zu lassen, diese Entscheidung hatte sie für sich bereits getroffen. Schon aus purem Trotz würde sie das jetzt nicht mehr tun, nicht nachdem wie er sich aufgeführt hatte ihr gegenüber. Sie hatte ihren Stolz, und sie hatte ihren eigenen Willen, und sie war durchaus in der Lage selbst zu entscheiden, wo sie die Zeit verbrachte, bis Rom wieder ungefährlich zu betreten war. Nur wo, die Frage war eben noch offen, und das würde reiflicher Überlegung benötigen – denn freilich wollte sie am Ende nicht da stehen und realisieren müssen, dass Tarquinia doch die bessere Alternative gewesen wäre. Oder noch schlimmer: es sich anhören müssen von ihrem Mann. Nein, es musste schon etwas sein, wo sogar ihm klar war, dass es noch besser war als Tarquinia. Und mit diesen Gedanken – leider allerdings noch ohne eine Idee, was für ein Ort das denn sein könnte – schlief sie schließlich ein.

  • Der nächste Tag. Shayan war als einer der ersten auf den Beinen, schälte sich aus dem Mantel, der auch als Schlafrolle gedient hatte, legte die Lederkluft an, die er über der Tunika trug, seine Waffen, zuletzt die ledernen Armschoner, die sich bis über die Handgelenke zogen – und nicht etwa in erster Linie dazu dienten, tatsächlich seine Unterarme zu schützen, sondern die Tätowierungen zu verbergen, die ihn als Gladiator kennzeichneten. Und ein Gladiator, der frei herum lief, warf immer Fragen auf... genau die Art von Fragen, die sie vermeiden wollten, bis sie Tarquinia erreicht hatten. Entsprechend sorgfältig achtete Shayan also darauf, dass seine Tätowierungen gänzlich verborgen waren, bevor er grüßend den Männern zunickte, die die Morgenwache gehabt hatten, und sich daran machte mit einem anderen das Frühstück vorzubereiten.
    Nachdem die anderen erst mal geweckt waren, ging alles ziemlich rasch: viel Zeit für Frühstück ließ der Velanius nicht – wie bereits am Tag davor bei jeder einzelnen Pause drängte er darauf, so bald wie möglich aufzubrechen. Shayan vermutete, dass er seine lästigen Schützlinge lieber früher als später los werden wollte. Und auch die anderen wollten rasch aufbrechen, sogar die Flavia – vermutlich konnte auch sie es kaum erwarten anzukommen. Entsprechend problemlos verlief ihr Aufbruch also. Sogar der Kleine, der tags zuvor noch häufig gequengelt hatte, war jetzt ruhiger, plapperte zwar munter vor sich hin und versuchte, sich den Armen der Amme zu entwinden, um auf seinen kleinen Kinderbeinen für seine Verhältnisse durch die Gegend zu rasen, aber war zumindest gut aufgelegt. Shayans Mundwinkel zuckten kurz im Anflug eines Lächelns, als er den Winzling kurz musterte, der vermutlich der einzige von ihnen war, der in der Nacht wirklich gut geschlafen hatte, weil Kinder scheinbar immer und überall, egal unter welchen Umständen, gut schlafen konnten. Dass er hier nicht herumlaufen durfte, gefiel ihm zwar weniger, aber die Amme schaffte es ihn davon zu überzeugen, dass es ohnehin viel lustiger war, im Karren zu spielen... was glücklicherweise heute möglich sein würde, da es zumindest im Augenblick nicht mehr regnete.


    Und so brachen sie wieder auf, die Flavia, der Junge, die Amme und die beiden Sklaven auf dem Karren, Shayan zu Fuß dahinter, um sie herum die Männer des Velanius, teils ebenfalls zu Fuß, teils zu Pferd. Gegen Mittag signalisierte der Velanius, dass sie eine Pause einlegen würden, und der Karren hielt, die Männer zu Pferd saßen ab, versammelten sich, machten sich daran etwas zu essen vorzubereiten. Shayan half der Flavia vom Karren herunter und begleitete sie ein Stück abseits, damit sie sich erleichtern konnte. Und gerade als sie fertig war und sie die paar Schritte zurück zur Gruppe gehen wollten – brach Chaos aus.
    Shayan konnte, selbst im Nachhinein, nicht sagen, was zuerst passiert war. Dadurch dass er etwas abseits gewesen war mit seiner Herrin, hatte er nicht gesehen, was der Anfang gewesen war. Er sah nur, dass plötzlich Tumult ausbrach. Ein Pferd bäumte sich laut wiehernd auf, als sich ein Speer direkt vor seinen Füßen in den Boden bohrte. Einer der beiden Ochsen brüllte auf, von irgendetwas in die Flanke getroffen. Ein Mann ging zu Boden, gleich zwei Speere aus seinem Körper ragend. Und gleich darauf ein zweiter. Zwei Pferde rissen sich los und jagten davon, die Ochsen, noch am Karren festgemacht, setzten sich in Bewegung, Tiere wieherten und Männer brüllten, und in all dem Chaos war zunächst nicht zu erkennen, von wo aus sie angegriffen wurden – bis die Männer tatsächlich auftauchten. Und klar wurde, dass sie den Kreis um sie schon nahezu zur Hälfte geschlossen hatten, und nun dazu ansetzten, jetzt, wo sie gesehen waren, den Kreis auf jener Seite zu schließen, die sie zuvor aufgrund der Einsichtigkeit des Geländes hatten aussparen müssen. Shayan hörte den Velanius brüllend Befehle erteilen, Schwerter wurden gezogen, während noch weiter Steine und Speere auf sie herabgingen, die Männer machten sich zur Verteidigung bereit, wer konnte, schwang sich auf ein Pferd, um die Höhe nutzen zu können. Aber es brauchte nicht viel um zu erkennen, dass die Angreifer in der Überzahl waren. Der Velanius realisierte das im selben Augenblick wie der Parther, und während der erste die kreischende Amme mitsamt schreiendem Kind packte und sie zu einem der Männer aufs Pferd hievte, der daraufhin ohne viel Federlesens davon preschte kaum dass die Frau oben war, nutzte Shayan die Tatsache aus, dass sie dem Augenmerk der Angreifer für den Moment noch entgangen waren, griff sich die Flavia und brach mit ihr durchs Gebüsch in den Wald hinein, an dessen Rand sie gewesen waren.

  • Sie rannten. Und rannten. Und rannten. So schnell, dass Nigrina schon bald glaubte keine Luft mehr zu bekommen. Sie hatte noch nicht wirklich begriffen, was da überhaupt passiert war, nur dass es nicht gut war, gar nicht gut, überhaupt nicht gut. Schreie. Chaos. Irgendwer hatte sie beschossen. Irgendwie hatten sie davon rennen müssen. Und ihr Leibwächter zog sie so kompromisslos mit sich, dass sie gar keine andere Wahl hatte als ihm zu folgen. Aber sie wollte im Moment auch gar nichts anderes – auch wenn noch nicht wirklich in ihr Bewusstsein vorgedrungen war, was da geschehen war: die Instinkte funktionierten dennoch. Und die sagten ihr, dass es eine absolut fantastische Idee war davon zu rennen vor was auch immer das Chaos beim Karren verursacht hatte. Also folgte sie ihrem Leibwächter so gut es ging, auch wenn sie bei weitem nicht so gut zu Fuß war wie er, auch wenn sie immer wieder strauchelte und stolperte und von ihm grob weiter gezogen wurde dann, auch wenn ihr schon bald Beine und Lunge weh taten.


    Wie lange sie durch das Unterholz brachen, wusste Nigrina nicht, konnte es weder in dem Moment sagen in dem sie am Rennen waren, noch im Nachhinein einschätzen. Irgendwo, irgendwann war es nur einfach so weit: sie konnte nicht mehr. Der Parther schleifte sie noch ein Stück weiter durch die Gegend, aber es dauerte nicht mehr lange, bevor auch das nicht mehr gut ging. Sie stolperte zum gefühlten hundertsten Mal, und diesmal gaben ihre Beine so sehr unter ihr nach, dass sie der Länge nach hinknallte – und als der Kerl sie erneut hoch hieven und weiter zerren wollte, hatte sie die Schnauze voll. Sie entriss ihm ihre Hand, mit so viel Energie, dass sie gleich drei Schritte zurück stolperte, und blitzte ihren Sklaven – Sklaven! – wütend an. „Es REICHT jetzt!“ fauchte sie, und ihre Stimme zitterte dabei – und das nicht nur vor Wut und Anstrengung, wie sie sich zornig eingestehen musste, sondern auch vor Tränen. „Wir machen eine Pause!“
    „Herrin“, begann der Parther, in seiner unsäglich ruhigen, für die Nigrina ihm im Augenblick am liebsten hätte auspeitschen lassen. Und da sie schon wusste, was er wohl sagen würde, ließ sie ihn gar nicht weiter sprechen: „Wir. Bleiben!“
    Normalerweise war der Parther ein vorbildlicher Sklave. Er war da wenn man ihn brauchte, er tat was man ihm sagte, er schwieg wenn es erwartet wurde. Deswegen machte Nigrina sich überhaupt keine Gedanken darüber, wie er wohl jetzt reagieren würde, weil sie ihm eine klare Anweisung gegeben hatte. Thema erledigt. Allein: die Betonung lag offenbar auf normalerweise. Und die Situation, in der sie sich jetzt befanden, war nicht normal. Völlig überrascht musste Nigrina nun also erleben, dass der Parther ihr zum ersten Mal, seit er in ihren Besitz gekommen war, widersprach. „Nein, Herrin“, sagte er ruhig, aber bestimmt. „Wir können hier kurz zu Atem kommen, aber wir müssen weiter.“
    „WARUM?!?“ entfuhr es ihr, immer noch wütend, und schlimmer noch: näher den Tränen als zuvor. Sie hätte am liebsten geheult bei der Aussicht darauf, dass sie weiter hetzen mussten.
    Der Blick, den ihr der Parther nun zuwarf, trug nicht unbedingt dazu bei ihre Laune zu heben. Irgendwie sah er gerade so aus, als zweifelte er an ihrem Verstand. „Es ist möglich, dass sie uns verfolgen, Herrin. Und wir sollten nicht hier bleiben und darauf warten, dass sie uns erwischen.“
    Das saß. Nigrina starrte ihn nur für einen Moment an, aber sie sagte nichts mehr. Und nach ein paar weiteren Momenten stapfte sie los, ohne ihn anzusehen. Obwohl sie wütend war und trotzig, war ihr der Wunsch nach einer Pause ziemlich gründlich vergangen angesichts der Aussicht, dass sie womöglich verfolgt werden könnten.

  • Weiter ging es durch die Wälder, und wie bereits zuvor gab Shayan das Tempo vor – aber er hatte es zumindest deutlich gedrosselt. Sie mussten weiter, und er war froh, dass seine Herrin ohne Widerspruch folgte, weil sie das unnötige Verzögerungen sparte. Aber er wusste auch, dass sie nicht mehr sonderlich weit kommen würden, wenn er sie so hetzte, dass sie irgendwann zu erschöpft war um noch einen Schritt zu tun. Sie war bei weitem nicht so gut zu Fuß wie er, oder so ausdauernd – wie auch, bei dem Leben, das sie und ihresgleichen führten. Nein, er musste darauf achten, dass sie noch Schritt halten konnte... sonst würden sie nur allzu bald überhaupt nicht mehr vorwärts kommen. Also schlug er ein langsameres Tempo an, eines, das sie immer noch halbwegs rasch voranbrachte, das aber nicht zu schnell war für sie. Auch wenn er sich dabei nicht wirklich wohl fühlte, auch wenn er lieber wieder gelaufen wäre, um möglichst schnell möglichst viel Abstand zwischen sie und die Wegelagerer zu bringen...
    Und dann war da noch eine andere Sache, die ihm Sorgen machte: er kannte sich hier nicht aus. Nicht im Geringsten. Er hatte keine Ahnung, wo sie hin mussten, nur, dass es nach Norden gehen sollte, weil dort Tarquinia war. Irgendwo in der westlichen Küstenregion Italias. Aber er wusste nicht, wie genau er dahin kommen sollte. Er wusste ja noch nicht einmal, wo sie hier genau waren, erst recht nicht mehr seit sie durch den Wald gelaufen waren. Ihm blieb nicht viel mehr, als sich grob Richtung Nordwesten zu halten... und zu versuchen jemanden zu finden, der ihnen den Weg wies. Jemanden, den sie gefahrlos fragen konnten.


    Für den Moment allerdings zählte vor allem, mehr Entfernung zurückzulegen. Wenn die Wegelagerer wirklich auf die Idee kamen sie zu verfolgen, war das ihre einzige Chance. Entfernung zu bringen zwischen denen und ihnen... und das in möglichst unwegsamem Gelände, wo ihnen die Pferde nichts helfen würden. Und dann darauf hoffen, dass sie aufgeben würden, bevor sie sie fanden.



    ~~~ An einem anderen Ort ~~~


    Das Schreien von verwundeten und sterbenden Männern hatte schon längst das panische Wiehern der Pferde und das dumpfe Brüllen der Ochsen zur Gänze abgelöst. Sulca ließ seinen Blick über den Platz rund um den Karren schweifen und war ziemlich zufrieden. Von seinen eigenen Männern hatte es zwar einige erwischt, weil die Kerle sich tapfer gewehrt hatten, aber letztlich war der Blutzoll bei den Überfallenen deutlich höher – und erhöhte sich gerade Stück für Stück, als seine Männer herumliefen und einem nach dem anderen, der noch am Leben war, die Kehle durchschnitt. Die einzigen, die verschont wurden, waren die zwei die sie beim Karren gefunden hatten – eine Frau und ein Mann, und beiden war anzusehen, dass sie nicht zu der angeheuerten Schutztruppe gehörten. Vielleicht sprang da ja noch mehr bei raus bei denen.


    Langsam wurde es leiser, je mehr Männer verstummten, und schließlich war nur noch die Frau zu hören, mit der sich ein paar seiner Männer beschäftigten – aber auch deren Schreien verwandelte sich nach und nach in ein Wimmern. Und Sulca widmete sich nun dem Karren und wühlte dort in den wenigen Gepäckstücken, die dort zu finden waren. Bevor er allerdings sonderlich weit kam, stand Cipus auf einmal bei ihm. „Was gibt’s?“ fragte er, während er gerade durch den Vorratssack sah.
    „Ah. Zwei von uns sind drauf gegangen, fünf haben mehr abgekriegt, wird aber wieder werden, der Rest sind nur Kratzer...“ Hier wartete Cipus kurz, aber Sulca machte noch keine Anstalten etwas dazu zu sagen. „Von den anderen haben wir viele erwischt. Bei einem haben wir das hier gefunden.“ Grinsend hob Cipus einen Beutel hoch, der prall gefüllt mit Münzen war.
    „Na das sieht doch gut aus...“ grinste Sulca kurz zurück und nahm sich den nächsten Beutel vor. „Noch was?“
    „Es konnten einige fliehen. Manche zu Fuß, manche mitm Gaul – die zu Fuß können wir einholen, ist nur die Frage ob sich das lohnt.“
    Plötzlich ein wenig nachdenklich sah Sulca auf den Sack hinunter, den er gerade in den Händen hielt, genauer gesagt auf etwas darin. „Weißt du wer geflohen ist?“
    Cipus machte eine flatternde Handbewegung. „Teils. Der größte Teil waren einfach welche von den Kerlen. Aber Cerco hat nen Weib am Waldrand gesehen, die mit nem Kerl weggelaufen is.“
    „Hat er das...“ machte Sulca. „Wir folgen denen. Frag Cerco wo genau, und schick schon mal wen dahin um rauszufinden, wo die lang sind, während wir hier fertig machen.“
    „Geht klar.“ Cipus verschwand, nur um gleich darauf wieder bei ihm zu stehen. „Erledigt, die kümmern sich drum. Darf ich fragen warum wir ausgerechnet denen folgen?“
    Jetzt zog Sulca grinsend etwas aus dem Beutel. „Weil bei denen offenbar noch mehr drin ist als nur das, was wir hier gefunden haben...“ In seinen Händen hielt er ein Kleid, das von erlesenstem Stoff war – so erlesen, wie es sich nur die Reichsten leisten konnten. „Durchsuch das mal weiter.“ Er drückte Cipus den Beutel in die Hand und ging hinüber zu den beiden, die sie bisher noch verschont hatten. Viel Mühe würde er kaum haben, aus denen was rauszukriegen – ganz im Gegenteil, die Frau dürfte so oder so schon genug haben, schätzte er. „Dann wollen wir mal rausfinden, welche Vögelchen uns da in die Hände gefallen sind...“

  • Während sie weiter durch den Wald liefen – oder, in ihrem Fall, sich zunehmend schleppten, jedenfalls kam es ihr so vor –, verlor Nigrina jedes Zeit- und Raumgefühl. Sie hatte überhaupt keine Ahnung mehr, wo sie war. Oder wie spät es war. Sie machte einfach nur einen Schritt nach dem anderen, noch einen, einen weiteren, versprach sich jedes Mal, dass sie nach diesem Schritt endlich aufhören und eine Pause machen würden, dass es nach dem nächsten vorbei wäre, dem nächsten, nur einen noch, einen einzigen... nur um nach diesem einen dann doch den nächsten Schritt zu tun. Und noch einen. Und noch einen. Die Furcht davor, dass die Wegelagerer sie verfolgen, sie einholen und gefangen nehmen könnten, war größer als ihre Erschöpfung. Wobei: Furcht war eigentlich zu viel gesagt. Sie befürchtete, dass diese Kerle sie einholen könnten... aber alles, was darüber hinaus ging, verdrängte sie schlichtweg, sperrte es irgendwo ganz tief in sich ein, wo es ihr Bewusstsein nicht wirklich erreichen konnte. Andernfalls wäre sie in Panik geraten, und ohne tatsächlich darüber nachzudenken, rein instinktiv, wusste sie, dass sie es sich nicht leisten konnte in Panik zu geraten.


    Eine Weile später erreichte sie den Punkt, an dem sie nicht einmal mehr befürchtete, sie könnten eingeholt werden... an dem die Wegelagerer einfach keine Rolle mehr spielten. Sie war zu kaputt, um irgendetwas anderes zu tun, etwas anderes zu denken, auf etwas anderes zu achten – etwas anderes als sich selbst. Die Schmerzen in ihren Füßen. Das Brennen in ihren Gliedern. Die unglaubliche Schwere in ihrem Körper. Sie konnte nicht mehr, und mittlerweile war sie dazu übergegangen, sich das mit jedem Schritt lautlos vorzusagen. Kann nicht mehr. Kann nicht mehr. Kann nicht mehr. Dem voraus gegangen war eine kurze Phase, in der sie ihren Leibwächter aufs Übelste verflucht hatte. Wenn auch nur gedanklich – und das aus zwei Gründen. Zum einen war der Fluchtreflex immer noch da, und mit ihm das Bedürfnis, wegzukommen – und trotz ihrer zunehmenden Erschöpfung und der damit einhergehenden Einengung ihrer gedanklichen Kapazitäten, ließ gleichzeitig auch der dämpfende Effekt des Schocks nach. Zum anderen wollte sie um keinen Preis erneut vor ihrem Leibwächter nachgeben müssen. Einknicken traf es noch besser. Als sie beim letzten Mal von ihrer Forderung abgewichen war, als sie eingewilligt hatte, weiterzugehen, da war unausgesprochen klar gewesen, dass sie ihm die Führung ihrer Flucht überließ. Nicht weil sie sich unterordnen wollte – sondern weil sie, wenn auch widerwillig, mit diesem ersten Nachgeben schon akzeptiert hatte, dass er die Lage besser einschätzen konnte. Bei der nächsten Konfrontation würde es also wohl genauso laufen: sie würde irgendetwas fordern, er würde – ziemlich wahrscheinlich ziemlich gut begründet – dagegen halten, und das Ende vom Lied würde sein, dass sie nachgab. Gegenüber einem Sklaven. Das würde ihr kein zweites Mal passieren. Und mit Sicherheit würde sie nicht damit anfangen, einen Sklaven anzubetteln. Eher würde sie ihm nachlaufen, bis sie irgendwann zusammenbrach, bevor sie das auch nur in Betracht zog.


    Noch eine Weile später war sie so weit, dass sie irgendwie an gar nichts mehr dachte. Sie setzte einfach nur noch einen Fuß vor den anderen, taumelnd. Und als sie schließlich wirklich stolperte, nahm ihr Leibwächter sie wortlos Huckepack und trug sie weiter, und obwohl er ein Sklave war und sie darüber hinaus gerade mit männlichen Sklaven engeren Körperkontakt mied, war das einzige, was sie nun spürte, Erleichterung. Sie lehnte ihren Kopf an seine Schulter und entspannte sich, und von da an bis der Parther endlich anhielt, war Nigrina nur in halbwachem Zustand, in dem sie nur phasenweise mitbekam, wie sie sich überhaupt fortbewegten. Und obwohl sie gar nicht mehr selbst hatte laufen müssen, war sie froh darum, endlich anzuhalten... genau so lange, wie sie brauchte, um sich zu Boden gleiten zu lassen, kaum dass ihr Sklave sie von seinem Rücken abgesetzt hatte. Oder besser: genau so lange, wie sie danach brauchte um zu realisieren, wie kalt, nass und ganz generell ungemütlich der Boden war. Ihr Sklave versuchte ihr einen halbwegs trockenen Platz herzurichten und holte sie dann zu sich, nahm sie in den Arm und hüllte seinen Mantel um sie beide, und wie schon zuvor, als er sie hochgehoben hatte, spürte sie nur Erleichterung, wo sie sich sonst wohl geekelt und aufs Heftigste widersprochen hätte. Es dauerte nicht lang, bis sie einschlief – und auch wenn es nur ein unruhiger Schlaf war, hatte sie doch wenigstens einigermaßen ihre Ruhe... bis irgendwann in der Früh, noch vor dem Morgengrauen, die Krämpfe einsetzten.

  • Shayan war froh, wirklich froh, dass die Flavia nichts mehr sagte nach ihrer ersten kleinen Auseinandersetzung. Und erst recht erneut ankam mit Forderungen nach Pausen oder ähnlichem. So verwöhnt und biestig sie war, dumm war sie nicht, und der Ernst ihrer Lage schien ihr durchaus bewusst zu sein... wenigstens so weit es ihre möglichen Verfolger betraf. Er bezweifelte, dass sie sich Gedanken darüber machte, wo sie waren. Oder wie sie etwas zu essen auftreiben sollten. Selbst wenn sie irgendwohin kamen, in eine kleine Ortschaft hier irgendwo – sie hatten ja nichts dabei außer den Klamotten, die sie am Leib trugen. Und Shayan war nicht gewillt irgendjemandem zu verraten, wer sie waren, damit ein Schuldschein wirklich Wert bekam. Ganz davon abgesehen, dass ihnen vermutlich sowieso kaum einer glauben würde im Moment, war es zu gefährlich.
    Nein, seine Herrin machte sich darüber keine Gedanken, vermutete er, aber es war wohl besser so. Und sie hielt lange durch, länger, als er geglaubt hätte, bis er sie schließlich auf seinen Rücken nahm und noch ein Stück durch die Gegend trug, so lange er konnte. Zum Glück war der Eisregen des vergangenen Tags gänzlich abgeklungen, und es war kurz vor Vollmond, weswegen auch in der frühen Nacht noch genug Licht vorhanden war, dass er nicht blind umher stolpern musste. Irgendwann hielt er allerdings an bei einer geeigneten Stelle. Es hatte keinen Sinn, die Nacht durchzulaufen, mit der Flavia auf den Rücken, bis er überhaupt nicht mehr konnte. Besser, jetzt eine Pause zu machen und sich wenigstens etwas auszuruhen. Auch wenn er nicht vorhatten wirklich zu schlafen. Er richtete eine provisorische Schlafstatt her, so gut wie möglich, brachte die Flavia an seinen Körper und legte seinen Mantel um sie beide, um sie zu wärmen, und war erneut froh, dass sie so erstaunlich ruhig war. Kein Gezicke, was ihm einfiel, sie zu berühren, sie gar so dicht an sich zu ziehen. Und kein Gejammer, dass sie Hunger hatte. Vermutlich war sie dafür einfach zu müde, schätzte er, aber spätestens morgen früh würde sich das ändern.


    Die Nacht über hielt er Wache, größtenteils. Zwischendurch erlaubte er sich, in einen leichten Dämmerschlaf zu verfallen, aber der momentane Alarmzustand, in dem er sich befand, kombiniert mit alten Gewohnheiten aus Kriegszeiten, in denen man sich ebenfalls nie so ganz hatte sicher fühlen können, verhinderten, dass er wirklich in den Tiefschlaf abglitt. Sein Bewusstsein driftete nur stets in jenem unscharfen, trüben Grenzbereich zwischen Traum und Realität entlang, und jedes Geräusch katapultierte ihn ins Wachsein.
    Nichts geschah jedoch. Wilde Tiere ließen sie in Ruhe, und auch von möglichen Verfolgern war nichts zu hören. Der Schlaf der Flavia war unruhig, aber immerhin schlief sie, trotz der Kälte... und wenn sie Glück hatten, begegneten sie im Lauf des Tages jemandem, der ihnen half. Reisende vielleicht, die froh waren um einen weiteren Mann, der sie beschützen konnte... Shayan presste seine Kiefer aufeinander. Die Hoffnung war unnütz. Sie würden hier im Wald keine Reisenden finden. Wer seine Sinne beieinander hatte – und keinen expliziten Grund – blieb auf einer der Straßen. Wenn er nur wüsste, wo sie sich befanden, wo was in ihrer näheren Umgebung war... aber er hatte nur ein vages Bild der Karte im Kopf, wusste nur grob die Richtung, die sie einschlagen mussten um nach Tarquinia zu kommen. Sonst war da nichts. Sie konnten in ein paar hundert Fuß Entfernung von einer Ansammlung von Hütten sein gerade und würden nichts davon bemerken. Und er-
    Als seine Gedanken diesen Punkt erreichten, lenkte ihn etwas ab. Nichts aus dem Wald, nichts aus der Ferne – die Flavia. Shayan runzelte die Stirn und sah auf sie hinunter, wie sie an ihn gekuschelt da lag, ihr Körper halb auf seinem, um so wenig Kontakt mit dem kalten Boden zu haben wie möglich. Ihre ruhelosen Bewegungen hatte er bisher auf ihren unruhigen Schlaf geschoben, wie auch die ganze Nacht schon. Aber jetzt schien die Anspannung in ihrem Körper eine andere Dynamik bekommen zu haben. Sie stöhnte leise auf, und ihre Glieder verkrampften sich kurz. Entspannten sich wieder. Verkrampften sich erneut. „Herrin?“ murmelte er zunächst leise, bevor er sich ein wenig mehr aufsetzte. Ihre Augenlider flatterten, aber bevor sie wirklich wach zu werden schien, schauderte ihr Körper erneut, und ein weiteres leises Stöhnen kam über ihre Lippen. Shayan zog die Augenbrauen zusammen, berührte ihre Stirn, aber Fieber schien sie keines zu haben. Er fühlte sich zunehmend hilfloser. Auf rudimentäre Wundversorgung verstand er sich wohl, wie so viele Soldaten, aber mit Krankheiten kannte er sich nicht im Mindesten aus. Noch während er allerdings am Überlegen war, was er tun sollte, wachte sie dann doch auf – und verzog das Gesicht, als ihr Körper sich einmal mehr verkrampfte. „Iuno, nein...“ stöhnte sie in einem merkwürdig angewidert klingenden Tonfall, während sie unter dem Mantel – seinem, der nach wie vor sie beide bedeckte, und ihrem eigenen – ihre Hand auf ihren Bauch zu legen schien... Aber erst, als Shayan den schweren Stoff schließlich beiseite schlug und den roten Fleck sah, der sich nach und nach auf der Kleidung der Flavia bildete, dort, wo ihre Beine in den Torso übergingen und darunter, begriff er.
    Und hätte am liebsten ebenfalls aufgestöhnt. Abgesehen davon, dass sie nichts, aber auch gar nichts gebrauchen konnten, was sie jetzt aufhielt – das da war nicht einfach nur irgendeine Krankheit, womit er sich ja auch schon nicht auskannte, aber womit er noch irgendwie... hätte umgehen können. Das da war schlimmer. Es war Frauensache. Und weit und breit keine andere Frau in Sicht, die ihm das hier nun hätte abnehmen können.

  • „Ich hab keine AHNUNG! Ich mach das auch zum ersten Mal, Trottel!“ fauchte Nigrina. Wütend. Denn wie so häufig war es Wut, die ihr noch am ehesten die Kraft gab einfach auszuhalten. Aber was musste der Parther auch so eine idiotische Frage stellen? Wie lange wird das dauern? Haha! War ja nicht so als ob sie das nicht selbst gern gewusst hätte! Immerhin waren die Schmerzen, die mit den Krämpfen einhergingen, weit heftiger als sie es gewohnt war einmal im Monat. Warum mussten die Götter auch ausgerechnet jetzt entscheiden, dass das Balg besser doch nicht lebte? Warum hatten sie das überhaupt so entscheiden müssen? Als ob sie nicht gestraft genug wäre, mit der Aussicht auf ein Leben in Tarquinia ohne zu wissen, wann sich das ändern würde, mit ihrer Flucht aus Rom, und mit dem Überfall, der sie zu Fuß in den Wald gejagt hatte. Da hätten ihr die Götter doch wenigstens Sextus' zweites Kind lassen können, damit es gesund und putzmunter in ein paar Monaten auf die Welt kam. Idealerweise in einer reibungslosen, möglichst schmerzfreien Geburt. Ja, das wäre doch eine perfekte Belohnung gewesen für all die Mühe, die sie hatte auf sich nehmen müssen. Aber nein, stattdessen lag sie hier herum und kämpfte sich durch eine Fehlgeburt, mit nur einem Mann an ihrer Seite – und dann auch noch einem Sklaven. Leibwächter. Gladiator. Der in dieser Hinsicht nicht die allergeringste Ahnung hatte, noch weniger als es andere Männer vielleicht hätten. Medici oder so. Da wusste sie ja noch mehr als der. Und sie wusste wirklich nicht viel – warum auch hätte sie sich mit dem Thema beschäftigen sollen? Dafür gab es Hebammen. Dafür waren die da, um ihr zu helfen. Um zu sagen, was sie noch erwartete und was zu tun war. Ob es ihr – den Umständen entsprechend – gut ging, ob alles normal lief. Welche Schmerzmittel ihr helfen könnten, und, oh ja, genau die dann auch da haben und ihr geben. Oder eben auch: einschätzen, wie lange das dauern würde.
    Nur war gerade jetzt und hier leider, leider keine Hebamme greifbar. Was sie mit einem völlig deplatzierten Leibwächter zurückließ und der Erkenntnis, dass sie da wohl allein durch musste.


    Wäre sie selbst nicht so aufgewühlt und hätte sie nicht solche Schmerzen, wäre Nigrina vielleicht sogar aufgefallen, dass der Parther zum ersten Mal, seit sie ihn hatte, nicht nur ratlos, sondern irgendwie hilflos wirkte. Es interessierte sie allerdings einen Dreck im Moment. Sie wollte das nur hinter sich haben... hatte aber jetzt schon die Befürchtung, dass es nicht so schnell gehen würde. Die Krämpfe kamen und gingen, machten aber keine Anstalten, insgesamt besser zu werden, und genauso wenig hörte sie auf zu bluten, obwohl auch das mal mehr und mal weniger wurde. Sie knurrte, immer noch wütend. Warum musste ihr Körper sie ausgerechnet jetzt so im Stich lassen? Noch dazu wo sie die gefährlichen ersten Monate eigentlich schon hinter sich geglaubt hatte.
    Mühsam und ein wenig wankend wollte sie sich schließlich aufrappeln, nur um von ihrem Leibwächter sofort abgefangen zu werden. „Was wird das?“
    „Na was wohl?“ fauchte sie gereizt zurück, schlug seine Hände zuerst weg und hielt sich dann kurzerhand an ihm fest, um sich auf die Beine zu ziehen. „Ich dachte wir müssen weiter!“
    „Herrin, in deinem Zustand-“
    „Andere Frauen arbeiten in meinem Zustand“, behauptete Nigrina, obwohl sie davon keine Ahnung hatte. Hielt sie aber schon für möglich, dass irgendwelche Plebejerinnen das taten. Waren ja immerhin Plebejerinnen. Und das übrige Fußvolk erst recht. Und überhaupt: der Parther wusste davon doch noch weniger als sie. Ein humorloses Grinsen flog über ihr Gesicht, das mehr einem Zähnefletschen glich als einem Lächeln. „Außerdem hab ich ja nicht vor zu laufen. Heb mich hoch. So kommen wir vielleicht langsam voran, aber wir kommen voran.“

  • Shayan wusste, wie wenig es Sinn hatte mit seiner Herrin diskutieren zu wollen. Sie ließ sich ja schon von Gleichgestellten herzlich wenig sagen in aller Regel, akzeptierte wenn dann nur zähneknirschend, dass sie nachgeben musste. Und er war Sklave. Er schätzte sich ohnehin schon glücklich, dass sie bisher auf ihn gehört hatte, aber so wie sie jetzt klang, ging er davon aus, dass sie das diesmal nicht tun würde – oh, sicher, er konnte sich weigern, aber sie würde dann keine Ruhe geben. Und davon abgesehen: sie hatte Recht. Sie konnten nicht hier bleiben, sie mussten weiter, mussten versuchen noch mehr Abstand zu den Wegelagerern zu bekommen... und idealerweise irgendjemanden finden, der sie unterstützen würde. Selbst wenn der Zustand der Flavia schlechter gewesen wäre, würden sie kaum bleiben können, weil er ihr einfach nicht helfen konnte. Hier schon gar nicht.


    Also hob er sie hoch, als sie es forderte, auf seine Arme diesmal, und setzte sich wieder in Bewegung. Sie kamen langsamer voran als am gestrigen Tag, deutlich langsamer, und ihm war überhaupt nicht wohl dabei, seine Herrin durch die Gegend zu tragen, während sie eine Fehlgeburt durchmachte... aber es half nichts. Und mit der Zeit schienen die Krämpfe, die ihren Körper schüttelten, geringer zu werden.
    Wenigstens etwas. Was sich beim besten Willen nicht mehr unterdrücken ließ, war der Hunger. Durst immerhin war zum Glück kein Problem, die Wälder waren im Winter feucht genug, um etwas Trinkbares zu finden, aber Essbares? Jagen konnte er nicht, weil er weder einen Bogen noch sonst etwas dafür hatte, mit den Pflanzen hier kannte er sich nicht wirklich aus, und davon abgesehen befanden sie sich auf der Flucht. Shayan war sich nach wie vor nicht sicher, ob sie nicht verfolgt wurden, und falls ja: ob sie sie abgeschüttelt hatten. Sie konnten sich weder die zeitliche Verzögerung leisten, die mit der Suche oder Jagd nach Essbarem einher gehen würde, noch die Aufmerksamkeit, die ein Feuer erregen würde. Und er konnte die Flavia nicht alleine lassen. Also blieb nur eines: weiter gehen. Immer weiter. In der Hoffnung, bald etwas zu finden.



    ~~~ An einem anderen Ort ~~~


    Wie er vermutet hatte, war es nicht sonderlich schwierig gewesen, aus der Frau das herauszubekommen, was Sulca hatte wissen wollen. Tatsächlich war es sogar ein bisschen zu einfach gewesen für seinen Geschmack. Aber nun, er konnte sich nicht wirklich beklagen. Eine Flavia! Eine Patrizierin! Für die würde er einiges an Lösegeld kassieren können. Und genau das hatte er auch vor... dafür musste er sie allerdings erst erwischen. Also hatte er die Verfolgung aufnehmen lassen, mit ein paar seiner Leute, angefangen von dem Punkt, wo Cerco sie im Wald hatte verschwinden sehen. Die zwei waren gelaufen, schnell gelaufen, ohne auf etwas zu achten, ohne sich auch nur zu bemühen ihre Spuren zu verwischen, was es zunächst leicht machte, ihnen zu folgen – auch wenn sie einen Vorsprung von mehreren Stunden hatten. Entsprechend machte Sulca sich auch wenig Sorgen, als die Dämmerung einsetzte und sie schließlich anhalten mussten. Lieber wartete er die Nacht in Ruhe ab, als das Risiko einzugehen, die Spur zu verlieren – auch wenn er den zwei damit Gelegenheit gab, ihren Vorsprung ein wenig auszubauen, vorausgesetzt sie nutzten die Nachtstunden. Aber die Spur war deutlich, er und seine Leute kannten die Gegend hier, und die, die sie verfolgten, hatten nichts außer dem, was sie am Leib trugen – er konnte es sich leisten, gründlich zu sein.


    Und so machten sie sich erst am nächsten Tag wieder daran, ihre Beute zu verfolgen. Die Zeit verging, bis schließlich die Männer, die Sulca als Vorhut eingesetzt hatte, stockten.
    „Was ist los?“ brummte er.
    Einer der Männer zuckte die Achseln. „Sieht so aus, als ob einer den anderen getragen hätt von hier an.“
    „Oh. Geht unserm Vögelchen die Puste aus?“ Ein Grinsen zeigte sich auf Sulcas Gesicht, das von den anderen erwidert wurde, bevor sie sich wieder in Bewegung setzten.

  • Nigrina biss die Zähne aufeinander. Die Krämpfe hatten nachgelassen... Aber da war immer noch ein vager Schmerz, sie fühlte sich erschöpft, obwohl der Parther sie nun die ganze Zeit getragen hatte, und sie spürte, dass sie immer noch blutete, wenn auch nur leicht. Und dann kam da mittlerweile noch der Hunger dazu, der schon seit geraumer Weile in ihrem Magen nagte und sich jetzt in den Vordergrund spielte, kaum dass die Krämpfe besser geworden waren.
    Und ganz so spurlos war ihr Trip durch den Wald auch an ihrem Leibwächter nicht vorbei gegangen. Er ging langsamer, seine Bewegungen waren nicht mehr so kraftvoll, er machte häufiger Pause... aber Nigrina kommentierte all das nicht. Genauso wenig wie sie über die Schmerzen gejammert hatte oder jetzt über den Hunger. So verwöhnt sie war, so sehr sie ihre Sklaven rumscheuchte und keine Verzögerungen, nicht einmal die mindeste Abweichung ihrer Wünsche duldete... sie hielt nicht viel davon zu jammern über Dinge, die sich ohnehin nicht ändern ließen. In ihrem Zuhause, früher in Ravenna und seit Jahren mittlerweile in Rom, dort war alles möglich, dort stand ihr alles zur Verfügung. So extravagant ihre Wünsche manchmal auch sein mochten, letztlich ließen sie sich immer irgendwie erfüllen. Hier allerdings... was brachte es schon großartig, hier irgendetwas zu fordern, zu verlangen? Nichts. Gar nichts. Also ließ sie es. Es wären keine Forderungen gewesen, sondern Rumgejammer, und von jammern hielt sie nicht viel. Und mehr noch als alles andere hasste sie es, schwach zu sein – und fast noch mehr, Schwäche eingestehen zu müssen. Egal vor wem. Also: schwieg sie. Sagte einfach gar nichts, sondern ertrug stumm die Schmerzen, die Kälte, den Hunger.


    Und dann, von einem Moment auf den anderen, spielten Schmerzen, Kälte und Hunger keine Rolle mehr. Nigrina konnte nicht einmal genau sagen, was es war, dass diese Gefühle hinweg fegte und nur noch Platz für eines ließ: Alarm. Es war einfach da, ohne Vorwarnung. Der Parther hielt inne, spannte sich urplötzlich an, Nigrina meinte zu spüren wie sein Körper vibrierte, und in nur einem Lidschlag übertrug sich die Spannung auf sie.
    „Wir sind schneller, wenn du gehst, Herrin.“ Nigrina schauderte es, als sie seine Stimme hörte, leise, aber mit einem Unterton, der ihr nicht gefiel. Und sie wollte gar nicht wissen, warum um alles in der Welt sie auf einmal wieder schneller sein mussten. „Dann lass mich runter“, murmelte sie nur, und der Parther gehorchte. Und ging sofort weiter, schneller als zuvor. Nigrina setzte sich ebenfalls in Bewegung und folgte ihm, aber sie merkte schon bald, wie schwach sie wirklich auf den Beinen war. Obwohl er nicht so schnell ging wie gestern, hatte sie doch Mühe, ihm zu folgen. Sie stolperte immer häufiger, und die Schmerzen in ihrem Unterleib nahmen wieder zu... aber als sie die ersten wirklichen Geräusche hinter sich hörten, das Schnauben von Pferden, die Rufe und das Lachen von Männern, das Knallen von Gegenständen, die an Bäume geschlagen wurden, geriet das in den Hintergrund. Adrenalin schwemmte ihren Körper, reduzierte ihren Verstand und ihre Gefühle auf das Wesentliche, auf das Ursprüngliche, auf den rohen Überlebensinstinkt, und plötzlich war da nichts außer dem Impuls zu fliehen, wegzukommen, einfach nur weg, so wie es Tieren in einer ähnlichen Situation ergehen mochte. Es waren Geräusche einer Treibjagd, die da erklangen. Und es war nicht schwer sich auszudenken, wer die Beute war.

  • Sie liefen, liefen davon, und Shayan betete zu Ahura Mazda, ihnen den Weg zu einem Unterschlupf zu weisen – aber es gab nichts. Und selbst wenn sie etwas gefunden hätten, wo sie sich hätten verstecken können: es hätte auch nichts geholfen. Ihre Verfolger würden alles kurz und klein schlagen, was auch nur annähernd nach Versteck aussah. Und es gab keine Möglichkeit, wie sie sie abhängen konnten. Oder los werden.
    Er konnte hören, wie sie näher kamen – und sie mussten gemerkt haben, dass sie in der Nähe ihrer Beute waren, denn die Geräusche breiteten sich aus, kamen nun aus mehreren Richtungen hinter ihnen, was ihn vermuten ließ, dass sie sich in einem Halbkreis auseinander fächerten. Nicht dass es nötig gewesen wäre, sie auf die Art in die Enge zu treiben. Die Flavia war zu erschöpft, um wirklich schnell zu sein, und selbst ihr momentanes, höchstens mittelmäßiges Tempo würde sie nicht lang durchhalten.


    Es kam also, wie es kommen musste. Obwohl Shayan wusste, dass es im Grunde keinen Sinn mehr hatte, weiter zu fliehen, tat er es trotzdem, einfach weil es... immer noch besser war als stehen zu bleiben und zu warten, bis sie sie eingeholt hatten, und weil da wider besseren Wissens immer noch dieser kleine Funke Hoffnung war, vielleicht doch noch irgendeine Möglichkeit zu finden, zu entkommen... Aber natürlich war diese Hoffnung vergebens. Sie hatten keine Chance, nicht nachdem sie ihnen nun so nahe waren. Shayan war sich nicht einmal so sicher, ob sie überhaupt eine Chance gehabt hatten, denn selbst wenn sie ihnen nicht gefolgt wären, blieb da noch die Tatsache, dass sie noch tagelang durch den Wald hätten irren können, ohne jemanden zu finden, der ihnen hätte helfen können.


    Als die Männer sie dann schließlich stellten, war es nur allzu schnell vorbei. Shayan hatte zwar seine Schwerter gezogen, bereit, sich zu wehren, aber als er sah, wie viele da auftauchten und den Kreis um sie schlossen, bis sie sie umzingelt hatten, war ihm klar, dass – wie hieß es so schön? – jeder Widerstand zwecklos war. Es waren einfach zu viele. Wäre es nur um ihn selbst gegangen, hätte er bis zum Tod gekämpft... aber er war nicht allein. Und obwohl die Flavia keine angenehme Herrin war, noch nicht einmal wirklich ein angenehmer Mensch, nahm er seine Aufgabe ernst. Trotz allem, was ihm passiert war, war ihm sein Glaube nicht abhanden gekommen... Ahura Mazda wollte, dass er hier war, wollte, dass der Leibwächter dieser Frau war. Also würde er sein Bestes tun, um dieser Aufgabe gerecht zu werden – und das hieß, dass er sie nicht mit diesen Männern allein lassen konnte, indem er sich wehrte bis sie ihn töteten.

  • Nigrina versuchte, ein Schaudern zu unterdrücken. Es war dunkel geworden, und seit die Kerle sie erwischt und zu ihrem Lagerplatz gebracht hatten, hatte sich keiner mehr um sie gekümmert. Sie und ihr Leibwächter waren zu den zwei Sklaven gebracht worden, die offenbar die einzigen Gefangenen waren, die die Banditen gemacht hatten. Von den Männern, die ihr Mann angeheuert hatte um für ihren Schutz zu sorgen, war nichts zu sehen – tot oder geflohen, und Nigrina wusste nicht, was sie mehr hoffen sollte: tot, weil diese Idioten es fertig gebracht hatten, den einfachen Auftrag – ihre Sicherheit zu gewährleisten – komplett zu versauen; oder doch lieber geflohen, weil das die Chance erhöhte, dass sich bald irgendjemand auf die Suche nach ihr machte. Dass überhaupt jemand bemerkte, dass sie nicht da war, wo sie sein sollte. Im Grunde waren ihr die Männer des Velanius aber egal. Das einzige, was ihr wirklich Sorgen machte, war der Verbleib ihres Sohns... hier war er nicht, die beiden Sklaven wussten von nichts, und die Banditen würde sie ganz sicher nicht mit der Nase darauf stoßen, dass da womöglich noch einer mehr war, den es lohnte einzufangen. Weshalb sie die nicht fragen konnte, was aus dem Fratz geworden war.


    Was die Kerle hier allerdings von ihr wollten, was sie mit ihr vorhatten: davon hatte sie bislang nicht die geringste Ahnung. Sie wusste nur, dass die Kerle wussten wer sie war... es hatte nicht viel gebraucht, nur ein paar Fragen im Grunde an die beiden Sklaven, die seit dem Überfall in der Hand der Männer waren, und das Mädchen war weinend zusammengebrochen und hatte unter zahllosen Versicherungen, dass es ihr leid tue, gestanden, dass sie erzählt habe wer da auf der Reise gewesen sei. Wäre Nigrina nicht gefesselt gewesen, hätte sie sich auf die Sklavin gestürzt und ihr eigenhändig noch ein paar mehr Schmerzen zugefügt als sie ohnehin schon erlitten hatte. So allerdings hatte sie sich mit einem bösen Blick begnügen müssen – und im Übrigen damit, irgendwie die Zeit totzuschlagen und gleichzeitig ihre Fassung zu bewahren. Sie bewegte sich konstant an der Grenze zur Panik entlang, und es half dabei nicht im Mindesten, dass sie immer noch Unterleibsschmerzen und immer noch leichte Schmierblutungen hatte. Aber sie konnte jetzt nicht durchdrehen. Sie wollte jetzt nicht durchdrehen. Sie war eine Patrizierin. Sie war eine Flavia. Sie würde diesen Drecksäcken nicht die Genugtuung sie ausflippen zu sehen. Sie würde ihre Würde bewahren, und ihren Stolz. Auch wenn das einfacher gedacht als getan war.

  • „He, du.“ Irgendetwas stieß Nigrina in die Seite, nicht fest genug, um wirklich schmerzhaft, aber genug um ziemlich unangenehm zu sein. Sie verzog das Gesicht und schlug unwillig die Augen auf, blinzelte in den Fackelschein und versuchte einzuschätzen, wie viel Zeit wohl vergangen war, seit sie eingedöst war – aber da von den Männern noch kaum einer zu schlafen schien, konnte es nicht sonderlich lang gewesen sein.
    Viel mehr Zeit allerdings um ins Wachsein zu finden hatte sie nicht, denn im nächsten Augenblick wurde sie schon gepackt und grob auf die Beine gerissen. Und nach einem ersten, rein instinktiven Wehren, das – obwohl ziemlich ineffektiv, weil sie gefesselt war - ihr trotzdem eine Ohrfeige einbrachte, ließ Nigrina sich widerstandslos mitzerren.
    Sie wurde zum Feuer gebracht, und wie von selbst ging sie davon aus, dass der Kerl, der dort saß und ihr entgegen sah, der Anführer sein musste. Trotzdem konzentrierte sie sich zunächst nicht auf ihn, sondern ließ ihren Blick schweifen, über das provisorische Lager, versuchte so viele Details wie möglich aufzunehmen.
    „Hier unten bin ich, Vögelchen...“ Das ertönte in einem unmelodiösen Singsang. Kombiniert mit der Hand in ihrem Rücken, die sie zuerst mit einem heftigen Stoß einen Schritt nach vorne taumeln ließ und sie dann nach unten zwingen wollte, war das genug, um ihre Aufmerksamkeit von dem Lager ab- und auf den Mann vor ihr zu lenken.
    „Schon gut“, maulte sie, versuchte die Hand abzuschütteln und konnte ihr doch nur entgehen, als sie sich zu Boden sinken ließ, um sich zu setzen. Mit einem finsteren Gesichtsausdruck, von dem sie hoffte dass er verbarg, wie sehr die Panik schon wieder an ihr nagte, musterte sie den Mann. „Was willst du?“
    Er tat ihr nicht den Gefallen, zu antworten, nicht sofort jedenfalls, sondern betrachtete sie zunächst einen Moment lang schweigend. Sein Mund befand sich in einer unablässigen Kaubewegung, die Nigrina schon bald anwiderte. Und bevor er schließlich sprach, tat er etwas, was sie noch viel mehr anwiderte – und wofür sie fast dankbar war, weil der Ekel davor etwas war, woran sie sich klammern konnte, was sie ablenkte von der Panik: er spuckte aus. So knapp an ihr vorbei, das ein paar Spritzer ihr Gesicht trafen. „So. Flavia.“ Er biss von etwas ab, was er in der Hand hielt, und begann wieder zu kauen. „Sag mir, was ich mit dir machen soll.“
    Nigrina runzelte flüchtig die Stirn, fragte sich, was das jetzt sollte... und wie sie am besten darauf reagieren sollte. Nachdem sie allerdings keine Ahnung hatte, nahm ihr übliches Wesen die Zügel in die Hand, ihre Arroganz, gepaart mit Trotz. „Mich freilassen“, zischte sie.
    In Ordnung. War wohl kaum die beste Reaktion. Aber trotz ihrer Angst brachte sie es nicht über sich, unterwürfig zu sein. Das lief ihr so sehr zuwider, dass es ihr zumindest im Moment noch nicht vorstellbar war.
    Der Kerl lachte allerdings. Was in Nigrina einerseits die Reaktion auslöste, die sie darauf so naturgemäß zeigte wie die Nacht dem Tag folgte – es regte sie auf. Andererseits jedoch war ein Teil von ihr erleichtert, dass er nur lachte. „Wohl kaum“, grinste er anzüglich. „Da fallen mir doch ein paar andere Dinge ein, die ich mit dir anstellen könnt.“
    Er musterte sie, schien auf eine Reaktion, eine Antwort zu warten, aber Nigrina wusste nicht so recht, was sie darauf sagen sollte. Etwa fragen, was genau ihm da einfiel? Aber ganz sicher nicht. Sie setzte sich ein wenig aufrechter hin und bemühte sich darum, stolz zu wirken. Von oben herab. Das konnte sie gut, auch wenn sie kleiner war als die meisten ihrer Mitmenschen. „Wenn dir so viel einfällt, warum fragst du mich dann?“ kam endlich über ihre Lippen, und obwohl sie recht zufrieden war mit dem arroganten Tonfall, den sie zustande brachte, hörte sie doch auch die Angst, die in ihrer Stimme mitschwang. Und sie befürchtete, er konnte sie auch hören. Jedenfalls wenn sie nach seinem Grinsen urteilte.
    „Nun, so gern ich eines davon in die Tat umsetzen würde: ich möcht vorher doch gern versuchen, dein geschätzten Arsch zu Geld zu machen. Also... wer lässt deiner Meinung nach am meisten für dich springen?“
    Nigrina presste die Kiefer aufeinander. Sie war sich sicher, dass er das absichtlich so klingen ließ als sei sie eine Lupa – aber was viel wichtiger war: es schien da eine Chance zu bestehen, dass sie hier rauskam. Lebend. Das Problem war nur, dass es nicht mehr allzu viel Leute geben würde, die für sie etwas zahlen würden. Nicht wenn Sextus inzwischen auch geflohen war, und Gracchus, und wenn bekannt geworden war warum. Es gab eigentlich nur einen, den sie nennen konnte: ihren Vater. Sie hatte ihm zwar mit ihrer Abreise aus Rom eine Nachricht geschickt, eine unverfängliche, die ihn dazu veranlassen sollte fortzugehen... aber vielleicht hatte er die ja ignoriert, weil sie zu unverfänglich gewesen war. Und selbst wenn nicht: solange in Ravenna noch niemand aufgetaucht war, um seine Landgüter zu durchsuchen oder gar etwas zu beschlagnahmen, würden auch seine Verwalter Lösegeld für sie zahlen. „Mein Vater“, antwortete sie also schließlich. „Cnaeus Flavius Aetius.“
    „Und wo ist der?“
    „In Ravenna.“ Noch in dem Augenblick, in dem sie das sagte, konnte sie an seinem Gesichtsausdruck sehen, dass das die falsche Antwort war.
    „Ravenna? Willst du mich verarschen, Schätzchen?“ Seine Brauen zogen sich zusammen. „Ich weiß von deiner Sklavin, dass du aus Rom kommst. Familie dort hast. Verheiratet bist. Also versuch nicht mir jemanden unterzujubeln, zu dem wir ne halbe Ewigkeit unterwegs wären. Du hast sowieso keine Chance zu fliehen, falls du darauf spekulierst.“
    „Ich mein's ernst. Mein Vater lebt in Ravenna, und er wird mit Sicherheit zahlen. Mehr als meine Verwandten in Rom.“ Sie bemühte sich, den flehenden Unterton zu unterdrücken, bemühte sich, nicht zu bettelnd zu klingen. Rom war keine Alternative, nicht für sie, nicht im Moment. Sie wusste nur nicht, wie sie ihm das klar machen sollte, ohne zu sagen warum – und das würde sie ganz sicher nicht erzählen.
    Ihre Worte brachten allerdings nur, dass seine Miene sich nun wirklich verfinsterte. „In Ordnung... ich dachte ja du würdest die Möglichkeit nutzen, dir mein Wohlwollen zu sichern. Aber wenn du darauf nicht angewiesen bist...“ Er machte eine Kopfbewegung, und im nächsten Augenblick wurde sie wieder von dem Kerl gepackt und hochgezogen, der sie hergebracht hatte. „Bring sie zurück.“

  • Rom also. Als Nigrina klar geworden war, dass die Kerle sie tatsächlich nach Rom zurück brachten, hatte sie angefangen zu toben. Angefangen, wohlgemerkt. Ihr Leibwächter brachte sie ziemlich schnell wieder zur Räson. So schnell sogar, dass die Kerle kaum Zeit hatten darauf aufmerksam zu werden, dass Nigrina eigentlich Radau hatte machen wollen. Obwohl sie schon wieder die Klappe hielt, schnauzte sie trotzdem irgendjemand an und verpasste ihr eine Kopfnuss, aber das war es dann dankenswerterweise schon. Am liebsten hätte sie weiter gemacht, eigentlich, alles... alles, nur um nicht nach Rom zurück gebracht zu werden. Um den Kerlen begreiflich zu machen, dass es wirklich, wirklich besser wäre, wenn sie sie nach Ravenna brachten, zum Landgut ihres Vaters, und nicht nach Rom.
    Aber was sie im Grunde ohnehin schon gewusst hatte, hatte sie nahezu sofort auch bewusst begriffen. Es brachte nichts, wenn sie sich jetzt aufführte – im Gegenteil, es würde alles nur noch schlimmer machen. Sie würde die Kerle nicht davon überzeugen können, sie nach Ravenna zu bringen. Sie würde ihnen nur klar machen, dass sie einen Grund hatte, nicht nach Rom zu wollen. Einen gewichtigen. Und das war etwas, was sie besser nicht erfuhren... und erst recht, was für ein Grund das war. Nein, sie konnte nur hoffen, dass sie in Rom feststellten, dass von ihrer näheren Familie keiner erreichbar war, und sie sich dann doch für Ravenna entschieden.


    Eine vergebliche Hoffnung, wie sich herausstellte, als sie Rom nach ein paar weiteren Tagen – Tagen, die ihrem ohnehin nicht gerade blendenden Gesundheitszustand noch mehr zusetzten – endlich erreicht hatten. Sie machten irgendwo außerhalb Halt, und jemand wurde vorgeschickt, um vorzufühlen... und als er wiederkehrte, kam Nigrina in den unsagbaren Genuss eines weiteren Gesprächs mit dem Anführer, der diesmal zu ihr kam und vor ihr stehen blieb. Und schon wieder am Kauen war, und natürlich passgenau ausspuckte.
    „Keiner da bei dir zuhause. Weder bei den Flaviern noch bei den Aureliern.“
    Obwohl Nigrina genau das befürchtet hatte, wurde sie trotzdem ein wenig blass, als sie das hörte. Andererseits war genau das die Chance, auf die sie gehofft hatte. Auf die sie noch hoffte. „Ich habe dir gesagt, dass Ravenna-“
    „besser wär?“ unterbrach er sie mit einem Grinsen, das sie Übles ahnen ließ. „Woher willst du überhaupt wissen, ob dein Vater noch in Ravenna ist? Wo deine Familie doch Hochverrat begangen hat. Und die von deinem Mann auch, wie’s aussieht.“
    Jetzt wurde sie wirklich bleich. „Das... das ist eine Lüge. Das stimmt nicht! Und mein Vater ist mit Sicherheit noch in Rave-“
    Sie wurde wieder unterbrochen, und ein Teil von ihr war sogar dankbar dafür – weil es passierte, bevor sie ins Betteln geriet. „Unwahrscheinlich. Dafür werd ich nicht durch das halbe Land reisen.“ Wieder dieses Grinsen, noch ein wenig intensiver. Diesmal verursachte es ihr Bauchschmerzen. „Mal sehen, welche Belohnung für dich geblecht wird.“

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