Dies ist das Officium von Decima Seiana.
Beschreibung folgt.
Dies ist das Officium von Decima Seiana.
Beschreibung folgt.
Er folgte dem Sklaven in das Officium der Domina des Hauses. " Decima Seiana? " vergewisserte er sich, bevor er ihr den Brief übergab.
Salve Seiana,
unruhige Zeiten sind angebrochen. Ich hoffe dir geht es gut und für deine Sicherheit ist gesorgt. Die Acta wird dich, nehme ich a, mehr als sonst in Anspruch nehmen. Arbeit lenkt ab, verdrängt Zweifel und Ängste. Ängste um die Familie. Hast du von Faustus gehört? Ein Lebenszeichen von ihm? Ich vermisse ihn. Die Zeit in Ägypten mit ihm, für mich unvergessen. Wir standen uns sehr nahe. Um so schlimmer die Ungewissheit. Die Ungewissheit um sein Leben und wie es um Rom steht.
Der Mord am Kaiser und seiner Familie wirft viele Fragen auf. Was ist in Rom darüber im Umlauf. Weiß man schon wer den Mord in Auftrag gegeben hat? Hat man die Mörder dingfest gemacht?
Gibt es schon einen Kandidaten für den Thron? Oder hat der Princeps ein Testament hinterlassen, welches seine Nachfolge regelt? Wenn ja, wurde es schon verlesen? Was ist mit dem Senat. Das einzige was bis zu uns vorgedrungen ist, dass man Senatoren zu Staatsfeinden Roms erklärt hat. Es gab Unruhen und Verhaftungen wurden vorgenommen. Es sieht so aus als ob unliebsame Zeitgenossen aus dem Weg geräumt werden sollen. Regt sich vielleicht irgendwo Widerstand gegen dieses Vorgehen? Einer der sich dagegen stellt?
Wird es soweit kommen, dass Römer gegen Römer stehen? Ich will mir das nicht vorstellen müssen.
Wir warten auf Befehle, die Schiffe sind bereit zum Auslaufen. Ich hoffe es kommt nicht zum schlimmsten. Du sitzt an der Quelle, ich brauche Informationen, wie es um die Geschicke des Imperiums steht.
Es wird dir nicht gefallen, was ich dir nun eröffne. Ich gestehe, ich habe die Stunden mit Venusia und den Kindern genossen. Die Zeit in Rom ging zu schnell um. Ich musste zurück nach Misenum. Das nur nebenbei.
Venusia wird im Frühjahr mit den Kindern nach Germanien reisen. Ich übernehme die volle Verantwortung. Sie hat mir dafür das Versprechen gegeben , die Kinder wieder nach Rom zu bringen. Am besten wäre es, sie reist jetzt nach Germanien. Dort sind die Kinder sicher aufgehoben, so lange es in Rom brodelt. Dementsprechend habe ich ihr einen Brief geschickt.
Es ist die beste Lösung für uns alle. Du bist die Frau des Praefecten Praetorio, pass auf dich auf.
Der Legionär, der dir den Brief gebracht hat, wird auf eine Antwort warten. Du musst dich nicht um ihn kümmern. Er wird in der Unterkunft der Cohorte der velarii des colosseum unterkommen.
Die Götter mögen dich und deinen Mann beschützen
Vale Decimus Massa
„Ja...“ antwortete Seiana gedehnt, als der angekündigte Soldat hereingebracht wurde – und sich nicht mit irgendwelchen Höflichkeiten aufhielt. Entsprechend verhielt auch sie sich, bestätigte nur, wer sie war, und nahm die Schriftrolle entgegen, die er ihr im Anschluss hinhielt. Sie lehnte sich in ihrem Stuhl zurück und überflog die Zeilen – wobei sie darauf achtete, dies mit ausdrucksloser Miene zu tun. Langjährige Übung befähigten sie dazu mittlerweile problemlos, und seit sie endlich die Einschränkungen des Landguts hatte hinter sich lassen können – Einschränkungen für sie jedenfalls –, war sie auch wieder deutlich... gelassener geworden.
Sie überflog die Zeilen noch ein zweites Mal, ein wenig sorgfältiger diesmal, aber immer noch so rasch, dass der Soldat nicht lange würde warten müssen, bis sie wieder aufsah. „Wann musst du wieder aufbrechen?“
Überlegen musst der Legionär nicht lange. " So schnell es unter den gegebenen Umständen geht." antwortete er. " Mein Quartier nehme ich in der Unterkunft der velarii, sollte es länger dauern." Sein Hals war trocken. Seine Feldflasche trug er bei sich, aber traute sich nicht zu trinken. Schließlich sprach er mit der Frau des Praefecten.
Sehr gut, wie Massa also geschrieben hatte, hatte der Mann Zeit, auf eine Antwort zu warten. „Nun, so lange werde ich nicht brauchen. Sofern du in Rom sonst nichts zu erledigen hast, kannst du gerne hier in der Casa Terentia warten, während ich eine Antwort aufsetze.“ Seiana nickte dem Soldaten kurz zu und rief einen Sklaven herein – der würde den Mann hinaus bringen, so er dies wünschte, oder ins Tablinum und dort mit Getränken und Essen versorgen, je nachdem, wofür er sich entschied.
Seiana unterdessen blieb an ihrem Tisch sitzen und las den Brief noch einmal durch, sorgfältiger, und diesmal erlaubte sie ihren Emotionen, sich auch auf ihrem Gesicht zu zeigen. Eine steile Falte erschien zwischen ihren Brauen, als sie die Stirn runzelte. Den Wunsch nach Neuigkeiten konnte sie nur zu gut verstehen, und Massa blieb vorsichtig genug dabei. Und es war gut, dass er ihr schrieb, dass er ihr vertraute – bis zu einem gewissen Grad hatte sie dadurch auch Einfluss auf oder wenigstens Kontakt mit dem Praefecten der Classis, was nicht zu unterschätzen war. Was sie allerdings eindeutig verärgerte, war die Sache mit Venusia und ihren Kindern. Was um alles in der Welt bildete Massa sich da eigentlich ein? Er war faktisch nicht einmal verwandt mit ihnen, so weit lag der Ursprung des griechischen Zweigs der Decima im hispanischen Originalstammbaum zurück. Er hatte nicht das geringste Recht, Venusia irgendetwas zu erlauben, was die Kinder anging – so wenig Recht wie Venusia selbst hatte zu entscheiden, was mit den Kindern geschah. Das hatte nur ein direkter Verwandter, ein Mitglied des hispanischen Zweigs. Und trotzdem hatte Massa sich dieses Recht einfach herausgenommen – und stellte sie nun dermaßen dreist vor vollendete Tatsachen! Seianas Kiefer pressten sich so fest aufeinander, dass es weh tat, während sie überlegte, was sie ihm schreiben sollte. Sie wusste, dass Faustus und Massa sich nahe standen. Sie selbst mochte Massa... und sie stand in seiner Schuld, für immer, dafür dass er ihrem Bruder das Leben gerettet hatte. Und nicht zuletzt hatte sie durch Massa eine Verbindung zur Classis Misenensis. Trotzdem konnte sie ihm das nicht durchgehen lassen, trotzdem würde sie ihm schreiben müssen, dass er keinerlei Recht hatte, sich in Angelegenheiten der hispanischen Familie einzumischen... sein Rat war willkommen, aber ihm musste klar sein, dass er deswegen noch lange nicht irgendwelche Entscheidungen treffen durfte... noch dazu ohne jede Rücksprache mit einem Mitglied der Familie, die es betraf. Auf den Drahtseilakt, das so in Worte zu fassen, dass es diplomatisch klang und ihn weder verletzte noch beleidigte, aber in der Sache dennoch klar und hart war und keinen Zweifel ließ, freute sie sich keineswegs. Noch dazu, wo das nicht der einzige Drahtseilakt war, den sie da bewältigen musste – bei jeder Information über die aktuelle Lage würde sie sich sehr genau überlegen müssen, wie sie was schrieb, damit es unverfänglich klang, denn auch wenn sie nicht daran zweifelte, dass Massa einen vertrauenswürdigen Mann geschickt hatte: auch diesem konnte jederzeit etwas passieren.
Einige Zeit später ließ Seiana den Soldaten wieder zurückrufen und übergab ihm eine versiegelte Schriftrolle. „Für Decimus Massa. Richte ihm meine besten Grüße aus.“
Salve Massa,
ich danke dir für dein Schreiben. Ich bin hier so sicher wie es nur sein kann, dafür sorgt allein schon mein Gatte. Von Faustus habe ich bislang noch nichts gehört, leider... aber ich gehe davon aus, dass keine Nachrichten gute Nachrichten sind. Die Götter sind mit ihm, das hat sich in der Vergangenheit schon mehr als einmal gezeigt, und ich opfere regelmäßig, damit sie ihm gewogen bleiben.
Die Neuigkeiten sind selbst in Rom nur spärlich gesät und schwer zu bekommen – und noch schwerer weiter zu vermitteln, wie du dir sicher vorstellen kannst angesichts der aktuellen Situation.
Das Testament wurde inzwischen verlesen, und der ehemalige Praefectus Urbi als neuer Kaiser ausgerufen – unabhängig von Rom auch bereits von Legionen im Osten. Seit die Ausgangssperre größtenteils wieder aufgehoben wurde, herrscht auch auf den Straßen wieder Ruhe... In der politischen Klasse dafür jedoch umso weniger. Die Reihen des Senats haben sich deutlich gelichtet in den vergangenen Wochen, über den Verbleib mancher ist nichts bekannt, bei anderen hingegen ist die offizielle Lesart, dass sie sich zurückgezogen haben aus unterschiedlichsten Gründen... und einige wurden verhaftet oder als Verräter ausgerufen, wovon du ja ebenfalls schon gehört hast. Was dir vielleicht neu ist: die Consulare Vinicius Hungaricus und Flavius Furianus haben bei den Verhören gestanden, an einer Verschwörung beteiligt gewesen zu sein und sind verbannt worden. Noch neuer ist die Nachricht darüber, dass einer der Verräter von Legionen in Syrien ebenfalls zum Kaiser ausgerufen wurde... die Frage ist nicht mehr, ob es zu einem Bürgerkrieg kommt, sondern nur noch wo... und wie heftig dieser ausfallen wird.
Was ist mit der Classis Misenensis? Welche Neuigkeiten kannst du von ihr berichten, und aus Misenum?
Nun zu dem anderen Thema, das du angeschnitten hast. Ich kann nicht anders, als dir mein tiefstes Missfallen darüber auszudrücken. Du bist ein guter Freund Faustus', und du hast sein Leben gerettet – etwas, wofür ich immer in deiner Schuld stehen werde, das weißt du. Dennoch: du bist kein Decimus des hispanischen Stammbaums. Du hast kein Recht, über Magnus' Kinder zu verfügen. Deine Meinung und dein Rat wird immer willkommen sein, mehr als der jedes anderen Decimus der griechischen Linie, aber dir muss klar sein, dass du nicht offiziell für die hispanische Linie sprechen kannst, und schon gar keine Entscheidungen für sie treffen. Und ich muss dich auffordern, es in Zukunft zu unterlassen, andere dies glauben zu lassen.
Ich hoffe, du nimmst mir diese klaren Worte nicht übel. Aber mir lag mehr daran dir zu verdeutlichen, wovon ich spreche, als zu diplomatisch zu formulieren und mich am Ende nicht klar genug ausgedrückt zu haben.
Pass du auch auf dich auf, Massa – und solltest du Gelegenheit haben selbst nach Rom zu kommen, würde ich mich freuen dich zu begrüßen. Ich denke, über vieles lässt es sich besser austauschen, wenn man sich persönlich gegenüber steht.
Mögen die Götter dich behüten,
[Blockierte Grafik: http://img77.imageshack.us/img77/1586/seianaunterschrift2aj2.png]
[Blockierte Grafik: http://img228.imageshack.us/img228/5738/siegeldecima.png]
Der Legionär nahm es dankend zur Kenntnis. " Ich warte im Tablinum." Das war erfreulich, heute noch auf den Rückweg machen. Gar nicht lange weg von Hafen und Meer. Unterwegs rasten und weiter. Der Decimus hatte ihm ein Donativum von 20 Sesterzen zugesichert, erledigte er den Auftrag gewissenhaft.
Nach Brot, gutem Käse, Schinken und verdünnten Wein, die Zeit war wie im Fluge vergangen. Rief ihn die Decima zu sich und gab ihm eine Schriftrolle. " Vale Decima. Die Götter mögen dich schützen. Ich richte es dem Decimus aus." Er ließ sich aus dem Haus bringen. Ging zu den Stallungen vor Rom, sein Pferd holen und machte sich zurück nach Misenum. In der Tunika die Schriftrolle.
Ein knappes „Herein“ erklang, als es an der Tür zu ihrem Officium klopfte, und Seiana sah nicht einmal wirklich hoch – auch nicht, als die Tür sich öffnete. Erst, als die mittlerweile vertraute Stimme des Ianitors verkündete: „Herrin, deine Nichte ist hier, um dich zu besuchen.“
Eine Augenbraue wölbte sich in gelinder Überraschung nach oben, aber sie nickte nur. „Bring sie zu mir.“
Es dauerte nicht lang, bis es erneut klopfte und der Ianitor die Tür abermals öffnete, diesmal um Messalina herein zu lassen. Seiana verzog ihre Lippen zu einem Lächeln und stand auf. „Messalina, es freut mich dich zu sehen. Was führt dich zu mir?“
Auf dem Weg zur Ihrer Tante, sah sie sich in der Casa genau um. Ihr gefiel der eingerichtete Stil, aber trotzdem fühlte sie sich bei den Decimii viel wohler. Auch deswegen, weil die Casa Terentia von ihrer Tante zusammen mit dem Ehemann bewohnt wurde und sie gar nicht wissen wollte, was die beiden den ganzen Tag so trieben. Zusammen Kreisel spielen bestimmt nicht. Sie hoffte zu mindestens, dass der Ehemann fort war, damit sie Seiana für sich alleine haben konnte. Schade, dass Ihre Tante das ebenso nicht sah und deswegen lieber bei Messalina wohnen möchte, wobei sich das sowieso in Bälde erledigen würde, wenn sie eventuell zur Vestalinnen beraubt werde. Der Ianitor öffnete die Tür zum Officium und kündigte die Kleine an. Als Messalina ihre Tante sah, war sie überglücklich und ihre Stimmung war außergewöhnlich heiter, sie lächelte und lies ihre Gefühlen freien Lauf. Sie rannte zu ihrer Tante und sprang sie förmlich an, ohne aber sie weh zu tun, dann umgriff sie mit beiden Armen um die Taille von Seiana. - Erst einmal wird geknuddelt, dachte sie sich.
"Tantchen, ich habe dich sehr lieb." Sagte sie verzerrt, da ihre Lippen zur rechten Seite, am Bauch ihrer Tante, leicht gepresst waren. Sie wollte sich gar nicht mehr lösen und hatte es bisher auch nicht getan. So sehr angenehm war es für sie. Warum sie gekommen war, hatte sie in diesem Moment vergessen, dass sie die Frage vorerst nicht beantwortete.
Zu sagen, dass Seiana überrascht war als Messalina sich regelrecht auf sie stürzte, wäre wohl die Untertreibung des Jahres gewesen. Überrumpelt saß sie erst mal da, während das Mädchen halb auf ihren Schoß krabbelte und die Arme um sie schlang. Ihre eigenen Arme zog sie schnell aus dem Weg, und hielt sie danach erst mal unschlüssig in der Luft, weil sie so gar nicht wusste, wie sie mit diesem Gefühlsausbruch umgehen sollte. Sie war sich auch nicht so sicher, woher diese Anhänglichkeit kam – allzu oft hatte sie ihre junge Verwandte ja auch nicht gesehen. Sie vermisste wohl ihre Familie, vermutete Seiana. Das musste es sein. Und gerade Kinder projizierten doch viel auf einen anderen Menschen, wenn der oder das Gewünschte gerade nicht da war. Oder? Taten Kinder das? Junge Mädchen?
Seiana räusperte sich leicht und senkte ihre Hände schließlich, um sie auf Messalinas Schultern zu legen und die Umarmung leicht zu erwidern. „Ist alles in Ordnung?“ fragte sie nach, ein wenig vorsichtig – vielleicht war das ja doch nicht nur Wiedersehensfreude, ausgelöst durch Heimweh nach ihrer Mutter projiziert auf sie... oder so... sondern mehr. Die Frage konnte jedenfalls nicht schaden. Andererseits wollte Seiana damit nun nicht provozieren, dass sich Messalina ihres Heimwehs bewusst wurde – wenn sie denn welches hatte – und trübsinnig wurde – vorsichtig formuliert –, weswegen Seiana noch anfügte: „Konntest du dich schon einleben in der Casa Decima?“
Auch wenn Seiana ihre kalte Art aufrecht behielt, fühlte sie sich doch recht warm an somit Messalina noch fester an ihr schmiegte und dabei an ihre Mutter dachte, die ebenso körperliche Wärme ausstrahle. "Ja, alles ist in bester Ordnung. Bin doch bei dir.", erwiderte sie kichernd. "Ich lasse dich nie mehr los.", kicherte sie weiter und zappelte ein wenig mit ihren Beinen hin und her. Messalina wirkte äußerlich oft stark, aber es gab Momente in der sie einfach ein kleines Mädchen war, die Zuneigung und Liebe benötigte, um zu fühlen, dass sie gebraucht wird. Und Seiana war mehr als geeignet dafür, sie würde vorerst immer die Person sein, von der Messalina all diese Dinge erwartet. Allmählich löste sie sich mit ihrem Oberkörper von ihrer Tante, blieb aber weiterhin auf ihr sitzen. "Seiana, in der Casa Decima ist es schrecklich langweilig und vor allem so ruhig. Kann ich nicht bei dir wohnen?", neigte dabei ihren Kopf Richtung Boden. "Ich bin auch ganz lieb, versprochen."
Nach dem letzten gesprochenen Wort sprang sie auf und begab sich zum Schreibtisch, und legte einige Papyri zurecht. "Schau, ich mache hier auch Ordnung." Damit brachte sie zum Ausdruck, dass sie sogar lieber Sklavenarbeit vollrichten würde, anstatt weiterhin in der Casa Decima wohnen zu müssen, da sie wusste, dass sie ihre Tante nur einige Male zu Gesicht bekommen würde.
Ich lasse dich nie mehr los. Oh, Götter, bitte nicht... Seiana fühlte sich zunehmend hilfloser, wie sie mit diesem für sie ziemlich unerwarteten Gefühlsausbruch umgehen sollte. War das Mädchen immer so? Würde das nun so bleiben? Waren alle Kinder so? Himmel, sie musste irgendwie dafür sorgen dass ihre eigenen Kinder – wenn sie denn je schwanger wurde – früh Benehmen lernten. Oder zumindest lernten, dass sie zu ihr Abstand zu halten hatten.
Gerade als Seiana die Umarmung langsam lösen wollte, richtete Messalina sich auf – blieb allerdings auf ihrem Schoß sitzen, und das ging Seiana dann doch zu weit. Sie war kein Sessel, auf dem man nach Belieben Platz nehmen konnte. Entsprechend schob sie also das Mädchen vom ihrem Schoß – und erhob sich immerhin noch in der gleichen Bewegung, damit es nicht allzu unhöflich wirkte. „Dort drüben können wir uns hinsetzen“, meinte sie und wies auf eine Sitzgruppe beim Fenster – wo Messalina sich auf einen eigenen Korbsessel würde setzen können. Die allerdings blieb noch stehen und fing an, Papyri auf ihrem Tisch herumzuschieben – und entgegen dem, was sie wohl eigentlich vorhatte, Unordnung zu machen. Seiana zwang sich zu einem Lächeln, griff nach Messalinas Händen und zog sie von ihren Unterlagen weg. „Das ist nett von dir, aber das brauchst du nicht“, erwiderte sie und zog das Mädchen nun weg vom Schreibtisch und hinüber zu der Sitzgruppe. Sie konnte es absolut nicht gebrauchen, dass jemand in ihren Unterlagen herumfingerte – oder gar herumschnüffelte. Sie ließ noch nicht einmal Sklaven zum Aufräumen an die wichtigen Dinge, sondern erledigte das lieber selbst.
„Etwas zu trinken?“ fragte sie, während sie sich selbst ein Glas Wasser einschenkte und sich hinsetzte auf einen der Korbstühle. „In der Casa Decima bist du am besten aufgehoben, Messalina. Das ist das Heim unserer Familie. Es wäre etwas, wenn sonst kein Decimus dort wohnen würde, aber Flavus und Catus sind ja ebenfalls da.“ Venusia erwähnte Seiana absichtlich nicht. Seit ihrem letzten Aufeinandertreffen zählte die Duccia für sie nicht mehr zu den Personen, denen sie tatsächlich irgendetwas von Wert anvertrauen würde – entsprechend hatte sie sie auch nicht gebeten, ein Auge auf Messalina zu haben. Was Magnus' Kinder betraf, hatte sie beschlossen sich herauszuhalten – dass allerdings auch nur aus dem Grund, weil sie sich sehr sicher war, dass Serapio die Sache anders sehen würde... „Davon abgesehen wirst du dort ohnehin nicht mehr lang wohnen. Es ist eine Nachricht gekommen vom Kaiser – du wirst Vestalin werden.“
Tage waren vergangen, seit ihr Mann sie mit seinem Verdacht konfrontiert hatte. Tage, in denen er nichts sagte – und in denen Seiana sich nicht traute zu fragen. Tage, in denen sie irgendwann fast zu hoffen begann, sein Verdacht hätte sich möglicherweise gelegt. Es blieb immer noch das Problem mit dem Kind, das immer drängender wurde, je mehr sie die Veränderungen ihres Körpers spürte und allmählich auch zu sehen begann, aber dafür... würde ihr schon irgendetwas einfallen. Wichtig war zunächst einmal nur, dass Terentius seinen Verdacht entweder doch abtat, oder er vielleicht zu dem Schluss gekommen war, dass es nicht so wichtig war, nicht so lange nach außen alles stimmte, nicht so lange sie noch eine Chance auf ein gemeinsames Kind hatten. In diesen Fällen könnte sie irgendwie zu einer Lösung kommen. Was machte es auch schon? Sie wusste von so einigen Frauen, gerade auch in ihrer Schicht, die ihre Männer betrogen, und manche von ihnen wussten davon – und scherten sich augenscheinlich nicht darum. Gut, keiner von ihnen war noch ohne Erbe, aber das ließ sich ja ändern, dass sie Kinder bekommen konnte, war ja nun zumindest erwiesen.
Ja, sie begann ganz sacht die Hoffnung zu hegen, dass es vielleicht doch nicht so schlimm sein würde wie sie zunächst angenommen hatte. Gerade als sie allerdings an diesen Punkt gekommen war, brach dieses fragile Konstrukt der Hoffnung in sich zusammen. Besser gesagt: ihr Mann zerstörte es. Gnadenlos. Eines Tages kam er nach Hause und brüllte nach ihr, und als sie seine Stimme hörte, konnte sie schon spüren, wie ihre Hoffnung in sich zusammenfiel und nichts übrig ließ als eisige Leere, in der langsam Furcht aufzudämmern begann. Er wartete nicht, bis sie ins Atrium kam, sondern kam zu ihr, in ihr Officium, noch bevor sie die Tür erreicht hatte, und als diese aufgerissen wurde und mit einem Krachen an die Wand flog, prallte sie erschrocken einen Schritt zurück. Und machte dann noch einen, als sie ihren Mann sah, mit einem Ausdruck kalter, berechnender Wut auf seinem Gesicht, in seinen Augen. Und unwillkürlich, ohne etwas dagegen tun zu können, musste sie wieder daran denken, wie sie sich kennen gelernt hatten, wie es überhaupt dazu gekommen war, dass sie geheiratet hatten. Wie er gekommen war, um ihr Haus zu durchsuchen, um irgendetwas zu finden, was er gegen sie verwenden konnte. Wie er ihr gedroht hatte. Sie hatte es mehr oder weniger erfolgreich geschafft, das alles zu verdrängen seit ihrer Hochzeit, und obwohl da immer diese Distanz zwischen ihnen geblieben war, hatte er ihr seitdem doch nie mehr einen Anlass gegeben, daran zurückzudenken. Bis jetzt. Und jetzt war alles wieder da, so frisch, als wäre es gestern geschehen – und Seiana spürte auch die Furcht wieder, die sie damals empfunden hatte.
Sie konnte im Nachhinein nicht mehr genau sagen, welche Worte gefallen waren oder was genau passiert war. Sie wusste nur noch die traurigen Höhepunkte, und dass irgendwie einer zum anderen geführt hatte. Sie konnte sich noch daran erinnern, dass er sie beschuldigt hatte ihn betrogen zu haben, an die unsägliche Furcht, als er davon sprach, dass er sich um ihren Liebhaber gekümmert habe, und die eisige Kälte, die nach ihrem Herzen zu greifen schien bei diesen Worten – und obwohl sie nach wie vor nichts zugab, um keinen Preis etwas zugeben wollte, schien ihm diese erste Reaktion, der Schock, die Angst auf ihren Zügen als Beweis zu genügen. Das war der Moment, in dem er ihr die erste, wohlkalkulierte Ohrfeige gab, die sie zurück taumeln ließ. Und sie zugleich für Augenblicke sprachlos machte, nicht so sehr vor Schmerz oder Schreck, sondern eher vor Fassungslosigkeit, weil sie trotz all dem, was sie Terentius zutraute, doch nicht wirklich darauf vorbereitet gewesen war. Eine zweite Ohrfeige folgte, die sie wieder zur Besinnung brachte und zugleich nun den Schmerz fühlen ließ – und dann war da plötzlich Verwirrung, als sie den Namen Vibienus hörte. Vibienus. Nicht Iunius. Aus irgendeinem Grund schien ihr Mann zu dem Schluss gekommen sein, dass sie ihn mit dem Acta-Mitarbeiter betrogen hatte, was so abwegig gar nicht war, wenn man bedachte, wie viel Zeit sie vor allem dort verbrachte. Was ihr sonst noch durch den Kopf gegangen war, wusste sie nicht mehr. Nicht viel, vermutlich, mit ihrem wütenden Mann vor sich, der nach einer Erklärung verlangte, sie weiter schlug, als sie diese schuldig blieb, und nur immer noch wütender zu werden schien, als sie sich weiterhin weigerte, etwas zu sagen. Etwas zuzugeben. Das war das, woran Seiana sich festklammerte, das, was sie auch im Nachhinein noch klar im Kopf hatte, neben der Schmerzen. Nichts sagen. Nichts zugeben. Zu groß war die Gefahr, dass sie dann vielleicht Seneca verriet. Sie klammerte sich an den Gedanken an ihn, an ihr letztes Zusammentreffen, und versuchte Halt darin zu finden, um nicht einfach alles mögliche zu sagen, ob nun wahr oder unwahr, nur damit Terentius aufhörte.
Sie hatte keine Ahnung, wie lange sie das durchgehalten hätte, nichts zu sagen – nicht sonderlich lange, vermutete sie. Aber es dauerte auch nicht übermäßig lange, bis es vorbei war. Nachdem er sich abreagiert, seiner Wut Luft gemacht hatte, verlor ihr Mann das Interesse an ihr, oder allem, was sie hätte sagen können. Vermutlich spielte es für ihn ohnehin keine Rolle mehr, weil er seinen Beweis hatte, seine Bestätigung dessen, was ihm irgendjemand erzählt hatte, irgendeine Frau, eine, die von ihrer Affäre wusste, eine, die ihr Böses wollte. Senecas Gesicht verwandelte sich plötzlich zu Axillas vor ihren Augen, und ein Funken zündete sich in ihr, ein Funken voll Wut und Hass – ein Funken, der für den Moment allerdings keine Chance hatte sich auszubreiten. Ihr Mann hatte das Interesse verloren, warf ihr nur noch hin, dass er sie nicht mehr sehen wollte... dass sie bis zum Abend aus seinem Haus verschwunden sein sollte. Und ließ sie dann allein, an ihrem Schreibtisch kauernd, die Spuren seiner Hände immer sichtbarer werdend auf ihrem Gesicht und ihrem Körper.
Du hast noch kein Benutzerkonto auf unserer Seite? Registriere dich kostenlos und nimm an unserer Community teil!