„Du warst also für die Ausbildung zuständig, seit euer bisheriger Optio befördert wurde?“
„Richtig“, bestätigte der Immunes. „Der Primus Pilus hat freilich auch einiges selbst gemacht, aber die Alltagsorganisation hab ich übernommen.“
Hadamar nickte und besah sich die trainierenden Tirones. Er hatte das Gefühl, sich gerade auf unendlich dünnem Eis zu bewegen. Gerade auf die Veteranen würde es ankommen, was für einen Start er hier hatte, ob er akzeptiert wurde, ob das überhaupt auf Dauer funktionieren konnte... Es kümmerte ihn sonst eigentlich wenig, was die Leute von ihm hielten. Aber er hatte das extrem sichere Gefühl, dass es diesmal wichtig war. Und dass es auch weiterhin wichtig sein würde, er sich also besser schleunigst daran gewöhnte, in Zukunft darauf zu achten. Also war die Order: einen guten Eindruck machen. Oder vielleicht besser: den richtigen Eindruck machen. Nicht zu forsch, zu überheblich auftreten, aber ganz sicher auch nicht zu nett oder zu bescheiden. Er hatte keine Ahnung, wo da die Grenze lag... aber immerhin hatte er wohl einen kleinen Vorteil dadurch, dass er als Neuer in diese Centurie gekommen war. Manche kannten ihn zwar, weil Hadamar seit seinem ersten Tag hier durch das Lager gestreift war und sich in allen möglichen Bereichen Freunde – und teils auch Feinde – gemacht hatte, aber die meisten kannten ihn eben nicht. Und konnten daher auch noch nichts von ihm erwarten, weder dass er besonders lustig oder umgänglich sein würde noch dass er mit fliegenden Fahnen untergehen würde in dieser neuen Aufgabe.
Letzteres würden wahrscheinlich sowieso genug denken, weil er noch so jung war... Hadamar konnte sich lebhaft vorstellen, wie fleißig jetzt schon gewettet wurde unter den Legionären, und es war kein Kunststück zu wissen, dass die Quote nicht zu seinen Gunsten stand. Aber nun ja. War zwar alles etwas viel, was gerade auf ihn einprasselte, aber er hatte nicht vor zu enttäuschen. Er hatte vor, sich hier zu beweisen. Und dem, wer auch immer das Wagnis einging auf ihn zu wetten, einen kleinen Geldsegen zu bescheren. Auch wenn das einiges an Anstrengung erfordern würde... Aber immerhin: endlich traute ihm mal jemand etwas zu! Genau das hatte er doch immer gewollt, die ganzen letzten Jahre bei seiner Familie, als es – zumindest so wie er das erlebt hatte – immer nur darum gegangen war, was er alles nicht so machte wie seine Mutter und Witjon und die anderen es gern gehabt hätten, welchen Erwartungen er nicht entsprach, und an wem er gemessen wurde. Und zugleich, jedenfalls hatte er das Gefühl gehabt, nie wirklich eine Chance bekommen hatte sich wirklich zu beweisen. Jetzt bekam er diese Chance. Und das hier, wo es ihm wirklich Spaß machte zu arbeiten, zu leben, und das nicht nur, weil es hier keinen Verwandten gab, der schon ungleich mehr erreicht hatte, was nicht nur die Messlatte für ihn höher gelegt, sondern zugleich irgendwie die Einzigartigkeit seiner Leistung herabgestuft hätte. Es gefiel ihm in der Legio einfach. Er hatte vor die Chance nutzen, die der Centurio ihm gegeben hatte. Er würde die Chance nutzen, und sich beweisen. Punkt.
„Also ist in der Zwischenzeit einfach alles normal weiter gelaufen.“
„Genau das.“
Hadamar nickte erneut. „Kannst du...“ Er unterbrach sich. War vielleicht nicht so gut, den Veteran zu fragen. Wenn er sich zu unsicher gab, würden sie ihn zerreißen wie Wölfe ein krankes Reh, das sich zu weit vom Sprung entfernt hatte. „Wird noch ein paar Tage dauern, bis ich mich eingearbeitet hab. So lange...“ Wie, wie, wie sollte er das jetzt formulieren? „... werd ich noch deine Unterstützung bei den Tirones brauchen.“ Hadamar räusperte sich. Und hoffte einfach, dass das jetzt gut geklungen hatte, mehr noch, gut angekommen war. Allerdings traute er sich – trotz der frischen Überzeugung, sich beweisen zu wollen – nicht, den Mann neben sich anzusehen, sondern sah weiter zu den Tirones. Entsprechend war alles, was er von dem Veteran mitbekam, sein: „Zu Befehl, Optio.“ Zu Befehl. Hadamars Ohren begannen zu brennen, als er das hörte, und er war sich nahezu sicher, dass der Miles sich nun über ihn lustig machte. Jetzt traute er sich erst recht nicht mehr, zu ihm hinzuschauen – auch nicht um zu sehen, ob das stimmte... oder ob es nicht doch vielleicht nur an seiner eigenen Unsicherheit lag, dass er sich veräppelt vorkam.
Für einen Moment herrschte Schweigen, dann ergriff der Immunes wieder das Wort: „Möchtest du dich den Tirones vorstellen, Optio?“
Jetzt sah Hadamar den Veteran neben sich an. Und für einen winzigen Moment zeichnete sich ein eindeutig schockierter Ausdruck auf seinem Gesicht ab – was dem Immunes den Hauch eines Grinsens entlockte, das allerdings zu kurz zu sehen war, als dass Hadamar hätte entscheiden können, ob es gutmütig war oder schadenfroh. Es reichte allerdings, um ihm einzuhämmern, dass er sich zusammenreißen musste. Und was war schon dabei? Er schwang doch ständig große Reden vor seinen Kameraden, da hatte er noch nie ein Problem damit gehabt. So ein Riesenunterschied konnte da doch nicht sein, ob er das jetzt einfach so tat, oder in einem offizielleren Rahmen... Und irgendwann würde er sowieso da durch müssen. Je eher er das erste Mal hinter sich brachte, desto besser – und er vermutete, dass es auch klüger war aus Sicht hinsichtlich der Legionäre. Würde blöd kommen, wenn der neue Optio sich Tage Zeit ließ, bis er sich vorstellte. Was ihn darauf brachte, dass er sich nicht nur den Tirones, sondern auch den übrigen Milites würde vorstellen müssen, so bald wie möglich, und nicht nur informell... wobei er keine Ahnung hatte, ob der Centurio da irgendwas geplant hatte. Musste er ihn fragen, dazu hatte er noch keine Gelegenheit gehabt, weil er sich gleich in die Arbeit gestürzt hatte. Ansonsten... könnte er das mit dem Vorstellen nachher einfach irgendwann machen. Oder halt, noch besser: am nächsten Tag. Beim Morgenappell. Aber die Gelegenheit sich den Tirones vorzustellen, mit denen er ja doch viel zu tun haben würde, sollte er gleich nutzen. „Äh. Klar!“ antwortete er also und nickte zu den Trainierenden hin. „Legen wir los.“