Das Atrium war leer. Geradezu gespenstisch leer. Keine Sklaven standen an der Seite oder huschten unsichtbar an der Wand vorbei, um von einem Raum zum anderen zu gelangen. Kein angebotener Wein, keine beruhigende Präsenz von einem anderen Wesen. Es war so still, dass man die Schritte des Ianitors und des Gastes auf dem Marmorboden widerhallen hören. “Die domina wird sofort bei dir sein“ versprach der alte Grieche auch nur knapp und machte sich danach auch sogleich von dannen, ließ Seiana allein im Atrium stehen.
Doch musste sie wirklich nicht lange warten. Axilla erschien keine drei Minuten später, lautlos wie ein Schatten. Sie hatte sich nicht besonders feierlich hergerichtet, ihr Haar war nur einfach zusammengesteckt, aber sie trug ein feines Kleid aus Ägypten. Letzteres aber eher, weil sie diese Kleider mochte, und jetzt, nachdem die Geburt ihres Sohnes auch schon einige Zeit her war, wieder gut hineinpasste und auch ihre noch weiblicheren Rundungen darin gut zur Geltung kamen. Axilla mochte es einfach, bemerkt zu werden.
Auch wenn sie sich jetzt leise näherte, um eben jenes nicht sofort zu werden. Sie wollte Seiana einen Moment ansehen, einen Augenblick lang versuchen, zu verstehen, was Seneca da sah. Ja, sie war nicht häßlich, aber Axilla fand sie auch nicht wirklich, wirklich hübsch. Und sie war so alt. Und so kalt und hart. Viel zu gerade. Kein bisschen lebendig, oder scherzhaft, oder leicht, schlicht nicht wirklich liebenswert, und sie verstand einfach nicht, was ihr Vetter da sehen wollte, was seine Verblendung ihm da zu sehen vorgab, und warum er sie nicht sehen konnte, wie sie wirklich war.
Doch lange konnte sie sich wohl nicht in der Beobachtung widmen, denn auch wenn sie mit ihren weichen Sandalae auf dem Boden keine Geräusche machte, in einem solch leeren Raum fiele sie auf. Also trat sie auch hinter den Säulen am Rand hervor, so dass Seiana sie sehen konnte. Ein 'Salve' wäre sicher angebracht, oder ein paar leichte Worte, um das Eis zu brechen. Allerdings wusste Axilla, dass sie auf dieses Eis auch stundenlang mit einer Axt einprügeln hätte können, ohne dass es brach, und es von ein bisschen menschlicher Wärme garantiert nicht schmelzen würde. Abgesehen davon war ihre eigene Unruhe viel zu groß, um sich hinter irgendwelchen Floskeln und falschen Höflichkeiten zu verstecken. Seianas Bruder hatte Axilla mehr als deutlich gesagt, dass die Ruhe zwischen Seiana und ihr nichts weiter als Bequemlichkeit war, aber kein echter Friede. Warum also sollte sie sich um des lieben Frieden willens nett verhalten?
“Ich weiß es“ kam es also anstelle einer Begrüßung bedeutungsschwanger über Axillas Lippen, als sie auf Seiana zukam und in bestimmt drei Schritt Entfernung von ihr stehen blieb. Der Abstand tat Not, Axilla wollte nicht durch körperliche Nähe so etwas wie ein vertrautes Verhältnis zwischen ihnen schaffen. Außerdem war so die Chance kleiner, dass sie Seiana eine reinhaute, sollte die sich nicht einsichtig zeigen.