Die Reise zum Mittelpunkt der Erde - Im Zentrum der Macht

  • In einer kleinen Gruppe von Tagelöhnern, welche in der Stadt sich ein Auskommen suchten, Bauern, welche ihre Erzeugnisse auf den Märkten wollten feilbieten, und sonstigen Besuchern, welche aus der näheren Gegend ab und an in die Hauptstadt pilgerten, passierte Gracchus einige Stadtwachen und drängte sich durch die Gassen Roms - und hätte seine Konzentration nicht auf der Klandestinität seines Vorhabens gelegen, er hätte allfällig weinen mögen ob der Tatsache, dass es ihm noch einmal war vergönnt, betört zu werden von der schönsten aller Städte, dass es ihm würde erlaubt sein, sein Leben auszuhauchen im Zentrum der Welt, in dieser Stadt, die sein Zuhause war, der er ob all ihrer Widrigkeiten stets nur seine Liebe konnte zuteilwerden lassen. Niemals zuvor jedoch in seinem Leben hatte er die Stadt, ihre Bewohner und ihre Lebendigkeit aus dieser Perspektive gesehen - denn sofern er überhaupt war zu Fuß gegangen, so hatten stets Sklaven oder Liktoren dafür Sorge getragen, dass der Weg vor ihm gangbar war, wiewohl niemand ihn belästigte. Nun jedoch war er nur einer von vielen, ein indefinibles Individuum, welches versank in der Anonymität der Masse, einem Sandkorn am Strande gleich, einem Tropfen im Meer. Es war diese Anonymität selbstredend ein Schutz, denn im Angesichte seiner tatsächlichen Identität hätte er kaum wohl nur wenige Schritte über das Pflaster beschreiten können, gleichsam jedoch lieferte sie gnadenlos ihn dem Gewirr der Stadt aus.
    "Ein Quadrans, Herr? Wenigstens eine Semuncia, bitte!"
    suchte ein alter Mann, aus dessen Unterleib nur zwei kurze Stümpfe ragten, ihn an seinem Mantelsaum zu fassen.
    "Sänfte? Brauchst du eine Sänfte?"
    fragte ein junger Bursche ihn, trat schon im nächsten Augenblick nachdem Gracchus den Kopf hatte geschüttelt an ihm vorbei und wiederholte seine Frage gerichtete an den nächsten Passanten.
    "Fladenbrot! Fladenbrot! Das beste Fladenbrot der Stadt für nur einen Quadrans! Gebacken von den Bäckern der Bäckervereinigung der Via Lata!"
    hielt ihm ein anderer Brot vor die Nase, welches Gracchus nur beiseiteschob, eine dankende Ablehnung in seinen Bart murmelnd.
    "Suchst du Kleidung, Herr? Komm mit in meinen Laden, ich habe die besten Tuniken in ganz Rom, aus der weichesten Wolle gewebt, die du finden kannst. Es ist Wolle von Schafen aus Germania, die schönste und beste Wolle der ganzen Welt, im Winter warm und im Sommer kühlend! Komm, komm, Herr, komm mit in meinen Laden!"
    Der kahlköpfige Händler hatte Gracchus am Arm gepackt und zog ihn bereits von der Straße weg, dass jener sich nurmehr schwer konnte losreißen.
    "Nein, ich brauche nichts."
    "Aber Herr, vielleicht deine Frau oder deine Kinder? Es ist die beste Wolle ..."
    "Ich brau'he nichts!"
    fuhr Gracchus den Mann grantig an, der daraufhin ein wenig erschrocken zurück wich. Hastig senkte Gracchus wieder seinen Kopf, zog die Kapuze seines Mantels tiefer in sein Gesicht und drängte sich weiter durch die Masse. Selbstredend war es durchaus ein wenig ungewöhnlich, dass jemand in der Hitze des Sommers einen Mantel trug, doch ob der Diversität der Menschen, ihrer Herkunft und Kulturen in Rom, war er nicht die einzige Person, welche derart gewandet sich durch die Gassen trieb, und in Anbetracht der staubigen Patina auf der Umhüllung und seiner leicht humpelnden Gangart hätte ein Beobachter Gracchus' Gestalt am ehesten wohl zu den Schmarotzern und Bettlern, allfällig den Zechern der Stadt gezählt.


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  • Noch vor dem Capitol bog Gracchus ab in Richtung des Theaters des Pompeius, hernach zum Theatrum Marcelli, um von dort aus über die Tiberinsel hinüber nach Transtiberim zu gelangen. Obgleich er sich dort nicht auskannte, so schien es derzeitig ihm doch die sicherste Gegend in Rom für einen gesuchten Staatsverräter zu sein - so es eine solche überhaupt gab -, war dies doch das kosmopolitischste Viertel der Stadt da die römischen Bürger dort aus allen möglichen Ecken des Imperiums stammten, ebenso wie auch die vielen Peregrinen, welche dort sich sammelten, ihre vielfältigen Kulturen, Traditionen und Religionen in den Alltag mit einfließen ließen. Aus den Garküchen, welche in die unteren Stockwerke der Häuser eingelassen waren, drang ein aufdringlicher Duft nach schweren, fettigen oder seit endlosen Stunden vor sich hinkochenden Speisen, nach billigem, abgestandenem Wein und bisweilen auch ein wenig zu lange gebratenem Fleisch, dass Gracchus ein Rumoren in seinem Magen verspürte, welches spätestens beim Anblick roher Fleischstücke noch sich steigerte, welche vor den Schlachtereien der Metzger waren aufgehängt. Nach Durchquerung einer Gasse, in welcher augenscheinlich alle Barbiere des Viertels sich hatten angesiedelt - in welcher ihn mehr als einmal ein Mann dieser Profession auf das wilde, unschöne Gestrüpp in seinem Antlitz hinwies, welches mit einigen Schnitten entfernt oder zumindest in passable Form würde gebracht werden können, was Gracchus stets hastig dankend ablehnte - erreichte er das kleine Forum vor dem Tempel der Bona Dea, welches trotz des geschäftigen Treibens rundherum eine behäbige Ruhe ausstrahlte. Gracchus hatte keine Erfahrung damit, Handlanger anzuheuern, so dass er auf gut Glück den ersten ihm müßiggängerisch erscheinenden, auf einer Treppenstufe herumlungernden Jungen ansprach.
    "Salve!"
    Der Bursche blickte nicht einmal empor, brummte etwas, das schwer als Gruß auszumachen war.
    "Ich suche jemanden, der gegen ein kleines Entgelt eine Nachri'ht überbringen kann."
    "So?"
    Nun schaute der Junge empor. Er war allfällig nur wenig älter als sein Sohn Minor, doch das Leben auf der Straße hatte bereits Spuren in seinem Gesicht hinterlassen.
    "Und wohin?"
    "Zur Castra Prae..toriae."
    "Uff. Das ist ja einmal durch die ganze Stadt! Das wird teuer."
    "Wieviel?"
    Augenscheinlich war Transtiberim doch nicht allzu optimal gewählt.
    "Fünf Dupondii."
    Gracchus wusste nicht, ob dieser Preis angemessen war, darob sann er nur kurz über den kläglichen Rest an Münzen in seinem Beutel nach und nickte sodann.
    "Gut."
    Der Junge legte die Stirn in Falten, denn augenscheinlich hatte er Widerspruch erwartet. Dann allerdings grinste er, sprang empor und hielt die Hand auf. Gracchus suchte die Tabula, welche er in dem Dorf einige Meilen vor Rom von einem öffentlichen Schreiber auf dem Marktplatz hatte anfertigen lassen, aus seinem Beutel, dann die Münzen, und übergab es dem Jungen - mit keinem Gedanken bedenkend, dass dieses Geschäft zweifelsohne sicherer wäre getätigt, wenn der Bursche einen Anteil seines Lohnes erst nach Verrichtung der Tat würde erhalten.
    "Gib sie nur am Tor ab und erwähne, dass sie für den Praefectus Praetorio bestimmt ist."
    Der Junge grinste, sprach jedoch nicht aus, was durch seine Gedanken trieb.
    "Für den Praefectus, ist gut."
    Sodann lief er los und zumindest die Richtung, in welche er entschwand, schien der rechte Weg. Ohne, dass Gracchus dessen sich konnte sicher sein, fand die Nachricht tatsächlich ihren Weg zum rechten Ziel.

  • Während Gracchus sonstig durchaus Gefallen daran fand, sich ab und an der Muse des Nichtstuns zu widmen, überkam ihn in Transtiberim eine gewaltige Unruhe - stets vermengt mit dem ohnehin vorherrschenden Schmerz in seinem Leibe - , sobald er sich auf einer Treppe oder Mauer niederließ, um ein wenig der Zeit tot zu schlagen, welche ihm bis zum Abend blieb. Zu groß schien ihm die Gefahr, dass irgendwer ihn würde erkennen können, obgleich dies dank des Bartes in seinem Gesicht, der Kapuze auf seinem Haupt und der Gegend, in welcher er sonst sich kaum wohl je hatte aufgehalten - abgesehen von einigen denkwürdigen Feierlichkeiten -, durchaus nicht allzu wahrscheinlich war. Dennoch suchte er nie allzu lange an einem Ort zu verweilen und auch keinen Platz ein weiteres mal aufzusuchen, schlich ein wenig ziellos durch die Gassen, mied viae und actus und bewegte sich nur auf itinera, wagte nicht noch einmal die Stadtmauer zu passieren um allfällig einige Zeit in den Gärten des Marc Anton zu lustwandeln, was er sonstig durchaus hätte präferieren mögen, und grämte sich ein wenig, dass er nicht später erst in die Stadt hinein war aufgebrochen - andererseits war die Gefahr so geringer, dass Serapio seine Nachricht nicht würde rechtzeitig erhalten. Nahe der Naumachi Augusti wurde Gracchus schlussendlich jählings bewusst, dass er keine Kenntnis darob hatte, wo die Casa Decima Mercator genau lag, respektive wie dorthin zu gelangen war. Ein Mietsänftenverleih am Rande des Platzes schien seine Rettung zu sein, denn lautstark pries eine rundliche Frau die Dienstleistung dieses Unternehmens an.
    "Mietsänften für jede Gelegenheit! Wir bringen dich stilvoll in jede Ecke von Rom! Mit oder ohne Leibwachengeleit!"
    Vorsichtig trat Gracchus näher.
    "Ah, der Herr braucht eine Mietsänfte? Du hast Glück, wir haben Angebotswochen. Wenn du heute eine Sänfte mietest, dann kannst du im nächsten Monat nochmal eine zum halben Preis bekommen. Wir haben die besten Träger in ganz Rom und die bequemsten Sänften!"
    "Nein, danke, ich benötige keine Sänfte. Ich benötige nur eine Weg..auskunft."
    "Wir sind doch nicht die Auskunft! Aber wenn du irgendwo hin möchtest, dann kannst du eine Sänfte mieten, wir bringen dich überall hin!"
    "Ich fürchte, ich besitze nicht genügend finanzielle Mittel, um mir eine Sänfte leisten zu können. Doch ich würde dur'haus ..."
    "Ach so einer bist du! Dann scher dich weg, wir versuchen hier ehrliche Geschäfte zu machen! Los, verschwinde!"
    Sie wandte sich ab und rief wieder ihre Offerte über den Platz.
    "Du brauchst eine Auskunft?"
    zischte es unvermittelt neben Gracchus Hüfte und als er dorthin blickte stand ein Zwergwüchsiger an seiner Seite.
    "Ich kenne alles und jeden in Transtiberim. Was suchst du?"
    Einige Augenblicke zögerte Gracchus, doch schlussendlich blieb ihm kaum eine Wahl, so er nicht seinen eigenen Termin wollte verpassen.
    "Nun, ich suche eine Casa, jedoch nicht in Trans..tiberim, sonder in Caelimontium. Es ist die Casa Decima, in welcher die Auctrix der Acta Diurna beheimatet ist."
    Es schien Gracchus eine passabler Einfall nicht Serapios Namen zu erwähnen, statdessen den seiner durchaus bekannten Schwester.
    "Diese Auskunft kostet dich ein As. Ein Sesterz wenn ich dich hinbringen soll - ist ein weiter Weg für so kurze Beine."
    Neuerlich suchte Gracchus seine Münzen heraus.
    "Ich habe nur noch einen Dupondius und drei As."
    "Na gut."
    Der kleine Mann grapschte nach den Münzen und steckte sie flinker weg als dass Gracchus dem konnte folgen.
    "Also, die Auctrix Decima wohnt nicht bei den Decimern, sonder bei ihrem Mann, dem Terentius Cyprianus. Deswegen auch der hohe Preis."
    Verlegen öffnete Gracchus den Mund, schloss ihn unschlüssig wieder. Selbstredend wollte er nicht zur Casa Terentia.
    "Nun, so suche ich die Casa Decima, in wel'her die Auctrix Decima früher einmal wohnte, jene in Caelimontium."
    "Na gut, das ist nicht allzu weit. Trotzdem weit genug für den Preis. Folge mir."
    Es war beinahe ein Glück, dass der Mann nicht allzu weit konnte ausschreiten, denn trotz seiner Größe legte er eine erstaunliche Geschwindigkeit hin, welcher Gracchus bei einem größeren Menschen ob der Anstrengung der zurückliegenden Tage kaum noch hätte folgen können.

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  • Nachdem er bei der Casa Decima gewesen war, hatte Gracchus den Rest des Tages auf dem Caelius Mons verbracht. Nachdem er einige Zeit ziellos durch die Straßen war gegangen, stets bemüht, sich den Weg zurück zu merken, hatte er sich neben einem alten Bettler nahe der Porta Cealimontana nieder gelassen, hoffte er doch in dessen Schatten sich einzufügen in das Bild der Straße und aus dem Blick der vorbeieilenden Passanten zu verschwinden. Anfangs hatte der Alte ihn nicht tolerieren wollen, fürchtete er doch um sein Einkommen, doch nachdem Gracchus ihm hatte versichert, dass er nur einen Platz zum Ausruhen suchte und jede Münze, welche allfällig vor ihm würde landen an ihn weiter wollte reichen, ließ er ihn schlussendlich gewähren. Wiederum war dies eine gänzlich neue Perspektive für den Patrizier, welcher nie zuvor das Leben Roms von unten hatte betrachtet und mehr als einmal fragte er sich, ob dies alltäglich war, ob die Sorgen und Nöte der vorbeikommenden Menschen auch schon derart waren gewesen als er noch in der Villa Flavia hatte residiert. Zwei Mal näherten sich Urbaner auf ihrer Patroullie durch die Gassen, doch sie beachteten weder den Bettler, noch Gracchus, welcher neben ihm saß. Als schlussendlich am Abend die Sonne sich allmählich dem Horizont zuneigte, verabschiedete sich Gracchus von dem Alten, überließ ihm wie versprochen die Münzen, welche ob seiner heruntergekommenen Erscheinung tatsächlich vor ihm waren gelandet - immerhin zwei As - und schlich sich so unauffällig es ihm möglich war zur Casa Decima.

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