[Atrium] Kurz nach der Salutatio

  • Die letzten Klienten waren noch im Atrium, denn die Salutatio war gerade erst beendet worden. Der eine oder andere nutzte da die Gelegenheit zu einem kurzen Gespräch mit einem anderen Klienten, bevor jeder wieder seiner Wege ging. Der Hausherr hatte das Ende der Salutatio genutzt, um erst einmal die hauseigene Latrine aufzusuchen, so dass der Türhüter den neuerlichen Besuch erst einmal im Atrium parkte. "Bitte warte hier, der Hausherr ist gleich wieder da."

  • Lepidus nickte, nachdem der Diener ihm sagte, Macer würde bald auftauchen. Hoffenlich war seine morgendliche Salutatio nicht zu anstrengend gewesen. Die vielen Klienten mit ihren kleinen Wehwehchen, Unterstützungsanfragen und demütigen verbalen Kniefällen, konnten einen sicherlich schon manchmal etwas Kraft rauben. Gespannt wartete der Tiberier, in welcher Verfassung er den Purgitier wohl vorfinden würde.

  • In entspannter Verfassung, in der die meisten Menschen sich befinden, wenn sie gerade einen Besuch auf der Latrine hinter sich haben, betrat Macer wieder das Atrium und wurde sogleich von seinem Verwalter auf den neuen Besuch hingewiesen. "Tiberius Lepidus, es freut mich dich zu sehen. Was kann ich für dich tun?" begrüßte Macer aufgeräumt und freundlich den Verwandten seiner Frau.

  • Der Senator befand sich offenbar in bester Verfassung, was zweifellos eine gute Voraussetzung für ein Gespräch war. Der Tiberier lächelte, als Macer ihn begrüßte. "Salve Senator, auch mir ist es eine Freude dich zu sehen. Weshalb ich hier bin? Nun, ich müsste da etwas Vertrauliches mit dir besprechen, keine Angst, nichts wirklich weltbewegendes... vermute ich zumindest." Ob dies nun tatsächlich etwas Großes war, was er mit Macer besprechen wollte, wusste er tatsächlich nicht, das galt es ja auch in irgendeiner Weise herauszufinden, aber Lepidus ging eigentlich davon aus, dass es kaum der Rede wert sei und er hier nur die Bestätigung für seine eigenen Vermutungen erhalten würde. "Doch, so viel der Höflichkeit sei erlaubt: Wie geht es dir? Hattest du eine angenehme Salutatio?"

  • Macer verzog kurz das Gesicht, als ein vertrauliches Gespräch angekündugt wurde und entspannte sich auch nicht wieder völlig, als es gleich danach als Kleinigkeit bezeichnet wurde. Solche Gespräche waren erfahrungsgemäß immer die schlimmsten. "Dann sollten wir ins Tablinum gehen", lud er ein und ging voran. "Und danke der Nachfrage, die Salutatio war recht ereignislos heute." Mit einer Handbewegung forderte er den Gast dann zum Sitzen auf.

  • Ja, wahrlich, es konnte durchaus schlimm werden, oder doch nicht? Alles ganz harmlos? Na, so richtig sicher war sich der Tiberier tatsächlich nicht, als er der Aufforderung nachkam sich hinzusetzen. "Ereignislos bedeutet ja auch meist auch wenig anstrengend, welch Glück für dich", bemerkte Lepidus etwas Small-Talk betreibend. "Achja, hast du eigentlich meinen Brief erhalten? Ich dachte es wäre eine nette Geste, nachdem du so frei warst, mich ein wenig zu beraten." Der Tiberier suchte auch ganz offenbar noch nach der passenden Überleitung zu den wichtigen Themen. Man fiel ja nicht einfach so mit der Tür ins Haus, das hätte doch gerade bei seinem Anliegen einen merkwürdigen Charakter angenommen.

  • "Deinen Brief? Ja, den habe ich erhalten", antwortete Macer nach kurzem Zögern. Zumindest meinte er, sich an einen Brief erinnern zu können,d en er gelesen aber nicht beantwortet hätte. Ganz sicher war er sich nicht, aber das war ja nichts Neues bei ihm. "Und es ist doch eine Selbstverständlichkeit, dass ich mit meinem Rat weiterhelfe, wenn man mich darum bittet."

  • "Das freut mich sehr", für einen Moment sah man den Tiberier sein Gegenüber nur Anlächeln, ohne irgendetwas großartiges zu sagen. Lepidus drückte noch einmal seinen Rücken zurecht, so dass ein kleines Knacken zu hören war, bevor er sich dann wohl endgültig entschlossen hatte, wie es denn wohl angehen könnte. "Sag, wie läuft es denn derzeit im Senat? Wie ist die Stimmung unter den Senatoren?" Der Gesichtsausdruck des Tiberiers wurde merklich ernster. "Ich könnte mir vorstellen... nun ja... das einige etwas nervös werden, jetzt, wo schließlich überall zu lesen ist, dass Palma kommt."

  • Trotz der vermeintlichen Einleitung kam die Frage für Macer etwas überraschend. Zumal ihn die Bezugnahme auf Palma mehr irritierte als leitete. "Die Stimmung? Wie soll die schon sein, wenn der Senat gegen die Aufhebung eines Gesetzes votiert, das der Kaiser dann trotzdem kurzerhand aufhebt?" fragte er lakonisch zurück. Den Auftritt des Kaisers im Senat erwähnte er nicht. Die Sitzung stand unter dem Siegel des Staatsgeheimnisses und Macer hatte nicht vor, sich für einen Stimmungsbericht an Albinas Verwandten in Gefahr zu begeben.

  • "Ausgezeichnet", dachte sich der Tiberier, damit konnte man arbeiten. "Ja, ich habe mich sehr gewundert, dass ich doch jetzt tatsächlich Steuern bezahlen muss. Ich frage mich wirklich, wie dieses Dekret aufgehoben werden konnte, wo es doch einst vom großen und weisen Iulianus erlassen wurde." Der Tiberier schüttelte mit dem Kopf. Über den genauen Hergang war niemand informiert, aber wie es Macer schon sagte, der Senat beschließt etwas und der Kaiser handelt einfach gegen den Senat. Nicht, dass es so etwas nicht schon in der Vergangenheit gegeben hätte, aber ein solches Handeln war doch immer dazu gut Unmut unter den Senatoren auszulösen. "Der ehrwürdige Senat ist zwar dafür bekannt, dass er den Kaiser in erster Linie beraten soll, doch Abstimmungen scheinen doch damit nun eigentlich für die Zukunft überflüssig geworden zu sein, oder?" Diese Situation konnte Macer unmöglich zufriedenstellen, nahm der Tiberier zumindest an. Man konnte wohl davon ausgehen, dass egal, was der Senat sagte, der Vescularier jeden Beschluss wieder kassieren würde. Lange her scheinen die Zeiten, wo ein Kaiser auch noch auf das Urteil des Senats vertraute. "Nun, vielleicht ist die Frage zu persönlich, aber mich würde vor allem interessieren, wie du zu der Angelegenheit standest, warst du für die Aufhebung des Dekrets oder dagegen?" Seine Meinung würde der Purgitier hoffentlich noch äußern dürfen, es sei denn dies hatte der Vescularier inzwischen ebenfalls untersagt.

  • "Darauf, von dem das Gesetz ursprünglich erlassen wurde, kann man nicht immer Rücksicht nehmen. Das ist auch schon anderen Gesetzen passiert, dass sie aufgehoben wurden", sagte Macer recht neutral. Auch wenn er Iulianus als großen Kaiser verehrte, nahm er bei seinen Entscheidungen auf diesen Punkt tatsächlich selten besondere Rücksicht. "Ob Abstimmungen nun gänzlich überflüssig sind, wird sich zeigen müssen", gab er sich dann beim zweiten Punkt etwas optimistischer. "Möglicherweise haben sie de facto keinen Einfluss, was der Motivation des Senates oder einiger Senatoren sicher nicht zuträglich sein wird, aber andererseits kann der Senat mit seinem Votum ja trotzdem noch ein Zeichen setzen, sowohl eines der Unterstützung des Kaisers als auch eines einer gegenläufigen Meinung. Und welcher Form und unter welchen Umständen dies ratsam ist und Gehör findet, ist dann wiederum eine andere Frage", breitete er dann seine Einschätzung aus.


    Zur letzten Frage schwieg er kurz einen Moment, bevor er antwortete. "Ich war für die Aufhebung des Dekrets", erklärte er dann kurz und bündig, da das Abstimmungsverhalten ja ohnehin öffentlich sichtbar war. Zumindest für jene, die an der Senatssitzung teilnahmen.

  • Der Tiberier zeigte sich natürlich nicht besonders begeistert. "Nun ja, deine Entscheidung hatte sicherlich angemessene Gründe." So die erste verhaltene Reaktion des Tiberiers, der sich doch gewünscht hätte, das Macer das ursprüngliche Dekret etwas mehr in Ehren gehalten hätte. "Der Senat allerdings wird durch so etwas nur immer wieder vor Augen führen, dass er in seinen Sitzungen viel redet, aber daraus wenig resultiert. Viel heiße Luft, aber meist nicht mehr, wie einige sagen würden, worunter ich selbst natürlich nicht zähle. Und ein Zeichen setzen? Eine gegenläufige Meinung vertreten? Ich glaube kaum, dass das noch so häufig im Senat passieren wird, denn ich denke kaum, dass es der Vescularier zulassen wird, dass seine Autorität angetastet wird, indem der Senat stets gegen seine Absichten Beschlüsse fasst. Für die Öffentlichkeit sieht dies ja auch alles andere als Einträchtig aus." Welche Konsequenzen aber daraus folgen? Absetzung von unliebsamen Senatoren? Wohl gar die Beschuldigung am Komplott gegen Kaiser Valerianus teilgenommen zu haben und damit ein sicherer Platz auf der Proskriptionsliste? Lepidus glaubte jedenfalls kaum, dass sich noch viele Senatoren so etwas trauen würden wie bei der letzten Abstimmung. Da war er sich fast sicher.


    Lepidus verwunderte es letztlich auch sehr, dass Macer die Iulianische Politik dann einfach so wegwischen konnte. Aber Lepidus hatte es so immerhin geschafft die Brücke zum eigentlichen Kern des Gespräches zu schlagen, zumindest dahin, wo er irgendwie noch hinwollte, obwohl er die derzeitige Situation und den an den Tag getretenen Dualismus zwischen Senat und Kaiser höchst interessant und spannend fand. Letztlich wollte er unbedingt über den früheren Kaiser sprechen und am besten gleich über die ganze Gens Ulpia... "Dass Gesetze gelegentlich aufgehoben werden, das mag wohl sein. Aber hier handelte es sich doch um etwas sehr Essentielles. Eine Steuerbefreiung für eine bestimmte Gruppe ist ja nicht einfach so ein Beschluss, der jeden Tag gefällt wird, nein, es ist doch vielmehr eine große Ehrerbietung für die Familien gewesen, die sich um das Reich sehr verdient gemacht haben und die die volle Unterstützung von Iulianus fand." Er machte einen kurze Pause. "Wenn ich recht informiert bin, dann warst du doch stets ein treuer Anhänger des Iulianus, warst du es nicht? Warst du nicht sogar ein gern gesehener Gast der ganzen Kaiserfamilie und denkst du nicht auch so manches Mal, dass Divus Iulianus auf sein hinterlassenes Reich blickte und sich fragt, was aus ihm geworden ist? Sein Sohn gemordet und der Kampf zwischen Römern entbrannt. Ist es da nicht umso mehr angebracht, so viel wie möglich zu bewahren, was die prosperierende Zeit unter Iulianus hervorgebracht hat?" Wollte der Tiberier den Senator etwas gab belehren? Sein Ton gab dies eher nicht her. Es war mehr ein schwelgen, ein leichtes trauern um alte Zeiten und ein gewisser Ausdruck der Enttäuschung, schließlich schien Macer dann doch eher der Pragmatist zu sein, während Lepidus voller Idealismus steckte (oder dies zumindest vorgab).

  • So ganz hatte Macer noch nicht herausbekommen, was eigentlich das vertrauliche Anliegen sein sollte, wegen dem der Tiberier gekommen war. Also hörte er erst einmal weiter zu, wie dieser zunächst Skepsis und dann verklärte Erinnerungen ausbreitete. Mit beidem konnte Macer leben, wennauch deutlich weniger emotional als sein Gegenüber.


    "Die Zeiten, in der der Senat die wichtigen Beschlüsse in völliger Eigenverantwortung fasst sind seit Generationen Jahren vorbei", stellte er daher fest. "Die Rolle eines Senators ist heute zweifellos völlig anders auszufüllen als es zu Zeiten unserer Vorväter war. Nicht jede dieser neuen Entwicklungen ist gut und der Senat sollte sich selber auch nicht kleiner machen als er ist, aber wenn man etwas erreichen möchte, muss man mit den Gegebenheiten zu arbeiten lernen. Es hilft uns nicht, dass die Öffentlichkeit gerne dieses oder jenes Bild von den Taten des Senates hätte - sie kann noch weniger bewegen als wir und nicht jede Tat spiegelt sich auch im Bild wider", legte er dann seine Ansicht dar, ohne dabei allzu konkret zur Arbeitsweise des Senates werden zu wollen. Das Gespräch entwickelte sich ohnehin offenbar in eine andere Richtung.


    "Ja, ich bin ein Anhänger des Divus Iulianus", erklärte Macer dann nicht ganz ohne Stolz. Immerhin hatte er für ihn im damaligen Bürgerkrieg gekämpft. "Aber das heißt nicht, dass ich unberdingt an allem festhalten muss, was in seiner Regierungszeit beschlossen wurde. Wir werden seine Regentschaft nicht wiederholen können, indem wir an so vielem wie möglich festhalten. Jede Maßnahme benötigt ein Umfeld, in dem sie angemessen ist und wenn sich jenes ändert, so ändern sich auch die Maßnahmen. Ich weiß nicht, wie Divus Iulianus zu den Steuerbeschlüssen heute stehen würde und dass du als Angehöriger des betroffenen Standes eben jenen Beschluss besonders in Ehren hältst, ist natürlich auch legitim", zog er dann wieder den Bogen zu etwas handfesterem Diskussionsstoff als der Erinnerung an einen großen Kaiser.

  • "Sicher, diese Zeiten sind wahrlich schon seit langem vorbei, doch gab es doch auch in der jüngeren Geschichte den ein oder anderen Kaiser, der dem Rat des Senats und seiner Urteilsfähigkeit mehr vertraut hat, als es womöglich zum jetzigen Zeitpunkt der Fall ist." Lepidus wusste manchmal nicht, was er von den Worten zu halten hatte. Konnte man denn tatsächlich so pragmatisch an die Sache herangehen? Nun gut, Macer war Senator und er stieg sicherlich nicht zum Consul auf, indem er sich über jeden Zustand erbittert hätt. Mit den Gegebenheiten arbeiten lernen ist wohl der beste Weg zu sein, um sich anzupassen.


    Das Treuebekenntnis war es dann auch, worauf der Tiberier gewartet hatte. "Es freut mich sehr zu hören, dass du nach wie vor aussprichst, dass du ein Anhänger des Divus Iulianus bist. Ich verstehe, weshalb du nicht bedingungslos an dessen erlassene Dekrete festhalten kannst und dies mag wohl auch vernünftig sein, doch..." Jetzt kam wohl das Entscheidende, was sich der Tiberier eigentlich gar nicht so richtig auszusprechen getraute, da Zweifel an der Loyalität wohl durchaus als Affront aufgefasst werden konnten, doch um in der Sache Klarheit zu bekommen blieb ihm nichts anderes übrig. Dennoch sprach Lepidus in einem leisen geheimnisvollen Ton. "...was ist mit dem Herrschaftsanspruch? Hättest du auch jeden legitimen Herrschaftsanspruch eines Ulpiers unterstützt, so wie es Iulianus und das Gesetz gewollt hätte..." Den entsprechenden Gesetzestext, der dem Tiberier vor kurzem noch zitiert wurde, hatte er dabei noch in bester Erinnerung "...oder ist dies ebenfalls etwas, was von den 'Gegebenheiten' abhängt?"


    Der Tiberier hatte die Frage recht hypothetisch gestellt, doch verbarg sich dahinter natürlich ein reales Problem. Indirekt hatte er damit wohl die Nachfolgeregelung mit dem Vescularier in Zweifel gezogen und der Purgitier hatte sicherlich allerlei Grund zur Verwunderung über solche Fragen. Wollte der Tiberier dadurch in irgendeiner Weise herausfinden, wo der Senator nun wirklich stand? Wie stark seine Loyalität war? Ob er gar die Gens Ulpia verraten hatte?

  • Das Gespräch entwickelte sich zwar nicht unbedingt in eine Richtung, die Macer zu Beginn erwartet hatte, aber immerhin bewahrheitete sich seine Ahnung, dass die harmlose Ankündigung doch in ein recht ernstes Gespräch münden würde. Nicht unbedingt etwas, was Macer vom Stil der Gesprächsführung her gefiel, aber auch nichts, über das er sein Missfallen allzu schnell artikulieren würde. Stattdessen konzentrierte er sich auf die Inhalte, die ja nun auch wirklich alle Aufmerksamkeit verdient hatten.


    "In verstehe um ehrlich zu sein deine Frage nicht ganz, denn die Nachfolge des Divus Iulianus war doch klar geregelt und ist auch entsprechend dieser Regelungen eingetreten", antwortete er dann und blickte sein Gegenüber fragend an. Er konnte sich zwar denken, dass der Tiberier auf die weitere Nachfolge anspielte, aber jener wusste sicher auch genauso gut, dass jeder Kaiser zwar seinen Nachfolger, aber nicht seinen Nachnachfolger bestimmen konnte.

  • "Oh, in der Tat, der Antritt Valerians war eindeutig, kein Zweifel. Doch stellt sich die Frage, warum es bei diesem Mal weniger eindeutig war..." Nun gut, der Tiberier hatte wohl lange genug in Rätseln gesprochen. Womöglich war jetzt der richtige Zeitpunkt gekommen, um nun von Macer die Informationen zu erhalten, die er brauchte. "Du kannst mit all dem, was ich sage wohl kaum etwas anfangen, also lass mich erklären, weshalb ich diese Fragen stelle: Vor kurzem sprach ich mit jemandem, nun sagen wir mal, es war jemand mit senatorischen Verbindungen, das trifft es vielleicht ganz gut. Und dieser jemand machte mich auf etwas aufmerksam, was mir zuvor nie in den Sinn gekommen ist, es war vielleicht auch allzu leicht zu übersehen, wenn man nicht gerade einen Überblick über den Kaiserhof hatte. Fakt ist wohl, dass der Vescularier nur deshalb für die Nachfolge des Valerian in betracht kam, weil die Gens Ulpia erloschen ist." Soweit wohl das geglaubte Faktum und nun begann wohl die Spekulation. "Bedauerlicherweise starb nicht nur der Kaiser selbst, sondern auch seine Familie... seine engste Familie, wohl wahr... doch war dies die letzte übriggebliebene Verwandtschaft des Valerian? War da nicht noch ein Ulpier?" Eigentlich konnte dort unmöglich noch ein weiteres Mitglied der Gens Ulpia sein, die Senatoren hätten es doch wissen müssen, dachte sich der Tiberier stets, dennoch wollte er in dieser Sache Klarheit, da er sie doch nur allzu interessant fand. "Und hier schlägt sich der Bogen zu Iulianus, denn hatte dieser nicht einen Bruder? Einen Bruder, der das Cognomen Probus trug?"


    Macer hätte dies sicher wissen müssen, so nah wie er dem Iulianus stand und obwohl Probus in der Öffentlichkeit kaum in Erscheinung trat, so war seine Existenz doch sicherlich bekannt, nur selten konnte sich ein kaiserliches Familienmitglied, welches auch noch so nah mit einem Kaiser und dessen Sohn und Nachfolger verwandt war, völlig aus dem Licht der Öffentlichkeit entfernen. "Erstaunlicherweise habe ich nie vom Tode des Probus irgendetwas gehört oder gelesen. Ich selbst halte es natürlich für sehr abwegig, dass er noch lebt, schließlich hättet ihr Senatoren doch bestimmt davon gewusst. Aber gewundert hat es mich doch sehr, und so frage ich dich: Weißt du irgendetwas über den verbleib des Ulpius Probus?"


    Lepidus rechnete nun damit, dass sich alles durch Macer aufklären würde. Wahrscheinlich war der Tiberier ganz auf dem Holzweg und Probus war schon seit langer Zeit verstorben, still und heimlich, ohne, dass es jemand wirklich vernommen hätte. Das war auch die Variante, die er für am Wahrscheinlichsten hielt, doch es lohnte sich in dieser Sache Klarheit zu gewinnen und der Purgitier war wohl derjenige, der darüber am ehesten Auskunft geben konnte. Die ganze Zeit fragte sich der Tiberier aber auch natürlich, was wäre wenn...

  • Leider war Macer ein denkbar schlechter Gesprächspartner, wenn es um Familiengeschichten und Verwandtschaften ging, zumal wenn es nicht seine eigene Familie betraf. Dementsprechend schaute er auch etwas dümmlich aus der Toga, als sein Gegenüber endlich auf den mutmaßlichen Kern des Gesprächs kam. "Ja. Das heißt, nein", gab er erst einmal zur Antwort, bis er seine Gedanken geordnet hatte. "Also, ja, der Name sagt mir etwas. War er ein Bruder des Divus Iulianus? Das mag sein, da bin ich mir nicht ganz sicher. Mein Gedächtnis für solche Dinge ist nicht sonderlich gut, musst du wissen", gab er mit einem entschuldigenden Lächeln offen zu. "Daher weiß ich auch nichts über seinen Verbleib. Wenn ich mich korrekt erinnere, spielte er aber bei der Nachfolgeregelung ohnehin keine Rolle, weil es nach Valerianus eine testamentarische Erbfolge gab", fuhr er dann fort. Auch diesmal schwang ganz leicht eine Frage mit in seiner Stimme, auch wenn er sich hier eigentlich schon sehr sicher war, dass Salinator per Testament eingesetzt worden war. Das war schließlich noch nicht so lange her.

  • Nicht nur Macer schaute etwas dümmlich aus seiner Toga, auch der Tiberier stand ihm da in nichts nach. "Nun, zumindest glaube ich das es sein Bruder war, wohl zweifellos kein sehr politisch aktiver Bruder." Wirklich schade, dass der Purgitier nicht mehr über die Familienverhältnisse wusste, aber in der Tat war dies auch für einen Militär, wie es Macer war, nicht das spannendste Themenfeld in seinem bisherigen Leben. "Hmm... das bedeutet also, dass im Testament nur von Salinator die Rede war?" Das wäre entgegengesetzt dessen, was der Tiberier von Dives erfahren hatte. Möglicherweise traute er dem Iulier auch zu sehr, aber was hätten schon seine Intentionen sein können? Dass Macer und Lepidus ein unnötiges Gespräch führten? Wohl eher nicht. "Ich meine, für den Vescularier natürlich ein Glück, denn er schien in der Gunst des Kaisers höher zu stehen als dessen Verwandtschaft oder gar des Sohnes von Valerianus." Das klang natürlich überaus komisch, aber offensichtlich erinnerte sich Macer auch nicht mehr an den genauen Wortlaut des Testaments. "Salinator muss in diesem Falle wahrlich ein großartiger Mensch sein, wenn Valerian ihn so geschätzt hat. Welch Glück für uns alle." Dies fügte er vor allem deshalb noch an, weil er ja in Macer immer noch einen Senator hatte, dessen Sympathien für Salinator vielleicht nicht die allergrößten waren, wie beispielsweise die eines Octavius Victor, der aber dann doch so treu war, die Nachfolge im eigenen Interesse nicht hinterfragen zu wollen.

  • "Sein Sohn ist mit ihm verstorben, so dass seine Erwähnung schlicht nichtig ist", erinnerte Macer an das, was der Tiberier kurz vorher im Gespräch noch selber aufgeführt hatte. "Dass er danach als nächsten Nachfolger einen Vertrauten gegenüber einem weitläufigeren Verwandten bevorzugte, finde ich ansich nicht weiter bemerkenswert. Immerhin wurde er selber erst durch Adoption Sohn des Divus Iulianus. Man darf diesen gewichtigen Unterschied, ob es sich um einen Adoptivsohn handelt oder nicht sicher nicht kleinreden, aber trotzdem bleibt die Tatsache, dass er damit nicht der erste ist, der Blutsverwandtschaft zugunsten anderer Vorzüge hinten an stellt", analysierte Macer die Entscheidungen aus seiner Sicht. "Ob dies eine richtige Entscheidung war, wird sich weisen müssen. Das Format eine Divus Iulianus hat Salinator meine Erachtens noch nicht erreicht. Wie wollen wir da beurteilen, ob ein Verwandter die bessere Wahl gewesen wäre?" stellte er dann als Frage in den Raum, da er den Eindruck hatte, dass der Tiberier durchaus gewillt war, die Vorzüge und Nachteile verschiedener Männer zu diskutieren.

  • Die Reaktion des Purgitiers trug eher dazu bei, dass der Tiberier noch verwirrter schien als vorher. War es wirklich ein großes Rätsel, welches es hier zu lösen galt oder handelte es sich einfach nur um noch ein viel größeres Missverständnis? Hatte der Kaiser tatsächlich die Adoption der Blutsverwandtschaft vorgezogen? Das war möglicherweise der große Widerspruch, dem sich der Tiberier entgegensah zwischen dem, was er von Macer und dem, was er von seinem guten Iulischen Freund gehört hatte. Denn das Argument, dass bereits Valerian adoptiert war, zog nicht wirklich, denn trotz Adoption war Valerian mit Iulianus Blutsverwandt. So war Valerian der Sohn des Gaius Aelius Maccalus. Der wiederum war Sohn der Ulpia, der Tochter des Marcus Ulpius Traianus, der wiederum der Großvater von Probus und Iulianus war. Sie stammten also beide von Traianus ab. Was für den einen der Großvater war, war für den anderen der Urgroßvater. Aber sollte man den Purgitier mit diesen dynastischen Feinheiten konfrontieren? Immerhin gab er bereits zu, dass er so genau über die Verwandtschaftsverhältnisse in der Gens Ulpia nicht Bescheid wüsste. Würde man nun feststellen, Probus sei tot, so wäre es im Grunde alles völlig egal, aber da selbst Macer nichts mit Sicherheit über den Verbleib des Ulpiers sagen konnte, blieben hier immer noch Zweifel übrig. "Nun, die meisten Herrscher lassen sich erst rückwirkend wirklich beurteilen, aber ich bin grundsätzlich der Auffassung, dass eine dynastische Regelung langfristig stabiler ist, als die stetige Auswahl eines neuen Emporkömmlings." Was er natürlich generell verstanden wissen wollte, auch wenn dies natürlich etwas ungeschickt formuliert wurde und leicht auch auf Salinator als Person zutreffen konnte. "Selbst wenn uns die ausgeführte Verfahrensweise kurzfristig als sinnvoll erscheinen sollte, so ist es doch zweifelhaft, ob sie langfristig auch die beste ist. Ich meine, die Gefahr, die eine relativ offene Nachfolgeregelung einschließt, ist doch gerade diejenige, dass wir es womöglich in Zukunft noch mit mehr als einem dieser Art von Bürgerkriegen zu tun bekommen könnten. Eine dynastische Legitimität mag für viele Anerkennenswert sein, aber die Auswahl eines beliebigen Kandidaten stößt leicht auf Neider und Personen, die dem Nachfolger eben nicht die Treue halten würden und schon ruft sich ein neuer Feldherr irgendwo in den fernen Provinzen zum Kaiser aus. Ich glaube nicht, dass dies im Interesse Roms liegt. Stabilität sollte doch für uns das oberste Gebot sein, findest du nicht? Eben deshalb hoffe ich, dass der Kaisertitel in Zukunft innerhalb einer akzeptieren Dynastie bleibt." Es schien für Lepidus wirklich bedauerlich, dass die Zeit der Ulpier nun für immer vorbei sein sollte.

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