"Worauf stützt du diese Auffassung?", erkundigte sich Macer und lehnte sich mit einem ganz leichten Lächeln zurück. Urplötzlich hatte er Spaß an dieser Debatte gewonnen und Lust darauf, sie weiter zu führen. "Wir blicken zwar schon auf mehrere Generationen einer kaiserlichen Herrschaft zurück, aber alles in allem doch auf nicht mehr als ein gutes Dutzend Herrscher. Einige davon werden rückblickend als erfolgreich und vorbildlich bezeichnet, andere tragen kein positives Andenken mit sich. Einige sind aus einer Dynastie heraus an die Macht gekommen, andere durch Adoption, wieder andere durch Umsturz und Bürgerkrieg. Sind wir wirklich schon in der Lage, bei so vielen Beispielen, unter denen sich kaum zwei oder drei gleichartige finden lassen, Schlüsse zu ziehen, die uns Empfehlungen geben können? Sind nicht die Dinge, denen wir überzeugt aus guter Tradition folgen, auf sehr viele größere Zahlen von guten Beispielen gestützt?" warf er einige Fragen in den Raum. Mit einem Handzeichen orderte er Wein und Wasser, da das Gespräch nun wohl doch etwas länger dauern konnte. "Ich bin kein Philosoph und auch kein Historiker, musst du wissen. Ich mache mir nur meine eigenen, bescheidenen Überlegungen und nehme nicht einmal an, dass ich es dabei schaffe, alle Fakten und Faktoren zu kennen und zu berücksichtigen."
[Atrium] Kurz nach der Salutatio
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Freudestrahlend blickte der Tiberier auf die herbeigeschafften Getränke. Dies war genau das, was seine trockene Kehle jetzt gebrauchen konnte. "Oh, ich bin wohl auch weit davon entfernt ein anerkannter Philosoph oder Historiker zu sein." Aber immerhin studierte Lepidus hin und wieder in den Werken des Livius. Ein hervorragender Schreiber, wie er fand, doch für das jetzige Thema konnte auch Livius den beiden wohl nicht weiterhelfen, schlicht, weil er diese Zeiten des aufblühenden Kaisertums nicht mehr wirklich erlebt hatte. "Aber ich denke schon, dass sich auch aus wenigen Beispielen Schlüsse ziehen lassen, sogar ziehen lassen müssen. Wie viele Bürgerkriege brauchen wir denn, um zu sagen: So wie es gemacht wurde, scheint es nicht richtig gewesen zu sein. Müsste unser Anspruch nicht schon nach einer einzigen Katastrophe sein zu sagen: "So etwas darf nie wieder passieren"? Denken wir doch nur an das unrühmliche Ende der Dynastie der Iulier und Claudier, mit der ich mich natürlich ganz besonders auseinandergesetzt habe, seit ich Mitglied in der Societas Claudiana et Iuliana bin." Wenn Lepidus sich recht erinnert, hatte er das gegenüber Macer sogar schon einmal in seinem letzten Brief erwähnt. "Sicher ein etwas anderer Fall, als wir ihn heute vorfinden, doch war auch das Ende jener Dynastie von einem schweren Bürgerkrieg gekennzeichnet. Wer sich in der Folgezeit nicht alles plötzlich als Kaiser fühlte sowie Tod und Verderben über Rom brachte. Und selbst als Vespasian die Macht an sich nahm, kam auch schon schnell jemand, der seinen dynastischen Anspruch geltend machen wollte. Ich glaube er hieß Iulius Sabinus und behauptete der Enkel Caesars zu sein. So etwas kann natürlich nicht passieren, wenn der Princeps dynastisch legitimiert ist." Lepidus wusste zwar, dass seine Argumentation äußerst wacklig war. Schließlich konnte Vespasian ja auch gerade als positives Beispiel für einen Kaiser gelten, der eben nicht mit dem früheren Machthaber verwandt war und ob es eine legitimere Nachfolge nach Nero in den Augen des Tiberiers hätte geben können? Wohl eher unwahrscheinlich. Doch er hatte nun einmal eine sehr festgefahrene Meinung und war überzeugt, dass das Erbe nach einer mehr oder weniger entfernten Blutlinie besser war, als alle Alternativen.
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Macer ließ den Wein mit recht viel Wasser verdünnen, denn es sollte ja kein Gelage werden, sondern nur eine kleine Erfrischung zur Anregung der Diskussion. Auf die Ausführungen des Tiberiers hatte er dann auch gleich zwei Erwiderungen. "Je größer und weitläufiger die Familie ist, umso wahrscheinlicher ist es natürlich, dass es jemande gibt, der einen dynastischen Anspruch geltend machen wird. Die Gesetze der Logik sagen uns sogar, dass es früher oder später mehrere weitlufige Verwandte geben wird, die einen nahezu gleichberechtigten Anspruch haben, falls dem Herrscher selber ein Sohn fehlt. Wie willst du in diesem Fall entscheiden? Jenen zum Kaiser machen, der nach dem Stammbaum der nächste berechtigte ist? Oder doch lieber jenen, der einen geringeren Anspruch hat, aber beispielsweise die bessere Ausbildung genossen hat, das passendere Alter hat, selber schon männliche Nachkommen hat oder was sonst noch geeignete Qualitäten sind?" Er machte eine rhetorische Pause und sprach dann weiter, ohne die in den Raum gestellte Frage zu beantworten. "Welches Verfahren auch immer man wählt, der Auslöser eines Bürgerkriegs wird stets sein, dass jemand die Ergebnisse dieses Verfahrens für nachteilig für Rom hält. Kennst du ein Verfahren, welches nicht nur eine eindeutige Wahl trifft, sondern auch jene mit den größten Vorteilen für Rom?"
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Knifflige Fragen für den Tiberier, aber zumindest pflückte der Senator seine Darstellung der historischen Ereignisse und deren Vergleichbarkeit nicht auseinander. "Deine erste Frage ist natürlich nicht einfach zu beantworten, doch deine Formulierung 'nahezu' gleichberechtigt, sagt es im Prinzip schon aus, denn ein völlig gleichberechtigter Anspruch ist wirklich schwer denkbar, mag dies auch nicht ausgeschlossen sein. Denn wenn mit dem verstorbenen Herrscher diejenigen, die in Frage kommen, auf dieselbe Art und Weise mit demjenigen verwandt waren, so gilt für mich das Recht des Erstgeborenen, sollte nicht einer von ihnen - und das liegt ja ebenfalls im Bereich des Möglichen - freiwillig auf den Anspruch verzichten." Und dass diejenigen auch noch gleich alt waren, vielleicht sogar Zwillinge ist doch ein recht merkwürdiger Fall. "Qualität spielt für mich da wirklich eine untergeordnete Rolle, zumal diese auch überaus schwer messbar ist oder nicht wirklich miteinander aufgewogen werden kann. Ich meine: Der eine mag vielleicht ein großer Heerführer sein, der andere wiederum versteht sich hervorragend aufs verwalten, wen würde man denn in diesem Falle bevorzugen? Da stoße ich wohl in dieselbe Kerbe wie du und gleichsam ist mir da doch der Erbanspruch eine Sache, die deutlich solider ist, weil es keinerlei Maßstäbe bedarf." Die letzte Sache brachte den Tiberier natürlich zum grübeln, das perfekte Verfahren kannte er natürlich auch nicht, aber in so einem lockeren Gespräch konnte man ja durchaus den Gedanken freien Lauf lassen und auch einmal die utopischsten Vorschläge machen. "Nun, ich hielt ja, wie bereits gesagt, das Erbverfahren für die grundsätzlich beste und friedensstiftendste Lösung. Ein gesondertes Verfahren bedürfte es meiner Ansicht nach dann lediglich nur noch, wenn des Kaisers Gens erloschen ist und es gleichzeitig keinerlei sonstiger Nachfolgeregelung gibt, wie im Falle Salinators geschehen. Dann wüsste man nicht wer Kaiser werden könnte. Der mit dem größten Vertrauen der Armee? Derjenige, den der Senat auserwählt? Eigentlich beides keine befriedigenden Lösungen, da sie immer auch stark angezweifelt werden können. Ich selbst würde die Entscheidung in die Hände der Götter geben, denn diese sind nun wirklich nicht anzuzweifeln. Die Griechen sollen ja früher gern mit dem Los-Prinzip agiert haben, wahrscheinlich wird dies auch heute noch irgendwo betrieben. So könnte jeder, der den Anspruch hat Kaiser zu werden an jenem Verfahren teilnehmen. Selbstredend dürften es nur Personen von hohem Stand sein. Keinesfalls soll ein einfacher Bürger den Anspruch erheben Kaiser werden zu wollen." Lepidus lachte aufgrund der Lächerlichkeit des Gedankens, der eigentlich Teil eines vielleicht nicht weniger lächerlichen Gedankens war. "Auf wen dann das Los fällt, der ist der neue Herrscher Roms, was natürlich durch zusätzliche Befragung der Götter gesichert werden müsste und die Götter wissen zweifellos was für Rom das Beste ist." Lepidus war überzeugt. Ein Kaiser, der von der Armee ausgerufen wurde, konnte nicht dieselbe Legitimität haben, wie jemand, der sozusagen durch die Fügung des göttlichen Schicksals an die Macht kam, wie dies die Los-Entscheidung repräsentierte. Wenn ein Usurpator dann immer noch an der Legitimität des Kaisers zweifelte, hätte er wohl auch keine große Sympathien im Volk, denn das Volk achtet die Götter, so zumindest die blauäugige Vorstellung des Tiberiers.
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Macer hätte seinem Gegenüber nun vorhalten können, dass er seine Frage schlicht nicht beantwortet hatte. In einer Senatsdebatte hätte er dies möglicherweise auch getan, aber hier bei einer Plauderei in entspannter Atmosphäre verbot sich ein solches direktes Vorgehen natürlich von selbst. Zumal der Tiberier auch einige Aussagen getätigt hatte, die Macer durchaus erstaunten, so dass er dort viel lieber einhaken wollte. "Die Qualität eines Kaisers spielt für dich tatsächlich eine untergeordnete Rolle, weil sich diese schwer messen lässt?" fragte er daher nach. "Das halte ich für eine sehr interessante Sichtweise. Ich nehme an, daher rühr auch deine anfänglich geäußerte Besorgnis um die Rolle des Senates? Siehst du den Kaiser eher als Repräsentanten, der sich in allen inhaltlichen Dingen durch den Senat beraten lässt, so dass es auf seine eigenen Qualitäten gar nicht ankommt, so dass man ihn dann tatsächlich nötigenfalls per Los bestimmen kann? Würde dies die Rolle des Kaisers nicht zu einer völlig anderen machen, als sie derzeit ist?" schlossen sich gleich noch einige Fragen an. Macer fand diesen Gedanken tatsächlich so neu, dass er nicht einmal spontan entscheiden konnte, ob dies ein guter oder ein lächerlicher Gedanke war. Vielleicht war es auch Hochverrat so zu denken oder aber in guter augusteischer Tradition.
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"Schwer zu sagen", sprach der Tiberier fürs erste auf die Frage. "Aber mir scheint, du fragst geradezu als wenn die Qualität des Kaiser schon immer eine Rolle gespielt hätte, dabei ist dies in der vergangen Kaiserfolge nun bei weitem nicht immer der Fall gewesen" Da sprach der Tiberier natürlich die dynastische Regelung an. "Im Prinzip verändert sich durch das Los kaum etwas, da es auch nur eine Form der Auswahl ist, die über Nachfolgeschwierigkeiten hinweg helfen kann. Ich persönlich sehe den Kaiser dabei dennoch keinesfalls nur als einen bloßen Repräsentanten, der nicht auch gegen den Senat Entscheidungen treffen kann, aber einen Kaiser, der gänzlich vom Senat entkoppelt ist - sozusagen 'Beratungsresistent', dies fände ich auch keine sinnvolle Lösung. Da liegt vielmehr meine Sorge um den Senat. Sicher mag sich noch nicht abzeichnen, wie der Vescularier sich in Zukunft verhalten wird und wie seine Regierungszeit besonders nach Beendigung des Bürgerkrieges aussehen wird, dennoch sollten solche Entwicklungen zur Kenntnis genommen werden und eventuell auf Verständigung hingearbeitet werden." Lepidus nahm einen Schluck des verdünnten Weines. In letzter Zeit musste er einfach viel zu viel sprechen, so dass seine arme Stimme kaum zur Ruhe kommen konnte. "Nach all deinen Aussagen, schließe ich, dass du ein genereller Befürworter eines Auswahlverfahrens bist, was den qualitativ 'Besten' für die Nachfolge eines Kaisers bestimmt, wie weit entfernt er vom Kaiserhaus auch immer entfernt sei? Würdest du es z.B. nicht gern sehen, wenn ein möglicher Sohn des Vesculariers ihm eines Tages folgen wird, er gar eine vescularische Dynastie einrichtet?"
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"Ich denke, man muss in dieser Diskussion berücksichtigen, dass ein naher Angehöriger eines amtierenden Kaisers immer einen gewissen Vorsprung darin hat, die nötigen Qualitäten zu erwerben und zu beweisen", ging Macer zunächst auf das Verhältnis zwischen dynastischer Nachfolge und qualitätsgetriebenem Auswahlverfahren an. "Wenn ein junger Mann als Erstgeborener eines Kaisers quasi von Geburt an auf seine kommende Rolle als Nachfolger seines Vaters vorbereitet wird, dann ist es schließlich sehr wahrscheinlich, dass er frühzeitig die nötigen Einblicke und Lehren bekommt, die ihn zum bestmöglichen Kandidaten machen. Sollte ein Kaiser jedoch keinen Sohn haben oder sollte es diesem aus welchen Gründen auch immer versagt sein, die nötigen Qualitäten zu entwickeln, dann würde ich als seinen Nachfolger nicht einfach denjenigen bevorzugen wollen, den das Los bestimmt - sei es durch tatsächlichen Losentscheid oder durch das Los der Geburt - sondern denjenigen, der den Ansprüchen des Kaisers an seinen nicht vorhandenen Sohn am nächsten kommt", führte er dann weiter aus. "Von daher wäre es mir recht gleich, ob Vescularius Salinator einen eigenen Sohn als bestmöglichen Nachfolger in seinem Sinne erzieht oder einen Mann durch Adoption oder Testament zu seinem Nachfolger bestimmt, der die nötigen Qualitäten aufweist", ging er dann auf die letzte Frage ein und unterschlug dabei bewusst die Option, dass ein geeigneter Nachfolger auch aus einem Bürgerkrieg hervorgehen konnte und dann ebenfalls seine Zustimmung finden würde.
"Was deine Sorge um den Einfluss des Senats betrifft, stimmt ich mit dir überein, dass der Kaiser den Rat des Senates nicht ignorieren sollte", ging er dann auf den anderen Aspekt des Gesprächs ein. "Das gehört für mich gleichsam zu den notwendigen Qualitäten eines geeigneten Nachfolgers, dass er sich den Ratschlag des Senates zu Nutze zu machen weiß und im bewussten Umgang mit den verschiedenen dort vorherrschenden Meinungen zumindest geschult ist."
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"Da sind wir uns also durchaus einig und ich freue mich auch, dass du das so siehst.", sagte der Tiberier in Anbetracht der letzten Worte des Purgitiers. Immerhin sollte es ja auch Senatoren geben, die sich auf ihrer Senatorenwürde nur zu gerne ausruhten und denen es im Grunde egal war, ob sie der Kaiser nun ignorierte oder nicht. "Das Los ist ja auch vielmehr eine nette Gedankenspielerei", wie er sogleich unumwunden zugeben musste. So langsam gingen dem Tiberier auch die Argumente aus und alles was er sonst noch hätte sagen können, würde wohl nur noch dogmatisch klingen, weshalb er das Thema wohl langsam abhaken musste. Überhaupt war er überrascht wie tief sie noch in diese Diskussion eingestiegen waren; über so hochpolitische Themen konnte Lepidus lange nicht mehr mit jemandem sprechen, weshalb er sich wohl auch leicht darin verlor und die Debatte sehr genoss. "Auch wenn ich es für eine interessante Idee halte, so bin ich doch Realist genug, dass wir derartiges wohl niemals erleben werden. Schließlich besitzen wir auch noch andere Methoden, den Willen der Götter festzustellen." Das brachte den Tiberier ja gleich noch auf etwas weiteres, was er dem Purgitier nahelegen würde. "Ach, und wo ich gerade von den Göttern spreche. Als Aedituus des capitolinischen Tempels, möchte ich dich natürlich noch einmal recht herzlich einladen, jener heiligen Stätte einen Besuch abzustatten. Gerade in diesen Zeiten ist der Beistand der göttlichen Trias um so mehr zu erbitten. Falls du also zufällig vorhast, ein Opfer an Iuppiter, Iuno oder Minerva zu vollführen, so melde dich ruhig bei mir. Derzeit ist zwar sehr viel Betrieb - wie dies in Krisenzeiten immer der Fall ist. Aber ich hätte natürlich die Möglichkeit dich zu einem gewünschten Zeitpunkt opfern zu lassen." Ja, wenn es um so etwas ging, lohnte es sich wohl einen Aedituus zu kennen, besonders vom edelsten aller Tempel schlechthin. "Aber dies nur als Angebot, auf das du zurückkommen kannst oder nicht."
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Recht plötzlich und zumindest für Macer überraschend wollte sein Gast das Gespräch nun offenbar doch beenden und ging abgesehen von der Feststellung einer gewissen Einigkeit nicht weiter auf Macers Ausführungen ein. Jener bedankte sich dafür mit einem Nicken und freundlichen Lächeln und hörte sich dann den Themenwechsel an. "Darauf werde ich beizeiten sicher gerne zurückkommen", nahm Macer das Angebot an, auch wenn er genau wusste, dass sein öffentliches Opferverhalten in letzter Zeit doch arg zu wünschen übrig ließ. Vielleicht nahm er es gerade deshalb an, um auch ein wenig Druck auf sich selbst zu machen, seinen kultischen Pflichten auch in der Öffentlichkeit nachzukommen. "Deine Pflichten dort binden dich also jeden Tag in vollem Umfang?", erkundigte er sich, denn dies schien er aus der Äußerung herauszuhören.
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"Nun, es gibt viel zu tun im Dienste der Götter", war seine recht einfache Antwort. Er freute sich aber sehr, dass sich jemand nach seiner Arbeit als Aedituus erkundigte. "Über zu wenig Arbeit kann ich mich im Grunde nicht beklagen, nur manchmal wünschte ich mir natürlich verantwortungsvollere Aufgaben zu übernehmen." Dies konnte er ruhig zugeben. Ein Mann seines Standes auf dem Posten eines Aedituus war schließlich eher eine Seltenheit, auch wenn er natürlich Stolz war im bedeutungsvollsten aller Tempel seinen Dienst zu vollführen. "Ich hoffe, dass meine Arbeit irgendwann Aufmerksamkeit erregt. Am schönsten wäre es zum Pontifex Minor ernannt zu werden, aber bis dahin mag wohl noch etwas Zeit vergehen. Als ich das Vergnügen hatte mit einem Vertreter des Collegium Pontificium über meine Ernennung zum Aedituus zu sprechen, spürte ich, nunja, einige Vorbehalte gegenüber meinem Namen..." Ja, die Last, die Durus Tat ihm aufbürdete erwies sich immer wieder als ein Hindernis, auch wenn der Tiberier spürte, dass es in letzter Zeit doch etwas weniger geworden ist. Er wurde nicht mehr ganz so häufig damit konfrontiert, wie noch zu früheren Zeiten.
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Da Macer von den Karrieremöglichkeiten im religiösen Bereich eher unterdurchschnittlich viel Ahnung hatte, konnte er darauf jetzt nichts allzu Fundiertes erwidern, hörte aber umso interessierter zu. "Nunja, Vorbehalte gegen deinen Namen muss man in diesen Tagen wohl überall erwarten", stimmte er dann der Erfahrung zu. "Aber wer mit Tatkraft das Richtige und Gute tut, wird seinem Namen sicher wieder Ehre machen können", hatte er dann einen passenden Allgemeinplatz zur Hand. "Du kannst doch sicher auch parallel noch andere Möglichkeiten finden, positiv auf dich und deinen Namen aufmerksam zu machen, oder nicht? Nicht immer müssen es ja vorangegangene Leistungen im religiösen Bereich gewesen sein, die einen für höhere Priesterämter empfehlen, oder?"
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Auch die Allgemeinplätze hatten ja zum Glück manchmal etwas Charmantes an sich. Von Tatkraft und Ehre zu sprechen, hatte zumindest immer etwas für sich. "Nun, ich denke ich mache schon so dies und das nebenbei. Da wäre einerseits mein Engagement für die Societas Claudiana et Iuliana, aber das fällt sicher auch einseitig in den religiösen Bereich. Zum anderen gab es dann ja zuvor noch mein Tirocinium Fori bei Octavius Victor, auch wenn dieses etwas glücklos war.", wie der Tiberier letztlich zugeben musste. "Achja, und ich warte derzeit auf mein Ergebnis für den Cursus Iuris an der Schola Atheniensis. Ich dachte mir, es könnte nicht schaden sich in Zukunft eventuell als Advocatus hervorzutun." Etwas verunsichert über die Worte von Macer, fügte er dann letztlich noch an: "Denkst du das ist vielleicht noch nicht ausreichend? Sollte ich vielleicht noch mehr unternehmen?" Lepidus hatte wirklich keine Ahnung, ob sein Zeitmanagement unbedingt das Beste war und ob es nicht auch Römer gab, die ihren Tag noch deutlich besser nutzen konnten als er. Für den Müßiggang war schließlich auch der Tiberier letztlich sehr anfällig.
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Macer hatte keineswegs für Verunsicherung sorgen wollen, sondern vielmehr recht ehrlich eine Frage gestellt. "Da fragst du den Falschen", antwortete er daher lächelnd. "Ich habe selber keinerlei Erfahrung mit Priesterämter, was im übrigen alles andere als zum meinem Ruhm beiträgt. Von daher war es tatsächlich eine erstgemeinte Frage, ob es vor allem die Leistungen im religiösen Bereich sind, mit denen man sich für höhere Preisterämter empfiehlt oder auch andere Leistungen. Nicht selten haben höhere Preisterämter ja zum Beispiel auch Einfluss auf die Politik, warum selten also beispielsweise politische Leitungen nicht auch Einfluss auf die Besetzung der Collegien haben?" sponn er seinen eigenen Gedanken weiter.
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Der Tiberier hatte in den Fragen des Macer tatsächlich so etwas wie eine versteckte Aufforderungen hineininterpretiert. Vielleicht nahm er auch einfach an, dass Macer ohnehin schon alles wissen müsste und es demzufolge nur so gemeint sein konnte, als ernsthafte Fragen ist ihm das überhaupt nicht in den Sinn gekommen, weshalb er dann auch ein erleuchtetes: "Achso" von sich gab. "Auch wenn ich noch lange nicht in einer Position bin, wo ich die Kriterien oder Qualifizierungen für höhere Priesterämter überblicken könnte, aber in der Tat ist es sicherlich von Vorteil, wenn man nicht nur etwas vom Ritus versteht, denn in der Vergangenheit gab es ja immer wieder Personen, die sich beispielsweise politisch als auch religiös hervortaten." Das eine ohne das andere fand Lepidus auch sogar nicht unbedingt förderlich. "Allerdings ist hier wohl die Frage, ob ein religiöses Engagement beim Aufstieg in der Politik hilft oder ob es umgekehrt ist. Sicherlich besteht ein gewisses Wechselverhältnis und sicher könnte ich mir vorstellen, dass politische Leistung Einfluss auf die Besetzung von Priesterämtern hat, dass womöglich manche Kandidaten ganz im Sinne oder Wunsche verschiedener Politiker ausgewählt werden. Aber wirklich stichhaltiges kann ich dazu auch kaum sagen. Meine Meinung wäre maximal, dass die politische Karriere mehr auf das religiöse Engagement angewiesen ist, als der religiöse Bereich auf die Politik. Aber da würdest du mir wahrscheinlich widersprechen wollen, weil du selbst es allem Anschein nach ohne ein religiöses Amt bis nach ganz oben geschafft hast?" Macer war da vielleicht tatsächlich so etwas wie das passende Gegenbeispiel. "Aber wichtiger als dieses und jene Engagement scheint mir dann doch letztlich die Standesangehörigkeit zu sein. Viele Ämter sind Angehörigen des Ordo Senatorius vorbehalten, andere sind gar nur von Patriziern wie meiner Wenigkeit auszufüllen", gab der Tiberier noch zu bedenken. "Gut möglich, dass es hier und da sogar derzeit zu Schwierigkeiten bei der Besetzung von wichtigen Priesterämtern gekommen ist, da doch viele Patrizier die Stadt verlassen haben und der Kreis der Kandidaten sehr geschwunden ist."
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"Ja, ganz offensichtlich kommt man auch ohne nennenswerte Leistungen im religiösen Bereich ziemlich weit nach oben", stimmte Macer seiner Rolle als Gegenbeispiel zu. "Ich kannte und kenne einige Pontifices, habe sicher auch deren Unterstützung gehabt, aber ansonsten nie eine besonders enge Nähe zu den Collegen gepflegt", erläuterte er dann seinen politischen Weg. "Ein Umstand, den ich zugegebenermaßen seit geraumer Zeit zu änder gedenken, aber ähnlich wie dir fehlt mir noch so der rechte Ansatzpunkt, an dem ich beginnen soll." Schließlich konnte man nicht einfach zu einem Collegium gehen und sag 'Lasst mich rein, ich will mitmachen'. "Und aus dem Mangel an Patrizier kannst wohl auch eher du als ich Kapital schlagen", schlug er dann wieder den Bogen zu den Wünschen und Möglichkeiten seines Gastes. "Auch wenn ich mir denken kann, dass unser aktueller Kaiser in seiner Eigenschaft als Pontifex Maximus und seiner bekanntermaßen geringen Liebe für Patrizier wohl versuchen wird, den Einfluss jener rein patrizisch geprägter Collegien zurückzudrängen, oder?", erkundigte er sich dann weiter. Genaugenommen hatte er keine Ahnung, wie ernst Salinator die religiösen Pflichten eines Pontifex Maximus überhaupt nahm. Nennenswerte öffentliche Opfer hatte er von ihm jedenfalls noch nicht gesehen.
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"Das wäre natürlich gut möglich. Sicher spielt sich vergleichbares hinter den Kulissen ab, das könnte ich mir durchaus vorstellen. Wenn aber auch der Einfluss jener Collegien oder Ämter zurückgedrängt wird, das Anrecht der Patrizier wird er wohl dennoch nicht auslöschen können. Das wäre doch ein zu großer Eingriff in die kultische Ordnung und die religiösen Traditionen, die selbst Salinator nicht ignorien kann." Zumindest glaubte das der Tiberier. "Aber sicher hat der Kaiser auch derzeit ohnehin allerhand mit dem Krieg zu tun. In wie weit er Einfluss auf die Collegien nehmen wird, wird sich wohl erst in Friedenszeiten wirklich herausstellen."
Als Macer davon sprach, dass ihm der Ansatzpunkt fehlen würde, dachte der Tiberier durchaus, dass er ihm vielleicht sogar weiterhelfen konnte. "Wahrscheinlicher ist es einfacher, als man denken sollte. Ich selbst wurde dazu aufgefordert schlicht einen Brief an das Collegium Pontificum zu senden und dort meinen Wunsch nach einem religiösen Amt äußern. Unter Angabe meiner Motivationen und meiner Qualitäten, lud mich das Collegium zu einer Art Vorstellungsgespräch ein, in dessen Verlauf sich dann ergab, dass ich Aedituus des Iuppiter-Tempels werde. Möglicherweise wäre auch dies ein Weg für dich, solltest du nach wie vor diese Ambitionen haben." Etwas hellhörig wurde der Tiberier bereits als Macer davon sprach, einige Pontifices zu kennen und hob sich eine Nachfrage dazu, bis zum Schluss auf. "Nun, wenn du sogar noch einige Pontifices kennst, könnte es da nicht sogar hilfreich sein, dass du für mich eine Art Empfehlungsschreiben aufsetzen könntest? Selbst wenn du keine besondere Nähe zum Collegium pflegtest, bin ich mir doch recht sicher, dass allein dein Name einiges bewirken könnte." So die halboffen vorgetragene Bitte des Lepidus, der diesen Gedanken recht interessant und vielversprechend fand.
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Macer kratzte sich nachdenklich am Kinn, während der Tiberier ausführte, wie er an seinen Posten gekommen ist. Dann seufzte er ein wenig. "Ich bin kein Freund solcher Bewerbungsschreiben und Vorstellugnsverfahren. Mag sein, dass das modern ist in unserer Zeit, aber so richtig anfreunden kann ich mich damit nicht. Mit den richtigen Leuten unverbindlich sprechen, die holen dann wieder Empfehlungen ein, man spricht wieder einmal drüber und dann wird man für so einen Posten angefragt - so stelle ich mir das vor. Das gereicht allen Beteiligten zur Ehre und niemand verliert sein Ansehen, wenn er in einem förmlichen Bewerbungsprozess eine Niederlage einstecken muss. Aber gut, derzeit läuft es wohl eben anders. Ich werde sehen, was ich daraus für mich mache", kommentierte er die neuen Informationen, bevor er sich der kleinen Bitte zuwandte. "Und gerne kann ich schauen, was ich für dich tun kann. Ich fürchte allerdings, von den mir bekannten Pontifices halten sich zahlreiche derzeit nicht in der Stadt auf, so dass es etwas schwierig sein wird, ihnen einen Brief zukommen zu lassen."
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Lepidus musste unweigerlich Lachen als Macer von den 'modernen' Methoden sprach. "In der Tat, heute funktioniert alles etwas anders. Aber sicher hat dieses Verfahren auch seine Vorteile, denn mit den richtigen Leuten kommt man ja mitunter nur schwer in Kontakt." Obwohl er dem religiösen Treiben schon sehr nahe war, kannte Lepidus nicht einmal einen Pontifex Minor oder jemanden der einen gekannt hätte. Selbst Macer hatte derzeit nicht den Kontakt zu Leuten, die wirklich in der Stadt waren. Das macht es natürlich schwierig entsprechende Gespräche aufnehmen zu können und da ist das schriftliche Verfahren einer formalen Bewerbung dann immerhin wenigstens ein klein wenig aussichtsreich. "Wahrscheinlich würde es auch schon ein kleines Schriftstück tun, wo du anfügen kannst, dass du als Consular den Bürger Tiberius Lepidus als aufrechten Römer kennst, der seine religiösen Pflichten sehr ernst nimmt, der dir als überaus kompetent erscheint und den du darüber hinaus für höhere Aufgaben nur wärmstens empfehlen kannst. So etwas in der Art. Ich denke, wenn das Collegium Pontificum auch derzeit nicht mit Leuten besetzt ist, die du näher kennst, so werden sie dennoch mit deinem Namen etwas anfangen können." Zumindest hoffte das der Tiberier. "Du selbst hast natürlich auch mehr davon als einen guten Gefallen getan zu haben. Sollte ich beispielsweise zum Pontifex Minor berufen werden, hast du folglich sogar einen Kontakt ins oberste Priestercollegium, welcher auch hier in der Stadt ansäßig ist. Und ein solcher Kontakt kann sicher nicht schaden." So viel zum Einfluss von Politik auf religiöse Ämter.
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Macer fand es etwas unnötig, dass ihm der Tiberier nun quasi ein Empfehlungsschreiben diktierte, ließ sich aber nichts anmerken. "Ich werde schauen, wann und wie ich etwas für dich erreichen kann", versprach er stattdessen recht unverbindlich. "Wer ist eigentlich dein Patron? Kann dieser nichts für dich arrangieren?", erkundigte er sich dann, denn wenn es um Empfehlungen ging, war der Patron zweifellos eine der wichtigsten Anlaufstellen überhaupt.
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"Lass mir das Schreiben dann einfach in den nächsten Tagen zukommen, mein aufrichtigster Dank sei dir gewiss", sprach der Tiberier mit einem Lächeln und wollte die Unverbindlichkeit in den Worten Macers gar nicht erkennen. Das war auch nicht so sein Ding. Gesagt, gemacht. So funktionierte doch die Welt, oder nicht? "Patron, ja, darum stehts derzeit nicht so gut. Du weiß ja, Bürgerkrieg und so weiter.", antwortete er knapp. Die Vielzahl an Personen, die dafür seiner Ansicht nach in Betracht kamen, hatten Rom leider verlassen. "Aber ohnehin sollte der kürzeste Weg zu helfenden Händen, derjenige zur eigenen Verwandtschaft sein, nicht wahr?" Es funkelte in Lepidus Augen, als wäre sein gegenüber eine glänzende Goldmünze. Ja, so viel Familienliebe sollte man doch schon haben, zumindest, wenn es dem Tiberier gerade passte. Zu diesem Zeitpunkt ahnte er natürlich noch nicht, dass das Band zwischen ihm und Macer durch den Tod Albinas schon bald durchschnitten sein würde.
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