Auf dem Gestüt der Decimi
„Lass das!“ zischte Aquila wütend und machte einen Satz zur Seite, als Zähne in seine Richtung schnappten.
„Beherrschung, Decimus“, dozierte eine ruhige, sonore Stimme irgendwo hinter ihm. Aquila verdrehte die Augen. „Beherrschung, Decimus“ äffte er in höherer Tonlage die Stimme nach, wohlweislich allerdings so leise, dass er nicht gehört werden würde. Beherrschung war leichter gesagt als getan, wenn man mit einem wildgewordenen Gaul in einem Paddock eingesperrt war und das Vieh einsetzte was es so im Arsenal hatte – Hufe, Zähne, sechs- bis siebenmal so viel Gewicht wie er...
Mit einer Mischung aus alarmierter Aufmerksamkeit und mehr als nur einem Anflug von Nervosität behielt er den Gaul im Blick, der nicht weit von ihm entfernt auf- und abtrabte und dabei, das hätte Aquila schwören können, ihn auslachte. Er wusste gar nicht so genau, was das hier eigentlich sollte. Abgesehen davon, dass er mit jedem weiteren Mal, dass er im Dreck landete, schmutziger wurde und er gerade Blessuren sammelte wie bunte Steine als Kind, hatte er einfach nichts davon zu versuchen, ein Miststück von Pferd zu bändigen, das sich einfach nicht bändigen ließ. Wenn das nicht gerade mal wieder eine Lektion in Demut sein sollte... aber das war eigentlich eher Tarasios. Der griechische Hauslehrer, der war groß darin, Demut und Bescheidenheit zu predigen. Und sich irgendwelchen Kram auszudenken, wie er diese... Tugenden seinen Schülern auch beibringen konnte. Also so richtig beibringen, nicht nur in der Theorie, sondern auch in der Praxis – was das ein oder andere Mal im Dreck liegen durchaus miteinschloss.
Nur: es war halt nicht Tarasios, der da hinter ihm stand und im Kern von ihm wollte, dass er den widerspenstigen Gaul im Handumdrehen in ein zahmes Lamm verwandelte. Es war Arbiscar, und der Iberer hatte mit Demut nicht viel im Sinn.
„Beherrschung gehört zu den Dingen, die du dein Leben lang wirst brauchen können. Beherrsche dich selbst, und du beherrschst andere.“ Fantastisch. Eine Lektion über Selbstbeherrschung vom Meister der Choleriker, der so schnell in die Luft gehen konnte wie kein anderer. Noch dazu eine, die – zumindest in seinen Augen – ziemlich sinnbefreit war. Ganz großes Theater. Aquila verdrehte wieder die Augen und linste dann zu seinem Lehrer hinüber. „Vielleicht solltest du das dem Vieh erzählen“, maulte er zurück, beide Arme anklagend in Richtung Gaul gestreckt, und duckte sich dann unter dem Stück Holz hindurch, mit dem Arbiscar ihn als Reaktion auf den Widerspruch bewarf. „Ist doch wahr! Den Gaul kratzt das wenig, ob ich mich beherrsch, der will einfach nicht!“ Was wohl kein Wunder war. Die Herde der Anderthalbjährigen war erst vor kurzem von den Weiden zurückgetrieben worden, wo sie den ganzen Sommer mehr oder weniger verwildert hatten zubringen dürfen, bevor sie jetzt zugeritten wurden. Und so wie der hier sich gerade aufführte, hatte Arbiscar die Order gegeben, einfach den wildesten herzuschaffen. Nun war es ja nicht so, dass Aquila nicht auch schon beim Zureiten geholfen hätte. Aber er machte das nicht täglich. Und an die widerspenstigsten Viecher hatten sie ihn in der Regel nicht rangelassen. Und überhaupt war das was ganz anderes, weil man nicht einfach so mit dem Gaul im Paddock herumlief und irgendwie versuchte, sich dem zu nähern – da wurde dem Vieh überhaupt gar nicht erst so viel Freiheit gelassen, wenn es ans Zureiten ging. Hier allerdings... Aquila blieb nichts anderes, als sich dem Gaul zu nähern, auszuweichen aus wenn der sich auf Attacke verlegte – ein Manöver, das ihm nicht immer gelang –, wieder zu nähern, hin und her, her und hin, ohne dass er einen nennenswerten Schritt vorwärts gekommen wäre. Er hatte ja noch nicht mal ein Seil, womit er das Vieh zumindest mal hätte festbinden können, wenn er nah genug dran war und schnell genug. Und der Gaul hatte das mittlerweile kapiert, der spielte doch nur mit ihm... kam ihm jedenfalls so vor. Natürlich gab es auch so Griffe, um ein Pferd einzufangen und zu halten, aber die funktionierten halt nicht, wenn es partout nicht wollte, dafür waren die Viecher zu stark, wenn sie es drauf anlegten.
Arbiscar wiederum kratzte es herzlich wenig, was oder was nicht einer seiner Schützlinge vorzubringen hatte über die Sinnhaft- oder Sinnlosigkeit seines Unterrichts. Er warf noch ein Stück Holz – diesmal traf es, weil er das Ausweichen Aquilas einkalkulierte –, ignorierte den Aufschrei und fuhr trocken fort: „Du wirst den Gaul nicht dazu bringen zu tun was du willst, wenn du weiter so rumhampelst.“
Diesmal zerbiss Aquila sich eine Erwiderung auf der Lippe. Hatte ja eh keinen Sinn. Mit einem frustrierten Grunzen wandte er sich wieder dem Gaul zu, und noch während er mit einem Ohr dem Iberer lauschte, der irgendwas weiter palaverte, ging das Vieh wieder auf ihn los – und diesmal erwischte es mit den Zähnen seinen linken Oberarm. Aquila brüllte auf vor Schmerz, und kurzerhand ballte er die Rechte zur Faust und ließ sie auf die Schnauze des Gauls krachen, direkt zwischen die empfindlichen Nüstern. Mit einem Aufwiehern stob das Tier davon, während Aquila in die andere Richtung davon sprang. Und hinter sich ein tadelndes „Tztztz“ hörte, gefolgt von: „Und du glaubst, damit kommst du weiter, wenn dir in deiner späteren Laufbahn wer krumm kommt?“
Aquilas Gesicht war eine halb gequälte, halb finstere Grimasse. „Ja. Bei Legionären funktioniert das ganz sicher. Bei Sklaven erst recht.“
Der Iberer grinste maliziös. „Und was ist mit Senatoren?“
Für einen Moment war Aquila still, verlegen um Worte, während es gleichzeitig in seinem Hirn hämmerte, dass das ganze hier doch einfach Schwachsinn war. Nur eine etwas kreativere Art, Schmerzen zuzufügen. Dann platzte aus ihm heraus: „Die werden ja wohl nicht beißen!“