„Wer keine Lust auf Sklavenmarkt oder noch was schlimmeres hat, kommt mit mir!“ hatte Brennus gerufen, als Demetrios der Sklavenschaft den Tod der Domina verkündet hatte. Kurz zuvor hatte Beroe in der Küche zwei Sklaven belauscht, die laut darüber nachgedacht hatten was mit ihnen geschehen würde, sobald die Domina tot sei. Es gab ja schließlich keinerlei Nachkommen mehr, an die sie hätten vererbt werden können. Welche Optionen blieben da noch übrig?
Die Worte des Galliers hatten nicht nur in Beroe etwas ausgelöst. Zum ersten Mal in ihrem Leben wollte sie mutig sein. So eine Chance würde nicht so schnell wieder kommen. Denn eins wusste Beroe ganz genau: Nie wieder wollte sie auf einem Verkaufspodest stehen müssen und dabei von gierigen Blicken gelöchert werden.
So geschah es also, dass sie und ein paar der anderen niederen Haussklaven die Villa am frühen Morgen verlassen hatten. Auch Arete, die Leibsklavin der Domina ging, nachdem sie ihre Herrin ein letztes Mal für ihre finale Reise herrichtet hatte. Nur einige wenige waren geblieben. Darunter der alte Demetrios, der alte Maiordomus und Vertraute des Dominus.
Brennus der einstige Leibwächter des Dominus hatte die kleine Gruppe angeführt. Er hatte den Weg direkt in die Berge gewählt. In Misenum unterzutauchen wäre einfach nur fahrlässig gewesen. Die Gefahr, dort erkannt zu werden, war einfach zu groß.
Eine Höhle in den Bergen war für die ersten paar Tage zu ihrem Versteck geworden, bis sie sich gewiss waren, dass niemand sie verfolgen würde. Dann wanderten weiter nach Norden und mieden dabei die größeren Städte. Die Bauern auf dem Land waren meist hilfsbereit. Doch Beroe merkte schnell, dass das Landleben auf Dauer nichts für sie war. Nach einigen Wochen verließ sie die Gruppe und wanderte alleine nach Rom weiter. Vor vielen Jahren war sie schon einmal in dieser riesigen Stadt gewesen. Doch ihre Erinnerungen daran waren schon längst verblasst.
Selbst als Beroe längst die Stadtgrenzen überschritten hatte und in das geschäftige Getümmel eingetaucht war, sah Beroe sich immer wieder um, da sie glaubte, es verfolge sie jemand. Aber wer sollte ihr jetzt noch etwas anhaben wollen? Sie war doch schon einige Wochen unterwegs, weit weg von dem Ort, der ihr Zuhause gewesen war. Und außerdem, wer hätte sie verfolgen sollen? Alle, die es gekonnt hätten, waren tot oder hatten sich selbst aus dem Staub gemacht. Außerdem gab es ganz bestimmt niemanden in Rom, der sie gekannt hätte. Dieser Verfolgungswahn der sie manchmal immer noch überkam und der sie dann regelmäßig verunsicherte, machte sie noch ganz verrückt. Zudem war es für sie immer noch ein befremdliche Gefühl, so ganz auf sich allein gestellt zu sein. Niemand war mehr da, der Befehle erteilte, der sie beaufsichtigte und triezte oder ihr Vorhaltungen machte und mit der Peitsche drohte, wenn sie mal wieder das Brot im Ofen verbrennen gelassen hatte oder eines der teuren Gläser fallen ließ. Diese Zeiten gehörten nun endlich der Vergangenheit an! Beroe konnte es immer noch nicht wirklich wahrhaben. Die ganzen Ereignisse der letzten Wochen und Monate, der Bürgerkrieg, der das Leben des jungen Dominus gefordert hatte, die Verhaftung des Hausherren durch die Rebellen, weil erauf den falschen Mann gesetzt hatte und sein daraus resultierender Selbstmord in seiner Zelle, sowie letztendlich der Tod der Domina, die die Wochen, nachdem ihr Gatte fort war, nur noch im Opiumrausch dahinsiechte und am Ende für immer eingeschlafen war.
Es hatte wirklich keiner großen Überlegung bedarft, ob sie hier bleiben oder weiter ziehen sollte. Rom war der ideale Ort, um in Freiheit zu leben, so glaubte sie. Ein Leben in Freiheit! Freiheit - Nächtelang hatte sie sich den Kopf darüber zerbrochen wie es wohl sein könnte, frei zu sein. Diese süße Frucht, die noch vor einigen Wochen für sie unerreichbar schien, hielt sie nun in ihren Händen und sie konnte es kaum erwarten, davon einen ordentlichen Bissen zu kosten. Doch bevor es soweit war, sich an der Freiheit vollends zu laben, mussten noch einige wichtige Dinge erledigt werden: Ein Platz zum Schlafen musste gefunden werden. Und etwas Essbares wäre sicher auch von Vorteil. Und um diese beiden Dinge auf Dauer zu gewährleisten zu können, war eine sinnvolle Beschäftigung, die einen guten Verdienst mit sich brachte nur von Vorteil. Man Arbeitete und bekam dafür auch noch Geld! Das musste man sich erst einmal vorstellen!
Nun, das mit der Arbeit hatte gewiss noch etwas Zeit. Rom wurde ja auch nicht an einem Tag erbaut!
Vielmehr meldete sich Beroes Magen lautstark zu Wort, der seitdem sie das Landgut ihrer ehemaligen Besitzer fluchtartig verlassen hatte, ständig zu kurz kam. Hie und da hatte sie auf dem Land etwas bei freundlichen Leuten ergattern können. Aber hier in der Stadt schwanden ihre Hoffnungen bald, nachdem sie nicht nur einmal mit bösen Verwünschungen vor einer zur anderen Garküche vertrieben worden war nur weil sie höflich gefragt hatte, ob man für sie etwas übrig hätte.
Das waren leider die Schattenseiten des Frei- Seins. Zu den gewohnten Mahlzeiten gab es kein Stück Brot oder eine Schale voll Puls.
Da Beroes Hunger mit der Zeit immer schlimmer wurde und sie von der langen Reise mehr als erschöpft war, ließ sie sich irgendwo nieder und begann nachzudenken, was sie tun konnte, um ihren Hunger zu stillen.
Nun ja, da gab es zum einen das Betteln. Eine relativ einfache Art der Geld- beziehungsweise der Nahrungsbeschaffung. Man musste nur das passende Fleckchen finden, an dem viele potentielle Geber vorbei kamen und man sich dann platzieren konnte, um die Hand aufzuhalten. Allerdings war sich Beroe sicher, dies würde sie einiges an Überwindung kosten.
Desweiteren war da noch die Möglichkeit des Stehlens. Diese Variante war im Gegensatz zum Betteln doch gleich etwas schwieriger. Man musste geschickt und schnell sein. Zwei Eigenschaften die beide nicht unbedingt Beroes Stärken waren. Also fiel diese Option schon mal flach.
Die dritte Möglichkeit (und bei einem Großteil der Bewohner dieser Stadt wohl auch die gängigste) war schließlich noch der käufliche Erwerb von Nahrungsmitteln. Diese Option zog allerdings Beroe erst einmal gar nicht in Betracht. Denn woher sollte sie das Geld nehmen, wenn Möglichkeit eins und zwei nicht so einfach umsetzbar waren?
Beroe zerbrach sich weiter den Kopf, was mit einem leeren Magen gar nicht so einfach war. Wie kam man in dieser Stadt zu Geld, um ein Stück Brot zu kaufen?