Horti Lolliani - Da trifft es sich ganz ungeniert

  • Als Avianus vor einiger Zeit in den Barracken der Castra aufgewacht war, hätte er schwören können, dass er selten einen seltsameren und absurderen Traum geträumt hatte, der sich gleichzeitig dennoch so real angefühlt hatte. Bis er sich durch die Haare gefahren war und eine auffallend empfindliche Stelle am Hinterkopf ihn in die Realität zurückkatapultiert hatte – gemeinsam mit der Tatsache, dass sein Geldbeutel erstaunlicherweise um einige Münzen ärmer, dafür wiederum um ein ganz bestimmtes Schmuckstück reicher war. Es hatte ihn einige Minuten gekostet, seine Gedanken zu ordnen und sich dessen bewusst zu werden, dass er ein Versprechen einzulösen hatte, das er nicht nur in einem Traum gegeben hatte, allerdings zu einem Zeitpunkt, zu welchem er zweifellos völlig neben sich gestanden hatte.
    Seitdem war mehr als nur ein freier Abend vergangen. Er hatte zeitweise daran gedacht, den Anhänger irgendwie loszuwerden und seine Besitzerin gemeinsam mit der ganzen Angelegenheit schlicht zu vergessen. Niemand hätte ihn daran gehindert oder dafür bestraft, er hätte sein Leben einfach wie gehabt fortgesetzt und alles wäre beim Alten geblieben. Dann wäre er aber nicht er gewesen. Irgendwann hatte sein schlechtes Gewissen scheinbar doch überhand gewonnen und ihm die Entscheidung aufgedrängt, ebendies nicht zu tun, nicht einfach alles zu vergessen. Und irgendwie vermutete der Iunier, dass er irgendwie im Grunde gewusst hatte, was er tat, als er sich damals auf den Vorschlag der jungen Frau eingelassen hatte. Und dass er gewusst hatte, dass er sein Versprechen halten würde.
    Wäre er jedenfalls nicht so, wie er eben war, säße er in diesem Moment nicht in den Horti Lolliani, um auf eine junge Frau zu warten, die wahrscheinlich die Hoffnung, das Amulett irgendwann an der vereinbarten Stelle zu finden, bereits aufgegeben hatte. Er hatte den Anhänger tatsächlich am Abend zuvor unter die Steine gelegt. Dennoch war er sich noch immer nicht vollkommen sicher, warum er hier war. Auch weil er eigentlich der Meinung war, ihr für ihre Hilfe bereits zu genüge gedankt zu haben. Natürlich fand er eine Menge kleiner Gründe, allerdings keinen, der gut genug war, um alle Bedenken aus der Welt zu schaffen, und irgendwie wünschte er sich, dass sie ihm heute einen Grund geben würde, mit dem sich schließlich alle Zweifel verflüchtigen würden.
    Er lehnte sich zurück an den Baum, etwas abseits von dem Eingang, in dessen Nähe er das Amulett am Vortag abgelegt hatte und doch hatte er den Weg gut im Blick. Nur eines stand fest: Als er an diesem Abend die Gärten betreten hatte, hatte er das Schmuckstück nicht mehr finden können. Und wer außer Sibel sollte zwischen den unscheinbaren Steinen nach Schmuck wühlen?

  • Nach jenem Abend, an dem sie den Iunier wieder getroffen hatte, war sie regelmäßig zu den Horti Lolliani gegangen, in der Hoffnung dort, wie vereinbart, ihr Amulett wieder zu finden. Immer wieder war sie enttäuscht worden. Anfangs hatte sie sich damit getröstet, dass er sie ja darauf hingewiesen hatte, dass es sich bis zu ihrem nächsten Treffen hinziehen konnte. Doch als bereits schon einige Wochen verstrichen waren und sie unter dem Stein immer noch nichts vorgefunden hatte, resignierte sie langsam. Im Grunde, so begann sie sich einzureden, war er nicht besser, als die meisten anderen Römer. In ihren Augen war sie nichts weiter als Dreck. Sie erinnerte sich wieder, was Silanus ihr gesagt hatte. Und weil sie sich an seine Worte erinnerte, machte es ihr auch wenig aus, genau solche Leute zu bestehlen.


    Eigentlich hatte sie gar nicht vor, an diesem Tag in die Gärten zu gehen, einfach um sich eine weitere Enttäuschung zu ersparen. Doch aus der Gewohnheit heraus war sie dann doch zu jenem Platz gegangen, an dem der Iunier ihr Amulett platzieren sollte, falls er sie treffen konnte. Und da sie nun schon einmal hier war, sah sie auch unter dem Stein nach. Als sie das runde Amulett, auf dem ein mit Lorbeer bekränztes A eingeritzt war, erblickte, konnte sie es erst gar nicht glauben. Eine unbeschreibliche Freude erfasste sie. Sie lächelte vor Glück in sich hinein und wünschte, es wäre endlich Abend.


    Stunden später, als der Nachmittag zu Ende ging, machte sie sich schließlich erneut auf den Weg. Extra für Ihn hatte sie ihre neue grüne Tunika angezogen, so dass sie nicht ganz so verrucht wie bei ihrem letzten Zusammentreffen wirkte. Ihr Amulett trug sie wie damals wieder um den Hals.
    Beroe sah sich suchend um, als sie in den Teil der Gärten kam, in dem sie sich treffen wollten. Noch ein paar Schritte weiter, hoffte sie, ihn endlich zu entdecken. Aber sie konnte ihn nicht finden. Sie begann sich bereits einzureden, dass der Iunier auf diese Weise nur das Amulett loswerden wollte.
    Doch kaum hatte die diesen Gedanken zu Ende gedacht, erblickte sie ihn endlich. Da stand er, gegen einen Baum gelehnt. Ihre Schritte wurden schneller. Ein bisschen aufgeregt war sie schon, doch ihre Freude war größer.
    „Aulus! Wie schön!“, begrüßte sie ihn und trat direkt zu ihm hin. Beroe strahlt über ihr ganzes Gesicht. Sie vermied es, ihn zu umarmen, auch wenn sie dies gerne getan hätte. Doch sie war sich nicht sicher, ob ihm diese Geste unangenehm war.

  • Mit einem Mal war er sich sicher, Schritte zu hören. Er stand auf und spähte zum Weg. Da war sie, sah sich um und ihr Blick blieb mit einem Mal an ihm hängen. Sie hatte den Anhänger gefunden, natürlich hatte sie das. Die Tatsache, dass sie offensichtlich seit ihrem damaligen Treffen jeden Tag nach dem Amulett gesucht hatte, machte ihm klar, wie wichtig ihr das hier sein musste und wie viel sicherer als er sie sich bei dieser Sache war. Er ging ihr ein paar Schritte entgegen und erwiderte ihr Lächeln. An Sibels strahlen würde es vermutlich nicht heranreichen, dennoch würde es ihr zeigen, dass er aus freien Stücken hier und schlussendlich nicht unglücklich darüber war.
    "Salve, Sibel", grüßte er zurück, sowie sie vor ihm stand. Er betrachtete sie einen Augenblick lang, bemerkte dass sie nicht die zerschlissene Tunika trug, wie beim letzten Mal, und musste sich tatsächlich zurückhalten nicht danach zu fragen, woher sie das mit Sicherheit nicht ganz billige Kleidungsstück hatte, mit dem sie sich jetzt kleidete. Sein Lächeln erhielt aber trotzdem kurz darauf einen ganz anderen Dämpfer. Er griff sich mit der Hand in den Nacken. "Es hat eine Weile gedauert bis…" Ja, bis was? Er brach ab. Die Wahrheit konnte er ihr nicht sagen und sie belügen wollte er nicht. Es hatte allein an ihm gelegen und nicht an seiner Arbeit. Und er wollte das strahlende Lächeln nicht im nächsten Moment wieder aus ihrem Gesicht tilgen. Was auch immer er für diese Frau empfand, er wollte sie nicht bewusst unglücklich machen, selbst wenn nur aus purer Höflichkeit. Aber der Ärger darüber, dass sie ihn dem Patrizier ausgeliefert hatte, war bereits so gut wie vergessen. "Es tut mir leid", sagte er bloß seufzend und hoffte, die Sache wäre damit gegessen – vor allem weil er es mit seiner Entschuldigung ehrlich meinte, auch wenn sie wohl nicht wirklich verstand, für was er sich entschuldigte. Er wartete einen Moment auf ihre Reaktion. Er jedenfalls fühlte sich damit wieder ein ganzes Stück besser. Und was spielte es schon für eine Rolle, dass er ein wenig Zeit gebraucht hatte? Wichtig ist doch, dass wir jetzt beide hier sind, sagte er in Gedanken zu sich selbst, wenn auch nicht zur Gänze davon überzeugt. Hätte sie genauso gezögert wie er, wäre es wahrscheinlich nie dazu gekommen, dass sie sich heute trafen.
    "Sollen wir uns irgendwo hinsetzen? Oder willst du ein kleines Stück gehen?", fragte er freundlich, um endgültig wieder das Thema zu wechseln und sie beide auf andere Gedanken zu bringen.

  • Es erfüllte sie mit einem warmen Gefühl, als er sie bei ihrem eigenen Namen nannte. Es gab wohl außer ihr nur noch einen Menschen, der diesen Namen kannte und dieser Mensch stand nun leibhaftig vor ihr und erwiderte nun ihr Lächeln. Mit Worten hätte sie nicht beschreiben können, wie sehr sie sich freute, ihn zu sehen. War er doch, ohne es wahrscheinlich jemals zu ahnen, ihr Fels in der Brandung ihres ach so komplizierten Lebens. In seiner Gegenwart konnte sie all die dunklen Seiten ihres Daseins für eine Weile ausblenden.


    „Das macht doch nichts! Ich wusste doch… Du hattest bestimmt viel zu tun.“, entgegnete sie ihm, als er versuchte, die Worte zu finden, um sich für die lange Zeit des Wartens zu entschuldigen. Ihre Bedenken, die sie in all dieser Zeit gehegt hatte, behielt sie für sich, denn letztlich hatten sie sich ja als völlig unbegründet erwiesen. „Jetzt bist du ja da. Alleine das zählt.“
    Sie strahlte ihn immer noch an und man konnte ihr das Glück, das sie empfand förmlich im Gesicht ablesen. Alleine die Tatsache, dass er überhaupt gekommen war, um sie wiederzusehen, war so surreal. Ein Mann seines Standes der sich mit einer geflohenen Sklavin trifft, die sich als Lupa durchzuschlagen versucht. Und er war nicht gekommen, um ihre Dienste in Anspruch zu nehmen. Er war wegen ihr gekommen!


    „Lass uns ein Stück gehen, wenn es dir recht ist.“ Es war wohl besser, wenn sie erst ein Stück gingen. In diesem Teil der Gärten war zwar nicht viel Publikumsverkehr. Aber sicher war sicher. Beroe dachte dabei in erster Linie an den Iunier, nicht an sich. Auf den Gedanken, silanus könne ihr eventuell hinterher spionieren lassen war sie noch gar nicht gekommen.
    „Wie geht es deinem Kopf? Hattest du noch schlimme Schmerzen... danach?“, erkundigte sie sich, um ein Gespräch zu beginnen.

  • Es schien sie nicht groß zu belasten, dass er sie derart lange hatte warten lassen. Innerlich dankte er ihr sogar irgendwie dafür. Doch äußerlich nickte der Iunier bloß. Alles andere hätte ihn vielleicht dazu gebracht anzudeuten, dass die Wahrheit ein wenig anders war, als sie offenbar dachte. Selbst wenn sie, wie er vermutete, die Wahrheit verstehen würde, wäre sie bestimmt trotzdem enttäuscht. Dennoch, irgendwann würde er es ihr wahrscheinlich sagen, aber Avianus wollte auf einen geeigneteren Zeitpunkt dafür warten.
    Das Lächeln von zuvor kehrte in seine Züge zurück, als sie genau das in Worte fasste, was er gerade eben noch gedacht hatte. Sie hatte Recht, sie waren beide hier und sollten die Zeit nutzen. Bei dem Gedanken und dem Anblick ihres immer noch strahlenden Lächelns ließ er nun zum ersten Mal vorerst seine Bedenken hinter sich, um sich einfach nur darauf zu konzentrieren, was jetzt war. Die Zeit sich darüber den Kopf zu zerbrechen würde er später auch noch haben.
    "Klar, dann komm." Ein Schmunzeln glitt über seine Lippen. Ansonsten hätte er bestimmt nicht gefragt. Er ging ein paar Schritte und warf einen Blick zurück, um sich zu vergewissern, ob sie ihm folgte. Ihr "Angebot" auf ein Gespräch nahm er nur zu gerne an – half es doch, die Zweifel weiter fern zu halten, wenn er sie vorerst schon nicht zerschlagen konnte.
    "Es ging… Platzwunden sehen immer schlimmer aus als sie sind", sagte er. "Außerdem haben wir in der Castra gute Medici. Und ich habe auch schon ganz andere Sachen hinter mir." Er grinste schief. "Wie geht es dir? Hast du die letzte Zeit gut hinter dich gebracht?" Es musste eigentlich fast so sein. Wie sonst hätte sie zu den neuen Kleidern kommen sollen? Daran, was sie für das viele Geld womöglich alles getan hatte, wollte er allerdings nicht denken. Er wusste ja darüber Bescheid, wie sie ihr Geld verdiente.

  • Gemütlich begannen sie gemeinsam den Weg entlang zu schlendern. Nach ein paar Schritten sah er sich noch einmal um. Offenbar hatte er den gleichen Gedanken wie selbst gehabt. Es war nur verständlich, dass er auf seinen Ruf achten wollte. Beroe registrierte dies zwar, doch es hatte für sie in diesem Augenblick keinen größeren Belang. Sie nahm es gerne in Kauf, wenn sie dafür mit ihm hier zusammen sein konnte.


    Avianus kam es wohl auch wie gerufen, dass sie mit der Konversation begann, um endlich das Thema zu wechseln, was beiden zupass kam.
    Beroe nickte zustimmend. Ja, es gab weitaus schlimmere Verletzungen, mit denen man fertig werden musste. Und offenbar, so hörte sie aus seiner Antwort heraus, hatte er tatsächlich schon schlimmeres hinter sich. Dabei musste sie sofort wieder an den Bürgerkrieg denken, der erst kürzlich zu Ende gegangen war. Ob er gelegentlich noch an seinen Freund, ihren ehemaligen Dominus dachte, der gleich zu Anfang des Krieges gefallen war? Ehe sie dazu etwas fragen konnte, kam er ihr zuvor und erkundigte sich nach ihrem Befinden.
    Sicherlich war ihm aufgefallen, dass sie nicht mehr die zerschlissene Tunika von damals trug. Und wahrscheinlich hatte er bereits auch schon Vermutungen angestellt, woher sie das viele Geld hergenommen hatte, um sich eine solche teure Tunika leisten zu können.
    „Oh ja, mir geht es gut! Wie man sieht.“, antwortete sie oberflächlich lächelnd und wies dabei noch einmal auf ihre neue Kleidung hin. Wie gerne hätte sie ihm von der Wahrheit berichtet, wie es wirklich um sie stand. Dass es ihr nicht gut ging und dass sie manchmal daran dachte, dass nur der Tod daran etwas ändern konnte. „Die Geschäfte laufen gut. Rom liebt mich offenbar,“ versuchte sie zu scherzen, doch wenn man genau hinhörte, konnte man den bitteren Beigeschmack heraushören.
    „Wurdest du im Bürgerkrieg verwundet?“, erkundigte sie sich schließlich, um von sich selbst abzulenken.

  • Sie setzten ihr Gespräch fort, während sie durch die Gärten gingen.
    "Das freut mich. Wirklich." Er lächelte zurück, obwohl er sich nicht sicher war, ob sie ihre Worte vollkommen ernst meinte. Für schöne Frauen liefen die Geschäfte wohl immer gut, vor allem wenn sie sich günstig hergaben. Er hätte gerne genauer gefragt, weil er dem Klang ihrer Stimme nicht wirklich traute, aber er hielt sich zurück. Er befürchtete, dass er Fragen stellen würde, die ihr unangenehm waren oder Antworten bekam, die am Ende er als unangenehm empfand. Aber Rom liebte die wenigsten, die meisten verschlang es, wie der tiefste Sumpf und ließ noch sehr viel weniger wieder hinaus, das war seine Sicht der Dinge. Und sie war eine junge Frau, mehr oder weniger Peregrina, alleine in Rom unterwegs, verkaufte sich und wer wusste wo sie nachts schlief.
    Sie stellte ihm eine Frage, die ihn wieder aus den Gedanken riss. Er lachte kurz bitter auf. Die alten Geschichten würde er wohl nie wieder loswerden. "Ich war in Vicetia dabei, vielleicht hast du von der Schlacht dort gehört. Leider irgendwie auf der falschen Seite. Und der Centurio, der die Aufsicht über die Gefangenen hatte, fand es offenbar nötig, meine Gens in den Dreck zu ziehen", erklärte er. "Am Ende hat er mir jedenfalls die Nase gebrochen und das hier kommt auch von ihm." Er fuhr sich mit den Fingern über die fingerbreite Narbe unter seinem rechten Auge. Es musste auf Sibel so wirken, als wäre es sein Hobby, sich mit Leuten anzulegen, die eigentlich über ihm standen. Dabei war es damals mehr eine Affekthandlung gewesen, vollkommen unüberlegt, in einem Zustand der Übermüdung und gleichzeitigen Angespanntheit, der wahrscheinlich auch jede andere Reaktion zu Genüge erklärt hätte. Außerdem musste man schon ziemlich dumm sein, um vergleichsweise unbeschadet aus der Schlacht zu kommen, um sich dann im Gefangenenlager das versäumte nachzuholen, weil man auf die Provokationen irgendeines Fremden einging. Trotzdem war er noch immer recht glimpflich aus der Sache rausgekommen und er hatte immerhin noch seinen Posten.
    "Bist du alleine in Rom unterwegs?", fragte er zurück. Natürlich konnte er ihr nicht wirklich helfen, wenn es so war. Seine freie Zeit war knapp. Aber es interessierte ihn, Rom konnte immerhin ein gefährliches Pflaster sein, vor allem für jemanden wie sie. Und dass er etwas darüber wissen wollte, zeigte auch, dass es ihm nicht vollkommen egal war, was mit ihr passierte.

  • Beroe war erleichtert darüber, dass Avianus nicht näher nachhakte, was ihr Leben oder ihre Arbeit betraf. Einerseits schämte sie sich, darüber zu reden, andererseits vergas sie zu keiner Zeit Silanus´ Drohungen, falls ihn verraten sollte. Dabei war es doch genau das, was sie so sehr belastete. So gerne hätte sie jemanden ihr Herz ausschütten wollen. Ob aber Avianus da der richtige Ansprechpartner gewesen wäre, konnte sie noch nicht richtig abschätzen. Konnte sie ihm den wirklich vertrauen? Schließlich war er Römer und Prätorianer obendrein. Bei ihrem letzten Treffen hatte sie ihm versprochen, keine Schwierigkeiten mehr zu machen. Stattdessen trieb sie sich mit Kriminellen herum, stahl, betrog und verkaufte ihren Körper für ein paar Sesterzen. Was würde er also jetzt von ihr denken? Wahrscheinlich würde er sie nie wieder sehen wollen.


    Avianus ging auf ihre Frage ein und begann ein wenig von seinen Erlebnissen zu berichten. „Ja, von Vicetia habe ich gehört. Da wurden doch Salinators Anhänger geschlagen, wenn ich mich nicht irre“, meinte sie nickend. Als Sklavin hatte sie sich nicht groß darum geschert, wie und warum sich die Römer gegenseitig in ihrem Krieg umgebracht hatten. Nur das, was sie von ihrer Herrschaft aufgeschnappt hatte, war ihr im Gedächtnis geblieben.


    Sie staunte nicht schlecht, als sie erfuhr, dass er gefangengenommen worden war. Offenbar hatte der Krieg keine großen Folgen für ihn gehabt. Außer vielleicht einem lädierten Ehrgefühl. Ihr war ja bestens bekannt, wie sehr die Römer auf ihr Ansehen hbedacht waren und wie wichtig ihnen ihre Gens war.
    „Du warst ein Gefangener? Wie lange hat man dich gefangen gehalten… und … und bist du dann geflohen?“ Bei diesem Thema wuchs ihr Interesse, da diese Vorstellung für sie so abwegig war. Wahrscheinlich war er wohl eher nicht geflohen, sonst hätte er sie bestimmt besser verstehen können, was die Beweggründe für ihre Flucht war.
    „Du warst ganz schön mutig, dich in dieser Situation mit einem Centurio anzulegen, nur weil er schlecht über deine Familie geredet hat!“, meinte sie dann mit einer ordentlichen Portion Anerkennung in ihrer Stimme. „Ich wollte, ich könnte auch so mutig sein!“ Dann könnte sie sich vielleicht gegen Silanus zur Wehr setzen.
    Wieder hatte sich Silanus in ihre Gedanken eingeschlichen. Nicht einmal jetzt hatte sie Ruhe vor ihm. Ausgerechnet jetzt hake auch noch Avianus noch einmal nach und genau bei dem Thema, bei dem sie ihn hätte belügen müssen, wenn es nach Silanus ging.
    „Ich? … Äh.. allein?..“Sie geriet ins Stammeln, blieb dann stehen und sah sich nervös um. Natürlich war Silanus nicht hier! „Ich bin da...in etwas hinein geraten… aber…aber bitte frag nicht weiter...Ich kann nicht...“ Das war schon mehr als genug! Beschämt starrte sie zu Boden, damit er nicht ihre Tränen sah. Hatte sie ihm nicht versprochen, sich von jeglichen Schwierigkeiten fernzuhalten?


    Nach einer Weile des Schweigens sah sie wieder zu ihm auf. Ihr Lächeln war nun vollkommen aus ihrem Gesicht verbannt worden und hatte den Tränen Platz gemacht. „Was würde eigentlich mit mir geschehen… wenn du mich auslieferst?“, fragte sie mit einer ruhigen aber sehr ernst klingenden Stimme.

  • Von Vicetia hatte sie also gehört. Aber wer hatte das nicht.
    "Genau", stimmte ihr Avianus seufzend zu. "Wir haben im Lager in Verona schon unseren neuen Eid auf Palma geschworen, danach waren wir aber immer noch irgendwie Gefangene… Wir unterstanden eben einer fremden Centurie, aber nach einer Weile hat man davon nicht mehr so viel gemerkt", erklärte er weiter. Man hatte sich eben zwangsweise an die Umstände gewöhnt und für ihn war es am Ende eigentlich halb so schlimm gewesen. Fliehen war jedenfalls das Letze, an was er in dieser Situation gedacht hatte. Er lächelte leicht. "Also nein, wir sind nicht geflohen. Was hätten wir davon gehabt? So konnten wir wenigstens in der Garde bleiben." Er hatte damals einen Moment lang befürchtet, sich seinen ehrenhaften Tod selbst bescheren zu müssen. Aber nur zu gern hatte er nach der Möglichkeit gegriffen die ihm Seneca mit seiner Entscheidung, mit der ganzen Centurie die Seiten zu wechseln, dargeboten hatte.
    "Danke, aber vor allem war ich dumm. Ich kann froh sein, dass man danach einen Capsarius geschickt hat, um die Nase wieder zu richten", gab er zurück, zog eine Braue nach oben und grinste wieder sein schiefes Grinsen. Um Mut zu beweisen, brauchte man sich der Gefahr erst einmal bewusst zu sein. Wenn er ehrlich war, hatte er über irgendwelche Folgen nicht nachgedacht, als er damals ausgerastet war. Vielleicht hätte er auch irgendwie reagiert, wenn er sich mehr Gedanken darüber gemacht hätte, aber bestimmt nicht auf dieselbe Art und Weise.
    Mit seiner Frage brachte er sie allerdings völlig aus dem Konzept. Die Stimmung zwischen ihnen veränderte sich schlagartig. Er blieb ebenfalls etwas irritiert stehen und hörte ihren Worten mit einem Stirnrunzeln zu. Als sie geendet hatte, glätteten sich die Falten wieder, als wüsste er nicht mehr was er fühlen sollte. Er wünschte, sie hätte ihn belogen, ihm irgendetwas gesagt, das er hören wollte. Aber noch vielmehr wünschte er sich, er hätte gar nicht erst gefragt. Ahnte sie überhaupt wie sehr sie ihn gerade enttäuschte? Er hatte ihr versprochen, sie in Frieden zu lassen, ihr Geld gegeben und sogar ihrem Vorschlag zugestimmt, sie wieder zu treffen. Alles, was er von ihr als Gegenleistung verlangt hatte, war, keinen Mist mehr zu bauen. Vielleicht war es auch halb so schlimm und er konnte ihr irgendwie helfen, aber um das herauszufinden, müsste sie ihm mehr davon erzählen. Und ihrer Reaktion nach zu urteilen, war alles, was sie ihm noch sagen könnte, nichts was ihn beruhigen würde. Für einige Sekunden, die ihr quälend lange erscheinen mussten, sah er sie schweigend an und verzog keine Miene. In seinen Augen spiegelte sich jedoch Ärger wieder, aber noch vielmehr als das, Enttäuschung. Dagegen war der Ärger noch recht gering. Wahrscheinlich glaubte sie jeden Moment von ihm angefahren zu werden. Nein, wenn er innerlich brodelte, sah er ganz anders aus.
    "Sag' mir einfach, was ich deiner Meinung nach wissen muss. Oder sag' mir einfach gar nichts mehr…", gab er irgendwann ruhig zurück, allerdings mit einem Unterton, der genauso wie sein Blick erahnen ließ, was er empfand. Es war wohl besser so, für sie beide. Sie konnte nur hoffen, dass niemand anderes auf sie aufmerksam wurde, egal in was sie da reingeraten war.
    "Ich kann dir nur mit Sicherheit sagen, dass du am Ende wieder eine Sklavin wärst. Man würde dich irgendwo auf dem Sklavenmarkt verkaufen", antwortete er und beobachtete die Tränen, die ihr am Gesicht hinunter liefen. An dem Ausdruck in seinem Gesicht hatte sich noch nicht besonders viel geändert, vielleicht war er wieder eine Spur weicher geworden, aber mehr nicht.

  • Beroe hörte interessiert zu, als er weiter berichtete. Es war am Ende doch recht einfach für ihn gewesen, sich aus seinen "Schwierigkeiten" hinauszumanövrieren. Im Gegensatz zu ihr. Aber sie war ja auch keine Römerin und besaß erst recht nicht deren vielgerühmtes Bürgerrecht. Und sie hatte es bereits geahnt: Natürlich war er nicht geflohen. Weshalb auch?


    Wieder war dieses schiefe Grinsen in seinen Mundwinkeln zu sehen, das sie so an ihm mochte, als er über seinen vermeintlichen Mut sprach. Wie gerne hätte sie ihm dies nun anvertraut. Aber sie beließ es besser dabei, weil sie einfach zu schüchtern dafür war. Vielleicht hätte er dabei an ihrer Aufrichtigkeit gezweifelt, denn schließlich wusste er ja, womit sie ihren Unterhalt verdiente.


    Nachdem sie aber ihr anderes Geständnis losgeworden war, war auch aus Avianus´ Gesicht jegliches Wohlbehagen gewichen. Stattdessen wurde sein Ausdruck ernster, strenger, verärgerter, enttäuschter. Ja, sie konnte ihm seine Enttäuschung über sie ansehen, was alles noch viel schlimmer machte. Ausgerechnet er, der ihr Fels in der Brandung sein sollte, das einzig Gute in ihrem Leben, war nun maßlos enttäuscht von ihr! Doch er machte ihr keine Szene, schrie sie nicht an. Zum Glück verschwand er auch nicht wutendbrand. Nein, er blieb bei ihr und bat sie, am besten gar nichts mehr zu sagen. Aber sie wollte, nein sie konnte nicht schweigen! Er musste es wissen... Es war doch nicht ihre Schuld gewesen! Sie war doch unschuldig in diese Sache geraten! Ob er das je verstehen konnte? Vorausgesetzt er glaubte ihr noch.


    „Bitte, du musst mir glauben,… ich kann nichts dafür!“, begann sie aufgebracht und weinend auf ihn einzureden. „Am Abend unserer ersten Begegnung war es… ich war so ausgehungert und müde. Da kam ich an einem verlassenen Haus vorbei. Dann entschloss ich mich, dort wenigstens die Nacht zu verbringen. Ich fand dann dort sogar noch etwas zu essen... und Kleidung. Am nächsten Morgen, als ich aufwachte, war ich dann nicht mehr allein... Er kommt direkt aus dem Tartaros! Er hat mir gedroht, mich umzubringen, wenn ich nicht tue, was er sagt. Bitte… du musst mir glauben!“, flehte sie und ihre Tränen rannen weiter über ihre Wangen.


    „Er wird mich sowieso töten, wenn er erfährt, dass ich mich mit dir treffe , Denn er betrachtet mich als sein Eigentum. Du siehst also, ich komme vom Regen in die Traufe.“ sagte sie nach einer Weile resigniert mit einem Tick Sarkasmus. „Aber weißt du, das war es mir wert! Trotzdem bin ich jeden Tag hierhergekommen und habe gehofft, ein Zeichen von dir zu finden.“


    Avianus hatte letztlich das ausgesprochen, was Beroe längst geahnt hatte. Natürlich würde sie wieder auf irgendeinem Sklavenmarkt enden. Was aber sonst noch mit ihr geschehen würde, sparte er sich lieber aus, was verständlich war. „Dann entscheide du!“, meinte sie schließlich. Wenn er immer noch so sehr von ihr enttäuscht war, hatte er nun Gelegenheit, seine Drohung von ihrem letzten Treffen wahrzumachen. Schlimmer als das Leben mit Silanus konnte diese Perspektive auch nicht sein.

  • Sie hielt es am Ende doch für nötig, ihm alles zu erzählen, sie hörte nicht auf ihn. Er hatte nichts davon gesagt, wen er für verantwortlich hielt oder was er überhaupt von dem wenigen dachte, was sie ihm zuvor erklärt hatte. Sie schien aber zu spüren, was er dachte. Als würde sie ihm die Gedanken aus dem Gesicht lesen. So wie sie jetzt aus ihm herauslesen würde, wie sich eine leichte Unsicherheit in ihm breitmachte.
    Noch während er den Erklärungen, die aus ihr heraussprudelten, zu folgen versuchte, wurde ihm bewusst, dass sie bereits dabei war in mit hineinzuziehen, er wusste nur noch nicht in was. Es war wohl zu spät, sie noch einmal darum zu bitten, ihm nichts mehr zu erzählen.
    Er wollte ihr glauben, aber er wollte sich selbst auch nicht für einen naiven Idioten halten. Aber wieso sollte sie sich das alles ausdenken?
    "Wer, Sibel? Wer hat dir gedroht? Und was will er von dir?", fragte er die junge Frau unschlüssig und legte ihr eine Hand auf den Arm. Ihr zuzusehen, wie sie sich vor ihm ausweinte, machte es ihm schwierig die Dinge so zu beurteilen, wie sie tatsächlich waren, objektiv zu bleiben, und am Ende das zu tun, was für ihn am besten war. Das Beste wäre wohl gewesen, einfach zu gehen, doch er konnte nicht, vielleicht eben auch, weil sie unter Tränen vor ihm stand. Es beschlich ihn wieder dieses Gefühl, dass sie ihn noch so viel mehr brauchte, als er sie. Und wieder hatte er das Gefühl, dass er sie in dem Arm nehmen müsste, doch sie machte es ihm so schwierig, ihr voll und ganz zu vertrauen.
    "Und wieso triffst du dich dann mit mir?", fragte er weiter, noch immer ruhig. Jeder Satz den sie sagte, warf für ihn weitere Fragen auf. Zum Beispiel, weshalb er ihr das Risiko wert war. Er hatte nicht den Tod zu befürchten, weil er sich mit ihr traf, er riskierte höchstens seinen Ruf und hatte damit schon Probleme gehabt. Er wolllte sie verstehen, aber er konnte es nicht, doch das wusste sie bestimmt.
    "Ich kann das nicht entscheiden. Es ist nicht mein Leben. Du musst damit klarkommen, nicht ich", sagte er mit einem leichten Kopfschütteln. Da eroberte sie sich ihre Freiheit und wollte ihn am Ende darüber walten lassen. Es ging ihm gar nicht darum, sie für irgendetwas zu bestrafen. Natürlich hatte sie ihn enttäuscht, aber am Ende tat sie damit vor allem sich selbst weh. Hätte er sie unbedingt bestrafen wollen, hätte er es getan.

  • Völlig durch den Wind war wohl die treffendste Bezeichnung, wie sie sich gerade fühlte. Sie begann daran zu zweifeln, ob es wirklich sinnvoll gewesen war, ihm davon zu erzählen. Er konnte ihr doch auch nicht helfen. Niemand konnte ihr helfen.
    Und dann begann er sie auch noch auszufragen, was ja ganz logisch war. Doch dies war dann auch der Punkt, an dem Beroes Mut endete.
    Kopfschüttelnd versuchte sie seine Fragen abzuwehren. „Bitte… frag nicht… Wenn ich ihn verrate… dann… dann wir er auch dir etwas antun.“ Die tränengefüllten Augen sahen ihn flehend an. Ihn auch noch in diese Sache zu verstricken, war wirklich das Letzte, was sie wollte.
    „Er zwingt mich, zu stehen und ich muss ihm einen großen Teil meines Verdienstes abtreten… damit ich bei ihm wohnen darf. Ich bin seine Sklavin… in jederlei Hinsicht.“, sprach sie mit zitternder Stimme weiter. Langsam wurde sie wieder ruhiger. Ihre Tränen verrannen und begannen in ihrem Gesicht zu trocknen.


    „Die Tunika ist von ihm. Er hat sie mir für meine Arbeit gekauft.“ fuhr sie nach einer Weile fort. Avisanus hatte seine Hand auf ihrem Arm gelegt. Sie wehrte sich dagegen nicht. Nein, sie empfand es als angenehm. Gab es ihr doch ein wenig das Gefühl, dass er sich um sie sorgte.


    „Kannst du dir das nicht denken?“, beantwortete sie seine Frage mit einer Gegenfrage. „Ich habe niemand, der es gut mit mir meint. Die Männer, denen ich am Tag Befriedigung verschaffe, interessieren sich wohl kaum dafür, wie es mir geht. Aber du… nach unserem letzten Treffen, hatte ich das Gefühl, du wärest anders. Du bist das einzig Gute, dass ich in Rom kennengelernt habe…“ alles andere war schäbig, dunkel, böse. „Deshalb war es mir das wert. Nur deshalb.“ Wie schön wäre es jetzt gewesen, wenn er sie in den Arm genommen hätte. Ein bisschen Trost… nur ein wenig, wenn auch nur für den Moment.


    Beroe hatte irgendwie damit gerechnet, dass er ihr die Entscheidung nicht abnehmen würde. Wenn sie schon „frei“ sein wollte, dann musste sie auch selbst entscheiden. Vielleicht musste sie das auch erst noch lernen.

  • Der Mann musste gefährlich sein, wenn sie wirklich Angst um ihn hatte, oder sie ließ sich einfach nur derart von dem Fremden einschüchtern. Avianus machte sich zwar ein wenig Sorgen, aber Angst hatte er nicht. Er konnte sich nicht vorstellen, was ihm groß passieren sollte. Er hatte den Krieg bestimmt nicht überstanden, um von irgendeinem Kleinkriminellen wegen einer Lupa erstochen zu werden. Doch Sie wollte nicht, dass er ihr half, und trotzdem erzählte sie ihm, was sie alles ertragen musste. Aber war es nicht das, was er wollte? Er wollte doch gar nicht in die Sache hineingezogen werden. Aber noch viel mehr wollte er ihr helfen. Egal wer und was sie war, sie hatte das alles mit Sicherheit nicht verdient. Der Iunius hoffte nur, sie würde es ihm sagen und ihn doch noch um Hilfe bitten, sollte sie es irgendwann nicht mehr ertragen können. Vielleicht weil er sie irgendwie mochte. Nein, er mochte sie, bestimmt. Sonst wäre er nicht mehr hier.
    Er öffnete den Mund, um etwas zu sagen und blieb am Ende doch stumm. Seine Hand löste sich von ihrem Arm und stattdessen legte er ihr seinen um die Schultern und zog sie ein Stück weit zu sich. Er wusste keinen Rat mehr und wenn er ihr schon nichts mehr sagen konnte, wollte er wenigstens irgendetwas anderes tun. Doch jetzt, wo er es tat, jetzt wo er sie hielt, fühlte es sich an, als wäre es genau das, was sie brauchte. Mit der anderen Hand fuhr er sich dennoch ein wenig hilflos übers Gesicht. Dass er hier für sie da war, würde nämlich ansonsten nichts ändern. Aber er war da und das war offenbar mehr, als sie von allen anderen erwarten konnte. Er war der einzige Mensch, den sie hatte. Er, den sie doch eigentlich kaum kannte und der es auch nicht immer nur gut mit ihr gemeint hatte.
    "Ich hatte schon vorher ein paar Abende Zeit. Ich wusste nur nicht, ob ich das hier wirklich will. Darum hat es so lange gedauert", gestand er tonlos ohne sie anzusehen. "Es tut mir leid, wirklich …" Jetzt war er es also los geworden. Sie würde es verstehen, da war er sich sicher. Und er würde den nächsten Abend, den er frei hatte, wieder hier sein. Auf jeden Fall. Er würde die unnötig lange Zeit, die er Sibel hatte warten lassen, wieder gut machen.
    "Wenn du wirklich Hilfe brauchst, wenn es anders nicht mehr geht, sagst du es mir, verstanden?", sagte er nach einer Weile und blickte am Ende doch noch zu ihr hinunter.

  • Es war, als ging ein sehnlichst geharrter Wunsch in Erfüllung, als er seinen Arm um sie legte. Beroe wandte sich ihm gleich zu und legte ihren Kopf auf seiner Schulter ab. „Danke!“, flüsterte sie in sein Ohr. Sie war unsagbar dankbar für diese Geste. Eine Geste die sie so seit dem Tod ihrer Eltern nicht mehr erfahren hatte. Sie konnte dich kaum noch an ihre Gesichter erinnern, denn sie waren in all den Jahren allmählich verblasst, doch an die Liebe, die sie ihrer Tochter gegeben hatten, konnte sie sich noch sehr wohl erinnern.


    Sein Geständnis, welches er ihr nach einer Weile machte, konnte sie kaum erschüttern. Ehrlich gesagt hatte sie ja damit gerechnet. Niemals im Leben hätte sie ihm deshalb einen Vorwurf gemacht. Ihr Blick, dem sie ihm zuwarf, war versöhnlich. Wenn sie an seiner Stelle gewesen wäre, hätte sie wahrscheinlich ähnlich gehandelt.
    „Ist schon gut. Ich kann das verstehen. Jetzt bist du ja hier. Das alleine zählt!“, erwiderte sie und ihre Worte hatten etwas Tröstliches. Beroe hatte zum ersten Mal seit dem sie in Rom angekommen war, ein Gefühl der Geborgenheit. Sie fühlte sich wohl bei ihm, denn seine Absichten waren gut. Wieder legte sie ihren Kopf auf seine Schulter und wünschte, dies hier könnte immer so bleiben. Er bot ihr sogar seine Hilfe an, wenn es nicht mehr ginge… Beroe hatte schon so viel erlebt und das meiste davon war nicht besonders schön gewesen. In ihrem Leben hatte sie gelernt, schlimme Zeiten einfach über sich ergehen zu lassen. Wann würde sie also wissen, wenn es nicht mehr ging?
    „Danke Aulus! Ich wünschte, ich wäre damals an jemanden wie dich geraten…“, dann wäre ihr Leben vielleicht anders verlaufen. Dann wäre sie vielleicht nicht geflohen. Dann…. wäre sie vielleicht jemand anderes Sklavin geworden.


    „Du bist übrigens der einzige Mensch auf der Welt, der meinen wahren Namen kennt“, verriet sie ihm nach einer Weile. Das machte ihn noch mehr zu etwas besonderem, fand sie. Wenn sie schon bei den Geständnissen waren, konnte sie ihm auch das anvertrauen. „Sibel ist der Name, den mir meine Eltern gaben. Beroe – so hat mich mein Dominus genannt.“

  • Als Antwort auf den Dank und ihren Kopf auf seiner Schulter legte Avianus auch seinen anderen Arm um sie. Er konnte spüren wie sich ihre Brust beim Atmen hob und senkte, so dicht war sie bei ihm, und er fühlte, wie sie zur Ruhe kam. Er war froh, als sich seine Annahme bestätigte, und Sibel ihm versicherte, dass sie ihm sein Zögern nicht übel nahm. Sein Gewissen, dass zu Beginn an ihm genagt hatte, beruhigte sich wieder.
    "War der Aurius wirklich so schlimm?", fragte er. Seine Umarmung wurde etwas lockerer, für den Fall, dass sie wieder etwas Abstand wollte, doch er schob sie nicht von sich. Er würde ihr gestatten, bei ihm zu bleiben, wenn sie es wollte.
    Er fragte sich, wie Latro seine Sklaven behandelt hatte, wenn keine Gäste im Haus waren. Und schöne Sklavinnen, die in aufreizenden Gewändern das Essen auftrugen, waren leider nichts derart besonderes. Avianus selbst empfand es zumindest nicht als etwas außergewöhnlich Schlimmes, das konnte mit Sicherheit nicht der Grund sein, weshalb sie in Misenum so unglücklich gewesen war. Außer sie war eine dieser Sklavinnen gewesen, die einfach mit der Tatsache nicht klarkamen, dass sie Sklavinnen waren, und garkeinen konkreteren Grund benötigten, um mit ihrem Leben unzufrieden zu sein. Davon, ob in der Casa seines Bekannten auch andere Dinge passiert waren, hatte er zumindest keine Ahnung.
    Und dann brachte sie ihm ebenfalls ein Geständnis vor. Doch es unterschied sich so sehr von seinem, dass es ihm ein Lächeln entlockte.
    "Ich bin nicht dein Dominus, mir reicht Sibel voll und ganz", sagte er. "Sibel klingt doch sowieso viel schöner", fügte er leise hinzu.
    Ihre Unterhaltung war zuvor in die vollkommen falsche Richtung gegangen, war sie doch sehr viel eher mit ihm hier, um sich abzulenken und auf schöne Gedanken zu kommen. Stattdessen hatte er ihr Fragen gestellt, die das vollkommen verhindert hatten. Und dabei hatte er doch nur wissen wollen, wie es ihr ging. Er war sich dessen bewusst, dass ihn keine Schuld traf, trotzdem war er unglücklich darüber. Sie hatte jedenfalls Recht damit, das Gespräch wieder in andere Bahnen zu lenken.
    "Weißt du, was ich mich gerade frage?" Er lächelte sie leicht amüsiert an. "Hättest du mir damals auch geholfen, wenn du von Anfang an gewusst hättest, dass ich es war?", fragte er sie, immer noch mit einem Lächeln auf den Lippen. "Wenn ich jetzt ein Nein zu hören kriege, verstehe ich das sogar."

  • Beroe sah wieder auf, als Avianus ihren ehemaligen Dominus erwähnte. Ob er wirklich so schlimm war? Hatte er diese Frage ernst gemeint? Sie sah ihn forschend an, blieb aber ruhig dabei. Wie wohl die meisten Römer konnte er sich wahrscheinlich keine Vorstellung davon machen, wie es war, als Sklave leben zu müssen. Wenn man das Eigentum eines anderen war. Die meisten glaubten allen Ernstes, die Sklaverei sei doch gar nicht schlimm, da man denen, die nicht mit dem Segen des römischen Bürgerrechtes geboren worden waren, so eine Möglichkeit gab, doch noch am römischen Leben teilzunehmen, eben nur als Sklaven. Aber sie konnte es ihm auch nicht übel nehmen, dass er so dachte. Aus seinem Blickwinkel gesehen, hätte sie wahrscheinlich ähnlich so gedacht.


    „Kannst du dir vorstellen, wie es ist, tagtäglich den Launen und Allüren anderer ausgesetzt zu sein, die sich als deine Herrn erklärt haben? Du bist dazu verdammt, alles zu tun, was sie dir sagen. Wenn du es nicht tust, dann erhältst du Schläge. Also tust du, was sie von dir wollen…. ALLES!“ Sie sparte es sich, näher darauf einzugehen, zu was man sie alles in diesen Jahren gezwungen hatte. Deswegen hatte sie ja auch Misenum hinter sich lassen wollen, um hier ein neues Leben zu beginnen. „Glaub mir, es war schlimm. Ich war erst acht, als man mich zur Sklavin gemacht hat.“, fügte sie noch mit ruhiger aber bestimmter Stimme hinzu.
    Zum Glück rettete er die Situation, die sonst womöglich wieder in die ganz falsche Richtung gesteuert wäre. Nein, er war nicht ihr Dominus und sie war auch froh darum. Mit Latro hätte sie auf diese Weise wohl nie sprechen können. Sie erwiderte sein Lächeln, als er lächelte. „Schön, wenn dir der Name gefällt. Beroe hat auch mir nie so richtig gefallen.“


    Doch dann begann sie wirklich zu grinsen, als er sie fragte ob sie ihm auch geholfen hätte, wenn sie gewusst hätte, dass er es war, der überfallen worden war. „Nie im Leben!“, antwortete sie übertrieben ernst doch sie lachte gleich darauf ganz herzlich. Aber dann meinte sie wieder mit einem sehr ernsten Unterton: „ Ich denke, ich hätte dir auch dann geholfen. Ich hab ja gesehen, was diese Kerle mit dir gemacht haben. Und keiner…, nicht mal du,…“ Nun begann sie doch wieder zu grinsen, „… hat es verdient, wie ein Köter auf der Straße zu krepieren.“ Bei diesen Worten musste sie wieder unweigerlich an Silanus denken, denn er waren genau seine Worte gewesen.

  • Mit der Reaktion, die er auf seine kleine Frage bekam, hatte Avianus nicht gerechnet. Das ihr das Thema nahe ging war für ihn absolut nicht verwunderlich, dafür aber wie sie sich ausdrückte. Wäre ihr Ton nicht so ruhig geblieben, hätte er geglaubt, sie würde ihm seine Frage übel nehmen.
    "Du hast Recht, davon verstehe ich nichts", gab er zögerlich zu. "Und ich werde es mir wohl auch nie wirklich vorstellen können." So etwas musste man wahrscheinlich selbst erlebt haben. Natürlich musste er den Befehlen seiner Vorgesetzten blind folgen, doch er wusste selbst, dass das etwas vollkommen anderes war. Er wollte Soldat sein und vor allem vertraute er nicht den Befehlen irgendeines Centurios sondern denen seines eigenen Vetters. Und er war frei. So frei zumindest wie es ein Soldat und Bürger mit allen Vorschriften und Verpflichtungen sein konnte.
    Er sparte es sich, seine Sichtweise der Sklaverei zu erklären – er war sich sicher, dass es dem Klima zwischen ihnen nicht zuträglich wäre. Der Iunier war mit Sklaven im Haus aufgewachsen, für ihn war es vollkommen normal, und er hatte nicht das Gefühl gehabt, dass alle ihrer Situation unbedingt entkommen wollten. Vielleicht war Sibel wirklich nur an den falschen geraten.
    Aber irgendwie schaffte er es wohl doch noch, die Kurve zu kriegen, damit sie wieder auf andere Gedanken kamen. Nun ließ er sie endgültig behutsam los, weil er nicht mehr das Gefühl hatte, dass sie ihn noch so sehr brauchte, wie zuvor.
    "Ach was, ich war weit davon entfernt zu krepieren", lachte er, doch sie musste wissen, wie viel es ihm damals wert gewesen war, nicht alleine zu sein. "Außerdem muss ich diese Typen sogar bewusstlos in die Flucht geschlagen haben. Du weißt wohl gar nicht, zu was ich fähig bin." Er grinste breit. Noch immer hatte er nicht wirklich eine Ahnung davon, was an dem Abend passiert war, er kannte nur die paar Brocken an Information, die sie ihm damals als schnelle Erklärung gegeben hatte, damit er sein Schwert nicht zog, was nicht besonders viel war.
    "Komm schon, gehen wir weiter", sagte er und legte ihr sanft eine Hand in den Rücken.

  • Ja, davon verstand er nichts und sie würde ihm deswegen auch gar keine Vorwürfe machen. Er hatte immer auf der Sonnenseite des Lebens gestanden und hatte sich nie darüber Gedanken gemacht, wie sich seine Sklaven fühlten.
    Es war gut, dass sie dieses Thema, welches sie unweigerlich trennen würde nicht weiter erörterten. Selbst jetzt war der Graben zwischen ihnen schier unüberwindbar, er ein Soldat aus einer alten römischen Familie und sie eine Ex-Sklavin, die sich nun als Lupa verdingte. Und doch waren sie beide hier und sprachen miteinander.


    Die Stimmung hatte sich nun endgültig ins Positive verlagert. Endlich konnte Beroe wieder einmal lachen.
    „Meinst du wirklich? Ich dachte echt, diese Kerle hätten dich umgebracht.“ , gab sie ernst zu bedenken, konnte dann aber über seinen Scherz richtig amüsieren. „Ja sicher! Als die gesehen haben, wen sie da zusammengeschlagen haben, sind sie so erschrocken und mussten gleich reis aus nehmen.“ Wieder lachte sie. „Aber vielleicht sind sie ja auch wegen mir abgehauen. Die konnten ja nicht ahnen, wer ich bin, “ fügte sie noch grinsend hinzu. Als er weitergehen wollte, ging sie mit ihm und sie genoss es an seiner Seite. Wahrscheinlich durch Zufall traf ihre Hand auf seine. Sie nahm die Chance wahr und die seine.


    „Ach, es tut so gut, mal wieder zu lachen.“, meinte sie, als sie schon eine Weile gegangen waren. Sie fühlte sich einfach wohl bei ihm. Nur wenn sie darüber nachdachte, dass niemals mehr zwischen ihnen sein konnte, als das was sie jetzt hatten, machte sie das traurig. Doch sie versuchte diesen Gedanken so weit wie möglich wegzuschieben.

  • Es freute den Iunier, die junge Frau neben sich endlich wieder vergleichbar glücklich zu sehen, wie in dem Moment, als sie ihn in den Horti entdeckt hatte. Es war zwar nicht dasselbe Strahlen, dem kam sie aber zumindest wieder ein Stückchen näher. Vielleicht könnte er es doch noch einmal schaffen, denselben Ausdruck in ihr Gesicht zu bringen. Und wenn schon nicht heute, dann bestimmt bei ihrem nächsten Treffen.
    "Ich habe eigentlich keine Ahnung, sag' du's mir… Ich habe nicht das Gefühl, dass ich wirklich dabei war. War es wirklich so knapp?", fragte er leicht belustigt. "Wenn ich genauer darüber nachdenke… im Dunkeln könnte man dich glatt für einen muskelbepackten Krieger halten", scherzte er und lächelte sie an.
    Sein Blick wanderte für einen Augenblick nach unten, wo sich ihre Finger um seine Hand schlossen. Wo sollte das alles enden. Sie musste wissen, dass sie Freunde sein konnten und nicht mehr. Selbst wenn sie Römerin wäre … dann wäre er immer noch ein kleiner Soldat, für den sie sich als Römerin nicht groß interessieren würde. Um Frauen brauchte er sich wirklich noch nicht viele Gedanken zu machen. Außer eben um diese eine neben ihm, die er in Zukunft völlig ohne Hintergedanken weiterhin treffen würde, so hoffte er zumindest. Er schenkte ihr schlussendlich doch ein Lächeln und beließ ihre Hände dort, wo sie jetzt waren.
    Eine Zeit lang gingen sie einfach nur durch die Gärten. Es schmerzte ihn ein wenig, als sie wieder andeutete, wie schwierig sie es sonst haben musste, und er konnte ihr nicht wirklich helfen, auch, weil sie sich irgendwie nicht richtig helfen lassen wollte.
    Es fiel ihm schwer, über irgendetwas zu reden, dass sie nicht wieder zurück zur Sklaverei, ihrer Arbeit oder eben dem "Mann aus dem Tartaros" bringen würde.
    "Ich wünschte, ich hätte irgendetwas dabei, dass ich dir geben könnte, damit du mir signalisieren kannst, wenn du mich dringend brauchst", murmelte er nach einer einer Weile und drehte den Kopf wieder zu ihr. "Selbst wenn ich dann keinen ganzen Abend Zeit habe."

  • Beroe musste schon wieder lachen. Avianus war einfach zu komisch! „Irgendwie hab ich das Gefühl, dass du gar nichts ernst nimmst,“ erwiderte sie lachend. „Mit sowas sollte man wirklich nicht scherzen! Aber wenn du´s genau wissen willst, ja es sah echt schlimm aus. Ich meine, ich hab ja nicht genau gesehen, wie sie dich überfallen haben. Aber ich hab gesehen, wie der eine zugeschlagen hat..also das sah ziemlich gefährlich aus. Aber klar,weil die Kerle mich kommen sehen haben, sind sie mal eben schleunigst abgehauen,“ erzählte sie weiter mit einem unterdrücktem Grinsen. „Naja, vielleicht hätte ich ja sogar Chancen bei euch in der Castra… um jeden Angreifer in die Flucht zu schlagen, meine ich.. allerdings nur nachts,“ fügte sie lachend noch hinzu.


    Ja, so ausgelassen war sie schon lange nicht mehr gewesen. Und allein das war schon Grund genug, sich mit ihm zu treffen. Auch sie hatte das Gefühl, dass er dieses Treffen genoss. Sich mit einer Lupa zu treffen und mit ihr im Park spazieren zu gehen und herumalbern, das hatte auch nicht jeder! Und da er es zuließ, dass sie seine Hand genommen hatte, bestätigte sie darin. Mehr wollte sie nicht, ein wenig Zuneigung, etwas Geborgenheit. Avianus gab ihr das alles und so spazierten sie eine Weile durch den Park ohne viele Worte. Dass sie beide hier waren, sagte schon alles.


    Doch dann spürte sie, dass ihn etwas bedrückte. Und es dauerte nicht lange, bis sich das bestätigte. Sie sah, wie betroffen er war und das diesmal seine Worte ernst gemeint waren.
    „Etwas was du mir geben könntest? Ich weiß nicht. Könnte ich dir eine Nachricht zukommen lassen?“ fragte sie. „Allerdings.. ich kann weder schreiben noch lesen“, gab sie etwas beschämt deswegen zu.

Jetzt mitmachen!

Du hast noch kein Benutzerkonto auf unserer Seite? Registriere dich kostenlos und nimm an unserer Community teil!