… als Licinus aus einem der Wachtürme hinaustrat auf den Wall, der das Lager der legio prima umgab. Es war noch nicht wirklich kalt draußen, aber dennoch waren in den Türmen bereits die Kohlepfannen entzündet worden. Dadurch erschien es ihm nun natürlich umso kühler, als die frische Luft seinen Kopf umwehte.
Er schloss die Tür hinter sich und ging einige Schritte den Wall hinab, bis er ungefähr auf der Mitte des Abschnitts angekommen. Hier, beide Türme gleich weit von ihm entfernt, blieb er stehen, wandte sich langsam nach außen, stützte die Hände auf den Mauerkranz und seufzte leise.
Licinus starrte gerade aus, tief in die vom Gefunkel der Sterne und vom Geflacker der Lichter einzelner Gehöfte und kleiner Siedlungen unterbrochenen schwärze, und dachte an die Vergangenheit. Unter ihm, das wusste er ohne hin zu sehen, lag die Wallumgebung die sie vor dem Feldzug gegen den Imperator mit allen Fallen versehen hatten, über die das Militär verfügte. Schon lange hätten sie geräumt sein sollen und dennoch hatte man scheinbar etwas übersehen. Es war keine zehn Tage her, erinnerte er sich, dass ein Soldat in eine übriggebliebene Fußangel getreten war. Er lag noch in der Krankenstation. Entlassung aus gesundheitlichen Gründen, hieß es im nüchternen Ton der Militärbürokratie, aber Licinus wusste, dass es so einfach nicht war. Dem Mann würde ein schweres Leben als Invalide bevorstehen, auch seine Gratifikation würde nicht sehr hoch ausfallen. Wenn er richtig informiert war, war es einer der jungen gewesen. Die Schlacht bei Vicetia überlebt und kein Jahr später…
Vicetia und Rom, der ganze Bürgerkrieg. Eine Schande und eine Verschwendung an allem. Licinus konnte nicht verstehen, wie sich ein Mann hinter den Vescularier mit all seinen offensichtlichen Verbrechen hatte stellen können. Bei dem Gedanken daran ballte er noch immer unwillkürlich die Hände zu Fäusten voll von unterdrücktem Zorn. Aber so sehr er die die Machtgier verwünschte, denn diese unterstellte er als treibende Kraft der Unterstützer des Ursupators, so sehr verwirrte ihn dabei eine Frage:
Wie war es ihm gelungen seinen alten Kameraden derart zu korrumpieren? Oder hatte sich Serapio in dieser Art tatsächlich hinters Licht führen lassen.
Er konnte nicht sagen, ob er sich noch an alle Einzelheiten des Briefes erinnerte, aber der Grundton war ihm durchaus noch präsent, auch wenn er den Brief selbst natürlich schon lange vernichtet hatte. Aber das machte es nicht wirklich besser.
Licinus Blick wandte sich leicht zur Seite, in jene Richtung in der er Rom vermutete. Er fragte sich mit Schwermut, wie es seinem alten Kameraden jetzt wohl ging. Er hoffte, dass er mittlerweile aus dem Kerker entlassen worden war, dass er bis jetzt nichts von einer Hinrichtung gehört hatte, erschien ihm als ein Hoffnungsschimmer. Und dann würde sich, so hoffte er, irgendwann auch herausfinden lassen, welcher Täuschung er aufgesessen war.
Erneut schlich sich über Licinus Lippen ein leisen Seufzen, während seine Gedanken noch weiter in die Vergangenheit wanderten und er ob der aufkommenden frischen Brise die Kapuze seiner paenula überwarf und nur noch als Schatten wahrgenommen werden konnte.