• Ächzend erhob sich Acanthus, die Last der Verantwortung wog schwerer als die des Alters - im Grunde seines Herzens fühlte er sich seit Jahren wie ein Jüngling mit blondlockigem Haar.


    Mit einem Ächzen schwang auch der Türflügel zur villa Flavia Felix auf, die Angeln einen Tropfen Öl sehnlichst erbittend.


    Ein drittes Ächzen entrang sich Acanthus' Kehle (für den Ianitor war es erst das zweite in Folge), als er die junge Göre erblickte. Ohne allerdings genau hinzusehen gewahrte er einen stattlichen jungen Mann hinter ihr, entweder noch ein Besucher, oder der eigentlich Grund für die völlig unerwünschte Anwesenheit dieser Sklavin. In jedem Fall zog er an den Mundwinkeln, polierte ein wenig seine Stimme und fragte "Bitte?"

  • Na da guckst du ma, blöder Pfeiffenheini! Das hatte ich natürlich nich gesagt, sondern nur gedacht! Ob der Typ sich an mich noch erinnerte? Na ja, vielleicht litt er ja auch an temporärer Amnesie!
    "Na, kennste mich noch?" Das war eine gallische Umschreibung für Salve! "Mein dominus Titus Aurelius Ursus is da un möchte zu Flavius Lucanus, wenn´s recht is!" So woll´n wir doch ma seh´n, ob der heute auch so störrisch war!


  • Ein fulminabler Irrtum wäre, Acanthus für unwillig oder gar störrisch zu halten; er erfüllt seine Pflicht, nicht mit Leidenschaft, sondern leidenschaftslos und in dieser Leidenschaftslosigkeit liegt die Hingabe eines kunst- und feinsinnigen Menschen, der seiner Aufgabe, so klein und unbedeutend sie im Kosmos auch sein mag, den Platz zukommen lassen möchte, der ihr von seinen Herren zugedacht ist.


    Wir an dieser Tür nicht scheitert, der hat es geschafft, der ist ein "jemand" und nicht vielmehr einer der namenlosen Nichtse, Sternchen und Adabeis, die um Aufmerksamkeit buhlen, aber außer Buhlschaft nichts zu bieten haben. Diese Tür hebt die Mächtigen auf ihren Thron und stürzt die Niedrigen - dorthin, wo sie hergekommen und niemals hätten hervorkriechen dürfen. Dies ist die Aufgabe von Acanthus, er erfüllt seine Aufgabe im Mikrokosmos wie im Makrokosmos, sein Blick urteilt über "in" oder "out", voller Feingefühl und Sensibilität, lange bevor die Klatsch-Redakteuer der Acta Diurna von den Stürmen der Mode und Macht Kenntnis nehmen könnten.


    Er wirft einen überflüssigen Blick auf die imaginäre Gästeliste - in welchem Range der Gnade stehen die Aurelii nach den Skandalen um die Meditrinalia und die "Leute-heute"-Kolumne in der Acta Diurna? Ein wenig auf der Kippe, nichtsdestotrotz finden sich die Aurelii als gens auf der Liste.


    Acanthus tritt vor, löst die imaginäre rote Kordel aus ihrem Haken, zuckt währenddessen mit einer Augenbraue, die einen Sklaven in Bewegung setzt, der den venerablen dominus Flavius Lucanus in Kenntnis des Besuches setzen soll. Das Räderwerk lief an.


    "Salve! Rechter Fuß vor, dominus!", entbietet Acanthus dem Gast seinen Gruß, Caelyn nun da sie ihre Schuldigkeit getan, völlig ignorierend.


    Ein schlaksiger Negersklave, in Rot und Gold gewandet, tritt vor. "Herzlich willkommen! Wenn Du geruhst, dem Jungen ins Atrum folgen? Dominus Flavius Lucanus wird umgehend von Deiner Ankunft erfahren."


    Ein weiterer Sklave tritt einen Halbschritt vor, um Caelyn zum servitricium zu geleiten, damit ihr die Gastfreundschaft des Flavischen Haushalts wenigstens in seiner fundamentalsten Entfaltung angedeihe.

  • Ursus hob eine Augenbraue und musterte den Ianitor der Flavier ein wenig abschätzend, dann trat er in das Haus und grüßte nur mit einem einfachen und für ihn ungewöhnlich kühlen "Salve" zurück. Natürlich war ihm bewußt, daß ein Ianitor die undankbare Aufgabe hatte, die Spreu vom Weizen zu trennen, und die einen gnadenlos abblitzen zu lassen, während die anderen als geehrte Gäste einzulassen waren. Die Entscheidung, ob jemand zu dem einen oder dem anderen gehörte, war manchmal nicht einfach. Doch der Name Aurelius hätte genügen müssen, ohne irgendein Theater mit einer Liste oder ähnlichem. Zumal Lucanus ja sicherlich seinen Türsteher darüber informiert hatte, daß er Ursus erwartete.


    Als Caelyn von einem Haussklaven praktisch abgefangen wurde, nickte er ihr zustimmend zu. Sicherlich würde sie bei den Sklaven des flavischen Haushaltes mehr Freude finden, als wenn sie ihm und Lucanus stumpf zuhören mußte. Ursus selbst nickte dem rotgoldenen Schwarzen dankbar zu und folgte dem Jungen ins Atrium. Das klang doch schon wesentlich herzlicher und für ihn angemessener.

  • Cassander hatte die italische Halbinsel nun doch nach einiger Zeit auf See erreicht. Im Gepäck hatte er einiges an Korrespondenz mitgebracht.


    "Salve, Acanthus. Ich bin es, Cassander. Muss einige Briefe abliefern."


    Damit ging er durch die Tür und verschwand auch wieder inmitten des riesigen Hauses.


  • Stets war es die gleiche Misere. Den ganzen Tag über stand Acanthus, Ianitor der Villa Flavia, geduldig an der Pforte und wartete einzig darauf, dass ein Besucher jener sich näherte. Irgendwann begann das Drängen, doch er stellte seine Bedürfnisse immer hinter seine Aufgabe zurück. Irgendwann später jedoch wurde es unerträglich und genau in diesem Moment geschah, was in einer Villa wie jener flavischen kaum möglich war: kein einziger Sklave war in Rufweite. Mit einem umsichtigen Blick vor die Türe versicherte der Ianitor sich dann, dass niemand auf dem Weg war und huschte davon.


    Selten geschah es, doch manches Mal kam gerade dann ein Besucher, wenn Acanthus eben die Erleichterung der Leichtigkeit verspürte. Er hörte das Klopfen bereits als er sich auf dem Rückweg an die Türe befand. Eilig hing er die Kette um seinen Hals wieder an den Haken neben der Pforte - die Herren bestanden darauf, da solcherlei einen sehr traditionsbewussten Eindruck erweckte - und öffnete bemüht langsam, als wäre es völlig normal, dass einem unwichtigen Besucher erst nach dem zweiten Klopfen geöffnet wurde.


    "Was willst du?" fragte er den vor der Tür stehenden Mann mit kritischem Blick, denn wie ein hoher Besucher sah jener nicht aus.

  • Einige Augenblicke später, das zweite Mal Klopfen hatte sich gelohnt.


    "Salve Gnaeus Postumius Rufus vom Cursus Publicus, ich bin gekommen, weil die Wertkarte dieser Gens leicht überzogen ist... und sie daher aufgefrischt werden sollte."


    Grüßte er, stellte sich mit seinem römisch-bürgerlichen Namen vor und zeigte auch das Signum des Arbeitgebers dabei vor. Als Bürger der Stadt, des Reiches, hatte man erstmal keinen Grund mehr ihn einfach abzuwischen oder von der Tür davon zu jagen.

  • Diesmal verlief die Anreise des inzwischen 11 Jahre alten Lucius Flavius Serenus zur Villa Flavia für
    Lupus Crassus, Führer der besten Leibwächtervermittlung von ganz Baiae, ausgesprochen friedlich. Überhaupt war die Reise von Baiae nach Roma wider Erwarten angenehm gewesen.


    Mit Serenus waren 5 weitere patrizische Kinder aus Baiae nach Roma gereist, was an Bord des Schiffes für Kurzweil gesorgt hatte. Erfreulicherweise hatten die Kinder Kurzweil untereinander ohne das Schiff zu versenken oder die Begleitmannschaft in den Selbstmord zu treiben. Nachdem der Kapitän des Schiffes, mit Rückendeckung von Senator Cornelius (welcher ebenfalls mit an Bord war), gedroht hatte den jungen Flavius Serenus und seinen Freund Cornelius Cicero (den Sohn des zuvor genannten Senators) bei den Sklaven an die Ruderbänke zu ketten und ihre "Sklave Gaius ist der Beste"-Sammlungen über Bord zu werfen waren die Kinder so lieb und artig gewesen, dass Lupus sich zeitweilig fragte, ob das noch dieselben Monster waren, die in Baiae eingeschifft worden waren.


    Gleich würde sein Auftrag an der Porta der Villa Flavia enden. Er betete zu den Göttern, dass der junge Dominus so lange noch schlief. Ein Geschenk der Götter war es nämlich gewesen, daß Serenus kurz nach dem Aufbruch in Ostia eingeschlafen war und so den ganzen letzten Reiseabschnitt verpennt hatte. Nun ja, eine Prise Schlafmohn in den Frühstücksfruchtsaft spielte natürlich auch eine klitzekleine Rolle.


    Lupus Crassus drehte sich zu seinen Stellvertreter Rusticalus um, welcher ihm mit der achtköpfigen Vorhut folgte, die den Sänften- und Gepäckkarrentross anführte.


    Zuerst kam die repräsentative Einsitzer-Sänfte von Senator Cornelius, den er anschließend noch 3 Anwesen weiter eskortieren würde. Dann folgte die Sänfte von Flavius Serenus, wiederum gefolgt von der großen Sänfte von Senator Cornelius mit dessen Leibsklavin und den restlichen Kindern. Dazwischen immer wieder Leibwächter, Sklaven, Ersatzträger.


    Den Sänften folgten unzählige Ochsenkarren voller Gepäck und ein Heer von Sklaven und Lasterträgern. Und dabei handelte es sich angeblich nur um das Handgepäck der anreisenden Patrizier. Die Nachhut seiner eigenen Leute konnte er schon gar nicht mehr am Ende des Zuges erkennen. Er erinnerte sich vage, dass Dominus Flavius das letzte Mal mit nur 2 Ochsengespannen, etwa 5 Tonnen Gepäck, 1 Ziegenrennwagen und 1 Ziege angekommen war. Und 1 riesigen Hund.


    Mit dem Alter schien bei Patriziern auch Gepäck zu wachsen. Diesmal waren es schon 5 Ochsenkarren, mindestens 15 Tonnen Gepäck, 4 Rennziegen, ein total verschrammelter Ziegenrennwagen (ein älteres Saturnaliengeschenk von Flavius Gracchus) der so oft repariert worden war, dass kaum ein Ursprungsteil noch vorhanden war und ein größerer Rennwagen, der von 2 Ponies gezogen wurde. Die absolute Kuriosität bildete aber ein leerer Käfigwagen auf kleinen Rädern, welcher für einen Löwen gedacht war, der aber erst in Roma gekauft werden sollte. Wenn man zumindest den riesigen Kampfhund des jungen Dominus während der Reise dorthin verfrachtet hätte, aber stattdessen blieb der Käfig leer. Wenigstens hatte der Köter während der Reise keinen Stress gemacht und war auch den ganzen Tag artig neben der Sänfte gelaufen. Und das obwohl man auch dem Tier eine große Portion Schlafmohn ins Futter gemischt hatte.


    Lupus schüttelte den Kopf. Diese Patrizier waren alle irre. Lupus Crassus ging zur Tür der Villa und klopfte, während hinter ihm die flavische Sänfte und das flavische Gepäck aus dem Tross ausschwenkten.


    KLOPF! KLOPF! KLOPF!



  • Eine Lawine begann auch nur mit einem einzigen Stein. Ruhe herrschte, bevor jener Stein zu rollen begann, andere kleine Mitgenossen mit riss und sich in einer tödlichen Lawine in das Tal wälzte, um Bäume um zu reißen, sie zu entwurzeln, Sträucher zu zerdrücken und alles lebendige platt zu drücken, ein Entkommen war nicht abzusehen. Und in jener Ruhe verharrte der Ianitor noch, in der Erwartung eines weiteren monotonen Tages, der ihm im Höchstfall ein paar ungebetene Gäste und Schmarotzer einbringen würde, oder aber den einen oder anderen gewichtigen Gast, ob an Körpermasse oder politischer Bedeutung. Was sich da jedoch in einem höchst ungewöhnlichen Zug näherte, das erahnte selbst Acanthus nicht. Auch als er das Pochen an der Tür hörte, vermochte er noch keine Vision sein Eigen zu nennen, noch eine Ahnung zu verspüren. Er erhob sich von seinem Sitz, streckte seine steifen Glieder und ging wie üblich und wie so oft auf die Tür zu, um sie zur Hälfte zu öffnen, sein grimmiges Gesicht stierte nach draußen und musterte den Mann vor seiner Tür. Es war die Tür der Flavier, aber so oft er sie in all den Jahren geöffnet und geschlossen hatte, geölt und gepflegt, so sehr meinte Acanthus auch in gewisser Weise ein Mitbesitzer jener Tür zu sein. "Was willst du?"


    Reichlich blass sah der Mann aus vor der Tür und unbekannt. Acanthus konnte einen Blick auf den ankommenden Tross vor der Villa erspähen und seine Augenbrauen zuckten andeutungsweise. Die Ahnung beschlich Acanthus, der schon vor einiger Zeit ähnliches erlebt hatte. Zudem erkannte er auf einer der Sänften eindeutig ein flavisches Wappen. Acanthus drehte sich um und klatschte in die Hände. Was sehr effektiv war, denn gerade war ein anderer Sklave vorbei gehuscht. "Rufe ein Dutzend Sklaven zusammen. Herrschaft ist eingetroffen." Gesagt, getan! Schon füllte sich der Eingangsbereich mit zahlreichen flavischen Sklaven, darunter auch eine kleine blonde, maulige Sklavin, die nicht wirklich Lust zu Arbeit hatte, aber gnadenlos von einem Knecht mitgezogen wurde.


    Für Dido war es nämlich ein ganz mieser Tag. Es war ihr zehnter Geburtstag, aber keiner hatte sich daran erinnert, keiner auch nur ein Wort ihr gegenüber verloren, geschweige denn von einem kleinen Präsent. Aber sie hatte auch nicht viel anderes erwartet, selbst an ihrem neunten Geburtstag war es nicht anders gewesen. Schlecht gelaunt schlenderte sie an den anderen Sklaven vorbei und nach draußen. Auf die Straße zu, wo der gesamte Tross halt gemacht hatte. Mit einer Schnute im Gesicht betrachtete sie all die Sänften, ihr Blick glitt über einen der Wägen, auf dem sie etwas vages bekanntes erkannte. Oh! Sie blinzelte. War das nicht ein kleiner Rennwagen? Etwas verbeult und lädiert, aber eindeutig das gracchische Geschenk. Von etwas weiter hinten hörte Dido ein sehr vertrautes Kläffen und sah auf die Wappen. Cornelia, Flavia...? Oh! Didos Augen weiteten sich, dann kam die Erkenntnis. „Dominus!“, rief sie laut und schon rannte Dido den Rest des Weges bis zu der Sänfte mit dem golden, verschlungen Stab. Schwupps, schon war sie bei der Sänfte angekommen und riß den schützenden Vorhang zur Seite. Ihr Gesicht strahlte vor Aufregung und Spannung. Da war er ja! Ihr Dominus! Serenus. Und er....schlief? Dido guckte ihn etwas verdutzt an. „Dominus! Dominus!“, krakeelte sie dennoch und zupfte ihm ungeduldig an dem Arm. „Aufwachen!! Du bist daaaaaaahaaaaaa! Saaaalve, Dominus!“ Ganz entgegen ihrer sonstigen Gewohnheit hatte Dido das dringende Bedürfnis, Serenus einen dicken Schmatzer auf die Wange zu geben. Was sie wohl auch tun würde, wenn Serenus nicht sofort erwachte!

  • „Serenus überholte den gesichtslosen Fahrer der Veneta und drängte ihn an die Außenmauer der Rennbahn ab. Unter dem Jubel der Tausenden und Abertausenden Zuschauer zersplitterte die Quadriga der Veneta beim Kontakt mit der Mauer. Serenus, Fahrer der Russata, holte das Letzte aus seinen vier Pferden raus. Die Ziellinie kam näher und näher …“ als ihn Didos Stimme aus dem Schlaf riss.


    Huch! Offensichtlich war man schon da. Eben war man doch noch im Hafen von Ostia. Serenus streckte sich, gähnte ausgiebig und stieg dann patrizisch gemessenen Schrittes aus der Sänfte.


    Derweil hatte auch sein Kampfhund Nero Didos Anwesenheit entdeckt. Der riesige Hund sprang bellend und schwanzwedelnd um Dido herum und zeigte ein freundliches Verhalten, dass er Sklaven gegenüber quasi nie an der Tag legte. Und der Ianitor schaffte es mit langjähriger Routine einen Überblick über das Chaos zu gewinnen und binnen weniger Herzschläge das gesamte auflaufende Inventar an Mensch, Tier und Frachtgut durch die Porta zu schleusen, während Senator Cornelius in seiner Sänfte darüber grübelte, ob er der Gens Flavia diesen Ianitor nicht abkaufen sollte. Vor seiner Porta klappte das nie so gut. Da tat er stets gut daran erst einmal in der Villa zu verschwinden und die nächste Stunde nichts mehr vom Tumult an der Porta mit zu bekommen.


    Serenus stellte sich neben Dido uns musterte diese mit kritischem Blick. Und atmete erleichtert auf. Uff! Dido war mindestens 4 Zentimeter kleiner als er und damit weniger gewachsen als er selbst. Ein freundliches Lächeln zauberte sich auf sein Gesicht. Als Patrizier galt es eine gewisse Haltung und Würde zu bewahren, aber ein freundliches Lächeln war erlaubt. Zumal Dido ja seine Leibsklavin war. Und wehe den Bewohnern der Villa, wenn man sie nicht gut behandelt oder gefüttert hatte. Etwas dünn sah sie ja aus. Hoffentlich hatte man ihr keine „Du bist klein, hässlich und viel zu dick “-Komplexe eingeredet. Oma Agrippina achtete sehr oft penibel auf das Gewicht einiger männlicher Bade- und Massagesklaven von ihr selbst. Serenus achtete auf sie etwas nicht. Als sein Hund Nero unlängst versehentlich die dicke Gunhilda aus Lutetia ins Wasserbecken der Therme stuppste hatte es einen lustigen Platscher bis fast zur Decke gegeben. Und dicke Leute waren meistens gut gelaunt.


    „Ah, Dido. Wie ich sehe geht es Dir gut. Sobald ich mich bei meiner Familie zurück gemeldet habe setzen wir uns in meinem Cubiculum zusammen und du erstattest mir einen umfassenden Bericht über die aktuellen Geschehnisse in der Villa. Halt Dinge über die ich Bescheid wissen sollte. Wer alles da ist, was es Neues gibt, wer mit wem Streit hat und wer alles zu wem gehört. Und ich möchte wissen, wie es Dir in meiner Abwesenheit ergangen ist und wie man dich behandelt hat. Gib der Küche Anweisung, dass mein Frühstück heute sehr bescheiden ausgefallen ist, ich aber später nur einige leichten Kleinigkeiten zu mir nehmen möchte. Und in der nächsten Zeit sollten Meeresfrüchte auf meinem Speiseplan nur sporadisch auftauchen. Und dann packen wir noch einige Geschenke und viele mitgebrachte Sachen aus. Ich habe auch einiges für dich dabei.“


    Da Baiae am Meer gelegen war gehörten Fisch und Meeresfrüchte selbst in einem patrizischen Haushalt zum festen Speiseplan. Während man in Roma nach Hummer, Muscheln, Austern, Langusten und frischem Fisch geradezu gierte, erfreute sich Serenus als Besucher aus Baiae eher die ersten Tage und Wochen einer Kost, die nicht aus dem Wasser stammte. In Roma gab es eindeutig öfters Fleisch als in Baiae, wenn kein Besuch da war den man mit frischem Meeresgetier beeindrucken musste. Mit Fleisch war Oma Agrippina auf Serenus Speiseplan stets sehr geizig. Wenn gab es meistens Wild und Lamm, aber selten Rind, Schwein, Huhn und Stallhase.


    Dann pfiff er nach seinem riesigen Kampfhund Nero, welcher zwischenzeitlich hier und da schnüffelte und da und dort das Bein hob um die ein oder andere Mauer und Säule zu markieren.


    Serenus erkundigte sich bei Acanthus wer gerade von der Familie im Hause anwesend war, winkte seine Leibsklavin Dido hinter sich her (bevor der erste erwachsene Sklave sie zum Gepäckträger degradieren konnte) und machte sich auf zur Familie.


    Kaum war Serenus im Innern der Villa verschwunden zückte Lupus Crassus mehrere Wachstafeln aus einem Lederbeutel und ließ sich die Ablieferung von Serenus nebst Gepäck und Getier schriftlich (!) bestätigen. Außerdem händigte er ein Bündel Briefe aus, worunter auch Ernährungsanweisungen für die Küche hinsichtlich Serenus waren. Flavia Agrippina trug somit Sorge, dass die Spinat- und Gerstenbreitage auch in Roma weiterhin gesichert waren. Derweil strömten aus den Schatten und Türen ameisengleich weitere gesichtslose Sklaven herbei und machten sich an die Mammutaufgabe binnen kürzester Zeit die mitgebrachten Tiere zu versorgen und die Unmenge an Gepäck zu entladen und an seinen Bestimmungsort zu transportieren. Beschriftungen auf den Kisten, Bündeln und Packen ( wie zum Beispiel Ziegenfutter, Kleidung, Geld, Waffen, Sklave Gaius, Büsten, Statue, Rüstung, Rennkleidung, Schriftrollen, Neros Körbchen, neue Kleidung Dido, Didos Hund, Kissen, Decken, Spielsachen, Musikgeräte, Spielkleidung, Saatgut, Schösslinge, Angelausrüstung, Sklavenbestrafungsinstrumente, Totenmaske von Mama, Giftphiole für Claudia Epicharis, Schmuck und Edelsteine, Spielsachen, Kleidung, Spielsachen, Spielsachen, Kleidung, Süßigkeiten, Kleidung, Schuhwerk, Teppiche, Kuscheldecke, Felle, Kinderwiege als Geschenk für Flavius Gracchus, diverse weitere Geschenke etc.), sowie eine genau Inventarliste halfen den Scribas die Sklaven in die richtigen Räumlichkeiten zu lotsen.
    Schnell wurde ersichtlich, dass man auf weitere Räumlichkeiten ausweichen musste, denn obgleich Serenus das größte Zimmer der ganzen Villa bewohnte (inklusive einem riesigen begehbaren Wandschrank, welcher seiner Leibsklavin Dido als Zimmer diente) zeichnete sich im gut verpacktem Zustand Platzmangel ab. Und so wurde ein Teil des Gepäcks erst einmal dezent in den leerstehenden Räumlichkeiten von Senator Flavius Felix und Flavia Minervina eingelagert, während die Kisten mit dem Vermerk „Karten & Schriftrollen“ in Serenus altem Arbeitszimmer (der Bibliothek) landeten. Entweder hatte Serenus die Bibliothek in Baiae geplündert oder Flavia Agrippina hatte aus Aegyptus weitere unzählige Abschriften und Originale für Serenus besorgt. Als bald stapelte sich einiges in der Bibliothek.


    Mit der Geschwindigkeit eines Falken im Sturzflug verbreitete sich die Anwesenheit von Serenus und Nero unter den sklavischen Bewohnern und wenigen Freien des Anwesens. Und schon bald eilten unzählige Sklaven zwischen jenen Gängen und Räumen der Villa, welche zu den bekannten Wirbelwindschneisen von Serenus gehörten, und einem speziellen Raum im Keller hin und her. Routiniert und still wurden erlesene Statuen, Büsten und teure Vasen gegen perfekte Kopien ausgetauscht. Die wertvollen Originale verschwanden in den Räumlichkeiten von Flavius Gracchus und dem Kellerraum.
    Senator Flavius Felix mochte alt und senil und auch nicht mehr in der Villa anwesend sein, aber seine schriftlichen Anweisungen waren immer noch gültig und zeugten von enormer geistiger Brillianz, die man in etwa wie folgt zusammen fassen konnte.


    Spielendes Kind in der Villa = zwangsläufig kaputter Hausrat = teuer.


    Alles wertvolle Austauschen = Kopien = billig im Kaputtfall.


    Besuch in der Villa = Originale wieder aus Keller wegen Repräsentation UND Kind im Keller einsperren oder aus der Villa aussperren.


    Anweisung bewährte sich schon bei Milo und Furianus! Ergo auch bei Serenus!

  • Zitat

    Original von Gnaeus Postumius Rufus
    Einige Augenblicke später, das zweite Mal Klopfen hatte sich gelohnt.


    "Salve Gnaeus Postumius Rufus vom Cursus Publicus, ich bin gekommen, weil die Wertkarte dieser Gens leicht überzogen ist... und sie daher aufgefrischt werden sollte."


    Grüßte er, stellte sich mit seinem römisch-bürgerlichen Namen vor und zeigte auch das Signum des Arbeitgebers dabei vor. Als Bürger der Stadt, des Reiches, hatte man erstmal keinen Grund mehr ihn einfach abzuwischen oder von der Tür davon zu jagen.


    Acanthus nickte, leicht überzogene Rechnungen gab es ab und an in jedem Haushalt, meistens dann, wenn die Damen einkaufen waren, wenn die Herren glaubten, sich um Dinge kümmern zu müssen, die sie nichts angingen - Speisen und Attraktionen für Gastmähler zum Beispiel - oder wenn die Kinder in der Stadt ein wertvolles Gut entdeckt hatten. Oder eben, beim Cursus Publicus. Allerdings kümmerten sich die hohen Herren und Damen nie selbst um solche Lappalien.


    "Komme herein, du kannst mit dem Vilicus des Hauses sprechen." Er winkte einen Sklaven heran, der den Beamten in die Villa hinein führte, um einen anderen zu Sciurus zu schicken.

  • Der Laufbursche aus dem Haushalt von Senator Macer hatte nicht lange gebraucht, bis er die Villa der Flavier erreicht hatte. Er machte seine Sache gut, kannte jeden Weg in Rom und wusste, wie er sich seine Kräfte einteilen musste, um schnell zu sein und trotzdem nicht atemlos irgendwo anzukommen. Routiniert klopfte er an die Pforte.


  • Wenn man den ganzen Tag an der Porta saß und darauf wartete, die einzige Bestimmung zu erfüllen, die der Haushalt an den Sklaven hegte, dann lernte man, seinen Geist zu beschäftigen, während man den Eindruck von geflissentlicher Geschäftigkeit erweckte. Philosophen würden den Ianitor beneiden, wüssten sie, wie viel Zeit er mit sich und seinen Überlegungen verbringen konnte. War der Laut in einem Wald von Bedeutung? Was macht das Ich aus? Warum ist der Mensch so wie er ist? All das hätte Acanthus in all den Stunden in seinem Geist erörtern können. Gelegentlich tat er das auch. Aber seine Gedanken drehten sich in jenem Augenblick vornehmlich darum, wie er die nächsten beiden Stunden auf diesem Hocker an Besten verbringen konnte. Schon seit dem Morgen war niemand an der Porta aufgetaucht. Selbst das übliche Gesindel, das sich die Essensreste der letzten Cena ergattern wollte, hatte sich heute nicht sehen lassen. Doch schließlich wurde Acanthus erlöst und es klopfte. Erleichtert erhob sich der Ianitor und trat zur Porta, um sie einen Spalt zu öffnen und den Klopfer zu inspizieren. Mit geübtem Auge wurde ermittelt, ob ein gewichtiger Herr vor der Tür stand und sich darum ein Salve lohnte.
    "Was willst Du?"

  • "Senator Purgitius Macer schickt mich mit einer Nachricht für seinen Klienten Flavius Aquilius", stellte sich der Laufbursche vor. Sein eigener Name tat nichts zur Sache, das wusste er schon seit Jahren. Genauso wie er wusste, dass nicht jede Nachricht es wert war, den Empfänger damit unmittelbar zu behelligen. "Der Senator lädt seinen Klienten für den Abend des Tages ANTE DIEM VI NON MAR DCCCLVIII A.U.C. (2.3.2008/105 n.Chr.) zur achten Stunde des Tages in seine Casa ein."


  • Purgitius Macer war natürlich ein Name, der in der Villa bekannt war, nicht nur, weil eben jener Senator als ein sehr volksnaher und beliebter Senator galt, sondern auch weil er der Patron eines Flaviers war. Acanthus, der in dem Laufburschen nur den verlängerten Arm und Mund für den wohlbekannten Politiker und ehemaligen Statthalter sah, zog die Tür noch eine Nuance weiter auf. Es war schließlich kein Gesindel vor der Tür und die Botschaft konnte mitunter für den Herrn sehr wichtig sein, den flavischen Herrn wohl gemerkt. "Möchtest Du die Botschaft persönlich ausrichten oder soll ich sie dem Herrn Flavius Aquilius übermitteln?", fragte Acanthus ohne Schnörkel und Ausschweifungen.

  • Pflichtbewusst und bequem wie er war, hatte der Laufbursche keinen eigenen Wunsch, was er möchte. Er hatte nur Anweisungen, was er sollte. Was durchaus etwas Praktisches an sich hatte, denn so ließen sich seinen Arbeitszeit für seine Aufgaben und seine spärliche Freizeit für seine eigenen Wünsche prima trennen. Seine Anweisung lautete jedenfalls nicht, die Nachricht persönlich zu überbringen. Sie lautete nur, auf Antwort zu warten, falls der Empfänger anwesend war. "Nein, es ist nicht nötig, dass ich Flavius Aquilius persönlich störe. Wenn er aber zu Hause ist, warte ich auf Antwort, ob er den Termin wahrnehmen kann."


  • "Dann wirst Du die Antwort des Herrn bald bekommen. Warte einen Augenblick!"


    Natürlich würde nicht Acanthus persönlich die Nachricht zu der Herrschaft tragen. Dafür war er an der Porta zu wichtig, um als Laufbursche der Villa zu dienen. Er winkte einen Sklaven heran, einen Jungen, der noch nicht mal vierzehn Lenze gesehen hatte, und übertrug die Botschaft dem Burschen. Dieser eilte sogleich von dannen, um die stille Post des Senators an das Patrizierohr des Aquilius heran zu tragen. Acanthus derweil ließ es sich nicht lumpen und reichte dem Überbringer der purgitischen Botschaft einen Tonbecher mit Wasser, damit dieser sich für den Rücklauf erfrischen konnte. Eine Plaudertasche war Acanthus indes nicht, so blieb er starr stehen und ließ den Laufburschen nicht aus den Augen. Geduldig wartete Acanthus, der sonst keine andere Aufgabe hatte als diese Tür zu bewachen.

  • "Danke", sagte er Laufbursche und nahm den Becher entgegen. Eine entsprechend freundliche Behandlung war nicht selten an vornehmen Türen, aber andererseits auch keine Selbstverständlichkeit. Deshalb freute er sich über jeder dieser Gesten und trank das Wasser in lagsamen Schlucken. Der Türhüter schien kein Gespräch anfangen zu wollen, also tat er es auch nicht, auch wenn er mit etwas Geschick auf diesem Weg vielleicht andere nützliche Neuigkeiten hätte mitbringen können, um seinen Herrn zu erfreuen. Schnell etwas zu wissen, was nicht jeder wusste, war ein wichtiger Vorteil in Rom.

Jetzt mitmachen!

Du hast noch kein Benutzerkonto auf unserer Seite? Registriere dich kostenlos und nimm an unserer Community teil!