Servitriciuum | Auf der Suche

  • Der Staub hatte sich gelegt, wenigstens so weit, dass Evridiki wieder atmen konnte. Nachdem ihre Domina den für die Griechin ersten richtigen Wutanfall gehabt hatte, blieb kaum etwas zu tun. Sicher, ein Schock war es gewesen - aber vermutlich auch nur, weil die Sklavin so neu im Hause war. Aber bei allem Gekeife blieb am Ende eine einfache Erkenntnis hängen: Domitilla hatte ihre Sklavinnen weggeschickt, und das überdeutlich. Sie wollte nichts, nicht einmal deren Gegenwart. Das bedeutete, solange Evridiki in Reichweite und arbeitsfähig blieb, gab es kein absehbares Problem. Soweit die Rechtfertigung der Sklavin für ein wenig "Freizeit".
    Freizeit hieß in diesem Fall, am frühen Abend noch vor der nächsten Speisung durch die Gänge des Bediensteten- oder Sklaventraktes zu wandeln, sich so gut wie möglich die Lage und Funktion der einzelnen Räume einzuprägen und ansonsten einfach mal an Nichts zu denken. Doch dieses "An-Nichts-Denken" wollte dem Mädchen nicht so recht gelingen; Zu markant war die Erinnerung an diesen Boten - oder wenigstens an die Situation zuvor im Cubiculum der Flavia. Angus. So kam es, dass sich Evridiki, natürlich rein zufällig, auch ganz genau einprägte, wo der Schlafsaal der männlichen Sklaven zu finden war. Und ebenso zufällig ging sie "ein wenig" langsamer, wann immer sie auf ihrem Rundgang dort vorbeikam. Wenn dieser Angus Sklave des Hauses war, so musste er sich doch irgendwann mal in der Nähe blicken lassen. Doch ihr Verhalten war natürlich völlig unabhängig von solchen Überlegungen...
    Der Bote war die eine, positive, Richtung, die ihre Gedanken einschlugen. Die andere betraf das Verhalten ihrer Domina: Sollte die Griechin selbst dafür verantwortlich sein, dass sie von ihrer Herrin angekeift wurde? War es wirklich nur die Laune der Flavia, an der alles lag? Wie viel von dem, was Candace erzählt hatte, entsprach der Wahrheit? War es im Nachhinein betrachtet wirklich richtig, alles so einfach auf Andere zu schieben? Oder musste sich die Griechin selbst Vorwürfe machen, wenn man genau hinschaute? Hier ging es nicht mehr um einen Schock; Es ging vielmehr um die ernsthafte Überlegung, was von dem Gebotenen wem wirklich zuzuschreiben war.
    Und wie die Kurze so zerrissen war zwischen zwei so unterschiedlichen Themen - auf der einen Seite die Suche nach dem mysteriösen Boten, und die Frage, was man dem dann überhaupt sagen wollte; auf der anderen Seite Zweifel an ihrer eigenen Situation, und ob es denn doch noch so ein Segen sein konnte, bei Flavia Domitilla gelandet zu sein - ergab es sich, dass sie letzten Endes allzu routiniert und fast wie in Trance durch die ungeschmückten Gänge streifte...

  • Ich hatte eben erst das balneum verlassen und schlenderte nun gut gelaunt und ein Liedchen pfeifend durch die Gänge des Sklaventraktes. Nun war ich frisch gewaschen und trug endlich wieder saubere Kleidung. So fühlte ich mich gleich viel besser. Außerdem hatte ich bis eben noch Irmhiltas süße Lippen kosten dürfen. Die kleine Germanin war ja ganz verrückt nach mir gewesen und hatte für mich, wohl als Ausdruck ihrer Zuneigung, eine Strähne von ihrem blonden Haar abgeschnitten. Mit einem Faden hatte sie sie zusammengebunden und mir geschenkt. Bevor ich mich nun wieder bei Scato blicken ließ, wollte ich das Geschenk schnell noch in meiner Truhe verstauen. Nicht dass der Flavier noch auf dumme Gedanken kam!


    Meine Finger spielten mit der blonden Strähne, als ich immer noch ganz in Gedanken bei meiner süßen Germanin in jenen Gang einbog, der mich direkt zu den Schlafsälen der männlichen Sklaven führte. Noch einmal sog ich ihren Duft ein, der noch immer daran haftete. „Ach Irmhilta“, seufzte ich leise. Ich wollte jede Strapaze auf mich nehmen, wenn ich mich zur Belohnung am Ende von ihr waschen lassen durfte. Dumm nur, dass ich scheinbar für meine nächste Umgebung kaum einen Sinn hatte. Denn beinahe wäre ich mit einer jungen Frau zusammengestoßen, die mit dem Rücken zu mir stand. Als ich gerade noch rechtzeitig die endgültige Kollision verhindern konnte, erkannte ich sie wieder. Das war doch die kleine Griechin von Domina Domitillas Tür! Sie schien neu hier zu sein. Wahrscheinlich war sie hier angekommen, als ich auf meiner Reise nach Ravenna unterwegs gewesen war. Wie hieß sie noch gleich? Efideki oder Erideki? Oder vielleicht hieß sie doch ganz anders? Aber was mich im Augenblick noch viel mehr interessierte, war die Frage, was sie hier suchte? Hier war sie doch völlig fehl am Platz und musste damit rechnen, von ein paar rüpelhaften Sklaven belästigt zu werden.
    „Salve Efideki. Was machst du hier? Hast du dich etwa verlaufen?“ Immer noch ganz offensichtlich bewegte sich die Strähne zwischen meinen Fingern, bis ich sie endlich in meiner Faust verschwinden ließ. Stattdessen setzte ich ein ziemlich treudoofes Grinsen auf, nur um die Tatsche zu übermalen, von ihr erwischt worden zu sein, wie ich mich mit einer meiner Trophäen verlustiert hatte.

  • Als hinter ihr eine Stimme ertönte, dazu noch eine unbekannte, denn viel gehört hatte sie ja an der Tür der Domitilla nicht, erschrak die Griechin zunächst. Blitzartig fuhr sie herum, die Hände in einer seltsamen Abwehrhaltung ungefähr auf Brusthöhe. Unsicher oder gar ängstlich starrte sie den an, den sie nun vor sich hatte. Selbst, als sie ihn als den Sklaven erkannte, nach dem sie doch eigentlich suchte, fiel diese Unsicherheit nicht von ihr ab; Eher steigerte sich die Nervosität um ein beträchtliches Maß, und es schoss ihr doch wieder eine gesunde Röte in's kindliche Gesicht.
    "S..Salve. Was.. ich hier mache? Ich schätze, verlaufen ist nicht das richtige Wort, aber...", eifrig schüttelte sie den Kopf, "Sagen wir einfach, ich sehe mich um. Ist das.. ein Problem?" Dazu hob sie eine ihrer sanft geschwungenen und ordentlich gezupften Augenbrauen an, was sie unter'm Strich eher skeptisch aussehen ließ.


    Nichts wäre der Sklavin unangenehmer gewesen als diese Situation. Nicht nur, dass Angus sie dabei ertappt hatte, wie sie sich in einem Bereich aufhielt, der ganz bestimmt nicht der ihr zugeteilte war; Auch wenn er das mit diesem debilen Grinsen zu überspielen versuchte, er empfand sie offensichtlich zu allem Überfluss gar als Störfaktor. Und ein Störfaktor wollte sie bestimmt nicht sein, egal für wen. Sie spielte mit dem Gedanken, ein "Ich geh dann mal" einzuschieben und schnell zu flüchten, verwarf den Gedanken doch erst einmal wieder. Sollte dieser auf einmal doch so saubere Angus doch sagen, was immer er zu sagen hatte. Die Haarsträhne zwischen seinen Fingern fand keine Beachtung. Fraglich, für wen von beiden das besser war...

  • Mit meinem Auftauchen hatte sie anscheinend am wenigsten gerechnet. Wieso war sie sonst so erschrocken, als ich sie ansprach? Ob sie nun in geheimer Mission unterwegs war oder einfach nur schnüffeln wollte (warum auch immer), war mir eigentlich einerlei. Amüsant fand ich lediglich ihr Erröten. Sie sah dabei noch kindlicher aus, als es bereits ihr Erscheinungsbild vermuten ließ. Schwer abzuschätzen, wie alt sie tatsächlich war. Doch scheinbar alt genug, um hier in diesem Teil des Servitriciuums herumzuschleichen.
    „Ein Problem?“ echote ich. „Nicht direkt, aber…“ Wichtigtuend vergewisserte ich mich, ob wir tatsächlich allein waren, was in diesem Teil der Villa eigentlich einer ungewohnten Abweichung des Alltäglichen gleichkam. Vom frühen Morgen an bis spät in die Nacht herrschte hier ein geschäftiges Treiben. Lediglich in den sechs, sieben Stunden, die man den Sklaven zur Nachtruhe gewährte, kehrte Stille ein.
    „Naja, manch einer unserer männlichen Standesgenossen könnte dein Hiersein falsch interpretieren,“ meinte ich schließlich, zur Vorsicht mahnend, als ich mich mit ihr allein wähnte. „Aber jetzt bin ich ja da!“, gab ich, zugegebenermaßen etwas großmäulig, aber dennoch beschwichtigend zu bedenken. Angus – der Retter hilfloser kleiner Sklavinnen. Was Irmhilta wohl dazu sagen mochte? Ach Irmhilta! Ihre Strähne, die in meiner Faust verschwunden war, war längst zur Nebensächlichkeit degradiert worden. Dafür hatte ich ja nun die kleine Sklavin mit dem seltsamen Namen ins Visier genommen.


    „Efideki, was ist das eigentlich für ein Name? Woher kommst du?“, fragte ich sie, nicht nur, um der delikaten Situation etwas die Spannung zu nehmen. Bereits bei der ersten Erwähnung ihres Namens hatte ich darüber nachgedacht, wie man zu einer solchen Anrede kam. Gut vorstellbar, dass es sich hierbei um die Launen eines degenerierten Römers handelte, von denen es hier nur so wimmelte. In diesem Fall, das war für mich selbstverständlich, würde ich sie bemitleiden und ihr Trost spenden.

  • "Evridiki.. heißt es richtig", musste umgehend klargestellt werden - das ganze zu allem Überfluss mit einem ziemlich indiskreten Räuspern. Ja, in der Hinsicht war das Mädchen pingelig, immerhin ging es hier um das bisschen Stolz, das ihre Position noch zuließ. Was das für ein Name war? Das wollte sie diesem so ungeniert Fragenden schön erklären, ihm ordentlich die Meinung geigen!
    Doch jemandem "die Meinung zu geigen" widersprach so ziemlich Allem, was ihr bisheriges Leben ausgemacht und aus ihr gemacht hatte. Dazu kam noch, und das nicht unbedingt zuletzt, dass der ungeniert Fragende sie nun schon eine Weile anstarrte. Die Griechin hatte keinen Platz mehr in ihrem Gehirn für irgendeine Form der Beschwerde, denn solchen Augen konnte sie einfach keinen Vorwurf machen...
    Wahrscheinlich war er einfach nur interessiert. Ja, das musste es sein! Der schöne Angus, interessiert an der zierlichen Griechin! Was auch sonst? Da war es ihm sogar zu verzeihen, dass er ihren Namen nicht zuordnen konnte. Und wie sie es ihm verzieh: Freundlich, und doch gleichzeitig ehrfürchtig lächelnd, erhobenen Hauptes und so gar nicht mehr böse, nervös oder sonstwas, setzte sie zu einer ausschweifenden Erklärung an: "Ich komme aus Athen. Evridiki, das ist dementsprechend Griechisch und.. es stammt sozusagen aus der Welt der Sagen. Und ja, es ist ungewöhnlich, aber es gefällt mir... irgendwie", was sie mit einer leichten Schiefneigung ihres weiterhin erröteten Köpfchens noch hinzufügte, einfach der Form halber.
    Und falls Angus es hören wollte, würde sie ihm dutzende von Sagen runterbeten. Am Besten, wenn die beiden ungestört wären, auf einer Waldlichtung im Sommer. Und auch wenn es - realistischerweise - nie zu etwas Vergleichbarem kommen würde, waren es doch solch trunkene Gedanken, denen die Sklavin eine gewisse Faszination abgewinnen konnte.

  • „Oh äh!“ Das war vorerst alles, was mir entfuhr, als ich mir eingestehen musste, ihren Namen falsch wiedergegeben zu haben. Evridiki- also mal ehrlich! Wer denkt sich so schwierige Namen aus? Nun gut, in den anderen Winkeln des Imperiums konnte Evridiki vielleicht ein gängiger und vor allen Dingen eingängiger Name sein – aber nicht dort, wo ich herkam!
    „Also Evridiki.“ Ich versuchte es gleich nochmal und gab mir dabei viel Mühe, damit ich mir ja keinen weiteren Fehler mit diesem Namen erlaubte. Offenbar lag ihr sehr viel daran. Vielleicht, weil ihr Name alles war, was ihr geblieben war. Wenn dem so war, dann verband uns eine Gemeinsamkeit.


    Sogleich klärte sie mich auch über ihre Herkunft auf. Ihre Heimat war Athen – sehr beeindruckend! Eine kleine Griechin also – wie niedlich! Griechische Frauen hatte ich bisher nur aus der Ferne begutachten dürfen. Einer wie ich hatte keine großen Chancen bei ihnen, jedenfalls sobald meine Herkunft zur Sprache kam. Und ich hatte die starke Vermutung, bei ihr würde es nicht anders laufen.


    Derweil ließ sie mich wissen, wo der Ursprung ihres Namens zu finden war. Aus der Welt der Sagen! Natürlich kannte ich mich mit solchen Dingen nicht besonders gut aus. Gelinde gesagt hatte ich keinen blassen Schimmer von griechischen Sagen. Dennoch war dies die Möglichkeit, unser kleines Gespräch fortzusetzen. Und noch mehr, dies war die Chance, weiter ihr Interesse auf mich zu ziehen. Ich war schon ganz gespannt, ob mir das gelingen sollte. Der Beginn einer wunderbaren Freundschaft!
    „Ach wirklich? Das ist ja interessant! Weißt du, mein Name stammt auch aus der Welt der Sagen. Unserer Sagen. Also… Sagen aus meiner Heimat.“ Wie niedlich, als sie errötete. So langsam gelangte ich zu der Überzeugung, dass Evridiki vielleicht doch anders sein könnte, als all die anderen. „Und? Wer ist diese Evridiki aus deinen Sagen?“

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