• Umsichtig, wiewohl überaus angespannt setzte Gracchus einen barfüßigen Schritt vor den anderen durch die schummrigen Gänge der Villa Flavia, trat ein in den honiggoldfarbenen Schimmer einer Öllampe, durchschritt ihn und verließ ihn zurück in das Dämmerlich. Es war die letzte Nacht der Lemuria, jenem altehrwürdigen Feste, an welchem die Toten der Familie in ihre Heimstätten zurückkehrten, geehrt wurden und besänftig werden mussten. Von all den Lemuren und Larven, welche ihn torquierten, waren jene seiner Familie stets die schlimmsten, die rachsüchtigsten und hartnäckigsten - insbesondere der Geist seines Vaters. Bereits während der familiären Cenae, zu welchen zusätzliche Klinen an den Tisch waren aufgestellt worden, um die Anwesenheit der Larven zu symbolisieren, hatte der Flavier beständig die kritischen Blicke seiner Ahnen auf sich zu spüren geglaubt, hatte das tonlose Wispern und gestaltlose Raunen, das heißere Lachen und säuselnde Flüstern um sich vernommen. Es war an der Zeit, die Geister wieder aus dem Hause zu verbannen - wenn auch Gracchus sich bewusst war, dass diese Austreibung zwar die Verbindung der Ahnen zum Heim der lebenden Flavier würde aufheben, seine eigenen jedoch kaum. Im Vestibulum löste er seine Finger von den Daumenballen - aus jener uralten Abwehrgeste, welche die Lemuren sollten von ihm fernhalten -, um sodann aus einer hölzernen Schüssel eine Hand voll schwarzfarbener Bohnen zu greifen. Sorgsam blickte er nur voraus, denn ein Zurückwenden in diesen Nächten brachte Unglück, und warf sodann die Bohnen hinter sich.
    "Diese werfe ich, um mich und die Meinen loszukaufen!"
    Jener Ritus wiederholte sich noch sieben Male - einmal im oberen Stockwerk, sodann im Lararium, im kleinen und im großen Triclinium, in seinem Officium und im Peristyl, bis dass er schlussendlich - zum neunten Anlaufe im Atrium zu stehen kam. Dort hatten sich bereits Familienmitglieder und ein Teil der Sklavenschaft versammelt, in ihren Händen eiserne Pfannen, Töpfe und Besteckstücke aus der Küche. Neuerlich warf der Hausherr eine Hand voll schwarzfarbener Bohnen hinter sich.
    "Diese werfe ich, um mich und die Meinen loszukaufen!"
    Sodann reinigte er seine Hände in einer hölzernen Schüssel gefüllt mit reinstem Quellwasser, um hernach einen Topf und einen Löffel von seinem Vilicus in Empfang zu nehmen.
    "Manes exite paterni!"
    skandierte er laut, schlug sodann mit dem Löffel auf den Topf und gab einen - wenn auch recht taktlosen - Takt vor, in welchem auch die übrigen auf ihre Gefäße schlugen. Achtmalig noch forderte Gracchus die Ahnengeister auf, das Haus zu verlassen, gefolgt stets vom Lärm des Kücheninventares, bis dass endlich das Ritual abgeschlossen und die Lemuren der Villa Flavia für ein weiteres Jahr waren gebannt.

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