Ich war nicht zurück zur Villa gegangen. Nein, ich war dorthin geflohen! Ganz bestimmt nicht hätte ich mir das je einmal träumen lassen. Nun aber war es aber der einzige Platz, zu dem ich noch gehen konnte. Ich mochte zwar nicht willkommen sein, aber dennoch wurde ich geduldet, solange ich meinen Pflichten nachkam. Meinen verdammten Pflichten!
Morrigan hatte mich demontiert, und zwar so richtig. Ihre Worte wollten mir einfach nicht aus dem Sinn gehen. ‚Es wäre die Hölle für uns beide‘ Oh ja, die Hölle! Inzwischen kannte ich mich mit den römischen Jenseitsvorstellungen so gut aus, um zu wissen, was sie damit gemeint hatte. Die Hölle oder auch Tartarus genannt, musste ein ziemlich schrecklicher Ort sein. Wenn nicht sogar der Schrecklichste. Wer hier landete, hatte es richtig verbockt! Der Strafort der Unterwelt, sozusagen. Der Ort der ewigen Qualen.
Mein Traum vom Zusammenleben war wie eine Seifenblase zerplatzt. Zurück blieb nun nur noch Katerstimmung .Das ernüchternde Ende eines weinseligen Abends. „Flavische Zucht“ hatte sie es genannt. Ja, mich zu lieben hätte womöglich zur flavischen Zucht geführt. Neue Sklaven für den Flavier, Früchte meiner Lenden...
Morrigan war nun frei. Aus ihr war Helvetiana Morrigan geworden. Alleine daran hätte es schon scheitern müssen. Mit einem wie mir hätte sie sich wahrscheinlich sowieso nicht eingelassen. Ich war doch nur ein verdammter Sklave! Ein Nichts! Einer, der erst fragen musste, ob er zu ihr gehen durfte. Wenn das nicht zum Lachen war!
Nein, ich konnte nicht mehr! Ich hatte ein für alle Mal genug! Jetzt war Schluss! Und zwar endgültig Schluss! An göttliche Fügung glaubte ich nicht mehr. Meinen Glauben hatte ich verloren und falls es sie doch irgendwo geben sollte, spotteten sie nur über mich. Oh nein, die Götter würden mich nicht mehr länger zum Narren halten! Ich war es müde, auf die göttliche Hand zu warten, die mich erlöste. Nein, bereits in Morrigans Gegenwart war der Entschluss herangereift. Ich würde das jetzt selbst erledigen!
Der Tod durch das Schwert wäre ein angemessener Tod, dachte ich mir. Erstrebenswert und edel. Wenigstes zum Schluss bekäme ich dann meine Ehre wieder zurück! In meinem aufgebrachten Zustand, in dem ich in der Villa ankam, fand ich natürlich auf Anhieb kein Schwert. Diese verdammten Flavier! Alles hatten sie! Wirklich alles – nur keine Schwerter!
Also musste eben ein großes Küchenmesser dafür herhalten. Nachdem ich noch einmal seine Schärfe geprüft hatte, eilte ich hinaus in den Garten. Dorthin, wo mich keiner störte. Die Dämmerung hatte bereits eingesetzt und die verfluchten Vögel hatten endlich aufgehört, so unverschämt fröhlich zu singen. Zu dieser Zeit würde sich eh niemand mehr hier draußen herumtreiben.
Ich war fast entschlossen bis zum anderen Ende des Gartens gelaufen und hatte mir ein „passendes Plätzchen“ gesucht. Wenn es denn für das, was ich vor hatte, überhaupt so etwas gab.
Nahe einem Buschwerk ließ ich mich kniend nieder. Das kühle Gras unter meinen Schienbeinen war angenehm, doch es hätte mich nicht aufhalten können. Mich hielt nichts mehr hier in dieser Welt. So nahm ich das Messer und richtete es mit der Spitze seiner Klinge gegen meine Brust. Nur einmal fest zustechen, sagte ich mir.
Mein Puls raste, nervös strich ich mit meiner Zunge über meine Lippen. Auf drei! Eins… Zwei…
Ein Rascheln! Ich hörte ein Rascheln. Es musste aus einem der Büsche kommen. Schnell ließ ich das Messer sinken und sah mich um. Aber da war niemand! Es musste wohl der Wind gewesen sein… oder irgendein Tier.
Wieder griff ich zu dem Messer und lenkte es wieder in die vorhergehende Ausgangsposition. Nur nicht die Nerven verlieren, sagte ich mir. Dann atmete ich noch einmal tief durch. Mit beiden Händen hielt ich den Griff fest umschlossen. Ich zog die Waffe ein kleines Stück von mir weg, um sie mir dann mit aller Wucht in die Brust zu rammen. Soweit mein Plan. Wieder zählte ich auf drei. Eins… Zwei…
„An deiner Stelle würde ich das nicht machen!“, flötete plötzlich eine vorlaute Kinderstimme scheinbar aus dem Nichts.
„Was?!“ rief ich vor Schreck auf und ließ ich das Messer fallen Dann sah ich mich in alle Richtungen um. Aber wieder konnte ich nichts erkennen. Das mussten meine Nerven sein! Jetzt hörte ich auch schon Stimmen!
Als ich mich wieder einigermaßen gefangen hatte, wiederholte ich die Prozedur von Neuem. Wieder war ich so weit, um auszuholen. Diesmal würde ich es schaffen! Diesmal musste ich es schaffen! Sonst würde mich endgültig mein Mut verlassen und ich wäre in diesem Leben weiter gefangen. Auf drei! Eins.. Zwei…
„Zweieinhalb!“ war plötzlich kichernd zu hören, obwohl ich doch nur für mich in meinem Kopf gezählt hatte! „Du wirst einen riesen Ärger kriegen! Das kann ich dir versprechen!“
Wieder ließ ich das Messer fallen, doch diesmal stellte ich mich sofort auf meine Füße. Erneut sah ich mich um, und konnte wieder niemand entdecken. Doch damit gab ich mich diesmal nicht zufrieden! Wine Mischung aus Wut und Verzweiflung brachte mich dazu, nun auch in den übrigen Büschen nachzusehen. Aber außer einem Kaninchen, welches Reisaus nahm, als es mich sah, war dort nichts.
„Wieso sollte ich Ärger kriegen?“ Ich ließ mich nun auf dieses perfide Spiel ein, um die Richtung ermitteln zu können, aus der die Stimme kam.
„Na, wer soll denn den Dreck weg machen? Das ganze Blut und alles! Morgen soll an dieser Stelle ein Zelt aufgebaut werden. Für die Hochzeit!“
So sehr ich mich auch anstrengte, ich konnte nicht herausfinden, woher die Stimme kam. Jedesmal wenn ich geglaubt hatte, den richtigen Busch erwischt zu haben, musste ich feststellen, das dort nichts war.
„Das ist mir doch egal. Dann bin ich doch schon tot!“ ,rief ich. Ach herrje, diese verdammte Hochzeit! Alleine dafür lohnte es sich bereits, sich ein Messer zwischen die Rippen zu rammen!
„Nein, bist du nicht!“, ertönte die naseweise kindliche Stimme wieder.
„Ach ja?! Wer bist du? Oder besser gefragt, was bist du eigentlich? Ein Irrwisch?!“, fragte ich den Busch, vor dem ich stand. Aber wider erwarten kam diesmal keine Antwort. Entweder spielte hier jemand ein böses Spiel mit mir oder ich war bereits völlig durch den Wind. Natürlich zog ich es auch in Betracht, ein unnatürliches Wesen vor mir zu haben, das mir die Götter gesandt hatten… so aus Rache eben.
Verständnislos schüttelte ich den Kopf und ging zu meinem Platz zurück. Wieder kniete ich micht hin, nahm das Messer, holte aus. Auf drei! Eins.. Zwei… Dann verharrte ich einen Moment, weil ich eigentlich schon damit gerechnet hatte, wieder gestört zu werden. Aber diesmal blieb alles ruhig. Also hatte ich mir alles nur eingebildet. Das war nur die Aufregung, sagte ich mir.
„Ach Angus, das Leben ist doch viel zu schön, um es einfach wegzuwerfen!“, flötete die Stimme plötzlich altklug, genau in dem Moment, als ich zustechen wollte. Völlig entnervt, ließ ich wieder das Messer sinken.
„Ach ja wirklich?“, fragte ich ungehalten. Wieder ließ ich mich auf das Gerede des Irrwischs ein. „Das war ja jetzt als Scherz gemeint! Oder? Mein Leben ist eine permanente Aneinanderreihung von Katastrophen! Ich wüsste nicht, was daran schön sein soll!“
"Du übersiehst das Wesentliche, Angus!", kam prompt die Antwort.
Ach, mir wurde das alles zu bunt! Wütend stand ich wieder auf, warf das Messer achtlos in einen Busch und kehrte zurück zur Sklavenunterkunft. Nicht mal in Ruhe umbringen konnte man sich in diesem Irrenhaus!