Albaner Berge - Unter den Sternen

  • Es hatte einfach keinen Sinn mehr sich von einer Seite auf die andere zu werfen! Lucia zog sich mitten in der Nacht einen dünnen Bademantel (oder wie auch immer man das Ding zu der Zeit nannte) über und verließ ihr Zimmer. Der zarte Stoff war tatsächlich mehr für den Anstand gedacht, als gegen die Gefahr einer Unterkühlung. War doch diese, auch nachts nicht vollständig weichen wollende, drückende Hitze mit ein Grund, dass sie keinen Schlaf fand. Obwohl es hier in den Albaner Bergen eindeutig besser auszuhalten war als in Rom, zumindest die Gerüche betreffend bei dem Klima war sich Lucia nicht ganz sicher, dennoch war dieser Ort doch ein weiterer Grund für ihre Unruhe.


    Am Anfang des vorigen Abends hatte sich Lucia noch glücklich geschätzt jemanden wie Sekunda daheim zu haben, der auf ihre Tochter aufpassen konnte. Jetzt in der Nacht, so weit weg von ihrem Kind… es fühlte sich einfach falsch an. Am liebsten wäre sie sofort aufgebrochen um so schnell wie möglich wieder mit ihrer Kleinen vereint zu sein. Lucia hoffte, dass ein kleiner Spaziergang durch die Gärten ihre Gedanken beruhigen und ihren Körper müde machen würde.


    Es war eh verwunderlich, dass sie noch so viele Gedanken hatte, oder sollte sie besser sagen schon wieder? Ihr Kopf fühlte sich noch nicht wirklich wieder klar an, ob all des Weins den sie genossen hatte und dennoch kündigten sich schon Kopfschmerzen an. Die Reise zurück nach Rom am nächsten Morgen würde das reine Vergnügen werden! Sie würde sich einfach das Ziel vor Augen halten müssen: Ihre Tochter.


    Lucia hörte das trockene Rascheln des Grases unter ihren Sandalen, während sie über die zwei Meter halbverdorrtem Gras zu einer steinernen Bank schritt. Grillenzirpen rauschte stetig im Hintergrund, ansonsten war es still. War diese Stille auch ein Grund für Lucias Schlaflosigkeit? In Rom war es nie still. Es war seltsam so kleine Geräusche wie das rascheln von Gras so überdeutlich wahrzunehmen. Hier klang jedes Knacken von sich verziehendem Holz wie das Brechen einer Achse. Seufzend blickte Lucia zu den Sternen empor. Wenigstens diese funkelten vertraut auf sie hinab und Lucia beschloss sich für eine Weile hinzusetzen und die Sterne zu beobachten. Sie seufzte abermals, sie hatte tatsächlich Heimweh.

  • Es war spät, am Abend war einiges los gewesen, und trotzdem konnte er kein Auge zumachen. Lange genug hatte Avianus neben seiner bereits schlafenden Sibel gelegen, während ihm unzählige Gedanken durch den Kopf schwirrten. Er war nicht unruhig gewesen oder mehr in Sorge als sonst, einfach nur nachdenklich. Senecas Hochzeit hatte ihn ins Grübeln gebracht. Hätte er Sibel geweckt und ihr davon erzählt, bestimmt hätte das geholfen. Aber unmöglich konnte er ausgerechnet seine schwangere Geliebte wecken, nur damit sie ihm beim Einschlafen half. Und er war ja ein erwachsener Mann, ein Centurio, und kein kleines Kind mehr. Vielleicht würden ein paar Schritte an der frischen Luft Abhilfe schaffen, sodass er durch das Haus nach draußen gewandert war.
    Noch war davon jedenfalls nichts zu spüren. Da waren sie immer noch, diese Gedanken, die sich an seinen Verstand geheftet hatten und ihn einfach nicht losließen. Er könnte Sibel auch ganz einfach heiraten, dann wäre auch das Kind kein Problem mehr, und alles, bis auf Sibels Vergangenheit, und die ließ sich ja nicht ändern, wäre alles in Butter. Wovor hatte er solche Angst? Davor, den Rest seines Lebens als Centurio zu verbringen? Er machte seine Arbeit doch gerne. Nein, keine Angst, es war dieses Gefühl, sich eingestehen zu müssen, dass er die Grenzen des Möglichen erreicht hatte, das ihm nicht gefiel, dass es von hier an nicht weiter ging und er an einem Punkt angelangt war, an dem er einfach das Beste daraus machen musste, und so würde es dann eben sein. Von jetzt an passierten keine Wunder mehr, es gab weder zusätzliche Verwandte, die er noch um Hilfe bitten konnte, noch gab es etwas, dass sie für ihn und Sibel tun könnten, da waren keine Zimmer in Tabernen mehr zu mieten, keine Lupanarbesitzer mehr, mit denen er gefühlte Ewigkeiten verhandeln musste. Da war nur noch er, der sich endlich entscheiden musste. Und dafür war er scheinbar zu blöd.
    Mit zerknirschtem Ausdruck im Gesicht wanderte er durch die Gärten, blickte zum Himmel hoch, in der Hoffnung, der Anblick der Sterne würde ihn ein wenig ablenken, und wieder hinab. Was machte er hier eigentlich? Er glaubte doch nicht wirklich, dass das hier irgendeinen Sinn machte? "Schwachsinn", flüsterte er sich gerade selbst zu, als ihm eine Gestalt auffiel, die unweit von ihm auf einer Bank Platz genommen hatte.
    "Ähm ... salve?", grüßte er mit fragendem Ton und mehr der Höflichkeit halber. Vielleicht sah er auch schon Gespenster und da war gar niemand. Denn wer sonst außer ihm kam noch auf die Idee, sich irgendwann nachts allein in die Gärten zu schleichen.

  • Was sollte nur aus ihr werden, wenn sie schon in den Albaner Bergen, schon nach so kurzer Zeit solches Heimweh empfand? Wie sollte sie es in Germanien aushalten? Naja, wenigstens ihre Tochter würde dann bei ihr sein. Sie würde vertraute Gesichter um sich haben und auch vertraute Gegenstände. Um nichts in der Welt würde sie den kleinen Rennwagen von Manlia hierlassen, oder die Wiege der Augusta. Auch die Vase, die Calena ihr geschenkt hatte musste mit. So viel musste mit! Konnte sie nicht auch zumindest eine ihrer Freundinnen mitnehmen? Nein, das konnte sie ihnen nun wirklich nicht antun. Sie alle hatten ein Leben hier in Rom. Das durfte sie ihnen nicht einfach so wegnehmen. Am Ende würden sie sich noch verpflichtet fühlen, wenn Lucia mal leise nachhakte. Nein das… Lucia hörte ein leises Flüstern. Verwirrt blickte sie sich um. Sie war doch allein hier, oder?


    Nein, ganz offensichtlich nicht. Ein fragendes Salve wehte zu ihr herüber und sie fühlte sich verpflichtet zu antworten: „Salve, wer ist da?“, hängte sie schon ein wenig ängstlich eine Frage dran. So nah am Haus würde ihr doch niemand etwas Böses wollen, oder? Die Albaner Berge waren nicht für ihre Räuber bekannt, oder? Und ein Räuber würde auch auf keinen Fall ‚salve‘ sagen… oder? Etwas unwohl zog Lucia den Mantel etwas fester um sich. Zur Not würde sie einfach aus vollem Halse schreien, jawohl!

  • Ganz verrückt war er also doch nicht. Da kam tatsächlich eine Antwort, es sei denn, die bildete er sich auch ein. Und noch dazu kannte er die Stimme. Oder er glaubte zumindest, sie zu kennen. Die Tiberia? Hier? Das wäre erst recht Schwachsinn. Nur hatte sich in seinem Leben diverser Schwachsinn allzu oft als die pure Realität herausgestellt.
    "Lucia?", fragte er deshalb kurzerhand zurück und ließ ihre Frage unbeantwortet. Er trat etwas näher an die Bank, um die Gestalt so etwas besser erkennen zu können. Ein Unterfangen, das in dem dämmrigen Licht, das die Sterne und die Mondsichel nach unten in den Garten warfen, nur mit mäßigem Erfolg gekrönt war. Trotzdem war er sich sicher. Ja klar war sie das. Die Götter hatten sich mit ihnen beiden ja schon öfters derartige Scherze erlaubt, noch einer mehr verwunderte ihn da eigentlich gar nicht. Nicht einmal hier war er vor ihr sicher. Irgendwo in einem Garten in den Albaner Bergen, mitten in der Nacht. Stellte sich nur die Frage, was zum Tartarus sie hier machte. Eigentlich. Avianus war zu sehr mit seinen eigenen Problemen beschäftigt, als dass ihn das übermäßig interessiert hätte. Dabei hätte ihn ihre Gegenwart nicht einmal direkt gestört, wäre er nicht in erster Linie in den Garten gekommen, um seine Ruhe zu haben.
    "Ich kann mir auch gerne eine andere Ecke suchen, wenn das hier deine ist."

  • Hier gab es nicht viele, die Lucia bei ihrem Cognomen nennen würden. Dementsprechend kurz war die Liste, die sie in ihrem Kopf durchgehen musste um auf den Sprecher zu kommen: „Avianus?“ Mit noch immer gerunzelter Stirn lockerte sie den Griff an ihrem Mantel. Was machte er denn hier draußen? Hoffentlich tauchte jetzt nicht plötzlich auch noch Vala aus dem nichts auf! Lucia biss sich im Schutz der Dunkelheit auf die Unterlippe. Ach das war so lächerlich! Warum musste sich Lucia jetzt schuldig fühlen, nur weil jemand zufällig in ihrer Nähe war? Vorallem war er ja noch nicht mal wirklich in der Nähe, Lucia konnte seine Gestalt kaum erkennen in dieser Dunkelheit. Nur weil Vala sich in seinem Stolz verletzt fühlte oder was auch immer! Dabei war doch eindeutig sie diejenige, die mehr Grund hatte sich verletzt zu fühlen!
    Ihre Ecke? „Was redest du da für ein Blödsinn?“, entfuhr es Lucia, ohne dass die Worte den Umweg über ihr Gehirn genommen hätten. Ja, sie war eindeutig noch leicht angeheitert. Immerhin hieß es nicht umsonst, dass der Wein die Zunge löste. Noch immer blickte Lucia halb über ihre Schulter um den Schemen, der wohl Avianus war sehen zu können. „Willst du, dass ich mir einen steifen Hals hole?“, kam auch gleich die passende Frage dazu über ihre Lippen. Sie klang jedoch nicht so schnippisch, wie die Worte vielleicht andeuten mochten, sondern viel mehr… ja, neckisch. Hatte Avianus diesen Tonfall überhaupt schon mal bei Lucia gehört? Hoffentlich verstand er das richtig und kam etwas näher. Sie konnte grade ein wenig Gesellschaft brauchen, zum Hades mit Vala und seiner Ertränken geschichte!

  • Und wie recht er gehabt hatte! Da war sie, einmal mehr, und hatte nun auch ihn erkannt, verhielt sich aber ganz anders als sonst.
    Da zog Avianus im Dunkeln die Brauen hoch, als sie ganz ohne ihre sonstige Zurückhaltung konterte. Blödsinn? Er redete ganz bestimmt keinen Blödsinn. Er wollte seine Ruhe, das war alles. Er hatte sich doch ziemlich unmissverständlich ausgedrückt, erst recht für Frauenverhältnisse.
    "Wer zwingt dich denn herzuschauen?", gab er ganz ungeniert zurück und stand noch immer dort, wo er zuvor stehen geblieben war. Ihr neckender Tonfall kam bei ihm nicht so recht an. Was wollte sie überhaupt? Eine nette Unterhaltung?
    Aber wenn er es noch einmal überdachte, vielleicht war es gar nicht so übel, ihr hier über den Weg zu laufen. Die Tiberia hatte ihn immerhin ganz schön hängen gelassen. Und das wollte er so nicht auf sich sitzen lassen. Während der Hochzeit hatte er geschwiegen, aber hier waren sie allein. Kein Konsul, kein Brautpaar, keine Sibel. Nicht, dass ihm ihre Aufmerksamkeit wahnsinnig viel bedeutete, nein, es ging ums Prinzip. Aber sowas von. Gezwungenermaßen, weil sich eine solche Gelegenheit nicht mehr so schnell bieten würde – denn wann traf er Lucia sonst jemals unter vier Augen? –, und entschlossen zugleich, stapfte er durchs Dunkel auf weiter sie zu und blickte sie mit zusammengekniffenen Augen an.
    "Schreib mir doch einen Brief, wenn du was zu sagen hast", sagte er bissig, "Oder hast du das verlernt, liebreizende Tiberia?"

  • Eine patzige Antwort, aber das war sie ja von Avianus gewöhnt. Also… ursprünglich. In seinen Briefen war er zwar auch recht… undiplomatisch gewesen, aber bei ihren letzten Treffen hatte sie das dann doch nicht mehr erlebt. Und tatsächlich nur wenige Momente später kam er zu ihr. Lucia nickte zufrieden er verstand also doch. Sich auf eine kleines ablenkendes Wortgefecht freuend, lauschte Lucia dem Rascheln des Grases unter Avianus Füßen und da war er schon. Aber, oha! Er war ganz schön… böse auf sie? Lucia blinzelte erst verwirrt, vielleicht konnte man das in dieser Dunkelheit ja noch erahnen. Dann übertrug sich der Zorn, der eben noch gegen Vala in ihr gegärt hatte auf Avianus. Deshalb sprach ihr Mund mal wieder ohne großartiges Zutun ihres Kopfes: „Ich will dich mal Briefe an mich schreiben sehen, wenn dein Mann damit droht dich zu ertränken!“ Rein theoretisch hatte sie das ja sogar gemacht - Avianus sollte dankbar sein! - Bis ihr das Zusammentreffen bei der Hinrichtung Vala gegenüber herausgerutscht war. Zu dem Zeitpunkt war sie viel zu sehr unter Schock, als dass sie die Konsequenzen verstanden hätte. Die wurde ihr erst später klar. Wenn Vala jetzt noch durch irgendeinen blöden Zufall einen der Briefe in die Hände bekommen hätte… Lucia schob das Kinn trotzig vor und verschränkte die Arme. Eigentlich ging es Avianus ja garnichts an, warum sie nicht schrieb, aber jetzt war es heraus, es war also zu spät für solche Gedanken.

  • Auf seine zugegebenermaßen nicht gerade freundliche Bemerkung erhielt er erwartungsgemäß eine ebenso unfreundliche Antwort. Und immer noch machte sich die Tiberia keine Mühe, zu ihrer gewohnten Contenance zurückzufinden. Dazu brauchte er ihr Gesicht nicht einmal richtig zu sehen, wie sie mit ihm sprach, reichte bereits aus.
    Avianus hatte keine Ahnung, was er von diesem Gespräch erwartete. Eine realistische Erklärung oder ein Danke vielleicht, dafür, dass er ihr hübsches Köpchen vor den dreckigen Pflastersteinen gerettet hatte. Aber nein, nicht einmal dazu war sie imstande. Er hatte also das Gefühl genauso gut wieder verschwinden zu können, um sich über die Probleme den Kopf zu zerbrechen, die es wirklich wert waren. Einzig und allein Lucias absurde Erklärung hielt ihn bei ihr fest. Da war sie ja wieder mal ganz witzig drauf. Aha, der Herr Consular wollte seine liebste Tiberia ertränken. Ja klar. So wie sie es sagte, musste es wohl mit den Briefen zusammenhängen. Selbst dann machte es aber wenig Sinn. Seine Frau brauchte nur ein paar Briefe, gefüllt mit praktisch nichts als blöden Witzen, mit einem kleinen Centurio zu wechseln und der Consular drohte bereits damit, sie zu ermorden? Das wäre ja fast schon komisch. Aber nur fast.
    "Wovon redest du da bitte?", fragte er sie stirnrunzelnd nach Einzelheiten, "Warum bitte sollte der Consular dich ertränken wollen? Hast du mich als deinen Liebhaber verkauft oder was?"

  • Lucia zog ihr hübsche Nase kraus. Wieder etwas, das Avianus wahrscheinlich nicht sehen konnte. War vielleicht auch besser so, war es doch ihre Reaktion auf die Andeutung sie könnte ihn als ihren Geliebten ausgegeben haben. "Ach was. Darum geht es ja garnicht, oder zumindest so gut wie garnicht.", sprach Lucia belehrend. Sie gestikulierte wage. "Es geht vielmehr darum, was andere denken könnten. Was es für einen Eindruck macht. Wenn niemand die Briefe mitbekommt, solange ich vorsichtig genug war, war das alles kein Problem. Dann hast du mir bei der Hinrichtung geholfen und ich... ich war so blöd es zu erwähnen. Danach musste ich vorsichtig sein. Es war keine Entschuldigung, nein, soweit wollte sie ja auch wieder nicht gehen. Aber es war eine Erklärung. Viel mehr, als es Avianus eigentlich anging.

  • Avianus hatte sich nie mit dem Gedanken abgegeben, dass irgendwer von den Briefen erfahren könnte, der sich daran stören würde. Lucia war bestimmt nicht so blöd, es offen herumzuerzählen, zumal Gerüchte darüber ihr sehr viel mehr schaden könnten als ihm. Da war es eher Lucia, die sich Sorgen machen musste. Und ihr Mann bräuchte nur einen Blick in die Briefe zu werfen, um zu merken, dass sie vollkommen harmlos waren. Nur wenn die Öffentlichkeit Wind davon bekam und sich dann selbst irgendwelche Geschichten zusammenreimte, könnte es unangenehm werden. Aber doch nicht, weil er sie eben mal am Arm packte, damit sie sich nicht das dünne Genick brach. Was hätte er denn stattdessen machen sollen? Gar nichts zu unternehmen, hätte ja ganz bestimmt besser ausgesehen. Und dass Lucia neben ihm gestanden hatte, war schlicht und ergreifend der tobenden Meute an Zuschauern zu verdanken gewesen, die der Tiberia keinen sicheren Platz gelassen hatte.
    "Ach, gut zu wissen. Wenn es deinem werten Gatten lieber ist, seh' ich nächstes Mal einfach dabei zu, wie dein Gesicht mit den Pflastersteinen Bekanntschaft macht", kommentierte er sarkastisch. Was für einen Eindruck das wohl hinterlassen würde. "Da freut er sich dann ganz sicher darüber. Oder ich schick dich ganz einfach zu den restlichen Zuschauern runter, damit dir die Steine um die Ohren fliegen."

  • "Charmant wie immer!" Lucia zog eine kleine Grimasse. "Natürlich hättest du nichts anders machen sollen, ich hätte vielleicht... ach ist doch auch egal!" Sie zuckte mit den Schultern und straffte diese anschließend. "Es ist jetzt tatsächlich egal, ich werde Rom wahrscheinlich verlassen. Es ist noch nichts offiziell, aber da die Augusta schon bescheid weiß, wird es sich wohl nicht vermeiden lassen." Man konnte nur zu deutlich an Lucias Stimme hören, wie unlieb ihr dieser Gedanke war. Wehmütig wie sie gerade war und noch dazu angetrunken, kullerte ihr bei dem Gedanken sogar eine Träne herunter. Es war bei weitem nicht die erste die sie darüber verloren hatte, aber sie hatte gehofft sich inzwischen ausreichend damit abgefunden zu haben. Dem war wohl nicht so... Möglichst unauffällig wischte sich Lucia das Wassertröpfchen von der Wange und straffte sich ein zweites Mal. "Da dir also anscheinend so viel an meinen Briefen liegt, werde ich dir gerne schreiben sobald wir in Germanien angekommen sind. Dann werde ich mal die interessanten Geschichten zu erzählen haben und du wirst dir vorkommen, als ob dein Leben langeweilig wäre!" Bei den Göttern, was redete sie sich hier um Kopf und Kragen? Aber sie wollte Avianus tatsächlich schreiben und sie hoffte auch auf Briefe von ihm, immerhin wären diese etwas aus Rom, etwas amüsantes, vertrautes. Aber deshalb musste sie ihm hier doch nicht alles erzählen! Unzufrieden biss sich Lucia auf die viel zu lose Zunge.

  • Klar hatte er keinen Fehler gemacht, darauf wäre Avianus auch von allein gekommen. Er hatte nur getan, worum ihn die Frau des damaligen Konsuls und Patrons seines Verwandten gebeten hatte, und was nötig war, um bei der Hinrichtung anwesende zu schützen. Und darum veranstaltete der Herr Konsular jetzt ein Drama. Naja, zum Glück beschränkten sich die Drohungen auf dessen Frau und betrafen nicht ihn, sonst wär's ja noch schöner gewesen. Er machte schließlich nur seine Arbeit.
    "Ja? Gratuliere. Germania ist ja anscheinend der letzte Schrei heutzutage", kommentierte Avianus wenig begeistert. Der Consular schleppte wohl oder übel halb Rom mit in die Provinz. Traurigerweise waren da einerseits dessen Frau mit dabei, die ihm in der Vergangenheit häufig lästig, in letzter Zeit aber mehr und mehr unterhaltsame Gesellschaft gewesen war, und eben sein Bruder im Geiste mit seiner Familie.
    "Mein Leben ist absolut nicht langweilig. Glaub' mir, das toppst du nicht." Nie im Leben. Aber was wusste Lucia schon von schwangeren Sklavinnen, unvorbereiteten zukünftigen Vätern und den Zankereien seiner Verwandtschaft. Und genau deswegen sollte er eigentlich gar nicht hier draußen sein. Weil da drinnen im Haus seine das gemeinsame Kind erwartende Geliebte lag. Er sollte gar nicht sich den Kopf zerbrechend durch den Garten laufen oder mit irgendwelchen Patrizierinnen über Briefe tratschen. Viel eher sollte er tief durchatmen, nach drinnen gehen und sich wieder zu Sibel legen. Bevor er allerdings das tun würde, wollte er Lucia noch diese eine Frage stellen:
    "Wie gut habe ich eigentlich bei deinem kleinen Rätsel abgeschnitten?"

  • Germanien der letzte Schrei? Lucia schnaubte amüsiert. Ein Schrei nach Hilfe vielleicht! Wer ging schon freiwillig in diese von den Göttern verlassene Provinz? Naja, ihr Mann offensichtlich, aber der war eh ein halber Barbar, das konnte man wohl kaum zählen! Die Frage sollte daher wohl eher lauten: Welcher gute Römer ging schon freiwillig an den A….llerwertesten der Welt?
    „Na, dann können wir ja versuchen uns gegenseitig in unseren Briefen zu überbieten“, forderte Lucia Avianus amüsiert heraus. Sie war sich sicher, dass so eine Reise in die Pampa und der Umgang mit den Barbaren dort nichts überbieten konnte.
    Das Rätsel? Das hatte Lucia schon fast wieder vergessen, genau wie Avianus Antwort darauf. Doch so ungefähr wusste sie noch, wie sie auf den Brief reagiert hatte: „So gut, dass ich weibliche Hilfe vermuten möchte.“, neckte Lucia. „Die Lösung des Rätsels liegt inzwischen bei mir daheim in einer Wiege und hält heute Nacht mal nur ihre Amme und Sekunda auf Trab.“, verriet sie dann noch mit einem sanften Lächeln, dass man in der Dunkelheit natürlich wieder nicht wirklich erkennen konnte. Sie freute sich darauf morgen ihre Kleine wiederzusehen! Sie konnte es kaum mehr erwarten. Vielleicht sollte sie doch noch versuchen zu schlafen, dann ging die Zeit schneller herum.

  • "Liebend gern", stimmte Avianus zu, dachte aber selbstverständlich gar nicht daran, Lucia von seinen bisherigen abenteuerlichen Erlebnissen zu erzählen. Erstens hätte das der ganzen Wette die Spannung genommen, denn dann hätte er ohnehin schon gewonnen, so glaubte er, zweitens müsste er dann übermorgen noch hier rumstehen, und drittens, was außerdem am allerwichtigsten war, ging es die Tiberia weniger als absolut gar nichts an.
    Die Lösung des mittlerweile uralten Rätsels stimmte ihn dann nachdenklich. Wäre seine eigene Situation nicht so, wie sie gerade war, hätte er sich wohl noch länger mit ihr darüber unterhalten oder auch einen bissigen Kommentar auf ihren Scherz zurückgegeben.
    "Ein Kind? Wie … schön", gab er stattdessen gedankenverloren zurück und runzelte die Stirn. Es war Zeit. Zeit wieder nach drinnen zu gehen. Lucia hatte ihn daran erinnert, was da drinnen im Haus auf ihn wartete. Ursprünglich hatte er nur etwas frische Luft schnappen wollen und jetzt tratschte er schon eine gefühlte Ewigkeit mit der Tiberia. Vielleicht war Sibel inzwischen aufgewacht und ihr war wieder schlecht, oder sie fror. Oder ihr war mal wieder viel zu warm.
    "Ich sollte dann wieder gehen", verabschiedete er sich trotzdem etwas zögerlich, bevor er sich abwandte, "Vale, Lucia. Man hört ... oder liest wohl von einander …"

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