Die Cousine und die Liebste: Ein Kennenlernen

  • Die gemeinsame Zeit in den Albaner Bergen hatte ihnen gut getan. Avianus war noch immer anzusehen, dass er die paar Tage Urlaub in vollen Zügen genossen hatte. Das Leben außerhalb der Stadt war ihm nicht neu, hatte er doch selbst lange Zeit mit seiner Mutter und seinem Bruder auf dem kleinen Landgut seines Onkels gelebt, und definitiv wären die Albaner Berge kein Ort, an dem er für immer würde verweilen wollen, aber es war eine angenehme Abwechslung gewesen. Und die Ruhe und Abgeschiedenheit vom ständigen Treiben Roms hatten ihm endlich Gelegenheit gegeben ungestört nachzudenken über all die Dinge, die ihn schon so wahnsinnig lange beschäftigten, und seine Gedanken zu ordnen. In erster Linie ging es dabei darum, wie Sibels Zukunft aussehen würde, und was heute dran war, gehörte da gewissermaßen auch dazu: Sibels und Axillas Kennenlernen, das er schon vor einer gefühlten Ewigkeit geplant hatte. Dabei war es so lange gar nicht her, nur war seitdem wieder so furchtbar vieles geschehen.
    "Und? Bist du bereit?", fragte er Sibel, als er mit ihr ins Atrium trat, und hauchte ihr noch einen flüchtigen Kuss auf die Wange, solange sich Axilla noch nicht blicken ließ. Dabei lächelte er breit. Nur ein kleiner Spaß eben, denn seine Cousine biss ja nicht. Jedenfalls nicht ihn oder seine Geliebte. Bei anderen Familienmitgliedern und deren Weibern sah es wieder ganz anders aus. Avianus war zwar sehr wohl ein wenig nervös, aber guter Dinge, dass Axilla sich so unkompliziert verhalten würde, wie bei ihrer letzten Begegnung, während derer sie die Beichte seiner unkonventionellen Beziehung sehr viel lockerer aufgenommen hatte, als er es sich je erträumt hätte. Und dass sie heute dasselbe tat, war dringend nötig, denn ihm und Sibel lief die Zeit davon. Noch war der Bauch unter lockerer Kleidung zu verstecken, doch früher oder später würde sich das ändern und spätestens dann würde es in der Castra unangenehm werden. Eine schwangere Frau hatte dort absolut nichts zu suchen und alleine in einer kleinen Insula genauso wenig. Hier war der einzige Ort, wo er sie in guten Händen wüsste.
    Ein Sklave sollte Axilla von ihrer Ankunft berichten, ein anderer sollte schon einmal Posca und Wein bereitstellen, dann wartete der Iunius vorerst ab.

  • Viel zu schnell waren die Tage in den Albaner Bergen zu Ende gegangen. Die Ruhe und die frische Luft hatten besonders Sibel in ihrem Zustand gut getan. Sie hatte bei ihren Spaziergängen am Seeufer etwas Farbe bekommen. Am liebsten wäre sie noch länger dort geblieben und hätte weiter das Landleben genossen. Doch leider hatten sie sich Rom nicht ewig entziehen können.


    Wenige Tage nach ihrer Rückkehr hatte ihr Avianus eröffnet, dass noch immer der Besuch bei seiner Cousine Axilla anstand. Diese Begegnung war die Voraussetzung dafür, dass die Lykierin zumindest für eine Weile in der Casa Iunia unterkommen konnte. Sibel hatte diesen Pflichttermin bis dahin erfolgreich verdrängt. Doch nun schwebte er wieder über ihr wie ein Damoklesschwert. Avianus hatte natürlich versucht, sie zu beschwichtigen und ihr ihre Ängste zu nehmen. Trotzdem waren ihre Bedenken damit noch lange nicht alle beseitigt. Sie hatte die Vorkommnisse bei ihrem letzten Besuch in der Casa noch gut vor Augen. Diesmal aber sollte es nicht wieder auf diese Weise eskalieren. Sibel wollte versuchen, sich diesmal zusammenzureißen. Auch wenn sie sich bei der Frage, wie sie Axilla begegnen sollte, immer noch nicht ganz im Klaren war.


    In Gedanken versunken war sie neben Avianus hergelaufen und hatte kaum ein Auge für das, was vor, hinter oder neben ihr passierte, als sie sich auf den Weg zur Casa gemacht hatten. So sehr war sie mit dem, was nun unmittelbar vor ihr lag, beschäftigt. Ohne Frage, die Zeit drängte. Es musste bald eine akzeptable Lösung für sie und ihr ungeborenes Kind gefunden werden.
    Letztendlich aber schritten sie beide über die Schwelle der Casa und betraten das Atrium. Dort warteten sie nun auf das Erscheinen der Iunia.


    Sibel nickte Avianus auf dessen Frage flüchtig zu. Sie war so bereit, wie sie es im Augenblick nur sein konnte. Natürlich war sie nervös. Vielleicht noch mehr, als Avianus es war. Sie konnte kaum ihre Finger ruhig im Zaun halten. Lediglich sein Kuss, den er ihr auf die Wange hauchte, und auch sein Lächeln vermochten es, ihr wieder etwas mehr Halt zu geben.

  • Etwas früher als erwartet meldete man Axilla, dass Avianus und seine Freundin unten warteten. Eigentlich hatte sie sich noch schicker anziehen wollen, so zur Feier des Tages und überhaupt, aber dann musste das wohl ausfallen. Auf der anderen Seite war ja auch ihre normale Kleidung weit modischer und herzeigbarer, als die meisten Frauen trugen. Und heute trug sie zumindest ein Kleid und nicht nur der Bequemlichkeit halber eine Tunika, also musste sie ihren Vetter auch nicht unnötigerweise warten lassen.


    Nur wenige Augenblicke später traf Axilla also – zeitgleich mit den Erfrischungen – ein. Nervös war sie kein bisschen. Sie hatte ja auch keinerlei Grund, nervös zu sein. Zum einen war sie schon zu alt und hatte in ihrem Leben schon zu viel miterlebt, um wegen einem einfachen Kennenlernen, bei dem es für sie um gar nichts ging, noch nervös zu werden. Und zum anderen war sie ja ohnehin in der vorteilhaftesten Position überhaupt. Sie war die Herrin des Hauses und war in ihren eigenen Gefilden. In solch einer Position war es sehr leicht, ruhig zu sein.
    Das einzige, was Axilla war, war neugierig. Äußerst neugierig sogar, denn die Dinge, die sie bislang gehört hatte über die Frau in Avianus Leben waren – nunja – nicht besonders erbaulich. Eine entlaufene Sklavin, die sich als Lupa verdingt hatte – was hoffentlich niemand, der zählte, wusste – und versucht hatte, sich im Haus ihres Gastgebers zu ersäufen, das war nun nicht unbedingt der Traumzuwachs für eine Familie. Aber es könnte auch schlimmer sein. Und irgendwelche Qualitäten musste das Mädel ja auch haben, sonst würde Avianus wohl nicht so an ihr hängen.
    “Salve, Avianus“, begrüßte Axilla ihren Vetter beschwingt und herzlich, und wendete sich dann mit einem Lächeln der Frau an seiner Seite zu. “Und du musst Sibel sein. Avianus hat schon ein wenig von dir erzählt.“
    Eine ihrer Qualitäten konnte Axilla zumindest schon einmal sehen. Das Mädchen war hübsch. Da war Avianus wohl wie alle Männer, was diesen Punkt anging.

  • Sibel war ihre Nervosität deutlich anzumerken, aber wie oft sollte er ihr denn noch sagen, dass Axilla nicht abweisend reagiert hatte, als er von ihrer Beziehung erzählt hatte? Andererseits: Wie könnte Avianus es seiner Liebsten verdenken, nach allem, was bei ihrem letzten Besuch geschehen war, damals als er sie Seneca vorgestellt hatte. Und er selbst war schließlich genauso ein wenig angespannt, wenn auch weitaus weniger als Sibel. Er kannte seine Cousine ja und wusste in etwa, was auf sie beide zukam. Das einzige, wovor er sich im Grunde fürchtete, war, dass ihr Gespräch wieder auf irgendeine Weise unangenehm enden könnte. Darauf hatte er sich allerdings vorbereitet, mental jedenfalls, denn er wusste genau, dass beim letzten Mal auch er die Schuld trug … nein, vor allem er, war seine Überzeugung. Er war derjenige, der zwischen Sibel und Axilla stand, wenn etwas schief lief, das Gespräch in eine Richtung lief, von der er wusste, dass sie einer der beiden Frauen nicht gefallen könnte, war es seine Aufgabe einzulenken. Und wenn seine Geliebte einmal mehr mit den Nerven am Ende wäre, hatte er abzubrechen, statt weiter Öl ins Feuer zu gießen. Wenigstens lerne man bekanntlich aus Fehlern.
    Und dann kam seine Cousine auch schon, sichtlich gut gelaunt, was auf alle Fälle ein gutes Zeichen war. "Salve, Axilla", grüßte er mindestens so freundlich zurück, "Es freut mich, dass du so kurzfristig Zeit hast."
    Auf Axillas Bemerkung hin lächelte er nur weiterhin. Ein wenig hatte er erzählt, so war das also. Nicht etwa einen (fast) kompletten Lebenslauf. Na wenn sie meinte. Da Axilla ohnehin Sibel direkt angesprochen hatte, überließ er es seiner Liebsten, sich vorzustellen. Sonst nahm er ihr ja ständig jede noch so kleine Aufgabe ab, die ihr unangenehm sein könnte und dass er damit endlich aufhören musste, dessen war er sich eigentlich schon länger bewusst. Er konnte ihr nicht das Selbstbewusstsein verleihen, das sie so dringend nötig hatte, aber er konnte zumindest versuchen, sie nicht mehr ihn Watte zu packen und vor allem auch nur ansatzweise unbehaglichen in der bösen Welt da draußen zu beschützen. Also ließ er die beiden erst einmal reden.
    "Setzen wir uns doch. Möchte jemand Wein … oder Posca?", fragte er lediglich.

  • Dann kam er, der unausweichliche Moment. Der Grund, weswegen sie hier waren. Schritte nahten und nur kurze Zeit später erschien eine gut gekleidete Dame mittleren Alters. Sie lächelte und begrüßte Avianus auf herzliche und beschwingte Weise, ehe sie sich ihr zuwandte. Diese freundliche Begrüßung ließ Sibel hoffen. Das, was Avianus ihr immer wieder zu verstehen gegeben versucht hatte, stimmte also. Seine Cousine schien ihnen beiden wohlgesonnen zu sein. Auch wenn etwas in ihr sie noch immer zur Vorsicht mahnte. Sie hatte es selbst erlebt, wie schnell die gute Laune feiner römischer Damen in Unmut umschlagen konnte. Doch so, wie Avianus ihr seine Cousine beschrieben hatte, schien sie eher gradlinig und weniger wankelmütig zu sein. So lag es also an ihr selbst, die Iunia von sich zu überzeugen. Auch Avianus stellte sich diesmal nicht schützend vor sie, wie er es oft getan hatte, wenn die Situation sich etwas schwieriger gestaltete. Diesmal musste sie es selbst wagen und sich, in diesem Fall, der Iunia stellen.


    Nicht minder freundlich hatte sich die Herrin des Hauses ihr zugewandt und sie angesprochen. Nun blieb nicht mehr viel Zeit, um sich den Kopf darüber zu zerbrechen, wie sie die Iunia ansprechen sollte. Ob sie sich eher unterwürfig geben sollte, so wie es ihr Stand ihr eigentlich gebot oder ob sie ihr auf Augenhöhe begegnen sollte.
    „Salve Iunia,“ hörte sie sich dann schließlich selbst sagen. „Ja, genauso ist es. Ich bin Sibel. Und Avianus hat mir auch schon viel von dir erzählt,“ fügte sie freundlich lächelnd hinzu. All ihre Bedenken schien sie beiseitegeschoben zu haben, so dass nur noch sie selbst übrig geblieben war. Und genau so präsentierte sie sich nun, als sie selbst. Ob das ausreichte, um das Eis zu brechen würde sich noch zeigen. Durch Avianus‘ Vorschlag, sich zu setzen und etwas zu trinken, entwich noch etwas mehr die Anspannung in ihr. Gemeinsam mit ihm nahm sie Platz und ließ sich etwas Posca reichen.

  • Natürlich setzte sich auch Axilla, den beiden gegenüber, und machte es sich erst einmal etwas bequem. Wenn man unter sich war, musste man ja nicht dasitzen wie in Marmor gemeißelt, also lehnte sie sich lässig zurück. “Ich hoffe, nur gutes“, kommentierte Axilla dabei lässig, als Sibel meinte, Avianus hätte schon viel von ihr erzählt. Es wäre durchaus interessant zu wissen, welches Bild die Frau von ihr hatte. Axilla glaubte ja nicht, dass Avianus so dumm wie Seneca wäre und folglich irgendwelche Horrorgeschichten erzählen musste. Aber ob Sibel von der ganzen Situation mit Seneca vollständig wusste, also sowohl der Vorgeschichte wie auch jetzt dem Ende, wäre durchaus interessant und würde sicher irgendwann einmal Thema werden. Aber vielleicht nicht gleich beim ersten Kennenlernen.
    Sie gab ihren Sklaven ein Zeichen, und sie reichten ihr hellen Posca. “Bacchus und ich werden fürchte ich keine engen Freunde mehr“, meinte sie eher scherzend. Auch wenn das wohl stimmte. Sie wurde einfach viel zu schnell betrunken, als dass sie Wein wirklich genießen könnte. Auch wenn Bacchus ja auch genau für den Zustand des Betrunken-Seins stand und weniger für den maßvollen Genuss. Und auch, wenn zumindest ein Mitglied des Bacchus-Kultes sich eine Zeit lang sehr um Axilla bemüht hatte und ihr sogar zur Hochzeit damals eine Schlange geschenkt hatte – die immernoch die Speisekammer höchst effektiv vor Mäusen beschützte und dann und wann einen Sklaven erschreckte, obwohl sie völlig harmlos und erschreckend faul war.
    Da Avianus in seinem Brief von großen Neuigkeiten gesprochen hatte, wollte Axilla jetzt allerdings nicht gleich vorstürmen. Überhaupt, da sie so ein Gespräch noch nie geführt hatte, wusste sie auch gar nicht, wo genau sie anfangen sollte. Von daher beschloss sie, dass Avianus sicherlich seine Neuigkeit verkünden wollte und sie sich nicht gleich auf Sibel mit Fragen stürzen sollte wie ein Falke auf ein Kaninchen.

  • Und wie sie für sich selbst reden konnte. Nein, dazu brauchte sie ihn wirklich nicht mehr.
    "Nichts Schlechtes jedenfalls", meinte er zu Axilla mit einem kleinen Zwinkern, nun da sie endlich saßen. Avianus hatte gegenüber Sibel kein Wort darüber verloren, dass seine Cousine mit Seneca, wegen einer Liebschaft, die ihr nicht gefiel, praktisch kein normales Wort mehr wechselte. Sibel war auch ohne solche Geschichten schon nervös genug gewesen. Und damit sie verstand, woher Axillas Wut genau kam, hätte er ihr das ganze Drama, mit dem er eigentlich nichts zu tun hatte, erklären müssen. Nein, da schwieg er lieber.
    Beide Frauen griffen zu Posca, er ließ sich den verdünnten Wein einschenken, allerdings nicht, ohne einen kurzen, entschuldigenden Blick zu Sibel zu werfen, nicht etwa weil er glaubte, dass sie es ihm übel nahm, sondern eher weil sie im Gegensatz zu ihm darauf verzichten musste. Er trank einen Schluck.
    "Äh … ja", sagte Avianus anschließend knapp, um die Stille zu überbrücken, die nun herrschte. Frauen redeten doch sonst so gerne. Gewöhnliche Frauen, in gewöhnlichen Situationen. Hier traf keines von beidem zu, es blieb also wieder mal an ihm hängen. "Also … ich möchte Sibel in den nächsten Tagen freilassen. Ich denke, das macht die Situation um einiges leichter. Eine Frau in der Castra sorgt eben immer für schiefe Blicke. Und dann hätte sie endlich ihre Freiheit …" Bei Seneca war es ihm weitaus leichter gefallen, die Katze aus dem Sack zu lassen. Was hätte der auch groß sagen sollen, mit seinem unehelichen Kind, das er und Seiana in die Welt gesetzt hatten. Avianus warf einen Blick in seinen Becher. Ja, da waren zum Glück noch ein paar Schlucke drin. Aber was hielt ihn eigentlich zurück? Axilla hatte bei ihrem letzten Gespräch selbst von Kindern geredet, die nicht unfrei zur Welt kommen sollten. Er gab sich also einen Ruck, räusperte sich kurz, legte Sibel eine Hand auf den Arm, für den Fall, dass sie nicht damit rechnete, was er Axilla gleich erzählen würde, und setzte fort: "Und dann kommt das Kind frei zur Welt … so viel zu der dringenden Neuigkeit." Gut, das nahm den Fokus vorerst etwas weg von Sibel und verteilte die Aufmerksamkeit seiner Verwandten auf sie beide. Wenigstens ein Vorteil. Wenn das Gespräch dann nur nicht wieder in Richtung gemeinsame Zukunft lief. Wobei der Auslöser für ihren Streit während ihres Treffens mit Seneca eher dessen "Heirate sie doch einfach"-Mentalität gewesen war. Und was ihre Zukunft betraf, darüber hatte er mit Sibel ohnehin noch reden wollen, nur eben nicht ausgerechnet hier.

  • Noch saß Sibel weniger lässig neben Avianus. Man hätte sogar meinen können, sie hätte einen Stock verschluckt. Dafür war ihre Anspannung auch noch viel zu groß. Außerdem machte es vielleicht keinen guten Eindruck.
    Als man ihr dann einen mit Posca gefüllten Becher reichte, war sie froh, endlich etwas in Händen halten zu können, den Erfrischungseffekt des Getränkes einmal ganz außer Acht lassend. Eines schienen die beiden Frauen dann doch gemeinsam zu haben. Sie wählten das gleiche Getränk. Die Iunia wohl eher aus Gewohnheit heraus und Sibel wegen ihrer Schwangerschaft. Nur Avianus gab sich dem Genuss des verdünnten Weines hin und schenkte Sibel scheinbar einen entschuldigenden Blick dabei. In ihrem Gesicht blitzte ein kurzes Lächeln auf. Dafür musste er sich doch nicht entschuldigen. Schließlich war er ja auch nicht schwanger.


    „Nein ganz und gar nicht!“, fügte Sibel auf Iunias Frage noch hinzu. „Er spricht von dir immer in großer Ehrfurcht. Du bedeutest ihm sehr viel.“ Manchmal hatte sie sogar geglaubt, so etwas wie Angst in seinen Worten wiederzufinden, wenn er über sie sprach. Die Angst, sie enttäuschen zu müssen. Aber natürlich war das ganz verständlich. Sie war eine der wenigen Verwandten, die er noch hatte und die Familie gab einem den nötigen Halt. Nach dem schrecklichen Unglück, bei dem ihr Vater damals gestorben war und Sibels Leben komplett auf den Kopf gestellte wurde, waren die Leute, deren Eigentum sie geworden war, zu ihrer neuen Familie geworden. Auch wenn es eine Familie war, die es an Güte und Freundlichkeit hatte missen lassen, war es dennoch eine Familie gewesen, die ihr Halt gegeben hatte. Spätestens als sie das Haus ihrer Herrschaften verlassen hatte und sich alleine durchschlagen musste, hatte sie gemerkt, wie schwierig es war, nur auf sich gestellt zu sein.


    Einerseits war Sibel ganz froh, dass die Iunia sie nicht gleich mit Fragen überschüttete. Wahrscheinlich wären es dann unangenehme Fragen gewesen zu Dingen, über die sie nicht gerne sprach. Dies verlieh ihrem Treffen vorerst noch einen legeren Charakter. So war es dann Avianus, der die Gelegenheit ergriff, um zum eigentlichen Thema ihrer Zusammenkunft vorzustoßen. Er unterrichtete Axilla von seinem Vorhaben, Sibel schon bald freizulassen. ‚dann hätte sie endlich ihre Freiheit‘ Seine Worte klangen noch lange in ihr nach. Über diese bevorstehende Freiheit hatte sie sich eigentlich gar nicht richtig freuen können. Bedeutete es doch für sie, nicht mehr täglich bei Avianus sein zu können. In der kurzen Zeit, die sie bei ihm in der Castra sein durfte, hatte sie ihre Freiheit nicht gemisst, da er ihr alle Freiheiten gelassen hatte. Aber natürlich sah sie auch ein, dass es so nicht hätte weiter gehen können. Zumal sie nun schwanger war und in einigen Wochen würde dies auch unübersehbar sein.
    Ihr Kind aber würde dann nicht mit dem Makel der Sklaverei zur Welt kommen. Mehr wünschte sie sich im Augenblick gar nicht. Avianus sollte wegen ihr keine Nachteile in Kauf nehmen müssen. Daher akzeptierte sie es, wenn er seine Beziehung zu ihr geheim hielt und sein Kind offiziell nicht als seines annahm.

  • In Ehrfurcht... Axilla fühlte sich ja beinahe geschmeichelt. Irgendwann zu einem nicht näher zu definierendem Zeitpunkt musste etwas wahrhaft wundersames geschehen sein. Aus einem Mädchen, das vor lauter Übermut und Zorn auf die halbe Welt nicht wusste, wo ihr Platz ist, das sich nicht benehmen konnte und seine Tante Urgulania zur Verzweiflung gebracht hatte, war irgendwie eine respektable Frau geworden, die sogar glauben konnte, dass jemand voller Ehrfurcht von ihr sprach. Zeit war einfach eine verrückte Sache, und manchmal fragte sich Axilla, ob die Göttinnen, die den Schicksalsfaden spannen, schon von Anfang an wusste, ob aus der rauen Wolle irgendwann Seide oder sogar Gold werden würde.


    Lange blieb Axilla aber nicht, sich davon geschmeichelt zu fühlen. Avianus stammelte erst ein bisschen, erzählte etwas unzusammenhängend davon, dass er Sibel freilassen wollte. Axilla nickte dazu abwesend, das hatte sie ihm ja schon beim letzten Mal geraten. Doch dann kam er im Nachsatz mit so einem kleinen Detail, dass Axilla froh war, dass sie dieses Mal gerade nichts trank. Sonst hätte sie sich garantiert – schon wieder – verschluckt. So blieb ihr nur, erst einmal mehr als verdutzt und sprachlos zu gucken und unbestimmt mit einem Finger auf die beiden abwechselnd zu zeigen, während ihr Gehirn die Mosaikstückchen im Kopf zu einem stimmigen Bild zusammensetze. “Du... ihr... sie.... ist schwanger?“ Das ging jetzt dann doch schneller als erwartet. Nunja, eigentlich hatte sie sogar darüber spekuliert, dass die Noch-Sklavin unfruchtbar sein könnte, wenn sie durch diese ganze Zeit gekommen war, ohne mindestens ein Kind geboren zu haben. So jung war das Mädchen ja auch nicht mehr.
    Es dauerte noch einen kurzen Augenblick, bis schließlich das Mosaik vollständig im Kopf saß und damit Axillas ganze Wortgewalt wieder freigab. “Und wie du sie freilassen wirst! Nicht 'die nächsten Tage', sondern morgen früh stehst du bei Öffnung der Basilica beim Praetor und beantragst die manumissio! Dass das klar ist, ich werde nicht zulassen, dass meine Groß...neffen...cousins? Dass Verwandte von mir keinen eindeutig freien Status haben, nur weil mein Cousin nicht rechtzeitig beim Praetor war und daher nicht die angemessene Zeit zwischen Freilassung und Geburt lag.“ Männer! MÄNNER! Dass man die immer erst einmal treten musste, damit die sich bewegten!
    Axilla schnaufte einnmal durch – und erinnerte sich dann daran, dass ja noch jemand hier war, der sich vermutlich noch nicht traute, Avianus so zu scheuchen. “Entschuldige. Aber je länger du mit iunischen Männern zu tun haben wirst, umso mehr wirst du verstehen, dass die so sehr die militärische Tradition gewohnt sind, dass die gar nicht wissen, was zu tun ist, wenn ihnen keiner Befehle gibt.“ Leicht zwinkerte sie sowohl Avianus als auch Sibel zu. Sie meinte es ja nur gut, aber so ein Schlendrian, das war ja furchtbar.
    “So, und jetzt nochmal von vorn: Ihr bekommt ein Kind? Wie weit ist es denn schon?“

  • Zu Beginn nickte er noch knapp, dann sah Avianus schweigend dabei zu, wie Axilla begriff. Und ihn gleich im nächsten Augenblick anherrschte, als wäre sie seine Mutter. Da blickte auch er etwas überrumpelt aus der Wäsche, selbst wenn er innerlich froh darüber war, dass seine Cousine sich derart um das Wohlergehen und die Freiheit des Nachwuchses sorgte.
    "Ja, gut … morgen", stimmte er auch gleich zu – zugegebenermaßen hatte seine Cousine recht, teilweise jedenfalls – und versenkte zudem ein wenig verlegen seinen Blick im Becher, sowie Axilla sich Sibel gegenüber zu einem kleinen Exkurs über die Männer seiner Familie hinreißen ließ.
    "Allerdings habe ich mich noch einmal informiert. Selbst wenn sie während der Schwangerschaft nur vorübergehend frei war, wird das Kind frei sein. Es gilt die favor libertatis. Da gibt es keine Frist. Es gibt also keinen Grund zur Sorge." Wie sich das wieder anhörte … selbst in seinen Ohren. Besser früher als zu spät, hieß es doch immer. Dann hätte Sibel aber schon sehr viel früher ausziehen müssen. So sehr er es auch vor sich her geschoben hatte, es war eben notwendig, hatte er sich längst eingestehen müssen. Und wenn er morgen früh ihre Freilassung veranlassen sollte, würde er wohl oder übel schon heute ohne sie zu den Castra Praetoriae zurückkehren müssen.
    Nur mit einer Frage erwischte Axilla ihn dann noch eiskalt. Fragend und mindestens so verlegen wie zuvor, blickte er zu Sibel. Und er sollte dazu taugen, für eine Frau und ein gemeinsames Kind zu sorgen. Dabei war es nicht einmal so, dass er die Wochen und Tage nicht richtig mitgezählt hätte. Er wusste schlicht und ergreifend nicht einmal genau, wann Sibel das Kind empfangen hatte. "So … äh … drei? Vier? Monate?" Ein Versäumnis, das er gleich wieder wettzumachen versuchen würde, dadurch, zumindest einmal etwas verantwortungsvoller zu wirken: Wo es deshalb eilt: Bei der Entscheidung, wie die Zukunft dieses Kindes aussehen soll. Was ich meine ist … wir beide haben uns für dieses Kind entschieden, und da wäre es eigentlich nur richtig, wenn es auch als unser Kind aufwächst", schnitt er vorsichtig das Thema an, das ihm schon seit Senecas Hochzeit nicht mehr aus dem Kopf ging. Es ging um diese Entscheidung, die er eigentlich schon einmal gefällt hatte, bei ihrem letzten Besuch hier. Nur hatten dieses Kind und Senecas und Seianas Eheschließung ihn ins Grübeln, vor allem aber zum Zweifeln gebracht. Nicht nur, ob er die richtige Entscheidung getroffen hatte, sondern auch, ob er damit leben könnte, dass sein Kind nicht sein Kind sein würde, erst recht nicht wenn er jemals eine andere Frau heiratete.

  • Allmählich begannen auch die letzten Bedenken von ihr abzufallen, da sich das Gefühl einzustellen begann, es liefe doch alles gut. Avianus hatte schließlich damit begonnen, seiner Cousine von seinen Plänen mit Sibel für die nächste Zeit zu erzählen. Angefangen von ihrer baldigen Freilassung, weil die Anwesenheit einer Frau in der Castra auf die Dauer nicht gut war. Ganz nebenbei erwähnte er dann auch ihr Kind, so dass Sibel annahm, er habe die Iunia darüber doch schon in Kenntnis gesetzt. Umso mehr war sie nun überrascht, Iunias verdutzten Blick zu sehen und das scheinbare Entsetzen in ihrer Stimme. ‚Nun ist alles aus!‘ war Sibels erster Gedanke, deren Lächeln wie auf Kommando völlig erstarb und sie nun da saß und angespannt die Lippen zusammenpresste.


    Als Konsequenz zu ihrem Entsetzen, schlug die Iunia nun einen bedrohlichen Befehlston an, den Sibel noch von ihrer früheren Domina in Misnum her kannte. Doch als Iunias Worte, so bedrohlich sie auch klingen mochten, endlich auch bei der Lykierin ankamen, begriff sie langsam, dass sie nicht gegen sie gerichtet waren. Ganz im Gegenteil, Axilla mahnte ihren Cousin zu Eile, damit ihre Verwandten auch wirklich frei waren. Sibel glaubte nicht recht zu hören! Hatte sie wirklich soeben ‚ihre Verwandten‘ gesagt?
    Allem Anschein nach war ihr Cousin auf eine so heftige Reaktion nicht eingestellt, doch sie schien Wirkung zu zeigen. Aber auch er hatte sich natürlich schon informiert.


    Scheinbar hatte die Iunia Sibels überraschtes Gesicht gesehen, da sie sie nun wieder direkt ansprach und sich für ihr herrisches Auftreten entschuldigte, das offenbar nötig war, um den iunischen Männern im wahrsten Sinne des Wortes den Marsch zu blasen. Dabei zwinkerte sie ihr auch zu, was dann endgültig das Eis schmelzen ließ. Es war nur verständlich, dass sie nun alles über das Kind wissen wollte.


    Avianus war es dann, der zunächst herumrätselte, wie weit die Schwangerschaft den fortgeschritten sein. Doch viel wichtiger war, was er danach sagte. Nämlich dass es ihr Kind sein würde und dass es auch als solches aufwachen sollte, was immer das auch heißen sollte. Sibel wäre schon damit zufrieden gewesen, wenn sie einen sicheren Ort hatte, an dem sie bleiben konnte. Wenigstens solange das Kind aus dem Gröbsten heraus war.
    Endlich fand dann auch sie wieder ihre Sprache. Schließlich musste sie es ja am besten wissen. Zumal sie inzwischen auch eine Hebamme in der Stadt aufgesucht hatte, um sich von ihr untersuchen zu lassen. „Es ist ungefähr die zwölfte Schwangerschaftswoche. Langsam kann ich es nicht mehr verbergen.“ Dabei strich sie die Tunika über ihrem Bauch glatt und tatsächlich war der zarte Ansatz eines Bäuchleins zu erkennen.

  • Avianus wagte es noch, halblaute Widerworte zu geben, und erntete dafür einen erhobenen Zeigefinger. Axilla war Mutter von zwei Söhnen. Sie wusste um die Macht des Zeigefingers, und sie konnte sie einsetzen. Man sollte sie da nicht in Versuchung führen, sie hatte genug Übung.
    Jetzt galt es aber erst einmal, sich auf die werdende Mutter zu konzentrieren. Wenn sie ein Kind von Avianus bekam, dann war die Entscheidung, die Axilla eigentlich erst noch hatte treffen wollen, im Grunde schon gefallen. Erst recht, wenn Avianus wirklich wollte, dass das Kind als seines aufwuchs. Da gab es dann gar nicht mehr viel, zu überlegen. Natürlich musste das Kind dann unter den Schutz der iunischen Laren gestellt werden, ihren Göttern an ihrem Hausaltar opfern und ihre Familiengeschichte nicht nur lernen, sondern leben. Da gab es für Axilla nicht einmal ansatzweise eine Alternative. Und bislang hatte Sibel ja auch noch nichts gesagt oder getan, was Grund genug wäre, sie nicht im Haus haben zu wollen.
    Ein bisschen überrascht war Axilla aber schon, als Sibel so genau wusste, wie viele Wochen sie wohl schwanger war. So genau wusste ja immerhin keiner, wie oder wann eine Frau schwanger wurde. Nun, das wie war noch relativ eindeutig, wenn auch der genaue Vorgang unbekannt war und es darüber nur einige Theorien gab. Beispielsweise die gängigste, dass das Kind komplett aus dem Samen des Mannes entstand und in der Frau nur wuchs, so ähnlich wie ein Weizenkorn in der Erde zu Weizen wuchs. Über das 'wann' gab es da noch weit vielreichendere Theorien, angefangen von der These, dass eine Frau nur bei einem Orgasmus schwanger werden könnte (was wohl eine Ausrede für lausige Liebhaber zu sein schien) über Theorien über den Vollmond und das Opfern von Kaninchen an diverse Fruchtbarkeitsgottheiten. “Bei meiner ersten Schwangerschaft wusste ich es erst, da muss ich schon im fünften Monat gewesen sein. Die Übelkeit hielt ich für eine Magenverstimmung, und gesehen hat man bis dahin absolut nichts“, plauderte Axilla ein wenig aus der Vergangenheit mit einem leicht wehmütigem Lächeln. Wäre sie damals nicht von Archias schwanger geworden, wäre vermutlich vieles in ihrem Leben ganz anders gelaufen. “Aber dann solltest du auch bald die schlimmste Zeit geschafft haben. Hast du arg mit Übelkeit zu kämpfen? In der zweiten Schwangerschaft hatte ich nur noch Sodbrennen. Aber dafür eine Nase, die besser war als die eines Trüffelschweins. Ich konnte bei mir in der Wohnung riechen, wenn die Nachbarin vier Häuser weiter die Amphore mit Garum geöffnet hat...“ Hachja... das war alles schon wieder so lange her. So im Nachhinein färbte die Erinnerung das Ganze fast mit einem Hauch von Sehnsucht. Damals hatte Axilla alles nur als fürchterlich und störend empfunden.


    Aber etwas anderes stand außerdem noch im Raum, was nichts mit netten Plaudereien mit den Wehwehchen der Schwangerschaft zu tun hatte. Axilla riss sich also aus den Schwelgereien der Vergangenheit und wandte sich noch einmal ihrem Vetter zu. “Ich nehme an, wenn du alles richtig machen willst und das Kind als deines aufwachsen soll, dass du auch bezüglich der anderen Frage eine Entscheidung getroffen hast? Denn wenn ja, dann musst du da diese Woche noch die Erlaubnis deines Vorgesetzten einholen, damit alles eingetragen werden kann. Damit das Kind ein richtiger Iunius wird, müssen da einhunderteinundachtzig Tage dazwischen liegen, und das wird dann auch mit nur einer Woche schon knapp. Also wenn du dich da noch entscheiden musst, dann entscheide dich jetzt.“
    Axilla konnte ja kaum Sibel im Namen ihres Vetters die Ehe vorschlagen. Aber Avianus hatte das entweder schon gemacht, oder er musste es wirklich heute noch tun. Und dann konnten sie nur beten, dass das Kind eher zwei Wochen später als zwei Wochen früher kommen würde. Oder noch früher – wobei dann wohl eher nicht mit dem Überleben des Säuglings zu rechnen wäre.

  • Voller Zuneigung beobachtete er Sibel dabei, wie sie zu einer Antwort ansetzte und sich über den Bauch strich. Avianus hatte in den letzten Tagen beobachtet, wie er langsam gewachsen war, wie das, was zu Beginn noch so surreal gewirkt hatte, und es eigentlich noch immer war, stetig realer wurde.
    Nur wenig später verblasste sein Lächeln allerdings. Bei den ganzen Schwangerschaftsgeschichten blieb er bewusst stumm, von solchen Dingen hatte er logischerweise gar keine Ahnung. Der Grund weshalb ihm seine gute Laune etwas vergangen war, war aber ein anderer: Sibel hatte auf seinen kleinen Wink mit dem Zaunpfahl kein bisschen reagiert. Vermutlich hatte er sich einfach nicht klar genug ausgedrückt und sie hatte ihn nicht richtig verstanden. Vielleicht wollte sie auch gar nicht mehr darüber reden und hatte seine Worte deswegen ganz bewusst ignoriert. Seine Cousine hingegen hatte verstanden worauf er hinaus wollte.
    "Ja, ich weiß … ich muss auch nichts mehr entscheiden", antwortete er Axilla knapp und sah dann sich ewig lang anfühlende Augenblicke fragend zu seiner Liebsten hinüber. Er öffnete den Mund um etwas zu sagen, doch die richtigen Worte fehlten ihm gerade. Vom Herumsitzen und blöd Schauen wurde aber auch nichts besser. Wenn er das hier durchziehen wollte, führte kein Weg daran vorbei, sich so eindeutig auszudrücken, dass sie einfach verstehen musste, und keine andere Wahl hatte, als etwas dazu zu sagen. Also wagte er einen Versuch:
    "Was ich sagen wollte ist … ich möchte dieses Kind gerne annehmen, Sibel … das heißt aber auch … also … dass wir heiraten müssten, du und ich … bald." Was wurde ihm plötzlich so warm? Und Angst machte sich in ihm breit. Das gab's doch gar nicht. In Vicetia hatte er sich von Seneca übers Feld scheuchen lassen und vor lauter Adrenalin nicht einen Gedanken an Angst verschwendet, und kaum saß er neben seiner eigenen Sklavin und begann, von einem gemeinsamen Leben zu reden, machte er sich fast ins Hemd. Noch bevor Sibel reagieren konnte, hatte er das Gefühl sich um Kopf und Kragen reden zu müssen, weil sie ja sonst immer gleich die Nerven verlor bei dem Thema. Verlegen kratzte er sich im Nacken und versuchte, die richtigen Worte zusammenzuklauben, was bei dem Durcheinander, das sich ganz unverhofft in seinem Kopf breit gemacht hatte, bei weitem kein leichtes Unterfangen war.
    "Alles, was ich immer wollte, war, dich bei mir zu haben und dass es dir an nichts fehlt. Das hätte ich auch ohne Ehe haben können. Aber ich habe auch nie mit diesem Kind gerechnet … diesem Kind, dem es genauso an nichts fehlen soll, und das es am besten haben wird, wenn es einen Vater hat. Und eine Mutter. Und für dich wäre es auch besser, wenn du mit dem Kind nicht alleine dastehst. Wenn ich jetzt also das Beste für euch beide will, dann … naja ..." Da gingen ihm doch glatt die Worte aus. Ein wenig betreten blickte er Sibel an und hoffte darauf, dass eine Reaktion käme, mit der er leben könnte.

  • Sibel hatte natürlich nur nachgeplappert, was ihr einige Tage zuvor die Obsterix erzählt hatte. Was genau tatsächlich in ihr geschah wusste sie nicht. sie hätte es sich auch gar nicht vorstellen können. Sie wusste nur eins: Etwas wuchs in ihr heran – nämlich ihr Kind! „Ich dachte auch zuerst, ich hätte mir den Magen verdorben. Als es nicht besser wurde, meinte eine Freundin, es könne durchaus sein, dass ich schwanger bin. Zumal meine Blutung schon lange überfällig war und ich seitdem auch oft müde bin.“ Nur auf Avianus Drängen hin, hatte sie schließlich auch eine Hebamme aufgesucht, die sie untersucht hatte. Iunia machte ihr Hoffnungen, das Schlimmste wäre nun bald vorüber. „Die Übelkeit hält immer noch an. Besonders kurz nach dem Aufstehen am Morgen ist es am ärgsten. Nun ja, mit den Gerüchen ist es nicht so schlimm. Bloß… ich kann keinen Fisch mehr essen. Sobald ich ihn auch nur sehe, wird mir gleich übel.“ Das war wirklich ein Jammer! Da sie doch sehr gerne Fisch gegessen hatte. Sibel fühlte sich nun sichtlich wohl. Ganz vertraut hatte sie mit Iunia geplaudert, als ob sie sie schon ewig kannte.
    Doch schließlich wandte die sich wieder ihrem Neffen zu, als sei ihr soeben etwas Wichtiges eingefallen, was sie mit ihm unbedingt noch klären musste. Sie sprach von „noch einer anderen Frage“ und einer Entscheidung, die getroffen werden musste und noch von einigen anderen Dingen, die dann so schnell wie möglich erledigt werden mussten. Sibels Blick wanderte von der Iunia hin zu ihrem Liebsten und wieder zurück. Sie hatte keine Ahnung, wovon sie sprach. Spätestens nach dem letzten Besuch in der Domus Iunia hatte sie sich damit abgefunden, dass sie niemals Avianus`Frau sein konnte, höchstens vielleicht seine Konkubine. Sie wollte auch nicht der Grund dafür sein, dass er auf seine Karriere verzichtete. Doch langsam begann es bei ihr zu dämmern, als er meinte, er hätte nichts mehr zu entscheiden.
    Schließlich wandte er sich zu ihr und begann zu stammeln. Sibel versuchte, hinter jedem Wort den Sinn zu verstehen, was dazu führte, dass sie am Ende ganz fassungslos mit offenem Mund dasaß und ihr einfach nur die Worte fehlten. Schließlich schlug sie sich die Hände vors Gesicht und schüttelte nur den Kopf. Es bedurfte eine Weile, bis sie ihre Gedanken überhaupt in Worte fassen konnte. „Aber… du… deine Karriere! Ich würde dir immer nur im Weg stehen.“ Im Verborgenen sollte ihre Liebe doch bleiben, so hatte er es doch gemeint. Doch das, was er ihr nun vorschlug, bedeutete, dass sie wirklich seine Frau wurde, in aller Öffentlichkeit! Tränen bildeten sich in ihren Augen, als sie langsam begriff dass er es ernst meinen könnte und dies ein Heiratsantrag sein könnte. Sie hatte wohl mit allem gerechnet, nur damit nicht! „Du willst mich wirklich heiraten? Mich?!“ Nein, das war so unglaublich. Bestimmt hatte sie gerade etwas völlig falsch verstanden und blamierte nicht nur sich vor seiner Cousine, sondern ihn noch mit dazu.

  • Wie sich sein Magen zusammen krampfte, als Sibels erste Reaktion dieses Kopfschütteln war … wie ewig lang sich die Sekunden anfühlten, während derer er einfach nur dasaß und auf eine Antwort ihrerseits wartete … wie er sie unschlüssig anblickte, als sie noch einmal fragte. Das war es, was die wenigen Augenblicke, nachdem er es ausgesprochen hatte, ausmachte. Und wie peinlich es war, Sibel stotternd und stammelnd vor Axillas Augen einen Antrag zu machen und am Ende nicht einmal eine eindeutige Antwort zu bekommen. Kein ja, kein nein … nichts davon verließ ihren Mund, nur ihr ewig gleicher Einwand und eine simple Frage.
    Avianus setzte sich in seinem Sessel auf, wollte ein weiteres Mal seinen Mut zusammenkratzen. Nur was sollte er ihr sagen? Sich lang und breit erklären? Vor Axilla einen Vortrag halten, dass er sie doch liebte, seine Familie hinter ihm stand und ihn im Grunde nichts mehr zurückhielt? Von seiner Karriere abgesehen. Aber die war damit ja nicht vorbei. Es würde schwieriger werden, dessen war er sich bewusst, aber ihm war im Leben bisher kaum etwas in den Schoß gefallen. Dann würde es eben so bleiben, oder noch schwerer werden und er würde hart arbeiten müssen, für das, was er erreichen wollte. Und wenn er es nicht schaffte, würde er es sicher nicht bereuen, für die Frau dagewesen zu sein, die er liebte, und für das Kind, das die Götter hoffentlich gesund zur Welt kommen ließen. Er hatte das Gefühl, Sibel stellte ihn stets auf dieses Podest, als könnte er mit Leichtigkeit alles erreichen, wenn er nur sie losließe … auf dieses Podest, welches in der Form eigentlich nicht existierte. Er war nicht als Kind reicher Eltern im Überfluss aufgewachsen, hatte für seinen Erfolg gearbeitet und konnte stolz darauf sein, es bis zum Centurio geschafft zu haben.
    Jetzt da er nur noch zwischen seiner Familie – denn nichts anderes war ja dieses Kind, das ihn Sibel heranwuchs – und seiner Karriere zu entscheiden hatte, fiel es ihm mit einem mal ganz leicht. Und Sibel würde an seiner Stelle sicherlich dasselbe tun und das Wohlergehen des geliebten Menschen und des hoffentlich baldigen gemeinsamen Kindes einer schnellen Karriere vorziehen.
    Nein, kein Vortrag, beschloss er. Sie hatte ihn doch verstanden. Ganz eindeutig hatte sie das.
    "Ja ... das will ich", antwortete er, und fummelte mit der einen Hand immer noch nervös am Stoff seiner Tunika herum. "Wenn es dir lieber ist, können wir das auch unter vier Augen besprechen. Oder wenn du noch ein wenig Zeit brauchst …" … er lief solange sicher nicht davon. Ein flüchtiges, gequältes Lächeln glitt über seine Züge.
    "Oder du sagst, dass du meine Frau werden willst, hältst morgen deine Freilassungsurkunde in der Hand, ich werde den Praefectus wegen der Verleihung des Conubium ansprechen, und du kannst dich … vielleicht mit Axillas Hilfe …" – Ein kurzer Blick ging zu seiner Cousine, die immerhin schon in der zweiten Ehe steckte, und mit Sicherheit wusste, wie man eine Hochzeit organisierte. – "… um die ersten Vorbereitungen kümmern."

  • Das war jetzt dann doch ein klein bisschen peinlich. Axilla hatte nicht damit gerechnet, dass Avianus seiner Sklavin hier und jetzt einen Antrag machen würde. Noch weniger allerdings hatte sie damit gerechnet, dass die nur irgendetwas davon sagte, dass das für Avianus' Karriere schlecht wäre. Eigentlich hatte Axilla angenommen, dass Avianus das mit seiner Geliebten schon besprochen haben würde, oder aber, dass er gewartet hätte, bis die beiden wieder unter sich wären. Auf der anderen Seite waren Männer manchmal anders, und Axilla durfte da sicher nicht zu laut schreien. Archias hatte ihr damals den Heiratsantrag im Circus Maximus direkt beim Rennen gemacht, umgeben von hunderten von Zuschauern. (Die wohl aber auch ziemlich komisch geguckt hätten, wenn sie dann nicht gleich ja gesagt hätte.)
    Avianus musste also sienen Antrag nochmal bekräftigen, und redete auch gleich etwas von Hochzeitsvorbereitungen. “Wenn ihr denn eine größere Hochzeit feiern wollt“, stimmte Axilla also zu, die dennoch von der Situation gerade etwas überfahren war. Zudem hatte sie keine Ahnung, wie eine solche Hochzeit richtig zu feiern war. Alle Bräuche, die sie kannte, betrafen Römerinnen. Und Sibel war da definitiv keine. Folglich fiel auch das Anfertigen des Hochzeitskleides, das Kämmen des Haares mit der Lanze und das ganze Brimborium schon einmal weg. Am Hausaltar für einen Segen zu opfern, war aber wohl definitiv angebracht. Und auch das Unterzeichnen eines Heiratsvertrages vor Zeugen. Und letzteres war ja ohnehin das einzig bindende Element, wenn Sibel zudem in die Domus Iunia einzog. Da war das römische Recht doch erfreulich einfach. Sobald eine freie Frau bei einem freien Mann im Haus lebte, mussten beide vielmehr erklären, wenn es sich nicht um eine Ehe handelte, ansonsten wurde eine solche einfach angenommen.


    Eigentlich wollte Axilla sich ja auch gar nicht weiter in diese Situation einmischen, aber irgendwie konnte sie dann doch nicht ganz aus ihrer Haut. Zumal es in ihrem Denken keinen Grund gab, warum jemand einen Iunius ihrer Familie nicht könne heiraten wollen. Wäre sie nicht von Geburt eine Iunia und damit eine solche Heirat damit ausgeschlossen, sie hätte bestimmt einen heiraten wollen. Aber irgendwie verkaufte ihr Vetter die ganze Sache noch nicht schmackhaft genug. (Wenngleich sich Axilla fragte, warum man da hätte noch 'Geschmack' zufügen müssen.) “Und was mein teurer Cousin vergessen hat, zu erwähnen, ist, dass dann euer Kind ehelich auf die Welt kommen kann. Damit hat er – sofern es ein er wird – die Möglichkeit, in der Legion zu dienen. Oder in jeglichem Götterkult, der eine eheliche Geburt voraussetzt. Vielleicht wird er dann auch selber Ritter. In jedem Fall ein vollwertiger, römischer Bürger. Und wenn es ein Mädchen wird, kann man sie zumindest mit einem Ritter verheiraten, weil sie dann eine richtige, makellose Iunia sein wird. Als uneheliches Kind stehen ihm diese Möglichkeiten nicht offen.“

  • Dies mussten wohl die schlimmsten Minuten in Avianus‘ Leben gewesen sein, denn mit ihrer Reaktion und dem Hinauszögern einer Antwort hatte er wohl kaum gerechnet. Aber auch für Sibel war dies nicht einfach. Zumal brauchte sie erst ein wenig Zeit, das Gehörte auch zu verdauen.
    Dass sich Avianus alles bereits gut überlegt hatte, bekräftigte er schließlich noch einmal und fegte damit ihre Einwände hinweg. Natürlich hatte Sibel all die Jahre über auf einen Tag wie diesen gehofft, an dem er sie bitten würde, mehr als nur seine Geliebte zu sein. Allerdings hatte sie sich niemals der Illusion hingegeben, dass dieser Tag auch tatsächlich kommen würde. Nun aber war er doch da. Statt sich aber nur der puren Freude hinzugeben und einfach nur „JA“ zu sagen, schien sie wie gelähmt zu sein.


    Während sie immer noch beinahe bewegungslos da saß und vor Überraschung die Hände vor ihren Mund geschlagen hatte, begann er nervös an seiner Tunika herumzunesteln. Um endlich diese unerträgliche Stille zu durchbrechen, bot er ihr an, sich nicht gleich entscheiden zu müssen. Oder aber sie solle jetzt und hier ja sagen, was dann zur Folge hatte, dass sich bereits morgen ihr ganzes Dasein verändern würde. Er verwies noch auf seine Cousine, mit deren Hilfe sie die Hochzeit vorbereiten konnte. Ihre Augen fielen dabei auf Iunia, die bis vor kurzem noch eine Fremde für sie gewesen war, vor der sie einen gehörigen Respekt hatte.
    Nun aber war es endgültig an ihr, sich dazu zu äußern. Fieberhaft suchte sie nach Worten, obwohl es doch so einfach war, da es doch nur ein schlichtes „JA“ gebraucht hätte. Für Sibel aber schien dies meilenweit entfernt zu sein. Als sie nun endlich ihre Hände hatte sinken lassen und bereit gewesen wäre, etwas zu sagen, stimmte auch Axilla noch mit ein, für die diese Situation sicherlich auch nicht alltäglich war. Doch sie schien sich davon nichts anmerken zu lassen. Im Gegenteil! Schließlich schien es sogar so, als wolle sie Avianus‘ Antrag noch einmal bekräftigen zu wollen und zeigte ihr alle Vorteile einer Ehe auf, um ihr damit die Verbindung mit ihrem Cousin noch etwas schmackhafter .zu machen. Doch all das hätte es nicht bedurft, denn Sibel wusste genau, was sie nun wollte.
    „Nein….,“ antwortete sie und schien sich über die Tragweite dieses kleinen Wörtchens gar nicht bewusst zu sein. „Also ich meine, nein, ich brauche keine Zeit mehr zum überlegen…,“ sagte sie schließlich zu Avianus. „…und nein, ich glaube, es muss keine große Hochzeit werden. Oder?“, meinte sie nun in Axillas Richtung. Denn im Augenblick fiel ihr außer Morrigan niemand ein, den sie von ihrer Seite aus hätte einladen können. Dann wandte sie sich wieder ihrem Geliebten zu, der wahrscheinlich inzwischen fertig mit den Nerven war und nahm seine Hände in ihre. „Und natürlich JA, denn ich kann mir nichts Schöneres vorstellen, als deine Frau zu werden.“ Endlich strahlte sie übers ganze Gesicht, denn nun schien ihr Glück perfekt zu sein.

  • Avianus war erleichtert, dass Axilla Sibel zu vermitteln versuchte, dass ihre Heirat ein Vorteil wäre und sein Vorhaben damit unterstützte, wenn sie schon etwas zu seinem für alle – abgesehen von ihm selbstverständlich – überraschenden Antrag sagte. So wirklich bei ihr war er allerdings nicht, er nahm Axillas Worte irgendwie am Rande wahr, registrierte sie, warf seiner Cousine einen flüchtigen Blick zu, nur um gleich darauf wieder abwartend zu Sibel zu sehen. Viel mehr wusste er nämlich nicht zu sagen. Er wollte seine Liebste nicht drängen. Sie sollte nicht ja sagen, weil er zuvor eine halbe Stunde auf sie einredete und mit allen möglichen Argumenten um sich warf. Außerdem musste Sibel doch selbst wissen, dass es das Beste für sie war, wenn sie zustimmte. Und sie liebte ihn doch, wie sie schon tausende Male beteuert hatte. Also saß er nur da und schluckte schwer als sie zu einer Antwort ansetzte. Ihre Antwort lähmte ihn. Er wusste nicht, was er sich erwartet hatte, aber was er sich erhofft und gewünscht hatte, war vollkommen klar, und ein nein war es nicht. Zum Glück brachte er kein Wort heraus, denn nur einen Augenblick später präzisierte sie ihre Antwort … und irritierte ihn damit erst recht.
    Erst als sie seine Hände ergriff, wurde ihm langsam bewusst worauf sie hinaus wollte. Dann kamen ihr endlich die erlösenden Worte über die Lippen, ein einziges Wort, um genau zu sein, und Avianus konnte es gar nicht recht fassen. Dieses eine Wort machte die gefühlte Ewigkeit, die er darauf hatte warten müssen, eindeutig wieder wett. Ja, sie sagte ja. Und er wusste gar nicht, was er jetzt tun sollte, weswegen er Sibel noch ein wenig länger mit großen Augen anblickte, und kam gar nicht auf die Idee, sich einfach wieder entspannt im Sessel zurückzulehnen. Langsam, ganz langsam breitete sich ein Lächeln auf seinen Zügen aus.
    "Wir sind also … verlobt?", stellte er fest und fuhr sich immer noch angespannt übers Gesicht. Sie war immer noch da, saß immer noch bei ihm, als er die Augen danach wieder aufschlug. Das hier war real. Breit grinsend wandte er sich nun auch an Axilla, die eine Hand seiner seit gerade eben Verlobten, die er noch hielt, drückend. Stand ihm die Freude zwar immer noch ins Gesicht geschrieben, so wurde sein Lächeln doch etwas verlegen. Er hatte sich alles etwas einfacher vorgestellt. Dass Sibel sich weniger Zeit lassen würde für eine Antwort zum Beispiel, oder dass er sich nicht mehrmals würde erklären müssen. Aber darauf wollte er gar nicht weiter eingehen, und hatte ohnehin schon wieder tausend andere Dinge im Kopf.
    "Wo … waren wir? Die Hochzeitsfeier …" Die brauchte keineswegs groß zu werden. Er wusste ja nicht einmal, wen er zu einer Feier einladen sollte. Die meisten seiner engeren Bekanntschaften ließen ohnehin nichts mehr von sich hören oder hatten sich nach Germania verzogen. Allen voran würde ihm wohl Seneca fehlen, der nicht dabei wäre. Aber ein kleines Fest schien durchaus angebracht. "Auch eine kleine Feier will organisiert sein ... wir werden ja sehen, ob wir deinen Rat brauchen." Wobei das Fest eigentlich eher nebensächlich war, solange Sibel seine Frau und für den Rest seines Lebens bei ihm sein würde. Dazu fiel ihm dann aber noch etwas anderes ein, das für ihn und Sibel eine große Veränderung bedeuten würde. Denn sie würde ja gar nicht direkt bei ihm bleiben können. "Wenn wir das also so machen ... dann sollten wir sehen, dass du auch morgen ... oder gleich heute ... in die Domus einziehst", sagte er zu seiner Liebsten, denn sobald sie frei wäre, wäre sie in der Castra nicht mehr willkommen.

  • Ihr war gar nicht richtig bewusst gewesen, wie sehr sie ihn auf die Folter gespannt hatte. Ihr anfängliches Nein hatte ihn wahnsinnig viele Nerven gekostet. Aber selbst als nun ihre eigentliche Antwort auf seine Frage gekommen war, löste dies bei ihm nicht sofort eine Erleichterung aus. Er sah sie nur mit großen Augen an, brachte aber kein Wort über seine Lippen. Sibel indes lächelte ihn immer noch an. Wahrscheinlich hatte sie es aber auch noch immer nicht richtig realisieren können.


    Endlich fand er wieder ein paar Worte, die sich daraufhin scheinbar in ihrem Kopf immer wieder und wieder wiederholten. Wir sind also … verlobt? – verlobt – verlobt. „Ja!,“ antwortete sie nickend und hatte mit den Tränen zu kämpfen, die sie wieder einmal zu übermannen drohten. „Verlobt!“ Nie im Leben hätte sie geglaubt, dies einmal behaupten zu können. So beschwerlich war ihr Weg bisher gewesen. So viele Hindernisse hatten in ihrem Weg gelegen, die erst beseitigt werden mussten. Oftmals waren sie auf die Probe gestellt worden. In den dunkelsten Stunden, wenn der Zweifel an ihnen genagt hatte und alle Hoffnung scheinbar geschwunden war. Aber ihre Liebe, an der sie niemals gezweifelt hatten, hatte sie stark gemacht. Ja, es war ein langer Weg gewesen, von dem Tag, an dem sie sich in Rom zum ersten Mal unter widrigen Umständen getroffen hatten. Vieles hätte damals anders verlaufen können. Doch nun saßen sie hier beieinander, Hand in Hand und trunken vor Glück.


    Erst nach einer Weile schienen sie sich daran zu erinnern, dass sie nicht allein waren, denn Axilla war noch immer zugegen und soeben auch noch Zeugin von Avianus´ Hochzeitsantrag geworden. Auch Sibel wandte sich etwas verlege zu ihr, als Avianus wieder die Hochzeitsfeier ansprach. Gerade zu diesem Thema hatte sie noch so viele Fragen. Da war die Frage nach dem Hochzeitskleid sicher noch die Geringste. „Um ehrlich zu sein, habe ich keine Ahnung, wie eine solche Hochzeit gefeiert wird. Ich war noch nie auf einer. Darum würde ich mich sehr über deine Unterstützung freuen,“ meinte sie leicht verunsichert. Doch sie hoffte, Axilla würde sie dabei nicht im Regen stehen lassen, nachdem sie ihr gerade eben noch die Hochzeit mit ihrem Cousin schmackhaft gemacht hatte.


    Einen bitteren Nachgeschmack hatte jedoch all das, was sie gerade beschlossen hatten. Die Folgen für ihr zukünftiges Leben, die ihre Entscheidungen mit sich bringen würden, zeigten sich dann auch schon recht bald – schneller, als es Sibel vielleicht lieb sein mochte. Ihre Freilassung besiegelte zugleich das Ende ihrer Zeit in der Castra. Morgen oder besser gleich heute sollte sie in die Domus einziehen. Fort von ihm! Doch sie wollte ihm deshalb keine Szene machen. Und schon gar nicht vor seiner Cousine. So nickte sie schließlich, wenn auch etwas wehmütig. „Ich kann mich natürlich auch etwas nützlich machen, wenn ich hier wohne,“ meinte sie zu Iunia gewandt, da sie der festen Meinung war, etwas geben zu müssen, für das, was sie erhielt.

  • Bei den Göttern, das war aber eine schwere Geburt! (Und Axilla wusste, wovon sie sprach, sie war bei einigen Geburten hautnah dabei gewesen.) Aber schließlich war zumindest die Absichtserklärung erfolgreich in beiderseitigem Einvernehmen getroffen worden. Jetzt musste nur noch Avianus' Vorgesetzter, also Decimus Livianus, bei der ganzen Sache auch mitmachen. Denn wenn der sich weigerte, war alles noch so schön besprochen, aber vollkommen zwecklos. Denn die dreißig Dienstjahre hatte Avianus noch nicht voll. Und auch, wenn keiner der beiden das sicherlich hören wollte, sollte man es zumindest doch noch einmal erwähnen, befand Axilla.
    “Da du keine Römerin bist, können wir uns einen großen Teil des ganzen Brimboriums sowieso sparen, da wir damit niemanden beeindrucken müssen. Der einzig rechtswirksame Bestandteil, der sein muss, ist, dass du vor Zeugen in das Haus einziehst. Der ganze andere Schnickschnack ist schon unter Römern optional. In diesem speziellen Fall würde ich aber auf jeden Fall noch einen Ehevertrag aufsetzen, der das schriftlich festhält. Dann bestehen keine Zweifel an der Rechtmäßigkeit. Naja, solange Consular Decimus denn dem zustimmt.
    Daher würde ich mit irgendwelchen Planungen da auch warten, bis ihr sein Einverständnis habt.“
    Nichts war peinlicher, als eine geplante Hochzeit wieder bei den Gästen absagen zu müssen. “Alles weitere würde ich von der Größe der Feier abhängig machen. Wenn ihr nur ein paar Freunde einladet, können wir auch einfach ein größeres Essen geben im Anschluss an die Vertragsunterzeichnung, und alles gleich hier im Haus. Wenn es größer wird, können wir auch noch ein Segensopfer machen. Aber den Brautzug können wir uns denke ich wirklich sparen.“ Den hatte Axilla auch bei ihren Hochzeiten eher als nervig denn als feierlich empfunden. Von dem peinlichen Moment, wenn man sich auf den hölzernen Phallus setzen sollte, ganz zu schweigen...
    “Aber bevor Sibel hier einzieht, egal wann das jetzt sein soll, wird in jedem Fall ein Opfer am Hausaltar entrichtet! Darauf bestehe ich.“ Axilla war ja nicht übermäßig religiös, aber ihre Laren hegte und pflegte sie ebenso wie die Manen der Vorväter.
    “Und Aufgaben werden wir für dich dann schon finden. Jeder macht sich hier nach seinen Fähigkeiten nützlich.“ Ein Grund, warum Axilla striktes Verbot hatte, in der Küche etwas anzufassen. Hausherrin hin oder her, da hatte sie nur die Fähigkeit, alles verkohlen zu lassen. Wenn eines Tages ein Rezept herauskommen würde, an dessen Ende die Anweisung stand 'und zum Schluss anbrennen lassen, bis sich tiefschwarze Stellen zeigen', dann war ihre große Stunde gekommen. Aber bis dahin versuchte sie besser, nichts zu kochen.

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