Dagny folgte Alrik in das Cubiculum. Sie blickte auf das Bett und dann auf die Stühle, die für sie und die anderen Zeugen bereitgestellt worden waren. Die beiden Helvetier, Mutter und Bruder des Bräutigams, waren bereits anwesend – und zumindest die Mutter wirkte nicht sonderlich erfreut. Dagny unterdrückte den Reflex, dies mit einem Schulterzucken zu kommentieren und nahm auf einem der Stühle Platz. Allerdings war sie weit weniger entspannt, als sie sich nach außen hin gab. Als Runa ihr schüchtern zulächelte, lächelte sie zurück – und hoffte, dass ihr Lächeln irgendwie ermutigend oder aufbauend war. Sicher war sie sich dessen allerdings nicht, denn Dagny war selbst ziemlich nervös, da ihr bewusst wurde, dass sie eigentlich genauso wenig Ahnung von der Materie hatte wie Runa. Ein winzig kleiner Teil von ihr war deshalb auch … neugierig. So hatte sie, wenn sie selbst einmal heiratete, zumindest einen minimalen Vorteil gegenüber einer völlig unbedarften Braut.
Als die Decke angehoben wurde, um ihnen zu zeigen, dass niemand anderes im Bett lag, musste Dagny grinsen. Sie fragte sich, ob das tatsächlich jemals vorgekommen war und sie musste sich auf die Zunge beißen, damit ihr diese Frage nicht laut über die Lippen kam. Wäre jetzt vermutlich auch wirklich nicht der passende Zeitpunkt! Als das Geschehen seinen Lauf nahm fand Dagny zwischendurch auch die Zimmerdecke, die Bettpfosten, den Kopfschmuck der Decria und die Schuhe von Alrik äußerst spannend, wobei sie auch immer mal wieder einen Blick riskierte. Sie war ja schon irgendwie … neugierig.
Dann passierte plötzlich etwas zumindest für sie völlig Unerwartetes, als Curios Bruder aufstand, sich vor das Bett stellte und anfing, zotige Lieder zu singen. Dagny starrte ihn für einen Augenblick überrascht an. War er betrunken? Zumindest wirkte es so, als habe er dem Wein und dem Met schon ganz gut zugesprochen. Sie warf Alrik einen Seitenblick zu, dann schaute sie zu Decria Timarchia, der nun durch ihren Sohn mehr oder weniger die Sicht verdeckt wurde. Das war vermutlich nicht Sinn eines Zeugenrituals, andererseits bezweifelte Dagny, dass man tatsächlich ALLES mitkriegen musste, um hier etwas bezeugen zu können. Sie selbst war Corvinus auch nicht ganz undankbar für die zeitweile Ablenkung, die er ihr damit bot. Dennoch hätte sie wohl etwas gesagt, wenn er es gewagt hätte, ihr komplett die Sicht zu verdecken. Nicht, weil sie Angst hatte, irgendwas zu verpassen, sondern weil sie immer noch selbst entscheiden konnte, was sie sehen durfte und was nicht. Schon aus Prinzip! Das Lied an sich hätte ihr wohl an anderer Stelle ein Kichern entlockt, hier aber fand sie es nicht sonderlich schockierend, in Anbetracht der Tatsache, was sich sonst noch so abspielte. Allerdings merkte sie sich ein paar Passagen – man wusste schließlich nie, wozu es gut war. Und sei es nur, um ihre Brüder zu schocken!