Lucius Praetonius Chairedemos
http://www.imperiumromanum.net…misc/ava_galerie/cato.jpg Der Philosoph blickte erfreut zu Plinia - er mochte es, wenn seine Schüler mitdachten! Und die Frage der Angst vor dem Schmerz war ja geradezu ein Klassiker der epikureischen Ethik.
"Der Schmerz ist durchaus ein wichtiges Thema, denn wie ich bereits sagte, stellt er das Gegenteil zur Lust dar - wenn wir falsch mit ihm umgehen. Denn wir können über Götter, den Tod oder andere geistige Ängste diskutieren - der Schmerz ist zu real und vertraut, als dass er wegzudiskutieren wäre. Hier will uns der weise Epikur dennoch Trost spenden, um den Schmerz zu überwinden. In der von dir genannten Situation, deiner ärztlichen Tätigkeit, magst du an die Worte denken, die der Weise seinem Schüler Menoikeus schrieb:
Ja, viele Schmerzen bewerten wir mitunter höher als Freuden, nämlich dann, wenn auf eine längere Schmerzenszeit eine umso größere Freude folgt. So bedeutet für uns also jede Freude, weil sie an sich etwas Angenehmes ist, zwar gewiss ein Gut, aber nicht jede Freude ist erstrebenswert, wie umgekehrt jeder Schmerz wohl ein Übel ist, aber darum doch nicht immer vermieden werden muss.
Unsere Aufgabe ist es, durch Abwägen und Unterscheiden des Zuträglichen und Abträglichen immer alles richtig zu bewerten, denn manchmal bedienen wir uns des Guten gleich wie eines Übels und umgekehrt.*
Ein wenig simpler ausgedrückt: Wir müssen stets abwägen, in welcher Situation es klüger ist, dem Schmerz zu entgehen, weil er sinnlos ist, oder wo wir ihn zu ertragen haben, weil wir uns damit trösten können, dass er notwendig ist, um einen größeren Schmerz oder ein größeres Übel zu vermeiden. Die Perspektive auf Heilung kann uns dann, wenn wir unser kurzsichtiges Denken überwunden haben, auch das Ertragen des Schmerzes erleichtern.
Doch natürlich - und das dürfte gerade dir als Ärztin bekannt sein - gibt es auch Schmerzen, die ich weder vermeiden, noch ihnen Sinn abgewinnen kann. Hier Auch hier möchte Epikur uns Trost spenden mit einem Bestandteil seines Vierfachen Heilmittels. Wo steht es?"
Fragend sah er in die vordere Reihe, wo die erfahreneren Jünger saßen. Philodemos begann schließlich mit dem 4. Lehrsatz:
"Was schmerzt, spürt man nicht ununterbrochen im Fleisch; vielmehr ist der größte Schmerz nur von kurzer Dauer; der Schmerz aber, der die Lust im Fleisch kaum übersteigt, dauert nicht viele Tage lang. Lange andauernde Krankheiten gewähren mehr Lust im Fleisch als Schmerz."
Der Praetonier legte die Stirn in Falten.
"Einer der schwieriger zu verstehenden Sätze, zweifellos. Doch betrachten wir ihn genauer: Der erste Teil dürfte einleuchten: Ein heftiger Schmerz wird irgendwann nachlassen, womit der, der unter einem Schmerzanfall leidet, sich trösten darf. Auch hier gilt es also, die Perspektive zu erweitern und in die Zukunft zu blicken.
Der zweite Teil hingegen weist uns auf einen Umstand hin, der auch den chronisch Leidenden beruhigen kann: Auch in der Krankheit ist es möglich, ungetrübte Lust zu empfinden. Auch hier hoffe ich, dass du, werte Plinia, mir zustimmen wirst: Einem Kranken, der sich nicht ständig seinem Leiden zuwendet, vermag es gelegentlich über einen Scherz zu lachen oder mit Freunden in erfreulichen Erinnerungen zu schwelgen, die ihn sein Leiden zumindest für eine Weile vergessen machen.
Dies ist es, wozu Epikur uns erziehen will: Carpe diem - auch im unvermeidlichen Leiden."
Er sah in die Runde, ob seine Schüler diese Erklärung akzeptierten.
"Damit berühren wir im Grunde bereits den vorletzten Block unserer Einführung, der mir zugleich der wichtigste zu sein scheint: die Ethik. Sofern ihr keine Fragen mehr zur epikureischen Physik habt, würde ich dazu übergehen."
* Epikur: Brief an Menoikeus, Kap. 129