[Cubiculum] Wer reitet so spät durch Nacht und Wind...

  • Es war offensichtlich, dass Esquilina die Hebamme nicht erkannte. Wie auch, sie kannte sie ja eigentlich auch gar nicht. Im Fieberschlaf hatte sie wohl kaum wahrgenommen wer sich um sie bemühte. Sie fragte nach ihrer Mutter, dem Vater, nannte Alpina unbekannte Namen. Dann streckte sie ihre dünnen Ärmchen aus. Sie wirkte verloren, schien Licinus zu suchen.


    "Ich bin Alpina", sagte sie erklärend. "Du bist bei mir, damit ich dich gesund pflege, denn du bist schwer krank. Marcus Iulius Licinus hat dich zu mir gebracht, weil er wusste, dass ich mich mit Heilkräutern auskenne."


    Alpina nahm die kleinen Händchen, bot an Esquilina hochzuziehen, sie anstelle des Praefectus in den Arm zu nehmen.

  • "Krank, ja ..." antwortete das Mädchen. Das sie das war spürte sie, aber ganz einordnen konnte sie es immer noch nicht.
    "So viel Wasser. Mama?! Wo ist meine Mama?!" Sie griff nach den ausgestreckten Armen und ließ sich an Alpinas Burst ziehen.
    "Pina, wo meine Mama? Und wo Papa Marcus? Das Haus, das Wasser." für einige Momente wurde ließ der Griff ein wenig nach und dann war sie wieder da, bzw sie war in einer anderen Zeit.
    "Cia, wo ist 'cia? Sie mag nicht in der Kutsche sein müssen. Da wird sie krank von..."
    Dann hatte sie wieder einen klareren Moment und konnte sich etwas besser ordnen.
    "Marei ist schon soo lange weg. Kommt sie wieder?"

  • Langsam schien Esquilina zu verstehen, was los war. Sie ließ sich von Alpina in den Arm nehmen. Dann aber schien die Kleine wieder verwirrt zu sein. Sie sprach von Wasser, vielem Wasser. Die Frage nach ihrer Mama war mehr als verständlich. Die Hebamme wusste nicht was sie Esquilina antworten sollte. Sie kannte die Mutter der Kleinen nicht, wusste nichts von ihrem Verbleib. Papa Marcus? Alpinas Verdacht schien sich zu bestätigen. War Marcus Iulius Licinus tatsächlich der Vater des Mädchens?
    Für Alpina stellte diese Vermutung kein Problem dar, doch warum nannte er sie dann sein Mündel und stand nicht zu seiner Tochter?


    Esquilina brabbelte weiter. ´Cia schien eine Vertraute zu sein, eine Amme oder Sklavin. Warum wollte sie nicht in der Kutsche sein? Alpina versuchte die kleinen Splitter Wahrheit aus den wirren Fiebervisionen der Kleinen herauszufiltern. Was von dem entsprach der Realität, was war dem Fieber zuzuschreiben?


    Ein neuer Name tauchte auf. `Marei. Esquilina beklagte, dass ´Marei schon so lange weg war und fragte ob sie wiederkäme.
    Alpina fühlte sich hilflos. Sie wollte die aufgewühlte kleine und kranke Esquilina gerne beruhigen und ihr Antworten auf ihre vielen Fragen geben. Ihr Sicherheit vermitteln wo sie so unruhig wirkte. Aber sie kannte die Antworten nicht. Wenn sie das Falsche sagte, würde es womöglich noch schlimmer werden. Also entschied sie sich für eine Mischung aus Antworten, die sie ruhigen Gewissens geben konnte und einem vorsichtigen Nachfragen.
    "Marcus Iulius Licinus kommt heute nach Dienstschluss wieder zu dir. Keine Sorge, er kommt ganz gewiss." Sie streichelte Esquilina über die Haare und drückte das Mädchen an sich. Dann ließ sie wieder ein wenig nach. "Wer ist `Cia und wer Marei? Eine Amme, eine Sklavin? Warum will Cia nicht in die Kutsche? Wird ihr schlecht vom Schaukeln des Gefährts?"


    Die Hebamme fuhr fort dem kleinen Mädchen über den Rücken zu streicheln und nahm sich fest vor, Marcus Iulius Licinus nach der Mutter der Kleinen und nach dem Wasser zu fragen, vor dem sie so Angst hatte.

  • "Kooomt!" antwortete Esquilina seelig und diese in ihren Augen mehr als gute Nachricht ließ sie etwas ruhiger werden und mit großen dunklen, aber auch eingefallenen Augen sah sie Alpina an. "Lucia und Marei sind meine Freundinnen." erklärte sie "Marei ist lustig, sie lacht immer. Lucia ... eine ganz feine Dame ... hat mich in der Kutsche. Marei nicht mitgefahren." dem Kind dämmerte eine Erkenntnis "sie ist nicht in Mantua. Sie ist weg." Darüber gingen die Fragen, warum Lucia die Kutsche nicht mochte aus ihrem Gedächtnsi verloren.
    "Pina? Trinken?"

  • Das Wissen darum, dass Licinus sie besuchen würde, schien Esquilina sehr zu beruhigen. Nun wurden die Sätze klarer, die Kleine schien aus dem Fieberwahn herauszufinden. Sie konnte Alpina nun erklären dass Lucia und Marei Freundinnen waren und nach der folgenden Beschreibung Lucias als feiner Dame, konnte Alpina 1+1 zusammenzählen. Sie hatte mit Tiberia Lucia in der Kutsche gesessen und bezeichnete die Frau des Statthalters als Freundin. Interessant! Aber verständlich. Schließlich war sie den weiten Weg von Rom über die Alpen mit ihr gemeinsam gereist. Marei hingegen schien nicht mitgekommen zu sein. Es war offensichtlich, dass Esquilina diese Freundin vermisste.
    Alpina dachte nach. "Soll ich Lucia fragen ob sie dich besuchen kommen kann?"
    Vielleicht würde es Esquilina gut tun.


    Schließlich wollte Esquilina etwas trinken. Alpina lächelte und hielt ihr den Becher mit dem Kräutersud hin. Neben Spitzwegerich und Huflattich enthielt er Linden- und Hollerblüten gegen das Fieber. Die schmeckten auch sehr süß, das machte das Gebräu erträglicher.
    "Trink das hier. Es wird dich gesund machen. Und dann klopfe ich dich noch einmal ab, damit sich der Schleim aus deinen Lungen löst und du ihn abhusten kannst. Wie fühlst du dich denn? Hast du Schmerzen?"

  • "Mmmh, das wär schon", stimmte das Mädchen erst träumerisch zu, um sich direkt selbst zu korrigieren. "Aber sie soll nicht krank werden. Warum wirst du nicht krank?" fragte sie mit großen Augen.


    Esquilina schmeckte durch die verschleimten Atemwege ohnehin nicht viel, weshalb sie das Gebräu ergeben trank. Der unbewusst erwartete ekelhafte Geschmack trat jedoch nicht ein, das Zeug war einfach süß.


    "Total müde und kaputt. Kopf-, Hals- und meine Brust tut auch weg. Vor allem, wenn ich huste."
    In ihrem Kopf rebellierte eine leise Stimme dagegen noch mehr husten zu müssen, aber ihre Geschlagenheit war sicher nicht die beste Grundlage um gegen alle eigene Natur den Aufstand zu proben, also legte sie sich stumm zurück und wartete.

  • "Warum wirst du nicht krank?", fragte Esquilina und Alpina musste zugeben, dass sie es nicht wusste. Es war nun mal so. Kleine Kinder und alte Menschen hatten die Götter mit einer gewissen Schwäche versehen. Erwaschsene konnten den Krankheitsdämonen besser widerstehen. Apollons schwarze Pfeile trafen dann seltener ihr Ziel. Sie lächelte.
    "Auch ich kann krank werden, Esquilina. Aber ich muss ja für dich da sein und dich pflegen. Da kann ich nicht krank werden. Das ist sicher der Grund. Die Götter haben mir die Kraft gegeben dich gesund zu pflegen."


    Sie streichelte das kleine Mädchen und nahm sich vor, der Tiberia baldmöglichst eine Nachricht zukommen zu lassen, dass sich Esquilina über ihren Besuch freuen würde.
    Die Kleine klagte über Müdickeite und Schmerzen in Kopf, Hals und Brust. Sofort wurde dieser Bereicht von einer heftien Hustensalve begleitet. Dann sank Esquilina erschöpft ins Kissen zurück. Alpina nickte.
    "Ich werde dir etwas gegen die Schmerzen mit in den Trank mischen und wenn Iulius Licinus wiederkommt bringt er uns ein Huhn für eine kräftigende Brühe mit. Die wird dir gut tun."


    Die Hebamme versuchte Zuversicht auszustrahlen. Sie nahm sich vor, Weidenrinde in den Trank zu geben um die Schmerzen zu lindern und plante auch die Brühe mit Medizinalkräutern zu versetzen.
    "Versuch noch ein wenig zu schlafen. Im Schlaf wird man gesund, Esquilina."
    Alpina lächelte und strich der Kleinen über den Kopf. Dann deckte sie das Mädchen liebevoll zu.

  • In Esquiloinas kindlicher Gedankenwelt war diese Erklärung vollkommen logisch. Das war wie bei Marcus, wenn der Arbeiten musste, dann konnte er ja auch nicht krank werden oder nur ausschlafen. Und wenn Alpinas Arbeit war Leute gesund zu machen, dann konnte sie nicht krank werden, wenn sie selbst krank war. Vollkommen logisch, ja.


    "Das tut so weh" flüsterte das Kind weinerlich, als es seinen Hustanfall überstanden hatte. Dann versank sie langsam wieder in ihren unruhigen Schlaf und auf dem Weg dahin. "GIb Marei einen Kuss von mir, Chio!" bat sie Alpina, die sie für eine ganz andere hielt. [SIZE=7]"Marcus, Honigkirschen"[/SIZE], murmelte sie noch, dann schlief sie ein.


    ~~~~~


    Es war einige Stunden nach Esquilinas zeitweiligem Erwachen, als Licinus das Krankenzimmer wieder betrat, er war gerade vom Tempel zurückgekommen und hatte Tiberia Lucia im Schlepptau.


    Sein Blick ging erst auf seine Tochter, dann auf die obestrix, die er kurz grüßte. Dann trat er an das Bett, kniete sich davor und nahm seine Adoptivtochter an der Hand und raunte ihr zu.
    "Guck mal, ich hab dir jemanden mitgebracht."
    Er drückte ihr einen Kuss auf die Stirn, erst dann besann er sich auf seine gute Erziehung. "Achja, entschuldigt bitte. Tiberia Lucia, Susina Alpina, die obestrix ohne nie..." Licinus brach unbehaglich ab und sprach das unaussprechliche nicht aus "Susina Alpina, Tiberia Lucia, die Gattin des legatus augusti pro praetore und eine gute Freundin von Esquilina." es gelang ihm tatsächlich jede Verwunderung über diese Freundschaft aus seiner Stimme zu verbannen. Lucia Esquilina überlassend fragte er die Hebamme leise: "Wie geht es ihr?". Es klang niedergeschlagen, denn aus seiner Sicht gab es keine Besserung zu vermelden. Das Hühnchen in der Tasche an seinem Arm hatte er komplett vergessen.
    [I]"

  • Esquilina schien zunächst zufrieden zu sein mit Alpinas Begründung. Dann begann sie wieder zu fiebern. Sie vermischte die Realität mit ihrer Traumwelt. Die Schmerzen vom Husten riefen eine Erschöpfung hervor, die im Übergang zum Tiefschlaf Traumbilder erzeugte. Alpina hielt die Hand der Kleinen und hörte ihre Worte, die deutlich machten, dass die Kleine längst wieder in den Armen der Dea Febris lag.




    ~~~~~~~~~~~




    Einige Zeit später erschien Iulius Licinus. Doch er war nicht allein. Als hätten die Götter den Wunsch der kleinen Esquilina gehört, hatte er Tiberia Lucia dabei. In Gegenwart der Frau des Provinzstatthalters fühlte sich die Hebamme unwohl. Die Tiberia musste auf sie herunterschauen. Alpina war nur eine Peregrina, direkt eine Stufe vor den Sklaven. Eine arbeitende Frau - in den Augen einer römischen Dame mit Sicherheit Abschaum. Die Raeterin trug eine einfache langärmlige Tunika in einem erdigen Naturbraun, die Haare hatte sie mit einer Nadel zum einfachen Knopf gezwirbelt.


    Licinus grüßte sie und Alpina erwiderte den Gruß. Er ging zu Esquilina, kniete sich neben sie und sprach leise mit ihr. Die Hebamme verstand ihn nicht, es war zu leise aber seine Stimme klang sehr liebevoll.
    Dann drehte der Iulier sich zu Alpina um und stellte die beiden Frauen einander vor. Alpnia lächtelte und grüßte die Tiberia, die sie bei Runas und Curios Hochzeit getroffen hatte. Ob sich die Frau des Statthalters an eine Landpomeranze wie sie erinnerte?
    "Salve Tiberia Lucia, es ist schön, dass du gekommen bist. Esquilina hat schon nach dir gefragt. Du musst ihr eine wertvolle Freundin sein."


    Auf die Frage des Praefectus Castrorum antwortete sie wahrheitsgemäß. "Sie war vorhin wach und auch einigermaßen klar. Aber dann hat das Fieber ihr wieder die Sinne genommen. Sie ist sehr schwach und der Husten schmerzt sie arg."


    Mit einer Geste zu dem Becher mit dem Kräutertrank sagte Alpina. "Ich habe die Rezeptur verändert um die Schmerzen zu lindern. Außerdem will ich noch ein paar frische Heilpflanzen sammeln, die den Husten lindern und die Lunge kräftigen sollen. Wenn ihr mich gerade nicht braucht, werde ich diese Kräuter sammeln. Ich bin bei Einbruch der Dunkelheit zurück."


    Als sie schon beinahe an der Tür war, fiel Alpina noch etwas ein. "Sag, Iulius Licinus, hast du an das Huhn gedacht? Dann könnte ich unsere Sklavin Gwyn bitten, eine kräftigende Suppe daraus zuzubereiten...." Sie verharrte einen Augenblick dann setzte sie zaghaft nach. "Und noch etwas.... kann ich dich später noch unter vier Augen sprechen?"

  • Licinus nahm überhaupt nicht wahr, dass Alpina der Besuch der hohen Dame unangenehm war. Abgesehen von seinem ohnehin nur geringen Sinn dafür, war in dieser Situation seine Aufmerksamkeit ganz woanders. Die Worte, die sie sprach, indes hörte er und fand, dass die Hebamme völlig recht hatte. Es dauerte einige Augenblicke, bis die Tragweite des Satzes ihm klar und sofort durch die junge Frau bestätigt wurde.


    "Sie war wach?", versicherte er sich mit einem plötzlichen hocherfreuten Blick, auch wenn das ja eigentlich klar war, Alpina hatte es gesagt und noch dazu, dass Esquilina gesprochen hatte. Wenn das keine guten Nachrichten waren, was dann. Dann überkam ihm die Erkenntnis. "Ich habe es verpasst. Aber es ist eine gute Nachricht, nicht wahr? Mein armes Mädchen." Er warf erst Esquilina einen traurigen und dann Alpina einen schwermütigen Blick zu. "Was hat sie ... hat sie was gesagt?"


    Was Alpina vorhatte nickte er ab, er selbst verstand nichts von Heilpflanzen, er musste sich vollkommen auf die Hebamme verlassen.


    Verdutzt blickte er auf das Behältnis, das er die ganze Zeit in der Hand gehalten hatte. "Natürlich, ich habe es hier!" Und hob den Korb an. "ich werde es gleich deiner Sklavin übergeben."
    Die folgende Nachfrage überfiel ihn dann und machte ihn ausgesprochen nervös. "Jaja, natürlich. Am besten sofort, nicht wahr? Tiberia Lucia, darf ich dich bitten einen Moment auf Esquilina aufzupassen? Danke." Er folgte der Hebamme hinaus und als die Tür geschlossen war fragte er sie:
    "Was ist los Susina Alpina? Was wolltest du mir drinnen nicht sagen?" sein Tonfall war belegt und jede Faser seines Körpers war zum Bersten gespannt, wie er es erst einmal erlebt hatte. Damals als das Auftreffen der Parthischen Reiter auf die Schlachtreihen kurz bevorstand. Er rechnete mit dem schlimmsten.


    ~~~ indes drinnen ~~~


    Esquilina lag in einem unruhigen Schlaf, der mit gelegentlichen Hustattacken durchsetzt war. Sie bekam von ihrer Außenwelt nichts mit, so schien es. Schweißperlen lagen ihr auf der Stirn und ihre Lippen waren spröde. Und dennoch, so ganz in ihrer eigenen Welt wie die vorigen Tagen schien sie nicht zu, denn als Licinus und Alpina das Krankenzimmer verlassen hatten, hob sie die Hand und ein Fingerchen streckte sich der einzigen Person im Raum entgegen: Lucia.

  • Es freute Alpina die Erleichterung des Praefectus castrorum zu sehen, als er vernahm, dass Esquilina wach gewesen war und gesprochen hatte. Um so mehr tat es ihr leid, dass er nicht zugegen gewesen war. Auf seine Frage ob das ein gutes Zeichen war, nickte sie vorsichtig.
    "Ja, sie hat gesprochen und über das was sie gesagt hat würde ich gerne vor der Tür mit dir besprechen. Komm bitte mit."


    Sie überließen der Tiberia den Platz an Esquilinas Seite. Vor der Tür bemerkte die Raeterin die Nervosität des Mannes. Seine Stimme klang verändert. Alpina wusste, dass er sich große Sorgen machte. Sie legte ihm ihre Hand sanft auf die Schulter und lächelte beruhigend.
    "Wir dürfen vorsichtig positiv gestimmt sein, Licinus", sagte sie als erstes um ihm zu signalisieren, dass sie hoffnungsvoll war. "Dass Esquilina wach geworden ist und nach einer Weile sogar klare Gedanken fassen konnte, ist ein gutes Zeichen. Doch erwarte ich die Krise erst am siebten Krankheitstag. Bis dahin können wir nicht sicher sein ob sie es überstehen wird. Schnell kann auch wieder eine Verschlechterung eintreten."


    Ihr Blick war warm und einfühlsam. Nun aber wollte sie noch ein paar Antworten von dem Iulier.
    "Im Aufwachen sprach Esquilina noch nicht ganz klar einige Sätze, die mich beschäftigt haben. Es geht mich ja eigentlich nichts an, könnte aber vielleicht doch hilfreich sein, bei dem Versuch ihr in ihrer Krankheit beizustehen, wenn du mir ein paar Fragen beantwortest."


    Nun ließ die Hebamme die Schulter des Mannes wieder los. "Sie nannte mehrere Namen. Einer davon war der von Tiberia Lucia, dann sprach sie von einer gewissen Marei, die sie offenbar sehr vermisst. Kannst du mir zu ihr etwas sagen? Und dann sprach sie von einem Haus und von Wasser? Was ist passiert? Was quält die Kleine in ihren Träumen? Sie fragte sie nach ihrer Mutter und ihrem Vater.... Marcus..."


    Alpina fixierte den Iulier, gespannt auf die Antworten.

  • Es war manchmal so was mit den Ohren, nicht wahr? So oft hörte man nur jenes, was man auch hören wollte. So war es auch bei Licinus, dessen Unterbewusstsein, dass in militärischen Situationen versuchte jede noch so kleine Schwachstelle auszumachen und auszumerzen, ignorierte die Warnung vor dem siebten Krankheitstages und krallte sich metaphorisch an die Aussage, dass sie vorsichtig positiv gestimmt sein dürften. Er freute sich, dass Esquilina offensichtlich sogar in der Lage gewesen war Geschichten zu erzählen, wenn auch wohl nicht so, dass alle Fragen geklärt gewesen waren. Sie hatte erzählen können :] . Die Fragen, die sich ergaben schienen auch nicht allzu alarmierend, denn woher hätte Alpina die Personen auch kennen sollen.


    "Das ist keine kurze Geschichte," begann Licinus zu erklären, der vom Herzen gefallene Stein machte das Reden leicht.
    "Marei war ihre beste Freundin, ein aufgedrehter Frechdachs. Ein Sklavenmädchen aus der familia des legatus Aurelius. Sie verließ nach ihrer Freilassung vor einigen Jahren Mantua. Marcus bin ich wie du sicher schon vermutest hast. Ihr Vater und ihre Mutter, das ist schwieriger. Vor etlichen", Licinus unterbrach sich selbst, sooo lange war es noch gar nicht her, dass Esquilina zu ihm gekommen war. "Einigen Jahren gab es ein grauenhaftes Unwetter in Mantua. Ich kam mit meinen Soldaten, damals war ich centurio, zu einer eingestürzten Insula. Wir hörten Stimmen, ein kleines Mädchen war verschüttet. Ein Soldat und ich haben sie aus den Trümmern geborgen. Sie war völlig durchnässt und verfroren. Wir brachten sie ins valetudinarium. Ihre Mutter auch, sie ... hatte weniger Glück. Esquilina sollte erst nur bei mir bleiben, bis wir Verwandte gefunden hatten. Ihr Vater war Soldat, hat die Mutter verlassen, als sie schwanger wurde." dergleichen passierte vermutlich täglich im Imperium und dennoch schwang in Licinus stimme eine gewaltige Portion Bitterkeit mit. "Wir fanden niemanden. Sie blieb bei mir. Seitdem vertrete ich Vaterstelle an ... oh, du dachtest doch nicht?" ging ihm plötzlich ein Licht auf. Er überspielte sein Unwohlsein mit einem schiefen Grinßen "Nein, ich kann dir versichern, ich bin nicht ihr Vater, auch wenn ich sie kaum mehr lieben könnte, wenn sie es wäre." Es war raus gewesen, bevor er sich unter Kontrolle bekommen hatte. Die Erleichterung war zu stark und nun guckte er ein wenig dümlich aus der Wäsche, er war es nicht gewohnt vor Fremden so aus sich heraus zu gehen.

  • So langsam klärte sich einiges auf. Alpina hörte aufmerksam zu was der Praefectus castrorum ihr antwortete. Marei war also eine Freundin, die Esquilina wohl kaum wiedersehen würde und dass mit Marcus er selbst gemeint war, hatte sich die Hebamme längst zusammengereimt. Warum Esquilina ihn Papa Marcus genannt hatte wurde nun auch langsam deutlich. Er war zwar nicht ihr leiblicher Vater, doch durch den Tod der Mutter und das Verschwinden des Vaters war Iulius Licinus eine Vaterfigur für das kleine Mädchen. Wie traurig die Geschichte der kleinen Esquilina doch war. Gerettet aus Lebensgefahr hatte sie praktisch alles verloren. Alpina fühlte großes Mitleid mit ihr.


    Sie errötete ein wenig als Licinus klarstellte, dass er nicht der leibliche Vater war. Doch nach der offensichtlichen Zuneigung zu dem kleinen Mädchen, aus der er auch keinen Hehl machte, und der Bezeichnung Papa Marcus hatte Alpina nur schließen können, dass die beiden mehr verband als eine Fürsorgepflicht. Nun war sie ein wenig peinlich berührt, genau wie er, der sich seines Geständnisses zu schämen schien, Esquilina aufrichtig zu lieben. So standen sie beide also etwas beschämt voreinander. Alpina fing sich jedoch schneller wieder.
    "Ich danke dir für deine Offenheit, Iulius Licinus, und es tut mir leid, dass ich so nachgehakt habe. Doch ich wollte wissen, ob ich Esquilina im Fieberwahn mit einer Aussage beruhigen kann wie der, dass sie ihre Eltern bald wieder sehen wird. Damit hätte es wohl nur schlimmer gemacht. Nun weiß ich, dass ich ihr sicherlich am besten damit Ruhe und Zuversicht verschaffen kann, indem ich ihr versichere, dass du so schnell wie es dir eben möglich ist, an ihrer Seite sein wirst. Und es freut mich, dass sie in Tiberia Lucia ebenfalls eine Vertraute hat über deren Anwesenheit sie sich freut."


    Ihr Blick traf den des Soldaten. Er sah erschöpft aus. "Was machen die Kopfschmerzen? Soll ich dir noch einmal einen Trank machen?"


    In ihrem Kopf reifte eine Idee, die sie dem Iulier bei Gelegenheit in einer ruhigen Minute eröffnen wollte. Jetzt aber wollte sie zunächst das Huhn in die Küche bringen, den Kräutertrank bereiten und dann die Kräuter für Esquilina sammeln gehen.

  • Ja, das Nachbohren war unangenehm gewesen für Licinus, aber in seinem inneren verstand er zum einen, dass es hatte sein müssen. Zum anderen, nun, seine emotionalen Kapazitäten gaben Wut im Moment ohne hin nicht her, da war Akzeptanz leichter zu zeigen. Alles was wirklich zählte war ohnehin das Kind.


    "Sie hat es einfach an sich, dass die Menschen sie gern haben müssen." erklärte Licinus noch immer etwas unbeholfen ob seiner zuvorigen Offenbarung die Freundschaft zwischen Lucia und Esquilina, die er selbst doch so wenig verstand. "Aber ja, die Freundschaft tut ihr gut. Und ein weibliches Vorbild zu haben." Er hatte ja eingesehen, dass in einer Männerwelt aufzuwachsen nicht gut für das Kind war.


    "Nicht der Rede wert" Licinus machte eine wegwerfende Handbewegung. "Wenn deine Fragen beantwortet sind, will ich dich auch nicht länger aufhalten. Und nach Esquilina sehen." fügte er ehrlich hinzu.

  • Esquilina ging es besser. Sie ass mit großem Appetit die Hühnersuppe und auch in den kommenden Tagen verbesserte sich ihr Zustand zusehends. Der Auswurf wurde rostrot und könnte besser abgehustet werden. Das Fieber stieg nur in den Nachmittagsstunden noch deutlich an. Alpina war zufrieden. Doch dann kam der siebte Tag. Die Hebamme wusste, dass dieser als gefährlich galt, doch sie wollte nicht wahrhaben, dass diese seltsame Regel auch auf die kleine Esquilina zutraf.


    An diesem Morgen traf sie Esquilina mit glasigen Augen und unnatürlich geröteten Wangen an. Alpina legte ihre Hand auf die Stirn der Kleinen. Diese war heiß wie Feuer. Die Hebamme presste die Lippen aufeinander. Bei Dea Febris! Sie legte das Ohr auf den Brustkorb des Mädchens. Es knisterte bei jedem Atemzug, dazu kam ein pfeiffendes Geräusch bei der Ausatmung. Als Esquilina die Augen aufschlug, jammerte sie. Sie klagte über heftige Flankenschmerzen bei jedem Atemzug.


    Alpina klopfte den Brustkorb ab. Tatsächlich hörte sich der Schall seitlich dumpfer an. Die Kleine hatte eine Rippenfellentzündung. Und auch die Lungenentzündung war noch immer brandgefahrlich. Innerhalb weniger Stunden fiel Esquilina unter Klagen und Weinen in einen fiebrigen Schlaf. Alpina Tränke schienen keine Wirkung zu zeigen. Besorgt hielt sie die Hand der Kleinen. Als Kaeso neugierig die Nase zur Tür herein steckte hielt sie ihn auf.
    "Bitte Kaeso, laufbdoch geschwind ins Castellum der Legio und hol den Praefectus Castrorum Marcus Iulius Licinus her. Sag ihm dass es um Esquilina geht. Bitte beeil dich!"

  • War er bis zu dieser Tür in einemTempo vorgestürmt, dass der junge Kaeso wirklich hatte Laufen müssen um ihm zu folgen, so zögerte er vor der Tür und wusste nicht, was er tun sollte. Anklopfen, einfach reingehen, völlig unvorbereitet zu sehen, was er sehen würde. Hilfesuchend suchte er den Blick des jungen. "Kann ich, oder will deine herrin, dass ich warte?"

  • Jetzt während ich neben dem Präfekten her rannte, besser gesagt hinter ihm her hechelte, fiel es mir wieder ein, warum ich so ungern mit größeren Männern durch die Straßen eilte.
    Machte diese einen Schritt musste ich bestimmt drei machen. In normalem Tempo war das schon anstrengend, sollte es schnell gehen war es das reinste Lauftraining.


    So war es auch als ich im Windschatten des Präfekten rannte. Auf seine Frage vor der Türe japste ich: „Du kennst den Weg bitte gehe ruhig zu dem Zimmer der Kleinen.“
    Sollte er ruhig gehen ich konnte dann zu Atem kommen und langsam folgen.

  • Licinus atmete vor der Tür tief ein und aus, klopfte zweimal kurz gegen die Tür. Sein Blick schweifte das Bett, blieb kurz an Esquilinas von Krankheit gezeichnetem Gesicht hängen und suchte dann die hebamme. "Susina Alpina. Hier bin ich. Ist es ... sehr schlimm?"

  • Die Stimmen vor der Tür hatten Alpina bereits den nahenden Praefectus Castrorum angekündigt. Als er nun mit besorgter Miene eintrat, hob sie den Blick.
    "Gut dass du kommen konntest, Iulius Licinus. Die Crisis ist da! Genau wie es die alten Lehrmeister geschrieben haben. Am siebten Tag einer fieberhaften Erkrankung kommt es zur Crisis. Dann entscheidet sich ob der Kranke gesundet oder...."


    Sie beendete den Satz nicht. Ihr trauriger Blick würde dem Iulier sagen, was es zu bedeuten hatte.
    "Ihr Zustand hat sich ganz plötzlich wieder verschlechtert. Das Fieber ist wieder gestiegen, dazu das Knistern in der Lunge und das pfeifende Ausatmen. Sie hat starke Schmerzen in den Flanken. Ich befürchte es ist eine Rippenfellentzündung."


    Alpina nahm die Hand der Kleinen und fühlte den Puls, er war zart aber unglaublich schnell. Wie ein galoppierendes Pferd jagte er dahin. Tränen traten in Alpinas Augen als sie den Mann ansah, der sich so sehr um das kleine Mädchen sorgte und, wie sie inzwischen wusste, sie aufrichtig liebte.
    "Licinus" ihre Stimme wurde ganz leise und brüchig. "Ich bin mit meinem Heilerlatein am Ende. Ich fürchte, ich habe versagt. Es war wohl keine gute Idee, sie zu mir zu bringen. Es tut mir so leid...."

  • Der Anblick Esquilinas und ihr pfeifender Atem waren für sich genommen schon etwas, was Licinus in allerhöchstem Maße alarmiert hätte. Die Situationsbeschreibung der Heilerin war mit besorgnis erregend noch geschönt beschrieben. Aber all das wäre nicht so schlimm gewesen, denn Licinus hatte großes Vertrauen in die ruhige zupackende Art der kleinen Germanin gewonnen und Esquilina bei ihr in besten Händen gewusst. Daher hätte er bei aller Sorge doch einen guten Schimmer bewahrt. Bis ja, bis seine Hoffnungsträgerin sich nun selbst der Verzweiflung hingab. Licinus schluckte schwer und sah auf die junge Frau hinab. "Ein gefallener Feldherr..." sagte eine wie fremde Stimme in seinem inneren und er selbst antwortete ungewollt laut [SIZE=7]"... ist nie ein schöner Anblick."[/SIZE]


    Selbst bereits am Rande der Verzweiflung, stand er nun vor der zusätzlichen Schwierigkeit, dass vor ihm eine gleichfalls zusammenbrechende Frau stand. Etwas, was ihm seit jeher ein schlechtes Gefühl machte und doch hatte er nie gelernt damit umzugehen. Das alles überforderte ihn emotional maßlos. Er schickte in einem Sekundenbruchteile kurzen und dennoch ewiglich erscheinenden Stoßgebet ohne Worte die Bitte an die Götter, dass sie ihn erlösen und ein Wunder senden würden. Als er sah, dass Alpinas Hand noch am Puls seiner Tochter lag, nahm er seine große Soldatenpranke und drückte die Hand der Frau und des Mädchens zusammen. Dann griff er nach den jeweils anderen Hand und während sie so einen Kreis bildeten, herrschte erstmal eine bedrückte angespannte Stille. Er war kurz davor mit allem abzuschließen, widerstand nur mühsam dem Drang seinen Kopf schluchzend auf das Bett des Mädchens zu legen, merkte aber nicht mehr, wie ihm die Tränen über die Wangen rannen. Eine ganze Weile rührte sich keiner von ihnen -- oder Licinus merkte es einfach nicht -- in Trauer vereint. Aber da war noch etwas, was Susina Alpina gesagt hatte, dass stehenzulassen einfach nicht ging. Die Rollen waren merkwürdig vertauscht, als er sich nun anschickte jene Person zu trösten, die bisher ihm Trost und vor allem Zuversicht gegeben hatte. Er war nicht gut in sowas, dass wusste er. Mit belegter Stimme und vielen Pausen stotterte er sich etwas zurecht. "Sag ... Susina ... Alpina, sag ... ich darf doch? ... Also... Alpina ... sag ... sag das nicht. Ohne dich wäre ... wäre sie schon ... vor Tagen ... ge... ge... ge..." storben, dachte er. Aber dieses eine letzte Wort kam ihm nicht über die Lippen. Er konnte das nicht. Und der Widerwille gegen dieses eine Wort breitete sich wie eine warme Flut in seinem ganzen Körper aus. "NEIN!" sprach er und lauter noch "NEIN! NEIN! NEIN!". Den letzten Ausruf hatte vermutlich das gesamte Haus gehört, gleichzeitig drückte er die Hände des Mädchens und der Frau immer fester und bekam nicht mit, dass es diese sicher bereits schmerzte, bevor er sie losließ und aufschoss. Mit in die Hüfte gestemmten Armen stand er in der Mitte des Raumes, er trug keinen wallenden Mantel, aber sonst das Bild eines Feldherren, der seine Mannen in eine Schlacht in Unterzahl und beschissenem Gelände vorbereiten musste. Sein Blick war nichts als der kalte Stahl bitterster Entschlossenheit und seine Stimme war scharf wie ein Rasiermesser als er verkündte. "Noch lebt sie! Und so lange sie lebt, werde ich, werden wir (!) um sie kämpfen! Alpina, wir haben vielleicht eine Schlacht verloren" er packte sie ungewollt unsanft an den Schultern "aber den Krieg, den verdammten, verfluchten, dreckigen Mist-Krieg, den haben wir erst verloren, wenn Esqui wirklich im vermaledeiten Orcus ist. Und! Das! Ist! Nicht! JETZT!" Er ließ sie los und schlug die Faust mit Kraft in die Hand, dass es ihn selbst schmerzte. Wie er da stand, konnte man meinen er sei entschlossen genug gegen Zerberus persönlich zu kämpfen um das geliebte Mädchen im Zweifel aus der Unterwelt zu holen. "Also, was tun wir? Hast du noch Kräuter gegen das Fieber, gegen den Schleim, gegen ... Sollen wir sie Abklopfen, damit sie besser Atmen kann? WAS?! Verdammt Mädchen," herrschte er die 20 Jahre jüngere an. "Allein schaff ich das nicht, also reiß dich zusammen!" Nichts zu tun war vollkommen inaktzeptabel und wäre für Licinus im Moment auch unmöglich zu ertragen gewesen. Also blickte er die junge Frau herausfordernd an und wartete darauf, dass sie endlich zu sich kam und eine Lösung hervorzauberte.

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