Markttag - Wehe, wenn sie losgelassen.

  • Erstaunlich, was einem so alles entgehen konnte, wenn man in gedrückter Stimmung und mit trotzig gesenktem Blick durch die Welt wandelte. Obwohl Aersara den selben Weg eingeschlagen hatte, auf dem Agricola erst vor wenigen Tagen in entgegen gesetzter Richtung den Quirinal hinaufgestapft war, erkannte er kaum etwas wieder. Gepflegte Wohnhäuser, elegante Stadtvillen, kleine und größere Schreine, schmucke Privatthermen, verzierte Giebel, protzige Portiken, gestutzte Gärten, all das war ihm an seinem ersten Tag in Roma völlig entgangen. Entsprechend überrascht bestaunte er nun die Umgebung, ohne freilich Sklavin und Zwillinge aus den Augenwinkeln zu verlieren. Auf den Gedanken, Aersara nach Name, Stifter und Funktion dieser ganzen Gebäude zu fragen, kam er erst gar nicht. Die Küchensklavin wirkte unter Last ihrer ungewohnten Verantwortung bereits angespannt genug. Zu beneiden war sie wirklich nicht. Einerseits fiel ihr als einzig Ortskundiger die Aufgabe zu, die kleine Gruppe zusammen zu halten, andererseits konnte sie die jungen Iunii schwerlich zurechtweisen, wenn die sich auf Abwege begaben. Immerhin, auf der ersten halben Meile stand nicht zu befürchten, dass sich die Vier abhanden kamen. Der Weg nach Südwesten, den man, wie Agricola inzwischen wusste, die Alta Semita nannte, verlief schnurgerade hügelabwärts, und war bis auf die obligatorischen Lecticae und Sellae eher schwach frequentiert.
    Das änderte sich allerdings schlagartig, als sie den Fuß des Collis erreicht hatten. Von allen Seiten strömte hier das Volk aus den Gässchen, Sklaven zumeist, die wie Aersara auf dem täglichen Weg zum Markt waren, aber auch Gaukler, Bettler und allerlei zwielichtige Gestalten, denen die wogende Menge offenbar satte Weidegründe versprach. Agricola, dessen Aufmerksamkeit bislang zwischen den imposanten Bauwerken und der nicht minder imposanten Kehrseite Aersara’s gependelt hatte, zwang sich zur Sammlung. Die ersten Stände kamen in Sicht. Stimmgewaltige Händler wetteiferten um die Gunst der Kundschaft. Eine undefinierbare Woge von Düften hing über den Köpfen der Marktbesucher. Wohin das Auge reichte, Verlockungen.
    Aersara bahnte sich unbeirrt ihren Weg durch’s Gewimmel. Agricola folgte ihr in einigem Abstand, wobei er tunlichst drauf achtete, die Zwillinge zwischen sich und dem anmutigen Rücken der Sklavin zu halten. Gutmütig patsche er seinem Vetter die Hand auf die Schulter. „Na, Crassus? Da weiß man gar nicht, wo man zuerst hingucken soll, stimmt’s?“

  • Crassus und Marsa waren überwältigt von der Menge an Menschen, die mal hierhin mal dorthin schoben, und die vielen Waren, welche hier feilgeboten wurden. Das hier war etwas völlig anderes als ein Markttag im beschaulichen Baiae...
    “Es gibt so... viel hier! Schade, dass wir so schnell laufen, da hinten gab es getrocknete Datteln... “
    Er sah kurz zurück und wäre um ein Haar in einen Verkaufsstand hineingelaufen.
    “Uuuuiiii! Da gibt es schöne Bänder! Können wir dort vorbei?? Biittee! ... Oder dort zu den Tüchern? ... Oh! Da gibt es Schmuuck!“
    Marsa ging mal nach links, mal nach rechts, schaffte es mehrmals, sich im Gehen um sich selbst zu drehen ohne zu stolpern oder in jemand oder etwas hineinzulaufen. Es gab hier so viel zu sehen!

  • Agricola lauschte dem Geplapper der augenscheinlich höchst beeindruckten Geschwister mit einem feinen Lächeln. Base und Vetter sperrten Augen und Münder auf und begannen in der Menge mal in diese, mal in jene Richtung Haken zu schlagen, ohne jedoch seinem wachsamen Auge zu entrinnen. Geht schon los, dachte er sich amüsiert, das konnte ja noch was werden. Verstehen konnte er die beiden sehr wohl. Ihm selbst ging es bei Betrachtung der Warenvielfalt nicht anders, nur dass er Mund und Augen – bislang zumindest – noch einigermaßen unter Kontrolle hatte. Hier gab’s ja auch so ziemlich alles, was man sich vorstellen konnte, und das gleich an jeweils mehreren Ständen. Für ein Kind der Provinz stellte das Angebot fast schon eine sinnliche Überforderung dar. Das galt für die staunenden Zwillinge ebenso wie für ihn selbst.


    Um so mehr musste er sich zusammenreißen und seine eigenen Interessen in den Hintergrund drängen, was zunächst auch gar kein Problem darstellte. An Naschwerk lag ihm nichts, ebensowenig an Schmuckbändern und Geschmeide. Das, woran ihm etwas lag, marschierte mit wogendem Hintern fünf Schritte voraus und blickte sich regelmäßig zu den Iuniern um. „Keine Sorge, du kriegst deine Datteln schon noch.“, versuchte er tröstend auf Crassus einzuwirken, „Lass erstmal Aesara die nötigsten Einkäufe erledigen.“ Und zu Mara gewandt: „Ich wette, sie hat die Erlaubnis von Onkel Avianus, die eine oder andere schmückende Kleinigkeit auf die Rechnung setzen zu lassen. Nur Geduld.“ Ob er damit wirklich durchdrang, stand freilich auf einem anderen Blatt. So oder so würde er die kleinen Anverwandten mit gesammelter Aufmerksamkeit und höchster Umsicht sicher durch den Passantenstrom lotsen, unbeeindruckt von Mensch und Ware. Hörte er da Ziegen?


    Agricola hielt inne und lauschte. Eindeutig, da meckerten Ziegen aus einer Seitengasse. Das war nun allerdings hochinteressant. „Immer schön Aesara nach.“, mahnte er die Zwillinge zerstreut, reckte neugierig den Hals und ging ein paar Schritte auf das Gemecker zu.

  • Tatsächlich. Was Agricola zunächst für eine Seitengasse gehalten hatte, erwies sich bei genauerer Betrachtung als schmaler Tordurchgang. Zur Straße hin war der Gang mit einem provisorischen Gatter begrenzt, und dahinter tappten fast zwei Dutzend Ziegen träge hin und her. „He, ihr zwei!“, rief er den Zwillingen strahlend zu, „Möchtet ihr euch vielleicht Ziegen angucken?“ Keine Antwort. Kein Wunder. Was kam er den beiden auch mit Ziegen? Crassus hegte nach eigenem Bekunden eine heiße Leidenschaft für Pferde, und für welches Getier Mara sich erwärmen ließ, konnte Agricola nur mutmaßen. Hundewelpen vermutlich. Alle Welt war verrückt nach Hundewelpen. Ziegen dagegen waren was für Kenner, und als solcher fühlte er sich geradezu verpflichtet, einen Blick auf die Tiere zu werfen. Nachdem er sich vergewissert hatte, dass Aesaras’ weizenblondes Zopfgeflecht noch in Sicht war, nahm er sich Crassus zur Seite. „Hör mal, ich schau nur kurz nach den Ziegen, bin ich gleich wieder da. In Ordnung?


    Ehe ihn noch eine Antwort erreichen konnte, stand er schon neugierig am Gatter. Der Anblick, der sich ihm nun bot, machte ihn allerdings traurig und wütend zugleich. Die jungen Ziegen waren in einem erbärmlichen Zustand. Allesamt. Räudig, knochig, elend. Ganz im Gegensatz zu dem feisten schweinsäugigen Händler, der sich mit seinen teigigen Wurstfingern ununterbrochen über den eingeölten Bart strich und diese bemitleidenswerten Viecher vollmundig als gesegnete Tempelziegen anpries. Tempelziegen. Blödsinn. Agricola trat noch etwas näher an’s Gatter, beugte sich zu einer der Ziegen hinunter und lauschte. Wie er erwartet hatte. Zähneknirschen. Sie hatte Schmerzen. Ein Blick auf die Beine des Tieres erklärte auch sofort warum. Der Händler würdigte seine Ware keines Blickes, scharwenzelte stattdessen mit schmierigem Lächeln auf Agricola zu. „Nun, mein junger Freund? Hat eines meiner Schätzchen dein Interesse geweckt?“


    Junger Freund. Schätzchen. Widerwärtig. Agricola musste erst einmal schlucken. „Deine Tiere wurden nachlässig gehalten.“, erklärte er dann mit vorwurfsvoller Miene. Der Händler glotzte seinen jugendlichen Kunden an, als habe ihm dieser gerade erklärt, dass Wasser bergab fließt. „Ach? Und weiter?“ In Agricola begann es zu brodeln. Dieser wabbelnde Sack war sich offenbar keiner Schuld bewusst. „Und weiter?“, ereiferte er sich lautstark, „Die Ziegen sind krank! Alle! Die hier hat stark verdickte Vorderlaufgelenke, jene dort drüben auch. Bei fünf oder sechs hab’ ich Leistengeschwüre gesehen, bei weiteren vier Tieren geschwollene Lymphknoten, mindestens ein Dutzend leidet an schmerzhafter Rückenverhärtung, von Räude und offenen Stellen am Körper red’ ich erst gar nicht. Bist du blind, Mann?“


    Die Umstehenden reagierten teils mit amüsiertem Gelächter, teils mit tadelndem Raunen, wobei nicht ganz klar war, ob ihre Ablehnung dem vorlauten jungen Bengel galt oder dem verantwortungslosen Ziegenhändler. Dessen Gesicht hingegen ließ keinen Raum für Spekulationen. Die Schweinsäuglein wurden zu fleischigen Schlitzen. Die wulstigen Finger tasteten über das Gatter nach einer dort angelehnten Treiberrute. Agricola stemmte trotzig die Fäuste in die Seite. Sollte der Ziegenschinder es ruhig versuchen. Mit dem schlaffen Fettsack nahm er es allemal auf. Das lauter werdende Murren der Kundschaft hielt den Händler jedoch davon ab, den lästigen Störenfried tätlich anzugehen. „Die zarte Stadtjugend. Was will man machen?“, warf er mit ausladenden Armbewegungen in die Runde, ging dann einen gemessen Schritt auf Agricola zu und zischte halblaut: „Hör mal, du kleiner Klugscheißer, wenn Pothinus dich schickt, um meine Ware madig zu machen ...“
    „Die ist schon madig!“, beharrte Agricola energisch auf seinem Standpunkt, „Schau dir doch mal die Graugescheckte da drüben an. Die hat man trotz eitriger Hufwunde tagelang im Schlamm stehen lassen. Den fauligen Gestank riecht man bis hierher!“ Der Händler blickte kurz hin, zuckte die Achseln und starrte wieder Agricola an. Im Kopf des Fettwansts schien sich derweil irgendeine Erkenntnis Bahn gebrochen zu haben, die seine Mundwinkel zu einer Art säuerlichem Grinsen verzog. „Ach, so läuft der Hase. Na schön. Geh ich eben noch zwei runter. Also, mein letztes Wort: Dreizehn Dinarii. “


    Agricola lachte auf. Der Kerl hatte es immer noch nicht kapiert. „Nicht ein lumpiges As! Die macht’s nicht mehr lange. Fiebert ja schon.“ Der Händler sah wieder hin, zuckte wieder die Achseln und begann so langsam etwas ratlos zu wirken. „Natürlich macht sie’s nicht mehr lange. Keine von denen. Opfertiere krepieren nunmal nicht an Altersschwäche! Was willst du eigentlich von mir?“ Ein Hieb mit der Treiberrute hätte Agricola nicht schmerzhafter erwischen können als das eben Gesagte. „Das sind Opfertiere?“, fragte er fast tonlos. Das ließ den fetten Ölbart offensichtlich vollends am Geisteszustand seines Gegenübers zweifeln. „Ganz genau. So ist es. Opfertiere.“ erklärte er Agricola so gedehnt als wolle er einem Idioten beibringen, seinen Namen zu buchstabieren. „Oder was willst du sonst mit denen anfangen? Diskutieren? Reiten? Dressieren? Wo genau stimmt’s denn bei dir nicht, Kleiner?“

  • Crassus bekam nur am Rande mit, dass Agricola Ziegen erwähnte - ansonsten aber abgelenkt erschien - er selbst hatte etwas anderes entdeckt...
    Flink schob sich Crassus durch die Menge, an ein paar Ständen vorbei und dann stand er auch schon vor einem Riesen von einem Hengst...
    Staunend sah Crassus sich das Tier erst von Weitem an, dann ging er noch etwas näher heran.
    "Was bist du für ein kräftiger Bursche... und so groooß! Du frisst bestimmt gut und reichlich!"
    Er ging noch näher heran und strich dem Tier über das pechschwarze Fell. Das Fell sowie das gesamte Pferd machten einen gepflegten Eindruck.
    Neben dem Hengst stand ein älterer Mann mit mürrischem Blick und Halbglatze. Eine Narbe ´verzierte´ seine Stirn, welche er bei Crassus´ ankunft in Falten legte...
    "Du da! Komm Mercator ja nicht zu nahe! Der frisst so halbe Portionen wie dich!"
    Der Mann fuchtelte, wie um seine Worte zu unterstreichen, mit der rechten Hand herum.
    "Er tritt gerne mal aus, also halte dich zumindest von den Hinterläufen fern!"
    Crassus sah zu dem Mann, offenbar sowas wie der Besitzer.
    "Wie alt ist er? Mercator? Der Name klingt passend... rennt er auch schnell?"
    Der Besitzer verdrehte die Augen - offenbar ging der kleine Bursche ihm mit der Fragerei mächtig auf die Nerven... kaufen würde dieser kleine Wicht sein Prachtstück bestimmt nicht.
    "Hör mal, geh dorthin zurück, wo du hergekommen bist, wenn du nicht jemanden anschleppst, der kaufen will."


    In diesem Moment fiel Crassus ein, dass Marsa, Agricola und Aesara bestimmt schon weitergelaufen waren. Hoffendlich kam er noch schnell genug hinterher!
    Crassus eilte los, schob sich durch die Menge... er sah sich angestrengt um...
    Von Agricola, Aesara oder Marsa keine Spur.



    Marsa hatte unterdessen zu Aesara aufgeschlossen und sah dieser zu, wie sie die Einkäufe tätigte.
    "Hmmm, die Beeren da sehen aber guut aus!"
    Sie hüpfte auf Aesaras rechte seite und beäugte einen Korb mit roten Beeren.
    "Was sind das für Beeren? Solche haben wir in Baiae nicht."



    Crassus sah sich um, hier waren so viele Menschen unterwegs, dass man kaum jemand bestimmten ausmachen konnte... wenn er nur irgendwie höher käme.

  • Während Agricola noch verbissen darum rang, Haltung zu bewahren, kippte schon die Stimmung. Wem nun die ungeteilte Häme der Umstehenden zuteil wurde, lag klar auf der Hand. Der fette Händler bekam Oberwasser und nutzte die Erheiterung der Kundschaft sogleich für weitere Sticheleien. „Aaaah, jetzt versteh ich. Natürlich. So ein enger kleiner Ziegenarsch kann einem schwellenden Jüngling schon mal den Verstand rauben. Dafür haben wir doch vollstes Verständnis, nicht wahr?“ Zustimmendes Hohngelächter aus der Menge. „Oder ist es am Ende mehr als nur der Arsch? Haben wir hier womöglich einen versierten Spezialisten vor uns? Gar einen aufrichtig entflammten Liebhaber?“ Boshaftes Lachen. Verächtliches Raunen. Agricola ertrug es schweigend. Sollte er sich jetzt gedemütigt fühlen? Erniedrigt? In seiner Ehre verletzt? Irgendwas in der Art? Konnte ein solches Pack ihn überhaupt demütigen? Gewiss nicht, es sei denn, er ließe es zu.


    Vom Zuspruch seines Publikums sichtlich berauscht, schöpfte der Händler geräuschvoll Atem für seine nächste Deklamation. „Nun, freilich .. das erklärt so einiges. Hach ja .. wer kennt sie nicht, die Torheit der Liebenden. Amantes amentes, hab ich recht?“ Lachen. Raunen. Anzügliches Stöhnen. Agricola ließ es über sich ergehen. Man müsste sie alle töten, fand er. Alle hier Versammelten. Mensch und Tier. Die Ziegen aus Gnade, die Spötter aus gerechter Vergeltung und den Händler aus reinem Vergnügen. „Nun, da bist du mit deinen bizarren Neigungen ja genau an den Richtigen geraten, du kleiner Geißenwämser. Für Genießer wie dich spiele ich auch gerne die Lena. Schauen wir doch mal, was der gute alte Polygnotus für dich tun kann.“ Mit theatralischer Geste wies der ölige Drecksack auf sein Warenangebot. „Gleich hier vorn hätten wir zum Beispiel diese anmutige Kleine mit dem verführerischen Augenaufschlag. Ich will sie dir zu Ehren Aphrodite nennen. Noch unschuldig, möchte ich meinen, dennoch voll schlummernder Hingabe. Außerdem pflegt sie auf dem Rücken zu schlafen, was dir gewiss sehr entgegenkommt.“


    Der launige kleine Vortrag des Viehhändlers wurde mit aufbrandendem Applaus gewürdigt. Agricola nahm es kaum wahr. Mit kaltem Blick betrachtete er das verhöhnte Tier. Dass die kleine Ziege sich auf den Rücken legte, entsprach vermutlich der Wahrheit. Ihr Blähbauch war kaum zu übersehen. Falsches Futter. Fauliges Heu möglicherweise oder altes Brot, was auch immer.
    „Oder die temperamentvolle Braune dort drüben!“, fuhr Polygnotus gestenreich fort, „Ein Vulkan der Leidenschaft. Eine glutäugige Venus mit Hufen, die jede ihrer noch verbleibenden Stunden allein der Wollust ihres Geliebten widmen wird. Amori finem tempus, non animus facit, Ist es nicht so?“ Wieder wurde geklatscht, diesmal allerdings nur noch vereinzelt und deutlich verhaltener. Dem Händler fiel es nicht auf, der suhlte sich geradezu in seiner abgeschmackten Eloquenz. „Ob fett oder mager, wir haben’s auf Lager. Nun, Kleiner? Interessiert?“


    „Die Graugescheckte.“ nickte Agricola knapp. Polygnotos’ Grinsen flackerte einen Moment, um anschließend noch breiter zu werden als es ohnehin schon war. „Na bitte! Dacht ich mir’s doch!“ feixte er volltönend, öffnete dann das Gatter, schnappte sich die grauweiße Ziege und setzte sie schwungvoll vor dem Iunier ab. „Wahrlich eine gute Wahl, mein triebhafter junger Freund. Die kann’s offenbar kaum erwarten. Hörst du das kleine Luder stöhnen?“ Agricola nickte erneut. In der Tat. Er hätte taub sein müssen, um das mühevolle Keuchen der fiebernden Ziege zu überhören. Und er hätte tot sein müssen, um den ekelhaften Gestank nicht zu bemerken, der von ihrem linken Vorderbein aufstieg. Langsam, um sie nicht zu erschrecken, ging er in die Hocke und begann ihr behutsam das Kinn zu kraulen. Polygnotos sagte irgendwas. Jemand klatsche, jemand lachte, jemand pfiff auf den Fingern. Agricola ging das alles nichts an. „Na, du armes Ding?“, redete er leise auf das zitternde Tier ein, „Schon gut. Ich weiß. Tut weh, hm? Kann ich mir vorstellen.“ Beruhigt von den sanften Worten kauerte sich die Ziege umständlich auf den Boden nieder. Agricola redete weiter, ließ seine Finger streichelnd am Kinn entlang zum Hals gleiten, drückte der Ziege dann sein Knie in den Nacken und riss ihr schließlich mit einem krachenden Ruck den Kopf nach hinten. Niemand klatschte.

  • Crassus erspähte eine Säule, welche, umrankt von einem Busch, eine Art Vordach abstützte. Das Dach war nur ein Holzgestell da man die Abdeckung entfernt hatte.
    Hier konnte er womöglich etwas hochklettern und sich umsehen...
    Crassus setzte, unbeachtet von der vorbeischiebenden Menge, seinen Fuß in die erste Astgabel und schob sich empor.


    “Gehst du öfters hierher? Bekommt man hier auch Honigfeigen?“
    Marsa plauderte fröhlich weiter vor sich hin während sie Aesara folgte. Zum Glück war von ihrem vorlauten Bruder nichts zu hören. So machte der Ausflug gleich noch mal soviel Spaß.

  • Neben der mit Blutfäden durchzogenen Urinlache, die unter der erschlafften Ziege hervorquoll, gruben sich zwei ausgelatschte Opanken in den Gassendreck. „Sowas ist bei mir nicht üblich, Freundchen.“, knurrte Polygnotus zu Agricola hinunter. „Unter diesen Umständen muss ich auf den vollen fünfzehn Dinarii bestehen.“ Die Umstehenden schienen langsam das Interesse zu verlieren, jedenfalls fühlte sich niemand in der Menge bemüßigt, das energische Auftreten des Viehhändlers mit Applaus oder sonstigen Beifallsäußerungen zu würdigen. Ohne Polygnotus eines Blickes zu würdigen, löste Agricola seinen Beutel von der Hüfte und entleerte dessen Inhalt über dem graugescheckten Kadaver. „Um die acht Denarii in Sesterzen. Nimm es oder lass es.“ Auch das rief keine vernehmbaren Reaktionen bei den schadenfrohen Marktbesuchern hervor. Es gab hier ja auch nichts Spektakuläres mehr zu sehen oder zu hören. Allein Ware war beschädigt worden. Sonst nichts. Leider. Nachdem er sich die Knie abgeklopft und den Mantel in Form gezogen hatte, stand Agricola langsam auf und deutete auf die lange Treiberrute, die der Händler inzwischen an sich genommen hatte. „Wer damit was ausrichten will muss geschickt sein, nicht kräftig.“ Und es brauchte Platz, um das Ding richtig einzusetzen, aber die Erfahrung sollte der Fettsack ruhig selber machen.


    „Fünfzehn Dinarii.“, wiederholte Polygnotus drohend, „Oder es setzt was.“ Agricola’s Blick wanderte traurig über die restlichen Ziegen. Für die konnte er nichts tun. Selbst wenn er es geschafft hätte, das Gatter zu öffnen und lange genug offen zu halten, um einem Teil von ihnen die Flucht zu ermöglichen, was hätte es geholfen? Die Tiere wären nicht weiter gekommen als bis vor die Beine der Umstehenden. Das waren keine Ziegen vom Schlage einer Fundula. Die waren zu krank und zu dumm, um durch die Menge entwischen zu können.
    „Fünfzehn!“ Polygnotus’ Geduld schien zur Neige zu gehen. „Ich kann auch die Urbaner rufen, wenn dir das lieber ist!“ Bloß nicht. Das war Agricola ganz gewiss nicht lieber. Sein Onkel Avianus würde schäumen vor Freude. Nein, keine Urbaner. Auf keinen Fall. Um sich ernsthaften Ärger zu ersparen, blieben nur zwei Möglichkeiten: Entweder, sich mit dem stinkwütenden Schwartenbeutel irgendwie in’s Einvernehmen setzten oder sich schleunigst aus dem Staub machen. Fragte sich allerdings, ob das wachsende Desinteresse des eng stehenden Publikums schon weit genug gediehen war, um ihn ohne Weiteres entkommen zu lassen. Besser, er versuchte sich zunächst an der gütlichen Lösung.


    „Was willst du denn, Mann? Da liegen acht Denarii und eine Ziege. Lass ich dir alles da.“ Das entsprach offenbar nicht Polygnotus’ Vorstellungen von einem lohnenden Geschäft. „Guter Witz! Das Vieh ist tot! Das kann man nicht mehr opfern!“ Da war schon was dran. Als Opfer kam das arme Tier nun nicht mehr in Frage. So viel zu Variante Eins. Agricola musste hier weg. „Gut. Opfern nicht ..“, versuchte er es ein letztes Mal, in der Hoffnung, der Viehhändler möge selbstgefällig genug sein, sich provozieren zu lassen. „.. aber braten! Du kannst sie doch als leckeren Braten verkaufen. Ist ja noch warm. Da wären bestimmt weit mehr drin als die restlichen sieben Denarii. Ich hab’ dich beschenkt!“
    Polygnotus’ beißendes Hohngelächter war schonmal ein gutes Zeichen. „Braten? Das brandige Vieh? Für sieben Dinarii?“ Agricola begann zu strahlen. Der Fettwanst war sogar noch eine Spur selbstgefälliger als erhofft. Das Gelächter des Händlers verstummte zwar abrupt, aber die Erkenntnis, sich soeben selbst an’s Bein gepinkelt zu haben, machte das Gesagte nicht mehr ungesagt. „Da hört ihr es!“, quäkte Agricola in beinahe aufrichtiger Entrüstung auf zwei korpulente Weiber ein, denen er die Anlagen zu körperlicher Gewalt durchaus zutraute. „Dieser Scelestus will euch guten Leuten Opfertiere andrehen, die er selbst noch nicht mal fressen würde! Fünfzehn Dinarii will er haben! Für ein brandiges Vieh, das nach seinen eigenen Worten keine sieben wert ist!“ Eine der gedunsenen Damen schüttelte missbilligend den Kopf, die andere ließ zustimmend ihr Doppelkinn schlackern. „Das ist nicht in Ordnung.“


    Agricola triumphierte. Polygnotus indes kochte. Mit erhobener Rute zwängte er sich in die Menge. "MACH BLOSS, DASS DU WEGKOMMST, DU DRECKIGE KLEINE RATTE! ODER, BEI ARES, ICH VERGESSE MICH!" Oh ja, Agricola würde machen, dass er hier wegkam, aber noch nicht. Jetzt noch nicht. „Wollt ihr gläubigen Bürger die Götter mit fauligen Opfern erzürnen? Nur um einem geldgierigen Drecksack den Beutel zu füllen?“ Das müsste reichen, befand Agricola zum Sprung bereit. Und in der Tat, es reichte. Schon beim Ausholen erwischte Polygnotus zwei Schaulustige an den Schädeln, und als die Treiberrute schließlich auf das Haupt des geschäftsschädigenden Iuniers hinab schnellte, war dieser bereits zur Seite gesprungen. Mit sattem Schnalzen grub sich das biegsame dünne Holz in die feisten Backen einer der ohnehin schon empörten Speckwachteln. Was nun folgte, ging sehr lautstark vonstatten und nahm einen ausgesprochen unschönen Verlauf für den Viehhändler. Agricola konnte kein Mitleid aufbringen, er hatte den eitlen Idioten ja gewarnt. Zudem ging ihm bereits Wichtigeres durch den Kopf. Er musste sich schnellstens auf die Suche nach den Zwillingen machen. Immerhin trug er einen Teil der Verantwortung, da durfte er sich nicht ablenken lassen.

  • Nachdem Agricola dem lärmenden Pulk entronnen war, ging er sofort daran, in der strömenden Menge nach Base und Vetter zu tauchen. Zunächst ohne Erfolg. Bei den Pferden, wo er Crassus eigentlich vermutet hatte, wurde er nicht fündig, ebenso wenig bei den Hühnern, Schweinen oder Karnickeln. Bei den Ziegen brauchte er natürlich gar nicht erst nachzuschauen, da flogen gerade die Fetzen. Ansätze einer leichten Panik begannen ihm die Eingeweide zu massieren. Um Marsa machte er sich keine allzu großen Sorgen, die hatte sich bestimmt an Aesara gehängt, aber Crassus war schon hinter den beiden zurückgeblieben, bevor Agricola sich zu den meckernden Ziegen davongemacht hatte. Das war unverzeihlich. Was hatte er da bloß angerichtet.


    „Crassus?“, krähte er mit brüchiger Stimme über die Köpfe der Passanten. „HE! CRASSUS!“ Nichts. Er hüpfte herum, um besser sehen zu können, kauerte sich auf den Boden, um in einem Wald aus Beinen nach seinem verlorenen Vetter zu fahnden, fand ihn aber nicht. Erst als er der Verzweiflung nahe an den Häuserfronten empor starrte, fiel sein Blick auf einen kleinen schwarzhaarigen Burschen, der flink wie ein Iltis auf einem kahlen Vordachgestänge herumkletterte. Allerhand Verwünschungen ausstoßend wühlte sich Agricola zu der umwachsenen Hausfassade hinüber und zeterte in einer Mischung aus Vorwurf und Erleichterung zu seinem Vetter hinauf. „Verflucht, Crassus! Was machst du denn da?“


    Um wirklich zu beeindrucken hätte das natürlich weit autoritärer klingen müssen, das war ihm schon klar, aber erstens musste er an seiner Rolle des gestrengen Aufpassers noch feilen und zweitens war es von Crassus gar nicht so unklug gewesen, sich von dort oben einen Überblick zu verschaffen. „Kleiner Schlaukopf, was?“, griente er schon deutlich entspannter, und schickte sich an, ebenfalls das Vordach zu erklimmen. „Mal sehen, ob das zwei von unserer Sorte aushält.“


    *****



    [Blockierte Grafik: http://oi65.tinypic.com/juydrq.jpg] | Aesara


    Beeren? Feigen? Aesara hörte Marsa’s Geplapper nur mit verminderter Aufmerksamkeit zu. Diese eigensinnigen iunischen Bengel! Verschwunden. Weg. Wie vom Erdboden verschluckt. Alle beide. Der eine noch ein Kind, der andere ein linkischer Kindskopf. Sie hatte es fast schon geahnt. In den mehr als zehn Jahren, die sie den Iunii nun schon diente, hatte sie sich nie etwas zuschulden kommen lassen. Und nun das. Kuchen hatte sie besorgen wollen, getrocknete Äpfel, Gemüse, zwei Barsche, sonst nichts. Ein ganz normaler Marktgang. Aber man hatte ihr ja diese neu eingetroffenen Plagen anhängen müssen, die sie noch nicht einmal zurechtweisen, schon gar nicht züchtigen durfte. Sie sah es schon kommen, das würde noch ein langer Tag werden.


    „Meinst du diese hier?“, fragte sie zerstreut bei dem quasselnden Mädchen nach. „Das sind Beeren vom Iuniperus. Sehen lecker aus, schmecken aber nicht gut. Die kann man zum Würzen nehmen oder als Medizin für Verdauungsprobleme und solche Sachen.“ Wo waren diese Kröten bloß? „Ähm .. ja .. Honigfeigen haben die hier sicher auch .. sollen wir mal nachsehen?“ Nachsehen war überhaupt das Gebot der Stunde.

  • Marsa sah im ersten Moment erfreut zu Aesara, als diese Honigfeigen erwähnte...
    ... dann weiteten sich ihre Augen als sie an Aesaras Kopf vorbeisah...
    "Da ist Crassus! HUHUU!!"
    Sie deutete auf eine Gestalt, die auf einem Vordach herumkletterte.
    "Was macht der da?"




    Crassus saß auf einem Balken, schwang herüber und griff - daneben! Denn es ertönte von Unten die Stimme seines Vetters. Crassus griff nochmal nach einem anderen Balken und konnte sich so halten.
    "Agricola! Da bist du also! Wo sind denn die anderen?"
    Er sah Agricola an, dass dieser anfangs nicht angetan von Crassus´ Kletterei war.
    "Ich dachte, so entdecke ich euch schneller.... mea culpa. Der Balken hier ist stabil - aber der da knackt schon wenn ich mich hinaufziehe..."

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