[Cubiculum] Mein eigenes Reich

  • Jedesmal wenn ich mein Cubiculum, mein eigenes Reich betrat konnte ich es nicht fassen. Es war nicht groß aber dennoch, ein Raum für mich ganz alleine. Kein Raum den man mit seiner Sippe teilen musste. In dem man nicht einmal atmen konnte ohne, dass ein anderer es sehen konnte, geschweige sonst was tun ohne unbeobachtet zu sein.
    Was dazu kam ich hatte meine eigenes Bett. Ein richtiges bett, kein Bett auf Säcken oder im Heu. Nein ein richtiges Bett, mit einem Kissen und einer Decke. Auch das musste ich nicht teilen. Zu Anfang hatte ich mich gewundert, dass da keiner war, der mir die Decke wegzog und ich mich darin einrollen konnte.
    Damit aber nicht genug, es befand sich noch ein Schemel in dem Raum und eine Truhe. Dies alles stand mir, einem Straßenjungen zur Verfügung. Natürlich war die Truhe noch leer, doch ich hatte die geheime Hoffnung, sie mit einer zweiten Tunika und vielleicht, wenn ich ein mal lesen konnte, mit einem Buch zu füllen.


    Dann und wann hatte ich die Wände betrachte und mir überlegt ein Bild würde mein kleines Reich verschönern. Irgendwann hatte ich auch einen Plan gefasst um mir diesen Traum zu erfüllen.
    Wann immer es mich überkam und ich ein paar Minuten für mich hatte, schlüpfte ich in mein Cubiculum. Einfach nur so, bestimmt um mich zu vergewissern, dass es noch da war.

  • Einige Tage nachdem Petronia Octavena in die Taberna Medica gekommen war, um Alpina um ihren Beistand bei der Entbindung ihres zweiten Kindes zu bitten, klopfte die Hebamme abends an die Tür des Jungen. Als er sie hereinbat, öffnete die Raeterin die Tür und betrat die kleine Kammer. Nun, Luxus bot sie nicht, aber immerhin war das Nötigste vorhanden. Alpina nahm sich vor, Kaesos Reich bei Gelegenheit ein wenig zu verschönern. Doch jetzt galt ihre Aufmerksamkeit dem neuen Auftrag.


    "Salve, Kaeso. Ich wollte dich um etwas bitten. Vor eingen Tagen kam Petronia Octavena, die Gattin des Familienoberhauptes der ansässigen Ducci, zu mir in die Taberna Medica. Sie ist zum zweiten Mal schwanger und wünscht meine Unterstützung während Schwangerschaft und Geburt. Nachdem sie mir offen gelassen hat, wann ich die Erstuntersuchung durchführen will, habe ich mich entschlossen, gleich zwei Angelegenheiten miteinander zu verbinden. Ich werde dich morgen losschicken mit der Botschaft, dass ich Übermorgen gerne zur Erstuntersuchung käme. Der Weg zur Villa der Duccii führt dich ein Stück aus der Stadt. Ich möchte, dass du auf dem Hin- oder Rückweg weitere Kräuter sammelst. Noch einmal Huflattich, Spitzwegerich und Lungenkraut. Traust du dir das zu?"
    Sie sah den Jungen herausfordernd an.

  • Schnell überschlug ich mein Wissen von den genannten Pflanzen, ich sah kein Problem darin die von mir erwarteten Aufgaben zu lösen. „Ja, das schaffe ich schon, die Botschaft zu überbringen und auch die drei Pflanzen zu sammeln. Blattformen wie auch ihre Merkmale merkte ich mir. Genauso prägte ich mir die Formen und Farben der Blüten ein.“ Es war so als ob sich alles, was Alpina mir von den Pflanzen erzählt hatte und das was ich von ihnen gesehen hatte, sich fest in mein Gehirn eingebrannt hätte.
    Was ich aber nicht verstand, warum sie mich darum bat. Sie hatte alles Recht der Welt von mir das und noch vieles mehr ein zu fordern. Sie hatte sich für mich eingesetzt, mir Unterkunft, Nahrung und was noch außergewöhnlicher war, sie sorgte dafür, dass ich Wissen erhielt. Das lies mir keine Ruhe und ich wollte es jetzt wissen. Vorsichtig fing ich an. „Ich habe aber noch eine Frage. Warum bittest du mich, wenn einer ein Recht darauf hat etwas von mir zu fordern, dann bist du das. Du kannst doch auch, wie es meist üblich ist, mir einfach sagen, tue das oder mache jenes.“ Selbst ich hatte es mitbekommen wie der landläufige Umgang von den Arbeitgebern mit ihren Arbeitern war.

  • Lächelnd und mit einem Kopfnicken konstatierte Alpina, dass Kaeso die erste Lektion anscheinend gut abgespeichert hatte und sie freute sich über sein wachsendes Selbstbewusstsein. Als sie schon mit der zu überbringenden Botschaft rausrücken wollte, konfrontierte der Junge sie mit einer im ersten Moment eigenartig anmutenden Frage. Warum sie ihn fragte und nicht gebot. Alpina holte sich den Schemel, der neben dem Bett stand, und setzte sich.
    "Du bist nicht mein Sklave, Kaeso. Also werde ich dir nicht befehlen. Und vermutlich hast du schon bemerkt, dass ich auch mit Neman, Gwen und den anderen Sklaven nicht im Befehlston rede. Von den helvetischen Sklaven erwarte ich jedoch, dass sie die Aufgaben erfüllen, die man ihnen stellt. Bei dir ist das etwas ganz anderes. Du bist freiwillig hier, niemand zwingt dich hier zu bleiben. Ich habe dich aufgenommen, weil mich dein Schicksal gerührt hat und sehr an eine schwere Schuld erinnerte, die ich trage. Ich konnte dir nicht die Tür weisen und wollte es auch nicht. Jeder verdient im Leben eine zweite Chance. Die möchte ich dir bieten. Du kannst sie ergreifen oder nicht...."


    Sie machte eine bedeutungsvolle Pause und sah dem Jungen geradewegs in die Augen.
    "Das Leben ist eine einzige lange Prüfung und ich wäre beinahe schon an ihr verzweifelt. Mehr als einmal war ich nah daran, aufzugeben, mein Schicksal den Unterirdischen zu übergeben, doch die Götter haben mir deutlich zu verstehen gegeben, dass dafür noch nicht der Zeitpunkt gekommen war. Ich habe eine Aufgabe im Leben, die ich erfüllen muss und auch will. Du musst sie noch finden - deine Lebensaufgabe - und ich will dir dabei helfen. Hier kannst du den Anfang machen. Es wird eine lange Sinnsuche werden und du wirst oft am Verzweifeln sein. Aber jeder Weg beginnt mit dem ersten Schritt."
    Alpina lächelte aufmunternd. Sie legte ihre Hand auf Kaesos Oberschenkel und tätschelte ihn freundlich.

  • So war das also. Ich nickte verstehend, mehr für mich selber. Nach Alpinas Erklärung, war jeder der Personal hatte, selber für den Umgang mit ihm, sei es mit Sklaven oder anderen in seinem Dienst stehenden, selber verantwortlich. Merkwürdig, oft genug hatte ich bei meinen Touren durch Rom aber auch hier in Mogontiacum mitbekommen, dass die Wirklichkeit oft ganz anders aussah. Ob es nur in diesem Hause üblich war so mit Menschen in ihrem Haushalt um zu gehen? Mehr zu mir selber, als zu Alpina, meinte ich, „es wäre gut wenn sich viel mehr Menschen so verhalten würden.“
    Mir fiel ein ich war nicht alleine, ich sollte nicht abschweifen. „Was genau soll ich in der Villa Ducia ausrichten?“ Aber irgend etwas war noch da was mich ablenkte, ich konnte es nicht genau bestimmen.

  • Kaeso ging nicht weiter auf ihre tiefsinnigen Äußerungen ein und so war es an der Zeit ihm die Botschaft an Petronia Octavena zu erläutern.
    "Ich möchte, dass du ausrichtest, dass ich gerne morgen zur Erstuntersuchung käme und ob das recht wäre. Bitte frag auch ob ich noch etwas mitbringen soll, wie z.B Kräuter für einen Schwangerschaftstrank."


    Sie sah den Jungen lächelnd an. "Und mach dich auf deine zweite Lektion gefasst. Auf dem Weg zur Villa Duccia werden wir wieder Kräuter sammeln. Dieses Mal werden es Kräuter für die Schwangerschaft sein."

  • Erstaunt schaute ich Alpina an. „Kräuter sind nicht nur gegen Krankheiten?“ Das hätte ich jetzt nicht gedacht. Ich hatte zwar davon gehört, das man mit gewissen Pflanzen dem Leben ein Ende bereiten konnte, doch dass es auch welche gab, die in gewissen Sinne, das Gegenteil bewirkten, erstaunte mich nun. Es war also für alles ein Kräutlein gewachsen.

  • Kaesos Frage versetzte Alpina in Erstaunen. "Du hast nicht gut genug zugehört, Kaeso. Ich habe nicht von einer Krankheit gesprochen, sondern von einem Schwangerschaftstrank. Eine Schwangerschaft ist keine Krankheit, auch wenn es während einer Schwangerschaft, während der Geburt und danach zu Krankheiten kommen kann, ist der Zustand einer Schwangerschaft nichts krankhaftes. Aber man kann die Schwangere durch Heilkräuter unterstützen. Man kann zunächst das Bindegewebe stützen, Übelkeit vorbeugen und dem Körper kräftigende Substanzen zuführen. Gegen Ende der Schwangerschaft versucht man dann den Beckenboden weich zu machen und vorzeitigen Wehen vorzubeugen. Es gibt Kräuter die gegen bestimmte Symptome helfen und Krankheiten lindern oder beenden können, es gibt aber auch Pflanzen, die die Gesundheit fördern und den Organismus stärken können."


    Sie sah den Jungen nachdenklich an. Dann ergänzte sie noch: "Und dann muss man noch wissen, dass die Dosis das Gift macht. Eine bestimmte Menge einer Pflanze kann die Gesundheit unterstützen oder eine Krankheit heilen. Nimmt man aber zuviel davon, dann haben die meisten sehr wirksamen Heilmittel auch eine Schattenseite. Im besten Fall bekommt man, bei einer Überdosierung, Kopf- oder Magenschmerzen, Durchfall oder Übelkeit. Im schlimmsten Falle wirkt die Pflanze in hohen Dosen tödlich! Lerne also genau, wie viel man von welcher Pflanze verwendet und lerne auch über die Gefährlichkeit der Pflanzen. Wir sprechen bei der passenden Gelegenheit darüber."

  • Ich runzelte meine Stirn, als Alpina meinte eine Schwangerschaft wäre keine Krankheit. Hörte mir aber zuerst ihre Ausführungen zu Ende an.
    „Du sagst eine Schwangerschaft wäre keine Krankheit. Warum dann hat sich meine Mutter dann aber so davor gefürchtet? Wie ich das so mit bekommen habe war es kein Vergnügen, außer Sorgen bereitete es ihr auch immer nur Schmerzen. Sie wimmerte und stöhnte nur wenn mein Vater sie sich immer wieder nahm. Bettelte ihn an, er solle sie in Ruhe lassen, sie würde mit ihrem Leben dafür bezahlen.“
    Mir kam gleich noch ein Gedanke. „Haben die Frauen hier denn etwa keine Angst vor und bei einer Schwangerschaft oder warum kommen sie gleich zu dir, wollen untersucht werden und bekommen ihre Kräuter? Für mich hört sich das alles mehr nach Krankheit an.“
    Ich hatte überhaupt nicht bemerkt wie aufgebracht ich plötzlich war. Nicht nur das, ich hatte plötzlich den Drang Alpina zu verletzen. Nicht körperlich, sondern mit Worten. Feindselig starrte ich sie an.

  • Alpina lauschte den Worten des jungen Kaeso. Alles in ihr krampfte sich zusammen als er berichtete, wie sein Vater die Mutter misshandelt hatte. Sie musste schlucken und suchte nach den richtigen Worten. Ihre Stimme klang belegt als sie antwortete.
    "Im Grunde ist eine normal verlaufende Schwangerschaft nichts vor dem man sich fürchten muss. Grundsätzlich aber kann jede Frau bei jeder Entbindung sterben und mit ihr das Kind. Davor haben viele Frauen Angst. Fast täglich erlebe ich wie nah das Geben von Leben mit dem Nehmen verknüpft ist. Eine kleine Komplikation und die Schwangerschaft endet vorzeitig und nicht selten eben dann tödlich. Und natürlich tut es weh ein Kind zu bekommen - sehr sogar! Es schmerzt unbeschreiblich, doch meist vergisst man den Schmerz schon sehr schnell wieder, wenn alles gut gegangen ist. Dann überwiegen die Glücksgefühle."


    Die Hebamme holt tief Luft. Sie bemerkte die Aufregung Kaesos und sah seinen feindseligen Blick. Vorsichtig streckte Alpina die Hand aus und ergriff die des Jungen. "Was du miterlebt hast, hat nichts mit einer normalen Beziehung zwischen Mann und Frau zu tun. Diese Beziehung war von Verachtung und Missbrauch geprägt. Wir Hebammen empfehlen, dass ein Mann und eine Frau während der Schwangerschaft nur vorsichtig miteinander umgehen, um eine Früh- oder Fehlgeburt zu vermeiden. Vermutlich hat deine Mutter genau das schon erlebt und ihn deshalb angebettelt sie zu verschonen. Ganz abgesehen davon, dass das Risiko mit jeder Schwangerschaft steigt, irgendwann von der Unerbittlichen gerufen zu werden. Das ist einer der Gründe warum sie zu mir kommen, sich den Beistand einer erfahrenen Hebamme versichern wollen und mit Heilkräutern eine möglichst optimale Geburt vorbereiten wollen. Die Gefahr ist immer da. Doch der Zustand der Schwangerschaft ist an sich noch nicht krankhaft."

  • Meine erste Reaktion, als ich Alpinas Hand an der meinen spürte, war sie weg zu ziehen, noch mehr sie, Alpina einfach weg zu stoßen, doch da tauchte wie Blitze Bilder vor meinem inneren Auge auf. Bilder wie Mutter gestoßen wurde oder wir Kinder, wo wir durch die Gegend flogen. So versteifte sich zunächst mein Körper und ich wollte los schreien, sie solle mich in Ruhe lassen. Doch ich fühlte die Wärme ihrer Hand und andere Bilder stiegen in mir auf. Aus der meiner frühen Kindheit, da wo meine Mutter bestimmt noch Hoffnung hatte, wo sie mich noch tröstend in die Arme nahm, mir zärtlich die Wangen streichelte, mit einem Augenzwinkern mit ihrer Hand über meinen Kopf fuhr. Eine schmerzende Sehnsucht kam in mir auf.
    Langsam wurde ich lockerer und lauschte immer mehr auf Alpinas Worten.
    Mehr zu mir selber flüsterte ich, „ob ich jemals ohne Angst vor Gewalt leben kann?“ Dabei meinte ich nicht nur Gewalt die mir angetan wurde, sondern und davor fürchte ich mich noch mehr ohne das noch anderen Gewalt antat.
    Danach kam es lauter von mir, „danke jetzt sehe ich vieles anders. Doch sag mir noch eins, welche Gottheit beschützt eigentlich die Mütter während der Schwangerschaft?“
    Wieso mir das jetzt in den Sinn kam wusste ich selber nicht, es schien mir aber wichtig.

  • Sichtlich erschrocken über Kaesos geflüsterte Worte, verstärkte Alpina den Druck der Hand. Sie wollte dem Jungen das Gefühl von Sicherheit vermitteln.
    "Sei dir versichert, in diesem Haus wird dir keine Gewalt widerfahren und sowohl die beiden helvetischen Brüder, als auch ihre Frauen und selbstverständlich auch ihre Sklaven und Hausangestellten werden weder Gewalt ausüben noch Gewalt erfahren. Zumindest musste ich noch nicht miterleben, dass hier im Hause jemand geschlagen wurde."


    Die raetische Hebamme bemerkte sehr wohl, dass ihrem Schützling das Thema unangenehm war. Sie bechloss also nicht weiter darauf einzugehen und stattdessen auf seine Frage zu antworten.
    "Es gibt eine ganze Reihe Geburtsgötter. Am häufigsten rufen Schwangere und Gebärende Iuno, die Göttin der Ehe und Familie an. Speziell Iuno Lucina, die Lichtbringerin. Sie trägt die Fackel mit dem Lebenslicht und entscheidet bei der Geburt ob sie die Fackel hochhält oder das Licht löscht - du verstehst?"
    Sie sah Kaeso ein wenig traurig an. Dann fuhr sie fort. "Hier nördlich der Alpes ruft man auch gerne Diana als Patronin der Gebärenden an. Dann nennt man sie ebenfalls Diana Lucina. In Griechenland nennt man die Geburtsgöttin Eileithyia. Die Germanen verehren sehr häufig ihre eigenen Götter. Da sind zum einen die drei Matronen, die man im Zusammenhang mit Fruchtbarkeit, Ehe und Kinderreichtum um Beistand bittet als auch Frigg und die Mutter Erde - Nerthus. Dazu kommen jeweils die lokalen Göttinnen wie zum Beispiel Abnoba oder Rosmerta, in Raetien auch Raetia. Wichtig ist, zu welcher Gottheit die Schwangere Vertrauen hat. Am besten man fragt sie selbst."

  • Iuno, klar doch, darauf hätte ich ja auch selber kommen können und mir die Frage sparen können. Wenn mich meist die Götterwelt auch nicht sehr interessierte, da zu Hause nach meiner Erinnerung auch kaum einer davon sprach, so kannte ich mich ein wenig darin aus.Zumindest mit den Hauptgöttern, das blieb ja auch nicht aus wenn man täglich durch die Straßen Roms streifte.
    Was dann aber von Alpina alles kam verblüffte mich. Schon bald rauchte mir der Kopf. So viele Gottheiten für eine Sache. „Da muss es ja ganz schön voll sein,“ platzte ich heraus. Mit rotem Kopf und grinsend fügte ich leiser hinzu, „ich meine im Götterhimmel wenn es für jedes solch ein Schar Götter gibt.“ Hoffentlich hatte ich jetzt keine Gottheit beleidigt und Alpina nahm mir das nicht übel.

  • Alpina musste zunächst lachen als sich Kaeso sorgen über den überfüllten Götterhimmel machte. Sie war zwar eine fromme Frau, die fest an das Wirken der Götter glaubte, konnte aber verstehen, dass der Junge mit den vielen verschiedenen Göttinnen aus den unterschiedlichen Völkern seine Probleme hatte. Nach dem ersten Lachen wurde sie jedoch schnell wieder erst und erwiderte ihm.
    "Sei dir sicher, dass jeder Gott und jede Göttin ihr Auskommen hat und vergiss dabei nicht, dass es für eine Gebärende sehr wichtig sein kann, dass du man ihr das Vertrauen gibt, dass sie nicht allein in ihrer Not ist und vor allem dann, wenn die Geburt kein gutes Ende nimmt und das Kind stirbt, dass es nicht ihre Schuld oder gar meine Schuld als Hebamme ist, sondern die Entscheidung der Götter, ob sie und das Kind überleben."


    Die Hebamme sagte das mit Bestimmtheit. Sie wollte gar nicht darüber nachdenken, was es für sie bedeuten würde, wenn man nicht mehr die Götter für den Tod der Gebärenden und ihres Kindes verantwortlich machen würde, sondern sie als Helferin. Was dann?

  • Seltsam, ehe ich in Mogontiacum gestrandet war, hatte ich noch nie etwas von einer Hebamme gehört, zumindest konnte ich mich nicht daran erinnern. In unserem Haus in Rom, kümmerten sich um gebärende Frauen oder Mädchen, leider kam das auch oft genug vor, Frauen aus der Familie, dem Haus oder der Nachbarschaft. Wer auch hätte sich die Kosten für eine Geburtshelferin, sowie Kräuter, Tees und ähnlichem leisten können.
    Nachdenklich hörte ich was Alpina nun über ihren Berufstand der Hebamme sagte. „Hat hier eigentlich jede Schwangernde die Unterstützung einer Hebamme?“ Zur Erklärung fügte ich gleich noch weiter hinzu, „du musst wissen, ich glaube nämlich, dass in meinem Heimatviertel in Rom noch nie eine Hebamme gesehen wurde. Bestimmt wäre vielen Frauen mit deren Hilfe geholfen oder auch viele gerettet worden.“
    In Gedanken fügte ich noch hinzu, allerdings ob das allerdings etwas an dem Los meiner Mutter oder manch anderem weiblichen Wesen etwas geändert hätte, wage ich zu bezweifeln. Ich hatte es doch mit bekommen, bei den meisten Männern standen die Frauen, wenn überhaupt, gerade über einem Sklaven. Ja Sklaven behandelte man oft noch etwas pfleglicher, schließlich hatte man für diese bezahlt und sie zählten deshalb zum Vermögen, wer wollte dieses schon verlieren? Frauen hingegen konnte man, wenn man geschickt war, so viele haben wie man wollte und das umsonst.

  • Die Hebamme freute sich sichtlich über das Interesse des Jungen an ihrem Berufsstand.
    "Nun, auch hier ruft nicht jede Frau eine Hebamme und gerade auf dem Land helfen sich die Frauen in der Regel auch gegenseitig. Aber im Laufe der Zeit habe ich mir einen gewissen Ruf erarbeitet und selbst die Frauen in den Cabanae wissen, dass meine Dienste nicht unerschwinglich sind. Sie können mich in Naturalien bezahlen, wenn sie nicht über das nötige Geld verfügen und ich würde niemals eine Gebärende abweisen, wenn sie um Hilfe bittet. Auch wenn mein Lohn nur ihr Lächeln und das Schreien eines gesunden Säuglings ist. Das wissen die Frauen mittlerweile und rufen mich gerne. Jeder gibt, was er geben kann. Und so ist es richtig."

  • Noch während ich darüber nachdachte ob dies nur Alpinas persönliche Einstellung zu ihrem Berufsverständnis war oder es allgemein von einer Hebamme so gesehen wurde, klopfte es an der Türe. Verwundert, wer jetzt noch kommen sollte, kam von mir ein eher fragendes als aufforderndes, „ja bitte?“ Es war Gwyn ,die meinte, Alpina würde in der Stadt bei einer Geburt erwartet.
    Gleich nach Alpinas Verließ auch mein kleines Reich, denn ich wollte mich noch genau nach dem Weg zur Villa Duccia erkundigen, welche ich am nächsten Tag aufsuchen sollte.

  • Die ersten Wochen mit ihrem neuen Gehilfen waren vorüber. Von Runa hatte Alpina erfahren, dass sich der Junge zwar noch immer mit dem Schreiben schwer tat, aber zumindest bemüht war, sich die notwendigen Kenntnisse anzueigen. Sie selbst hatte Kaseo mittlerweile als sehr wissbegierigen und hilfsbereiten, wenn auch sehr unsicheren Jungen kennengelernt. Seine traurige Vergangenheit beschäftigte ihn noch immer sehr und lastete auf seinen Schultern.
    Sehr eigennützig hatte Alpina beschlossen, Kaeso ein Geschenk zu machen, das beiden gerecht wurde. Er würde das Schreiben üben können und müssen und sie würde sicher sein können, dass er die wichtigsten Rezepte schriftlich hatte und jederzeit nachschlagen konnte, wenn er sie benötigte. Nicht selten war er alleine in der Taberna Medica und musste auf die Wünsche der Kunden bald selbsttägig die passende Arznei mischen können oder die dafür notwendigen Kräuter verkaufen. Also hatte Alpina ihrem Gehilfen ein Büchlein gebastelt, in das er seine Rezepte schreiben konnte - seine eigene Materia Medica.


    Das Büchlein hatte sie in einen Stoff gewickelt, der sich bei genauerem Hinsehen als einfache, aber nagelneue, graue Tunika entpuppen würde. Zusammengebunden hatte sie das "Paket" mit einer geflochtenen Lederkordel, die er zum Gürten der Tunika verwenden konnte. So bepackt klopfte Alpina an Kaesos Cubiculumtür.


    Klopf, Klopf!!

  • Verärgert über mich selber, klatschte ich mir mit meiner linken Hand gegen meine Stirn und betrachtete mit grimmiger Miene die Wachstafel, auf meiner Truhe. Ich kniete vor dieser und sah die Wörter an, welche ich eben geschrieben hatte.


    Chamamelum nobile
    Camaemelum nobile


    Jedesmal fehlte ein Buchstabe, irgend etwas stimmte mit mir nicht. Immer wieder geschah es, wenn ich ein Wort hörte schrieb ich es auf und mittlerweile ging es mir auch recht zügig von der Hand, doch es fehlten immer wieder Buchstaben. Besonders dieses vermaledeite H. Mittlerweile kam es sogar vor, aus Panik ich könnte es vergessen, dass ich zu viele von dieses H's einsetzte, was mich dann noch mehr durcheinander brachte, denn dann wusste ich gar nicht mehr wie das Wort richtig geschrieben wurde.
    Mit zusammengebissenen Zähnen startete ich einen dritten Versuch


    Chamamelum nobile
    Camaemelum nobile
    Chamaemelhum nobile

    Das Ergebnis war zum schreien, wütend griff ich zu der Wachstafel und wollte sie gerade gegen die Wand schmettern, als es klopfte.HEREINbrüllte ich und hob die Hand mit der Tabula um mein Werk zu beenden.

  • Alpina hörte die Aufforderung einzutreten und den mitschwingenden Ärger. Sie war sich unsicher, ob sie Kaeso in dieser Stimmung stören sollte. Doch dann entschied sie sich doch einzutreten. Als sie die Tür aufschob sah sie die Tabula in Kaesos Hand, bereit geworfen zu werden. Mit gerunzelter Stirn beobachtete sie die Szene.
    "Salve, Kaeso. Was geht hier vor?" Sie legte das Päckchen aus dem in die graue Tunika gewickelte Büchlein auf das Bett und nahm dem verärgerten Jungen die Schreibtafel aus der Hand. Sie sah die in ungelenker Hand geschriebenen Worte. Als sie erkannte, was er geschrieben hatte lächelte sie.
    "Sehr gut, Kaeso! Sehr gut. Du wolltest den lateinischen Namen der römischen Kamille schreiben. Glaub mir, es ist nicht relevant wie sie genau geschrieben wird. Ich bin sicher, wenn du 10 verschiedene Kräuterbücher aufschlägst wirst du mindestens 5 verschiedene Schreibweisen finden. Solange du erkennst um welche Pflanze es sich handelt...."


    Sie machte eine wegwerfende Handbewegung. "Das sieht doch schon sehr gut aus so."
    Und tatsächlich konnte man an ihrer Stimme hören, dass es sich nicht um eine Beschwichtigung sondern um eine ehrliche Einschätzung handelte.
    "Ich weiß deine Bemühungen zu schätzen und wie sehr ich deine Hilfe und dein Engagement zu würdigen weiß... möchte ich dir hiermit beweisen."


    Alpina deutete auf das Geschenk auf dem Bett. Die graue, einfache Tunika, die das Büchlein umhüllte war mit einer geflochtenen Lederkordel umwickelt. Wenn er beides entfernte würde er sein eigenes Büchlein finden, in das er alle gelernten Rezepte schreiben konnte. Seine eigene Materia Medica.
    Sie lächelte ihm aufmunternd zu. "Was ist? Willst du es nicht auspacken?"


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