Löwenjagd | Wir wollen einen Löwen jagen...

  • Lucius kniff die Augen zusammen, als er die Sonne über der Steppe flimmern sah. Wenn man Alexandria verließ, war man bald in einer eher trockenen Gegend mit Gras, das jetzt im Frühjahr zwar ein bisschen grünte, im Sommer jedoch zu braunem, toten Bewuchs wurde. Ab und zu ragte ein knorriger Baum über die das Land, in das Hirten ihre Herden trieben. Ihre Feinde waren die Löwen in der Gegend - und wegen denen war der junge Petronier gekommen.


    Er hatte sich vorgenommen, nach all den Jahren seiner Präsenz hier endlich einmal auf die Jagd zu gehen. Als er sich informiert hatte, war ihm eine Form von Beute besonders sympathisch erschienen - der Löwe! Natürlich gab es in einer Stadt wie Alexandria genügend Anbieter, die jungen Aristokraten solche Jagdpartien vermittelten, sodass es weder schwer, noch sonderlich teuer gewesen war, eine Handvoll Jäger anzuheuern. Mit ihnen saßen nun der Subpräfekt und sein Sklave Arminius auf ihren Pferden. In einer Entfernung hatten sie eine verletzte Antilope angebunden, die die Löwenmeute anlocken sollte. Doch obwohl das Vieh mehrere Male über die gesamte Steppe gehetzt worden war, um den Raubtieren Witterung zu ermöglichen, war bisher keiner zu sehen.

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  • Zum gefühlt hundertsten Mal - in Wirklichkeit war es das vierzehnte Mal - griff der Subpräfekt nach seinem Bogen, mit dem er heute einen König der Tiere erlegen wollte. Sanft strich er über die mehrfach geschwungene Hornbeschichtung, die auf den Holzkern des Kompositbogens aufgeklebt war. Die parthischen Reiter benutzten ähnliche Bögen, wie der Bogenbauer ihm erklärt hatte - und die galten wohl als die gefährlichsten Bogenschützen der Welt, die im vollen Galopp sogar über ihren Rücken schossen. Lucius war lange nicht so brillant, hatte aber vor kurzem angefangen das Bogenschießen zu trainieren. Er hatte bei Manövern gesehen, wie die Marineinfanterie diese Fernwaffe benutzte und entschieden, dass es sehr rational war diese Waffe zu benutzen - man konnte den Feind damit töten, ohne dass dieser eine Chance hatte, einen zu erreichen!


    Nachdenklich zog er an der straff gespannten Sehne. Der geschwungene Bogen erhöhte die Energie, die die Sehne entwickelte und sorgte so trotz der Kürze für eine hohe Reichweite. Als er den Tierdarm losließ, gab dieser ein surrendes Geräusch von sich - fast wie die Harfen, die die ägyptischen Priesterinnen benutzten. Er hatte gehört, dass man die Höhe des Tones durch die Länge der Saite bestimmen konnte - wieder eine Sache, die er irgendwann einmal ausprobieren musste...


    Vorerst wollte er aber nicht Musik machen, sondern einen Pfeil in einen kraftvollen Löwenkörper jagen!
    "Wo sind die Mistviecher denn jetzt?"
    fragte er den Leiter der Jagdgruppe, der so entspannt auf seinem Pferd hockte, als würde er eine Schafherde hüten.
    "Geduld, junger Herr, Geduld! Löwen sind nicht dumm - sie kommen erst heraus, wenn sie sich sicher fühlen!"
    Der Petronier spuckte auf den Boden. Es entsprach nicht gerade seiner Definition von Klugheit, leichtgläubig auf eine angebundene, verletzte Antilope hereinzufallen - man musste kein Aristoteles sein, um da eine Falle zu wittern!

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  • Wie immer, wenn Lucius warten musste, berechnete er im Stillen Primzahlen. Er war inzwischen bei 10273 angelangt und so langsam wurde es ziemlich knifflig. Bevor er aber weiter überlegen konnte, regte sich doch etwas im Gebüsch und kurz darauf tigerten zwei Löwinnen an. Der Führer der Jagdgruppe blickte alarmiert zwischen allen hin und her und hob beschwichtigend den Arm, als der Subpräfekt schon nach seinem Bogen griff.


    Etwas enttäuscht ließ er den Bogen wieder sinken, streichelte aber sanft über die gespannte Sehne. Ein Bogen funktionierte wohl irgendwie über die Hebelgesetze, denn je länger ein Bogen war, desto stärker war er normalerweise - was aber irgendwie auch mit der Härte des Holzes zusammenhing, sonst war es ja unlogisch, einen Kompositbogen zu bauen. Es musste irgendwas mit der Elastizität zu tun haben... - hatte er nicht von einem gewissen Heron von Alexandria gehört, der sich mit Geschützbaukunst beschäftigte? Vielleicht musste er diese... - aber jetzt war das Mistvieh an der Reihe!


    Die ganze Jagdgruppe beobachtete schweigend, wie die Löwinnen sich der Antilope näherten, die sie bald bemerkte. Das Vieh wurde panisch, zerrte an dem Pflock und sprang hilflos auf und ab - aber vergebens: Blitzschnell waren die Katzen bei ihr und zerrissen sie vor den Augen der Jäger.
    Lucius' Augen leuchteten: Zwar von Ferne, aber immerhin sah er, wie das Blut des feigen Fluchttiers spritzte, wie Klauen das Fell und das Fleisch zerrissen und eine überlegene Kraft ausübten, der die Antilope nichts entgegenzusetzen hatte - faszinierend!

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  • https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/thumb/7/73/Lion_waiting_in_Namibia.jpg/320px-Lion_waiting_in_Namibia.jpg

    Es dauerte nicht lange, bis die Antilope ein blutiger Kadaver war, an dem die Löwen sich gütlich taten. Noch immer sah Lucius gebannt zu - diese Kraft, diese Überlegenheit, diese Energie! Er hätte sich vielleicht fragen können, ob diese Faszination logisch war, aber dazu war er viel zu abgelenkt. Er bemerkte nicht einmal, wie der Jagdleiter behutsam an ihn herantrat und erschrak ein bisschen, als er ihn anflüsterte:
    "Jetzt kannst du dir einen auswählen. Aber gib Acht: Du musst sie mit dem ersten Pfeil so schwer verwunden, dass sie nicht mehr fliehen kann!"
    Der Subpräfekt schämte sich ein bisschen, dass er so erschrocken war. Wie üblich machte er dies mit umso mehr Verärgertheit wett:
    "Wo ist der Mann?"
    Er hatte gehofft, den König der Wüste zu erlegen! Jetzt waren hier aber nur Weibchen zu sehen...
    Doch der Jäger grinste.
    "Einen Moment."
    Tatsächlich tauchte nun ein weiteres Tier aus dem Gebüsch auf und schritt majestätisch zu der Beute, die sein Rudel ihm erlegt hatte: Ein großes Exemplar mit einer stolzen Mähne, die von der goldenen Vorderseite bis zum Rücken langsam dunkler wurde. Richtig lässig spazierte er zu seinem Harem und tauchte als erster seine Schnauze in das blutige Fleisch. Lucius war beeindruckt - ganz offensichtlich war es ein Naturgesetz, dass der Mann der Frau überlegen war, dass die Frau dem Mann diente und ihm nach Möglichkeit Arbeit abnahm. Er konnte sich zwar nicht gerade ein hübsches Mädchen dabei vorstellen, wie sie für ihn jagen ging, aber trotzdem war die Vorstellung, dass sie devot wartete, bis er sich vollgefressen hatte, irgendwie attraktiv...


    Er war allerdings nicht zum Träumen hierher gekommen - dafür war die Anmietung der Jagdmannschaft viel zu teuer gewesen! Also griff er nach seinem Bogen und zog einen Pfeil. Die Entfernung war fast ein bisschen weit für seine Fähigkeiten, aber er musste es versuchen - soweit er das gesehen hatte, hatten Pfeile eine beachtliche Durchschlagskraft. Wenn er traf, würde er das Tier also garantiert verletzen!


    Behutsam legte er an und zog an der Sehne. Noch immer fraß der Löwe, während eines der Weibchen dummerweise genau dort auf ihren Teil wartete, wo sie ihn halb verdeckte. Lucius nahm den Bogen auf und hielt ihn vors Gesicht - es kostete einige Kraft, die Sehne gespannt zu halten. Dann sah er den Pfeil entlang, der in eine Spitze mit Widerhaken überging - er war perfekt gerade und glatt. Auf diese Entfernung musste er ballistisch schießen - eine Sache, die er noch nicht ganz so gut beherrschte.
    "Ein bisschen höher!"
    mahnte der Oberjäger und brachte den jungen Petronier damit voll aus der Konzentration. Böse sah er den Mietling an und hielt den Bogen etwas höher. Die Pfeilspitze schwebte nun ein klein wenig über den kräftigen Hinterläufen des Löwen.
    Langsam atmete er ein und aus, dann hielt er die Hand an. Und ließ die Sehne los.



    [SIZE=7]Bildquelle: Wikicommons
    Autor: Kevin Pluck[/SIZE]

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  • Der Pfeil flog und flog. Der Subpräfekt sog angespannt Luft ein - er fürchtete fast, dass er zu tief gezielt hatte und das Projektil im Staub verpuffte!
    Doch dann hatte es die Löwengruppe erreicht und traf... die verdammte Löwin! Im letzten Moment bewegte sich das Mistvieh ganz achtlos in die Schussbahn und die Pfeilspitze drang in ihren Vorderlauf ein. Sie brüllte überrascht auf und brach zur Seite weg, was sofort das Löwenmännchen aufblicken ließ. Die Tiere wirkten verwirrt - eine Schrecksekunde offensichtlich.


    Lucius spuckte verärgert aus - er wollte das verdammte Männchen! Ohne mit den Jägern Rücksprache zu halten, trieb er sein Pferd an und galoppierte auf die Löwengruppe zu. Die wirkte noch immer verwirrt, doch als der junge Petronier sirrend seinen Pythagoras aus der Schwertscheide zog, schienen sie zu verstehen. Die Tiere stoben auseinander - jeder in eine andere Richtung. Lucius heftete sich an die Fersen des Männchens - die getroffene Löwin, die traurig versuchte davonzuhumpeln, interessierte ihn nicht!
    Leider beschleunigte der König der Wüste weitaus schneller, als der Subpräfekt vermutet hatte. Unermüdlich trieb er sein Reittier an, doch sie waren schon kurz vor einem Baum, als er die Raubkatze endlich einholte. Mit dem Schwert schlug er nach ihr - allerdings war ein Gladius nicht unbedingt die geeignete Waffe, um zu Pferde zu kämpfen. Er verfluchte den Jäger, der ihm die Spatha empfohlen hatte - hätte er sich nicht zu sehr auf sein geliebtes Schwert verlassen!
    "Verdammt!"
    rief er verärgert und bückte sich vom Rücken des galoppierenden Tieres zu der Katze hinunter. Seine Klinge streifte ihren Rücken und der Löwe brüllte. Er drehte sich im vollen Lauf und hieb mit seiner Klaue nach dem Angreifer. Die Krallen erfassten Lucius' Schwerthand und bohrten sich in seine Haut. Die Wucht des Hiebes, die Energie der Drehung im vollen Lauf - und das auch noch entgegen der Bewegung des galoppierenden Pferdes - bremsten den Petronier unmittelbar und ließen ihn gemeinsam mit dem Löwen zu Boden purzeln. Sie überschlugen sich mehrmals und ein schrecklicher Schmerz durchfuhr Lucius, als sein Kopf zum ersten Mal auf den harten, grasbewachsenen Boden aufschlug. Hoffentlich hatte er sich nichts gebrochen - er wusste ja aus der Anatomie-Vorlesung, dass so heftige Stürze Schreckliches anrichten konnten! Unter anderem konnte man die Besinnung verlieren - keine gute Idee, wenn man gerade mit einem Löwen kämpfte!


    Tatsächlich war das Löwenmännchen blitzschnell wieder auf den Beinen, nachdem die beiden etwas ausgerollt waren. So schnell konnte der Petronier sich gar nicht aufrappeln, wie ein aufgerissener Schlund auf ihn zukam und sich in seinem linken Arm fraß, den er gerade noch schützend vor sein Gesicht halten konnte. Das war sein Ende!

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  • Panisch trat Lucius nach dem Ungetüm, das endlich von seinem Arm abließ und versuchte, ihn erneut zu beißen. Doch mit der Kraft der Verzweiflung schlug der junge Petronier mit Händen und Füßen um sich, schob immer wieder das mächtige Maul beiseite und versuchte, sich unter dem massigen Körper hervorzuschieben. Sein Arm brannte wie Feuer, Blut floss aus den Bissspuren und machte seine Hände glitschig - aber das alles konnte er ignorieren in einem Kampf auf Leben und Tod.


    Wieder drückte das Mistvieh seinen Kopf gegen seinen blutenden Arm, riss das Maul auf und ließ ein tiefes Grollen entweichen. Es stank fürchterlich, wie der junge Petronier überrascht registrierte, ehe sein Arm nachgab. Er wusste nicht, ob seine Muskeln durchtrennt waren oder er einfach keine Kraft mehr hatte - auf jeden Fall kamen die spitzen, blutigen Zähne immer näher.
    Bis sie plötzlich anhielten und der Löwe ein bisschen verdutzt dreinschaute - und zusammenbrach! Die Wucht des massigen Körpers traf Lucius unerwartet und er ächzte unter dem Gewicht. Doch immerhin war das keine lebensbedrohliche Sache - anders als der Pfeil im Genick des Tieres...

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  • Die Jäger kamen angerannt und wuchteten den Löwen von Lucius' Brustkorb. Etwa zur gleichen Zeit sank der Adrenalinspiegel des jungen Petroniers und er nahm mehr und mehr den brennenden Schmerz seines linken Armes war, an dem aus vielen Zahnlöchern das Blut schoss.
    "Scheiße, tut das weh!"
    ächzte er und griff mit der Rechten beherzt auf die Wunde. Wenn er an seine Medizin-Vorlesung dachte, war es wichtig, die Blutung zu stoppen. Schmerz ließ irgendwann nach - ohne Blut starb der Körper ab. Verrückt, dass er mitten in seinen Schmerzen daran dachte!


    Als erstes sah er das Gesicht von Armin, der ziemlich aufgeregt wirkte. Mit Schrecken stellte er fest:
    "Domine, du bist verletzt!"
    Lucius biss die Zähne zusammen - was für eine überflüssige Bemerkung!
    "Das merke ich!"
    gab er deshalb ein bisschen genervt zurück. Glücklicherweise erschien nun aber auch das Gesicht des Oberjägers und kräftige Hände packten ihn an der Schulter.
    "Kannst du aufstehen? Wir müssen dich sofort zu einem Arzt bringen!"


    Mit einem Ruck riss er sich die Tunica vom Leib und machte Stoffstreifen daraus. Einer der anderen Jäger holte dagegen Wasser und wusch die Wunden ein wenig aus. Verbandsmaterial hatten diese Laien natürlich nicht dabei - also musste diese notdürftige Erstversorgung reichen, bis sie nach Alexandria zurückgekehrt waren. Immerhin stellte
    Damit wurde Lucius' Arm verbunden. Nach dem ersten Schock musste der Subpräfekt immerhin zugeben, dass sie offensichtlich ein bisschen was von Wundversorgung verstanden und er auch aufstehen und sogar reiten konnte. Es würde also nicht allzu lange dauern - nur hatte er leider keinen einzigen Löwen erlegt. Die getroffene Löwin war nämlich auch entkommen...

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