Die Zellen der Gefangenen.

  • Hätte ich doch nur meinen Mund gehalten! Meine düsteren Vorahnungen bestätigten, sobald der Kerl sein Maul aufmachte. Zuerst spielte er den Unschuldigen.
    Verdammt, dass musste Massa doch merken! Was das Schwein danach von sich gab, riss mir fast den Boden unter den Füßen weg. Mir wurde richtig übel, als er begann, die Tatsachen zu verdrehen. Das konnte doch nicht wahr sein!
    Ich wandte mich zu Massa und bat ihn… nein ich bettelte darum, dem Germanen kein Wort zu glauben. „Bitte… bitte Dominus, du… du darfst diesem Dreckskerl nicht glauben! Was er erzählt… es ist alles gelogen! Ich wollte weder fliehen noch wollte ich irgendwelche Informationen weitergeben! Das musst du mir glauben!“
    Ich war ganz neben der Spur. Ich wollte nur noch hier weg. Aber Arwid redete immer noch. Plötzlich sprach er von meinen Vorzügen und ich hatte erst gar keinen blassen Schimmer, was er damit meinte. Ich brauchte ein paar Minuten, bis ich realisierte, was er meinte. Schlagartig erinnerte ich mich an den Morgen, als ich in seiner Hütte aufgewacht war. Am Abend zuvor hatte ich sehr viel von diesem Honigwein getrunken. Viel Zuviel! Hatte er wirklich...? Mich vergewaltigt? Oder hatte ich etwa aus freien Stücken…? Verdammt, ich konnte mich nicht daran erinnern, was wirklich passiert war!„Du Schwein! Du verdammtes Schwein! Warum nur tust du das?“, rief ich verzweifelt. Ich machte ein paar Schritte zurück. Aber da war die Wand…

  • Mit vereinten Kräften und der Übersetzung Ronas ging es voran. Die Schmerzen waren sicherlich immens, weil aber das Kind noch so klein war, konnte es doch trotz der Beckenendlage zur Welt gebracht werden. Ein kleiner Junge rutschte in Alpinas Hände. Er war sehr klein und zart, die Haut gänzlich mit der Käseschmiere bedeckt. Ein typisches 7-Monatskind. Die Gefäße schimmerten blau durch die papierdünne Haut, die Atmung ging flach und schnell. Anstelle eines Schreis kam nur ein leises Wimmern.


    Alpina hüllte den kleinen Kerl in ein sauberes Tuch. Die Placenta folgte mit der nächsten Wehe.
    "Es ist ein kleiner Junge und es ist alles dran. Er ist noch sehr klein. Sicherlich ein 7-Monatskind. Das bedeutet er braucht ganz viel Wärme, wenn er überleben soll. Ein Ort wie hier ist vollkommen ungeeignet. Das Kind wird sterben, wenn es mit seiner Mutter hier bleiben muss."


    Mit den üblichen Handgriffen nabelte sie den Jungen ab und versorgte ihn. Dann legte sie ihn der erschöpften Mutter in den Arm.
    "Wir werden beide wärmen müssen und vor allem hier herausbringen müssen. Warum ist sie hier?"

  • Ich lauschte den Worten und gewiss war so einiges gelogen, was der Mann von sich gab.
    Thula versuchte natürlich ihre Haut zu retten und flehte mich an ihr zu glauben doch ich mit einem Kopfschütten deutete ich ihr damit aufzuhören und wandte mich wieder Arwid zu.


    "Gewiss bist du ein ganz großer Junge dort wo du her kommst, doch hier bist du nichts und als solches betrachte ich dich und deine Worte. Ich habe genug gehört um mir ein Bild zu machen"


    Dann deutete ich den Wachen sie könnten mit ihren üblichen 'Behandlungen' fortfahren "Haltet euch nicht zurück, aber lasst ihn am Leben, der neue Legat wird entscheiden, was mit ihm geschieht!"


    Dann wandte ich mich wieder an Thula "Zurück in die Casa" und machte mich sogleich auf den Weg, ohne auf sie zu warten.

  • Beklommen schwieg ich. Nachdem was Massa dem Kerl dann sagte, konnte ich nicht genau sagen, inwieweit er seinen Worten Glauben geschenkt hatte. Ich hatte jedenfalls ein ganz mieses Gefühl bei der Sache.


    Ziemlich knapp und abweisend gab er mir zu verstehen, dass ich ihm zur Casa folgen sollte. Er ging voran, ohne auf mich zu warten. So verhielt sich niemand, in dessen Gunst man stand. Ich hatte böse Vorahnungen und folgte ihm.

  • Ronas Gebet schien Erhörung zu finden, denn es gelang der Hebamme das Kind zur Welt zu bringen. Sie konnte kaum ihre Freude darüber verbergen und für kurze Zeit konnte sie sogar ihre ausweglose Lage vergessen. Doch die Ernüchterung folgte, als sie den kleinen neugeborenen Jungen erblickte. Statt eines kräftigen Schreiens war da nur ein leises Wimmern zu hören. Der kleine Körper wirkte so hilflos und verletzlich. Die Chancen standen schlecht für ihn. Das wusste Rona. Die Sklavin versuchte sich aber nichts anmerken zu lassen, als ihr Blick wieder zu der frischgebackenen Mutter ging, die völlig erschöpft da lag. Zuversichtlich lächelte sie ihr zu.


    Die schweißgebadete Alrun hatte mit letzter Kraft noch einmal gepresst. Dann kam endlich das Kind. Schnaufend entspannten sich langsam ihre Glieder. Sie richtete ihre fragenden Blicke an Rona und schließlich zur Hebamme. Was war mit dem Kind? Es war so schrecklich still, nur dieses leise Wimmern.
    Die Hebamme erklärte ihr daraufhin, das sie Mutter eines kleinen Jungen geworden war. Arun durchströmte ein Gefühl des vollkommenen Glückes. Das Kind lebte. Es war alles, was ihr von ihrem Mann geblieben war. Was die Frau sonst noch sagte, versuchte sie auszublenden. Das Kind wird sterben, wenn es mit seiner Mutter hierbleiben muss. Davon wollte Alrun nichts wissen. Für sie war nur wichtig, endlich ihr Kind in Händen halten zu können. Die Hebamme beeilte sich und legte ihr das Neugeborene in die Arme. Mit Tränen in den Augen begutachtete die junge Mutter das kleine Geschöpf.


    Rona nickte. Unter anderen Umständen war das die Lösung, um das Kind zu retten. Aber das Kind hatte hier drinnen keine Zukunft. Niemand hatte hier drinnen eine Zukunft!
    "Wir wurden heute alle hierhergebracht. Die Männer dieser Frauen waren aufständische Germanen, die einige römische Gutshöfe überfallen haben. Sie haben mit den Römern kurzen Prozess gemacht. Ich war Sklavin auf einem dieser Gutshöfe. Sie haben unseren Dominus uns seine ganze Familie massakriert. Uns haben sie befreit. Du kannst dir sicher vorstellen, was mich und all die anderen hier drinnen erwartet!"

  • Glücklich nahm die Mutter in Kind in die Arme. Das schwache Weinen des Kindes verebbte an der Mutterbrust.
    Alpina musste etwas unternehmen. Wenn die Frau in der Zelle blieb, würde das Kind sterben. Also kümmerte sie sich zunächst darum, dass das Kind gebadet, abgetrocknet, gewickelt und in wärmende Decken gehüllt wurde. Ebenso die Mutter. Sie war erschöpft und so geschwächt würde sie womöglich schneller sterben als das Kind. Das gefürchtete Wochenbettfieber ergriff vor allem die geschwächten Frauen. Unterkühlung, schlechte Ernährung und schlechte hygienische Zustände. Alles in allem ein Graus für die umsichtige Hebamme.


    Als Mutter und Kind versorgt waren überließ Alpina die beiden der Fürsorge der jungen Frau, die sich Rona genannt hatte. Sie selbst wollte jemanden suchen, der für eine Entlassung oder zumindest Verlegung der Wöchnerin zuständig war.
    Sie trat vor die Tür des Gefängnisraums.
    "Wer hat hier das Sagen? Wer ist der diensthabende Offizier? Ich muss ihn sprechen! Dringend!"

  • Aus einiger Entfernung hatte Ygrid alles mitverfolgt, was dort vor sich ging. Sie hatte sich sogar dabei ertappt, wie sie mit Alrun, Rona und der Hebamme mitgefiebert hatte, als die Frauen darum kämpften, das Kind zur Welt zu bringen. Das kaum hörbare Wimmern schließlich, ließ sie vermuten, dass Alrun ihr Kind zwar geboren hatte, im Grund aber war es doch Hel geweiht. Wenn der Hunger der Göttin groß genug war, würde sie sich vielleicht auch noch die Mutter holen. Um dies zu verhindern wollte die Hebamme immer noch weiterkämpfen. Sie rief nach dem Zuständigen, der entscheiden sollte, was mit ihnen hier passierte. Anscheinend hatte sie es noch nicht kapiert, dachte Ygrid bei sich. Sie waren Verdammte. Für all diese Gefangenen hier (und dazu gehörte nun auch das Neugeborene) gab es keine Hoffnung mehr. Rona hatte es ihr doch erklärt! Für Aufständische und entflohene Sklaven hatte niemand Verständnis. Wen juckte es, was aus Alruns Kind wurde?


    Ygrid wandte sich von dem Geschehen ab. Es fröstelte sie ein wenig. Sie versuchte, ein wenig Stroh zusammenzuraffen, um sich dann darauf niederzulegen. Wer wusste schon, wie lange sie noch hier drin noch gefangen waren…

  • Er hatte alles mitbekommen, jede Einzelheit. Hilfe? Manchmal gab es Situationen, da stand man keinen Steinwurf entfernt und konnte nicht helfen. So ging es Massa der die zelle betrat, nachdem Alpina den diensthabenden offizier sprechen wollte. " Der diensthabende Centurio wird nichts tun können, Alpina. Da musst du zu Tribun Lucius Vinicius Massa. Es sind seine Gefangenen. Er entscheidet, was mit ihnen passieren wird."

  • Es war Massa, der Alpina auf ihre Frage nach der Zuständigkeit antwortete. Die Hebamme hörte den Namen eines Tribuns, der ihr persönlich noch nicht bekannt war. Es spielte keine Rolle für sie, wer zuständig war, sie wusste nur, dass sie um das Leben von Mutter und Kind zu retten, etwas unternehmen musste. Und zwar dringend.
    "Wo finde ich ihn? Kannst du mich zu ihm führen?", fragte sie.

  • Stumpfsinnig starrte sie in die Dunkelheit. Die Germanin hatte es schon vor einer Weile aufgegeben, darüber nachzugrübeln, wie lange sie und die anderen hier schon in diesem dreckigen feuchten Loch gefangen gehalten wurden. Es musste schon Tage, wenn nicht sogar Wochen vergangen sein, seit das Wimmern des kleinen Jungen verstummt war. Jener Junge, der den Frauen einen kurzen Moment der Hoffnung geschenkt hatte, als er hier an diesem, von allen Göttern verlassenen Ort geboren worden war. Die Hebamme, die man geschickt hatte, hatte ihr Werk gut vollbracht. Jedoch hatte sie nichts ausrichten können, um den Jungen und letztlich auch seine Mutter zu retten. Nur einige Stunden hatte sein Leben gedauert. Rona, seine Mutter, war ihrem kleinen Sohn einige Tage später gefolgt, als das Fieber ihrem Körper die letzten Kräfte geraubt hatte.


    Das Klirren der Ketten, das leise Stöhnen und Jammern derer, die mit Ygrid hier eingesperrt waren, deutete daraufhin, dass noch etwas Leben in dieser Zelle war.
    Aber was war schlimmer? Hier in diesem Loch langsam aber sicher zu verrotten oder der Tod am Kreuz, dessen Martyrium absehbar war? Ygrid hoffte, wenn der Tod käme, dann hoffentlich bald.
    Vielleicht noch einmal die Sonne sehen, bevor es so weit war – das war ihr einziger Wunsch. Doch der würde wahrscheinlich auch, wie alles andere vergehen…

  • Zeit war zu einem vagen Begriff geworden. Inzwischen mussten bereits Monate vergangen sein. Bei vielen war es inzwischen zur Gewissheit geworden: man hatte sie vergessen. Oder wollte man das Problem einfach nur auf natürliche Weise lösen? Um sie herum begannen die ersten Gefangenen zu sterben. Rona und ihr kleines Söhnchen hatten den Anfang gemacht. Manch andere, die eh schon durch Verletzungen geschwächt war, hatte begonnen, die Nahrung zu verweigern.
    Und Ygrid? Etwas in ihr war noch nicht bereit, aufzugeben. Dabei wäre es doch so einfach gewesen, sich fallen zu lassen. Eines Tage überkam sie sogar die fixe Idee, sie müsse nur die Verankerung ihrer Kette aus der Wand herausbekommen und schon könne sie frei sein. Vielleicht war dies einfach nur der letzte Versuch, um sich nicht endgültig aufzugeben. Ein letztes Aufbäumen sozusagen. Der Auslöser dafür war eine spitzkantige Tonscherbe, die sie unter dem Stroh, auf dem sie lag, gefunden hatte. Stundenlang hatte sie nun fortan damit verbracht, den Mörtel zwischen den Steinen in der Wand herauszukratzen. Dazwischen zog sie immer wieder an der Kette, versuchte sie in irgendeiner Weise zu lockern, doch lange Zeit geschah nichts. Lediglich ihr Werkzeug begann langsam zu schwinden. Die Scherbe löste sich buchstäblich in ihrer Hand auf. Doch statt aufzugeben machte sie weiter mit ihren bloßen Händen. Ihre Finger wurden ganz blutig und jede Bewegung begann zu schmerzen. Täglich zerrte sie an der Kette, in der Hoffnung, dass sie endlich nachgab und sich aus dem Gemäuer löste. Ohne Erfolg! Manch andere hätte sich nun damit abgefunden und sich ihrem Schicksal ergeben. Ygrid jedoch war wie besessen und eines Tages war es tatsächlich so weit. Die Verankerung ihrer Kette gab nach. Dieser kleine Lichtblick spornte sie nur noch weiter an, nicht aufzugeben. Irgendwann zwischen Tag und Nacht, Monate mussten inzwischen vergangen sein, hatte sich endlich die Verankerung aus der Mauer gelöst. Die Freude über die neugewonnene Freiheit war groß. Jedoch war sie schlau genug, um zu wissen, dass die Freiheit nur außerhalb dieser Mauern auf sie wartete. Doch sie war sich sicher, nachdem sie so weit gekommen war, den Rest würde sie bestimmt auch noch schaffen!



    Sim-Off:

    Liebe Mitspieler, nachdem ich hier schon seit über vier Monaten festsitze, da alle möglichen Spielpartner, die daran etwas ändern könnten, sich scheinbar aus dem Staub gemacht haben, fange ich nun an, es selbst in die Hand zu nehmen, hier herauszukommen. Falls sich doch jemand finden sollte, der mitspielen möchte, ist derjenige natürlich herzlich willkommen. Falls nicht, ist es mir inzwischen auch egal.

  • Die Ernüchterung jedoch folgte recht schnell. Nachdem die Kette an ihrem Fußgelenk sie monatelang sehr eingeschränkt hatte und sie daher kaum Bewegungsfreiheit gehabt hatte, versagten Ygrids Beine ihren Dienst, als sie aufstehen wollte. Stattdessen verspürte sie unsägliche Schmerzen. Sie verfügte einfach nicht mehr über die nötige Kraft. Wut und Enttäuschung darüber taten ihr Übriges. Sie verlor die Balance und sackte in sich zusammen. Auf dem Stroh blieb sie liegen und Tränen quollen aus ihren Augen. Sie vergrub ihr Gesicht in ihren Händen. Das war´s dann wohl, dachte sie. All die Anstrengungen waren umsonst gewesen. Sie würde niemals hier raus kommen! Letztendlich blieben ihr nun noch zwei Optionen: Entweder blieb sie einfach hier liegen, bis zum Ende aller Tage oder sie war von nun an wachsam. Denn mal ganz ehrlich, hatte sie tatsächlich geglaubt, sie könne jetzt einfach so aus der Zelle hinausspazieren? Vorbei an den Wachen? Vollkommen unbemerkt?


    Ygrid konzentrierte sich von nun an ganz darauf, einen Weg zu finden, wie sie aus der Zelle herauskommen konnte. Tagtäglich beobachtete sie unauffällig die Wachen, die die Gefangenen mit Essen versorgten. Meist kamen sie zu zweit. Sie konnte nicht verstehen, was die Männer miteinander sprachen, doch an ihren Gesichtern spiegelte sich der Ekel, den sie empfinden mussten, wenn sie die Zelle betraten. Alleine schon der Gestank, der von den Gefangenen ausging, war ein Grund dafür, weswegen dieser Dienst mit Sicherheit nicht der Beliebteste war.


    Wieder vergingen Tage und vielleicht sogar Wochen, in denen sich alles gleich blieb. Tag für Tag die gleichen Abläufe, die keinerlei Möglichkeiten boten, an eine Flucht nur zu denken. Ygrid verließ langsam der Mut.
    Doch dann, eines Morgens, als die Gefangenen wieder mit Essen versorgt werden sollten, wurde die immer wiederkehrende Aneinanderreihung der täglichen Abläufe empfindlich gestört.
    Der leblose Körper der Gefangenen war den beiden Männern erst auf den zweiten Blick aufgefallen. Bei näherer Betrachtung stellten sie fest, dass die Gefangene bereits seit einigen Stunden tot sein musste. Sie war schon ganz kalt und steif. Wahrscheinlich war sie am Abend oder irgendwann in der Nacht gestorben. ‚Sich einfach so aus dem Staub gemacht‘, dachte Ygrid, die alles beobachtet hatte.
    Die Männer verließen die Zelle, um kurze Zeit später mit einem grobgewebten Leinentuch wiederzukommen. Die beiden lösten die Fußkette der Toten und legten sie in das Tuch. Statt sie jedoch sofort aus der Zelle hinauszutragen, ließen sie die Tote liegen, da offenbar jemand nach ihnen gerufen hatte.
    Ygrid hatte aus dem Augenwinkel alles beobachten können. Für die Tote hatte sie nichts empfinden können, denn im Grunde würden sie alle früher oder später das gleiche Schicksal erleiden, wenn nicht… Ja, genau… wenn sich nicht eine Gelegenheit wie diese bot!
    Die Chattin zögerte nicht lange und raffte sich auf um sich der Toten zu nähern. Noch einmal vergewisserte sie sich, dass sich keine Schritte der Zelle näherten. Dann zerrte sie den toten Körper aus dem Tuch heraus, schleppte ihn an ihren Platz und wickelte sich schnell selbst in das Tuch hinein. Das war ihre einzige Chance! Entweder die beiden Männer durchschauten ihren Plan und entdeckten sie, so dass ihr Versuch zu fliehen kläglich scheiterte, oder sie würde heute noch aus dieser Zelle herauskommen. Sie setzte alles auf eine Karte. Denn was hatte sie schon groß zu verlieren?


    Nach einer Weile hörte sie Schritte. Das Geräusch von genagelten Sohlen der Caligae kannte Ygrid inzwischen besser, als ihr lieb sein mochte. Ihr Körper versteifte sich, sie traute sich kaum mehr zu atmen, ihr Herz schlug wie wild in ihrer Brust. Sie hörte das Öffnen der Tür und wie zwei Gestalten nähertraten. Die beiden griffen das Tuch mit der vermeintlich Toten an den beiden Enden, um sie hochzuheben. Dann trugen sie sie fort. Hinter ihnen schloss sich die Tür wieder. Noch mehr Schritte waren zu hören. Man trug sie nach draußen, bis sie letztendlich mit einem Schwung höchst unsanft auf einem seltsamen Untergrund landete. Immer noch traute sich Ygrid kaum zu atmen, geschweige denn sich zu bewegen. Obwohl sie zu gerne gewusst hätte, wohin man sie gebracht hatte. Eines war sicher, sie befand sich nicht mehr in der Zelle mit all den anderen Gefangenen. Ein leichter kühler Wind drang durch den groben festen Stoff, in den sie gewickelt war. Sie war irgendwo draußen. Der Sommer musste inzwischen längst vorbei gewesen sein. Nur die Götter wussten, wie lange sie in der Zelle gefangen gewesen war.


    Lange Zeit passierte gar nichts. Nicht das geringste! Von weitem drangen Stimmen an ihr Ohr. Sie verstand nicht, was gesprochen wurde, obwohl ihr der Klang mancher Wörter inzwischen vertraut war. Vorsichtig versuchte sie zu ertasten, wohin man sie geworfen hatte. Sie lag auf etwas länglichem. Vielleicht auf Holzstämmen. Aber nein! Das, was sie fühlte war kein Holz. Es war nicht so fest und hart. Vielmehr erinnerte es sie an Gliedmaßen - Beine… Arme… menschliche Körper, die sich auf seltsame Weise kalt und erstarrt anfühlten. Langsam festigte sich die Vorstellung in ihrem Kopf, dass sie auf einer unbestimmten Zahl von Leichen lag. Sie wollte diesen Gedanken nicht zu Ende denken, denn sonst hätte sie das Grauen erfasst. Im schlimmsten Fall hätte man sie entdeckt. Nein, sie zwang sich, einfach weiter ruhig liegen zu bleiben und keinen Mucks von sich zu geben.


    Die Zeit schien stillzustehen. Wahrscheinlich lag Ygrid inzwischen schon Stunden auf einem Berg voller Leichen. Sie fragte sich, was mit den Toten (und letztlich auch mit ihr) geschehen würde. Ganz bestimmt würde man die Toten nicht im Lager belassen. Irgendwann musste doch nun endlich etwas geschehen!
    ‚Verbrennen! ‘, kam ihr plötzlich in den Sinn. Bestimmt werden sie ihre toten Gefangenen irgendwo verbrennen. Aber wo nur? ‚Bestimmt nicht im Lager‘, versuchte sie sich selbst zu beruhigen.


    Endlich, nach einer gefühlten Ewigkeit spürte sie eine Bewegung. Es war, als setze sich ein Karren in Bewegung und glücklicherweise befand sie sich auf jenem Karren! Wohin würde man sie nun bringen? ‚Ganz gleich, wohin‘, dachte sie. Hauptsache, es gelang ihr auf diese Weise aus dem Lager zu kommen!

  • http://www.kulueke.net/pics/ir…/f-roemer-soldaten/26.jpgDas metallene Klacken der benagelten römischen Caligae hallte durch den dunklen Gang. Der Schein einer Laterne näherte sich den Zellen der Gefangenen. Drei Milites kamen vor der ersten Zelle zum Stehen. Ein junger Unteroffizier warf einen prüfenden Blick durch die Gitterstäbe in die Zelle, in der ein Teil der gefangenen Frauen einsaß. Aus dieser Zelle hatte man zuvor bereits eine handvoll Tote - oder noch nicht ganz so Tote, wie in Ygrids Fall - geholt. Es war deshalb an der Zeit, die Gefangenen zu Geld zu machen, bevor der Winter mit voller Wucht über das Land zog.


    "Notiere: Erste Zelle, fünf Frauen, jung bis mittelalt. Zustand unterdurchschnittlich." Der Unteroffizier diktierte einem Miles, der mit einer Tabula bewaffnet war. Er war wohl ein Scriba. Geschäftig kratzte sein Stilus Buchstaben in das Wachs. Der Dritte im Bunde gehörte der Wachmannschaft an, die die Zellen beaufsichtigte. Sein Gesicht war den Gefangenen aus den letzten Wochen und Monaten wohlvertraut. Er hielt die Laterne und glotzte ansonsten bloß stumm vor sich hin.


    Die Milites machten ein paar Schritte hinüber zur nächsten Zelle. Auch hier waren ein paar Frauen angekettet. Ihr Zustand schien ein bisschen besser zu sein als nebenan. "Zweite Zelle, drei Frauen, alle jung. Zustand durchschnittlich." Die Stimme des Optio klang nüchtern und ließ keinerlei menschliches Interesse an den Insassen erkennen.


    Nun war die Zelle mit den Männern an der Reihe. Hier saß Arwid mit drei Kameraden ein. "Zelle Drei, vier Männer, Zustand..." Der Optio hielt inne und musterte die Krieger mit kritischem Blick. Sie waren ordentlich mit Nahrung versorgt worden und man hatte sich auch halbherzig um ihre Gesundheit gekümmert. Der Praefectus Castrorum hatte zuvor angeordnet, dass sie für eine öffentliche Hinrichtung präsentabel aussehen sollten. "Halt mal die Laterne höher", wies der Optio den Wachsoldaten an, um eine bessere Sicht zu haben.

  • Hatte Arwid anfangs geglaubt, er würde nicht lange in diesem Kerker sitzen, wurde er, mit jedem Monat der verging, eines besseren belehrt. In all der Zeit hatten sich seine Kerkermeister redlich darum bemüht, ihn wieder genesen zu lassen und ihm mit allem versorgt, was nötig gewesen war, damit er am lieben blieb. Sein verletztes Bein war wieder gut ausgeheilt, was unter den gegebenen Umständen fast einem Wunder glich. Keinen einzigen Tag hatte er hungern müssen. Die Ketten jedoch hatte man ihm gelassen, weil er wohl immer noch eine große Bedrohung darstellte.


    Dennoch war die lange Zeit nicht spurlos an dem Germanen vorübergehangen. Am Anfang seiner Gefangenschaft hatte er jeden Tag damit gerechnet, man würde ihn aus seiner Zelle zerren und ihn ans nächste Kreuz schlagen. Doch nichts dergleichen war passiert. Nach dem Besuch des Tribuns vor etlichen Monaten hatte sich außer den Wärtern niemand mehr hierher verirrt. Der Schein ihrer Fackeln war das einzige Licht, das er zu sehen bekam. Man ließ ihm genug Zeit, sich immer und immer wieder mit dem Geschehenen zu beschäftigen. So durchlebte er jede Nacht immer wieder den Kampf im Auenwald. All die, die ihm gefolgt waren und an seiner Seite niedergemetzelt worden waren, erschienen ihm allmählich im Traum. Ihr Schreie und ihr Klagen bescherten ihm unruhige Nächte und trugen mit dazu bei, dass er Nacht für Nacht immer ein Stückchen mehr in den Wahnsinn abdriftete.


    Sein Äußeres hatte sich zwangsläufig auch in der langen Zeit verändert. Langes verfilztes Haar zierte sein Haupt und ein ähnlich zottliger Bart war ihm gewachsen. Sein Geist stumpfte mit der Zeit immer mehr ab. Anfangs hatte er sich mit den Ratten, die sich in den Zellen tummelten, beschäftigt. Inzwischen starrte er nur noch teilnahmslos in die Dunkelheit und wartete. Er wartete auf den Tod, der einfach nicht kommen wollte. Was hatte er nur getan, weshalb ihm die Götter keinen schnellen Tod gewährt hatten?


    Doch dann eines Tages wurde der alltägliche Trott unterbrochen. Da waren Stimmen – römische Stimmen, die zu seinem Geist vordrangen. Neben dem Wachsoldaten, dessen Fackel die Zelle für einen kurzen Augenblick aufhellte, waren noch zwei andere Soldaten, die sich offensichtlich eine Übersicht über die Gefangenen verschafften. Was hatte das zu bedeuten? Arwid sah kurz auf, doch der Schein der Fackel blendete ihn. Als er seine Hand schützend vor seine Augen hielt, war das Rascheln seiner Ketten zu hören. „R a u s!“, versuchten seine Lippen zu formen. Seine Stimme klang rau. Dann versuchte er es nochmals, diesmal etwas kraftvoller. „Lasst mich hier raus!

  • http://www.kulueke.net/pics/ir…/f-roemer-soldaten/26.jpgDer Unteroffizier betrachtete die Gefangenen prüfend. Sein Äußeres entsprach seiner Haftzeit und den hygienischen Bedingungen im Kerker. Davon abgesehen wirkten alle vier Männer lebendig. Man hatte sie ausreichend genährt, ansonsten aber nicht weiter beachtet. "Zustand präsentabel", diktierte der Optio seinem Scriba daher lakonisch.


    Er wollte sich bereits abwenden, als einer der Gefangenen sich krächzend an sie wandte. Lasst mich raus. Das Übliche also. Wie langweilig. "Ihr kommt hier noch früh genug raus", antwortete der Optio hämisch grinsend. Die Entlassung aus dem Kerker bedeutete freilich keine Freiheit für die Männer. Auch für die Frauen nicht. Die Soldaten wussten das. Ahnten die Gefangenen es ebenso und erhofften sich dadurch ein erlösendes Ende ihrer Haft? Dem Optio war's egal. Er machte auf dem Absatz kehrt und winkte seine Kameraden hinter sich her. Das Licht der Laterne entfernte sich unter dem rhythmischen Klackern der Caligae. Bald war es wieder düster und einsam im Kerker. Doch sollte es nicht mehr lange so bleiben.

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